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Elisabeth von England

Die russische Katherina sagte über die englische Elisabeth: »Jungfrau? Nein. Frau? Vielleicht. Königin und große Königin? Bestimmt.« Das sagte sie aus weiblichem Korpsgeist und um ihrem vermeinten eigenen königlichen Genius ein Kompliment zu machen. Die Jungfrau sprach sie aus ihrer robusten Natur heraus der Tudor mit ihrer langen Theorie von Liebhabern oder Kavalieren ab. Und die Frau bezweifelte sie. Aber die Elisabeth war nichts sonst als eine Frau. Der ihr zugefallenen absoluten Macht entkleidet, die es ihr erlaubte, an die Spitze jeder ihrer Leidenschaften ein Beil zu heften, mit den Füßen auf den wahren Boden des Lebens gestellt, hätte sich das Zepter in einen Besen verwandelt.

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3. Elisabeth von England. Nach einer naturgetreuen Miniatur von Nicholas Hilliard

Die Verwechslung von Größe mit Macht ist allgemein. Schwäche, Feigheit, auch Berechnung der Menschen läßt sie die Macht für Größe halten. Die Geschichtschreibung ist voll solcher falschen Größen und ihrer Verehrung. Man kann bezweifeln, ob es einen Stoff gibt, aus dem die Helden der Geschichte gemacht werden. Dieses Heldentum ist ein Begriff der Legende. Wer aus tausend Zufällen eine Schlacht gewonnen hat, ist ein Schlachtenlenker. Wer aus tausend Zufällen eine Schlacht verloren hat, ist nichts als ein unglücklicher General.

Nichts von alldem, was sich unter Elisabeths Herrschaft in England vollzogen hat, ist von ihr erkannt und gefördert, geschweige initiiert worden. Weder der Sieg des Protestantismus, so wichtig dem aufkommenden Großhandelsstande, der wußte, daß es dann konfisziertes reiches Klostergut geben würde. Weder die Etablierung von Englands Seemacht auf den Trümmern der spanischen Armada. Weder der größte Ruhm ihrer Zeit: das englische Theater.

Ihr Vater, der achte Heinrich Tudor, war ein phalarischer Stier, dessen Blut brannte, ein Despot, den seine Leidenschaften despotisierten, und der Blaubart so vieler Frauen hatte es nicht leicht, die Scheidung in sein Leben zu bringen, denn er glaubte, kenntnisreicher Theologe der er war, an die eheliche Einung durch Gott, an das Sakrament. Sechs Jahre lang traute er sich nicht, die Scheidung von Caterina von Arragon, dieser noch ganz mittelalterlichen Frau, auszuführen. Und als er es tat, wagte weder der Kaiser noch der Papst, weder Minister noch Gesandte einen Einspruch. Bloß ein kleiner alter katholischer Bischof nahm es auf sich und damit den Tod. An dem Tage, da Heinrich das Bett der Anna Boleyn zwischen England und Rom aufstellte, war der Bruch vollzogen und es gab von nun ab eine anglikanische Kirche.

Die Tochter Isabella der Katholischen und Ferdinands von Arragon war als Kind noch mit Edward, des siebenten Heinrich Tudor Sohn, verheiratet, aber diese Ehe ist bis zum Tode des dann sechzehnjährigen Edward nie konsumiert worden. So fiel die Kindwitwe an den jüngern Bruder Heinrich, der, geistlich erzogen, Kardinal, vielleicht Papst hätte werden sollen. Als König verstand er sich auf die Theologie und gebrauchte eines Tages ihr Schwert nicht schlecht. Caterina, die Edward nie geliebt hatte, liebte Heinrich, der ein schöner, starker Mann war, Prototyp der Renaissance-Orgie, die mit ihm anhob. Zehn Wochenbetten machten die Spanierin beliebt beim familial empfindenden englischen Volk. Bei Shakespeare tritt sie auf als eine einfache Frau, eine Fadensträhne Seide um den Hals, denn sie stickt. Sie war eine Pieta der ehelichen Liebe, und es bedurfte nicht des Beilhiebes auf ihren Nacken, denn ihr Herz hatte unzählige bekommen. Sechs Jahre lebte die Geliebte des königlichen Minotaurus Heinrich unter ihren Augen.

Anna Boleyn hatte an einer Hand sechs Finger und am Halse ein Kröpfchen. Den Nachtvogel hatte man sie in Frankreich genannt, diese Frau von diabolischem Charme, die Lionardo hätte malen müssen, nicht der schweizerisch-realistische Holbein. Aspasia des neuen Zeitalters war sie, die in Leo dem Zehnten ihren Perikles hatte. Von Heinrich, dem wiehernden Hengst, bekam sie Elisabeth, und da lebte er schon mit ihrer Nachfolgerin Jane Seymour, die er vierundzwanzig Stunden nach der Enthauptung der Anna Boleyn heiratete. Elisabeth war zwei Jahre alt, als dies geschah.

Nie hat jemand sich getraut, zu dem Kinde von seiner Mutter zu sprechen oder nur ihren Namen zu nennen. Den Vater sah es fast nie. Er machte sich nichts aus dem Kinde, das für ihn ein Bastard war, einer seiner vielen. Er hatte auch zu viel mit seinen Weibern zu tun. Jane Seymour starb ein Jahr nach der Hochzeit. Er heiratete Caterina Howard und ließ sie köpfen. Er heiratete Anna von Cleve, von der er sich sechs Monate später scheiden ließ, um Caterina Parr zu heiraten. Seiner Absicht, sie köpfen zu lassen, kam sein Tod zuvor.

Das war ihr Vater gewesen: ein ungeheuerlicher Mensch, ein gelehrter und höchst kultivierter Mann, ein Musikant, ein Komponist, ein Verfasser von Schriften, ein Kenner. Und ein Fresser, ein Säufer, ein Hurer und der Mörder ihrer Mutter und anderer Frauen. Als zweijähriges Kind hatte Elisabeth nicht nur ihre Mutter, sondern auch ihren Vater verloren. Welche Jugend hat dieses Kind gelebt? Was war das charakterologisch formative Element solchen Jugendlebens gewesen? Das kränkliche Wesen, voll schlechtem, wahrscheinlich luetischem Blute vom Vater her, hat körperliche Schwäche und Krankheit ausgebildet, um daraus Schonung und Rücksicht und Unbeachtung zu gewinnen, aber auch Geduld, Besinnung, Melancholie und Enttäuschung, – lieber aus so rationalen Ursachen als aus dem andern Erlebten, das zerstörerisch hätte wirken müssen auf den jungen Verstand und auf das Gemüt. Sie war kränklich und krank aus Selbstschutz, und bildete außerordentliche nervöse Kräfte aus, um Schwäche des Körpers zu überwinden und es durchzuführen, kränker zu scheinen als sie war. Nicht so furchtbar wie es den Heutigen erscheinen muß, konnte ihr der Anblick der Schafotte ihres Vaters sein. Das Gewalttätige war zeitgemäß, zumal in der Politik im Umkreis der Krone.

Von allen den vielen Kindern Heinrichs, die meist in den ersten Lebensjahren starben, haben nur drei den Vater überlebt. Außer Elisabeth der sechste Edward, der mit siebzehn als sein Nachfolger auf dem Throne stirbt und völlig verblödet war, und Maria, von der Arragonierin, die blutige Mary, bigott bis zum Irrsinn, häßlich, angstgepeinigt, invalid ihr kurzes Leben lang, verbittert, mißtrauisch, frühgealtert, mit einer rauhen Männerstimme, kurzsichtig, klein, unfruchtbar. Das war Elisabeths Stiefschwester, und von Elisabeth selber sagt einer, daß sie mit vierzehn ausgesehen habe wie eine Frau mit vierzig.

Für die Krone, die Heinrich hinterlassen hatte, waren drei, auf die sie der Runde nach kommen mußte, am Leben. Immer interessierte der Thronfolger mehr als der Kronträger. Der Thronfolger hatte auf seiner Hut zu sein.

Als der zehnjährige Edward, der Trottel, den Thron bestieg, war Elisabeth vierzehn Jahre alt. Und starb Edward, dann kam England an Mary. Und dann an Elisabeth. Wenn nicht die Pairs gewesen wären, die noch wirkliche Pairs des Königs waren, dann wäre das Ganze nur eine Zeitrechnung gewesen, wie in den heutigen konstitutionellen Monarchien. Aber die vielen Frauen Heinrichs hatten viele Verwandtschaften geschaffen, und die Krone Englands zu gewinnen war ein Preis, um den sich's zu kämpfen lohnte mit den legitimen und fast legitimen Erben: einem idiotischen Knaben, derzeit König unter einem Protektor, der halbnärrischen Mary, einer vierzehnjährigen Elisabeth.

Für den zehnjährigen Edward regierte sein Onkel Somerset als der Protektor, dessen Bruder Seymour sich die kleine Elisabeth zu heiraten insinuierte, die er in ihrem Schlafzimmer überfiel, zu ihr ins Bett kroch, die sich wehrte und schrie. Der Protektor brachte seinen Bruder unter das Beil. Aber er fand sich sofort mit einem andern Rivalen auf die Thronfolge konfrontiert, dem Herzog von Northumberland, dem Haupt der Familie Dudley, dem Vater des Grafen Leicester. Der war stärker, und sechs Monate nach seines Bruder Seymour Hinrichtung mußte der Protektor fliehen, aber das Beil erreichte auch ihn. Dies war Northumberlands Plan: Edward sollte die Thronansprüche Marys und Elisabeths vernichten und dafür Northumberlands Schwiegertochter, Jane Grey, die Tochter von Heinrich des Achten Nichte, zu seiner Nachfolgerin ernennen. Zwei Monate vor seinem Tode stimmte König Edward Northumberlands Plänen zu und unterzeichnete. Das war im Juli 1553. Der sterbende König, so ließ Northumberland an Mary und Elisabeth berichten, wünsche sie beide an seinem Lager zu sehen. Der Königsmacher hatte alles in den Händen, seinen Sohn zum König zu machen, nur die zwei Frauen fehlten ihm und daß sie noch lebten. Mary ging in die Falle und kam von Hundson nach London. Elisabeth aber blieb in ihrer Halbgefangenschaft zu Hatfield. So kam eine Gesandtschaft zu ihr, ihr zu melden, daß ihr Stiefbruder Edward tot und Lady Jane Grey seine Nachfolgerin sei. Die Geldsumme, die man der nun Zwanzigjährigen dafür bot, daß sie auf alle ihre Ansprüche verzichte, war bedeutend. Aber geizig wie sie war, sah sie bei jedem Gelde immer eine weit größere Summe, die das wert war, was man ihr abkaufen wollte. Aber auch für andere, klügere Erwägungen war das Mädchen in seiner Einsamkeit reif geworden. Auch wußte sie, daß es immer um ihr Leben ging. Wie die Dinge in London lagen, war ihr unbekannt. Unterschrieb sie den Verzicht, dann erklärte sie sich damit gegen Mary, die vielleicht schon Königin war. Weigerte sie sich und war Northumberland der stärkere, so nahm ihr dieser das Leben. Sie wich aus. Sie erklärte, daß es ihre Stiefschwester Mary sei, mit der zu verhandeln wäre, denn solange Mary lebe, habe sie selber keinerlei Ansprüche auf den Thron, könne also nicht auf etwas verzichten, was ihr gar nicht zukomme. Und wurde krank und legte sich zu Bett.

Elisabeth hatte richtig gesetzt. Northumberlands Kopf fiel, und die blutige Mary zog in London als Königin ein, und ihr zur Seite war Elisabeth. Aber das gute Einvernehmen mit der königlichen Stiefschwester, der orthodoxen Katholikin, dauerte nur vier Wochen. Elisabeth war der machtpolitische Faktor der protestantischen englischen Majorität, – ohne diese Stütze war sie nichts. Sie kannte ihre Verpflichtung. Sie weigerte sich, an der Wiederherstellung der katholischen Messe teilzunehmen. Aber damit spannte sie den Bogen zu scharf an und die Sehne drohte zu reißen. Als sie das merkte, gab sie nach ein paar Tagen nach. Sie wäre vielleicht schlecht unterrichtet über diese Dinge und man möge ihr einen Lehrer geben. In einem Spiel, das den Einsatz des Kopfes verlangte, suchte sie diesen mit aller Klugheit zu behalten, festen Willens, ihm die Krone aufzusetzen und das Spiel zu gewinnen. Höchste Aktivität ihres Hirns entwickelte sie, wobei ihr ein kränklicher schwächlicher Leib vorzügliche Dienste tat.

Man hat Elisabeth die Lady Tartuffe der Jungfräulichkeit genannt. Gewiß war sie unfruchtbar: der faule Samen ihres Vaters, der so viele Frauen aufsuchte, die ihn gesund machen sollten, wollte sich nicht perpetuieren. Wahrscheinlich war es ihr auch versagt, sich von einem Manne normal umarmen zu lassen. Die offensichtlichen und simplen weiblichen Wirkungsmittel strahlender fraulicher Schönheit und gesundheitsstrotzender Ovarien hätten sie zur Sklavin solcher Vorzüge gemacht. Aus diesen weiblichen Defekten hatte sie als Staatsperson einen Vorteil. Aber diese Mängel zwangen sie nicht nur nicht zum Verzicht auf die weiblichen Wirkungen, sondern zu einer mit großem Geschick ausgearbeiteten Scheinhaftigkeit. Sie verstand es, die Frau zu spielen wie nur eine Frau das kann. Was man liebende und mütterliche Instinkte nennt, konnte sie nicht in diesen Dienst stellen, denn sie besaß derlei nicht in dem unzulänglichen Rahmen ihres Leibes. Aber so zu tun, das konnte sie darum nur um so besser. Und muß damit nicht geringe Wirkungen erzielt haben. In ihrer geschlechtlichen Verkrüppelung fand sie die unerschöpfliche Quelle einer Selbstsüchtigkeit, die für ihre Person und für ihre Herrschaft von Vorteil war. Sie bohrte, als Liebhaberin, nur den Fingernagel in die Frucht, aber sie aß sie nicht. Sie konnte sich das und mehr aus ihrer Stellung erlauben, die sie von Bindungen anderer Frauen befreite. Dafür banden sie eine elende Gesundheit und ein ständiges nervöses Mißbehagen, das sie an den Mädchen und Frauen ihrer Umgebung ausließ, deren Amouren sie kassierte, wenn sie ernst wurden. Sie konnte hübsche und sich dessen bewußt bedienende Frauen nicht leiden. Aber Männer liebte sie jung und hübsch, soweit sie ihren Zwecken dienten. Daß die bis in das Alter reizvolle, wenn auch kahl gewordene Stuart sich in ihrer Wirkung auf Männer nicht erschöpfte, das nahm sie ihr weit mehr übel als alle ihre Verschwörungen. Und zauderte, sich solchen persönlichen Grundes etwas schämend, jahrelang, das Todesurteil zu unterschreiben und eine Frau richten zu lassen, von der feststand, daß sie Jahre hindurch keinen andern Wunsch hatte als den Tod der Elisabeth.

Sie war zwanzig, als ihre Geschicklichkeit, sich zwischen Katholiken und Protestanten, Aristokratie und Volk, dem Papst und den europäischen Mächten zu behaupten, die Belohnung erfuhr und auf ihr Haupt die Krone Englands kam. Vielleicht sah Shakespeare die Barke, die sie mit ihren Frauen die Themse hinunter nach London brachte:

Die Barke, drin sie saß, brannt' auf dem Wasser
Hellstrahlend wie ein Thron; getriebnes Gold
Des Schiffes Spiegel; Purpursegel dufteten
Umbuhlt von liebeskranken Winden; Silber
Die Ruder, die zum Flötenton sich regten
Und denen die geschlagnen Fluten folgten,
Verliebt in ihre Schläge. Nun sie selbst –
Armsälige Schilderung! ...

Aber ein Stück zu ihrem Tode, das sie verherrlichen sollte, zu schreiben, dazu war der Dichter nicht zu bewegen. Mit dem »sie selbst« in des Enobarbus Bericht verläßt die Erinnerung wohl die gekrönte Königin. Denn diese war nicht »das Venusbild, in dem die Phantasie Natur bemeistert«.

Elisabeth war groß und ungelenk und steif. Ihr weißroter Teint verfärbte sich im Zorne grünlich. Als herrlich rühmte man immer ihre Hände, die man nur mit jenen Heinrichs III. Valois verglich, der ein Hermaphrodit war. Sie saß keinem Maler, sondern dekretierte ihr offizielles Bildnis. Mit achtundzwanzig erklärt sie, was man für Falten in ihrem Gesicht halte und für Zeichen frühen Alters seien Spuren von Pockennarben. Sie sei, wenn auch nicht mehr jung, so doch Kinder zu kriegen noch fähig, wenn auch mehr wie die heilige Elisabeth durch die alleinige Gnade Gottes. Mit einunddreißig wurde sie kahl und trug eine rote Perücke. Ihre Zähne sind, als sie fünfzig zählt, schwarz. Mit sechsundsechzig reitet sie noch im Sturm und Regen, und als man ihr wegen ihres Alters abrät, ruft sie: »Meine Jahre! Schnell, Mädchen, auf die Pferde!« Dabei plagt sie seit zwei Jahrzehnten ein immer aufbrechendes Geschwür am Bein. Bei üblen Berichten stampft die alte Frau auf den Boden, sticht mit ihrem Schwert, das sie seit der Niederwerfung der Essex-Rebellion immer zur Hand hat, in die Tapeten. Sie war neunundsechzig alt, als sie den Essex, ihren letzten Freund, köpfen ließ. Sie liebt es, im Dunkel zu sitzen und über ihn zu weinen. Ihr rechter Arm ist gelähmt. Geschwüre am Hals eitern. Sie hält sich ihre Hände vor die kurzsichtigen Augen: sind sie noch immer schön?

Die Proportionen ihrer Launen und Kaprizen waren unmeßbar. Die Geduld und Geschicklichkeit der sie umgebenden Männer waren groß, größer noch der sie bestimmende Wille, eine erkannte Sache zu halten und zum Ziel zu führen. Auf Geld und Kostbarkeiten aus wußte man diese Passion zu nützen. Es gab immer den Schlüssel, das Schloß aufzusperren. Drake, diesen Prachtkerl, hat sie in seiner Bedeutung nicht erkannt, zumal er sich auch in keiner Weise als ein Amant vorstellen konnte. Für Elisabeth war er nur der tollkühne Pirat, an dessen Unternehmungen, die spanischen Silberflotten zu plündern, sie sich mit ein paar Schiffen der Flotte und mit Geld beteiligte. Philipp baute seine Armada aus, rüstete gegen England, und Drake drang auf eine Flotte und den zuvorkommenden Angriff. Aber Elisabeth spann immer noch ihre dünnen diplomatischen Fädchen, was sie für ihre hohe Politik und ihre großartige Begabung dafür hielt. Sie brachte aber auch zu ihrem irrtümlichen Optimismus nicht den ganzen Mut auf, sondern wechselte jeden Tag das Spiel ihrer Intrigen. Es war immer der letzte, der mit ihr sprach, der sie überzeugte, und dabei war der Kontroller ihres Haushaltes, Sir Croffts, ein spanischer Agent, und sie wußte es nicht. Zum Schutz der englischen Küste arbeitete sie beim Herannahen der Armada mit ihren Leuten und Croffts ein Schema aus, das, befolgt, den Sieg Spaniens und den Untergang Englands bedeutet hätte und das besser auch Medina Sidonia nicht hätte erfinden können. Der Herzog von Parma, Statthalter der spanischen Niederlande, der nur Aufträge aus dem Eskurial befolgte, hielt sie zum Narren, als er auf Elisabeths Friedensvorschläge einging und ihr Hoffnungen machte. Über ihre Flottendemonstration vor Vlissingen lachte er. Seinen Versicherungen, daß Spanien nicht gegen England rüste, glaubte sie, drang aber immer wieder in Drake, aufs neue loszufahren, die spanischen Silberschiffe auszurauben. Als dieser großartige Kerl dann mit wenigen und ganz ungenügend verproviantierten Schiffen in Plymouth lag, ließ ihn Elisabeth nicht auslaufen, wie er wollte, sicher, daß nur der Angriff die nahende spanische Flotte zerstören könne. Sie stimmte zu, widerrief, nahm zurück, gab Befehl, zauderte, zögerte, und leistete damit Philipp die größten Dienste. Während des Kampfes stellten die englischen Schiffsführer fest, daß ihnen die Königin aus Geiz ungenießbaren Proviant und kein Pulver geliefert hatte. Der englische Sieg war ein Zufall, den der erfahrene Drake auszunützen verstand. Als aber die zersprengte Armada ihre letzten Wracks an die schottische Nordküste warf und jede Gefahr vorüber war und die spanische Seemacht für alle kommenden Jahrhunderte zugunsten der englischen abgedankt hatte, da war sich Elisabeth dieser Bedeutung nicht im mindesten bewußt, denn sie fragte nach nichts als der Beute. Verlangte von Drake ein Inventar der erbeuteten Schätze und zu wissen, warum man kein erobertes spanisches Schiff nach London herauf gebracht habe. Währenddem verreckten die verwundeten englischen Matrosen in den dumpfen Schiffskajüten. Und schon drängte sie Drake, die west-indische Goldflotte abzufangen, denn die Vernichtung der Armada habe sie abscheulich viel Geld gekostet. Kaum ist er fort, vermißt sie Essex, der ihr ausgerissen war, schickt Boten, Drake solle sofort umkehren und den Essex mitbringen. Der antwortet, er sei nicht auf seinem Schiffe – er war auf einem andern der Flotte –, er halte ihn nicht versteckt und Umkehren, das koste weitere Provision und bedeute die Landung von 20000 hungrigen Seeleuten in Plymouth. Da zog Elisabeth sofort ihren Geldbeutel zu und ihre Sehnsucht nach Essex. So viel Geld war er ihr nicht wert, zumal er auch seine Schulden an sie noch nicht bezahlt hatte. Sie bekam ihn dann vier Wochen später zurückgeschickt, als sie gehört hatte, daß er doch bei der Flotte sei und in einem wütenden Brief seine sofortige Heimkehr verlangte.

Sie war Danae, die auf den Goldregen wartet und nie genug davon bekommen kann. Es ist eine Legende, daß sie die englische Flotte geschaffen. Faktisch tat sie alles, ihr Zustandekommen zu hindern. Sie war mit Geld an allen Piraterien beteiligt, – das war ihr maritimes Interesse, nichts sonst.

Sie war, ganz ohne irgendeinen Glauben, protestantisch, denn der Protestantismus hatte sie legitim gemacht. Gott war nichts weiter als ihr politischer Kammerdiener. Daß sich während ihrer Regierung ein Volk schuf, eine Herrschaft organisierte, eine Religion stabilisierte und mit der Seemacht der Grund zum Imperium gelegt wurde, hat gar nichts mit Elisabeth zu tun und wäre auch von einer andern Figur auf dem Throne zu schaffen gewesen. Ihr Wesen ließ den sich rührenden Kräften Raum, nicht aus Einsicht in diese Kräfte, sondern aus Schwäche, mit der man fertig wurde.

Sie war kurzen Gesichtes in jeder Deutung. Voll weiblicher Eifersucht auf Macht und Rolle. Voll Gier nach Geld. Voll Eifersucht auf die Liebe. Gab es ein Liebespaar am Hofe, sperrte sie den Mann in den Tower, oft auch die Frau samt deren Kind, und gab sie erst nach Monaten frei, gegen Zahlung eines schweren Lösegeldes. Die Gelegenheit, daß sich ihre Geliebten oder wie sonst die Männer ihres privaten Umganges zu bezeichnen sind, in eine andere Frau verliebten, war immer in ihren Maids of honor gegeben. Die Enkelinnen der ersten, die sie mit fünfundzwanzig hatte, umgaben sie als sie fast siebzig zählte. Die möglichen Liebesaffären und ihre Akteurinnen unter ihren Augen zu haben und überwachen zu können, ließ sie immer junge Mädchen zu ihren Damen wählen. Mochte Raleigh, Leicester, Essex zu einer derben Magd oder Schenkdirne gehen, daran lag ihr nichts, die solches Vergnügen nicht schenken konnte, wohl aber daran, daß diese ihre Männer liebten. Da langte sie nach dem Beil.

Sie war vierundfünfzig alt, als sie das Todesurteil der um zehn Jahre Jüngern, zwölf Jahre gefangengehaltenen und gleich ihr kahlen Maria Stuart unterzeichnete und damit der Schottin ein Martyrium gab, das sie nicht verdiente. Denn Maria ließ nicht weniger leichten Herzens zum Tode gehn als Elisabeth. Aber sie war die jüngere und hatte wirklich viel geliebt, ganz Gefangene ihrer Sinne, und das weckt die Sympathien und steigert sie zu einem Gefühl, das man nur wenig zu drücken braucht, um die Tränen fließen zu machen. In ihrem letzten Briefe an den Papst verlangte Maria, daß er eine bewaffnete Revolution hervorrufe, einen Einfall in England unterstütze, um Elisabeth zu entthronen. Sie hatte römische Freunde, die mit Hilfe irgendeines hübschen Jungen, dem sie erlag, ihr das diktierten, und Elisabeth hatte für ihr Todesurteil eine Staatsräson. Gab ihr Marias Sohn, den sie von Rizio hatte, nicht Recht, als er, loyal gemacht durch das Versprechen, die englische Krone zu erben, sich nicht im geringsten um seine Mutter und ihr Schicksal kümmerte –?

Aber Jakob hatte zu warten. Wie der bestellte schottische Gesandte in London zu warten hatte in der Anticamera, so daß er durch die halboffne, wie zufällig eben offen gelassene Tür hören und sehen mußte, wie die fünfundsechzig jährige Königin zu einer fröhlichen Fiedel eine Gaillarde tanzte, einen allerdings nicht sehr lebhaften, doch aber einen Tanz. Elisabeth tat sehr überrascht und ein bißchen beschämt, wie, als sie den Gesandten zu bemerken beliebte, dieser an seiner Indiskretion, wie er glaubte, daß es eine sei, Vergnügen empfand. Das war übrigens Elisabeths letzter Tanz, ihre letzte Anstrengung, ihr letzter Schlag in Maria Stuarts, der besiegten und toten, Gesicht. Der schottische Gesandte war die Nachwelt, für die sie tanzte, die »unbesiegbare Seele«, denn der Gesandte sollte dem auf den Thron ungeduldig wartenden Jakob melden, daß es lange noch nicht so weit sei. Man tanze immer noch eine Gaillarde.


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