Helene Böhlau
Halbtier!
Helene Böhlau

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9.

Isolde geht an einem blütenschweren Maienmorgen in ihrem Atelier gedankenvoll auf und nieder.

Das Atelier liegt in einem Garten still versteckt, ebenerdig.

Frischer, herber Laubgeruch strömt zu den Atelierfenstern herein, die in der großen Glasfläche weit geöffnet stehn.

Der blaue, leuchtende Himmel schaut durch das Oberlicht zu ihr nieder.

Schwalben ziehen ihre schrillen Sommertönchen im schnellen Flug wie feine, glitzernde Fäden über den blauen Ätherraum hin. Sie weben im Kreuz- und Querflug ein Netz von 238 diesen süßen, spitzen Lauten. Ein Zug Tauben fliegt über das gläserne, kuppelförmige Dach. Die Flügelschwingungen hören sich so fein, so fließend an, so durchdringend frei, ohne jede Erdenschwere.

Isolde ist ganz in sich selbst versunken. Sie bewegt sich in dem starken, mächtigen Licht, in dem großen, kahlen Raum wie im Freien.

In ihrer Hand hält sie achtlos den Grabstichel.

Auf einem kleinen Tisch liegen zwei geöffnete Briefe.

Gipsabgüsse stehen längs der Wände, Abgüsse nach der Natur, Glieder, Häupter, Totenmasken.

Der Schädel, der Isolden durch fünf Jahre begleitet hat, ist das einzige im Raum, was gewissermaßen als Schmuck auffällt. Er trägt eine schimmernde Narrenkappe aus einem alten, köstlichen Goldstoff und darüber einen braunen Lorbeerkranz.

239 Sonst im ganzen Atelier kein Schmuck, weder ein Teppich, noch sonst ein Luxusgegenstand.

Unter der Kuppel, jetzt ganz von Licht übergossen, ein wunderlich fremdartiges Werk, eine sitzende Buddhastatue aus fleckenlosem Marmor:

Isoldens Werk.

Um den Sockel der meterhohen Gestalt stehen diese Worte:

Inbrünstig bin ich gewesen,
Inbrünstig wie noch kein Andrer.
Rauhsinnig bin ich gewesen,
Rauhsinnig wie noch kein Andrer.
Wehmütig bin ich gewesen,
Wehmütig wie noch kein Andrer.
Abgelöst bin ich gewesen,
Abgelöst wie noch kein Andrer.

Und diesen Spruch einzugraben, war Isoldens Morgenwerk. Ja, und es war ihr gewesen, als läge in dem sonst geneigten Buddhahaupte der große Friede, – der große Friede der Erkenntnis, der vornehme, ganz von mächtigem Menschengeist durchdrungene und gehaltene Friede, nicht der demütige, unselbständige.

240 Wie ein Jubel, wie eine erstickende Seligkeit war es über sie gekommen. Es schien ihr gelungen, was sie gewollt hatte.

In dem Buddhahaupte lag das Königliche, das ganz Souveräne, die große, seltene Menschenmajestät, die noch über dem Menschenschmerz steht, der das Größte auf Erden und über der Erde ist.

Du ungeheurer Todesschmerz, Leidens- und Lebensschmerz, du bist zu besiegen!

In Isoldens Augen waren heiße Thränen gestiegen. In Wahrheit, ihr erschien das Haupt das zu sein, was es sein sollte, wie sie es in langer leidenschaftlicher Hingebung ersehnt hatte.

Schien es ihr nur so – oder war es wirklich so?

Im Augenblick – jetzt in dieser Stunde war es so.

Sie glaubte, wenn sie auch im voraus wußte, daß sie wieder zweifeln würde.

Sie ging wie über der Erde schwebend in ihrem lichtvollen Raum auf und nieder.

241 Keine Schwere!

Und es hob sie, daß das Werk für diese beiden Menschen bestimmt sei – für ihre liebsten Menschen auf Erden. Für ihn und sie! Daß sie das ihnen geben durfte und konnte.

Was waren ihr in diesen Jahren Helwig und Lu Geber geworden.

O, ihr lieben, wahren, einfachen Menschen! dachte sie.

Und wie würde Lu sich freuen, wie würde es ihr warm ans Herz greifen, wenn sie die schönen, stillen Züge ihres Mannes und seine Seele im Buddhahaupte wiedererkennen würde?

Was alles hatte Isolde ihm zu danken! was für schöne, tiefe Stunden hatten sie zu dreien miteinander erlebt!

›O, ihr weltentrückten Menschen!‹ dachte Isolde, ›in eurem schönen, stillen Heim – auf eurer Insel der Seligen – mitten in der schmutzigen Welt!‹

Wie liebte sie diese beiden! Bei ihnen 242 hatte sie menschenwürdig fühlen und denken gelernt.

Was mit ihnen zusammenhing, war so zweifelsohne!

Daß es etwas so Wahres gab, wie diese Leute!

Wie freute sie sich, beide in ihr Atelier zu führen und zu sagen: »Das danke ich euch! Dir danke ich es, du weiser, guter, abgeklärter Mann, der du so anders bist als andre, von niemandem draußen in der Welt verstanden, du stiller Großer du!«

*

Isolde ist schöner geworden, vornehm, streng im Stil. Sie neigt zu der Art Erscheinungen, wie Mrs. Wendland in ihrer ersten Jugend einst gewesen sein mochte, schlank, bleich, das mächtige, lockige Haar wie eine dunkle Wolke über der Stirn, tiefe Augen, über denen es wie ein Schleier liegt.

243 Ihre Art sich zu kleiden, ist völlig ungesucht; doch was diesen Körper berührt, wird vornehm.

Isolde ist heute in Feierstimmung. Sie denkt heut nicht mehr daran, etwas zu thun. Sie hört jetzt auf die Schwalben, die hoch oben am blauen Firmament mit ihren seidenen Tönen wie mit Fäden weben und wirken.

Da steht ihre Schwester Marie geistig ihr vor Augen.

Was für ein kleines Gesicht hat der arme Sammtaffe bekommen.

Das Sammtige, Volle ist von ihr geschwunden.

Isolde sieht sie vor sich, wie sie oben in Mengersens Sommervilla, die er sich in der Nachbarschaft von Gebers gebaut, in dem schönen Waldgarten mit einander spazieren gingen, hoch über dem Ufer der Isar.

Marie war damals Mutter ihres ersten 244 Kindes, dessen Geburt ihr fast das Leben gekostet hatte. Seelisch und körperlich konnte sie sich davon lange nicht erholen. Ihr Kind gedieh, aber sie selbst hatte etwas wie vom Frost Getroffenes, etwas Mattes, Stilles, Banges.

Das Kind mochte ein halbes Jahr alt sein, als sie damals mit einander unter den dichtbelaubten Bäumen gingen. Da hatte sich Marie mit einemmal an Isolde geklammert und ihr etwas zugeflüstert, ein Geständnis – ein so banges, schweres, daß sie wieder der Qual und dem Tod entgegenginge, und Isolde war von den fassungslosen, verzweifelten Thränen der Schwester naß am Hals geworden.

Die beiden jungen Geschöpfe hingen an einander und wagten sich nicht in die Augen zu sehen.

Marie weinte trostlos und Isolde wußte nicht, was sie sagen und fühlen sollte.

Es war so peinlich.

245 »Ide,« schluchzte Marie, »er kann mich doch gar nicht lieb haben! Wie kann er denn? Er weiß ja wie es war, wie entsetzlich! – er weiß doch alles.

Ide, wenn das Liebe ist!«

Marie schrie wie entsetzt auf und warf sich ins Gras, und lag mit dem Gesicht an die Erde gedrückt, hörte und fühlte und sah nichts vor Weinen.

Isolde kniete neben ihr.

»Sterben, zu Tode gerissen und gemartert werden – alles, wenn es sein muß! alle Qual – alle Todesangst – und alles – alles – alles! – aber Ide, – er ist ja nicht mein Freund!«

Diese arme wehe Stimme! Isolde hörte sie jetzt noch mit voller Deutlichkeit.

»Nichts bin ich ihm! Gar nichts! das, was ich ihm bin, haß' ich!

Ich weiß, ich bin dumm – ich weiß! – aber, wenn er mit mir spräche, ich würde 246 es doch verstehen, schon weil ich ihn so lieb hab'. –

Ide, glaub mir, ich würde klug aus Liebe. – Ganz gewiß – ich weiß.

Was er Schönes hat, verschweigt er vor mir. Nichts was er denkt, sagt er mir. Wir sind ganz getrennt.«

Sie klagt rührend in die Erde hinein.

Das alles hörte und sah Isolde im Geiste wieder vor sich, so lebhaft, so ergreifend, wie eben erst geschehen.

Sie sah sich selbst, wie sie unbeweglich neben ihrer Schwester kniete.

Und was Marie sprach, schluchzte sie immer noch wie in die Erde hinein. »Ein ganz einsamer Mensch ist nicht einsam, aber ich bin so einsam!

Glaubst du, daß er Mitleid mit mir hat?

Nein sag ich dir! Gar nicht – keine Spur.

Es muß halt so sein, denkt er. Das ist ganz in der Ordnung so. Dafür ist sie eine 247 Frau. Er denkt ich brauche nichts andres – essen, trinken – und sein Weib sein.

Ach was sich so ein Mann denkt – so ein fremder Mann. Und dann glaubt er, daß er unsinnig geduldig zu mir ist, wenn er mich einmal anhört. Aber seinem Gesicht seh ich's an. – Er ist immer schon mit allem fertig. Einfach meint er, das gehört so mit dazu, daß ich klage.

Siehst du, daß ich nun wieder Mutter werde: das ist so eine Schmach – so ein Elend für Leib und Seele.

Ein Wort, wenn er mir aus seiner Seele gäbe – dann trüg' ich alles – alles – auch den Tod – auch alles Leidenmüssen.

Die Hände würde ich ihm küssen, wenn er mit mir sprechen würde, wie mit einem Freund. Alles ertrüg' ich – alles.

Nein, – und ich hab's mal versucht – mehrmals. – Nie mehr Ide – nie mehr!

Wenn er nicht selbst kommt – ich kann nicht wieder kommen –«

248 Ihr Körper war von wilden, leidenschaftlichen Thränenfluten erschüttert und gepeinigt.

»Siehst du Ide – die Mutter – der Mutter ists gerade so gegangen! Du hast mal gesagt, du glaubst sie wäre dumm –

Ach Ide – nein! Dumm nicht – verprügelt – abgestorben. – Geschlagen hat er sie nicht – – aber doch verprügelt – mit Worten – mit Gedanken. So eine ewige Mißachtung ist wie ein grauer Regentag. Dabei stirbt die Seele.

Ich fühl's – ich werde wie Mama.

Was er nur glaubt das ich bin?

Ob er glaubt, daß ich mich wohl fühle?

Ob er überhaupt einmal über mich nachdenkt? – – – Ich weiß nicht!«

Sie war ratlos.

Isolde kniete damals in wahrer Todesangst neben ihr und hielt ihre festgeballte kleine Hand in der ihren.

Und wie Isolde ihre von Weinen ganz 249 entstellte Schwester ins Haus zurückgeführt hatte, kam Mengersen eben aus seinem Atelier.

Er trug, wie immer im Haus, einen weißen Flanellanzug.

Man sah ihm an, er hatte mit Glück gearbeitet und befand sich geistig und körperlich außerordentlich wohl, blies behaglich die blauen Wölkchen seiner Cigarette in die Luft, da bemerkte er die beiden Schwestern.

»Was ist geschehn, Marie?« fragte er kurz. »Hast du dich wieder gehen lassen? Du sollst ja nicht, bedenke doch deine Lage, und verschone mich etwas, wenn es dir möglich ist, mit diesen Launen. Ein wenig kannst du dich ja wohl zusammennehmen.«

Er war unangenehm berührt. Isoldens Besuche bei ihrer Schwester mochten ihm auch fatal sein. Sie fühlte, daß sie ihn irritierte.

Ihm gegenüber hatte sich bei ihr ein ganz sonderbarer Ton herausgebildet, der ihrer Natur fremd war, eine leichte, kühle Ironie.

250 Dem Schädel, ihrem einstigen Symbol, hatte sie nicht ohne Sinn eine goldne Narrenkappe aufgesetzt und nicht umsonst den Lorbeerkranz.

Henry Mengersens Kunst war und blieb ihr das Anbetungswürdige, das Große, das sie liebte. Die Liebe zu diesem Inbegriff von Kunst hatte sie zur Künstlerin gemacht. Eine Anerkennung von ihm war ihr heute noch von höchstem Wert und er konnte sie ihr auch nicht versagen. Sie hatte es erreicht: Er anerkannte ihr Talent und ihren Fleiß und das Ziel, das sie wollte.

Wie hatte sie diese Jahre gearbeitet! Als sollte sie sich mit der Arbeit rein waschen von aller Schmach, die ihrer Seele anhaftete.

Nur das konnte heilen und reinigen. Und hätte er ihr zu Füßen gelegen und um Verzeihung gefleht – nichts – nichts hätte das geholfen.

Aber, daß er sie anerkennen müßte!

*

251 Asketisch hatte sie diese Jahre gelebt, als gäbe es für sie keine Jugend, keine Schönheit und keinen Reichtum.

Daheim, in dem luxuriös ausgestatteten Haus ihrer Eltern, in der Leopoldstraße, bewohnte sie ein kleines, unscheinbares Zimmer, schlief auf einem harten Feldbett, Winter und Sommer bei offenem Fenster, badete täglich kalt, litt nichts Weichliches – nichts Zärtliches in ihrer Umgebung; bei Wetter und Wind machte sie weite Gänge.

In ihr war das Gefühl lebendig: die Schmach abwaschen! die Schmach, die er ihr angethan, rein werden, stark werden, arbeiten, erreichen, Mensch werden.

Daß sie so schön war, freute sie.

Wie sie ihre eigne Schönheit verstand und liebte!

Und sie wurde reiner und reiner. Ihre Seele wußte nichts mehr von Schmach – von eigner Schmach.

252 Ein solches Gefühl von Starksein, von Schönsein, von Können, von Macht erfüllte sie jetzt oft.

›Ja, das glaub ich,‹ dachte sie hin und wieder. ›Ihr möchtet mich einfangen, einkasteln. Einer möchte mich selbst besitzen, meine Schönheit, mein Vermögen und damit schalten und walten nach Gutdünken.

Daß i net lach!‹

Das alles ging ihr jetzt durch den Sinn, als sie in ihrem hohen, weiten Atelier auf- und niederwandelte.

Was war aus ihr geworden in diesen Jahren – etwas so Freies.

So, wie in eine andre Lust, war sie gekommen.

Zum ersticken, wenn sie an ihre Schwester dachte, an ihre Mutter.

Die Nacht, in der sie still wie eine Tote in ihrem Bett gelegen hatte, war unvergessen, war eingebrannt in ihr Bewußtsein.

253 In ihrem innersten Sein bedeutete es nichts, daß es ihr selbst wohl erging.

Sie gehörte doch zu denen, die tief unter dem Begriff Mensch stehen, zu den Körpern ohne Geisteskraft, die beschimpft, mißachtet, ohne Menschenwürde leben, zu der dumpfen, gedankenlosen Hälfte der Menschheit, die nicht das Recht hat, voll Mensch zu sein.

Sie stand jetzt vor dem Tisch, auf welchem die zwei Briefe lagen, einer, der heute gekommen war und ein anderer, der seit drei Wochen hier schon gelegen hatte.

Sie nahm den älteren Brief in die Hand und las ihn wieder.

Von ihrer Schwester Marie aus Berlin ist er, die schreibt ihr nach der Geburt eines Kindes.

Ein wirrer, mit Bleistift gekritzelter Brief:

»Ide, Todesqual, vierundzwanzig Stunden lang – wie jedes Mal, von Anfang bis zu Ende entsetzlich.

Nur mein Wille, meine armen Kinder nicht 254 zu verlassen, erhielt mich am Leben. Nicht chloroformiert, weil Kind sonst absterben – – schon angegriffen.

Sonst alles in Ordnung. Henry an Vater geschrieben. Denk an mich.

Einsam! Einsam!

Weißt noch?

Ade.«

 

O ja, sie wußte!

Sie wußte auch, was Henry, Schwager »Weißröckchen«, wie sie ihn nannte, geschrieben hatte:

»Alles vortrefflich! Das kleine Ungeheuer ist, was man so einen »prächtigen Jungen« nennt! Schwere Entbindung, wie wir das nun einmal in der Gewohnheit haben. Marie befindet sich nach ihren Strapazen jetzt mehr als gut. Der Arzt ist außerordentlich zufrieden. Nicht die geringste Ursache zu Besorgnis.«

Und der heutige Brief. Isolde hatte ihn 255 schon mehrmals gelesen. Sie überflog jetzt noch einmal diese und jene Stelle:

»Mein Mann reist jetzt, weil er ästhetisch gequält ist. Der Herr Wöchner leidet schmerzlich darunter, daß ich meine Mutterpflichten an dem Jüngsten erfülle, – noch schmerzlicher aber darunter, daß ihm jetzt so viel unpoetische Dinge unverhüllt entgegentreten.

Dieser Realität- und Wahrheitfanatiker kann nämlich absolut nicht die Wirklichkeit vertragen.

Und da ich noch vollkommen erschöpft bin, sehr wenig außer Bett sein darf, so kann ich mich nicht mehr als gnädig verhüllende Wolken zwischen ihn und die Wirklichkeit schieben.

Körperschwäche und Ammendienst halten mich von allem zurück. Die einzige Person, die um mich besorgt war, mußte leider sehr bald zurück. Sie war anderweitig engagiert. Die biß für mich etwas Ruhe heraus.

Schade, daß du wegen der armen Mama 256 nicht zu mir kommen durftest. Welcher Trost wäre mir das gewesen!

Seitdem die Wartfrau fort ist, werde ich wieder als »Nützlichkeitstier« von allen behandelt. Wenn ich mich auch kaum bewegen kann vor Schwäche, muß ich doch mindestens ein Kind warten und häufig noch eins dazu beaufsichtigen.

Dann kommt der Gatte und schimpft, daß immer Kinder bei mir sind und klagt den Himmel an, daß er Familienvater ist, dann versuche ich einige seiner Schmerzen zu lindern, bis die meinen zu stark werden. So vergehn im Wechsel meiner Pein die Tage. Ich halte mich an meinen alten Trost: die Zeit steht nicht still. Also muß ein Wechsel kommen.

Henry hat recht, – so komisch es klingt – eine Frau, die ein Kind erwartet, sollte nicht im Hause bleiben. Er ist so sehr empfindlich darin. Es beleidigt seinen Schönheitssinn, mich in diesem Zustand zu sehn. Es ist ihm unerträglich. Ich weiß das. Zuerst erschien es mir ein grausamer 257 Wahnsinn, wie er es sagte; – mir war, als thäte sich ein Abgrund vor mir auf.

Er sprach es so ganz naiv aus, als Künstler, weißt du.

Aber wie alles nun einmal ist, hat er von seinem Standpunkt ganz recht.

Wundert mich, daß es nicht ein solches Gesetz giebt. Für die Frau wäre es im Grunde auch besser.

Meine Ide, schreib mir doch recht bald einen lieben, langen Brief.

Mich verlangt stürmisch danach, denn ganz inwendig sitzt bei mir etwas Heißes – Feuchtes. Das sollst du fortwischen, du hast den Zauber der Liebe, du kannst es.

Vergiß mich ja nicht, Ide! Von dir kommt mein Leben. Was meine Seele auf Erden hat, hat sie von dir! Einzig von dir. Mit dir wachs' ich und denk' ich. Du hältst mich. Laß mich nicht ganz fallen.« 258

 


 


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