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Luthers Freunde.

 

Ein Kerl, der spekulirt,
Ist wie ein Thier auf dürrer Haide
Von einem bösen Geist im Kreis herumgeführt,
Und rings umher liegt schöne grüne Waide.

Göthe.

 

Bekanntlich entstand kurz vor Luthers Erhebung gegen die alte Kirche unter Deutschlands Gelehrten eine tiefgehende Gährung und Spaltung, die im Streite Reuchlins mit den Cölner Dominikanern Ausdruck erhielt. Mit leidenschaftlicher Bitterkeit griffen die Humanisten nicht bloß Gebräuche, sondern auch Dogmen der herrschenden Religion an, und bewarfen dieselbe mit Spott und Hohn. Neben Ulrich von Hutten zählte Johann Faust zu den Häuptern der humanistischen Richtung. Hinsichtlich seines gänzlichen religiösen Unglaubens verdiente er wohl, die Seele der Humanisten genannt zu werden, obwohl Faust nicht in demselben Grade für das classische Heidenthum schwärmte, wie Hutten und Andere. Hiebei zeichneten ihn Scharfsinn und leidenschaftlicher Drang nach Wissen aus. Er trieb nicht bloß Astronomie und geheime Künste, sondern warf sich mit eisernem Fleiße auf alle Gebiete des Wissens. Bald durchwühlte er gleich einem Kobolde die Eingeweide der Erde, und Faust's Mineralien- und Pflanzensammlung konnte werthvoll genannt werden; bald durchstöberte er die Foliobände von Aristoteles bis herab zu den letzten Scholastikern des Mittelalters. In Gedanken vertieft, saß er oft Tage lang ohne Speise und Trank auf seinem Laboratorium, bis sein Famulus ihn mit den Worten aufstörte: »Herr Doktor! nun habt Ihr bereits wieder vierundzwanzig Stunden nachgedacht.«

Bei all' dem war Faust zu keiner Gewißheit gelangt, sondern wurde von Zweifeln hin- und hergeworfen. Manchmal hielt er die bunte Götterwelt mit allen Einrichtungen des Heidenthums für eine lange Nacht, in welcher die Menschheit befangen gelegen, bis das Morgenroth des Christenthums Licht brachte. Wiederholt drängte es den Gelehrten, in Jesus Christus den Schlüssel zum Laufe der Weltgeschichte zu finden, – begierig verschlang er die Worte des Propheten von Nazareth, – oft sah er sich nahezu gezwungen, dessen göttliche Sendung anzuerkennen, – aber kaum traten ihm die Geheimnisse der Religion entgegen, die wohl das schwache Menschenauge blenden können, ohne von ihm durchdrungen zu werden, da fühlte sich der stolze Grübler zurückgestoßen. Die Demuth zum gläubigen Unterwerfen fehlte ihm, – und darum verfiel er neuerdings in unlösbare Räthsel und Widersprüche.

Auch Luthers Schriften las Faust in Augenblicken der Laune. Begegnete ihm einer jener logischen Sprünge und Widersprüche, von denen des Reformators Schriften wimmeln, dann schlug der Gelehrte ein helles Gelächter auf. Der Augustiner war gleichsam des Astrologen Schalksnarr, der ihn zum Lachen reizte, sobald Faust dazu Lust hatte.

Der Doktor mußte eben wieder von der Laune befallen sein, durch Luther sich unterhalten zu lassen; denn er betrat vor der bestimmten Stunde höchst aufgeräumt das Zimmer, in welchem Franz von Sickingen den vier Reformatoren seine Begeisterung für Luther kundgeben wollte. Auf einem rothbedeckten Tische lagen vier Exemplare der heiligen Schrift, und an Sickingens Platz, den ein prachtvoller Sessel bezeichnete, bemerkte man ungedruckte Schriften. Faust ließ sich in den Sessel nieder, löste die goldene Schnur, welche die blausammtene Umhüllung der Schriften zusammenhielt, und wollte eben bis zum Beginne der Berathung sich ergötzen, als er durch den Eintritt seines Famulus gestört wurde.

»Nun, wie steht's?« fragte der Doktor.

»Zum Besten, Herr! Vor einer Stunde erst ist Windstein vom Fleckenstein weggeritten. Glaubt mir, der Junge ist zum Sterben in schön Grethe vernarrt und Grethe in den Jungen.«

»Woraus schließest Du dieß, mein wackerer Spürhund?«

»Aus tausend Gründen! Zum Ersten verschob der Junker seinen Aufenthalt bis zum vierten Tage; weder Herr Nikolaus noch die häßliche Gertrud werden unseren Helden so lange hingehalten haben, – denk' ich.«

»Ein ganz gescheidter Schluß!«

»Dann sah ich den Jungen ganz allein spazieren gehen, und zwar an den entlegensten, stillsten Plätzchen, er vermied ordentlich das Zusammentreffen mit Menschen. Ich hörte ihn seufzen, sah ihn Blumen pflücken, bei wachen Sinnen träumen und tausendmal nach dem Söller spähen, wo das Edelfräulein zu stehen pflegt.«

»Und Huttens Braut?«

»Nun, die wird sich todt härmen, darf sie der stattliche Junker von Windstein nicht heimführen. Die Zofe, deren Vertrauen ich erwarb, erzählte mir Wunderdinge. Bis in die tiefe Nacht muß sie der Gebieterin von Windsteins Thaten erzählen und tausendmal Erzähltes wiederholen. Im Traume nennt sie dessen Namen und selbst bei der Messe vergißt sie ihren Rosenkranz.«

»Vortrefflich, – ausgezeichnet!« jubelte Faust und sein Gesicht lachte vor Haß und Schadenfreude. »Wie muß der Hutten knirschen und vergehen vor Eifersucht. Seine Qualen sind mir ein wahres Göttermahl!«

»Und das ist Eure ganze Rache, Meister? Habt Ihr Ulrichs Verfahren gegen Euch vergessen? Diese Qualen gehen vorüber und er wird am Ende das Fräulein dennoch heimführen. Wie ich hörte, soll zu Landau Luther selber Beide copuliren.«

»So? Gut ausgedacht!« spöttelte Faust. »Der große Reformator in höchst eigener Person kuppelt sie zusammen, – die Vornehmsten des Adels stehen als Brautführer, – der ganze versammelte, niedere Reichsadel muß Herrn Ulrich um die gerühmte Fleckensteinerin beneiden, – ei! wie mag der stolze Pfau die Federn stellen. Wahrhaftig, höchst weise ausgesonnen! Indeß haben die Planeten anders beschlossen.«

»Wenn's auch nur nach Eurer Rechnung kommt, Meister!« besorgte der Famulus.

»Was? Meinst Du, meine Rache wäre nicht sicher und fürchterlich? Sorge nicht, – im entscheidenden Augenblick wird Huttenus delarvatus am Pranger stehen. Jetzt geh', und dieß für Deine frohe Botschaft.«

Er warf dem Famulus ein Silberstück hin, der sich mit tiefer Verbeugung entfernte. Faust durchschritt das Gemach, über seinen Racheplänen gegen Hutten brütend, bis er sich wieder in den Sessel niederließ und Luthers Schriften zu durchblättern anfing. Mehrmals begann der Gelehrte zu lesen, blätterte aber immer wieder mißvergnügt weiter. Um seinen Mund spielte das Lächeln der Verachtung und jeden Augenblick stieg die Geringschätzung, womit Faust die Schriften des großen Reformators behandelte, die Millionen Zeile für Zeile verehrt und bewundert hätten. Schon wollte er das Papier bei Seite werfen, da leuchtete es in munterer Laune durch seine Mienen und er brach in lautes Lachen aus.

»Ha, ha! Wie manierlich hat er da den Reichstag heimgeschickt! Beim Jupiter, – ein vortrefflicher Einfall!«

Die Stelle gefiel dem Astrologen dermaßen, daß er sie laut wiederholte.

›Gleich als wenn das hochgelehrte, durchleuchtige Vieh, – die Säue, auf ihrem Reichstage beschlössen: wir Säue gebieten, daß Niemand halten soll, daß Muskaten edel Gewürz sei, was sie aber seien, das wissen wir nicht. Wir halten aber etliche, es seien Trester, etliche, es seien Kleien, etliche, es seien Kohlblätter. Ebenso weislich handeln sie auch, unsere hochgelehrten, durchleuchtigsten Säue auf dem Reichstage.‹ Witt. A. II. 69. b.

Mit mehr Interesse las der Doktor weiter, und bald schien er einen zweiten angenehmen Fund gemacht zu haben, den er mit kurzem, abgebrochenem Lachen begrüßte.

›Wir haben die Art aller Thiere an uns,‹ las Faust. ›Der Wolf frißt Schafe, wir auch; der Fuchs frißt Hühner, wir auch; Hechte fressen Fische, wir auch. Mit den Ochsen, Pferden, Kühen essen wir auch Gras; mit den Schweinen essen wir Mist und Dreck.‹ Luth. Leipz. A. S. 109. b.

Dieser merkwürdige Vergleich Luthers zwischen Mensch und Thier, welcher nach Verschiedenheit des Charakters dem Leser Aerger, Abscheu oder Mitleiden einflößt, versetzte Faust sonderbarer Weise in ernstes Nachsinnen.

»Beim Siebengestirn!« rief er überrascht aus; »diese plumpe Erörterung hängt ja mit meinen mikrokosmologischen Forschungen über den Menschen zusammen. Ich schätzte diesen Augustiner zu gering. – Sagt er in seiner groben Weise nicht dasselbe, was ich in gelehrter Form niederschrieb? Ja – ja! es ist so, – wenn auch im Erkennen noch weit zurück, läuft Luther mit mir dieselbe Bahn. Diese Stelle hier, las er in der Schrift weiter, bestätigt dieß neuerdings! ›Gott wirket auch alle bösen Werke in uns; denn nicht wie wir, sondern wie er will, also leben und thun wir alle Dinge!‹« [Fehlende Fußnote im Buch. Re]

Mit Wohlgefallen ruhte des Astrologen Blick noch einige Sekunden auf obigem Satze.

»Vollkommen einverstanden!« sprach er mit gelehrter Miene. »Der Mensch muß ebenso thun, was er thut, wie jedes andere Geschöpf. Das Gesetz der Nothwendigkeit waltet überall: – nach dem Lichte muß die Pflanze wachsen, nach der Erde Mittelpunkt wird der Stein gezogen, und den Menschen zieht das Fatum. Ganz recht, – bin mit Dir einverstanden, Luther! – Aber,« und des Doktors Angesicht glühte vor Neugierde; »möchte doch sehen, was Du von ›Gott‹ hältst! Sollten wir Beide auch hierin einig sein? Doch es ist unmöglich; zu solcher Höhe der Erkenntniß hat sich des Mönches Geist noch nicht geschwungen. Ihm lebt noch der Gott des Aberglaubens, – die Weltseele, das Alles Bewegende, die Urmaterie, – dieses Fluidum immobile, ist ihm noch fremd.«

Faust las und suchte eifrig fort, bis er endlich auf eine Stelle stieß, die seine höchste Bewunderung erregte. Sie lautete folgendermaßen:

›Wenn sich der hl. Geist beschneiden lassen sollte, wäre es schade um die schönen Federn!‹ Witt. A. S. 350. b.

»Was soll dieser Spott gegen die Gottheit des Aberglaubens?« folgerte Faust. »Was soll er anders, als dem Volke diese göttliche Wesenheit lächerlich machen? Fürwahr, Luther steht im Erkennen mir nahe! – Die guten Werke verdammt er, – den freien Willen läugnet er, stellt den Menschen unter das Gesetz der Nothwendigkeit, – sogar an die herrschende Gottheit legt der kühne Mann die Hand! Und wie schlau er allenthalben zu Werke geht, wie vorsichtig er vorwärts schreitet, – überall unter dem Schilde des lauteren Evangeliums gegen das höllische Papstthum!«

Huttens Eintritt unterbrach den Astrologen.

»Seh' ich recht,« rief Ulrich, »Faust studirt Luthers Werke? Beschmutzt doch Eure Humaniora mit des Mönches tollem Zeug nicht.«

»Langsam, Herr Poet!« versetzte der Doktor. »Luther ist ein so guter Humanist, als wir Beide. Da lest nur diese Stelle hier!«

»Nun, – was lese ich da?« sprach Hutten in die Schrift sehend. ›Der Mensch hat keinen freien Willen, als die Kühe zu melken; Witt. S. 122. – des Menschen Sohn ist gekommen, selig zu machen, was verloren war, aber er stellt sich närrisch genug dazu; Luth. Tischr. Eisl. A. S. 127. – unser Herrgott hat noch nicht viel Wittembergisch und Torgisch Bier getrunken.‹ Luth. Tischr. Leipz. Augsb. S. 378. – Zum Teufel, Faust, was soll dieser Unsinn?«

»Unsinn? – was? Merkt Ihr nicht, worauf es abgesehen?« vertheidigte Faust. »Hat Lucian nicht durch seinen Spott Griechenlands Götter aus dem Volksglauben hinweggefegt? Gleiche Absicht leitet diesen Augustiner!«

»Haltet Ihr Luther im Ernst für einen Atheisten?«

»Warum nicht? Muß ich nicht?«

»Ei, so schlagt ihn gleich zum Humanisten!« lachte Ulrich.

»Er verdiente es; – lest nur hier diese Stelle: – ›Niemand kann das Gesetz halten; meine Sünden sind nicht meine, sondern Christi, dem lege ich sie auf den Rücken!‹ Witt. A. V. S. 317. Enthält dieser Ausspruch nicht abermals den Kern des Humanismus? Frei und ledig ist der Mensch von allen Geboten mosaischen und christlichen Zwanges.«

»Ihr unterschiebt dem Reformator eine allzu erhabene Absicht,« sprach Hutten. »Dies Alles thut er nur, weil die Sache in seinen Kram paßt.«

»Warum er's thut, dieß gilt mir gleich, – er thut's!« rief der Astrologe. »Er zeigt seinen Anhängern dasselbe Ziel, wie unsere Humanisten: Verachtung abergläubischer Gesetze, Ungebundenheit des Willens. Wir nennen dieß: Selbstvergötterung; er nennt es: freies Evangelium. Glaubt mir Ulrich!« sprach Faust beinahe im Tone der Vertraulichkeit: »diese Lehren des Mönches erzeugen ein Geschlecht, das nicht könnte freier sein. Laßt diese Lehren in's Volk dringen, kommt nach hundert Jahren wieder, und Ihr zählt die Atheisten nach Tausenden!«

»Amen, – sage ich zu Eurer Prophezeiung!« sprach Hutten. »Aber Faust, weßhalb gabt Ihr Franz den närrischen Rath, mit den Reformatoren sich herumzubeißen? Ist es doch für den Ritter jedesmal eine Art Brechmittel, das theologische Kauderwelsch anzuhören.«

»Den ›närrischen Rath‹ in Deinen Hals, Junge,« zürnte Faust. »Doch still, – sie kommen!«

Die Thüre ging auf und Franz von Sickingen trat herein, umgeben von den vier Reformatoren.

Des Burgherrn ungemein reicher und prächtiger Anzug entsprach ganz der Wichtigkeit, die er in die beginnende Berathung legen wollte; selbst das kriegerische Angesicht hatte eine feierliche Miene angezogen.

Die Reformatoren zeigten nicht minder Ernst und Wichtigkeit. Bucer allein mochte den wahren Grund dieser Zusammenkunft durchschauen; denn es spielte ein leichtes Lächeln um seine schmalen Lippen, da er von Faust weg vor sich niedersah.

Neben Bucer saß Kaspar Aquila, Luthers Liebling der mit Weib und Kind bei Sickingen sich befand und zu Ebernburg die Rolle eines Kaplans versah. Aquila's Verehrung und Bewunderung für Luther war bekanntlich grenzenlos. Des Wittenberger Reformators Schriften stellte er weit über die Bibel. Er bemühte sich, Luthers ganzes Wesen, dessen derbe Sprachweise, sogar dessen Gang und Ungestüm nachzuahmen. Bekanntlich haßte der Augustiner den Papst von ganzer Seele, aber Aquila suchte ihn hierin noch zu übertreffen. Niemals kam der Name des Kirchenoberhauptes über seine Lippen, ohne daß er mit dem Fuße heftig auf den Boden stampfte und seine beweglichen Züge verzerrt wurden. Döllinger II. B. S. 132-135.

Von den beiden andern Reformatoren, Johann Oekolampadius und Schwebel, ist nur zu bemerken, daß sie bereits anfingen, bedeutende Veränderungen in Luthers Lehren sich zu erlauben, und darum von Aquila mit argwöhnischen Augen betrachtet wurden.

Der Burgherr blätterte in Luthers Schriften herum, als suche er eine bestimmte Stelle, indeß die Augen der Reformatoren erwartungsvoll auf dem mächtigen Beschützer ihrer Person und Lehre ruhten. Bucers forschender Blick gleitete wiederholt von Hutten, welcher mit der Miene des Ernstes dasaß, auf Faust, durch dessen Züge die Laune des Spottes schimmerte.

»Hier ist die Stelle!« sprach Sickingen, mit der flachen Hand über das Papier hinfahrend. Die Erwartung der Reformatoren steigerte sich zur höchsten Spannung.

»Zweimal durchlas ich diese geistvolle Schrift unseres ehrwürdigen Vaters,« fuhr Sickingen fort, ohne das Auge vom Tische zu erheben; »ließ mir auch keine Mühe verdrießen, in den Geist des großen Kirchenstifters einzudringen,« – Aquila rückte auf dem Sitze hin und her, und sein Gesicht strahlte vor Entzücken über des Meisters Lob; »dennoch bleibt mir die Hauptsache dunkel, – nämlich die Lehre von der Rechtfertigung des Menschen. Der heilige Mann selber nennt diese Lehre den Hauptartikel. Er sagt hier: ›Wenn der Artikel weg ist, so ist die Kirche weg und kann keinem Irrthum widerstanden werden, weil außer diesem Artikel der heilige Geist nicht bei uns sein will, noch kann.‹ Luth. W. Jen. A. IV. S. 339. – Gerade dieser Hauptpunkt ist mir aber unverständlich, und da ich mir's zur Ehre rechne, unter den gelehrtesten Schülern des erleuchteten Gottesmannes zu sitzen, mögt Ihr, geehrte Herren, die Stelle mir auslegen.«

Faust entging die Bewegung nicht, welche bei Berührung der Rechtfertigungslehre unter den Reformatoren entstand; denn gerade diese Grundlehre des lautern Evangeliums wurde von den Stiftern der neuen Kirche widersprechend verstanden. Während Aquila mit blinder Hingabe Luthers Meinung anhing, hegten Bucer, Oekolampadius und Schwebel ganz verschiedene Ansichten. Dabei stritten die Reformatoren mit großer Leidenschaftlichkeit und Erbitterung für die eigene Ueberzeugung, und Faust, den nahen Streit voraussehend, strich wohlgefällig seinen Bart und weidete sich an der peinlichen Verlegenheit der Verkünder des lautern Evangeliums.

»Zur leichtern Lösung wäre es gut,« sprach der bedächtige Bucer, »wenn Ihr den Satz angeben würdet, über den Ihr Zweifel hegt.«

»Zweifel? Behüte Gott!« wehrte Franz. »Nichts trifft mein Zweifel. Jedenfalls ließ der heilige Geist den erleuchteten Reformator die Worte niederschreiben: ›Der Mensch wird gerecht und heilig vor Gott durch den bloßen Glauben, – ohne die Werke!‹ Unbegreiflich ist mir aber, wie ein Räuber, Mörder und Ehebrecher ebenso heilig sein kann, wie jener, welcher diese Dinge meidet.«

»Luther verwirft die guten Werke gerade nicht,« sprach Bucer, mit einem schielenden, fast ängstlichen Blicke auf Aquila; »er meint nur, sie seien zur Seligkeit nicht absolut nothwendig.«

»Er nennt sie aber doch schädlich!« versetzte Franz. »Seht, – hier steht: ›Wo Jemand nicht abgetödtet ist, schaden ihm die Tugenden und guten Werke mehr, als die Sünden.‹ Walch. A. XII. 2283. – Döll. III. B. S. 19. Anm. – Also, – schloß Sickingen, sind die guten Werke schädlich.«

»Schädlich, – allerdings für den Nichtabgetödteten, d. h. für den Ungläubigen,« erklärte Bucer. »Wie aber das Licht ohne zu leuchten nicht bestehen kann, so kann auch der Gläubige ohne gute Werke nicht bestehen.«

»Nehmt Euch in Acht, Herr Doktor, – verdreht unseres Meisters Lehren nicht!« rief Aquila drohend mit erhobenem Finger. »Hier gibt's nichts zu deuteln und zu drehen, jedes Wort ist klar und schlagend. ›Bist du ein Buhle, ein Bube, Ehebrecher oder sonst ein Sünder, glaubest aber, so bist Du auf dem Wege der Seligkeit.‹ Witt. d. A. Th. 12. f. 228 ff. – Das sind Luthers Worte; – könnten sie deutlicher sein? Geht daraus nicht hervor, daß Jemand glauben, und dabei doch ein Verbrecher, Mörder und Räuber sein kann? Wer sagt Euch also, Herr Bucer, daß der Gläubige gute Werke thun muß?« und er blickte mit streitsüchtiger Miene dem Doktor in's Gesicht, welcher schweigend niedersah.

»Alle Achtung vor Luthers Gelehrsamkeit!« sprach Schwebel, ein heftiger Gegner von des Augustiners Rechtfertigungslehre. »In diesem Punkte könnte er sich aber doch geirrt haben.«

»Was, geirrt haben könnte er?« rief Aquila im Tone staunender Erbitterung. »Ihr wollt Luther des Irrthums beschuldigen, – Ihr, nicht werth, dessen Schuhriemen aufzulösen?«

»Wenigstens widerstreitet die Schrift solcher Auffassung; denn allenthalben predigt und befiehlt sie gute Werke,« sagte Oekolampadius.

»Ei, Herr Prediger,« spöttelte Aquila voll Aerger; »wollt Ihr nicht nach Wittenberg gehen und Meister Luther die Bibel verstehen lehren? Besser wär's Euch, Luthers Schrifterklärung zu lesen, als ihm grob über's Maul zu fahren.«

»Nun, ich möchte doch sehen, wie er den Dekalogus aus der Bibel streicht!« entgegnete Oekolampadius gereizt. »Ja, das möcht' ich sehen! Gott befiehlt: Du sollst nicht tödten, sollst nicht ehebrechen, – Luther sagt: Tödte wacker zu, brich die Ehe, – bist auf dem Weg' zur Seligkeit; ein feiner Bibelerklärer fürwahr!«

Aquila starrte mit weitaufgerissenem Auge den Sprecher an, und der Zorn erstickte vollständig seine Stimme. Dieses aufgezwungene Stillschweigen benützte Bucer schnell, um vermittelnd einzugreifen, bevor der Streit heftig entbrennen würde.

»Luther überwand allerdings diese Schwierigkeit,« sprach er. »Nach seiner Erklärung gab Gott nur spottweise die Gebote, als wollte er damit sagen: Thut es doch einmal, ob ihr's könnt, – ihr könnt es aber nicht, es steht nicht in eurer Macht, die Gebote zu erfüllen.« Döll. B. III. S. 29.

»Eine höchst feine Erklärung!« meinte Faust. »Ganz recht, Gott wollte mit seinen Gesetzgebungen die Menschen nur auf's Eis führen.«

»Pfui, Gott zum Spötter machen zu wollen!« schalt Schwebel.

»Schmach und Schande über solche Bibelerklärung,« rief Oekolampadius. »Kein Papist und Moabiter würde also mit dem lieben Herrgott umgehen.«

»Wohl aber ihr Eidsvergessene!« rief Aquila zornig, mit glühendem Gesichte und funkelnden Augen. »Ist das der Dank, daß Luther aus den Banden und Gräueln des Papstthums Euch befreite, – ist das der Dank?«

»Nach Luthers eigener Behauptung steht Jedem das Recht zu, die Schrift zu erklären,« sprach Schwebel. »Warum sollen wir von diesem Rechte keinen Gebrauch machen?«

»Ihr wollt sagen,« – unterbrach ihn Oekolampadius; – »jedem vom Geiste Gottes Besessenen steht das Recht zu, das ist auch meine Ansicht.«

»Nein, nein, – Jedem ohne Ausnahme!« rief Schwebel. »Wer dieß nicht zugibt, ist ein Papist.«

»Entscheidet Ihr, Doktor Bucer!« wandte sich Oekolampadius an diesen Gelehrten, der zum großen Verdrusse unter den Häuptern der Neulehre vor Laienaugen den Streit immer weiter sich verbreiten sah. »Unmöglich darf jeder Schalk und Bube die Schrift auslegen; lieber lasse ich mich in Stücke reißen, als daß ich dieß zugebe,« betheuerte Oekolampadius.

»Ihr kommt vom eigentlichen Punkte ganz ab,« sprach Bucer mit äußerlicher Ruhe, innerlich aber voll Aerger, besonders über Faust's höhnisch lachendes Gesicht. »Unser edler Beschützer verlangt Aufschluß über die Rechtfertigungslehre, und Ihr gerathet auf ein ganz anderes Gebiet.«

»Nun ja, ich stütze mich auf St. Pauli Ausspruch,« rief Schwebel, »daß kein Räuber, Mörder, Ehebrecher, Trunkenbold, Wüstling in's Himmelreich kann eingehen, und daß der Glaube ohne die Werke todt ist. Wer anders lehrt, widerspricht der Schrift und ist schlimmer als Papst und Teufel.«

»Luther hin Luther her, ist dies auch meine Ansicht!« sprach Oekolampadius.

»Und Eure Meinung, Herr Bucer?« fragte Sickingen.

»Die Sache ist schwierig und voller Hacken,« erwiderte vorsichtig der Gelehrte; »sie läßt sich mit wenigen Worten nicht geben.«

»Ja, schwierig für aufrührerische, große Geister, welche des Meisters Zuchtruthe entlaufen sind,« brach Aquila los, alle Mäßigung vergessend, die er wenigstens Sickingens Gegenwart schuldig war. »Habt Ihr nicht gelesen, daß Menschen keinen freien Willen haben, und darum nicht thun können, was sie wollen? Habt Ihr das nicht gelesen?«

»Wo steht das, – wo steht's?« riefen Schwebel und Oekolampadius aus einem Munde.

 »Hier steht's - hier!«

»Hier steht's – hier!« entgegnete Aquila heftig, in Luthers Schrift blätternd. »Da seht, Ihr gelehrten Herren, hier steht: ›Darum verwerfe und verdamme ich, als eitel Irrthum, alle Lehren, so unsern freien Willen preisen; – der Wille des Menschen ist ein Pferd, welches der Teufel reitet!‹« Wittenb. A. V. S. 114. Dölling. III. B. S. 24. –

»Eine schändliche Lehre!« rief Oekolampadius.

»Eine höllische Lehre!« bestätigte Schwebel.

»Eine höchst weise und angenehme Lehre!« sprach Faust. »Ich bin zwar kein erleuchteter Reformator und darf nicht entfernt auf solche Ehre Anspruch machen; indessen leuchtet mir die Bequemlichkeit dieser Lehre vollkommen ein. Dem lieben Herrgott oder dem Teufel, je nachdem einer dieser beiden unsern Willen reitet, alle Handlungen in die Schuhe schieben können, – ist dies nicht höchst trostreich?«

»Trostreich sagt Ihr?« rief Schwebel. »Höchst verderblich ist Luthers Rechtfertigungslehre. Die Furcht vor göttlicher Strafe hält das Volk im Zaume; was soll aus dem Volke werden, sobald es meint, Gott oder Satan wirke in ihm, Niemand sei für sein Thun verantwortlich? Wird nicht das größte Sittenverderbniß einreißen?«

»Ihr scheint wirklich vom Gestank des Papstthums nicht frei zu sein,« sprach Faust. »Sagt, worin besteht der Segen des freien Evangeliums, wenn der bloße Glaube nicht selig macht, und der Mensch nicht thun darf, was er will?«

»Recht habt Ihr!« rief Aquila, erfreut über des Astrologen Beistand. »Wozu unser Prahlen mit dem freien Evangelium, wozu unsere Verachtung gegen alle Papisten und Werkheilige, wozu unser Frohlocken, der Knechtschaft des römischen Papstes, dieses Menschenfressers, entronnen zu sein,« und er stampfte mit dem Fuße heftig auf den Boden, »wenn der bloße Glauben nicht selig macht und der Mensch vor Gott nicht gerecht wird ohne die Werke?«

»Schon gut!« wehrte Sickingen, da Oekolampadius im Begriffe stand, den Gegner anzufallen. »Obwohl in der Rechtfertigungslehre verschiedene Ansichten herrschen mögen, zweifle ich doch nicht, daß jene unseres allverehrten Luthers die richtige ist und befehle, daß nur sie in meinem Gebiete lauter und rein verkündet werde.«

Er stand auf und gab durch eine Bewegung zu verstehen, die Reformatoren möchten sich entfernen.

»Edler, großmüthiger Beschützer des lautern Gotteswortes!« sprach Aquila mit feierlicher Stimme und tiefer Verbeugung. »Gott segne Euch und Eure Plane; er gebe in Eure starke Hand die Schaufel, seine Tenne zu fegen und über den Trümmern des alten, ein neues, mächtigeres Reich zu gründen!«

Darauf wiederholte er seine tiefe Verbeugung und verließ mit den übrigen Reformatoren das Gemach.

»Gottlob, – das war ein hartes Stück Arbeit!« athmete Franz auf.

»Laßt Euch die Mühe nicht verdrießen,« entgegnete Faust. »Unser Zweck ist vollkommen erreicht. Selbst der Zwist war Euch günstig; er gab Gelegenheit, Euch für Luthers Lehre zu entscheiden. Aquila wird nicht säumen, Alles wörtlich nach Wittenberg zu berichten, er wird Euch rühmen als den treuesten Anhänger lutherischer Lehren.«

Ueber des Burgherrn Angesicht flog ein verächtliches Lächeln.

»Hab' ich einmal meinen gesunden Verstand verloren,« sprach er, »will ich der gläubigste Anhänger Luthers sein. – Ha, mit welcher Hitze diese Evangelisten sich anfallen! Ich glaube, sie sind nicht über zwei Lehrpunkte einig.«

»Dankt Eurem Planeten für Ihre Uneinigkeit,« sprach Faust. »Weßhalb errang der Papst solche Macht im deutschen Reiche? Weil er das Haupt einer fest geeinten geistigen Macht war. Die Häupter der neuen Lehre sind gespalten, – gut! Desto leichter wird Kaiser Franz allgebietender Herr sein!«

»Da hört, – da hört!« rief Hutten, welcher an die Thüre getreten war und lauschte. »Franz, so höre doch, eben gibt's eine Reformatorenschlacht.«

Heftiges Geschrei schallte durch den Gang, und da Hutten die Thüre etwas öffnete, hörte man Aquila's helle Stimme seine Gegner andonnern. Der Mann mußte hart angefallen worden sein; denn er schüttete einen ganzen Strom von Schmähungen aus, die um so reichlicher ihm zu Gebote standen, da er alle Schlagwörter Luthers getreulich aufschrieb und diese noch durch eigene Erfindung vermehrte. Hutten lachte hell auf.

»Was?« zetterte Aquila. »Was, – Luther ein Gottesverräther? Das seid Ihr, Ihr blinden Leiter, Ihr neidischen Kainiten, Ihr Gesetznarren, Ihr groben Klötze, Ihr Schandmäuler!«

»Geht nach Wittenberg, geht nach Wittenberg,« schallte Schwebels Baßstimme dazwischen; »dort sitzt das größte Schandmaul, der gröbste Klotz.«

»So du fauler Bauch, ist das der Dank für Luthers Werk?« zürnte Aquila. »Wer hat Dich zusammengekuppelt mit Deiner Nonne, wer anders, als Luthers Evangelium? Ist das der Dank, Du unfläthiger Wanst, Du schnöder, garstiger Madensack?«

Vergebens hörte man Bucers Stimme mahnend und beruhigend dazwischen reden; der Streit entbrannte immer heftiger. Döllinger I. S. 100-102. III. S. 493 sq.

»Ulrich, schließ' die Thüre! Das ist doch ein recht hündisches Hadern,« sprach Sickingen.

»Nur gut, daß die Herrn solche Furcht vor Blut und Wunden haben,« lachte Hutten; »sie würden sich ohne Zweifel die Hälse abschneiden.«

»Auch unser Bundesgenosse, Churfürst Albrecht von Mainz, scheint das Blut zu scheuen,« sagte Franz, einen Brief hervorziehend. »Dies Schreiben lief heute von ihm ein.« Ernst Münch, a. a. O.

»Was schreibt er?« forschte Hutten gespannt. »Will er Luther aufnehmen? Will er offen zu uns stehen? Trat er mit dem Cölner Erzbischof in Unterhandlung? So sprich doch Franz, wie schreibt er?«

»Wie schreibt er,« wiederholte Sickingen verdrießlich; »lahm, winkelzügig, glatt, mit tausend Vorbehalten – schreibt er. Da lies!«

»Beurtheilt unsern Albrecht nicht zu strenge,« sagte Faust. »Der Mann hat zur Vorsicht alle Ursache, da Rom ihn scharf in's Auge faßte.«

»Ich weiß nicht, was Du willst Franz!« rief Hutten, nachdem er den Brief gelesen. »Der Fürst stellt 300 wohl ausgerüstete Reiter, besoldet sie während des Feldzuges, – zahlt dazu 600 Gulden in die Kriegskasse, – sperrt den Rhein, – schneidet Richard alle Zufuhr ab, – was willst Du mehr? Könnte Albrecht gegen den Trierer brüderlicher handeln?«

»Und was verlangt er für All' dies?« Ernst Münch, a. a. O.

»So wenig, als möglich!« entgegnete Hutten.

»Du scheinst die Häckchen und Hinterpförtchen nicht zu bemerken,« sprach Sickingen. »Und dazu die verfluchten Clauseln! Die Landauer Tagfahrt soll glänzend ausfallen, – die Reichsstädte müssen dem Bündnisse beitreten, – der Feldzug muß in diesem Jahre noch beginnen, – und zuletzt muß unser fürstlicher Bundesgenosse – zum Primas der neuen Kirche erhoben werden. Ich dächte, dies wäre mehr, als zu viel verlangt.«

»Durchaus nicht; denn All dies wird in Erfüllung gehen,« antwortete Ulrich. »Der Adel brennt vor Begierde, Dich an die Spitze der Bewegung zu stellen; die Reichsstädte erkennen ihren Vortheil und können nicht warten, die vollen Säckel für den Krieg zu öffnen. Alle Vorkehrungen sind getroffen, der Feldzug kann beginnen, sobald wir in die Kriegstrompete stoßen, – kurz, Albrecht wird vollkommen befriedigt.«

»Wo bleibt der Primas?« warf Sickingen spitz hin.

»Der Primas – ja, dies wäre der einzig kitzliche Punkt,« sagte Hutten bedenklich. »Luther wird um jeden Preis der Primas sein wollen und in gleicher Sphäre Keinen neben sich dulden. Allerdings, eine ärgerliche Forderung – das!«

»Wie möcht Ihr Euch darüber den Kopf zerbrechen,« sprach Faust. »Weder Albrecht, noch Luther wird Primas; laßt Kaiser Franz nur erst den Thron besteigen, dann mag den Oberpriester des Kaisers Hauch erzeugen.«

»Sehr gut Faust!« lobte Hutten. »Solche Kleinigkeiten ergeben sich von selbst.«

»Auch die Summe setzte Albrecht zu niedrig an,« sprach Sickingen. »Der Adel führt uns wohl hinreichende Streitkräfte zu, aber kein Geld, – und Geld müssen wir in Fülle haben.«

»Dafür laß die Reichsstädte sorgen,« bemerkte Hutten. »Dazu liegen in Stiften und Klöstern noch ungeheure Geldsummen und Schätze begraben; – richtig, daß ich's nicht vergesse! Der Augenblick ist jetzt gekommen, Deinen Plan gegen die Abtei Stürzelbronn auszuführen. Die Reichthümer des Klosters wurden durch 200,000 Gulden vermehrt.«

»Wir sind vorbereitet. Ich erwarte nur Obersteins Rückkehr,« antwortete Franz.

»Ueberlaß mir die Ausführung dieses Handels,« bat Hutten.

»Weßhalb?«

»Laß die Sache wenigstens unter meinem Namen geschehen, sie möchte Dir schaden.«

»Schaden?«

»Nun ja, – Windstein ist Stürzelbronns Patron,« versetzte Hutten, wobei ein listiges Lächeln um seinen Mund spielte. »Immerhin könnte er zwar dies sein, wäre der Junker nicht Dein Bundesgenosse.«

Sickingens Stirne umwölkte sich, was Ulrich mit Freuden zu bemerken schien. Der Astrologe war in eine Fenstervertiefung zurückgetreten, und musterte Hutten mit verächtlichen Blicken. Faust durchschaute nämlich Ulrichs Absicht, Windstein mit Sickingen zu entzweien, was unfehlbar durch die beabsichtigte Aufhebung der Abtei geschehen wäre. Ebenso erkannte Faust den tiefsten Grund zu Huttens Plan: – Feindseligkeiten zwischen dem schönen Junker von Windstein und dem mächtigen Sickingen würden dem eifersüchtigen Bräutigam tausend Gelegenheiten geboten haben, den verhaßten Nebenbuhler zu erdrücken. Der Astrologe lachte hämisch in den Bart, und freute sich zum Voraus an Huttens fehlgeschlagenem Racheplan; denn er hoffte zuversichtlich, Sickingen würde eher die Schätze Stürzelbronns verlieren, als einen Mann, den ihm die Planeten als Freund und Bundesgenossen bezeichneten.

»Du hast Recht, Ulrich!« sprach der Burgherr endlich. »Der Ueberfall kann in meinem Namen nicht geschehen, – mit Windstein möchte ich nicht in Fehde kommen.«

Huttens triumphirende Mienen zeigten, daß Sickingen eine neue Masche zum Gewebe fügte, das er zu Windsteins Verderben ersonnen.

»Am besten,« rieth er, »wir lassen die Abtei durch Arnsberg oder sonst Einen vom Adel rupfen; denn wir beide stehen in zu naher Berührung und Windstein ist klug genug, zu erkennen, daß ich in solchen Dingen jederzeit in Uebereinstimmung mit meinem Franz handle.«

Ulrichs Berechnung gemäß, verwarf Sickingen diesen Vorschlag.

»Dies geht nicht!« sprach er. »Durch meine Leute muß der Span ausgefochten werden, – will keinem Anderen die Säckel füllen.«

»Allerdings wär's zu viel gewagt, solch steinreiches Kloster fremder Ausbeute zu überlassen,« meinte Ulrich, seines Freundes Habsucht arglistig reizend. »Sogar für den getreuesten Waffenbruder möchte die Versuchung zu groß sein, einige Geldsäcke im eigenen Interesse bei Seite zu schaffen. – Wohlan, ist der Fehdebrief geschrieben? Ich möchte nicht unangemeldet kommen, sondern nach ritterlichem Brauch den Mönchen den güld'nen Pelz abstreifen.«

»Magst ihn selber schreiben und mein Insiegel d'ran hängen,« versetzte der Burgherr in finsterem Sinnen.

»Und wann darf ich losbrechen?« forschte Hutten mit schwer verhaltenem Entzücken.

»Nach Belieben!« entgegnete Franz, einige Schritte durch das Zimmer gehend, und zwar in einem Tone, der höchst unsicher und schwankend war.

Faust schwieg bisher und folgte mit schadenfrohem Lächeln Huttens Umtrieben gegen Windstein. Er schien den Feind ungestört den boshaften Zweck erreichen lassen zu wollen, um ihn dann durch dessen plötzliche Zerstörung desto empfindlicher zu verletzen. Da nun der Junker freudig aus dem Gemache stürmen wollte, um durch Absendung des Fehdebriefs der Abtei Untergang und Verderben anzukündigen, trat der Astrologe ernst dazwischen.

»Langsam, Herr Poet!« rief er, und gegen Sickingen gewandt, fragte er gewichtig und, bedeutungsvoll: »Habt Ihr die Konstellation vergessen?«

»Nein!« antwortete Franz mit einer Ruhe und Entschlossenheit, welche Faust nicht erwartete.

»Gut!« that der Astrologe verletzt. »Schickt Euren Fehdebrief ab; – die Mönche werden nicht säumen, Windsteins Schutz anzurufen! Dieser junge Held wird entweder Eurer Uebermacht unterliegen, oder Euren Anfall zurückschlagen; jedenfalls wird er Euer geschworner Feind werden, und zwar,« setzte er mit schneidendem Vorwurfe hinzu, »gegen Willen und Bestimmung Eures Planeten.«

»Bleib' Ulrich, es geht nicht!« sprach Sickingen voll Verdruß.

»Zum Teufel, was frägst Du nach dem Windstein?« rief Hutten. »Können wir mit Stürzelbronns Schätzen nicht 10,000 tapfere Lanzen auf Jahr und Tag werben? Laß den Junker fahren, – niemals wird er von Herzen unserer Sache ergeben sein.«

»Mit Verlaub, Herr Poet, das versteht Ihr nicht!« sprach der Doktor. »Es handelt sich keineswegs um zwei – oder zwanzig Tausend rüstige Arme, es handelt sich darum, den Planeten zu gehorchen. Ja, – die Sterne haben gesprochen, – wir fügen uns. Wir sind verpflichtet, um jeden Preis den Windsteiner uns zu erhalten, da sein Gestirn in der nämlichen Sphäre mit dem Planeten unseres edlen Ritters kreist.«

Hutten knirschte vor Wuth. In des Astrologen listig schielendem Auge las er nur zu deutlich die Ursache zur vorgeblichen Konstellation, die nicht besser ausgedacht werden konnte, um ihn, den eifersüchtigen Liebhaber, zu quälen. Anderseits erkannte er die Unmöglichkeit, das Horoskop zu entkräften; denn Sickingens Wille stand unerschütterlich, sobald die Gestirne gesprochen hatten.

»Du willst also die reiche Abtei fahren lassen?« fragte er.

»Nicht nothwendig, Herr Poet!« antwortete der Doktor. »Die Sache wird nur aufgeschoben. Kein Edelmann ist stark genug, die hundert Mönche zu verschlucken; – müssen selber unserem Ritter die Schätze hüten, bis er nach höherem Willen berechtigt ist, dieselben zu heben.«

»So sei's, – der Handel wird vertagt,« sprach Sickingen bestimmt. – »Was spricht das Horoskop von heute Nacht, Meister Faust?«

»Unendlich viel!« erwiederte dieser mit feierlicher Miene. »Kommt und seht!«

Im Weggehen warf Faust einen vollen Blick befriedigter Rache Hutten zu und verließ mit Sickingen das Gemach. Der Junker blieb zurück, schäumend vor Wuth, und ganz den Ausbrüchen seines leidenschaftlichen Wesens überlassen. Er rannte im Zimmer hin und her, verfluchte Faust, Windstein, Sickingen und die ganze Welt. Endlich wurde sein Schritt langsamer und er versank in finsteres Hinbrüten, aus dem er mit den Worten erwachte: »Auf dem Wege geht's, – sie beide müssen fallen! Nur langsam, klug, – aber sicher!«

Er fuhr mit der Hand über das Gesicht, als wolle er die häßlichen Rachepläne wegwischen und verließ das Gemach.


 


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