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An meinen lieben P*.

Wie bei Kindern um die Mittagsstunde
Aus Gewohnheit sich der Magen regt,
Eben so steigt Wasser mir zu Munde,
Wenn die Glock' jetzt Elfe schlägt.
Nicht nach Essen, denn die Zeit ist längst vorüber,
Wo noch ein gebraten Taubenpaar
Mir – und dir vielleicht auch – lieber,
Als sein Welttheil dem Columbus war.
Nein, nach dir, nach dir, o Lieber,
Wässert täglich mir der Zahn,
Und da ich mit dir nicht schwatzen kann,
Denk' ich dein und schreibe nieder,
Was ich dir nicht mündlich sagen kann;
Und so fängt mein Brief mit der Frage an:
Lieber Freund, wann kömmst Du wieder? –
Wieder? – bin ich doch kaum fort! –
Wahr! doch Lieber, auf mein Wort,
Dieses kaum däucht mir schon mächtig lange,
Weil die Freundschaft, oder was es ist,
Ihre Tage nicht, wie der Kalender, mißt.

Wenn ich oft so sitz' und Mücken fange,
Die selbst Liebe nicht, noch Wein
Aus dem Kopf mir jagen, da fällst du mir ein:
Und wahrhaftig, ich verlange,
Wenn ich grämle, oft nicht mehr,
Als noch einen Grämler um mich her. –
Aber, Freund, wie kömmt's denn, daß gerade
Bei uns armen Wissenschaftlern Spleen,
Lebensekel, trüber Sinn,
Hypochonder u. s. w. zur Parade
Auf in unsere Gesichter zieh'n?
Sprich, was nützt's, die Freuden alle kennen,
Ihren inneren Gehalt
Von der äußern, oft nur glänzenden Gestalt,
Mit geschärftem Blicke trennen,
Ihre Schlacken wegzufegen, sie
Auf der Wage der Philosophie
Auf's genau'ste abzuwägen wissen,
Dient dies Alles nicht dazu,
Uns den Kelch des Lebens zu versüßen?

Dennoch, Freund, wo ist der, der in Ruh'
Seinen Becher, den er noch dazu
Selber mit dem Saft der Freude voll gedrücket,
Ausleert, und nicht stets dabei
Nach des Bechers Boden blicket,
Ob nicht Hefen noch darinnen sei? –
Wahr, Freund, ist der Satz, ob schon nicht neu:
Wer die Lust nicht kennt, genießet sie,
Wer sie kennt, genießt sie nie.
Selbst auch dieses, leider! wissen
Wir genau, und dennoch müssen
Wir stets schielen nach dem Grund,
Halten wir den Becher gleich am Mund.
Sage, Lieber, heißt das nicht hienieden
Sich an seines Geist's Galeere schmieden,
Oder ist's nicht eitel Prahlerei:
Daß der Weise freier, als der Dummkopf sei?

Beide tragen ihre Kette,
Nur verschied'nen Herren dienen sie:
Dieser seinem Bauch und seinem Bette,
Jener der Philosophie.
Und so recht beim Licht besehen,
Ist der erste Unterthan
Immer besser, als der zweite, d'ran;
Wenigstens wirst du mir eingestehen,
Daß der erstere Tyrann
Leicht befriedigt ist, indeß den andern
Ein Erob'rungsglück von zwanzig Alexandern
Im Gebiete der Ideenwelt
Nimmermehr zufrieden stellt.
All' sein Sinnen, all' sein Wahrheitjagen
Lohnt der unersättliche Tyrann, –
Denk' nur, ob man schlechter lohnen kann, –
Ihm mit schwarzer Gall' und krankem Magen.
Rühme mir nur nicht der Nachwelt Lohn;
Wenn du todt bist, hast du was davon?

Tausend Dinge kann der Körper missen,
Die der Luxus doch Bedürfniß heißt;
Aber ist – so manches wissen:
Was zum Beispiel dies und jenes heißt,
Was für Länder Pallas durchgereist,
Und wie die und jene Pflanze,
Die Sibirien hervorbringt, heißt?
Ob die Griechen sich beim Tanze
Nur aus einem Bein herumgedreht?
Ob denn wirklich falsch, wie in der Bibel steht,
Daß die Sonne um den Erdball geht?
Ob der erste uns'rer Väter
Wirklich Adam und nicht anders hieß?
Ob des ersten Weibes Apfelbiß
Hunger, Krieg und Pest und Donnerwetter,
Auf die Erde kommen ließ?
Ob der Schlange List dies alles that,
Oder ob's damit ein ander Nisi hat?
Ob das Instrument, womit in Adams Tagen
Kain den Abel todt geschlagen,
Eine Keule, oder auch wohl gar
Eine Ofenkrücke war? –
Die und hundert solcher Dinge,
Sammt und sonders so geringe,
Daß ein Heer davon, wie es beim Wieland heißt,
Leicht auf einem Mückenschwanze reist,
Sag', ist das nicht Luxus für den Geist?

Das ist Spreu des Wissens, wirst du sagen.
Gut – was frommt es aber auch,
Sich nach großer Geister Brauch
In das Heiligthum der Wahrheit selbst zu wagen,
Und von ihrem heil'gen Feu'r
Hie und da ein Fünkchen zu erjagen?
O, den siebenfachen Schlei'r,
Der von unten aus bis oben
Zehnfach sie umgibt, hat keines Sterblichen
Hand so kühn noch aufgehoben;
Denn die Spröde läßt sich nicht gewandlos seh'n.
Mache, was du willst, um deinen Blick zu schärfen,
Nimm die besten Gläser vor's Gesicht,
Guck' äonenlang, spreng' deiner Augen Nerven,
Durch den Schleier dringst du nicht!
Wisse, seit sechstausend Jahren
Gucken Millionen Augen schon nach ihr,
Aber, Lieber, glaube mir,
Nicht ein Einziger hat noch erfahren,
Ob die Dame, die der Schlei'r umschließt,
Eine Weiße, oder eine Mohrin ist? –

O wie Viele sind der Wahrheit auf der Spur!
Doch vergebens, denn sie äfft sie nur.
Auf dem Meer der Zweifel treibet
Hie und da ein Schächtelchen
Mit der Inschrift: Sterblichen,
Die mein Innerstes eröffnen, bleibet
Nichts verborgen. – Hurtig öffnet man
Nun die erste Hülle, dann
Auch die zweite, dritte, vierte Hüll';
Aber immer ist man nicht am Ziel.
Nun die Tausendste? Ha, kleiner,
Ruft entzückt der Grübler einer,
Kleiner kann kein Schächtelchen mehr sein,
Ha! dies schließt die Wahrheit selber ein! –
Auf, und sieh', auch dies ist offen,
Und der Grübler liest betroffen:
Thor, das Resultat von deinen Schlüssen heißt:
Daß du nichts von Allem weißt! –
Nun, was hat der Grübler? – Blöde Augen,
Sinne, die zu keinem Dienst mehr taugen,
Einen siechen Leib, ein bleich Gesicht,
Zweifel, aber keine Wahrheit nicht! –

Laß dies Bild dich nicht empören,
Es ist Kopie, der's in der Welt
Sicherlich nicht an Modellen fehlt.
Alle Grübelei macht freudenleer,
Dient zu nichts, als höchstens nur das Heer
Unsrer Uebel zu vermehren.
Willst du den Beweis noch sichtlicher?
Gut, so sehe nur den Mann
Mit der Pflugschaar und den Grübler an,
Und dein Auge wird ihn, ohne Gründen,
In der beiden Seelenausblick finden.

*


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