Albert Emil Brachvogel
Friedemann Bach
Albert Emil Brachvogel

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VI.

August III. hatte nun Polens Krone, aber von Polens Besitz war er noch weit entfernt; denn kaum war der Leichnam seines verblichenen Vaters in den Gewölben des Schlosses zu Warschau beigesetzt, als auch schon eine Vielzahl des polnischen Adels wieder ungewiß wurde. In zwei Parteien gespalten, die sich über das ganze Land erstreckten, erklärte sich eine Minderheit für August III., die Mehrzahl der Edelleute aber für Stanislaus Leszczynski. Sollten nicht alle seitherigen Opfer an Menschenleben und Geld vergeblich gewesen sein, nicht jeder neue Tag auch neue Schwierigkeiten bringen, dann mußte Frankreichs Einfluß in Polen neutralisiert werden. Dazu bedurfte man der Hilfe Österreichs.

Diese Hilfe war nur durch Vermittlung der Königin zu erreichen.

Augusts III. Gemahlin Marie Josepha von Österreich war ebenso stolz wie schön, ebenso ehrgeizig wie entschieden, ebenso streng katholisch wie eigensinnig. Nach dem Tode Augusts des Starken, der der leidigen Polenkrone zuliebe zwar auch katholisch geworden war, den Glaubenswechsel aber stets nur als Nützlichkeitsmaßregel betrachtet und nie versucht hatte, Eberhardines entschiedenes Luthertum anzutasten, säumte Josepha nicht, gründlich Wandel zu schaffen. Durch eine Schar von Jesuiten, an deren Spitze der Beichtvater Quarini und die erste Hofdame, Gräfin Ogilva standen, wurden die französischen Doktrinen am Hofe mehr und mehr ausgerottet und er in ein frommehrwürdiges Gewand asketischen Ernstes gehüllt, der von der feinen, zierlichen Ungezwungenheit und der lachenden Skepsis unter August II. grell genug abstach. Josephas Bestreben war, sich in die staatlichen Angelegenheiten zu mischen, die Zügel der Regierung womöglich selbst in der Hand zu halten.

Ihrem Streben kam die ganze Veranlagung ihres Gemahls erfolgversprechend entgegen. Der neue Herrscher Sachsens war ein Fanatiker der luxuriösen Ruhe. Er ließ sich nur dann aus seinem olympischen Behagen reißen, wenn er zu einem Hoffest oder zur Jagd ging. Er wollte herrschen, aber das Herrschen nicht als eine Arbeit, ein Handeln, sondern als einen angenehmen Zustand ansehen, der ihm nicht mehr Anstrengung machen dürfe, als ihm zur Unterhaltung nötig und seiner Eitelkeit angenehm schien. Darum ließ er die Geschäfte möglichst auf dem Fuße, auf dem sie sich zur Zeit seines Vaters befunden hatten, und das ewige Querulieren der Königin und der Geistlichkeit war ihm höchst verdrießlich. Je mehr nun Sulkowsky imstande war, August III. in dieser gewünschten Ruhe zu erhalten, um so mehr schien August geneigt, die Geschäfte in seiner Hand zu konzentrieren. Und das war der Punkt, von dem aus die Dinge sich langsam zu verschieben und in ein neues Stadium zu treten begannen; denn je mehr Sulkowsky an äußerer Machtfülle zunahm und zum König hielt, desto mehr trat Brühl auf die Seite der Königin.

In eine peinliche Lage gerieten dabei die schöne Gräfin Kollowrat und Hennicke. Dieser, auf Betreiben der Königin unlängst zum Grafen von Hennicke gemachte Kammerdiener, dessen großen Einfluß sie sich durch Befriedigung seiner Geldgier und Eitelkeit untertan zu machen gewußt hatte, wurde mit jedem Tag verlegener, welche Seite er ergreifen, – und Antonie von Kollowrat, welchem ihrer beiden getreuen Liebhaber, Brühl oder Sulkowsky, sie sich zuneigen sollte. Allerdings hatte sie Brühl große Aussichten auf ihren Besitz eröffnet und war äußerst liebenswürdig, ja liebevoll zu ihm; aber immer noch knüpfte sich ihr Besitz an die Bedingung, daß Brühl allein das Land regieren und seinen Kollegen gestürzt haben müsse. In der Seele dieser jungen Frau hatte sich der Ehrgeiz an die Stelle des Herzens gesetzt. Sie liebte eigentlich nichts, außer sich selbst, und sogar ihre kleine Tochter, die einzige Erinnerung an Augusts des Starken kurze Neigung, liebte sie weniger um des Kindes selbst willen als wegen seiner Schönheit, die ihr dereinst ein Mittel zur Fortsetzung ihrer ehrgeizigen Pläne zu werden versprach. Ihre Zuneigung zu Brühl hatte denselben Grund, und wenn sie in letzter Zeit Sulkowsky ebenso vernachlässigt hatte wie ehemals Brühl, so war nicht allein Sulkowskys Häßlichkeit daran schuld, sondern auch die Absicht, den verliebten Polen zu noch höheren Anstrengungen seiner Opferfähigkeit zu vermögen.

Und nun, in der jetzigen Lage, in der der Hof sich befand, kalkulierte sie einfach: wer am höchsten steigt, wer der Letzte auf dem Platze ist, den nehme ich; denn der wird mich auch am meisten lieben.

Hierin trafen sich ihre Wünsche und Berechnungen mit denen der Königin, die längst bei sich beschlossen hatte, die heißbegehrte Gräfin als Lockvogel für beide Rivalen herauszustellen und denjenigen mit ihrer Hand zu beglücken, der am geeignetsten sein würde, Josephas Sklave zu werden.

In Fragen der äußeren Politik konnte Sulkowsky den Grafen Brühl nicht entbehren; denn ohne Hilfe Österreichs gab es keine Lösung der polnischen Angelegenheit, und ohne die Königin keinen Weg nach Österreich.

Freilich, Frankreich war weit entfernt von Polen und hätte um Leszczynskis willen durch halb Europa ziehen müssen, und mit Petersburg konnte, – nein, mußte man eben zu einem Einverständnis gelangen! Da war dieses Privatschreiben Annas von Rußland an den König, in dem sie schmollend davon sprach, Minister Sulkowsky verzögere und erschwere durch seine persönlichen Antipathien die im Gange befindlichen Verhandlungen um die Anerkennung ihrer (allerdings etwas gewaltsamen) Wahl zur Kaiserin von Rußland. Der König war höchst ärgerlich gewesen, Sulkowsky schäumte vor Wut, und wäre in dem Brief der Name Brühls auch nicht so auffallend nebenher erwähnt worden, er hätte geheime Machinationen von dieser Seite aus erkannt. – Brühl triumphans? – Nein, das durfte nicht sein!

Sulkowsky handelte. Er vollzog nicht nur die sofortige Anerkennung Anna Iwanownas, er erfüllte ihr auch einen weiteren Herzenswunsch, indem er in die Verleihung Kurlands an ihren Günstling Biron aufs freundlichste einwilligte. Sogar mit Wien erzielte er, und ohne die Königin, eine schnelle Einigung. Hatte er bislang die Gewährung der pragmatischen Sanktion, jenes feierlichen Staatsgesetzes Karls VI. über die weibliche Thronfolge in Österreich, zurückgehalten, so notifizierte er nunmehr ihre sofortige Annahme.

Alsbald setzten sich die österreichischen Regimenter nach Polen in Bewegung. Es war die höchste Zeit; denn auch die Franzosen marschierten. Preußen blieb neutral, aber die Pforte, mit Frankreich vereint, und der größte Teil Polens erklärten sich offen für Stanislaus, der nach Warschau gekommen war, um an Ort und Stelle selbst seine Rechte zu verteidigen. – Der Krieg war entschieden! Der französische Gesandte, Graf Broglio, verließ sofort Dresden. Das sächsische Herr rückte durch Schlesien hindurch vor . . .

Sulkowsky frohlockte, Brühl war für den Augenblick geschlagen. Sie wußten nun beide, daß sie Feinde waren. Weil indessen der König, vielleicht aus richtigem Instinkt, beide hielt, so schlossen sie innige Freundschaft, – auf den Moment lauernd, wo sie sich gegenseitig würden vernichten können. »Intime Feinde« nannte man sie bei Hofe, und sie selbst lachten ganz offen darüber. Sie umgaben sich gegenseitig mit Spionen, rivalisierten beim König, bei der Königin, bei der Gräfin Kollowrat und dem süßfreundlichen Hennicke.

Brühl hatte indessen zweierlei vor Sulkowsky voraus: er war hübscher, liebenswürdiger und daher im ganzen der Kollowrat doch angenehmer, und – er hatte den in Petersburg weilenden, von keiner Seele in Dresden gekannten Siepmann. Vorerst allerdings hatte der Brief Annas die diplomatischen Künste dieses Schildknappen zunichte gemacht. Brühl berief ihn nach Dresden zurück, wo er sich unter fremdem Namen ein Stübchen in der Vorstadt mietete. Aber unverzüglich reiste er wieder ab. Nach Warschau.

Die schöne Kollowrat war sehr ungehalten über Brühl und sagte ihm rund heraus, daß ein Jahr des Wartens bald vorüber sei und sie nicht absähe, wie er seine stolzen Versprechungen verwirklichen wolle. Ja, er mußte zu seinem Leidwesen sehen, wie die treulose Schöne wieder Sulkowsky zuzulächeln begann, der durch die Anerkennung der pragmatischen Sanktion sich auch der Königin etwas genähert hatte.

Brühl, dem jetzt nur noch Josepha zugetan war, weil sie ihn zu brauchen hoffte, und der nach einer solchen Niederlage fast keine Aussicht sah, seine Pläne zu verwirklichen, war in grenzenloser Verzweiflung. Von den Spionen des Gegners umlagert, hatte er nicht einen Vertrauten um sich, der ihm ohne Gefahr des Entdecktwerdens hätte Dienste leisten können. Er richtete daher seinen Blick wieder auf Siepmann, sein unsichtbares Faktotum, und schrieb ihm nach Warschau:

»Nr.788. – P.P., ich ersuche Sie, sofort zurückzukommen. Im Augenblick ist das Terrain an ihrem Platze nicht zu halten. Man muß den Feind aus der Nähe treffen. Einzelne Anknüpfungspunkte dazu habe ich, doch fehlt mir die unsichtbare Hand, die ohne Geräusch fortspinnt. Nehmen Sie das alte Stübchen in der bekannten Straße. Zeichen wie sonst. – 118, 502, 712.«

Etwa vierzehn Tage darauf, als Graf Brühl eben zum Diner des Königs fuhr, trat eine alte, dürftig gekleidete Frau eilig an seinen Wagen und reichte ihm zitternd eine Bittschrift an den König. In der Ecke des Kuverts stand »Nr. 788«.

»Kommen Sie in ein paar Stunden wieder, liebe Frau! Ich will sehen, was sich tun läßt.« Er warf ihr einen Taler in die Schürze und fuhr weiter. In die Ecke des Wagens gedrückt las er:

»Nr. 789. – P.P., angelangt und einlogiert. Heute nacht erwarte ich von zwei Uhr ab meinen Bruder Heinrich aus Plauen zum Besuch. – Ergebenst 313 121, 515 981.«

Als Brühl vom Diner des Königs zurückkam, harrte die Frau an der Tür. Der Graf winkte ihr bejahend aus dem Schlage.

Kaum war er in sein Kabinett getreten und hatte sich der Hoftoilette entledigt, als er sofort seinen Reisewagen befahl und den Ministerialrat Erdmann rufen ließ.

»Lieber Erdmann«, rief er dem Eintretenden zu, von dem er ahnte, daß er im Solde Sulkowskys stand, »ich muß nach Plauen. Vertreten Sie mich, wenn etwas passiert. In drei Tagen bin ich zurück.«

Eine Stunde darauf fuhr Brühl in seiner Reiseequipage nach Plauen, stieg dort im ersten Gasthof ab und entließ seinen Wagen mit dem Auftrag, am anderen Tage wiederzukommen. Noch hörte er das verhallende Geräusch der Räder, als er schon den Bürgermeister rufen ließ, der erschrocken und tief gebückt vor ihm erschien.

»Lieber Bürgermeister, Sie werden erstaunt sein, mich hier zu sehen. Ich komme, Sie um eine Gefälligkeit zu bitten.«

»Welch hohe Gnade, Exzellenz! Was in meinen geringen Kräften steht, Exzellenz!« stotterte das kleine Männchen entzückt und devot.

»Lieber Bürgermeister, es ist von ungeheuerster Wichtigkeit für den Staat, einem Geheimnis, einem furchtbaren Geheimnis, das in dieser Gegend obwaltet, auf die Spur zu kommen. Dazu sollen Sie mir helfen! Hören Sie genau zu: in einer halben Stunde wird eine gewöhnliche Kutsche vor Ihrer Tür stehen. Mit Anbruch der Dunkelheit werde ich in Ihr Haus kommen. Sie werden mich als Kaufmann Siepmann bewillkommnen und mir eine Reiselegitimation geben. Darauf werde ich abfahren. Weder Ihre Familie noch sonst jemand darf wissen, wer ich bin, sonst kostet es Ihren Kopf. Tun Sie aber, was ich befehle, und halten Sie reinen Mund, so sollen Sie ganz besonders belohnt werden. Gehen Sie!« –

Der Abend war hereingebrochen, und Siepmann der Zweite traf in Dresden ein, passierte mit seiner Legitimation ungehindert und unerkannt das Tor und erklomm den dritten Stock einer Spelunke der Vorstadt, wo er den lieben Bruder aus Warschau fand. Der Empfang war keineswegs so herzlich, wie er unter Brüdern üblich zu sein pflegt, denn der Warschauer schien vor dem Plauener große Ehrfurcht zu haben. Nachdem der neugierigen Wirtin der Ankömmling vorgestellt war, brachte sie das Abendbrot und verschwand.

»Wie steht das Geschäft in Warschau, Siepmann?«

»Schlecht, sehr schlecht«, antwortete Siepmann, »kein Begehr nach sächsischer Ware. Wollen vaterländische Qualität, wenn sie auch schlechter ist.«

»Das wird man ihnen schon verleiden. – Doch genug davon! Ich habe hier ein Geschäft für dich. Du kennst doch meinen Konkurrenten hier?« und Brühl malte einen Anfangsbuchstaben auf den Tisch.

»Ja, geehrter Herr Bruder!«

»Dieser Konkurrent umstellt mich mit seinen Leuten und hat mir eben im Geschäft einen bedeutenden Schlag gegeben; auch weißt du, daß er mir bei meiner Werbung hinderlich ist.«

»Ja, Bruder Siepmann!«

»Ich weiß nur eine Art, ihm in den Weg zu kommen. Mein Gegner ist verliebt und unterhält eine Liebschaft mit einer Tänzerin. So heimlich er's betreibt, so habe ich doch davon eine Ahnung.« Brühl schob Siepmann die Adresse zu.

»Mach dich an sie, erforsche, ob sich die Sache so verhält, und frage sie, ob sie zweihundert Dukaten verdienen will, wenn sie ein paar Männern erlaubt, im Nebengemach zu verweilen, wenn der Liebhaber bei ihr ist.«

»Gut, Bruder Siepmann!«

»Gib mir in der gleichen Weise Nachricht, um dieselbe Zeit, und wechsele die Boten. Lebe wohl, laß bald von dir hören!«

»Wird alles schönstens besorgt, Bruder Siepmann. Vergiß nur nicht, was du mir versprochen hast, wenn wir so weit sind!«

»Wenn wir so weit sind! Adieu!«

Bruder Siepmann aus Plauen reiste mit demselben Lohnkutscher in derselben Nacht nach Plauen zurück. – Brühl war am andern Tage wieder in Dresden.

Es war richtig, Sulkowsky besaß eine Liaison beim Ballett. Er war damit so heimlich zu Werke gegangen, und die Dame hatte sich so diskret verhalten, daß das Geheimnis nicht ruchbar geworden wäre, hätte nicht der leise in seine Loge eintretende Brühl gesehen, wie Sulkowsky vom Hintergrund derselben aus seiner Donna einige verdächtige Zeichen gab. Sulkowsky hatte, wenn er je auf Antonie von Kollowrat hoffen wollte, alle Ursache, diese Liebschaft zu verbergen; denn die schöne Gräfin war in diesem Punkte sehr intolerant und konnte in keiner Beziehung des Lebens eine Nebenbuhlerin vertragen.

Siepmann tat seine Schritte, und ein Schreiben, das Brühl auf dem gewöhnlichen Wege als Bittschrift überreicht wurde, meldete, daß die schöne Tänzerin auf den Vorschlag eingehe. Da sie aber möglicherweise dadurch Sulkowskys Kundschaft verlieren könne, schlug sie vor, diese zweihundert Dukaten in eine jährlich sich wiederholende Rente auf Lebenszeit umzuwandeln; und da sie ihren Kontrahenten noch nicht kenne, müsse ihr nach dem Rendezvous diese Summe für die ersten zehn Jahre vorausbezahlt werden. – Brühl seufzte über diese unverschämte Forderung, ging aber dennoch darauf ein.

Er bevollmächtigte Siepmann, abzuschließen und den Tag für das Stelldichein festzulegen. Und als alles vorbereitet war, erbat er sich bei der schönen Kollowrat eine Unterredung.

Antonie empfing ihn mit jener kühlen Freundlichkeit, die sie seit seiner diplomatischen Niederlage gegen ihn angenommen hatte.

»Sind wir allein und unbelauscht, schöne Gräfin?«

»Gewiß, Herr Graf! Erlauben Sie mir aber darüber zu erstaunen, daß Sie sich jetzt noch in der Lage fühlen, mir ein Tête-à-tête anzubieten! Nehmen Sie Platz!«

»Ich erlaube Ihnen den Hohn«, sagte Brühl bitter, »und ersuche Sie um nichts weiter als geduldiges Gehör. Ich muß mich endlich einmal gegen Sie aussprechen, Antonie, und wenn Ihnen das auch unangenehm sein mag, so gestatten Sie mir es dennoch; denn es wird das letztemal sein, daß ich Sie beunruhige.«

»Das letztemal, Graf? – Ah! Sie sind mit Ihrer Liebe zu Ende gekommen? Nun, nur heraus damit, aber aufrichtig!«

»Meine Liebe zu Ihnen kann nur mit meinem Leben enden, Antonie; aber ich muß Ihnen erklären, daß ich mit den Mitteln, Ihre Gegenliebe zu erringen und meine Zusage zu erfüllen, zu Ende bin.«

»Und nachdem Sie meine Ansichten über diesen Punkt kennen, glauben Sie noch, daß dieses Bekenntnis der Schwäche Ihnen vorteilhaft sein könnte?«

»Nein, Gräfin! Aber nichtsdestoweniger glaube ich, nachdem ich mich überzeugt habe, daß nach meiner jetzigen Niederlage alle künftigen Anstrengungen fruchtlos sein müssen, Ihnen dieses freimütige Geständnis schuldig zu sein. Ich will Ihre Geduld und Ihren letzten Rest von Vertrauen nicht mehr für einen Unglücklichen beanspruchen, dessen Talent zur Intrige da scheitern muß, wo es nur auf Kosten der Ehre siegen könnte!«

»Sie machen mich neugierig! Wollen Sie nicht auf die Sache selbst eingehen?«

»Als ich noch Page, ein Nichts von einem Menschen war, liebte ich die schöne Kollowrat mit aller Innigkeit und Glut der Jünglingsliebe. Lachen Sie nur, Antonie, lachen Sie immerhin! So komisch und vielleicht unerhört Ihnen das scheinen mag, es ist dennoch wahr! Und daß diese seltsame Knabenliebe tief und gut war, beweist: daß sie noch heute mit derselben Stärke in mir lebt. Diese Liebe war's, die aus dem Pagen den Minister gemacht hat und aus dem Nichts doch ein Etwas, – einen Mann, der sich Ihrer Freundschaft erfreuen durfte, dem Sie sogar süßere Hoffnung gaben. Ich habe gern und freudig die absolute, oft eiserne Herrschaft einer einzigen Frau über mich anerkannt und bin, von dieser Liebe geleitet, das geworden, was ich bin. Ich habe gegen Sulkowsky intrigiert, soweit ich es tun konnte, ohne den reinen Namen zu verletzen, den ich der Dame meines Herzens als bestes Gut zubringen muß. Ich habe verloren, weil ich liebte und diese Liebe selbst mir gewisse Schranken im Handeln setzte, die ich nicht überschreiten durfte, ohne gegen Sie zu fehlen. Sulkowsky kennt diese Schranken nicht, ihm ist der Ehrgeiz alles im Leben; mir ist der Ehrgeiz nur Mittel zur Erfüllung meines Liebesglückes. Kein Wunder, daß er weiter kam als ich!«

»Und wie wollen Sie das beweisen, Herr Graf?«

»Der Beweis ist einfach! Das, was ich geworden bin, wurde ich durch die Liebe. Daher habe ich mich in allen Dingen durch Sie, Antonie, leiten lassen. Sie beherrschten mich. Sie sind für jetzt der Königin alliiert, ich tat desgleichen und habe gerade dadurch vielleicht die größte Klugheitsmaßregel verabsäumt. Ich habe Ihnen aber dadurch den Beweis gegeben, daß, ich mag steigen wie ich will, Sie stets Herrscherin meiner Gefühle und Handlungen, Sie, wenn ich Alleinminister bin, die Beherrscherin Sachsens sein werden. – Sulkowsky aber wurde das, was er geworden, nicht durch die Liebe, sondern durch den Egoismus und den bequemen Vorteil seiner Nationalität. Obwohl Sie auf der Seite der Königin stehen, ist er auf die des Königs getreten, – um jeden Preis, nur um die Geschäfte allein zu leiten. Er benutzte alles, um zu herrschen, ich alles, um zu lieben. Oder glauben Sie, Antonie, daß Sulkowsky die ganze Summe der Gewalt zusammengerafft hat, um sie Ihnen schließlich in den Schoß zu legen? Sind Sie dessen ganz sicher? – Reden Sie, es ist ja nur mein Todesurteil!«

Antonie war sichtlich betroffen. In ihrem Kopf wälzten plötzlich alle möglichen Zweifel, ihr ehrgeiziges Herz zitterte und stand dem Verdacht offen. »Aber gesetzt, Sie hätten mit Ihrer Anschauung nicht ganz unrecht, Graf: woher wissen Sie, daß Sulkowskys Liebe nicht alles um meinen Besitz hingeben würde? Seine Versicherungen sind so glühend wie die Ihrigen, und . . . und . . .«

»Sie zögern Antonie! Seine Versicherungen: ja! Aber seine Handlungen?«

»Was meinen Sie damit, Graf?«

»Daß . . . wer das Höchste im Leben erringt um seiner Liebe willen, diese Liebe als höchstes Gut allein in sich tragen muß, nicht daß er sein Herz teilt! Das ist der Moment, Antonie, wo die Liebe, die schon der Knabe fühlte, die komisch-treue, ehrwürdig wird.«

»Graf!« rief die Gräfin in flammendem Zorn, »Sie behaupten, Sulkowsky liebe eine andere neben mir? Sie begreifen doch, daß Sie das beweisen müssen?«

»Sulkowsky besucht dreimal in der Woche die Valeria Gliphi, die kleine Tänzerin unserer Oper. Übermorgen hat er mit ihr ein Rendezvous, und die Schöne liebt das Gold so sehr, daß sie sich herabgelassen hat, für ein honettes Geschenk zwei Männer in ihrem Kabinett zu verstecken, ehe der Liebhaber kommt. Der eine der beiden werde ich sein.«

Die schöne Frau stand blaß und regungslos. Alle Dämonen wüteten in ihrer Brust, ihre Stirn umwölkte sich, krampfhaft zuckte es um ihren Mund. Brühl trat zu ihr und faßte ihre Hand. Laut weinend sank sie in seine Arme. »Heinrich, ich bin dein! Dein, ohne Rückhalt und Bedingung! Aber den Beweis schaffe mir! Übermorgen im Kabinett der Tänzerin! Du bist der eine Mann, ich der andere!«

Sie trocknete ihre Tränen, nicht geweint aus gekränkter Liebe, sondern einem aufs tiefste verwundeten Ehrgeiz, einer geschwundenen stolzen Hoffnung, einem aus Scham und Zorn gemischten Empfinden tödlich beleidigter Frauenehre.

»Und wenn Sie sich von der Tatsache überzeugt haben, Antonie, darf ich dann wagen, die Königin um die Genehmigung zu unserer Verbindung zu bitten?«

»Ich selbst will es tun, Heinrich, und wenn ich dein bin, so sei versichert, daß du den Polen stürzen sollst!«

 

Auf schwellendem Diwan, Leckereien und Wein vor sich, saßen in seliger Umarmung Sulkowsky und die lachende Valeria.

»Und wollen Sie wirklich die langweilige Kollowrat heiraten?« fragte die kleine Tänzerin.

»Ach, ich muß . . . ich muß ja, Kind! Teils um meinen Gegner Brühl zu stürzen, teils um die Anhängerschaft der Königin nicht aufzuhetzen. Es wird eine diplomatische Ehe werden!«

»Du Grausamer! Hast du mir nicht versprochen, du wolltest nie heiraten und mich später in dein Haus nehmen?«

»Jawohl, Valeria, das hab’ ich. Aber soll ich denn damit meinen Sturz erkaufen? – Sieh, ich möbliere dich ganz neu und brillant aus, du bewohnst ein Haus in meiner Nähe, und ich werde so oft bei dir sein, daß du bald vergessen sollst, daß ich verheiratet bin!« – und der leidenschaftliche Pole preßte sie verlangend an sich und berauschte sich an ihren Küssen . . .

In diesem Augenblick verließen zwei Gestalten in Männerkleidung die Wohnung der Tänzerin.

Einige Tage später hielten Brühl und Antonie in einer Privataudienz bei der Königin um die Einwilligung zu ihrer Vermählung an. Josepha war höchst betroffen, lächelte dann aber und machte ihr Jawort von einer geheimen Klausel abhängig, die sie dem Grafen in einem Nebenkabinett mitteilte. Brühl kam sehr ernst zu Antonie zurück, die Königin gab ihren Konsens und versprach in liebenswürdigster Bereitschaft ihre Verwendung beim König und ihre fernere dauernde Gnade.

Kurze Zeit darauf erfuhr Sulkowsky, daß er Antonie verloren habe. Er wurde krank vor Wut und schwur bitterste Rache; er hatte Antonie ernstlich geliebt und in der kleinen Valerie nur eine flüchtige Liebelei gesehen.

Brühl und Sulkowsky waren weiterhin Feinde, aber keine »intimen Feinde« mehr.


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