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Heloise

Da war in Paris ein junges Mädchen namens Heloise, die Nichte eines Kanonikus Fulbert. Dessen eifriger Wunsch war es, daß sie in den Wissenschaften die beste Erziehung haben sollte, die es gab. Sie war nicht häßlich und ihre Kenntnisse hatten nicht ihresgleichen. Dieser bei Frauen so seltene Umstand hatte ihr großes Ansehn gegeben. »Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt enthaltsam gelebt, doch schlug ich nun meine Augen auf und sah, daß sie alles besaß, was Liebende suchen. Ich zweifelte auch nicht an meinem Erfolg bei ihr, wenn ich meinen Ruhm bedachte und meine hübsche Figur und auch ihre Vorliebe für die gelehrten Kenntnisse. Von der Liebe durchdrungen, dachte ich daran, wie ich am besten mit dem Mädchen in vertraute Nähe kommen könnte. Es ergab sich, daß ich bei ihrem Onkel Quartier bekam, unter dem Vorwand, daß Arbeit im Haushalt mich vom Studium abzöge. Freunde brachten dies bei ihm zur Sprache, und der alte Mann war geizig und doch begierig darauf, daß seine Nichte Unterricht bekäme. So gab er sie mit Eifer unter meine Lehre und bat mich, ihrem Unterricht alle Zeit zu schenken, die ich erübrige, und erlaubte mir, sie zu jeder Stunde des Tages oder der Nacht zu sehen und wenn nötig auch zu bestrafen. Ich war erstaunt über die Einfalt, mit welcher er ein zartes Lamm einem hungrigen Wolf anvertraute. Da er mir Gewalt gegeben hatte, sie zu strafen, erkannte ich, daß, wenn Zärtlichkeit meinen Gegenstand nicht gewinnen mochte, es mit Vorwürfen und Schlägen möglich sein könnte. Ohne Zweifel war er von der Liebe zu seiner Nichte und meinem guten Ruf verblendet. Und so geschah es. Erst vereinte uns ein gemeinsames Dach, dann unsere Herzen. Die Stunden unseres Unterrichtes schenkten wir der Liebe. Die Bücher lagen offen vor uns, aber was wir sprachen war mehr von Liebe als von Philosophie und es gab mehr Küsse als Lehrsätze. Und Liebe widerstrahlten unsere Augen öfter als die beschriebene Seite. Um Verdacht zu vermeiden, schlug ich sie zuweilen – zärtliche Schläge der Liebe waren es. Die Freude der Liebe, uns neu, kam zu keiner Sättigung. Je mehr ich von dieser Lust erfaßt wurde, um so weniger Zeit gab ich der Philosophie und den Schulen, – wie lästig war mir all das geworden! Ich wurde unfruchtbar, wiederholte bloß noch alte Vorlesungen, und schrieb ich Verse, so war Liebe ihr Gegenstand und nicht die Geheimnisse der Philosophie. Ihr wißt, wie weithin gesungen und bekannt meine Liebeslieder wurden! Aber unter meinen Schülern war Klage und Jammer über meine Ablenkungen. Eine so offen gezeigte Leidenschaft konnte nicht geheim gehalten werden. Jeder wußte davon, nur Fulbert nicht. Der Mann ist oft der letzte, der von seiner Schande erfährt. Aber nach einigen Monaten erfuhr er alles. Wie bitter war des Onkels Schmerz! Aber wie viel bitterer noch der Liebenden Trennung! Wie sehr schämte ich mich und wie bekümmert war ich vom Kummer des Mädchens! Und was für ein Sturmwind von Sorge kam über sie nach meiner Ungnade!«

So beginnt Abälard seine Historia Calamitatum, wühlt in deren erstem Kapitel, – als offner Brief an einen Freund gedacht – der weniger seinet- als seiner Geliebten wegen berühmt gewordne Liebhaber und Schulmeister in der Asche seiner Liebe, um das Fünkchen zu finden, das ihn einmal entzündet, – damals, vor zehn Jahren. Denn zehn Jahre sind vergangen, seitdem ihn die Diener des Kanonikus überfallen und seiner Mannheit beraubt hatten, den damals Sechsunddreißigjährigen, dessen nun verfaltetes, zerrunzeltes Gesicht nicht mehr verrät, daß es einmal das eines hübschen jungen Mannes war, der als Lehrer eine große Karriere vor sich hatte. Daß er diese nicht machte, daran war nicht jene fatale Operation schuld. Erst nach ihr ergab er, der bis zum Erlebnis Heloise als ein Dialektiker exzelliert hatte, sich der theologischen und metaphysischen Spekulation, und sein Geist hatte nicht gelitten. Aber seinen wenig sympathischen menschlichen Charakter verschärfte jener Unfall: der eitle Mann war in seiner Eitelkeit aufs schwerste davon betroffen. Das machte ihn gallig und streitsüchtig und rechthaberisch. Machte ihn enger und kleiner als er vielleicht zuvor war. Als man ihm kurz vor seinem Tode – er war dreiundsechzig als er starb –, in Bernhard von Clairvaux den Gegner gab, da brauchte dieser Größte der mittelalterlichen Streiter nur die Hand ein bißchen zu heben, und der »liberale« Abälard war nicht mehr. Man tut ihm die größte Ehre, nennt man ihn einen kleinen Descartes dreihundert Jahre vor dem Descartes. Aber nicht mit seiner Logik, sondern mit seiner Liebe und seiner Konfession wegen kam er auf die Nachwelt und nicht um seiner Liebe willen, sondern der der Geliebten.

»Es war bald danach, daß sich das Mädchen als Mutter erkannte, und sie schrieb mir in größter Freude und fragte mich, ihr zu sagen, was sie tun solle. Wir kamen überein und eines Nachts, da Fulbert abwesend war, nahm ich sie heimlich mit mir und schickte sie in meine bretonische Heimat, wo sie bei meiner Schwester verblieb, bis sie einen Sohn zur Welt brachte. Sie nannte ihn Astrolabius. Als der Onkel in sein leeres Haus zurückkam, raste er. Er wußte nicht, was er mir antun sollte. Mich zu töten oder sonst mir was tun, das mied er nur aus Furcht, daß seine geliebte Nichte von meinen Leuten in der Bretagne zu leiden haben würde. Er konnte mich nicht greifen, ich war gegen alle Gefahr gerüstet. Endlich bewegte mich Mitleid mit seinem Gram und das Gewissen, dessen Ursache zu sein, daß ich zu ihm ging, ihn bittend und ihm versprechend, alles zu tun, was ihn beruhigen könnte. Ich sagte ihm, daß keinen, der die Stärke der Liebe je gekannt, das was ich tat ungeheuer erscheine, und daß er sich erinnern möge, wie schon die größten Männer seit die Welt besteht von der Frau unterjocht worden seien. Darauf bot ich ihm Genugtuung, größer und mehr als er hoffen konnte, nämlich jene zu heiraten, die ich verführt hatte, wenn nur diese Heirat geheim gehalten würde, so daß sie mich in dem Ansehn der Menschen nicht schädige. Er war damit einverstanden und besiegelte mit einem Kuß die Versöhnung, die ich erbeten hatte – alles damit er mich nur um so leichter betrügen könne.«

Die niedern Weihen hätten Abälard zu heiraten nicht gehindert. Daß ihm die Heirat im Ansehn der Menschen und zumal seiner Schüler geschadet hätte, ist bei dem geringen Ansehn, daß die Ehe genoß, nicht zu bezweifeln. Das Kind war zur Heirat keine Nötigung. Denn ein uneheliches Kind zu haben, galt im Mittelalter nicht als Schande, fiel nicht einmal als was Ungewöhnliches auf. Die Genugtuung, die Abälard bot, war in der Tat groß. Heloise selber weist sie als zu groß ab.

Abälard kannte mit vierzig den Ruhm. Tausende von Schülern lauschten seinem Wort. Seit zehn Jahren kennt ihn Europa. Aber er kennt die Liebe nicht. Wie er selbst sagt, fand er die käuflichen Frauen verächtlich. Sein Beruf gab ihm keine Möglichkeit, den großen Damen den Hof zu machen. Mit dem Bürgertum war er ohne Beziehungen. Er war in der Liebe ein schwieriger Fall geworden. Da warf ihm der glückliche Zufall ein junges Mädchen in den Weg, ziemlich hübsch und von hoher Kultur. Das Verlangen erwacht und treibt ihn, daß er sogar schlimmen Verdacht riskiert, indem er seinen Unterricht umsonst anbietet, nur gegen Wohnen und Kost. Der geizige Fulbert akzeptiert gern. Der naive Fulbert sieht nichts, empfiehlt dem neuen Lehrer, wie üblich die Rute zu gebrauchen, falls die Schülerin faul sein sollte. Die Schülerin war siebenzehn Jahre alt. In diesem Alter verliebt man sich in den Lehrer, auch wenn er weniger Feuer hat als es Abälard gehabt haben dürfte. Vielleicht war dieser alte Fulbert gar nicht so naiv, sondern überlegte, wie er Abälard in die Not setzen könnte, die Nichte zu Bedingungen zu heiraten, die ihm, dem Onkel, als die billigsten paßten. Vielleicht war Abälard ein geschickter, gelüstiger Verführer. Als er bei Fulbert Wohnung nahm, war sein Ziel, Heloise zu seiner Geliebten zu machen, – er sagt es selber. Allerdings zu einer Zeit, wo er sich über sein Unglück nur damit trösten konnte, daß er es nicht verdient habe. Wahrscheinlich ist, daß er das zuvor als Verführer Überlegte völlig vergaß über ein neues Gefühl, und daß er mit aller Kindlichkeit und Leidenschaft sich in Heloise verliebte, als ein Vierzigjähriger in eine Siebenzehnjährige. Die zitierte Stelle, wo er von dem gemeinsamen Dache sprach und von dem Herzen, das sie noch stärker vereint, zeigt, nach den Jahren, die verflossen sind, noch die dunkle Bewegtheit leidenschaftlicher Liebe.

Vor einem Jahre hatte Heloise die Klosterschule zu Argenteuil verlassen, als sie den eleganten, lebhaften und schönen Abälard zum erstenmal sah, den sie dem Ruf nach kannte. »Alle Frauen«, schreibt er harmlos, »würden sich von meiner Liebe für geehrt gehalten haben.« Man muß nicht an einen pedantischen Universitätsprofessor denken, nicht einmal an eine Universität, die es noch nicht gab. Als Lehrer aufzutreten war ein gänzlich freier, nur auf die Personsbedeutung gestellter Beruf, keine Anstellung, kein automatischer Effekt eines absolvierten Schulganges. Heloise folgte mit Eifer dem Vortragenden. Daß sie trotz ihrer Jugend Geist habe, sagte man in Paris. Ihre Bedeutung kündete sich früh an. Wenn Abälard sich die Rolle des Verführers gab, so dürfte er sie vor diesem brennenden, geistigen Geschöpfe allsofort aufgegeben oder vergessen haben, das den zu lieben verlangte, den es bewunderte. Ihr ganzes weiteres Leben beweist es, daß sie sich freiwillig und mit Freuden hingab. Daß sie nicht das Lamm war, das ein Wolf zerriß. Beide verführten einander, beide gehorchten ihrem Schicksal, das sie über die höchste Freude ins tiefste Mißgeschick führte.

Als die in Paris längst verbreitete Kunde von der Liebe Abälards und Heloisens – der Dichter und Musiker Abälard macht kein Hehl aus ihr – schließlich auch zu Onkel Fulbert kommt, jagt er den Lehrer aus dem Hause und sperrt die Schülerin ein, – dies nicht sehr sorgsam, denn die Liebenden sehen einander weiter, schreiben einander, worauf Abälard sehr stolz ist, denn wenige Liebespaare dieser Zeit wären einander zu schreiben fähig gewesen. Heloise wird schwanger. Er bestimmt sie zur Flucht, Skandal vom Onkel befürchtend, und bietet ihr ein Asyl bei seinen Verwandten in der Gegend von Nantes an. Hier bringt sie einen Sohn zur Welt, dem die Eltern den sonderbaren Namen Astrolabius geben.

Den wild und närrisch gewordnen Onkel sucht Abälard mit der Ehe zu beruhigen: er kommt über das Vorurteil seiner Zeit nicht hinweg, das Ehe und einen geistigen Beruf für unverträglich hält. Heloise ist gegen diese Ehe, weniger aus Entsagung als aus Logik. Sie würde so wenig wie ihre Liebe geheim bleiben. Die von Abälard wiedergegebne Antwort seiner Geliebten ist nicht ungewöhnlich für ein junges Mädchen dieser Zeit, in der die intellektuelle Klasse ganz offen das Konkubinat praktizierte, aber sie spricht wie die geborne Geliebte, wenn sie sagt: »Der Titel der Geliebten ist mir um vieles kostbarer und ehrenvoller als der der Gattin. Ich will an dich nur durch die Gunst deiner Zärtlichkeit gehalten sein und nicht gefesselt durch das eheliche Band. Das getrennte Leben wird um so größeren Zauber auf die Zeit unseres Zusammenkommens legen.«

Die geheime Hochzeit fand dennoch statt, in Gegenwart des Onkels und von Freunden. »Doch wir sahen uns nur selten und heimlich, um möglichst zu verbergen was geschehen war.« Aber der kindliche Ehrgeiz des Kanonikus und seiner Familie tat stolz mit dieser Heirat und redete laut und offen davon. Heloise machte dem Onkel deswegen Vorwürfe und bekam Schläge dafür. Zum andern Male half ihr nun Abälard zur Flucht und brachte sie zu den Nonnen von Argenteuil, wo sie erzogen worden war. Fulbert beschuldigte ihn nun, daß er seine Frau ins Kloster gebracht habe, um sie loszuwerden. Nicht eine beleidigte Ehre, nicht ein Schmerz um die Nichte war das Motiv seiner Rache, welche Abälard der Mannheit beraubte, sondern ganz gewöhnliche gekränkte Eigenliebe. Er hatte nichts von der Verwandtschaft mit dem berühmten Manne, wenn er nicht davon reden und sich in ihr Licht stellen konnte.

Abälard wurde, gegen jede innere Berufung, Mönch in Saint-Denys. Heloise nahm den Schleier in Argenteuil. Es vergingen Jahre, bis der Geschändete den Mut fand, seine Geliebte wiederzusehen. Und er tat es nur, um ihr zu Hilfe zu kommen, als man die Nonnen aus ihrem Kloster vertrieb und sie kein Asyl hatten. Er gab ihnen Unterkunft vor Paris, auf dem Hügel von Sainte Geneviève, wo er einmal lehrte, als man ihn aus Paris vertrieben hatte. Und wieder vergingen Jahre, als er jenen Brief an den Freund verfaßte, in dem er die Geschichte seines Unglücks erzählt. Heloise las die Schrift und antwortet. Seit zehn Jahren ist sie Nonne. Sie hat nichts vergessen. Sie versenkt sich in ihre seligsten Erinnerungen. Sie liebte und liebt noch immer. Man kann die Dürre von Abälards Antwort auf diesen Brief begreifen. Er wagt es nicht, einem grausamen Geschick unterworfen, ein unnützes Glück zu beklagen. Er gibt enttäuschende Ratschläge und aus immer noch währender Liebe zu ihm folgt ihnen Heloise und schweigt über ihre unvergänglichen Gefühle. Solches schreibt sie in ihrem ersten Briefe:

»An ihren Herrn, mehr ihren Vater, an ihren Gatten, mehr ihren Bruder, sein Mädchen, eher seine Tochter, sein Weib, eher Schwester, an Abälard Heloise. Dein Brief, Geliebter, geschrieben um einen Freund zu trösten, kam durch einen Zufall unter meine Augen. Bei der ersten Zeile erkennend, von wem er war, brannte ich danach, ihn zu lesen, um der Liebe willen, die ich für den trage, der ihn schrieb, und in der Hoffnung auch, aus seinen Worten mir das Bild jenes zu erneuen, dessen Leben ich zugrunde gerichtet habe. Die Worte, die ich las, tropften Galle und Bitternis, als sie die unglückliche Geschichte unsres endlosen Jammers zurückbrachten, Du mein Einziger. Wahrhaft, der Brief muß den Freund über seinen Kummer getröstet haben, der leicht ist verglichen mit unserm ... Wer könnte, was du berichtest, mit trocknen Augen lesen! ... Du hast mit Deinem Trostbriefe an den Freund und der Geschichte unseres Leides meinen Schmerz aufs neue erweckt und meine Untröstlichkeit vermehrt. Heile diese neuen Wunden! Mir bist Du tiefer in Freundschaft verschuldet als jenem Freunde, denn Freunde sind wir nicht nur, sondern teuerste und nächste Freunde, und Deine Tochter bin ich ... Du Teuerster, Du weißt, und wer weiß es nicht, wie viel ich in Dir verlor und wie ein Verrat mich Deiner beraubte und meiner in einem Male. Je größer mein Schmerz ist, um so größer das Bedürfnis nach Trost, und Trost von keinem andern als von Dir, also daß Du, die einzige Ursache meines Schmerzes, auch mein einziger Trost seiest. Nur du kannst mich schmerzen und freuen, selig machen und aufheben. Und Du allein bist mir das schuldig, besonders seit ich Deinen Willen so völlig tat, daß ich, unfähig Dich zu betrüben, es hinnahm, mich selbst auf Deinen Befehl hin zu vernichten. Und mehr noch als dies, denn Liebe wandelte sich in Narrheit und schnitt sich alles Hoffen ab dessen, was allein sie suchte, als ich gehorsam folgend das Kleid wie das Herz wandelte, um Dir zu beweisen, daß Dir allein gehört dieser mein Leib und dieser mein Wille. Gott weiß es, ich suchte in Dir nichts als Dich selber, verlangte nur Dich und nicht was Dein war. Ich fragte nicht nach Heirat, nicht nach Leibgedinge; nicht meine Lust, noch meinen Willen, sondern nur Deine Lust und Deinen Willen zu erfüllen war alle meine Mühe. Und wenn auch der Name Eheweib heiliger scheint oder mächtiger, so war doch das Wort Geliebte mir immer süßer gewesen, ja selbst, sei nicht erzürnt, das Wort Beischläferin oder Hure. Denn je niedriger ich mich vor Dir machte, um so mehr hoffte ich Deine Gunst zu erringen und um so weniger fürchtete ich, dem Ruhme Deines Ansehns zu schaden. Es war lieb von Dir, daß Du Dich dessen in Deinem Trostbriefe erinnertest, indem Du die Gründe, aber nicht alle! angabst, weshalb ich Liebe der Ehe vorzog und Freiheit der Kette ... Sag mir eines: warum hast Du mich, seit ich auf Deinen Wunsch den Schleier nahm, vergessen und mir kein Wort gegeben, auch nur in einem Briefe? Sag es mir, wenn Du kannst, oder ich will Dir sagen, was ich oft fühle und was eines jeden Meinung ist: daß nur Verlangen und nicht Freundschaft Dich zu mir getrieben hat, Lust und nicht Liebe. Und daß, als das Verlangen schwand, auch alles andere mit dahinging. Das ist nicht so sehr meine Meinung, als die der andern alle. Ich wollte, es wäre nur die meine und daß Deine Liebe Verteidiger fände, die meine Schmerzen verscheuchten. Ich wollte, daß ich eine Ursach fände, Dich zu entschuldigen und damit auch meine Wohlfeilheit verdeckte. Hör, ich bitte Dich, um was ich Dich bitte, es ist wenig und für Dich ein gar Geringes. Da ich Deinen Anblick nicht habe, gib mir Worte, von denen Du so viele besitzest, und schenk mir damit, daß ich davon Dein süßes Bildnis habe. Vergeblich erwartete ich Dich gütig in Taten, wenn ich Dich als einen Geizhals in Worten fände. Wahrhaftig, ich dachte, ich hätte mehr um Dich verdient, wo ich doch alles um Deinetwillen tat und um Dir zu gehorchen, und immer noch gehorche. Fast noch ein Kind, tat ich Gelöbnis als Nonne, nicht aus Frömmigkeit, sondern auf Dein Geheiß. Wenn ich nichts von Dir verdiene, wie vergebens ist mein Tun! Ich kann von Gott keinen Lohn erwarten, da ich ja nichts aus Liebe zu ihm tat. Deinem Ruf zu Gott folgte ich oder ging ihm voraus. Denn, Du erinnerst Dich, wie Lots Weib sich wandte, Du übergabst mich gebunden Gott, und dann erst folgtest Du. Du trautest mir nicht, ich wurde rot darüber und traurig in meinem Herzen. Aber Gott weiß, ich wäre Dir in das Feuer der Hölle gefolgt. Denn mein Herz ist nicht bei mir, sondern bei Dir, und jetzt mehr als je, denn wenn es nicht bei Dir ist, dann ist es nirgendwo, denn es kann ohne Dich nicht sein. Und daß mein Herz es bei Dir gut habe, danach sieh zu, ich bitte Dich. Und es wird es gut bei Dir haben, wenn es Dich lieb findet, Gnade für Gnade schenkend – ein bißchen für viel. Ich wollte, Geliebter, Du wärest meiner Liebe weniger sicher, dann wärest Du bekümmerter um mich. Aber ich machte Dich so sicher, daß Du mich vernachlässigst. Erinnre Dich, was ich tat für Dich. Weil ich mich fleischlicher Lust mit Dir erfreute, sind viele unsicher, ob ich liebte oder Lust wollte. Nun macht das Ende den Anfang deutlich. Ich habe mich abgetrennt von aller Freude, um Deinem Willen zu gehorchen. Ich habe nichts behalten als dies, mehr als je Dein zu sein. So wenig bitt ich Dich, und es ist so leicht für Dich. Im Namen Gottes, dem Du Dich weihtest, gib mir das von Dir, was Dir zu geben möglich ist, den Trost eines Briefes. Er wird mich erfrischen, und ich will, das versprech ich Dir, Gott freudiger dienen. Als Du mich ehmals zu Freuden riefest, da suchtest Du mich mit vielen Briefen und versäumtest nie, durch Deine Lieder Heloise auf alle Lippen zu bringen. Wie besser nun, daß Du mich mit einem Briefe zu Gott reizest als zur Lust! Bedenk, was Du mir schuldest, beachte, was ich Dich bitte. Und einen langen Brief will ich kurz schließen: leb wohl, Einziger!«

Abälards Antwort, begreifliche Antwort, wehrt abwehrend die Hände. Heloisens zweiter Brief schreit auf: »Statt mich zu trösten, mehrst Du meine Verzweiflung, und treibst Tränen hervor, statt alte zu trocknen ... Ich bin gepeinigt von Leidenschaft und dem Feuer des Gedenkens. Sie nennen mich hier keusch, weil sie mich nicht für eine Heuchlerin kennen. Sie halten Reinheit des Fleisches für eine Tugend, – die doch nur der Seele, nicht des Leibes ist. Die Menschen loben mich, nicht Gott, der mein Herz kennt. Man nennt mich fromm in einer Zeit, wo alle Frömmigkeit Heuchelei ist ...« Abälards Antwort darauf sagt in der Überschrift alles: »An die Braut Christi, Christi Diener.« Und Heloise resigniert. Sie macht ihr Herz stumm.


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