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Drittes Kapitel

Niemals sind zart're Gedanken
Gebunden an reich'res Erwarten,
Als da, wo zu zweit man bauet,
Wo zu zweit man pfleget des Garten. –

 

Kaja machte ihren gewohnten Spaziergang mit Onkel Franz über die Langelinie und den Castellwall.

Und da Peter Dam beständig von seinen Proben in Anspruch genommen war, kam es ganz von selbst so, daß diese beiden das künftige Heim miteinander einrichteten.

Nicht eine Spur von Peter Dams Geist fand sich in diesen Zimmern mit dem edlen Stil und den einfachen Linien – sie trugen ganz und gar das Gepräge der Hallingschen Traditionen.

Onkel Franz ertappte sich selbst auf einem merkwürdigen Irrtum. Es war ihm, als bereite er ein Heim für sich und Kaja. Deshalb wurde alles – bis aufs kleinste – nach seinem und ihrem Geschmack eingerichtet, deshalb scheute er keine Anstrengung, alles so vollkommen zu machen als möglich. Er trabte zu Schreinern und Tapezierern, er kaufte Vorhangstangen und nahm das Maß zu Portièren, er brachte überall in der Wohnung praktische kleine Eckschränke an, und er half ihr beim Einkauf der Teppiche und Gardinen. Am Abend saßen sie in seiner Stube bei einander und entwarfen Zeichnungen für die noch mangelnden Möbel – und dabei wurden sie alle beide so eifrig, daß ihre lockigen Haare ineinander flossen und ihre Hände sich plötzlich berührten. Wenn sie dann gegangen war, konnte er zu sich selbst sagen:

»Es ist unmöglich, daß ich sie verlieren werde – unmöglich, daß sie Peter Dam heiratet. Wir, wir sind für einander geschaffen. Wenn wir bei einander sind, gibt es sonst nichts auf der Welt für uns. Wie kann sie nur so blind sein, daß sie es nicht sieht! Er versteht sie ja gar nicht: aber ich verstehe sie, lange, ehe sie spricht. Eines Tages wird sie kommen und sagen: ›Dies Heim war für uns bestimmt, Onkel Franz, niemand kann darin wohnen, als du und ich.‹ – Und dann werden wir zusammen hineingehen – und es wird auf der ganzen Welt keine glücklicheren Menschen geben als uns.«

Wenn Onkel Franz später an diese Zeit dachte, da war es ihm, als hätten sie in einem Zauberland gelebt, wo das Wunderbarste natürlich wird und wo das Märchenhafte größer ist als die Wirklichkeit.

Und Kaja –? Ihre Gefühle waren so weit verzweigt, ihre Stimmungen so mannigfaltig, daß sie sie nie ganz klar darlegen konnte. Es gab nichts, was sie nicht zu Onkel Franz hätte sagen können, nur wenn sie von Peter Dam sprechen wollte, dann war es, als könne sie nicht. Desto mehr dachte sie an ihn. Stillschweigend schloß sie ihn mit ein in jede Antwort, und hinter den leblosen Dingen in diesem neuen Heim, von dessen Einrichtung sie so ungeheuer eingenommen war, war er für sie immer zugegen. Aber sie sprach so gut wie niemals von ihm. Dies täuschte Onkel Franz; zwar nicht so, daß er sie aller Verpflichtungen bar glaubte, aber so, daß er sicher war, es müsse etwas Wunderbares geschehen.

Er wartete die ganze Zeit auf das, was kommen sollte, und über seiner ganzen Erscheinung lag eine jugendliche Kraft und Frische, eine glückliche Erwartung, die Kaja stutzig machte.

»Du lieber, alter Onkel Franz,« sagte sie und zupfte ihn am Haar. »Es ist, als seist du zwanzig Jahre jünger geworden. Und ich kann deiner Märchenstimme fast nicht widerstehen.«

Kaja pflegte immer zu sagen, Onkel Franz habe eine Märchenstimme. Seit der Zeit, wo sie als ganz kleiner Knirps auf seinem Schoß gesessen hatte, hörte sie immer mehr auf die Stimme als auf die Worte. Und später erklärte sie es auf folgende Weise: »Die Märchenstimmen, Onkel Franz, das sind die Stimmen, die so ungeheuer viel enthalten – so vieles, das niemals ausgesprochen wird. Man kann es nicht lassen, ihnen zu lauschen; es ist, als ob sie immer wieder etwas Neues erschlössen.«

Er pflegte im Scherz darüber wegzugehen, wenn sie dies sagte, aber an diesem Abend legte er plötzlich den Arm um ihre Schulter und sagte: »Du, du selbst bist das Märchen – –«

Dann kam der Abend vor der Hochzeit.

Peter Dam spielte eine seiner größten Rollen, und Kaja selbst sollte ihn erst am Hochzeitstage wiedersehen. Er hatte sie am Vormittag besucht, war sehr stürmisch in seiner Liebe und stürmisch in seinen Umarmungen gewesen. In heftigen Worten hatte er sich darüber beklagt, daß ihm das Theater in der letzten Zeit kaum Zeit gelassen habe, mit ihr, die doch immer in seinen Gedanken lebe, zusammen zu sein.

In warmen Farben hatte er ihr geschildert, wie er sich stets nach ihr sehne und wie sich alles gleichsam zu einer Huldigung für sie bei ihm forme. Und sie hatte es geradezu ungerecht gefunden, daß sie ihr Glück nicht ungestört hatten genießen dürfen. Keines dachte daran, daß in diesem Mangel des Beisammenseins vor der Hochzeit Gefahr und Glück zugleich lag. Für sie die Gefahr – sie kannte den Mann nicht, dem sie sich hingegeben hatte – für ihn das Glück – nun kam er stets als Offenbarung der Jugend und Schönheit, immer gleich neu und gleich frisch – es gab nie Zeit zu einer eingehenden Unterhaltung – sie durchschaute nie, was bei ihm wahrer Kern und was nur Schale war. Sie lebte tief drin im Lande der Liebe, wo alles von Licht und Farben glänzt.

Sie und Onkel Franz waren in die Wohnung gegangen, um noch einen letzten Überblick zu halten, ob alles in Ordnung sei. Sie flog umher auf den weichen Teppichen und überschaute mit Stolz die behaglichen Räume. Leise vor sich hinsingend, ging sie, alles gleichsam liebkosend, von Zimmer zu Zimmer.

»Es ist gerade, als ob es auf uns warte,« sagte sie. »Es ist, als ob alle diese Sachen auf nahende Schritte lauschten ... Und sieh!« rief sie plötzlich, »hier sind Rosen! Große, gelbe! Die sind von dir, Onkel Franz!«

Er nickte. »Ich weiß ja, daß du diese besonders liebst.«

Sie küßte die duftenden Kelche, dann ergriff sie das volle Glas mit beiden Händen und stellte es auf ein Tischchen dicht neben der Tür.

»Sie sollen das Erste sein, was uns begrüßt,« sagte sie.

Onkel Franz saß auf dem Sofa und folgte ihr mit den Blicken. Wenn er später an diesen Augenblick zurückdachte, meinte er immer, er müsse sich in einer momentanen Geistesverwirrung befunden haben, so sicher war er, daß sie zu ihm treten, ihre Wange dicht an die seinige schmiegen und im wärmsten Ton sagen würde:

»All dies ist für dich und für mich allein; über dieser kleinen Welt ruht unser Geist – deshalb werden wir beide, du und ich, darin bauen und wohnen.«

Er ertappte sich sogar auf den Worten: »Die Tür dort drüben werden wir verhängen. Wir mögen beide nicht so viele Türen.«

Und schnell nahm sie den Gedanken auf: »Da hast du ganz recht,« sagte sie, »wir hängen eine Portière davor.«

Und in einem Nu hatte sie die kleine Zimmerleiter geholt, die sie zu gebrauchen pflegten, und war gleich mitten in der Arbeit. Er half ihr treulich wie immer, und als sie fertig waren, setzten sie sich miteinander aufs Sofa. Sie faltete die Hände im Schoß und sah sich entzückt um.

»Wie schön es hier ist!« sagte sie. »Meinst du, irgend jemand könnte es schöner bekommen als wir?«

Aber plötzlich füllten sich ihre Augen mit Tränen.

»Arme Mutter, die in der Dunkelheit sitzt und nie etwas davon sehen kann!« sagte sie. »Wie einsam wäre ich doch ohne dich, Onkel Franz!«

Sie erfaßte seine Hand mit ihren beiden, und da durchfuhr es ihn wie ein elektrischer warmer Strom.

»Nun wird sie es sagen,« dachte er.

Da schlang sie die Arme um seinen Hals.

»Ich bin so froh, daß du morgen auch dabei bist,« flüsterte sie. »Du bist mir ja Vater und Mutter, Freund und Bruder zugleich. – Ich könnte mir kein Glück denken, das du nicht teiltest.«

Es wurde ihm plötzlich schwindlig; ihm war, als ob etwas vor seinen Füßen einstürze, und er selbst fühlte, wie er erblaßte und jeder einzelne Zug in seinem Gesichte starr wurde. An der Art ihrer Liebkosung und an der Innigkeit ihres Wesens merkte er deutlich, daß jedes erotische Gefühl ihm gegenüber ferne von ihr war. Für sie war er nur Onkel Franz, der schon groß war, als sie noch klein gewesen war, und der in ihren Augen immer alt sein würde, weil er siebzehn Jahre älter war als sie.

Sie wurde auf den veränderten Ausdruck in seinem Gesicht aufmerksam und fuhr erschreckt zusammen:

»Du wirst doch nicht krank werden?« sagte sie. »Es ist doch nicht etwas mit dem Herzen?«

Er lachte bitter.

»Doch,« sagte er, »es war etwas mit dem Herzen – aber du brauchst keine Angst zu haben – nun ist es vorüber.«

Er erinnerte sich, daß sie als halberwachsenes Mädchen oftmals bebend vor Angst still wie ein Mäuschen lauschend vor seiner Tür stand, weil sie wußte, daß er einen kleinen Herzfehler hatte. Wenn er dann herauskam und fragte, warum sie dastehe, schmiegte sie sich an ihn und sagte mit zitternder Stimme:

»Ich bekam auf einmal Angst, du könntest gestorben sein. In der Schule sagen sie, wenn man einen Herzfehler habe, dann könne man plötzlich sterben. Und du darfst nicht vor mir sterben, Onkel Franz, hörst du, du darfst nicht.«

Nun war etwas von derselben Angst in ihrer Stimme, als sie sich über ihn beugte:

»Denk' an das, was du mir immer versprochen hast,« bat sie mit einem mißglückten Versuch zu lächeln. »Du darfst nicht vor mir sterben.«

»Nun hat es weniger auf sich,« sagte er bitter. »Du hast ja deinen Freund.«

»Ich habe keinen anderen Freund als dich,« entfuhr es ihr unwillkürlich, »keinen, den ich weniger verlieren möchte.«

Es leuchtete ein kleiner Freudenstrahl aus seinen Augen, der aber sofort wieder erlosch. Dann wendete er sich plötzlich an sie und fragte kurz:

»Bist du sicher, daß du ihn genug liebst?«

»Genug – ja, was meinst du denn?« fragte sie zögernd.

»Bist du ganz sicher, daß du nicht etwas von deinem Eigenen aufgibst, um es ihm geben zu können?«

»Ja, dessen bin ich ganz sicher,« antwortete sie schnell; aber die Stimme klang unsicher; sie hörte es selbst, konnte aber nicht erklären, warum.

»Man kann wohl auch zu viel verlangen,« sagte sie, als einen Zusatz zu einem Gedanken, den sie nicht ausgesprochen hatte.

»Nicht in der Liebe,« sagte er auffahrend. »In der Liebe ist das Beste nicht genug. Sieh hier!«

Er löste einen Ring von seiner Uhrkette.

»Diesen Ring hat meine Mutter immer getragen.« sagte er. »Ich streifte ihn von ihrem Finger, als sie in ihrem Sarge lag. Hier steht: ›Fordre alles! Gib alles!‹ Diesen Wahlspruch habe ich seither zu befolgen gesucht. Es hebt die Persönlichkeit. – Sich im tiefsten Sinn nie mit weniger als mit dem Besten begnügen! Sich bei den schwersten Opfern nie mit weniger als mit dem Größten begnügen!«

Er beugte sich plötzlich über sie und streifte den Ring an ihren Finger.

»Ich gebe ihn dir als ein Andenken an diesen Abend,« sagte er.

Sie wußte nicht, warum, aber dies klang ja fast wie ein Abschiedsgruß, und eine Träne nach der anderen floß ihr unaufhaltsam die Wange herab.

»Onkel Franz,« flüsterte sie, »wir werden uns doch wohl wie bisher jeden Tag sehen?«

»Das weiß ich nicht,« sagte er und wollte sich erheben. Aber als sie ihre tränenvollen Augen zu ihm aufhob, drückte er ihren Kopf heftig an seine Brust und fügte hinzu:

»Gewiß – gewiß! – Wir zwei können einander ja gar nicht entbehren.«

Einen Augenblick saßen sie stumm da – dann erhoben sie sich wie auf schweigende Übereinkunft, löschten die Lampe aus und gingen miteinander hinaus.

Als die Tür hinter ihnen ins Schloß fiel, fühlte er sich auf einmal merkwürdig heimatlos.

Hier stand er mit seinem von Liebe übervollen Herzen, aus der Stätte hinausgeschlossen, wo das Glück wohnte, und wo der Platz einem anderen zuteil geworden, obgleich es von jeher der seinige gewesen war, ja noch war und in alle Ewigkeit bleiben würde.


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