Helene Böhlau
Halbtier!
Helene Böhlau

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8.

Isolde erfuhr die Verlobung ihrer Schwester unvorbereitet.

Sie kam von Berlin zurück, eingehüllt in ihre große, tiefe Liebe wie in eine Wolke von Sehnsucht.

Die Mutter empfing Vater und Tochter freudestrahlend, wie es die Tradition will, und verkündete ihnen die Nachricht schon auf der Treppe.

Mit einer plumpen, die Kniee zusammenbrechenden Wucht, wie ein großes Raubtier auf sein Opfer, sprang die Verzweiflung auf Isolde.

Nicht Zeit zu einem Schrei!

Da war's geschehn.

Da hatte sie ihr Teil.

222 Sie wollte sich an ihren Vater halten um nicht zu fallen.

Ihr kam es aber vor, als griff sie in die Luft.

Und die Mutter war auch nichts als ein Gespenst – ein Nichts.

Da war kein Körper, der irgend etwas galt.

Ihre Hände hielten sich zwar, – aber sie fiel doch. Ihre Seele fiel und hörte gar nicht auf zu fallen in Dunkelheit hinein – endlos – endlos.

Und zu derselben Zeit, in der sie so tief und endlos fiel, fühlte sie, wie sie in das Zimmer trat und hörte sprechen und sah dies und das.

Ein dumpfes Rauschen umgab sie. Wie aus weiter Ferne hörte sie den Vater ungeduldig schelten.

»Was zum Teufel ist denn das?«

Doktor Frey stand mitten in dem weiß und goldenen Salon mit den frisch gewaschenen mit neuen Spitzen besetzten Vorhängen.

223 »Das ist die reinste Verrücktheit!«

Er sperrte ganz verblüfft Augen und Mund auf.

»Stellst du dir vor, Alte, ich laß mein gutes Geld von dir zum Fenster hinauswerfen? Läßt die gekündigte Wohnung neu herrichten! Daß i net lach!«

Er war in großer Wut.

»Gekündigt hast du?« – fragte Mama ganz betreten und zittrig. »I du meine Güte, davon weiß ich ja garnichts!«

Doktor Frey riß die Thür zum andern Zimmer auf, um zu sehn, wie es dort stand.

»So – na! – Merkwürdig!«

Er war einigermaßen beruhigt.

»Freilich ist gekündigt. Glaubst du etwa, ich bleib' in dem Loch? Und was ist denn noch geschehn, wenn ich bitten darf?«

Nun kam ein Sündenregister.

Doktor Frey ging erregt im Zimmer auf und nieder.

224 »Daß i net lach! Daß i net lach! Das war auch besonders nötig, daß eine von den Bamsen sofort an den Esel, den Mengersen . . . Nun, ich werd' euch auf die Finger passen, ihr! Das ist ja ein reizendes Willkommen!«

*

Als Isolde endlich allein in ihrem Zimmer war, schloß sie die Thür und warf sich auf den Fußboden.

Draußen schalt der Vater weiter und die Mutter weinte einmal laut auf.

Langgestreckt lag Isolde; – ein Schwindel erfaßte sie.

So tief, so tief, so dunkel und sie mitten darin!

Heute sollte sie ihn noch sehen und auch die Schwester – da griff sie mit den Armen in die Luft, da wollte sie wieder etwas fassen.

Auf den Boden warf sie sich vor ihr Bett und biß in den Fuß des Bettes, und verbiß sich 225 darin, wie ein wundes Tier, das mit dem Tode kämpft.

Ihre Augen fielen auf das Konsol mit dem Schädel darauf. Da hockte sie sich zurecht, die Arme um die Kniee, und starrte dem Schädel in Verzweiflung in die leeren Augenhöhlen und starrte und vergaß die Zeit.

Sie wollte denken – aber es ging nicht. Es war ja auch alles ganz gleich. Sie fing an zu singen, einen leierigen Gassenhauer.

Wie mit einem Messer schnitt sie dies Singen; – dann sang sie weiter übermütig lustig.

Wie that das?

*

Am Abend kamen sie wirklich beide. Er hatte seine Braut nach München begleitet. Isolde trat ihm ruhig entgegen; es gelang ihr ohne Mühe, weil doch alles eins war. Das eine that so weh, wie das andere.

Marie war hingebend weich und selig.

226 Henry Mengersen schien der Situation völlig gewachsen zu sein. Er hatte allerdings erwartet, daß Isolde sich mit »Kopfschmerzen« entschuldigt haben würde.

Nun war sie doch da, eine freche, kleine Bestie – und hatte einen ruhigen, undurchdringlichen Gesichtsausdruck.

Er aber war gerüstet auf alle Fälle; umsonst hatte er sich nicht einen Giftzahn wachsen lassen. Von einem Mädchen, das sich erniedrigt hatte wie Isolde – und vergeblich erniedrigt, stand alles zu erwarten. Er hatte sie in der Hand, da war ihm andres schon geglückt. Die Ruhe war nur Maske. O, er ließ sich nicht täuschen; er kannte diese Sorte.

Ein unpassendes Wort seiner Braut gegenüber, und Isolde würde ihn kennen lernen.

*

Durch einen Zufall standen sie beide in des Vaters Arbeitszimmer allein am Fenster.

227 Die Hängelampe warf ihren Schein grell in die Mitte des Zimmers und um diesen Lichtkern war eine weiche Dämmerung.

Isolde sah ihm ruhig in die Augen.

»Eine Bitte, Fräulein Isolde,« sagte er eisig; »über das, was zwischen uns vorgegangen ist, kein Wort – nicht wahr? Es gilt das Lebensglück Ihrer Schwester. Sie verstehen mich doch? Und was mich betrifft, seien Sie meiner ganz sicher – ich bin Gentleman. Ich darf mich ja Ihnen gegenüber aussprechen.«

Aber wie er mit sicherem, vornehmem Blick den ihren streifen wollte, fuhr er leise zurück. Nicht mehr Isolde, das rührende, liebende Mädchen, – ein vornehmes, ruhiges Weib stand ihm da gegenüber. Und aus ihrem Mund tönten ruhige Worte.

»Ich empfand Ihre Kunst – ich liebte sie – ich that es. Ich will es auf offenem Markt sagen.

Sehen Sie darin etwas Schlechtes? Ich habe 228 mir nicht denken können, daß ein großer Künstler schmutzig ist. – Ist es so – so gehören Sie zum Haufen.«

Isolde wendete ihm den Rücken.

Henry Mengersen war zum ersten Mal in seinem Leben verblüfft.

*

Doktor Frey hatte Champagner auffahren lassen und es wurde eine Verlobung nach allen Regeln der Kunst gefeiert.

Doktor Frey war schließlich beim Sekt mit Mengersen ganz einverstanden.

Mein Gott, ist es der eine nicht, ist es der andere, im Grund gleichgültig, wen so ein Mädel kriegt. Dem Weib gegenüber ist so ziemlich einer wie der andere.

Eine Gans, so ein Mädel! – könnte jetzt das schönste Leben haben und giebt ihr gutes Geld und ihre Schönheit einem Esel in die Hand, der sie doch nur auslacht.

229 Doktor Frey war ganz gerührt. Auf seine »Bamsen« hielt er etwas. Er reichte Mengersen die Hand über den Tisch, hob sein Glas und sagte weinselig:

»Daß du sie mir gut in Obacht nimmst, mein herrliches Kind!«

Mengersen schüttelte würdig die Rechte seines künftigen Schwiegervaters und küßte seiner Braut ritterlich und zart die Hand.

*

Diese Nacht lag Isolde still wie eine Tote in ihrem Bett.

Maries ruhige, sanfte Atemzüge berührten hin und wieder ihr Bewußtsein.

Marie war so selig müde gewesen am Abend und wie ein Kind entschlummert. Das große Glücksgefühl ermattete sie. Sie trug wahrhaft daran wie an einer Last. Nun war ihr Schlaf tief und ruhig.

Isolde lag auch in ihrem tiefen Weh wie 230 in einem schweren Schlaf, in einer großen Betäubung.

Der Mond schien ins Zimmer, der Schädel schimmerte. Die Augenhöhlen glichen zwei dunkeln, runden, tiefen Flecken.

Und in diese leeren Augenhöhlen mußte Isolde unverwandt sehen. Das war ganz was sie brauchte.

Dieser leere Blick ohne Trost! Wohl that er ihr!

Es war ihr als wäre etwas Reines, Gutes in dieser Leerheit.

So tödlich war sie verwundet worden! Seele und Körper zugleich.

Auch ihre Seele lag ganz still und unbeweglich.

Und von einem beschimpfenden Schlag war sie so verwundet –

Der, den sie über alles liebte, den sie wie einen Gott in Anbetung liebte, hatte ihr den Schlag ins Gesicht versetzt.

231 Des feinen, klugen, großen Henry Mengersens Roheit hatte die allerzartesten Fäden ihres Daseins unheilbar verletzt und zerrissen.

Das war Isolde nicht mehr, das heißempfindende Kind, das Glück und Leid mit übersprudelnder Lebenskraft faßte und das Leben wie einen großen, blühenden Rosenstrauch an die Brust drücken wollte, ganz in Blüten versinkend.

Auf alles, was sie sah und was sie fühlte, starrte sie mit einem grenzenlosen Ekel. Gab es denn gar keine Möglichkeit zu zeigen, daß man rein ist!

Konnte sie denn nicht einfach sagen. »Da bin ich – da!« –

Ihr junges Menschentum war noch so ganz in sich zusammengefaßt, so einfach, so rein aus Gottes Hand hervorgegangen.

Das dumme, dumpfe, ins Ekelhafte gesteigerte Weibgefühl haftete an ihr noch nicht, das Gefühl, ein Wesen zweiter Ordnung zu sein – ein Wesen, das nicht Mensch, sondern Weib ist, ein Wesen, 232 das nicht wie ein Mensch fühlen und handeln kann, das nur geschlechtlich ist.

Welcher Ekel faßte sie, welche Scham!

Welchen Blick that sie da!

Ja, sie hatte ihn geliebt! ja! ja! ja! Sie hatte ihm das Schönste gegeben, das Einzige, ihre Schönheit, die sie selbst liebte, die sie kannte und die sie selig und froh gemacht hatte. Seiner heiligen, großen Kunst hatte sie sich geben wollen, als Mensch – und als Weib.

Wahrhaftig nicht nur als Weib – und auch als Weib; – ja, sie hatte sich gesehnt, daß er sie küssen sollte, – heiß, hinsterbend gesehnt.

Er hatte ihr ja gesagt, daß er sie liebte, – oder hatte er nicht?

Gleichgültig, jetzt ganz gleichgültig!

Und doch und doch – welche Leere!

Alles erloschen! – einsam – verlassen – verstoßen – getreten – mißkannt – mißachtet – das Ärmste auf Erden!

Und beschmutzt – ihre reine, frohe Seele!

233 Sie wußte, daß ihre Seele den Körper umhüllt hatte. Ihre Seele hatte nichts mit Schmutz zu thun.

Wie ein Sturm ging es durch ihren Körper. Glaubte er, daß sie mit einem Wort erinnern würde? Glaubte er – das?

Wie konnte er so schmutzig sein – – so dumm?

Ach, ein Ekel, eine unsäglich Qual packte sie, wie sie mit einem Blick überschaute. Das Weib ist nicht Mensch, nur Weib für ihn – etwas Geistloses – ohne Feinheit – ohne Freiheit – etwas so Brutales – das nur Körper ist! –

Zum Sterben! – ein Ekel zum Sterben!

Als sie ihm von seiner Kunst gesprochen, wie sie ihn in ihr Herz hatte sehen lassen – und die große Liebe gestand zu dem, was er schuf – da hatte er so sonderbar gelächelt.

Pfui! pfui! pfui! es war ihm gewesen, als hätte ein Tier ihm das gesagt – ein freches, dummes Tier.

Grad so komisch und lächerlich war's ihm 234 gewesen. Sie durchschaute jetzt alles – alles mit einem Male, wie hellsehend.

Das, was sie ihm gab, hatte er auf seine Weise geschätzt.

– Und da dachte sie in fieberhafter Angst über »das Weib« nach.

Eine so heiße, heiße, brennende Angst stieg in ihr auf.

Was war denn das?

Alles, was je gedacht, war vom Manne gedacht worden; alles, was je gethan, war vom Manne gethan worden.

Nie war ihr das noch klar geworden, – ganz neu starrte sie das an.

Das Weib und das Tier haben nichts gethan und nichts gedacht, von dem man weiß.

Bis in den innersten Grund ihrer Seele erschrak sie.

Da lag sie wie gebrandmarkt.

Hatte er nicht recht?

Lächerlich war es, wenn sie von Kunst zu 235 ihm sprach; was hatte sie damit zu thun? Was ging sie die Kunst an?

Freilich mußte er lachen!

Ihr war, als sollte sie ersticken.

Und da fühlte sie die ganze Verachtung, die auf dem Weibe liegt. Wie einen schweren, bleiernen Druck empfand sie diese große Verachtung, die Stolz und Freudigkeit nimmt.

Was war sie? – Zu wem gehörte sie? Sie hatte wahrhaftig kein Recht, stolz und froh zu sein.

Ein dumpfes Stöhnen entrang sich ihr, ein erstickter Schrei, als wäre sie geschlagen.

Und sie hatte geglaubt wie ein Mensch zum Menschen sein zu dürfen.

Was hatte denn Mrs. Wendland gesagt? – Da fiel ihr allerhand ein, was sie damals garnicht verstanden.

Die also auch, die kannte all' die Gedanken, die so neu, so schmählich über sie jetzt herfielen. Nach dem, was die gesagt hatte, müßte die ja auch leiden.

236 Fühlten alle Weiber, wie sie jetzt fühlt? Und war denn das möglich, daß sie noch nie etwas derartiges empfunden hatte?

Und ihre Mutter? – und – ihre Freundinnen?

Ja, was war denn das?

Wußten denn die Weiber garnichts davon, wie verachtet sie sind?

Ihr zarter Körper wurde von einer tödlichen Erregung gemartert.

Da lag sie, getreten, beschimpft, beschmutzt, vereinsamt und gehörte zu der verachteten, dumpfen, gedankenlosen Hälfte der Menschheit, die nicht das Recht hat, voll Mensch zu sein.

Da lösten sich Thränen aus ihren Augen, brennende, schmerzhafte Thränen, die wie Blutstropfen aus einer Wunde flossen. 237

 


 


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