Albert Emil Brachvogel
Friedemann Bach
Albert Emil Brachvogel

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IV.

Das Jahr 1732 war herangebrochen, und die Zeit, die seit dem denkwürdigen Wettstreit an allen seinen Teilnehmern vorübergegangen war, hatte nicht nur sie, sondern auch die ganze sie umgebende Welt, ja ganz Europa verändert. In Sachsen allerdings regierte immer noch August der Starke, wechselte nach wie vor seine Gunst und Neigung und richtete feindselig seine Blicke nach Frankreich, dessen Herrscher, Ludwig XV., nicht übel Lust zeigte, seinem unglückseligen Schwiegervater, Stanislaus Leszczynski, noch einmal die wenig beneidenswerte Krone Polens aufs Haupt zu setzen. Fast alles sonst aber war in den vergangenen fünfzehn Jahren von seiner Stelle gerückt, und manche Lücke klaffte.

Der Kurprinz August hatte sich 1719 mit Prinzessin Marie Josephine von Österreich vermählt, und die arme Königin Eberhardine (die »Betsäule von Sachsen«, wie das Volk sie nannte) hatte sich mit ihrem Unglück und ihren Tränen 1727 in die Erde geflüchtet. Vor ihr schon war ihre alte, würdige Oberhofmeisterin gestorben und an deren Stelle ihre schöne Tochter, die junge Antonie von Kollowrat, zur Favoritin der Königin geworden; und so sehr wußte sich diese bei Marie Josephine in Gunst zu setzen, daß sie auch die Vertraute der Kurprinzessin wurde.

Hoymb war seines Amtes verlustig gegangen und saß auf dem Königstein, wo auch der Goldmacher Klettenberg sein Leben verloren hatte. Aurora von Königsmarck, der Fürst von Fürstenberg, Fleming waren gestorben, Vitzthum im Duell erschossen worden; die Kessel, die Denhof, die Dieskau, selbst die schöne Osterau, die letzte Liebe Augusts, waren in ihr ursprüngliches Nichts zurückgesunken. Auch der alte, gute Volumier war nicht mehr und an seine Stelle Hasse mit seiner berühmten Nachtigall, der großen Faustina, getreten. –

Dem braven Sebastian Bach, dessen Familie sich seither vielfach, wie sein Ruhm, vermehrt, und der in Köthen, wohin er seinen Wohnsitz verlegt hatte, sein liebes, treues Weib durch den Tod verloren, war die Welt daselbst zu eng geworden. Er war daher nach Leipzig gezogen und hatte, nachdem er Anna Magdalena, die jüngste Tochter des Weißenfelsischen Hofmusikers Wülkens, geheiratet, das lohnende Kantorat an der Thomasschule angenommen. Ein- oder zweimal jährlich besuchte er Dresden, wo er die Königin und alle Welt mit seiner Kunst entzückte und Hasses Freundschaft erwarb; seitdem aber die Königin gestorben war, kam er nicht mehr an den Hof.

Brühl, der inzwischen Kammerherr und Direktor des Departements der inneren Angelegenheiten im geheimen Kabinett des Königs geworden war, unterließ nie, sich möglichst liebenswürdig gegen Sebastian zu erweisen. Aus Friedemann war unterdessen ein erwachsener Mensch, ein bedeutender Musiker geworden. Sebastian, der voraussah, daß er seinen zahlreichen Kindern keine Berge Goldes hinterlassen könne, wollte daher in diesem seinem Erstgeborenen, seinem Lieblinge, alles Treffliche vereinen, ihm eine Weltbildung und, für den Notfall, einen anderweitigen Rückhalt geben. Er hatte ihn auf die Hochschule nach Merseburg geschickt, wo Friedemann ein eifriger Schüler Christian Wolffs, des nicht nur von der Universität Halle, sondern auch aus ganz Preußen bei Strafe des Stranges verbannten Philosophen der Aufklärung, und, namentlich im Violinspiel, des vortrefflichen Graun geworden war. Schon die Lehrer an der Thomasschule hatten von diesem geistreichen Knaben das Höchste gehofft. So war er endlich l730 ins Vaterhaus zurückgekehrt, um seine letzten Orgelstudien zu vollenden und die Rechtswissenschaft, sowie die Mathematik und Philosophie, die er in Merseburg begonnen, fortzusetzen. Beiden Disziplinen ist er neben der Musik späteren Verhältnissen unwandelbar treu geblieben.

Zwischen dem Vater und Friedemann, der nun in den meisten Dingen auf seinen eigenen Füßen stand, hatte sich längst ein mehr freundschaftliches, gleichberechtigtes Verhältnis herausgebildet, das aber trotzdem den letzten Schimmer der alten Jugendzärtlichkeit in sich trug. In ihrem Kunststreben glichen sie zwei Konkurrenten, von denen der ältere nur eine Strecke voraus hat.

So betrachtete es wenigstens Sebastian, und da er die Genialität seines Friedemann als Musiker ebenso wie seine Reife in wissenschaftlichen Dingen bald erkannte, so hatte er ihm frühzeitig Rechte eingeräumt, die man sonst nur dem Freunde, der einem an Jahren nähersteht, zu bewilligen pflegt. Aber so sehr Sebastian Bach auch Friedemann immer mehr zu sich heranzog und zum Vertrauten machte, so war doch der ganze Charakter, das künstlerische und menschliche Sein Friedemanns so eigentümlicher Art, daß dem Sohn, trotz abweichender Ansicht, trotz väterlicher Vertraulichkeit, die Repulsivkraft stets bewahrt blieb, die ihn immer in der alten Kindlichkeit zum Vater hielt. Sebastian Bach war streng religiös; seine Kunst selbst war auf den Glauben gepflanzt und nur durch diesen werktätig. Er war ein Mann ohne dialektische Spitzfindigkeit und Grübelei, ohne philosophischen Sinn, und wenn seine künstlerischen Gedanken so innig und tief, so erhaben und kraftvoll sind, so sind sie es nur, weil sie dem Glauben in seiner schlichtesten Einfachheit entsprießen, jenem unergründlichen Bronnen des Schönsten und Besten, jenem großen, nie gemessenen Ozean, in den sich alle Sehnsüchte und Hoffnungen, so entgegengesetzt sie äußerlich zu sein scheinen, endlich doch ergießen. Friedemann hingegen hatte in Merseburg analysieren, logisch schließen und denken gelernt. Durch Wolffs Mund waren ihm die Philosophie Leibniz’, die Hypothesen Newtons und der junge Geist der französischen Skepsis zugekommen, und hier war der Punkt, wo zwischen Vater und Sohn ein scharfes Auseinandergehen nahe genug lag. Daß aber Friedemann nach wie vor den Vater mit jenen anbetenden Kinderaugen betrachtete und in ihm die Krone alles Guten und Schönen fand, lag daran, daß die wissenschaftlichen Eindrücke Merseburgs noch nicht tief in ihm gewurzelt hatten, und alle jene gewaltigen Fragen, die sie etwa in ihm wachgerufen haben mochten, gewissermaßen beiseite gelegt worden waren durch den ersten aller seiner Gedanken: »Du bist ja Musiker, Friedemann!«

Der andere Grund lag darin, daß die von ihm gesammelten Erkenntnisse sich vom Gottesbewußtsein nicht losgelöst hatten; man kam immer auf Gott als Urgrund zurück. Zudem lag in Leibniz’ Monadologie so viel Naturdeismus, daß Friedemann doch stets wieder in der Hauptanschauung mit dem Vater zusammentraf, und dieses Zusammentreffen wurde durch Jakob Böhmes Schriften, die beide gleich hoch verehrten, sogar erleichtert, weil in dieser mystisch-schwärmerischen Anschauung sich dem Vater und dem Sohne eine endlose Welt der kühnsten Imaginationen eröffnete, in der die Meinungen beider Raum genug hatten, ohne sich aneinander zu stoßen. Das Letzte, Größte aber, das Vater und Sohn zusammenhielt, war die Musik selbst und die Überzeugung Friedemanns, daß sein Vater unerreichbar hoch in seinem Wirken stehe. Oft kam es vor, daß da, wo der spitzfindige Verstand des Sohnes vor einer Frage ratlos stillstand, ein paar Worte des Vaters, das Beispiel einer einzigen Tonfigur auf dem Instrument genügten, um beide zu vereinigen.

Wenn Vater Bach auch nicht viel auf Brühl, überhaupt auf die Hilfe anderer gab und mit seinem Lose in Leipzig ganz zufrieden war, so hatte doch Friedemann die Abschiedsworte des Pagen bei jenem Wettstreit nicht vergessen; voll edlen Ehrgeizes wünschte er wohl, den Vater, der ihm alles galt, in einer möglichst beneideten Stellung bei Hofe zu wissen.

Brühl war nun dreiunddreißig Jahre alt und, da er sich Vitzthums kluge Zurückhaltung zur Regel machte, noch immer der Günstling Augusts des Starken, ohne daß man ihn sonderlich beneidet hätte. Er war ein Günstling ohne Einfluß. In dieser Beziehung war ihm, besonders bei dem Kurprinzen, sein ehemaliger Genosse, der junge Sulkowsky, zuvorgekommen, der auf kluge Weise sich öfter in die galanten Angelegenheiten des Königs zu mischen gewußt hatte. Das hätte August den Starken aber noch keineswegs bewogen, ihn an Hoymbs Stelle zu setzen, wenn nicht die Nationalitätenfrage hierbei eine große Rolle gespielt hätte. Dem König war alles daran gelegen, nicht nur den fast verlorenen Einfluß, sondern die absolute Gewalt über Polen zu erlangen, – und da Sulkowsky Pole und mit den gewichtigsten Teil des Reichsadels verschwägert oder alliiert war, so machte August ihn zu seinem Minister, um an ihm eine Brücke für seine Pläne zu haben. Sulkowsky wußte das alles sehr wohl, und weil der König durch diese Kombination in eine eigene Lage zu ihm gekommen war und manches übersehen mußte, was er sonst nicht geduldet hätte, unterließ jener nicht, die Zeit zu nützen und sich von der Gewalt soviel als möglich anzueignen. August aber hatte die Sulkowskys und die polnische Adelskoterie höchst nötig; denn schon munkelte man in Polen wiederum von Stanislaus Leszczynski, der in Ludwig XV. einen mächtigen Schwiegersohn besaß, auf dessen Hilfe er wohl bauen mochte. Die Feinde Augusts in Polen steckten bereits die Köpfe zusammen, und Sulkowsky säumte nicht, die Gefahr für August um so dringender darzustellen, als er sich ihm dadurch um so unentbehrlicher machte.

Was Brühl dabei empfinden mochte, daß Sulkowsky so rasch emporkam und er sich von seinem ehemaligen Genossen nun von oben herab mußte ansehen lassen, war allen übrigen bei Hofe um so mehr ein Rätsel, als man wußte, daß Brühl die schöne, junge Kollowrat leidenschaftlich liebte und Sulkowsky auch in dieser Beziehung sein glücklicher Nebenbuhler werden zu wollen schien. Schien! Denn wenn ihn die reizende Antonie auch begünstigte, während sie Brühl fast mied, konnte man doch nicht behaupten, daß bis jetzt ein ernsteres Verhältnis zwischen beiden bestand.

Je anmaßender Sulkowsky nun in seiner Machtfülle sich gegen Brühl und die meisten anderen benahm, je näher er selbst der Eigenliebe des Königs trat, je freundlicher Gräfin Kollowrat zu dem Polen, je kälter sie zu Brühl wurde, um so ruhiger, dienstwilliger und freundlicher wurde dieser zu der stolzen Dame seines Herzens und zu seinem Gegner, der ihn mit der ausgesuchtesten Impertinenz behandelte. – Sulkowsky war impertinent zu Brühl; nicht nur, weil er häßlich wie die Nacht, Brühl aber hübsch war, sondern auch aus jenem unbehaglichen Gefühl heraus, welches ihm zuflüsterte, daß der ärgste Feind gewöhnlich der freundlichste zu sein pflegt.

So war das Jahr 1732 zu Ende gegangen und hatte zu seinem Schluß die Befürchtungen über Leszczynskis Usurpation, wie man's in Dresden nannte, vermehrt; August entschloß sich daher, trotz des Winters und obwohl eine alte Wunde an seinem Fuß wieder aufgebrochen war, nochmals in Person nach Warschau zu gehen, um die Keime einer etwaigen Insurrektion zu ersticken, die Schwankenden zu befestigen und die Gefährlichen zu neutralisieren. Die Reise war also eine beschlossene Sache; es handelte sich nur darum, wer den König begleiten und wer zurückbleiben sollte, ein Moment wichtiger Entscheidung für Brühl wie für Sulkowsky. Der Kurprinz hatte sich nur wenig blicken lassen; er kam mit seiner jungen Gemahlin sehr selten von seinem Jagdschlosse Hubertusburg herein, weil die Mißstimmung zwischen Vater und Sohn noch fortdauerte: genährt bei dem einen durch die Erinnerungen an das Mätressentum und an das tränenvolle Ende Eberhardines, erzeugt bei dem andern durch den überspitzten Katholizismus Josephas. – Wem also wird der König die Gewalt interimistisch anvertrauen? Wen wird er als Unterhändler und Vertrauten mit sich nehmen? Das war die Tagesfrage, nach deren heutiger Lösung in einer Woche zur Reise geschritten werden sollte.

Der Hof war bei der Gräfin Morsinska, Augusts Tochter von der Cosel, die er namentlich in den letzten Jahren gern um sich sah, versammelt.

Neben der strahlenden Gräfin saß auf einer Ottomane, den Teetisch vor sich, das Juwel des Hofes, die schöne Kollowrat. Sulkowsky stand vor ihnen; er hatte die Hand auf den ledernen Sessel des Königs gelegt und unterhielt die versammelten Damen, um seine innere Unruhe zu verbergen. Der kleine Salon, in dem sich die Gesellschaft befand, hatte statt der Fenster zwei breite Glastüren, die in ein großes Glashaus, eine Art Wintergarten führten, der, künstlich erwärmt, allerlei Spezies seltener Gewächse beherbergte; eine aus Zeder und Myrte gebildete Laube bot sich als ein Asyl dar, das ebenso zur Intrige wie zum Liebesflüstern tauglich schien. Von Sofa und Teetisch durch einen breiten Raum getrennt, aber noch im Bereich des wohltätigen Feuers zweier Kamine, standen zwei Spieltische. Den einen hatten General Klenzel, der bescheidener gewordene Spiegel und der Pole Lubomirsky eingenommen, dessen Schwester wegen ihres Einflusses in Warschau mit dem Titel einer Fürstin von Teschen abgefunden worden war, nachdem sie August geliebt; sie warteten auf den König, der den vierten Platz einzunehmen pflegte. An dem anderen Spieltisch hatten sich die Generalin Klenzel und die Gräfin Bielinsky, die Schach spielten, neben zwei anderen Hofdamen niedergelassen. Gruppen von Kavalieren standen, nach Laune verteilt, umher und flüsterten. – Der König trat ein, gefolgt von Brühl. Alles erhob sich. August trat grüßend an den Tisch und nahm neben der Gräfin Morsinska Platz.

Sulkowsky begab sich an den Spieltisch der Generalin Klenzel und sah der Schachpartie zu, die sich ihrem Ende näherte. Brühl zog sich hinter Spiegel zurück, seine Aufmerksamkeit dem armen Ehegatten widmend, der beträchtlich verlor. Man spielte überhaupt höchst achtlos, und die Unterhaltung war lau, denn alles war gespannt auf das, was kommen werde. Man hatte unter wechselnden Gesprächen von Oper, neuen Toiletten, jüngsten Nachrichten aus Paris, Balletts, neuen Bauprojekten die träge Zeit zu beschleunigen gesucht, als das Rollen einer Equipage, der Trommelwirbel der salutierenden Hofwachen den Kurprinzen meldeten, der bald darauf eintrat. Sulkowsky, der etwas die Farbe wechselte, und Brühl sahen sich fragend an. Das Erstaunen der Anwesenden wuchs aber um so mehr, als der König aufstand, dem Kurprinzen entgegenging, ihm herzlich die Hand drückte und ihn neben sich auf den Sessel zog, indem er sagte: »Das ist mir lieb, daß du so bald kommst!« Ein Zug nachdenklicher Rührung überflog das sonst so strenge Gesicht Augusts. So hatte er sich noch nie gegen den Sohn benommen. – »Ich eilte um so sehnlicher her, Majestät, weil ich die Spanne Zeit noch ausnutzen wollte, die es mir erlaubt, meinen gnädigen Vater zu sehen.«

»Das sollst du auch, und da ich in der nächsten Woche reise, sollst du bei mir bleiben. Wer weiß, ob's nicht lange dauert, bis wir uns wiedersehen! Damit aber daheim alles in Ordnung bleibe, mein Sohn, wirst du die Reichsgeschäfte inzwischen versehen. Sulkowsky, Sie werden die bevollmächtigende Order ausfertigen. Seine Hoheit der Kurprinz regiert mit meiner ganzen Gewalt, solange ich fort bin!«

Brühl konnte ein leises Lächeln kaum zurückhalten; die schöne Kollowrat aber richtete einen erstaunten Blick auf Sulkowsky, der sich, seinen Schreck verbergend, tief vor dem König verbeugte.

»Euer Majestät fühlen sich aber nicht wohl genug zur Reise!« sagte schüchtern die Gräfin Morsinska. – »Wohl wahr, meine Liebe, aber die Geschäfte sind zu dringend. Wenn ich auch in Warschau nicht selbst alles besorgen kann, so überwache ich doch alles. Freilich muß ich mich auf die Zuverlässigkeit meiner Begleiter verlassen, und ich denke, ich kann das. – Lieber Brühl,« und er reichte dem Kammerherrn die Hand, die dieser küßte, »Sie haben mir so lange anhängliche Treue bewiesen, Sie reisen mit mir! Die Grafen Sulkowsky und Lubomirsky sollen auch mit, und ich will wüschen, daß sie in Warschau recht ersprießliche Dienste leisten können. Sulkowsky, stellen Sie sogleich die Kabinettsorder für seine Hoheit aus! Lieber Sohn, es wird demnächst nötig werden, die Kurprinzessin Hoheit nach Dresden zu bitten, damit du die Deinen um dich hast. Du wirst den linken Flügel des Schlosses einnehmen.«

Alles war erstaunt. Sulkowsky, starr und keines Wortes fähig, schwankte hinaus. Brühl, dessen Gesicht rot vor innerer Bewegung war, richtete einen langen Blick auf die Gräfin Kollowrat, die sich auf die Lippen biß und ihre Augen vor ihm niederschlug. Das Rätsel war gelöst: nicht Sulkowsky, sondern der Erbprinz selbst führte das Interimsregiment. Brühl begleitete speziell des Königs Person, und das war ihm in einer Form gesagt worden, aus der hervorging, daß er keinen bloßen Kammerherrndienst zu versehen habe. Auch Sulkowsky sollte mit; aber die Art des Befehls und die Tatsache, daß neben ihm Lubomirsky mit einer Art Gleichberechtigung genannt wurde, schienen höchst auffallend.

Der Tee war inzwischen eingenommen worden. Auf einen Wink des Königs erschien Hasse mit seiner Gattin, der Sängerin Faustina, und wenig später hatte sich die ganze Gesellschaft in italienische Opern vertieft.

Im Beratungszimmer des Königs saß unterdessen Sulkowsky und verfaßte in Zorn und Wut das Edikt für den Prinzen. – »Gut! Schon gut,« rief er aufspringend, »Brühl ist ihm lieber mit seiner Lakaienseele! Nicht allein, daß mir der Prinz, gegen den ich nichts machen kann, den Weg verrannt hat, – nein, Brühl wird als sein Alles mitgenommen, und ich bin neben dem Laffen Lubomirsky nur gut dazu, unter meiner Koterie in Warschau zu agitieren! O, ich seh's ein: solange ich sein Arm war, der von Dresden bis Polen reichen konnte, solange er in mir den polnischen Adel flattierte, gestand er mir alles zu. Jetzt, da er selbst nach Warschau kommt, denkt er, ich sei entbehrlich! Gut, gut! Aber laßt mich nur erst in Warschau sein! Er soll bald merken, wie dringend nötig er mich haben wird . . . Doch ich muß rasch das Dokument beenden! Während ich hier sitze, hat Brühl Zeit, mit der Gräfin Kollowrat zu sprechen.« Er setzte sich an den Tisch und schrieb weiter.

Brühl hatte inzwischen dem Gesang der Faustina zugehört, in den die Gesellschaft so vertieft schien, daß sie es nicht bemerkte, wie die schöne Kollowrat in das Gewächshaus trat.

Leise näherte sich der Kammerherr dem jungen Lubomirsky, der in einem Meer von Wonne schwamm. »Von Herzen meine Gratulation, lieber Graf! Sie sehen: wenn die Umstände und Lebenslagen oft noch so ungünstig sind, das wahre Verdienst wird doch einmal belohnt. Ich kann es mit Stolz sagen, daß ich nicht der letzte war, der es bemerkt hat.«

»Und Sie sind wohl gar die Ursache, daß . . .«

»Still! Nicht doch! Das Auge des Königs sieht scharf genug; nur muß man den gnädigen Blick bei den vielen Geschäften manchmal zu seinem rechten Ziel hinlenken!«

Heftig drückte der junge Pole Brühls Hand: »Ich bin von Stund' an Ihr ergebenster Freund, und . . .«

»Ich will, daß Sie Ihr eigener bester Freund sein sollen, Graf! Sie sind lange zurückgedrängt worden. Was ich Ihnen nutzen kann in zweckmäßiger Behandlung der Geschäfte, geschieht gewiß. Alliieren Sie sich mit mir, und Sie sollen ein Staatsmann comme il faut werden! – Jetzt tun Sie mir aber den Gefallen und decken Sie die Glastür mit Ihrem Körper; ich will, ohne bemerkt zu werden, ins Glashaus treten.«

Ein Helldunkel, gewoben aus den Reflexen des Schnees drunten und dem verlorenen Lichtschimmer, der durch die Glastür fiel, gab dem Gewächshaus eine bezaubernde Herrlichkeit. Leise drangen die weichen Klänge der Musik herein, um langsam verhauchend unter den Myrten einzuschlummern. Hier saß die schöne Antonie von Kollowrat, tief in Gedanken versunken; hier trat Brühl vor sie hin: »Darf ich's wagen, Komtesse, Sie um eine kurze Unterredung zu bitten?«

Sie schrak zusammen. – »Warum nicht, Herr Kammerherr? Nur finde ich den Ort und die Form nicht besonders gut gewählt.«

»Gewiß, Komtesse! Dafür wird unser Gespräch den Vorzug haben, kurz und entscheidend zu sein. Ein einfaches Ja oder Nein Ihrerseits genügt mir.«

»Bitte, reden Sie!«

»Komtesse, sehen Sie ein Unrecht darin, wenn ein Mann nach dem höchsten Preis des Lebens strebt? Zumal, wenn er dazu die Kraft in sich fühlt?«

»Wie sollte ich das? Das ist ja sein Beruf, ist das, was ihn zum Manne macht! Wer sich aber etwas vorsetzt, das zu erringen er nicht imstande ist, der ist ein Knabe und kein Mann!«

»Und Sie können nur einen Mann lieben, schöne Komtesse?« und Brühl ergriff ihre Hand.

»Nur einen Mann, Brühl, darauf verlassen Sie sich!«

»Haben Sie schon einen solchen Mann gefunden?«

»Nein!« Sie lächelte und setzte hinzu: »Ein Männlein nur, – und dann noch so ein Garnichts von einem Menschen, von dem ich nicht weiß, ob er zum andern Geschlecht gehört.«

»Ah! Nicht übel! O, ich verstehe, Gräfin! Nun, dieses Garnichts von einem Menschen, das zugleich arm ist und nur sein Wappen hat, dieses Nichts von einem Menschen wird das Männchen stürzen und einst erster Minister eines Reiches werden, – es nur darum werden, damit die schöne Kollowrat ihn als Mann erkenne . . . und ihm erlaube, ihre Hand zu erbitten.«

»Und ich werde sie ihm dann geben, Brühl, sicher! Im gewöhnlichen Leben entscheidet die Qualität des Herzens bei der Ehe; bei uns kann man die Liebe nur danach messen, wieviel ein Liebender für seine Erkorene zu erringen weiß.«

»Und wollen Sie den Kampf zwischen dem Männchen und dem Nichts abwarten?«

»Wie lange?«

»Wir sind beide noch jung. – Drei Jahre!«

»Ich warte, lieber Brühl, und . . . schweige.«

»Nehmen Sie meinen Dank für diese Gnade!« Und er drückte einen glühenden Kuß auf die Hand der Hinwegeilenden. – –

Es war halb elf Uhr abends, als Brühl seine Wohnung betrat. In seinem Arbeitszimmer brannte Licht; sein Sekretär war emsig bei der Arbeit und empfing ihn mit einer kurzen Verbeugung.

»Lassen Sie jetzt die Arbeit, Siepmann, ich habe mit Ihnen zu reden.«

Der Sekretär legte die Feder hin, hob seine kleine, krumme Gestalt vom Stuhle und richtete sein schelmisches Auge auf seinen Herrn.

»Siepmann, ich stelle Ihnen zwei Fragen! Was wollen Sie: wollen Sie ein Mann von Vermögen und Einfluß werden oder von hier nach dem Sonnenstein gehen? Zwei Unteroffiziere warten unten.«

»Ich werde mir erlauben, das erste zu wählen.«

»Unter jeder Bedingung?«

»Unter jeder!«

»Das freut mich, Siepmann! Ende dieser Woche gehe ich nach Warschau. Sie müssen vier Tage vor mir dort sein!«

»Zu Befehl!«

»Sind die geheimen Notizen für mich geschlossen, ist die Adresse in Petersburg erprobt?«

»Erprobt! Diese Nacht schließe ich die Notizen, übermorgen reise ich.«

»Brav! Setzen Sie sich, ich werde Ihnen Empfehlungen diktieren, die Graf Lubomirsky unterzeichnen wird. Sie sind nämlich von Lubomirsky gesandt, verstanden?!«

»Ich bin von Lubomirsky gesandt! – Und wenn ich in eine schiefe Lage komme?«

»Ich bin des Königs Kammerherr, Siepmann!«

»Gewiß!«

»Hier sind dreißig Dukaten auf Abschlag. Wenn ich Graf Brühl heißen werde, verdoppele ich Ihre Gage.«

»Und wenn Sie Minister sind, Herr Graf?«

»Werden Sie von Siepmann heißen und ein Staatsamt haben!«

»Diktieren Sie, Exzellenz!« Und leuchtenden Auges, wie ein Geier, stürzte sich der Kleine auf die Arbeit.

Nach zwei Tagen reiste Siepmann. Vier Tage später, an einem bitterkalten Morgen, standen die königlichen Reisewagen unter dem Portal.

Mehrere Equipagen mit polnischen Edelleuten und einigen Offizieren waren schon voraus, drei Regimenter hatten sich Bewegung gesetzt, die Packwagen mit Köchen, Verwaltern, Lakaien folgten. Der König nahm von dem Erbprinzen und dem Hofstaat in seinem Zimmer Abschied.

»Gott erhalte Euer Majestät!« sagte die Kurprinzessin, die ungewöhnlich bewegt war. Der König küßte ihr die Stirn und wollte gehen. Plötzlich wandte er sich noch einmal zurück, preßte seinen Sohn heftig an sich und flüsterte ihm ins Ohr: »August, denk immer in Liebe deines Vaters; vergiß auch nicht meine anderen Kinder!« Hastig schritt er hinaus.

»Nach Warschau denn!« sagte Sulkowsky und blickte Gräfin Kollowrat glühend an. – »Nach Warschau!« flüsterte Brühl kaum hörbar.

Einen Augenblick später, und die Wagen rollten von dannen.


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