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Wie Sickingen betrogen wird.

 

Siehst Du,
Der Teufel kann sich auf die Schrift berufen,
Ein arg Gemüth, das heiliges Zeugniß vorbringt,
Ist wie ein Schalk mit Lächeln auf der Wange,
Ein schöner Apfel, in dem Herzen faul.

Der Kaufmann von Venedig.

 

Was ist das Herr?« rief Amsdorf, dessen Auge voll Unwillen zwischen dem zerbrochenen Siegel und dem Edelmanne wechselte. »Das Siegel ist los? Was habt Ihr gethan?«

»Wir haben uns eines Andern besonnen, Mönch!« trotzte Franz. »Ihr seht, das Siegel ist zerbrochen – der Vertrag gelöst.«

»Bei Gott, Ihr beschämt durch Euer »Binden und Lösen« selbst den treulosen Bischof von Rom!« rief Aquila in bitterem Scherze. »Wie mögt ihr das lösen, Herr, was Ihr eidlich beschworen habt?«

»Beschworen – allerdings! Doch Ihr lehrt selbst, ein ungerechter Eid bindet nicht, – und wie eine Kriegstrompete bläst mir's durch das Gewissen: ›Dein Eid ist Meineid!‹«

»Ah so!« sprach Aquila mit kluger, geheimnißvoller Miene. »Seht, edler Herr, was mir und Meister Luther und allen Menschen, die Gott zu hohen Dingen berief, gar oft begegnet, habt Ihr nun selbst erfahren: – Anfechtungen des Teufels! Beelzebub will nicht zugeben, daß die arme Menschheit aus des Papstthums Klauen soll erlöst werden. Glaubt mir, die Kriegstrompete, welche donnernd durch Euer Gewissen fährt, sitzt nicht auf dem Munde eines Engels, sondern auf Lucifers giftigem Rachen. Laßt den Teufel blasen, und schlagt ihm ein Schnippchen!«

»Mit dem Teufel wollte ich's schon aufnehmen, nicht aber mit Treubruch und mit Meineid,« entgegnete Sickingen. »Eidbrüchig werden? Ha! – Eher mag die Geschichte kommenden Jahrhunderten melden: Franz von Sickingen starb als blöder Narr, als daß sie berichtet: – er hing den Schmachlappen des Meineids um seinen Wappenschild.«

»Ei was, Grillen – Grillen!« lachte Aquila. Dann zog er die linke Augenbraue bedächtig in die Höhe, gerade wie Luther, dessen ganzes Wesen er getreu nachzuahmen bestrebt war, und fuhr in gewichtigem Tone fort:

»Hierin habt Ihr Recht, tapferer Feldhauptmann! Ehre und Treue soll dem Manne über Alles gehen, und wär's die Krone des deutschen Reiches. Dies einzusehen, braucht's nicht viel Verstand. Ein zweiter Fall ist nicht so klar, nur starke Geister, die sich durch allerlei Dunst nicht blenden lassen, sehen hier deutlich. – Meister Reuchlin erzählte Euch gewiß von Friedrich dem Hohenstaufen. Auch diesem Manne galt Ehre über Alles und bei Gott, so lange noch ein Buchstabe Geschichte lebt, stirbt der Ruhm jenes großen Kaisers nicht! Was ist aber Barbarossa's höchster Ruhm? Er dachte und handelte nicht nach dem Gutdünken seiner Zeit, sondern just das Gegentheil. Dem römischen Papst wollte er nicht hofiren, – nicht den schmutzigen Schuh küssen, – nicht das Knie beugen, – nicht den Steigbügel halten, sein kaiserliches Haupt beugend vor dem römischen Wehrwolf,« – und er stampfte zornig auf den Boden. »Nichts davon that er, obwohl der schmähliche Brauch der Zeit es forderte. Höher stellte er sich, als Rom mit seinem Papst, und darum verdammten ihn alle Zeitgenossen; meineidig, heidnisch schalten sie den großen Hohenstaufen, weil er hoch über den Thorheiten seiner Zeit stand, und seht, – diese Verachtung eines alt hergebrachten Wahnes ist Friedrichs höchster Ruhm.«

»Der Schalksnarr hat seine Rolle trefflich einstudirt,« brummte Faust in den Bart, indeß er bei Seite saß, und in einem Buche blätternd durchaus keine Aufmerksamkeit für das zu haben schien, was um ihn vorging.

»Euer Vergleich hinkt sehr,« sprach Sickingen. »Der Hohenstaufe stand zum Papste nicht im selben Verhältnisse, wie ich zum Habsburger. Barbarossa war eben Kaiser und nicht des Papstes Vasall.«

»Freilich war er das!« rief der Reformator. »Aus des Papstes Hand empfing Friedrich die römische Kaiserkrone, – kniefällig mußte er darum bitten und auf das Evangelium den Eid der Treue schwören. Und habt Ihr nicht gehört, daß Päpste Kaiser ein- und absetzten, so willkürlich, wie die Weiber ihre Schürzen wechseln?«

»Oder wie Reformatoren ihre Lehren und Kappen,« höhnte Faust vor sich hin.

»Lange genug waren deutsche Könige die Knechte römischer Herrschsucht,« fuhr Aquila fort. »Zum Beweise nun, daß Vasalleneid nur so lange bindet, als Vernunft und Gott es fordern, will ich an ein anderes Beispiel der Geschichte Euch erinnern.«

»O weh, der Esel läßt die Hauptsache weg, – hab's ihm doch zehnmal vorgesagt!« ärgerte sich der Alchymist.

»Pipin, der Hausmeister, war Vasall des fränkischen Königs Childerich,« redete Aquila weiter. »Wer aber stieß Childerich vom Throne und setzte sich selber darauf? War es nicht Pipin? Wollt Ihr nun sagen, jener tapfere Mann sei in Meineid gefallen? Wollt Ihr, dem Urtheile der Weltgeschichte widersprechend, Pipins Ruhm nicht anerkennen?«

»Wäre Carl V. ein Schwächling, wie Childerich, – unfähig das Scepter zu führen,« sprach der Feldhauptmann, »gut, – dann möchte ein Pipin am Platze sein. Carl aber führt mit starker Hand das Regiment, und Weisheit ziert ihn mehr, als Blödsinn ihn entwürdigt.«

»Und dennoch ist er ein Tyrann!« rief Aquila. »Mit eisernem Fuß zertritt er die junge Saat des lauteren Evangeliums, verfolgt die Apostel des Herrn, schützt die Götzendiener des Papstthums, – ein zweiter Nero fürwahr! Und Ihr, – Ihr von Gott zum großen Werke berufen, – Ihr das Licht auf dem Scheffel, Ihr ein zweiter Gideon, – Ihr wollt zögern, den Tyrannen vom Throne zu stoßen? Gott gab Euch die Schaufel in die Hand, warum zaudert Ihr, seine Tenne zu säubern?«

»Daß Dich die Pest!« fluchte Faust. »Der Schwätzer verlor den Faden und hält am Ende gar eine Predigt.«

»Euer Zaudern schadet Eurem kühnen Muthe nicht,« ergriff Bucer das Wort zu des Astrologen großer Beruhigung; »denn Ungewöhnliches zu vollbringen, fällt sogar ungewöhnlichen Männern manchmal schwer.«

»Aha – jetzt kommt der Fuchs!« sagte Faust; »und wie schlau er ihn beim Ehrgeiz packt! In der That, des Ritters schwächste Seite.«

»Eure Kraft nicht blos, sondern Euer hoher Beruf von Gott, – wenn nicht alle Zeichen trügen, woran schwache Sterbliche des Himmels Willen erkennen, sind Bürgschaft für das Gelingen Eurer kühnsten Plane,« fuhr Bucer mit seiner feierlichsten Miene fort. »Ihr seid die starke Hoffnung des unverdunkelten Evangeliums, was laut durch alle deutschen Gauen das Volk Euch nachrühmt; – Ihr seid Deutschlands größter Feldherr, was die zahlreichen Schlachtfelder bezeugen, wo Ihr Eure Banner entfaltet habt; – nicht blos Städte und Adel sind Eure mächtigen Verbündeten, das ganze Volk steht mit Euch auf gegen Roms Herrschsucht und Tyrannei. Bis zum Eckel satt hat man die Wirthschaft des römisch gesinnten Carl, begeistert schlagen Euch alle Herzen entgegen. Fast zu gering für Eure Thatkraft ist die kleine Arbeit; – Ihr braucht nur anzugreifen und die Krone liegt in Eurer Hand.«

»Ihr habt schön gesprochen, wie immer, Herr Doktor!« entgegnete der Feldhauptmann. »Allein auch Ihr habt die Ketten nicht gesprengt, welche meine Thatkraft fesseln, – Ihr habt den Eid nicht gelöst, der mich an Kaiser und Reichsverfassung bindet. Ich kam nicht mit solchen weittragenden Planen nach Landau, – wollte nur dem Adel und vor Allem dem reinen Gotteswort eine feste Stütze sein!«

»O du verdammte Ehrsucht! Lehrst meinen Franz noch gar den Heuchler spielen,« meinte der Alchymist.

»Da nun einsichtsvolle Freunde und sehr erleuchtete Männer des reinen Gotteswortes zu Bestrebungen mich hindrängen, welche meinem Eide zuwiderlaufen, bin ich verwirrt und ängstlich,« schloß Sickingen und sah erwartungsvoll Bucer an, in der sehnsüchtigen Hoffnung, der gelehrte Doktor möge die angeführten Bedenken als grundlos beweisen.

»Euer Eid ist null und nichtig, seitdem Carl zum entschiedenen Gegner des reinen Evangeliums sich aufwarf,« lehrte der Reformator. »Ihr selbst habt alle Mittel versucht, den jungen Fürsten zu belehren und für die gute Sache zu gewinnen, damit habt Ihr Eurer Vasallenpflicht genug gethan. Carl ist Gottes Feind, darum muß er auch der Eurige sein; denn die Schrift sagt: ›wer nicht für mich ist, der ist wider mich!‹ Daraus folgt, daß Ihr nur für Gott sein könnt, wenn Ihr gegen den gottesfeindlichen Kaiser streitet. Wie man aber solchen Fürsten begegnen muß, hat unser erleuchteter Vater Martinus Luther in seinem letzten Briefe deutlich ausgesprochen.«

Hier zog der Doktor eine Schrift hervor und las: »›Regenten, Fürsten und Herren, welche dem Geschwärm der römischen Sodoma angehören, soll man mit allerlei Waffen angreifen, und in ihrem Blute die Hände waschen.‹ W. I. 1558, S. 51. Lat. U. IX. S. 24. B – Mit klaren Worten spricht hier ein Mann,« setzte Bucer erklärend bei, »der von allen Einsichtsvollen als Prophet des Herrn verehrt wird. Handelt Ihr nun nach Luthers Weisung, dann seid Ihr frei von aller Verantwortung, – sie fällt auf den zurück, welchem wir als Gottes Stellvertreter Gehorsam schuldig sind.«

»O du Wicht!« schalt Faust. »Hörte ich ihn doch selbst den Luther einen schreienden Esel und brüllenden Stier tituliren.«

»Und wäre es möglich,« hob Amsdorf an, »daß der erleuchtete Gottesmann Martin Luther Eure Bedenken zu beseitigen nicht im Stande ist, so schlagt nur die Bibel auf! Ihr werdet finden, daß auf Gottes ausdrücklichen Befehl geschah, was Ihr ohne Skrupel Eures zarten Gewissens nicht thun zu können glaubt.«

»Ja, ja, die Bibel, die ist Euer Steckenpferd,« lachte Faust vor sich hin. »Daraus könnt Ihr morgen ganz klar verdammen, was Ihr heute ganz klar als tugendhaft habt angepriesen.«

»David stand auf wider Saul, obwohl Saul gesalbter König war,« fuhr Amsdorf fort. »Da nun Saul in der Schlacht gegen David fiel, wurde letzterer auf Gottes Befehl zum König gesalbt.«

»Ganz vortrefflich verdreht,« – ›David stand auf wider Saul,‹ ergötzte sich Faust.

»Vergleicht nun Euch mit David, und Carl, – den hochmüthigen, papistischen, götzendienerischen Carl, vergleicht mit Saul! Warum soll für Euch Sünde und Meineid sein, was für David höchst ruhmreich gewesen?«

»Ihr seid höchst gütig, meine Herren!« antwortete Franz mit einem Anfluge von Befriedigung. »Eure Beweise sind von solcher Stärke, daß kaum dagegen etwas einzuwenden ist. Ich will die Sache nochmals überlegen und danke indessen für Euer Bemühen.«

»Nicht doch Herr, – wir kamen, Euch zu danken,« sprach Amsdorf mit tiefer Verbeugung, worin die übrigen Reformatoren mit ihren tiefsten Bücklingen einstimmten. »Mit dem aufrichtigen Gefühle unserer Unwürdigkeit, edler Feldhauptmann, bringen wir den innig empfundenen Dank dar für das starke, geistreiche Wort, welches Ihr gestern und heute dem reinen Gotteswort in der Versammlung gesprochen habt. Auf Marmortafeln eingegraben verdient dieses Wort kommenden Jahrhunderten aufbewahrt zu werden! – So weit mein schwaches Gedächtniß reichte, hab' ich hier Alles getreulich aufgeschrieben, damit auch Luther mit uns sich freuen und Euch, tapferer Feldherr, bewundern möge. Zuvor aber sei meine Schrift Eurer gnädigen Durchsicht und Gutheißung unterstellt.«

»Wahrhaftig, der Kerl fuchsschwänzelt so meisterhaft, daß er einmal Erzbischof im neuen Reiche werden muß,« meinte Faust.

Amsdorf überreichte seine Schrift. Nach wiederholten Bücklingen und bedeutungsvollen Seitenblicken nach dem Alchymisten, entfernten sich die Reformatoren.

Faust legte das Buch weg, erhob sich und trat dem Edelmann mit all der Würde näher, die er seiner stattlichen Gestalt zu geben vermochte.

»Hättet Ihr,« – begann der Doktor, »durch Euren Widerspruch mit diesen tollen Schwätzern kein loses Spiel treiben wollen, – Ihr möchtet Eure Freunde da droben verletzt haben.«

Dies sagte er nur so nebenbei und mit der gleichgültigsten Miene, indeß er ein Papier mit astrologischen Figuren über dem Tische ausbreitete.

»Ha, – wie konnte ich die Constellation vergessen?« murmelte Sickingen und fuhr betroffen gegen die Stirne. »Eher weicht die Sonne aus ihrer Bahn, – eher stürzt das Himmelsgewölbe ein, als daß Planeten lügen.«

»Leuchtend, wie immer, kreist zwar Euer Planet in seinen Sphären,« deutete der Astrologe auf den Figuren herum. »Doch seht hier diese schwarzen Flecken, die seinen Glanz verdüstern! Verfolgt hier die Linien dieses winzigen Gestirnes, – kaum taucht es auf, sinkt es schon wieder hinab, und dennoch muß ich seinem schlimmen Einfluß das Erröthen Eures Planeten zuschreiben. Was mag es bedeuten? Die Zukunft wird es lehren.«

»Flersheim – schlimm beriethst Du mich!« sprach der Feldhauptmann vor sich hin.

»Noch einen düstern Punkt seht hier an Eurem Wagen!« fuhr der Astrologe fort. »Fast errathe ich das Ermatten dieses Lichtes; – möchte meine Vermuthung falsch und Windstein für Euch nicht verloren sein.«

»Ich theile Eure Meinung,« sagte Franz, die Figuren vergleichend. »Doch ist nach meinem Bedünken Windsteins Horoskop ziemlich aus der Glückslinie herausgewichen. Sein etwaiger Abfall möchte wenig schaden.«

»Wahr!« entgegnete Faust. »Allein diese Constellation ist noch zu dunkel, mit Sicherheit läßt sich da nichts sagen. Nach meinem Wunsche möchten eher zwanzig Eurer Waffenfreunde Euch den Rücken kehren, als der einzige Windstein. Zu entschieden sprachen die Planeten bei früheren Beobachtungen sich für den Junker aus.«

Während Sickingen bedenklich niedersah, polterten eilende Schritte vor der Thüre, und herein flog Ulrich von Hutten mit leuchtendem Gesichte.

»Franz – Franz,« rief er, »der Drachenfels ist da! Zwölftausend Lanzen stehen bei Straßburg unter Deinen Fahnen. Lauter eingeschulte tapfere Knechte; das Herz hämmerte mir fast die Rippen entzwei vor Muth und Kampfeslust, als der lange Hans die Truppen schilderte.«

»Dank für Deine Botschaft Ulrich!« entgegnete der Feldhauptmann. »Indessen, – mit so geringer Streitkraft können wir uns im Felde nicht blicken lassen.«

»Warum nicht? Achtzehntausend Mann zählt unsere Macht an Edlen und reisigem Volk, – und Dein Feldherrnstab allein gilt für ein ganzes Herr. Wozu also die beste Zeit verlieren? Der Macedonier Alexander hatte nur dreizehntausend Mann, da er auszog, die Welt zu erobern, – und bei Gott! Hier steht mehr als Alexander,« schloß Hutten mit einem schmeichelnden Blicke auf Sickingen.

»Es geht nicht!« widersprach Franz. »Gegen allen ritterlichen Brauch wäre das, – zuvor muß der Churfürst unsere ausdrückliche Kriegserklärung gelesen haben. Zudem hast Du die schöne Margareth noch nicht heimgeführt, – willst in Prunk und Schmaus im lieben Landau noch einige Stunden zechen! He – ist's nicht so?«

»Eher soll mich der Teufel holen, als ich die Greth!« erwiederte Hutten mit saurem Gesichte.

»Was?« horchte Franz erstaunt auf.

»Die Tochter dieses alten Narren mag ich nicht und wäre sie so reizend, wie Medusa häßlich ist!« versicherte Hutten. »Denke Dir, plötzlich brach der wetterwendische Gimpel auf und zog heim mit seiner Tochter, weil irgend welcher Pfaff ihm in's Ohr geraunt: gedenke Deiner armen Seele, – verlasse diesen Ketzerbund! Mit einer Fluth von Schimpf über uns Alle saß er auf und schwur, seine eigenen Knechte gegen uns in's Feld rücken zu lassen. Der Teufel vergelte es ihm.«

»Seine Lanzen wolle er gegen uns kämpfen lassen, – das schwur er?« sprach der Feldhauptmann, indeß eine dunkle Gluth sein Gesicht färbte. »Dagegen weiß ich Rath! Doch möchte ich's zu diesem Aeußersten nicht kommen lassen. Du hättest Dich an den Alten hängen und ihn bekehren sollen.«

»Bekehren? Fußfällig bat ich ihn, Alles half nichts, – zur Thüre warf er mich hinaus! Lebte nicht ein Funke Liebe noch in mir zu seiner Tochter, – bei unserer Frau! Sogleich hätte ich des Bundes Satzungen erfüllt und ihm Ketten angelegt.«

»Verflucht!« that der Feldhauptmann ärgerlich. »Diesen einflußreichen Alten verliere ich höchst ungern; wenigstens muß er unschädlich gemacht werden.«

In diesem Augenblicke erschien unter dem Eingange ein reisiger Knecht, trat in stolzer Haltung auf Sickingen zu, und überreichte ihm einen Brief.

»Von wem?« fragte dieser.

»Von meinem Herrn, dem Fleckensteiner!« antwortete der Bewaffnete und verließ sogleich wieder das Zimmer.

»Wahrhaftig, in bester Form ein Absagebrief!« sprach Sickingen, nachdem er die wenigen Zeilen gelesen. »Schon gut,« und sein Auge fing zu blitzen an; »wir wollen rechtzeitig dem alten Bären das Gebiß ausbrechen. Ulrich, – rufe mir den Ritter Dietrich! Zur Stelle muß er mit einigen Lanzen ausreiten und den Alten aufheben.«

Durch den äußern Schein des Ernstes glühte Huttens Rachedurst gegen den Freiherrn und kaum vermochte er seine Bewegung zu verbergen. Als wolle er in der innersten Seele lesen, ruhte des Doktors scharfes Auge auf Hutten, und sein Haß gegen den Edelmann ließ diesem die Befriedigung seiner Rache nicht zu.

»Ich staune!« begann Faust in lange gedehntem Tone, die Arme kreuzend und seine Gestalt aufrichtend. »Einem Pfaffen wollt ihr Fleckensteins Sinnesänderung zuschreiben? Nein, Ihr, Herr Ulrich von Hutten, Ihr verschuldet den Abfall jenes Alten.«

»Ulrich?« fragte Sickingen mit einer Mischung von Staunen und Aerger.

»Es läge in Eurem Vortheil, von der Sache zu schweigen,« sprach Hutten betreten; »denn Ihr habt entweder recht boshaft, oder sehr unklug Euch benommen.«

»Euer Vorwurf ist zum Reden eine neue Aufforderung, Herr Poet!« entgegnete Faust.

»Nun, was habt Ihr denn?« forschte der Feldhauptmann.

»Einfach dieses!« begann der Doktor. »Im Schreiben eines Freundes, der zufällig auch Huttens Freund ist, geschah neben unseren politischen Planen auch dieses würdigen Edelmannes Erwähnung. Mein Freund erkundigte sich nach Ulrichs humanistischen Fortschritten und berührte zuletzt aus Laune seine – allerdings undeutsche Krankheit. Da ich nun unserem Ulrich den Brief vorlas, stürzte plötzlich aus einem Nebengemache der alte Fleckensteiner hervor, überschüttete Hutten mit seinem ganzen Grimm und schwur, seine Tochter lieber dem Satan, als einem brandigen, angefaulten Schurken geben zu wollen. Dies die Veranlassung zu des reichen Freiherrn Abfall, – sein Aerger über Humanismus und Syphilis,« schloß er mit leiser Stimme und hämisch den Todfeind anlachend, indeß Sickingen kopfschüttelnd durch das Zimmer ging.

»Alle Pest über Dich!« fluchte Hutten dem Alchymisten in's Ohr. »Warte nur, elender Betrüger, der Streich soll Dir reichlich ausbezahlt werden!« und gegen den Ritter gewandt fuhr er fort: »Wir müssen den Zufall preisen, Franz, der uns noch rechtzeitig des Freiherrn innerste Gesinnung verrieth. Mögen meine persönlichen Fehler allen Tadel verdienen, sie dürfen kein Bundesglied veranlassen, zum Feinde überzulaufen. Ich gehe Franz, Deinen Befehl auszurichten.«

Er wartete noch einen Augenblick. Da Sickingen in seinem finstern Schweigen verharrte, verließ er das Zimmer.

Indem Ulrich über den Gang hinschritt, spielte das höchst abstoßende Lächeln hinterlistiger Bosheit um seine Lippen, die unverständliche Verwünschungen ausstießen. Sickingens Willen zufolge sollte er Dietrich herbeirufen und er schien auch dieser Weisung gemäß seine Schritte zu lenken. Plötzlich aber blieb er stehen, lenkte in einen Seitengang ein, und stand bald vor einer großen, stark mit Eisen beschlagenen Thüre, deren Festigkeit einem Burgthore alle Ehre gemacht hätte.

Das Innere des Gemaches, welches Ulrich betrat, entsprach ganz dem rohen Eingange. Weite, kahle Wände, eine gewölbte Decke, deren Spitzbogen auf dem mächtigen Pfeiler in Mitte des Gewölbes ruhten, und dicke Mauern mit Schießscharten versehen, welche nur nothdürftiges Licht zuließen. Das einzige Fenster war jungen Ursprungs und ging unmittelbar auf die graue, finstere Seite eines der vier Eckthürme der Zwingburg. An dem rohen Eichentische saß ein Mann, dessen Erscheinung vortrefflich zu dem düsteren Orte paßte. Er schien erst vom Ritte heimgekehrt; denn seine dunkle Rüstung war über und über mit Staub und Schmutz bedeckt. Auf dem Tische lag ein langes Schwert, wenn anders die Eisenstange mit der zweischneidigen Spitze diesen Namen verdiente. Es fehlte ihr jede Schneide und ihre Länge, zu ihrem Durchmesser in keinem Verhältnisse stehend, machte sie zum Hiebe unfähig. Dagegen hing zum Schlage ein eisernes Beil um die Schultern des Kriegers, und daneben stack mit abgegriffenem Hefte ein langer Dolch. Auf der Spitze des Helmes wiegte sich ein abscheuliches Ungeheuer mit weit geöffnetem Rachen, aus dem zwei Reihen spitziger Zähne und eine gespaltene Zunge hervorgrinsten, indeß der gekrümmte Schwanz des Drachen den Helmbusch festhielt.

Beim ersten Anblicke schien das jugendliche, bartlose Gesicht des Kriegers seinem barschen, rauhen Gebahren wenig zu entsprechen; näher betrachtet, zeigte sich aber so viel Tücke und Bosheit in dessen Zügen, daß der häßliche Lindwurm fast weniger das Auge verletzte, als dieses hämische Schalkengesicht.

Hans von Drachenfels machte bei Ulrichs Eintritt eine Bewegung mit dem Kopfe gegen die Thüre, ohne sich in dem Eifer unterbrechen zu lassen, womit er dem kalten Schwarzwildpret und dem Humpen zusprach.

»Nun beim Teufel, Hans!« lachte muthwillig der Poet. »Pfaffen würden sagen, Du seist die leibhaftige Todsünde des Fraßes und der Völlerei; – mit einem ganzen Schweine würdest Du fertig werden, denk' ich! Aber nur zu, Franz muß warten, bis du kommst, obschon er vor Begierde brennt, Deine Werberliste anzusehen. Sag' Hans,« – und er setzte sich erwartungsvoll dem Speisenden gegenüber; »wie viele Knechte hast Du von den Deinen mitgebracht?«

»Vier!« antwortete Drachenfels und hob den zweimaßigen Humpen an die Lippen.

»Vier – hm, dies wäre schon genug!« meinte Hutten, und verstrich die Weinstreifen, welche auf dem Tische schimmerten.

»Genug? Wozu denn?« fragte der Andere nach einigen Minuten, da sein Mund gerade feierte und er wiederholt den geheimnißvollen Hutten betrachtet hatte.

»Genug, – um eine schmucke Dirne auf Dein Drachennest zu bringen,« lautete die Antwort.

»Eine Dirne? – Für wen, – für mich?« fragte Hans mit erwachter Theilnahme.

»Oho – Bruder Lüderlich! Hast du nicht genug mit Deiner Nonne aus der Abtei Schönau?« lachte Ulrich.

»Hast Du nicht genug mit Deinem Gretchen von Fleckenstein, welscher Hahn?« grinste Drachenfels dem Freunde entgegen, und stellte den Humpen auf den Kopf, zum Zeichen, daß er geleert sei.

»So höre doch nur, loses Maul, sprach Hutten; gerade die Margareth sollst Du mir ja wegfangen.«

»Die Greth?« rief Drachenfels verwundert. »Glaubte doch, Du wolltest die Dirne in Ehren heimführen.«

»Das glaubte ich auch, Bruder Hans! Aber bei den Göttern war's anders beschlossen. Herr Nikolaus hielt mich plötzlich seiner Tochter unwerth und verbot mir das Haus.«

»Was fällt dem alten Schwachkopf ein?« ärgerte sich Drachenfels. »Allenthalben hofirt man mir, weil mein Freund Hutten das Glück hätte, die berühmte Greth heimzuführen, – und jetzt stellt der tolle Niklas Dein Werben ein?«

»Und zwar auf höchst ritterliche Weise, – er warf mich einfach zur Thüre hinaus,« ergänzte der Andere.

»Was? Schrie Hans. Das wagte er? Und du schaust so ruhig d'rein? Der Teufel soll Dich holen, Ulrich, – wir Alle sind beschimpft in Dir!«

»Nur langsam Hänschen!« sprach Hutten mit lachendem Hohn. »Das Hinauswerfen soll am alten Graubart so schwer gerächt werden, daß selbst Dein Drachenherz könnte Mitleid fühlen.«

»Mitleid fühlen, – ich? Heraus mit Deiner Rache und gleicht sie Deinem Schimpf, muß sie schrecklich sein,« rief Hans, sein boshaftes Gesicht verziehend, stützte beide Arme auf den Tisch, und horchte gespannt auf Huttens Rede.

»Der Fleckensteiner ist hinabgeritten gegen Germersheim zu des Churfürsten Vogt, seinem Bruder,« fuhr Ulrich fort. »Die Greth schickte er indessen hinauf nach Marienthal, dort seine Rückkehr zu erwarten. Verstehst Du?«

»Weiter!«

»Uebermorgen wird Marienthal von uns genommen, was zum Glück dem Freiherrn verborgen blieb, – man traute immer dem alten Greiner nicht. Stürmen wir nun das Nest, – verstanden Hans! Dann schnappst Du mir das Püppchen weg, und führst es hinauf in Deine Burg. – Ist dieß nicht göttliche Rache? Ha, – vergehen muß die Greth in meinen Armen, – die keusche, spröde Greth!«

Drachenfels schaute eine Weile bedenklich nieder, dann sagte er: »Und was der Lohn für solchen Dienst, Freundchen? Ich käme bei den Schreinen und Truhen des Klosters zu kurz; von anderer Kurzweil nicht zu reden, deren es bei den Nonnen genug geben wird.«

»Mir einen Freundschaftsdienst erwiesen zu haben, wäre eigentlich schon Lohn's genug. Doch sollst Du an der Beute nicht leer ausgehen, – will für Dich stehlen, trotz einer Elster. Hier mein Ritterwort!«

»Topp, es gilt!« rief Hans einschlagend. »Wie lange soll aber das Dämlein auf meiner Burg sitzen? Denn zum Kosen ist's eben keine Zeit. Die zwölftausend Knechte müssen Arbeit haben, und geht's mir nach, brechen wir diese Woche noch auf gegen das Trierische.«

»Ganz recht, auch mein Dafürhalten ist's! Greth bleibt so lange auf dem Drachen sitzen, bis wir dem Greifenklau das Lied gesungen haben; dann gehen wir mit Beute reich beladen auf Dein Felsennest und halten lustigen Rasttag. – Ist's recht so?«

»Dann wollen wir schmausen und saufen, bis der Tanz auf's Neue angeht,« jubelte der Andere.

»Daß Du mir aber die Sache schlau anstellst!« besorgte Hutten, wogegen der Andere eine Bewegung machte, die so viel sagen wollte, als: »Ueberflüssige Bemerkung!«

»Jetzt rühre Dich, Hans! Drängte Ulrich. Du weißt, unser Franz wartet nicht gerne allzu lange. Kannst auch das Pfäfflein sehen, den Amsdorf, welcher mit Luther den Höllenbrand im Reiche hat anblasen helfen. Ein lustiges Männlein.«

»Ah – recht!« that Drachenfels neugierig. »Aus allen Mönchen und Pfaffen sind mir die Reformatoren an's Herz gewachsen, – sterben wollte ich für ihr Evangelium und mit dem Teufel selber d'rum ringen.

Die Wittembergisch Nachtigall
Die man jetzt höret überall,
Ein wonnigliche Nachtigall
Ihr Stimm durchklinget Berg und Thal.
Sie ruft mit lautem, mächt'gen Schlag',
Zu Frauenlieb und lust'gen Tag'.«

Indem Hans von Drachenfels diese Strophe mit voller Stimme hinaussang, setzte er den Helm auf, legte die Eisenstange auf seine Schulter und Beide verließen, das Gemach.



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