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Ausgesprungene Klosterleute.

 

Der Teufel hat mich in die Kutten gesteckt,
Die mir doch so ängstlich übel schmeckt,
Und kann doch nit mit Fug entrinnen,
Wiewohl ich Tag und Nacht drauf sinnen.

Jung Mönch.

 

Der verhängnißvolle Tag für das reich begüterte Kloster Marienthal war hereingebrochen. Ruhig thronten die alten Mauern auf der Bergeshöhe, von den Strahlen der jungen Sonne beleuchtet, welche über dem Rücken des fernen Odenwaldes in das weite Rheinthal hereinblitzte. Jahrhunderte waren schon an diesem alterthümlichen, grauen Gemäuer vorübergerauscht, dessen kühner, fester Bau sogleich verrieth, daß es ursprünglich nicht als Stätte des Friedens errichtet worden.

Graf Siegfried weihte nämlich aus Dankbarkeit für wunderbare Rettung diesen alten Sitz seines Geschlechtes sammt Wald und Weide dem Dienste Gottes. Heute noch bewahrte das Kloster Merkmale der ehemaligen stolzen Grafenburg. Auf der Westseite stieg ein mächtiger Thurm empor, mit vorspringenden Eckthürmchen, aus denen Armbrustschützen die Mauern bestreichen konnten. Ebenso ragten hie und da Stücke der alten Ringmauer aus dem Boden und selbst am Flügel des Klosters, welcher die Zellen umschloß, gewahrte man Bautheile, die mit der Klausur nichts zu schaffen hatten, – einen halb verfallenen Söller, ein schlankes Thürmchen mit luftigen Zinnen und Schießscharten, ferner die verwetterten Bogen des ehemaligen Burgthores, über dem noch das bemooste vom Wetter verwaschene Wappen prangte.

Gegen Osten stürzte der Klosterberg jäh ab, nur wenig Raum zu friedlichen Gartenanlagen bietend; denn die großen Felsblöcke ließen keine Kultur des Bodens zu, sie wollten trauernde Denkmale der untergegangenen Grafenburg bleiben. Gegen Westen hin zog ein finsterer Föhrenwald, dessen geheimnißvolles Rauschen die Einsamkeit des Klosters verstärkte. Weiterhin thürmten sich die ernsten Bergrücken und waldigen Kuppen der Vogesen, an denen gerade gewitterschweres Gewölk hing, ein warnendes Mahnzeichen für Marienthal.

Das Kloster selbst ruhte friedlich unter dem Gewölbe des reinen, blauen Sommerhimmels, indeß der zierliche Helm des schlanken gothischen Kirchenthurmes weit hinaussah in das leuchtende Rheinthal. Feierliche Ruhe lag ringsum, eher gehoben, als gestört, durch das silberhelle Geläute des Glöckleins, das wahrscheinlich die Klosterbewohner zur Prim in den Chor rief.

Nach diesem Geläute mochten zwei Stunden verflossen sein, als zwei Frauengestalten langsam den steilen Pfad des Klosterberges herabstiegen. Die Vordere eilte leichten Schrittes voran, wiederholt auf die Nachkommende wartend, deren unsicheren Tritt ein tüchtiger Stock unterstützte. Endlich standen sie auf dem Saume der grünen Wiesenmatten, welche zwischen den Hügeln hinzogen, um zuletzt im dunklen Forste des nahen Vogesengebirges zu verschwinden.

»Sieh' nur Gertrud, wie schön hier die Aurikeln und Primeln blühen!« sagte Margareth von Fleckenstein, und schnell hatte sie einen Strauß vielfarbiger Blumen gepflückt.

»Ein abscheulicher Berg!« keuchte die Alte. »Und da drüben geht's gleich wieder hinauf!« fuhr sie fort, dem gegenüberliegenden Hügel grollend. »Was thut man nicht? Ja, eher sollen meine alten Beine zu Schanden werden, als sie Eurem Willen nicht nachkämen.«

»Bleibe nur da sitzen, liebe Gertrud, bis ich wiederkehre, sagte das Fräulein. Schnell habe ich den Hügel erstiegen, von dessen Spitze man gegen Germersheim hinsieht. Reitet der Vater in der Ferne daher, will ich zum Zeichen Dir mein Tüchlein schwenken.«

»Behüte Gott!« rief die Alte sich rasch erhebend. »Ihr sollt mir allein da nicht hinaufgehen, muß sehen, wo Ihr hinkommt!«

»Dies kannst Du auch von hier aus sehen!«

»Nein, nein! Ihr seid mir von Kindsbeinen auf nicht aus den Händen gekommen, und jetzt dürft Ihr ebensowenig mir aus den Augen kommen. Hätten meine alten Hände Euch nicht festgehalten, wie oft wäret Ihr in Abgründe gestürzt, da Ihr die kleinen Händchen nach dem Marienröslein am Felsenrande ausstrecktet! Und jetzt soll ich Euch allein gehen lassen, da Ihr selber in Gottes Garten eine so schöne Blume seid? O die alten Augen möchte ich ausweinen, wenn verruchte Hände in dieser schlimmen Zeit« – hier brach die Amme ab und murmelte das Uebrige unverständlich vor sich hin.

»Die wilden Rosen sind gar liebe Blumen!« setzte das Fräulein den Strauß betrachtend fort. »Wie lieblich sie duften und wie zart ihre Farben sind; schon hängen sie die Köpfchen, die armen Blumen, – ich hätte sie nicht pflücken sollen.«

Die Alte schüttelte mißfällig ihren grauen Kopf, und schickte der folgenden Rede ein unzufriedenes Murren voraus.

»Ihr bedauert aber auch Alles, seitdem wir im Kloster sind! Da heißt's: Die armen Blumen, – schade für die rothwangigen Aprikosen; – die armen Täubchen, wie lange hätten sie noch des Lebens sich freuen können! Bald wird's heißen: der arme Stein, wie verlassen er daliegt, – die arme Eidechse, – die arme Blindschleiche! Wer wird denn Alles so bedauern? Dazu bringt Ihr das in einem Tone vor, der mir an's Herz geht,« und die Zofe verzog bitter den runzelichen Mund.

»Du hast recht, vor meinen Augen erscheint Alles in Trauerflor!« entgegnete das Fräulein, ahnungschwer in das Weite blickend. »Sogar diese lichten Sonnenstrahlen trauern auf die Landschaft herab, und diese rothweißen Haideröschen schauen mich an, als weinten sie.«

»Wenn's nur keine bösen Ahnungen sind!« brummte Gertrud, bevor sie Stock und Beine in Bewegung setzte. »Der wüste Hutten wird doch nicht wieder zu Gnaden gekommen sein? – Schlimmeres könnte man nicht ahnen, als dies. – Wäre der hübsche Ritter von Windstein doch nicht weggeritten! Wie oft dachte sie an ihn, ja sie bringt ihn gar nicht aus dem Kopfe, – gewiß nicht! Müßte keine alte, erfahrene Dirne sein, entginge mir ihr Sehnen und Heimweh nach dem schönen Junker. – Geduld, – nicht lange mehr, und Heinrich reitet zur schmucken Braut herüber, die auf dem Söller steht und seiner harrt! O das wird eine Zeit werden,« – freute sich die Alte und stieg durch diesen Gedanken gestärkt, den für ihre Jahre beschwerlichen Pfad rüstig hinauf.

Margareth hatte unterdessen die Spitze des Hügels erklommen. Ihr Auge schweifte hinüber gegen Germersheim, dessen Burg wie ein rother Punkt in der Ferne leuchtete. Nach vergeblichem Spähen sank ihr Blick sinnend zum grauen Moose nieder, das auf dem Heidenhügel reichlich wucherte. Ein kühler Nordwind, vom Hardtgebirge herüberstreichend, spielte mit ihren Locken und schlug das luftige Gewand in weite schwellende Falten. Wie Heimweh und Sehnsucht schlich es durch ihr reizendes Antlitz und Gertrud mochte nicht ganz falsch urtheilen, wenn sie das stille Sinnen des Fräuleins zum Theile der Abwesenheit Windsteins zuschrieb. Im nahen Kastaniengebüsch begann hin und wieder die Waldlerche ihr kurzes, heimliches Lied, brach es aber sogleich ab, als fürchte sie, die Sinnende zu stören. Selbst der Hügel, eben noch im Sonnenschein keck aus der Landschaft hervortretend, lag im Schatten des ungeheuren Wolkenballens, welcher vereinsamt dahinschwebte im blauen Luftmeere. Und so stimmte gleichsam die tiefe Stille ringsumher, verbunden mit der fahlen, trauernden Oberfläche des Heidenhügels, in den trüben Ernst ein, welcher aus dem schönen Angesichte des Edelfräuleins sprach.

»Könnt Ihr nichts sehen?« fragte die herbeitrippelnde Alte. »Ei, das geht ja nach Trier, wo Ihr hinschaut, – dort drüben liegt Germersheim.«

Margareth erröthete bei dieser Bemerkung und entgegnete: »Auch dort gewahrt man nichts, was auf des Vaters Ankunft könnte schließen lassen.«

»Auch dort?« wiederholte Gertrud, nicht ohne schelmischen Anflug im Gesichte. »Erwartet Ihr denn noch sonst Jemand anders woher?«

»Nun ja, – der Vater könnte zuerst gegen Landau geritten sein,« antwortete sie, zeigte aber hiebei einige Verlegenheit, wie ein reiner Spiegel den leisesten Hauch dem Blicke verräth, welcher seine Klarheit trübt.

»Da müßte er zwei Stunden umreiten und dazu das wüste Treiben nochmals anschauen, wie's die Schwärmer und Lutherischen in Landau treiben,« eiferte Gertrud. »Lieber ein Jahr in's Fegefeuer, als eine Woche nach Landau, wo diese vermaledeiten Spötter alles Heilige im Gassenkoth herumschleifen. Denkt Euch nur,« – und sie gerieth in arge Hitze, »die Schandbuben zogen einem Esel ein Meßgewand an und banden ihm einen Sack mit Hostienbrod an's Maul. Die abscheulichen Menschen! Wäre der starke Herr von Windstein ihnen begegnet, ganz gewiß hätte er sie sammt und sonders erschlagen und den Esel obendrein!«

»Weißt Du dies so genau, Gertrud?«

»Ob ich's weiß? Hat er nicht allen Schwärmern den Hals gebrochen, welche die Augustinerkirche plünderten und den frommen Mönch von Stürzelbronn mißhandelten?«

»Er wird doch Einen oder den Andern noch am Leben gelassen haben, der grimme Herr,« meinte Margareth lächelnd.

»Und erst die Procession!« – und Gertrud schlug die Hände zusammen. »Wo hab' ich meiner Lebtag' solch gotteslästerliches Narrenzeug gesehen! Denkt Euch, – einen Eber hatten sie, so groß wie ein junges Rind; darauf saß der Narrenpapst mit der Krone auf dem Kopf, und was er in der Hand hatte, will ich gar nicht sagen,« – dabei spuckte sie aus. »Hintendrein kamen rothgemalte Bischöfe und Cardinäle mit Eselsohren, die so lang waren, daß man aus zween für ein ganzes Dutzend Esel hatte Ohren schneiden können. In der Hand trugen sie Bücher; – die Leute sagten, es wäre die leibhaftige heilige Schrift. Dann kamen so dickbäuchige Mönche, daß mich ein Schauder überlief, – gewiß hatte jeder ein ganzes Bett in seinem Wanst stecken, und hintennach schleppten sie Schwänze, so lang, wie ein Wiesenbaum. Glaubt mir, der Windstein hätte ihnen ohne Weiters Schwänze und Bäuche abgehauen und die rothen Cardinäle sammt dem Narrenpapste todtgeschlagen. Ich bin doch nur ein altes Weib, und mir juckte es schon in allen Gliedern; – wie müßte erst der starke Junker getobt haben?«

»Ein Glück für die armen Mönche und Cardinäle, daß er ihnen nicht begegnete,« sagte das Fräulein.

»Was – ein Glück?« und Gertrud warf ihrem Liebling einen unmuthsvollen Blick zu. »Ihr werdet doch vom Lutherthum nicht angesteckt sein? Ein Glück? – Meinen kleinen Finger gäb ich d'rum, hätte er ihnen für diese Spottprocession ein ewiges Denkzeichen angehängt. Wo hätte man zu meiner Zeit solch gräuliches Possenspiel mit Heiligthümern treiben dürfen? Aber heute ist kein Christenthum mehr in der Welt, – Alles voll Luder und Nichtsnutzigkeit! Der Luther ist jedenfalls ein Stück vom leibhaftigen Teufel; denn er allein hat allen Leuten die Köpfe verrückt.«

In dieser Weise ließ Gertrud ihrem Unwillen freien Lauf, indeß sie ihrer Gebieterin auf dem Pfade folgte, der in das Kloster zurückführte. Das Fräulein nahm an dieser geifernden Fluth, welche unerschöpflich über Gertruds Lippen strömte, wenig Antheil, offenbar zu lebhaft mit eigenen Gedanken beschäftigt. Ihre schlanke, anmuthige Gestalt schwebte langsam unter dem grünen Dache der Kastanienbäume hin, wiederholt durch die schreienden Angriffe der Zofe in ihrem Sinnen gestört. Plötzlich erscholl ganz in der Nähe eine rauhe Männerstimme und hemmte die Schritte der Frauen.

»Da halt, Jörg!« befahl die Stimme. »Das ischt doch ein verteufelter Weg. Bald auf – bald ab, durch Strauch und Hecken! Blitz und Krach, – das Hemd klebt mir am Leibe wie 'ne Aalhaut,« rief der Schwabe Pfister, indem er seine wohlbeleibte Gestalt auf einen Stein niederließ, und den Schweiß vom Gesichte wischte.

»Kannst mir glauben, Jörg, – gält's meinen eigenen Vortheil und nit den gemeinen Nutz, – würde mich bedanken, alles Blut aus dem Leibe zu schwitzen.«

»Seit Adams Zeiten,« meinte Jörg, – »hatte Ulm noch keinen besseren Schultheiß. Ihr fallt ganz aus dem Fleische durch lauter Sorgen für das Wohl der Stadt.«

»Nun, – Jörg, ich thue so meine Schuldigkeit!« versetzte Pfister, indem er über sein fettes Bäuchlein fuhr. »Ein Mann von Amt ist jedenfalls ein geplagtes Individuum, – merke Dir den Ausdruck – »Individuum,« es ist ein höchst weiser Ausdruck, den ich vom kreuzgelahrten Hutten hörte. Ich bin also ein Individuum, und zwar ein sehr geplagtes, besonders jetzt, da's an's Zugreifen geht, wo ein Individuum von Amt nicht Augen genug auf seinen Vortheil, – d. h. auf den Vortheil der Subordinirten haben kann; merke Dir den Ausdruck wieder – »Subordinirte,« was so viel sagen will, als Untergebene – und der Hutten meinte, der Ausdruck passe gut für einen Schultheiß.«

»Für Euch paßt Alles, – Herr!« sprach Jörg mit der Miene des Lobredners.

»Alles Löbliche willst Du sagen, – Jörg, ganz recht! – Aber trotzdem muß ich ein bischen ausruhen und kämen wir auch im Zugreifen etwas zu spät; denn ich muß dem Wohle der Stadt mich länger zu erhalten suchen, darf meine Kräfte nit aufreiben. – Das verfluchte Kloster kann doch nit mehr weit sein? Ein rechtes Buhlhaus soll dieses Marienthal sein, – eine wahre Schindgrube, – eine Werkstätte heulender Esel! Merke Dir alle diese Ausdrücke Jörg; denn sie kommen vom Aquila und der hat sie aus Luthers eigenem Mund, und die Lutherischen müssen schimpfen können, sonst richten sie an den Papisten nichts aus.«

»Den Aquila und den Amsdorf hörte ich zwei Stunden lang schimpfen, Herr, und hab mir Vieles davon hinter die Ohren geschrieben.«

»So ist's recht, Jörg! Aber ich möchte doch nicht an der Schindgrube ankommen, wenn sie die beschten Brocken schon weggenommen haben.«

Hier that sich Gertruds polternder Mund auf und war drohend gegen Pfister hingerichtet. Nur die strenge Weisung des Fräuleins vermochte, die hereinbrechende Fluth zu dämmen.

»Wir kommen noch recht, Herr!« entgegnete Jörg. »Unser Weg schneidet Vieles ab, wie die Leute sagen, und zudem dachten sie noch nicht an's Ausreiten, da wir weggingen. D'rum ist's besser gemach thun, als Lung' und Leber aus dem Leibe laufen und zu früh kommen;« – dabei zog er einen ledernen Weinschlauch aus dem Sack hervor.

»Ah – gib her!« rief der Schwabe und griff gierig nach dem Schlauche. »Arme Teufel wären wir doch ohne Wein. Der Luther lehrt ohne Zweifel das beschte Christenthum, wenn er den Wein so hoch preist.«

»Das Weintrinken und Fleischessen auf die Quatembertage wäre ganz der Schrift gemäß, – hörte ich predigen,« sagte Jörg. »Das Fasten aber wäre vom Teufel; denn der Mensch sei auf der Welt, um sich's wohl sein zu lassen, nicht aber um sich zu quälen. – Was ich doch für ein Narr gewesen bin, – trank die ganze Fastenzeit hindurch keinen Tropfen Wein, aß mich nur halb satt und wenn ich auf Ostern die Sparbüchse zerschlug, sprangen einige dreißig Groschenstücke, Fastenheller und Weinpfennige heraus.«

»Ja, siehst Du Jörg, das Papstthum verleitete den Menschen zum Sparen, das Sparen aber führt zum Geiz, also macht das Papstthum Geizhälse, – was ein ganz richtiger Schluß ischt!« sprach der Schultheiß mit kluger Miene, nachdem er den Schlauch bis zur Neige leer getrunken. »Da, Jörg – trink! Laß keinen Tropfen übrig; denn im Klosterkeller d'rüben liegt jedenfalls was Besseres.«

Der Knecht befolgte genau Pfisters wohlgemeinten Rath und saugte den letzten Tropfen aus dem Gefäße.

»Die werden sich's nit vermuthen,« rief Pfister, »daß der Ulmer Schultheiß so viel Witz im Kopf hat und bei der Hand ischt, wenn die Säckel springen und die güld'nen Sachen Füße bekommen! Und weischt Du was Jörg? Läuft's gut ab, dann ziehen wir den Bündischen nach von Schtift zu Schtift und holen unsern Antheil.«

»Da thut Ihr klug daran!«

»Ob ich klug daran thue? Sieh' Jörg, man sagt, die schwarzen Krähen zu Marienthal« –

»Mit Verlaub Herr,« unterbrach ihn der Knecht; »diese Art Nonnen sind nicht schwarz, sondern weiß.«

»So, – gleichviel, schwarz oder weiß – dann sind's weiße Krähen; – merke Dir den Ausdruck »Krähen« – er paßt für alle Nonnen und ich hab' ihn aus Aquila's Mund und der hat ihn wieder vom Luther.«

»Da gefällt mir Amsdorfs Ausdruck besser,« sprach Jörg. »Der nannte die Nonnen »Speckmäuse,« weil sie das Licht scheuen und sich in's Dunkle verkriechen.«

»Speckmäuse? Ein guter Ausdruck,« meinte Pfister. »Also man sagt, sie hätten seit dreihundert Jahren Gold und Silber aufgespeichert, von den Kleinodien in der Kirche gar nit zu reden. Blitz und Hagel, das wird ein Zugreifen absetzen! Aber jetzt auf,« – rief der wackere Schultheiß, durch den Gedanken an die lockenden Schätze aufgetrieben. »Und hörst Du, wenn's so nebenbei etwas wegzustibitzen gibt, – nur in den Sack hinein; denn das Sprichwort sagt ja: Jeder in seinen Sack!«

»Ganz recht, Herr!«

»So ein Kelch oder ein Kreuzlein, oder ein silberner Rosenkranz, – oder ein gülden Meßtellerlein – hörst Du!«

»Auf's Wort, Herr!« entgegnete Jörg, dem Schwaben folgend, der nun seine feiste Person durch das Gebüsch zu schieben begann, welches über den Pfad herüberging.

Sogleich stieß jedoch Herr Pfister auf ein Hindernis, das seinen rüstig begonnenen Marsch verzögerte. Wenn schon die reizende Fleckensteinerin im Kreise ihres Geschlechtes das Auge unwillkührlich fesselte, dann mußte sie wohl auch den würdigen Schultheiß an diesem einsamen Orte, wo er solche Erscheinung nicht vermuthete, in Staunen setzen. Anfänglich blieb er beim Anblicke des erröthenden Fräuleins stumm stehen, die ehrfurchtsvolle Verbeugung wiederholend, welche die Macht der Schönheit ihm abzwang. Wäre die runzeliche, verfallende Gertrud, als schlagendes Zeugniß der Hinfälligkeit alles Irdischen, ihrer Gebieterin nicht zur Seite gestanden, der Schwabe hätte vielleicht in ihr ein Wesen vermuthet, wie es ehedem Bileams Esel den Weg vertrat, als dieser ungerechte Wege ging, zumal des Schwaben Gewissen hie und da zu murren begann über die fragliche Rechtlichkeit seines Vorhabens.

»Ihr habt Euch wohl verirrt, guter Mann!« sagte Margareth, dem verlegenen Schwaben zu Hilfe kommend.

»Wir möchten gern nach Marienthal,« sprach Pfister, »und Ihr werdet Eurem Diener die Frage erlauben, ob wir recht daran sind.«

»Im Thale unten seht Ihr die ehrwürdigen Mauern des Klosters,« entgegnete sie. – »Gewiß habt Ihr dahin einen Gang versprochen, nicht wahr? Denn seit grauen Jahren ist Marienthal ein vielbesuchter Wallfahrtsort.«

Dem Schwaben kam diese zugemuthete Absicht neben dem eigentlichen Zweck seiner Reise höchst sonderbar vor. Er wußte nicht, sollte er darüber lachen, oder diesem Engel gegenüber sich schämen. Aber die Fragestellerin verlangte Antwort und er konnte dieses Auge, welches erwartungsvoll an seinen Lippen hing, nicht harren lassen.

»Allerdings wird's heute nach Marienthal eine große Wallfahrt werden,« antwortete er; »denn weniger als fünfhundert Waffenleute sind dahin nicht aufgebrochen. Glaubt mir, die werden so laut beten, daß man's über eine Stunde Weges hören kann.«

»Eure Rede klingt etwas unverständlich,« sprach das Fräulein voll Unruhe; »wollt Ihr Euch nicht deutlicher erklären?«

»Von Herzen gern, hochedelgebornes Fräulein; denn ein solches seid Ihr ohne Zweifel!« versetzte der Schultheiß, dessen hohe Achtung zugleich dadurch hervortrat, daß er in der Sprache sich wacker zusammennahm. »Jedenfalls donnerte auch an Euer Schloß das Ungewitter, welches zu Wittenberg in Sachsen aufstieg und über alle Klöster und Stifte des ganzen Reiches herzieht. Dieses Donnerwetter nun entladet sich heute über Marienthal; denn es soll diesen Morgen vom verbündeten Adel so zu sagen – aufgehoben, oder um nach Luthers Evangelium zu reden, – vom Gestank des Papstthums gesäubert werden. In mir aber, edles Fräulein,« fuhr er mit vielem Selbstgefühl fort, »seht Ihr den Abgeordneten und Schultheiß der freien Reichsstadt Ulm. Ich bin gerade auf dem Wege nach dem Kloster, – oder besser, da ich mir einmal die lutherische Sprachweise angewöhnen muß, nach jener Werkstätte heulender Esel. Dort möchte ich nach Recht und Vertrag Theil nehmen an den Schätzen, welche darin aufgehäuft liegen. Aber mit Verlaub,« – der Gedanke an das Zuspätkommen drängte ihn; – »ich muß eilen, – Euer unterthäniger Knecht!«

Damit zog er sich rücklings unter Verbeugungen den Hügel hinab und entging noch rechtzeitig Gertruds Zorn, welche furchtbar gegen alle Klösterzerstörer und Widerchristen losbrach.

»Wäre doch nur der heldenmäßige Herr von Windstein mit seinen Knechten da,« schloß die Zofe ihre Strafrede; »keiner von diesen höllischen Diebsgesellen käme mit dem Leben davon.«

»Ach – meine arme Base Mechtildis!« klagte das erbleichende Fräulein. »Sie wird zuerst den rohen Kriegsknechten zum Opfer fallen. Komm' Gertrud – fort!« rief sie mit steigender Angst. »Laß uns eilen, vielleicht können wir sie retten.«

»Wen retten? – was retten?« rief die Amme, ihre Gebieterin zurückhaltend. »Wollt Ihr gegen fünfhundert Lanzen zu Feld ziehen? Wollt Ihr Euch in ihre Hände liefern? Du lieber Gott, – diesen Buschteufeln in die Hände fallen! Darüber müßte ich ja das letzte meiner grauen Haare ausraufen.«

»Vielleicht ist der unselige Schlag noch nicht gefallen, – wir können die Frauen warnen,« entgegnete Margareth, und ehe die Zofe ihre Einwendungen vorzubringen vermochte, begann sie schon den Hügel hinab zu eilen. Die Alte humpelte hintendrein, bald die Gebrechlichkeit ihrer Füße verwünschend, bald schimpfend über Schwärmer und Sekten. Dazwischen beschwor sie unter heiligen Betheuerungen ihre Herrin, welche sie trotz aller Anstrengung ihres Fußwerks nicht erreichen konnte, Halt zu machen.

Durch den lichten Saum des Kastaniengebüsches schimmerte bereits das helle Grün der Wiese, als Margareth plötzlich stehen blieb und erstaunt eine Gruppe beobachtete, die scherzend und lärmend den Hügel heraufkam. Diese Gesellschaft bestand aus den Reformatoren Bucer, Schwebel und Oekolampadius, nebst Mönchen verschiedener Orden, und einigen Nonnen des Klosters Marienthal. Das Fräulein erkannte sogleich den Cisterzienser Albert aus der Abtei Stürzelbronn, welcher gerade seine Dame umarmte und ihr einen kräftigen Kuß auf die blühenden Wangen drückte. Hierüber wurde die Fleckensteinerin so betroffen, daß sie den Pfad verließ und im Gebüsche sich verbarg, aus Scham, jenen Mönchen und Nonnen zu begegnen, deren Anwesenheit ohnedies die traurige Kunde von des Klosters Fall verkündete.

Zu Marienthal war dieser bereits ausgeführte Schlag vorher schon bekannt gewesen. Seit längerer Zeit bestand zwischen Mitgliedern jener geistlichen Genossenschaft und dem Rathe der Reichsstadt Speyer, auf dessen Betrieb der Anfall geschah, geheimer Verkehr. Auch ohne Beihülfe des Ritterbundes wäre Marienthal seinem Schicksale nicht entgangen; denn die mächtige Stadt besaß Mittel genug, um Söldner zu werben und unter der Fahne evangelischer Freiheit ihre Habgier zu befriedigen.

Von einer nicht geringen Anzahl Nonnen wurde dieses Unternehmen sehnlichst gewünscht; denn manche aus ihnen waren zu nichts weniger berufen, als zum einförmigen Klosterleben. Der Wille ihrer Eltern und die Gewißheit sorgenfreien Lebens brachte sie dahin, wie in die Mönchskutte so manchen Junker, der vom geistlichen Sinn und Wesen nichts besaß, als das Kleid. Was den Nonnen zu Marienthal das Klosterleben besonders verbitterte, war die strenge Zucht der Aebtissin Mechtildis. Leider hatte das edle Bemühen dieser würdigen Frau, bei der zügellosen Bewegung der Zeit, nur geringen Erfolg. Doch alle Bande klösterlicher Zucht zerrissen keineswegs; immerhin mußte der mißvergnügte Theil der Nonnen einer bestimmten Ordnung sich fügen, was zur Folge hatte, daß dieser Theil sehnlichst der Auflösung der Gemeinschaft entgegenharrte.

Hiebei hatten sie, abgesehen von dem Verlangen nach ungebundener Freiheit, nicht minder ihren zeitlichen Vortheil im Auge. Bei Auflösung geistlicher Körperschaften wurde nämlich allen Gliedern derselben auf Lebenszeit eine bedeutende Summe ausgeworfen, groß genug, um ohne Arbeit und Sorge den Tod erwarten zu können. Der außerordentliche Reichthum Marienthals ließ dazu eine besonders ergiebige Lebensversicherung erwarten, und die muntere Laune der ausgesprungenen Nonnen ging zum Theile aus diesem Bewußtsein hervor.

Obwohl der schmale Pfad nur für eine Person hinlänglich Raum ließ, gingen die lustigen Klosterleute dennoch paarweis, wobei die Mönche ihre Schönen mit solcher Vertraulichkeit behandelten, daß jedenfalls zwischen ihnen seit längerer Zeit mußten zarte Verhältnisse bestanden haben. Alle überbot durch Ausgelassenheit und drollige Einfälle der Cisterzienser Albert. Selbst der ernste Bucer, welcher mit seiner Auserwählten von der Gesellschaft sich ziemlich ausschloß, konnte ihm manchmal ein Lächeln nicht versagen. Da es gegenwärtig bergauf ging und Albert sehr beleibt war, hinderte ihn die außerordentliche Thätigkeit der Lunge an der Fortsetzung seiner Schwänke. Nothgedrungen schloß er sich vom allgemeinen Gespräche aus und versüßte durch ein Liebesgespräch mit seiner Schönen den saueren Gang.

Diese war ein hohes, starkes Frauenzimmer. Wäre ihr Blick nicht zu frei und ihr Gesicht nicht zu feist gewesen, hätte man sie schön heißen können. Gegenwärtig schlug sie das große braune Auge nieder und horchte auf Alberts Rede, welcher sein Liebesgespräch mit einer Verwünschung gegen die Klöster schloß.

»Sieh', lieb Herz,« – fuhr er fort, »wir beide taugten ebensowenig für's Kloster, als der Teufel für den Sakristan. Gottlob, die Zeit ist vorbei, wo Aeltern ihre Kinder im Mutterleibe schon dazu bestimmten, in jenen Höhlen lebendig begraben zu werden. Mein Leben war fortwährendes Sterben, da ich keine Hoffnung sah, Dich jemals zu besitzen. O der Luther ist ein zweiter Heiland für alle Mönche und inbrünstigen Nonnen, – anbeten möchte ich seinen grimmen Zorn gegen die Klöster! Alle Päpste und Heilige sind nur Stümper gegen Luther; denn er reißt in einem Jahre mehr zusammen, als diese in tausend Jahren aufgebaut haben.«

»Schlägst Du wirklich den Augustiner so hoch an?« fragte die Nonne mit einigem Zweifel in Blick und Miene.

»Höher als alle Heiligen und Propheten, – dies will ich Dir haarscharf argumentiren!« versetzte Albert. »Unter allen Propheten war Johannes der Täufer der größte, – wie's ausdrücklich in der Bibel steht. Dieser Johannes aber trank lauter Wasser, aß Heuschrecken und hungerte sich halb todt, – was jedenfalls nach meinem Verstand und Luthers reinem Evangelium die größte Narrheit ist. Der Augustiner hingegen hat alles Wasser in den Bann gethan, – Wein ist sein Lebenselement, auch torgauisch Bier soll er ungemein lieben; Mathes. Leben L.'s S. 371. – daraus folgt, daß der Täufer ebenso tief unter Luther steht, als Wasser unter Wein.«

»Dein Beweis steht doch nicht ganz auf festen Füßen, Albert,« meinte die Nonne; »selbst unser Pförtner könnte ihn mit seiner Schriftweisheit zu Fall bringen.«

»Der alte Erph? Freilich – der ist ein Papist, – der steht auf falschem Grund und Boden. Wer sich jedoch auf den Boden des freien Evangeliums begibt, für den ist mein Beweis unumstößlich. Und was den Luther noch vollständig zum Heilbringer macht, ist der Umstand, daß er die Weiberliebe auf den Thron erhebt und jeden zum Narren stempelt, welcher die Weiber nicht mag! Ja – lieb Lyse, vorher war ich nur ein armer Wicht. Du aber machst mich zum König der Freude und zu einem so hartgläubigen Lutherischen, der noch lutherischer ist, als Luther selber.«

Die entlaufene Nonne ging in Alberts Scherz nicht ein, sondern sprach nach ernstem Sinnen:

»Könnte ich nur so vollkommen von Luthers Evangelium überzeugt sein, wie Du!«

»Dies kannst Du, sobald Du willst, Lyse!« erwiederte Albert. »Befolge nur des Augustiners Rath und halte jeden Skrupel für Eingebung des Teufels.« Luth. Tischr. Leipz. A. S. 220-221.

»Trotz aller Anstrengung gelingt mir dies nicht immer,« bekannte die Nonne. »Könnte ich doch nur den Tag meiner Einkleidung vergessen, – das Gelübde ist ein schwarzer Flecken in meinem jungen Glück.«

»Pah!« rief der Mönch mit scheinbarer Gleichgültigkeit. »Laß mit den Klostermauern alle finsteren Bedenklichkeiten hinter Dir! Frei sind wir von knechtischem Zwang, – Gelübde sind Schrift und Gottes Willen zuwider, – eine Erfindung des Papstes, welcher ein Stück vom Teufel ist, und dem Teufel ist man zum Gehorsam nicht verbunden. Also Lyse – erheitre Dein Gesicht und gib mir einen Kuß!«

Während Albert in dieser Weise sein Gewissen und das seiner Schönen beruhigte, folgte Bucer einige Schritte hinter ihm. Der Mann lauschte den süßen Worten seiner Auserwählten und fortwährend erheiterte ein minnigliches Lächeln seine scharfen Züge. Döll. Ref. B. II. S. 21. Die vorausgehenden Mönche scherzten und sangen, daß es widerhallte. Sie glichen einer Schaar junger Leute, die bisher an einem Orte eingesperrt waren, wo ihnen solcher Muthwille zwar nicht anging, aber auch die Ursachen nicht fehlten, diese Ausgelassenheiten zu nähren, indeß äußerlicher Zwang alle Ausschweifungen niederhielt. Bruder Gerhard, aus dem Benediktinerorden entsprungen, ein junges Blut aus dem Geschlechte derer von Schöneck, wurde eben aufgefordert, einige Strophen eines beliebten Liedes zu singen, was er denn auch mit aller Bereitwilligkeit that. Die Gruppe schaarte sich um ihn her, während er mit wohlklingender Stimme sang:

Pertransivit Clericus
Durch einen grünen Wald,
Vidit ibi stantem
Ein Mägdlein wohlgestalt.

Cogitivat Monachus,
Wie wär's Du gingst zu ihr?
Osculare virginem
Zu dreimal oder vier!

Der Inhalt dieser Strophen steigerte die Heiterkeit der fröhlichen Gesellschaft und man schien geneigt, die beiden letzten Verse tatsächlich zu verwirklichen. Aber Albert kam dazwischen und intonirte mit seinem schallenden Baß, worauf der geschlossene Kreis sich ihm freudig öffnete.

»Das ist eigentlich unerlaubt,« bemerkte Schwebel mit erheucheltem Ernst, »daß Ihr solus geht cum sola. Mindestens solltet Ihr deßhalb ebenso viele Bußtage auf Euch nehmen, als Ihr Augenblicke in dieser gefährlichen Gesellschaft zugebracht.«

»Ganz recht!« schmunzelte der Cisterzienser. »Nach der neuen Ordnung heißt »Bußtag« – so viel, als: in duplici consumere! Verdollmetscht: doppelte Mahlzeit halten. Da ich aber nach neuester Gewohnheit täglich zwei Maß verkoste, müßten deren vier consumirt werden, – wogegen ich gerade nichts einzuwenden habe.«

»Ein recht verdorbenes Adamsstück!« lachte Schwebel. »Selbst der Exercitienmeister Fidelis konnte nichts aus Euch machen, – Gott hab' ihn selig den guten Narren!«

»Wen hab' Gott selig? Mich?« fragte Albert.

»Oho – ho!« lachte Arnold, welcher die Franziskanerkutte trug. »Ihr werdet doch jetzt nicht sterben wollen, da Euch der Himmel am Arme hängt? Fidelis ist gemeint, der Erbsenzähler, der Hungerleider, der Ursache ist, daß Ihr einen halben Zentner weniger wiegt.«

»Ist Fidelis todt?« fragte Albert erschrocken.

»Seht, wie er bleich wird!« spottete Gerhard. »Gebt acht, Knebels Fäuste waren versilbert, da sie den Alten griffen, – Bruder Albert hat ihn bestochen, dem Quälgeist den Hals zu brechen!«

»Gott sei bei mir, wenn ich von Allem etwas verstehe!« sprach der Cisterzienser. »Sagt ohne Umschweif – ist Fidelis gestorben?«

»Ob er gestorben ist, weiß ich nicht,« antwortete Arnold. »Zu den Lebenden wird er aber nicht mehr gehören, da sich's ohne Nase, – Zunge, – Zähne und Ohren nicht leben läßt.«

Tiefe Niedergeschlagenheit bemächtigte sich des Cisterziensers, nachdem er umständlich die Mißhandlung und in Folge hievon, den wahrscheinlichen Tod seines Oberen vernommen hatte.

»Er hat mich wohl oftmals gepeinigt,« sprach er traurig; »aber dessen ungeachtet ist Fidelis ein ehrenwerther Mann, und ich gelobe, ein volles Jahr hindurch für dessen Seelenruhe täglich ein » Miserere« zu beten.«

»Hört, hört!« rief der Franziskaner. »Bruder Albert ist noch ein ebenso guter Papist, wie der römische Satan selber! Beten wollt Ihr? Warum beten? Hat Doktor Martin Luther nicht das Fegfeuer abgeschafft?« Luther blieb sich auch in der Lehre vom Fegfeuer nicht gleich. Nach Wit. D. A. Th. 7. F. 5. »soll man für die leidenden Seelen im Fegfeuer beten.« Nach Th. 2 Art. Schöpff. Th. 2. S. 19 nennt Luther das Fegfeuer »ein Teufelsgespenst«.

»Der Luther kann den Teufel abschaffen,« brummte Albert. »Für eine arme Seele zu beten, kann kein Verbrechen sein.«

»Ein Verbrechen freilich nicht, aber eine Thorheit,« sprach Oekolampadius.

»Nun ja,« – meinte Schwebel, »man kann hierin Jedem seine eigene Ueberzeugung lassen; denn die Schrift sagt ausdrücklich: ›Es ist ein heilsamer Gedanke, für die Verstorbenen zu beten.‹«

»Damit ist aber nicht gesagt, daß es ein Fegfeuer gibt,« rief Oekolampadius. Ich für meinen Theil halte es hierin mit Luther.«

»Und ich mit Melanchthon!« rief Schwebel dagegen.

»Da haltet Ihr's mit einem rechten Fuchsschwänzer, wie ihn Luther selber taufte,« – spöttelte Oekolampadius und da Schwebel ebenfalls eine bittere Bemerkung dagegen machte, waren die Reformatoren nahe daran, sich in die Haare zu gerathen.

»Langsam ihr Herren!« rief Arnold. »Ich bin heute allein der unfehlbare Reformator und sage: es gibt weder Fegfeuer noch Hölle! Lauter Erfindungen des Papstthums sind dies, um die Leute fürchten zu machen, was im goldenen Zeitalter des freien Evangeliums verpönt ist.«

»Ich nehme Dein Evangelium an und bin Dein erster Jünger,« scherzte Gerhard. »Teufel und Hölle müssen abgeschafft werden, so daß Jeder ruhig seine Wege gehen kann. Wundert mich nur, daß Luther nicht längst schon darauf gekommen ist; denn er läßt die Hölle gelten und hat mit dem Teufel schon öfter Conferenz gehalten.«

»Jetzt still davon! Was schert mich Teufel, Hölle und Fegfeuer?« rief Arnold, dessen gute Laune durch Berührung solcher Dinge versauert wurde. »Der Luther mag lehren, was er will, und ich glaube, was ich will, – ich halte mich genau an das freie Evangelium. Nur drei Stücke nehme ich vom Augustiner an: daß die Gelübde vom Teufel erfunden sind, – daß gute Werke auf's Beste gethan schnurstracks in die Hölle führen, und daß der Glaube allein selig macht.« Luth. Schr. Wit. A. 7 S. 147, b. – Das. Th. 22. F. 220 ff.

Die Reformatoren zeigten große Lust, Einsprache gegen diese Lehren des Wittenberger Reformators zu erheben, aber es schien, als traue keiner dem andern, und während sie mißtrauische, verstohlene Blicke sich zuwarfen, hatte der lärmende Franziskaner bereits einen andern Gegenstand in das Gespräch hereingezogen.

»He – Albert, Baccalaureus!« rief er. »Jetzt laßt Euer Lied los, das Ihr auf Eure Schöne gedichtet habt. Es soll unmäßig schön sein, und Sünde wär's, wolltet Ihr uns dasselbe vorenthalten.«

»Mit Vergunst, confrater Arnolde!« sagte ein ältlicher Cisterzienser, welchen allein das Unglück traf, keine Tochter von Marienthal an der Seite zu haben. »Albert hat den kleinsten Theil des Gedichtes verfertigt; es ist vielmehr aus der Feder des lustigen Augustiners von Pfaffenhofen geflossen. Aber deßhalb kann es doch kein Mensch in der Welt besser singen, als Bruder Albert.«

»Ich singe nicht!« – hing dieser den Kopf und wollte weiter gehen.

»Bei meinem künftigen Bart!« schwur Gerhard. »Ich gehe nicht von der Stelle, bis Ihr singt. Da, – macht Euch zuerst die Gurgel glatt!« und er zog eine umfangreiche Flasche aus seiner Kutte hervor. »So – jetzt laßt Eure Kehlen erklingen, daß d'rüben die Klostermauern zusammenfallen, wenn anders sie noch stehen.«

Zu jeder anderen Zeit hätte Albert mit aller Bereitwilligkeit sein Lieblingslied vorgetragen; jetzt aber ließ er sich wiederholt bitten. Der Inhalt der Flasche, die er fast nicht vom Munde brachte, mußte ihm vorerst die nothwendige Sängerlaune erwecken, worauf er eine Melodie anstimmte, welche man nicht aus dem Munde eines Mönches erwartete, der bisher nur die einfachen, ernsten Melodien gesungen. Nicht minder auffallend war der Text des Liedes. Die erste Strophe, Verwünschungen des Cölibats und heiße Sehnsucht nach der ferne weilenden Lyse von Königstein enthaltend, sang er nur mit halber Stimme. Der Inhalt des Liedes und die erröthende Dame seiner Wahl trieben endlich die letzten Spuren des Trübsinns hinweg und mit schallender Stimme fuhr er fort:

»Fest band ich mir den Gürtel,
Zog die Sandalen an,
Hinab ging's zu der Pforte,
Der Pförtner schnurrt mich an:
›Wo willst Du hin, Du frecher Wicht?
Für Dich ist nicht dies Thor!
Kennst Du St. Bernhards Regel nicht?
Das Glöcklein schallt in's Chor.‹
Den lacht ich an und sagte:
›Geh' Bruder, spute Dich!
Zu Wittenberg in Sachsen
Erhob Sankt Luther sich,
Der öffnet uns das Pförtlein
Zu Wein und Weib und Sang!
Komm, laß die Metten Metten sein,
Komm! Ziere Dich nicht lang.‹«

Die muntere Gesellschaft lachte dem lustigen Sänger sein verdientes Lob, wurde aber hierin von einer Seite und auf eine Art und Weise gestört, wie sie es nicht erwartete. Kaum bemerkte Gertrud die Ursache, welche ihre Gebieterin antrieb, den Pfad zu verlassen, als auch sie den Augen der Klosterleute sich entzog. Hiezu bewog sie keineswegs der gleiche Grund wie ihre Herrin, was ihr jetziges Auftreten bewies, sondern die Nothwendigkeit, sich verbergen zu müssen, um Margareth nicht zu verrathen, und noch mehr ihre Neugierde, ungesehen Alles hören und sehen zu können. Wäre der Lärm des entlaufenen Klostervolkes weniger laut gewesen, sie hätten das halbunterdrückte Murren und Geifern der Alten hören müssen, wie sie allen schlechten Mönchen und Nonnen eine schreckliche Strafpredigt hinter dem Baume hielt. Aber mit dem Schlusse des Liedes hatte auch ihre Geduld ein Ende. In langen Sätzen sprang sie aus dem Gebüsche hervor mit blitzenden Augen, geballten Fäusten und wüthendem Geschrei, so daß der weibliche Theil der überraschten Klosterleute erschrocken zurückfuhr.

»Schämt Ihr Euch nicht vor dem Tageslicht?« schrie sie die Mönche an. »Pfui! Ihr Schelme, – Ihr wollt Ordensleute sein und lauft mit diesen Metzen durch den Wald? Hol' Euch der Teufel, Ihr Possenreißer, Ihr Schwärmer und Sektirer! Und Ihr Lyse, Ihr Beatrix, Ihr Hildegard, – Ihr Käthe, Ihr Isengard – Ihr Schlangen!« – geiferte sie gegen die Nonnen. »Habt Ihr deßhalb Euer Gelübde abgelegt, daß Ihr jetzt als schlechte Dirnen ausreißt? Möchte sich der Boden unter Euren Füßen aufthun, – Ihr Schanddirnen.«

Die Fortsetzung dieser kräftigen Ermahnung wurde durch einstimmiges Gelächter unterbrochen; denn ihr Zorn war zu übertrieben, um nicht lächerlich zu sein.

»Ha – ha! Wer hätte diese Hexe von Endor hier vermuthet?« lachte Arnold. »Wer bist Du denn eigentlich, gräuliches Weib?«

»Wer ich bin, Du Satan in der Franziskanerkutte?« schrie Gertrud. »Ich eine Hexe? Ja, wäre ich nur eine Hexe, Du solltest Dein letztes Stück Brod gegessen haben, Du graue Nachteule, Du stinkend Aas, Du Mottenfraß.« –

»Oho – ha ha!« lachte der Franziskaner hell auf. »Die könnte es ja im Schelten mit Doktor Martinus selber aufnehmen! Bist Du etwa in Luthers Schule gegangen, gute Frau?«

»Was – ich in Luthers Schule, Du giftiger Molch?« und ihr Zorn stieg zum höchsten Grad. »Ich in Luthers Schule, Du borstiger Igel? Sieh', – die Augen kratze ich Dir aus, so Du dies nochmals sagst! Ich in Luthers Schule? Da mögen alle Drachen und giftigen Würmer hingehen, wie Ihr seid, – alle Franziskaner und Metzen, wie der Teufel sie auf der Liste führt.«

Der Franziskaner hatte gerade wieder eine beißende Bemerkung auf der Zunge, als der Cisterzienser Albert ihm zuvorkam.

»Ich meine, ich sollte Euch kennen!« sprach er. »Seid Ihr nicht die Amme der wunderschönen Maid vom Fleckenstein?«

»Ich meine, ich sollte Euch kennen?« spottete Gertrud. »Seid Ihr nicht der ausgelaufene, nichtsnutzige Cisterziensermönch von Stürzelbronn? Seid Ihr nicht der Klosterdieb, welcher mit diesem hinkenden Doktor da Gaunerstreiche trieb?«

»Richtig sie ist's!« rief Albert. »Laß Dir sagen, alte Trudel, – ein guter Freund von mir, ein Ritter ohne Furcht und Tadel, suchte Euch diesen Morgen wie 'ne Stecknadel im Kloster, d. h. nicht Euch, sondern die schöne Margareth. Seid Ihr darum eine treue Dienerin, so lauft geschwind, sagt Eurer Herrin, es wäre ein Ritter da, von ihrem Vater gesandt, um sie in Sicherheit zu bringen aus dem Streit, den's d'rüben wird absetzen.«

Die Alte sah dem Mönche mißtrauisch in's Gesicht.

»Kann ich Euch glauben?« fragte sie in sehr herabgestimmtem Tone.

»Seht nur, was dies für eine graue Bestie ist!« rief Arnold. »Zuerst macht sie uns herunter und jetzt möchte sie uns Lügen strafen.«

Gertrud zeigte jedoch keine Lust, in diese neue Herausforderung einzugehen, sondern stellte umständliche Fragen über die Person des unbekannten Ritters.

»Was Du wissen mußt, weißt Du, und ich habe keine Lust herzustehen, und Deinem Vorwitz zu dienen,« entgegnete Albert. »Sucht Eure Greth, die neben Euch gerade so aussieht, wie ein Cherub neben Meister Beelzebub; denn ohne Zweifel ist der Teufel eher weiblich, als männlich. Ist's nicht so – he, Du alte Waldhexe?«

Damit entfernten sich Mönche und Nonnen lachend und scherzend, wie sie kamen. Bei der ersten schicklichen Gelegenheit mußte Albert seiner Dame Rede stehen, weßhalb er Beelzebub eher weiblich als männlich nannte. Der schlaue Mönch half sich mit einer überschwenglichen Schilderung der Reize Lysens aus aller Verlegenheit, und diese Lobeserhebung endigte mit der Versicherung, daß sie, bevor die Sonne abermals über die Vogesenberge hinabsinke, durch das Band der Ehe ein glückliches Paar sein würden.



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