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Sie hatte so in sich selbst verschlossen gelebt – in ihrer Arbeit.
Sie hatte gewissermaßen nicht für ihre eigene Person erstrebt, was sie nun anfing, zu besitzen.
Das Weib in ihr war es, was sich mühte, was rang, was ein Ziel verfolgte, was tief erregt bei jedem Mißlingen verzweifelte, was aufjauchzte bei jedem Gelingen.
Sie wollte den Begriff Weib in sich selbst umwerten, umgestalten. Erlöser – Seligkeit und Schmerzen standen ihrer Seele nach.
Weltfremd, jahrelang nur von einem fanatischen Arbeitsgeist besessen, war ihr vieles jetzt so neu.
289 Wie mit wunden Nerven hatte sie seit jener Nacht vor fünf Jahren das Weibsein empfunden. Das Geschöpf zweiter Klasse sein, das Ausgeschlossen-sein von allem geistig Lebendigen, das Stehengebliebene, Unentwickelte – nur Körperliche.
Es war so etwas Trauriges – um das Weib . . .
Sie arbeitete fanatisch, sprach aber zu keinem von ihrer Arbeit – kein Wort über Kunst! Taktlos – albern von einem Weib. Wozu? Einfach lächerlich!
Wo sie hinblickte, traf sie auf eine schmähliche Kränkung.
Jedes Buch, das sie aufschlug, bestätigte was sie empfand.
Begeisterte sie sich an einem großen Geist der Vergangenheit, mußte sie vergessen und darüber hinwegsehen, daß dieser Geist nicht über die Erde gegangen war, ohne daß er dem Weib ein neues Schandmal aufgedrückt hatte. – Wie ein Fluch 290 traf sie es, als sie auch durchschaut hatte, daß Buddha, der Wundervolle, der Tiefste der Tiefen, der Welterlöser, Leidensüberwinder, das Weib ausgeschlossen hatte – ausgeschlossen aus ihrem ureigensten Reich der Leidensüberwindung und Erkenntnis des Leidens.
Wohin sie sah, Schmach!
Sie litt unter der scharfen Einsicht in ihrer Lage – der Lage des Weibes.
Wie ein leidenschaftlicher – verzweifelter Fanatismus ergriff sie es oft.
Ihre Seele war so eine freie und frohe. Stolz, ausgelassen, freiheitstrunken wäre sie gern gewesen – wenn sie nicht immer alles gesehen und durchschaut hätte.
Wie Peitschenhiebe fuhr es oft über sie hin.
Sie konnte nicht so dumpf leben wie die andern – so breit, behaglich, angebetet und verachtet. Das stille, starre Totengesicht mit dem Zug der Weltüberwindung, der Schmerzüberwindung verließ sie jetzt seit Wochen nicht. – 291 Sie wollte und mußte dies Antlitz in sich schaffen. –
Sie wollte etwas bilden. – Das Antlitz des Weibes.
In dieser Zeit hörte sie zum ersten Mal mit Bewußtsein von der unglaublich wunderlichsten Sklavenbewegung.
Das Weib begann zu revoltieren, das Weib, das, so lang es Menschen auf Erden giebt, sich geduckt hatte. Das unüberschaubare Zeiten sich hatte treten und mißhandeln lassen, das wie ein hungriges Raubtier seit Jahrtausenden was es wollte, erlistet und erschlichen hatte.
In einer kleinen Provinzstadt, in einer Kochschule war ein sonniger Saal mit Tannenguirlanden und frischen Laubgewinden, Blumensträußen und Fähnchen dekoriert. Da kamen die Frauen zusammen.
Isolde trat etwas spät, von der Reise ermüdet, in den Saal ein, als schon alle versammelt waren.
292 Eine heiße, sonnige Luft.
Das welkende Laub strömte betäubend duftend seine Säfte aus. So etwas Mattes, wie Herbstgeruch in der schwülen Luft.
Kleiderstoffe, ein ganzes Feld von Hüten aller Arten und Formen. –
Häßlich, wie jede Menschenansammlung, eine Anhäufung von Lappen, die alles Menschliche versteckt, etwas Formloses, Totes, Trocknes.
Diese vielen Frauen, in ihren vielen Kleidern, bedrückten und verstimmten Isolde.
Aus all dem Wust die kleinen, welken, dummen, vom Leben angekränkelten Mondchen, die menschlichen Gesichter.
Was für ein Angefaultes, Angefressenes ist so eine Menschenmenge! – so etwas Trauriges, Schauriges, kümmerlich Verdecktes.
Vor weißverhangenen, sonnenbeschienenen Vorhängen saßen die Frauen vom Vorstand, kräftige Matronen; ein schmaler, langer Tisch vor ihnen. Die weißen, blendenden Vorhänge hinter ihnen 293 ließen sie wie kompakte, schwarze Schatten erscheinen.
Die Versammlung wurde in würdiger Form geleitet.
Ein Präsident konnte den Reichstag nicht vortrefflicher eröffnen.
Aus der Menge erhob sich hin und wieder aufgefordert eine und sprach, mit einem befangenen Stimmchen, von ungeheuren Dingen, unter denen die Menschheit seufzt.
Sie faßte diese Dinge bei einem kleinen Zipfel und zeigte ihn wie ein winziges Pröbchen von einem ganz wunderbaren, riesigen Stoff, in den ungeheure Gestalten, geheimnisvolle, mächtige Muster eingewirkt sind.
*
Isolde kannte ein altes Kloster in Südtirol, das hoch auf einem Felsen liegt, ein Kloster zur ewigen Anbetung.
Sie hatte einen Winter mit ihrer Mutter in 294 Südtirol zugebracht und am Allerseelentag war sie zu diesem Kloster in der Dämmerung hinaufgestiegen.
Weißverhangener Himmel, als wollte schon Schnee kommen; Regen rieselte, und Nebel stiegen dicht aus dem Thal auf und schieden das Kloster zur ewigen Anbetung von aller Welt ab, so daß es von keinem Auge mehr gesehen wurde. Geheimnisvoll, wie eine Gralsburg, schimmerte, wenn der Nebel ein wenig riß, ein Turm, eine Fensterreihe, wie mitten aus Wolken.
Eine unsagbare Einsamkeit war da oben – eine herzbeklemmende, bange Einsamkeit.
Und hoch vom Felsen, aus der kleinen, im tiefen Nebel verborgenen uralten Klosterkirche heraus kamen zwei Stimmchen, wie im unendlichen Raume schwebend – so traurig, so weltverlassen. So körperlos mystisch, so übermenschlich weh sangen die Stimmchen am Allerseelentag vom Tod und vom Leiden der Welt.
Dieselben Stimmchen, im Raume schwebend, 295 drangen jetzt wieder zu ihr, rührend, weltfremd, schmerzbeladen, ihre Seele bedrängend. Dazu parlamentarische Würde und Sicherheit, ein ganz wunderliches Gemisch. So etwas Strammes, als hätten die mächtigen dunkeln Schatten der Frauen am Vorstandstisch, vor dem grellen Hintergrund, Boden unter den Füßen und könnten aus eignem Grund sich regen, so etwas Gesetzmäßiges, Wichtiges, als wären die Gesetze schon da, um besser, menschenwürdiger zu leben.
Dazu der Saal mit den Guirlanden und Fähnchen! so unbeholfen sicher. Ein ganz eigner banger Eindruck.
In Isoldens Seele war das reine Totenangesicht wie eingebrannt. Das Gesicht, das mit seinem Ausdruck des Großgewordenen durch Leiden, wie eine Sonne alle lebendigen, befriedigten Gesichter überstrahlte. Es wurde ihr hier schwerer an dies Gesicht zu glauben, als irgendwo sonst.
Und doch – in den weltfremden, weltverlassenen Stimmchen zitterten Laute, so rührend 296 und lallend sie auch klangen, in denen das ganz Tiefe, das große Wollen lag – das Wollen, das sich Bahn bricht, sei es wie es sei.
*
Isolde träumte, während die kompakten Schatten Bericht erstatteten, was in Sache der Frauen in diesem Jahr geschehen und nicht geschehen war. Gut bürgerliche Vereinsbefriedigung lag währenddem über ihnen.
Isolde träumte, daß sie aufgestanden und an den Tisch vor den gelben Sonnenhintergrund getreten wäre und in die Blendung hinein und zu den mächtigen, dunkeln Schatten gesprochen hätte:
»Würdige Frauen, laßt doch eure Barmherzigkeit jung sein!
Jung und stark.
Laßt sie nicht alte ausgekrochne, ausgeschlichne Geleise schleichen.
Thut doch etwas ganz Erstaunliches! Etwas, 297 worüber die Welt in Lachen ausbricht, in Zorn und Wut. Weil ihr zu trotten versucht, wie der Mann trottet, so schwer und bedächtig – glaubt ihr, ihr habt es schon erreicht, was ihr wollt – oder werdet's erreichen? – O weh, etwas Altes!«
Aber das klagende Stimmchen im Raum ist noch so jung.
»Ich beschwöre euch, thut etwas Königliches, etwas Freies! Nichts Althergebrachtes. Nichts Kluges – nichts Vernünftiges – laßt die That der Frau wie eine lang verschüttete, eingeengte Quelle mächtig rücksichtslos hervorsprudeln – thut etwas, das davon zeugt, daß ihr den großen Willen habt, den weltüberwindenden Willen. Breitet eure großen Flügel aus wie Glucken. Bereitet dem jungen starken Weib ein Nest.
Ein eignes Nest mitten in der harten, frechen Welt. Baut eine uneinnehmbare Veste aus eurem Willen. Ohne daß ein Funke von Verachtung in eurem Blick aufsteigt, laßt in unangetasteter Reinheit das junge Weib ein Kind 298 ihr eigen nennen dürfen. – Ein Kind und Arbeit! Gebt ihnen Arbeit, bei der ihnen die Seele weit wird, und ein Kind, das ihnen das Herz froh macht. Seht ihr – ich gebe euch den großen Willen – nehmt ihn!
Laßt sie nicht in der Arbeit, nach einem Kind hungernd, wie ein Raubtier verlangen.
Macht etwas Ganzes aus ihr!
Breitet eure großen Flügel aus wie Glucken und laßt ihnen nichts geschehn!
Schützt sie, und sie sind geschützt, sagt, sie sind ehrbar – und sie sind ehrbar.
Schlagt ihn, er hat keinen Freund!
Aber hat er einen Freund, wer will den Menschen dann berühren? Wer kann ihm ernstlich schaden?
Des Menschen Wille schafft die Welt! Weshalb dem jungen Weib nicht ein Nest, worin es werden kann, was es werden will und werden muß, wenn es einmal mit beiden Lungen frei atmen kann, wie ein Geschöpf Gottes und beides 299 hat, ein Kind und Arbeit. Und aus diesem kleinen Nest wird eine neue starke Menschheit kommen – allen zum Trotz, die eine Menschheit von Sklaven und Haustieren wollen.
Achtung wird das Weib unter der Sonne genießen.
Lachen und jubeln wirds!
Die ungeheure Gesetzeslast und die Mißachtung hat die Frau mit einem leichten Fußtritt bei Seite geschoben wie durch ein Wunder, und wieder wie durch ein Wunder ist sie nun frei geworden – und sieht, daß sie nie gefangen war.
Streicht ihr über die verwirrten Augen mit sanften, klugen, wollenden Mutterhänden! und breitet die großen Flügel aus wie Glucken.«
So hatte Isolde, im Stuhl zurückgelehnt, thöricht geträumt, gerade als die würdigen Frauen am Vorstandstisch die Frage aufwarfen. »Soll die Frau den Titel des Mannes führen oder nicht?«
300 Und dann kam wieder eine andre sehr vernünftige, untadelhafte Frage – sehr korrekt.
Isolden war es zu Mute, als müßte draußen ein dunkles, starkes Gewitter ausbrechen.
Es schien aber helle, grelle Julisonne, kein Wölkchen am Himmel. Schwüle, erdrückende Schwüle im Saal. Die Laubguirlanden strömten ihre Säfte aus.
Es duftete nach sterbendem Laub und heißen Körpern, eine einschläfernde Atmosphäre.
Und doch stieg aus dieser drückenden Atmosphäre etwas Starkes, Lebendiges auf. Für eine feine Seele voller Weltliebe war es auch zu spüren.
Aber was ein Sturm sein sollte, war noch ein kleiner, spitzer Luftzug wie aus einer Fensterritze. 301