Theodor Birt
Römische Charakterköpfe
Theodor Birt

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Kaiser Claudius

Die römische Kaiserzeit, die mit des Augustus vierzigjähriger Alleinherrschaft anhob, dauerte durch fünf Jahrhunderte. Sie endet für Westeuropa im 5. Jahrhundert, im Jahre 476 n. Chr. durch Odoaker, den germanischen Heerkönig. Jeder der etwa sechzig römischen Kaiser – oder waren es mehr? –, die da geherrscht haben, ist ein Charakterkopf. Geld haben alle prägen lassen, und die Kaisermünzen zeigen uns ihre ehernen Züge. Wir müssen uns hier mit wenigen begnügen.

Auf Augustus folgten zunächst durch regelrechte Erbfolge, die sich auf Familienverwandtschaft gründete, nur die vier: Tiberius, Caligula, Claudius und Nero. Wenn ich aus ihnen den Kaiser Claudius herausgreife, so geschieht es nicht nur aus dem Triebe nach Abwechslung: gerade dieser Claudius war als der dümmste aller Monarchen verschrien, und es verlohnt, nach so viel Heroen auch einmal einen sogenannten Narren im Purpur zu sehen; wichtiger ist, daß viele Menschen, auch Frauen berühmten Namens, sich um Claudius gruppieren. Er regierte nur dreizehn Jahre.

Es ist zunächst nur einiges vorauszuschicken. Schon gleich nach Augustus' Tod, schon unter Tiberius, war das milde Kaisertum zeitweilig zum offenen Despotismus geworden, zwar nicht gesetzlich, aber durch Mißbrauch. Der Machteinfluß des hohen Senats, der einst zur Zeit der freien Republik den Staat so großartig geführt, war ganz gesunken. Und nun gar das Volk! Die Volkswahlen, die Beamtenwahlen durch das Volk schaffte Tiberius ab, die Beamten wählte jetzt der Senat nach Vorschlägen des Kaisers. Schon Augustus hatte ferner zu seiner Sicherheit 3000 Mann kaiserliche Garde nach Rom gelegt; Tiberius organisierte diese Truppe in einem festen Lager draußen jenseits des Viminal. Das sind die Prätorianer, deren Präfekt oder Befehlshaber bald der mächtigste Mann nach dem Kaiser wird. Schon unter Tiberius, dem mißtrauischen, steht überdies das abscheuliche Denunziantenwesen in Blüte (delatores) und die Justizmorde in Anlaß angeblicher Majestätsbeleidigung; 215 auch das ein neuer Begriff. Nur einem einzigen Menschen schenkt Tiberius, dieser hochbedeutende Mann, der aber in Menschenhaß und Menschenfurcht versank, sein Vertrauen, dem durchtriebenen Sejan: ihn läßt er in Rom schalten und zieht sich unnahbar in ein von Geheimnis umgebenes Privatleben nach Capri zurück. Capri, die Insel, hängt noch heute voll von magisch düsteren Erinnerungen an den Tiber, und nachts spukt dort um die eingeknickten Ruinen seiner Palastburgen noch heute sein gequälter Geist. Aber Sejan betrog ihn schmählich; es war für den Greis wie ein Stoß ins Herz. Der Zähe fand gleichwohl noch Kraft genug, ihn zu strafen. Überdruß und Ekel blieb ihm übrig. Tiber wurde 79 Jahre alt. Der Tod selbst fürchtete sich vor ihm. 23 Jahre lang lastete des Tiberius Herrschaft auf der Hauptstadt (von 14–37); aber den Provinzen gedieh sie fraglos zum Segen, und sein alter Feldherrnruhm hat bewirkt, daß Roms Name weithin in hohem Ansehen stand bei Parthern und Germanen.

Auf ihn folgte der junge Caligula, des Tiberius Großneffe; er war der einzige Thronerbe, der noch zur Verfügung stand. Denn das Sterben, und zwar das gewaltsame Sterben hatte in der Kaiserfamilie schon damals bedenklich aufgeräumt. Caligula war durch seine Mutter der Enkel des Mark Anton; er war der Sohn des vielgepriesenen, vom Volk abgöttisch angebeteten Prinzen Germanicus. Er war jung, 25 Jahre alt. Aber er enttäuschte alle Hoffnungen; denn ein Geisteskranker hatte jetzt die Gewalt in Händen. Alles an ihm ist pathologisch. Er wußte es selbst; er schlief des Nachts nicht, und die bohrenden Gedanken hetzten ihn. Aber niemand schlug den blutgierigen Verrückten in Fesseln. Die vier Jahre seiner sogen. Regierung waren nichts als Morden und Plündern. Rom wurde fürchterlich gegeißelt, aber nicht nur Rom; auch in die Provinzen gingen die Raubzüge seiner Habgier. Katzenhaft und hämisch gegen alle Welt, hielt er die Senatoren so in Schrecken, daß sie ihn bei Tisch wie die Kellner, die Serviette 216 unter dem Arm, bedienten. Futter für seine Raubtiere zu kaufen, war ihm zu teuer; daher ließ er den Bestien Verbrecher vorwerfen: die kosteten nichts. Caligula ist es auch, der – was seit langem unerhört – die öffentliche Verbrennung eines Sträflings zum besten gab.Etwa 80 Jahre früher geschah eine ähnliche Verbrennung (Cic. ad fam. X 32, 3). Aber er fand ein gebührendes Ende und zwar durch seine Palastwache selbst. Die Prätorianer bestimmten schon damals das Geschick Roms; sie haben den wahnwitzigen Laffen bei einer Ballettprobe in seinem Palast ermordet.

Also jetzt mordet nicht mehr der Senat die Tyrannen. Gleichwohl regte sich auch in ihm der alte tatkräftige Geist noch etwas. Es erhob sich sogleich im Senat eine starke Partei, die die Abschaffung des Kaisertums jetzt für immer durchsetzen wollte. Aber die Soldaten? was kümmerte sie der Senat? Die Prätorianer machten gleich folgenden Tags den Claudius, den sie im Lager bei sich hatten, zum Kaiser Roms durch Huldigung und Eidesleistung (diese Prätorianer waren Vollbürger und Italiener, anders als die kaiserlichen Leibwächter, die, Knechte und leibeigen, aller Politik fern standen, übrigens damals vielfach schon Germanen waren). Solches geschah im Januar 41. Es ist von Interesse, die näheren Umstände, unter denen sich das zugetragen, zu kennen.

Dieser Claudius war der Onkel des Caligula, der Bruder des edlen Germanicus, und er war damals schon fünfzig Jahre alt. Schon in seiner Knabenzeit wurde er mit Verachtung behandelt. »Dümmer als Claudius« war schon früh ein Sprichwort in der kaiserlichen Familie. Seine eigene Mutter Antonia nannte ihn ein Ungeheuer (portentum), das bei der Geburt nicht fertig geworden. Darum gab man dem Knaben zum Hauserzieher den rohesten Kerl, den man aus den Ställen holte, einen Aufseher über die Pferdeknechte. Livia, die alte Kaiserin-Mutter, gönnte dem ungeschickten Tölpel überhaupt nie ein Wort der Anrede, und Augustus äußerte: »Er wird uns ewig lächerlich machen, der arme Kerl. Laß ihn nur ja nicht im Zirkus vorn in unserer Kaiserloge sitzen, denn da sehen ihn alle und lachen.«

217 Claudius stotterte in der Tat, er hielt sich die Nase nicht sauber, er hatte eine gemeine Art zu lachen, und wenn er bös wurde, geiferte sein Mund; übrigens war er groß gewachsen; aber er wackelte mit dem Kopf und hinkte auch etwas. Tiberius und Caligula, beide behandelten ihn, als sie Kaiser waren, als Null, ja, ließen ihn nur deshalb am Leben, weil sie dachten: er ist ungefährlich. Claudius wünschte sich ehrlich, einmal ein Staatsamt zu übernehmen. Tiberius erwiderte ihm: »Du taugst nur zum Carneval; anbei 40 Goldstücke zum Verplempern.«

Aber alles das war ungerecht. Aus Claudius hätte sich gewiß etwas machen lassen. Der Mensch verschaffte sich früh aus eigenstem Trieb eine gründliche literarische Bildung, ja, die entlegensten Kenntnisse auf dem Gebiet der alten Geschichte; Livius, der große Historiker, war sein Lehrer, und er verkehrte gern mit griechischen Gelehrten. Nicht nur das; er hat früh auch selbst gelehrte Werke veröffentlicht, die er z. T. auch in griechischer Sprache abfaßte. Worin bestand also seine Dummheit? Es ist offenbar gelegentlich ein Laster, klassischer Philologe zu sein; denn das war er; er beschäftigte sich auch mit Phonetik; welcher Unsinn! Was sollte ein solcher Sonderling und Buchstabenkrämer unter den kaiserlichen Prinzen und gewiegten Weltleuten? So kam es nun aber, da man ihn von allen Ämtern und Staatspflichten planvoll ausschloß, daß er schließlich zu trinken und zu spielen anfing und sich nur noch mit geringen Leuten abgab, die ihn gröblich hänselten. Nach Tisch schlief er ein; da warfen sie ihn mit Olivenkernen oder zogen ihm wollene Handschuh an; wenn er erwachte und sich die Augen rieb, erschrak er über seine rauhen Hände.

Nun denke man sich, solch ein Mensch wird plötzlich Kaiser der Welt. Daß das eine Katastrophe geben mußte, ist vollständig klar.

Claudius

Claudius

Büste. Rom, Vatikan. Nach Photographie Alinari.

Als Caligula in seinem Palast ermordet werden sollte, entfernten die Verschwörer möglichst alle lästigen Zeugen aus den nächsten Räumen. Claudius wurde zunächst in eine der 218 guten Stuben abgeschoben. Als er dort das schreckliche Schreien des verwundeten Caligula hört, schleicht er auf einen Altan hinaus und versteckt sich vor Angst in eine Marquise. Ein Soldat sieht seine Füße hervorgucken. »Hallo! wer steckt da?« Er erkennt den Claudius, der vor Schreck auf seine Knie fällt. Der Soldat salutiert gleich, begrüßt ihn sogleich als »Imperator«, der ganze Soldatenhaufe schleppt ihn durch die Stadt in einer Sänfte in den Kasernenhof. Da verbringt Claudius zunächst die Nacht, kopfhängerisch und scheu.

Inzwischen tagt der hohe Senat, der sich oben auf dem Capitol festgesetzt hat, tagt und tagt und weiß nicht, was er eigentlich beschließen soll; das Gassenvolk drängt heran; das Volk schreit nach einem neuen Herrscher, der ihm Brot und Spiele gibt. Da schaffen die Prätorianer eine vollendete Tatsache. Sie vereidigen sich auf des Claudius Namen. Er ist Kaiser durch die Garde, und sogleich läßt Claudius jedem einzelnen Gardesoldaten als Handgeld 15000 Sesterz (etwa 3000 Mark) auszahlen.

Es kam, wie es kommen mußte. Wen hätten die Leute sonst wählen sollen? Von der ganzen Nachkommenschaft des Augustus war trotz aller Adoptionen kein erwachsener Mensch mehr übrig außer Claudius. Ja, hätte sich aus dem Schoß des Senats ein begabter Mann erhoben, entschlossen und gewissenlos genug, die Soldknechte durch Geld für sich zu gewinnen! Aber ein solcher fand sich nicht.Galba hielt sich damals vorsichtig zurück (s. Sueton im Galba); L. Annius Vinicianus und Valerius Asiaticus scheiterten mir Ihrem Versuch, sich als Prätendenten geltend zu machen. Am wenigsten eignete sich Seneca zu solcher Rolle, der sogen. Philosoph Seneca, der bedeutendste Mann jener Zeit, damals schon etwa 43 Jahre alt, reicht begabt, sein, geschäftsklug und voller Hingabe an große Ziele, aber zu gutherzig; ein Mann der Billigkeit und Humanität taugte damals noch nicht für das Szepter Roms. Caligula hatte ihn eben um dieser Eigenschaften willen schwer bedroht und verfolgt. Man sah Seneca nur noch in Privatzirkeln tätig. Seine große Zukunft lag noch fern.

Eben damals, im Jahre 41, schrieb Seneca, der genialste 219 Schriftsteller seines Jahrhunderts, die packende Mahnschrift gegen den Zorn (de ira), die durch ihre Neuheit frappierte.Eine Vorstudie dazu freilich schon bei Cicero ad Quintum fr. I 1, 37. Die Schrift war ein Tagesereignis. Er sah, daß es der Jähzorn oder die Ungebändigtheit aller egoistischen Triebe war, die alle Segnungen der Kultur verdarb und das Leben in Rom zur Hölle machte. Er forderte endlich Selbstbesinnung, Selbstzucht, Maßhalten, ja, Menschenliebe (ein bisher für den Römer noch kaum entdeckter Begriff) von den Mächtigen dieser Welt. Auch verkündete er laut Augustus als Idealkaiser, zu dem man zurück müsse.s. seine Concolatio ad Marciam. Alles dies war dem neuen Kaiser Claudius durchaus sympathisch, und Seneca machte einen nachhaltigen Eindruck auf ihn; denn auch Claudius wollte zur milderen Regierungsart des Augustus zurück; er wollte den Senat wieder stärken; er schämte sich seines Jähzorns, den Seneca mißbilligte, und versprach öffentlich Maßhalten, Selbstbesinnung.

Aber die Dinge lagen zu verwickelt. Vom ersten Tag seiner Regierung an hängten sich zwei Mächte an den Kaiser: erstlich seine Gattin Messalina, zweitens seine Freigelassenen.

Claudius lebte sich zwar mit wirklichem Fleiß selbst in die Geschäfte ein. Seine Senatsreden zeigen, daß er die einzelnen Positionen persönlich mit Sorgfalt durcharbeitete. Als es in Rom brennt, bleibt er zwei Nächte hintereinander bei der Brandstätte und ruft das Publikum selbst heran, zu helfen und zu retten; dabei hat er Körbe voll Münzen vor sich stehen und belohnt jeden, der da hilft, sogleich. Ein schlimmes Zeichen ist, daß er die Rechtsgelehrten verachtete; die Rechtsprechung aber hat er mit Eifer gefördert, jede Verschleppung der Prozesse verhindert. Dabei war er selbst oberste Instanz in der Zivilrechtsprechung, und er kam dabei immerfort mit dem Publikum in einer Weise in Berührung, wie es für einen modernen Monarchen ganz undenkbar ist. Leider machte er sich gerade hierbei unendlich lächerlich. Den ganzen Tag lang saß er auf dem Forum und ließ die Advokaten vor sich reden und reden, bis er einschlief; das ging durchs ganze Jahr so, auch an den 220 Hundstagen (man denke, die Hundstage in Rom!). Nur wenn er in der Nähe ein Priesteressen roch, brach er plötzlich ab und lud sich selbst ein. Und nur allzu läppisch waren oft seine Entscheidungen, wie z. B. bei dem Griechen, den man anklagt, er habe sich das römische Bürgerrecht mit Unrecht angemaßt. Claudius verordnet, daß dieser Grieche bei der Verhandlung, solange der Ankläger spricht, in seiner griechischen Tracht erscheinen soll; sobald aber der Verteidiger zu reden anfängt, soll er sich umkleiden dürfen und als Römer dastehen.

Aber dieser sonderbar kleinliche Herr hatte im Palast seine Hausminister, hochintelligente griechische Sklaven, denen er die Freiheit geschenkt hatte. Das Wort Minister selbst heißt ja Diener auf Deutsch; die kaiserlichen Ministerien waren also ursprünglich nichts als Hausdienerstellen. Diesen ganz privaten Dienern hat Claudius nun alle größeren Regierungsangelegenheiten anvertraut, und das war klug. Felix hieß einer von ihnen, der der Verwalter Judäas wurde; Pallas hatte das Rechnungswesen, also die Finanz; Narcissus war Kanzler; das war das Wichtigste, d. h. er führte im Reich und über die Reichsgrenzen hinaus die ganze politische und administrative Korrespondenz. Polyb und Callistus endlich hatten das Amt für Bittschriften. Narciß war der schneidigste, großartigste unter diesen griechischen Hofleuten, auf die die faulen Römer allerdings mit Wut blickten. Es waren Griechen, die jetzt über Rom herrschten: daher die Wut. Das war Brotneid und Rassenhaß. Claudius dagegen war mit Recht voll Dank, und keine Auszeichnung schien ihm zu hoch für seine Helfer. Man warf diesen Griechen mit Recht vor, daß sie ihre Stellung ausnutzten, um sich grenzenlos zu bereichern. Narciß und Pallas waren annähernd die reichsten Leute Roms. Aber welcher Römer machte es denn anders, wenn er nur irgend Gelegenheit dazu fand? Dies Raubsystem haben die griechischen Emporkömmlinge von den Großen Roms selbst, Julius Cäsar an der Spitze, gelernt. Tatsache ist, daß die Regierung des dummen Claudius durch 221 bleibende Leistungen auf politischem und administrativem Gebiet viel glänzender dasteht als die des Tiberius und Caligula. Das dankte sie vor allem dem Narciß, der die auswärtigen Dinge und die Gesamtverwaltung in Händen hatte. Ich erinnere nur an den Wunderbau der Claudischen Wasserleitung, der aqua Claudia, deren Kolossalbögen heute noch die Hauptzierde der Campagna sind und beim Lateran über die Stadtmauer stolz in die Stadt drängen. Dazu kam der Aufbau des ganz versandeten Hafens von Ostia mit dem Leuchtturm. Ostia ist der natürliche Hafen der Millionenstadt Rom, und auch heute ist sie sich seiner Wichtigkeit wieder bewußt geworden. Es war technisch eine Riesenleistung, vielleicht schwieriger als z. B. unser Wilhelmshaven, und keiner der römischen Machthaber hatte sich bisher darangewagt. Interessanter noch, daß damals Marokko endgültig als Provinz eingerichtet worden ist, ohne Frage wieder ein unschätzbarer Gewinn für das Reich; was Marokko handelspolitisch bedeutet, darüber sind sich heute die Franzosen und auch einige Deutsche klar geworden. Das Größte aber ist, daß Britannien, genauer Süd-England, durch des Claudius Generale im Jahre 43 und den folgenden erobert und zur römischen Provinz wurde. Das ist das Denkwürdigste. Denn mit dieser Tatsache beginnt England eigentlich erst seine Geschichte.

Aber wo bleibt Messalina? Sollen wir nur von den Hausdienern des Claudius reden? In der Tat, neben den Ministern, die des Kaisers rechte und linke Hand waren, stand noch eine andere Macht, die ihn erst recht beherrschte. Das war seine Gemahlin, die junge Kaiserin Valeria Messalina. Sie war, als ihr Gatte Kaiser wurde, erst 17 Jahre, schlank und goldblondAnders freilich Juvenal 6, 120, der von Ihrer Perücke redet. im vollen Zauber der Jugend und Lieblichkeit, aber dabei sinnlich, begehrlich und sieggewohnt, eine Dame mit allen Schikanen und werbefähig, obendarein aber jähzornig, ja, eine Furie in der Leidenschaft. Ihre historische Großtat war, daß sie dem Claudius einen Kaisersohn gebar. Es war ein kaiserlicher Prinz da. Das war sein Entzücken. Man denke, in diesen 222 kinderarmen Kreisen! Keinem der vorigen drei Kaiser, im Verlauf von 72 Jahren des Kaisertums, war bisher ein Sohn geboren worden. Claudius nannte das Kind nach der Eroberung Britanniens Britannicus. Um so unbedingter aber herrschte Messalina, die den Thronerben geboren, und konnte sich alles, wirklich alles erlauben. Daher waren ihr auch die Hausminister ganz gefügig. Und sie erlaubte sich alles; sie wußte nichts von Zurückhaltung. Das gab ein Weiberregiment in Rom, als wäre Kleopatra jetzt siegreich eingezogen. Aber Kleopatra war klüger als Messalina. Freilich ist gewiß eine Menge der Schändlichkeiten, von denen wir hören, übertrieben; denn als die Kaiserin starb, bewarf sie der Klatsch Roms mit Schmutz von allen Seiten. Gleichwohl, eine Reihe von Tatsachen sind unbestreitbar. Wozu hatte Messalina diesen Claudius in der Zeit, als er noch nichts bedeutete, geheiratet? Nur dazu, um von ihm abzusehen. Jetzt, da ihr Gatte Kaiser geworden, hatte sie die unvergleichlichste Stellung, und sie trieb nicht nur ihre zahlreichen Liebeshändel offenkundig (ob es ein Gladiator oder ein Tänzer war, war ihr einerlei; der feine Vitellius hatte ihren Pantoffel erbeutet und prahlte damit, daß er ihn ständig am Herzen trug); es war überdies gefährlich, ihre Liebe zurückzuweisen; wer spröde war, verfiel ihrer Rache. Messalina ging über Julia, die lasterhafte Tochter des Augustus, darin hinaus, daß sie auch töten oder sterben lassen konnte. Aber sie brauchte vor allem Geld, um ihre Günstlinge zu beglücken, und eröffnete deshalb ein großes Verkaufsbureau von Bürgerrechtsbriefen für Nichtrömer und von Beamtenstellen für Römer. Käuflichkeit des Bürgerrechts und der Ämter! Natürlich mußten Narciß und die anderen Hofbeamten das Geschäftliche dabei für sie besorgen.

Aber es gab da im Palast auch Widerstand, eine Gruppe von kritisierenden Personen. Das waren die Prinzessinnen Livilla und Agrippina, zwei bedeutende Weiber, die Schwestern des Caligula, die Nichten des Claudius; und zu 223 ihnen hielt sich Seneca, der bedeutendste Geist in der Männerwelt Roms. Messalina sah mit Groll auf diese drei. Seneca, der in allen Häusern fast wie ein Prediger für Sittenreinheit und Heiligung des Lebens warb, war für sie nichts als ein widerwärtiger Schwätzer. Claudius bezeigte Sympathien für ihn; das konnte gefährlich werden. Livilla aber war wieder einmal eine wunderschöne elegante Person, prachtvoll rassig, aber gewissenlos (wie übrigens auch Agrippina) und auch in frivolen Dingen allem Anschein nach Messalinas ebenbürtige Wettbewerberin. Die Sache ging schnell: Livilla wird verbannt, dann umgebracht. Seneca wurde des unerlaubten Umgangs mit ihr bezichtigt; auch er soll sterben, aber Claudius rettet ihn nach Korsika.

Agrippina blieb von den dreien allein übrig. Sie war damals schon Witwe und hatte einen vierjährigen Sohn, Nero.Nero hieß damals noch L. Domitius Ahenobarbus. Messalina mußte es erleben, daß das Gassenvolk diesem kleinen Prinzen Nero gelegentlich größere Ovationen darbrachte als dem Britannicus. Sie war wütend, aber sie tat dem Kinde nichts.

Da kam das Verhängnis. Einer der Minister, Polyb, ein ehrenfester Mann, leistete der Kaiserin in irgendeinem Handel Widerstand. Sogleich läßt sie ihn töten. Da wenden sich alle anderen Minister von ihr ab. Der große Narciß ist jetzt ihr erklärter Feind. Sie sollte bald davon die Wirkung spüren.

Im Jahre 47 befiel ihr Herz nach so vielen leichtlebigen Zerstreuungen endlich eine heiße Liebe. Sie war jetzt 24 Jahre. Sie liebte den anerkannt schönsten Mann Roms, der wohl nur wenig älter als sie war, Gajus Silius, und der wahnsinnig verwegene Gedanke befiel sie, ihn zu heiraten. Claudius kannte ihn sehr gut; er hatte diesen Silius soeben für das Konsulat bestimmt; es kann also kein Zweifel sein, daß Claudius, wo es sich um einen so hervorragenden jungen Mann handelte, auch von dieser Hochzeit, die wirklich in allen Formen vor sich ging, erfuhr, obschon Claudius damals nicht in der Hauptstadt anwesend war. Aber in seinem oft bewährten Stumpfsinn ließ 224 er die Sache vorläufig laufen. Messalina erwartete, daß er ihr den Scheidungsbrief schicken würde; aber er tat es nicht. Sie stand also vor der Welt jetzt in Doppelehe: ein beispielloser Skandal immerhin; aber man hat die Tatsache ohne Grund für unglaublich, unmöglich erklärt. Diese Doppelehe war das Ergebnis außerordentlicher Verhältnisse. Gesetzt den Fall, daß Messalina die Ehescheidung wünschte, so lag es doch schwerlich in ihrer Macht, den Akt selbst zu vollziehen.Wie in dem Fall bei Cicero ad famil. VIII 7. Da Claudius ihr trotz ihrer Übergriffe den Scheidungsbrief nicht geschickt hatte, blieb ihr, bei ihrem heißen Begehren, nichts übrig, als so vorzugehen, wie sie es tat. Und ihr Allmachtsgefühl gab ihr den Mut; denn Claudius hatte sich bisher alles bieten lassen. Gewiß gab die Bigamie in der Gesellschaft den gröbsten Anstoß: aber kaiserliche Personen fühlten sich über den Gesetzen stehend.Vgl. »Das Kulturleben der Griechen und Römer« S. 396. Auch fehlte es nicht an Analogien; dem Plancius warf man zu Ciceros Zeit Bigamie vorbimaritus: Cicero pro Plancio 30.; das war ein sittlicher Vorwurf, aber, wie es scheint, gerichtlich nicht strafbar; Julius Cäsar hatte die Vielweiberei geradezu gesetzlich schützen wollenVgl. oben S. 143., und der große Mark Anton hatte sich mit der Königin Kleopatra vermählt, als er der Gatte der Octavia war.Man vergleiche auch noch Martial VI 90 und Seneca de benef. III 16: »matrimonium vocari unum adulterium«; bivira steht bei Varro, Menippeen 239; mulier una duom virum bei Accius v. 656 Ribb. Auch an den griechischen Fürsten Demetrius Poliorketes sei erinnert, der mit Phila vermählt war; als er nach Athen kommt, heiratet er dort auch noch die Athenerin Eurydike aus des Miltiades Geschlecht: B. Niese, Geschichte der griech. u. maked. Staaten I S. 314. Warum sollte einer Messalina nicht dasselbe zustehen? Claudius war ihr bedingungslos ergeben und rührte sich ja auch tatsächlich nicht; er schien die Sache ruhig hinzunehmen.

Aber ihr Feind Narciß verstand den Fall auszunützen. Er gab dem Kaiser zu verstehen, Silius, der junge Gatte der Kaiserin, strebe natürlich nach dem Kaisertum. Narciß brachte auch Zeugen dafür. Ein Komplott gegen die Majestät! Claudius war feige; er zitterte sogleich für sein Leben, und die Todesangst machte ihn zu allem fähig.

Er war so feige, heißt es, daß er jeden, der ihn besuchte, nach Waffen durchsuchen ließ; ja, er fürchtete sich vor den Metallgriffeln seines Schreiberpersonals; denn diese Griffel waren scharf wie Nadeln, weil man damit auf Wachs schrieb. Daher hatte Claudius vor ein paar Jahren (im Jahre 42) unter anderen 225 auch den Appius Junius Silanus umgebracht. Messalina war es, die diesen Silanus, der eben Messalinas verwitwete Mutter geheiratet hatte und der ihr dadurch unbequem war, aus der Welt zu schaffen wünschte. Silanus besaß überdies die wundervollen Gärten des Lukull; auch diese Gärten mochten sie locken. Narciß stand damals noch mit ihr im Bunde. Narciß erzählt dem Kaiser, er habe geträumt, Silanus plane Kaisermord; Messalina fällt ein; so ist's! sie habe ganz denselben Traum gehabt. Das genügte für den abergläubischen Monarchen. Er glaubte unbesehen an eine Verschwörung. Wie Silanus in den Palast tritt, um dem Kaiser seine Aufwartung zu machen, läßt er ihn augenblicklich niedermachen.

Das war Silan. Jetzt stand nun Silius in demselben Verdacht. Aber Narciß hatte gelogen. An Palastrevolution und Kaisermord dachte niemand. Der heißblütigen Kaiserin waren Regierungssorgen etwas Schauderhaftes; sie hatte ja auch den Titel Augusta abgelehnt, und sie hätte ihren schönen Freund nie mit dem Kaisertum belastet. Zum Regieren war Claudius gut genug. Auch ahnte sie nichts Arges und genoß nur den Rausch der Gegenwart: Schaum und Traum! Sie verlor den Boden der Wirklichkeit ganz unter den Füßen und wollte im Größenwahn der Allmacht ganz so, wie später Nero, ein Götterdasein auf Erden verwirklichen.

Es war Oktober und überall im Land jubelnde Winzerfeste; so auch in Rom selbst. In den Gartenhöfen ihres Palastes gab sie ein Winzerfest, Maskerade mit den üblichen Verkleidungen: Messalina trat bacchantisch als Ariadne auf, im Schwarm der Mänaden und Satyresken, unter rauschender, rasselnder Musik, während man die Keltern preßte und der Most zischend in die Kufen floß. Silius selbst mußte epheubekränzt als Gott Dionys ihr nahen, als der junge Gott, der die verlassene Ariadne erlöst und mit sich hinreißt zur Wonne. Da kletterte einer der Gäste auf einen Baum und meldete: »Es droht ein Gewitter von Ostia her.« Wußte er etwas? oder zog wirklich nur ein 226 Gewitter auf? Schon kamen Boten; sie brachten die Nachricht, der Kaiser, der in Ostia beschäftigt war, nahe sich von dort drohend. Er drohe Bestrafung. Alles stob auseinander.

Messalina verlor erst den Kopf, dann wußte sie Rat. Mit ihren beiden Kindern Britannicus und Octavia – denn sie hatte dem Claudius auch eine Tochter, Octavia, gegeben – wollte sie ihm nach Ostia entgegen. In der Eile konnte sie zwar nur einen simplen Gärtnerkarren zur Fahrt auftreiben. Aber das war um so wirksamer. Der Anblick mußte ihn rühren. Sie wußte, Claudius konnte dem Eindruck ihrer Erscheinung nicht widerstehen; denn sie war immer noch schön und jung. Da sah sie einen Wagen; Claudius kam mit seinem Gefolge ihr entgegen. Schon von weitem ruft ihm Messalina ihre Fleherufe zu. Aber Claudius sieht sie nicht an; denn Narciß sitzt im Wagen neben ihm und fesselt mit betäubender Lebhaftigkeit des Claudius Achtsamkeit durch gehäufte Anklagen gegen die Frau. Auch die Kinder entzieht er geschickt seinem Auge. Der alte Mann saß vollständig stumpf im Wagen, wortlos brütend, mit wackelndem Kopf. Narciß hatte Vollmacht zu allem. Er wollte ja doch immer das Beste. Er war das Schicksal.

So führt er den Kaiser, als sie in Rom angekommen sind, erst in das Haus des Silius, und es ergab sich, daß Messalina eine Menge Kunstsachen aus dem Kaiserpalast weggenommen und damit des geliebten Silius Haus geschmückt hatte. Silius wird in den Kasernenhof der Prätorianer geschleppt. Dort steht schon Narciß als sein Ankläger. Die Garde akklamiert mit Geschrei, und Silius bittet nur, rasch ein Ende zu machen. Auf der Stelle läßt Claudius ihn töten.

Messalina ist indes mit ihrer Mutter in die Lukullischen Gärten geflohen, in Angst und in Wut. Sie weiß, Claudius wird sie dort aufsuchen; sie weiß, sie wird dann sein Herz rühren; ja, mehr noch, sie will sich rächen an diesem Narciß. Aber der Kaiser kommt nicht. Der Kaiser ist zwar zur Milde geneigt. Aber Narciß hält ihn zurück. Von seinem Kommen 227 hing jetzt alles ab. Es wird Nacht. Welch' schreckliches Harren! Ihre Mutter Lepida rät ihr, sich selbst zu töten. Aber sie brachte es nicht über sich. Sie konnte nicht an einen so plötzlichen Untergang glauben.

Da hört sie Schläge am Tor. Narciß hat die Mörder bestellt. Die Mörder sind es. Umsonst Messalinas Jammergeschrei. Unter gemeinen Schimpfreden wird die Elende niedergemacht. Ihre Kinder standen über der blutenden Leiche.

Das war die Messalinatragödie. So etwa schildert sie uns Tacitus, aber ausführlicher und ergreifender. Sie macht auf uns heute jedenfalls mehr Eindruck als damals auf den Kaiser Claudius, der sich, als er den Ausgang hörte, ganz apathisch zeigte, ohne jede Regung, selbst als er seine Kinder um ihre Mutter weinen sah. Ja, er soll folgenden Tags bei Tisch gefragt haben: »Warum kommt denn die Kaiserin nicht zu Tisch?« als hätte er von dem, was geschehen, überhaupt nichts wahrgenommen.

Mag man noch so sehr die Art des Vorgehens verabscheuen, jedenfalls war es eine Erlösung für Rom, daß Messalina hinweggeräumt war; und das war des Narciß Verdienst. Der Senat aber beschloß, sämtliche Statuen der Kaiserin zu vernichten, und das ist leider wirklich geschehen. Nur ein dauerndes Monument hatte sie sich gesetzt: das war ein Rezept für gutes Zahnpulver, das Messalina gebrauchte und das längere Zeit beliebt blieb. Das Rezept ist uns erhalten.

Claudius war jetzt 58 Jahre. Er stellte sich vor seine Soldaten hin und rief schmerzlich, familiär: »Ich habe Unglück in der Ehe. Stoßt mich nieder, wenn ich je wieder heirate.« Aber Agrippina lebte noch, und sie hatte es anders beschlossen. Sie war jetzt 33 Jahre alt, Nero, ihr Söhnchen, noch nicht elf. Agrippina war jeder wirklichen Liebe unfähig, herzlos und berechnend und in allem das Gegenteil Messalinens; auch ihre Vergangenheit durchaus nicht makellos; aber das gehörte damals zu den Ehrentiteln schöner Frauen: der bedenkliche 228 Hausfreund fehlte nie. Vor kurzem hatte Agrippina dann einen gewissen Passienus geheiratet, aber nur, um ihn umbringen zu lassen und ihn dann zu beerben. Jetzt aber warf sich ihr Ehrgeiz auf ihren Sohn. Sollte ihr Sohn Nero nicht Kaiser Roms werden können? Warum nicht? Skrupellos, klug, ränkevoll, vor allem herrschsüchtig, erhob sie sich zu diesem gewaltigen Plan. Schon Anfang 49 war sie des Claudius Frau: Agrippina Kaiserin! Der alte Mann war so empfänglich für Zärtlichkeit, und sie hatte, weil sie ja seine Nichte war, das Recht, ihn bei den Begrüßungen zu streicheln und mit einem Kuß zu erfreuen. Das wirkte, und er tat, was sie wollte. Allerdings galt eine Heirat zwischen Onkel und Nichte in Rom geradezu als Blutschande (Incest). Aber der Senat wurde in Bewegung gesetzt; er mußte bei dieser Gelegenheit beschließen, daß solche Ehen fortan gestattet sein sollten. Vierundzwanzig Stunden nach diesem Senatsbeschluß war schon die Hochzeit. Beide hatten es eilig. Aber Claudius ließ, um mit seiner Handlungsweise nicht so allein dazustehen, im Publikum den Wunsch laut werden, nun sollten auch andere Oheime ihre respektiven Nichten heiraten. Wirklich fand sich irgend jemand, der dazu Lust hatte, und Claudius und Agrippina besuchten dann demonstrativ dieses Mannes Hochzeit.

Der gedankenlose Claudius fuhr, wie es heißt, auch jetzt noch fort, Agrippina, wie früher als Onkel, mein Töchterchen zu nennen oder: du mein Schoßkind. Aber dieses Töchterchen wuchs ihm bedenklich über den Kopf. Zunächst handelte es sich um des Claudius Tochter Octavia. Diese Octavia war mit einem jungen Prätor Silanus verlobt. Gleich am ersten Tag, nachdem Agrippina Kaiserin geworden, hob sie diese Verlobung auf und trieb den Silanus in den Tod. Nero wurde sogleich mit Octavia verlobt: ein Verlöbnis von Kindern, wie das im Altertum so häufig war. Nero war 12 Jahre alt. Dann aber ging es an den jungen Thronerben Britannicus. Dieser frische, sympathische Junge wurde rücksichtslos in den Winkel 229 gedrängt und mit Schrecken umgeben, endlich Nero im Jahr 50 von Claudius als Sohn adoptiert. Jetzt war Nero nicht nur des Kaisers Schwiegersohn, sondern auch Kaisersohn, der Lieblingssohn des Claudius. Er allein wurde dem Volk gezeigt, ihm alle Ehren zuerkannt. Claudius sicherte ihm die Tronfolge ausdrücklich. So schien alles gut. Agrippina konnte nicht mehr verlangen.

Indessen brachte die allgemeine Weltlage wenig Regierungssorgen. Erwähnenswert ist für uns, daß damals, im Jahr 50, Köln gegründet worden, d. h. aus einem Militärlager in eine bürgerliche Ansiedelung verwandelt worden ist. Auch hier hatte Agrippina ihre Hand im Spiel. Die Stadt wurde nach ihr Colonia Agrippinensium genannt. Außerdem sei erwähnt, daß damals, im selben Jahre 50, der Judenkönig Agrippa starb, der dem Claudius zeitweilig sehr nahe stand. Damit ging das Königtum in Palästina ein, und das Land kam wieder unmittelbar unter römische Verwaltung als Anhang zur Provinz Syrien. Claudius aber vertrieb sich die Zeit mit Gladiatorenspielen und mit Rechtsprechung. Dabei war er von einer unglaublichen Langmut. Ein römischer Ritter, der fälschlich verklagt war, warf ihm vor Empörung sein Aktenmaterial an den Kopf. Ein andermal ist jemand aus der Provinz als Zeuge vorgeladen und kommt nicht. Dessen Landsmann entschuldigt ihn: »Er kann nicht kommen!« Claudius fragt: »Warum nicht?« und bekommt, so oft er fragt, immer nur zur Antwort: »Er kann nicht.« Erst zum Schluß kommt dann die Erklärung heraus: »Weil er tot ist, Majestät.«

Läppische Bemerkungen des Claudius werden uns genug überliefert. Er wollte z. B. einmal einen jungen Menschen zum Quästor befördern (die Quästur war damals ein vornehmes Amt). Man fragt ihn, warum? und er sagt: »Ich war einmal krank, und da hat mir sein Vater ein Glas Wasser gereicht, als ich eben sehr durstig war.« Den Senat aber langweilte er mit seinen Reden, in denen er mit ausgezeichneter Gelehrsamkeit auseinandersetzte, wie es in diesem und jenem 230 Punkt vor drei- oder fünfhundert Jahren in Rom gehalten wurde. Dann wurden die Reden gelegentlich gar auf Bronzetafeln graviert, und so ist uns eine davon wirklich in Lyon erhalten. Auch eine neue Sorte Schreibpapier erfand dieser Kaiser und vor allem drei neue Buchstaben im Alphabet und setzte durch, daß die drei Buchstaben in der Rechtschreibung seiner Zeit auch durchgeführt wurden. An der ägyptischen Universität in Alexandria mußten auf seinen Befehl seine beiden großen Geschichtswerke, die er in der Jugend verfaßt, alljährlich im Auditorium vorgelesen werden; das eine Werk erforderte zwanzig Vorlesungstage, das andere acht. Dies war gewiß kein Vergnügen. Sie handelten über die alten Punier und die alten Etrusker. Der heutige Historiker seufzt freilich: besäßen wir diese Werke doch noch! Wir würden unendlich viel daraus lernen. Nach dem Tagewerk aß und trank Claudius dann maßlos; er war nach Tisch stets im Rausch. War er dann eingenickt, so kam sein Lakai mit der Feder und steckte sie ihm in den Schlund, damit er sich erleichtere.

Agrippina aber beschäftigte sich indes damit, den Senat zu demütigen und vor allem im Stil Messalinas Ämterschacher zu treiben, um Geld zu haben; eine gewaltige Frau, gewaltig in ihrer Gewaltsamkeit. Ihres Zieles aber war sie noch keineswegs sicher. Denn Narciß lebte noch, und Narciß war ihr Gegner. Narciß hatte die Heirat Agrippinas mit Claudius nicht gewollt. Darum haßte sie ihn. Und Narciß war nicht untätig; er bewirkt, daß dem Kaiser sein Sohn Britannicus wieder vor Augen tritt. Claudius fing an, den zurückgesetzten, ganz verschüchterten Jungen zu bemitleiden, ihn zu lieben, und es kam so weit, daß der alte Mann ein neues Testament machte, in dem er nicht Nero, der eben, im Jahre 53, die Octavia geheiratet, sondern seinen Britannicus zum Erben seiner Macht einsetzte. Jetzt galt es zu handeln. Es war das Jahr 54. Narciß war gerade krank; er litt schwer an Podagra und ging nach Campanien in die Bäder von Sinuessa. Der Augenblick war 231 günstig. Die alte Giftmischerin Lucusta mußte helfen. Niemand schützte den Claudius; denn auch den sog. Vorkoster, der immer beim Kaiser stand und jede Speise erst prüfte, hatte Agrippina bestochen. Claudius liebte die Pilze. Diesmal gab es vergiftete Pilze. Agrippina reichte sie ihm selbst. Das Essen fand gegen Abend statt. Am andern Morgen war Claudius tot. Aber erst um Mittag wollte Agrippina ihren Nero zum Kaiser machen; denn die Sterndeuter hatten ihr verkündet, nur die Mittagsstunde sei günstig. Also hieß es am Vormittag nur, Claudius sei erkrankt. Es wurden sogar Komödianten oder Operettensänger herbeigeholt, die im Nebenzimmer irgend etwas zum besten gaben; denn es hieß, der Kranke hätte eben danach verlangt.

Erst um Mittag führte dann die Mutter ihren Sohn Nero aus dem Palast, wo eine Abteilung der Garde auf Posten stand; und wieder ist es die Garde, die Nero zuerst durch Akklamation als Kaiser anerkennt. »Den Kaiser macht das Heer.« Ein noch nicht ganz 17jähriger Kaiser. Agrippina frohlockte. Die Welt beugte sich der vollendeten Tatsache. Der Offizier im Palast verlangte darauf von dem neuen Herrscher Nero eine Tagesparole. Die Parole, die er gab, lautete: »die beste Mutter.« Diese beste Mutter aber sorgte endlich noch für eine Sicherung. Narciß, der mächtigste Mann der Zeit, der Besitzer von mehr als zwanzig Millionen, wurde in Sinuessa gleich in den nächsten Tagen umgebracht. Sie ließ ihn umbringen. Dann versetzte Agrippina den Claudius unter die Götter Roms: auch diesen frechen religiösen Mummenschanz beging sie; sie selbst. Denn Nero war fast noch Knabe. Sie regierte jetzt. Die Gesellschaft aber behauptete, Claudius, dieser Karnevalskönig, lebe nach seinem Tode nicht als Gott, sondern als Kürbiß weiter. Diese Verkürbissung des Claudius wurde damals in einer Satire »Apokolokyntosis« dargestellt, die uns indes nicht erhalten ist.Vgl. De Senecae apocolocyntosi et apotheosi, Marburg 1889; Rhein. Mus. 46 S. 152 und »Aus dem Leben der Antike« S. 262. Die uns vorliegende Satire Senecas »Apotheosis« weiß von einer Verkürbissung des Claudius nichts; die von Cassius Dio erwähnte »Apocolocyntosis«, die eine solche voraussetzt, liegt uns also nicht vor. Völlig zwecklos und ebenso vergeblich sind die künstlichen Versuche Neuerer, die offen zutage liegende Differenz wegzudeuten. Ich komme anderen Orts darauf zurück.

Agrippina und Nero! War das der Gewinn, den man von Messalinas Beseitigung erhofft hatte, daß Nero herrschte? Das wäre ein trostloser Gedanke gewesen. Aber nein, da war 232 ein ganz anderer Gewinn. Das war Senecas Zurückberufung aus Korsika, die gleich nach Messalinas Tod erfolgte. Claudius selbst soll das angeregt haben. Seneca, auf Korsika in melancholische Untätigkeit versunken, stand jetzt als der Erzieher Neros und als eine einflußreiche Person am Hof da: seit dem Jahre 49. Er bekam den Nero, diesen jähzornigen und doch so feigen jungen Menschen, in vier bis fünf Erziehungsjahren so fest in seine Gewalt, daß, als Nero Kaiser geworden, nicht Nero, und auch nicht Agrippina, sondern er, Seneca, die nächsten sieben Jahre die Welt verwaltet hat.

Die letzten entsetzlichen Zeiten unter Caligula und Claudius, die Seneca mit angesehen, waren doch nicht ohne Nutzen. Denn ihre Wirkung war, daß ein heilsamer Gegenschlag erfolgte. Mitten in den blutrünstigen Egoismus der Zeit hinein rief Seneca das Wort: Alle Rache ist gottlos. Versöhnt euch! lernt Vergebung und dient einander. Denn wir sind zum Lieben da und nicht zum Hassen. Es kam eben damals zu einem Aufruf aller guten Elemente und weiter zur Begründung einer neuen römischen Sittenlehre durch ihn; vor allem aber kam es zum Handeln, indem er für die Regierung der Welt selbst idealere Gesichtspunkte verfolgte: mitten im Kampf der Gemeinheiten der Versuch eines edleren, uneigennützigen Menschentums. Die ideal oder religiös gesinnten Menschen hielten sich damals abseits, als die Stillen im Lande; Seneca rief sie auf, sich am Staatsleben zu beteiligen. Es ist bequem, aber es ist kein Verdienst, gut zu sein, wenn man sich den politischen Bürgerpflichten entzieht.

Senecas kurze Regierung brachte eine neue goldene Ära, eine Wiedererweckung der augusteischen Zeit. Alles atmete auf, wie befreit; und auch die Dichtkunst, die so oft der Maßstab des Glückes der Epochen ist, die Poesie, die unter Tiberius, Caligula und Claudius, wie auf den Mund geschlagen, lautlos dagelegen, fing plötzlich wieder frei atmend an, sich zu regen. Die Hirtenpoesie nahm Calpurnius wieder auf, das Epos Lucan, die Satire Persius, die horazischen Oden Caesius Bassus. 233 Nur die Elegie, die schöne, aber sittenlos heißblütige Liebesdichtung, blieb tot und erwachte nicht wieder. Vor allem aber schrieb Seneca jetzt selbst, in seiner herrschenden Stellung, eine köstliche Serie reformatorischer Lehrschriften, die, wie gesagt, das Gefühlsleben Roms und also der Welt in sittlicher Hinsicht auf einen anderen Boden stellte: über soziale Hilfe, über Gnade des Fürsten, über den Wert des Reichtums u. s. f., Evangelien der echten Humanität, die sich auf reine Gottesverehrung gründet, in tausend Wendungen die neue Wahrheit verfechtend, daß der Mensch seiner Mitwelt dienen soll und sich nicht besser dünken soll als jeden geringsten, der menschliches Antlitz trägt. Daraus ergab sich eine Pflichtenlehre der Menschlichkeit, wie Rom sie bisher nicht hatte, die Rom ihm verdankte und die heute noch nachwirkt, ohne daß die meisten es wissen: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.

Seneca behauptete seine Machtstellung, solange die kaiserliche Garde, die Burrus befehligte, ihm ergeben war. Als Burrus starb, ereilte auch ihn endlich das gewaltsame Schicksal, das damals alle Besten wegnahm. Neros eigentliche Natur kam zum Durchbruch; der eigentliche »Nero« war erwacht.

Nero

Nero

Kopf. Rom, R. Museo nazionale romano. Nach Photographie Anderson.

Nero hatte erst den wehrlosen Britannicus, er hatte sodann, im Jahr 59, auch Agrippina, die ruhelose, herrschgewohnte Mutter, umbringen lassen. Die Mutter hatte längst auf allen Einfluß verzichtet. Aber Nero hatte doch Angst vor ihr. Agrippinas Ende, so wie Tacitus es schildert, wirkt noch erschütternder auf den Leser als das Ende Messalinas. Denn ihre Todesart war noch gräßlicher, und es war der eigene Sohn, der seine Mutter hinschlachtete. Der Dank des Sohnes an seine »beste Mutter.« Dann erlitt, im Jahre 65, auch Seneca den Tod, einen qualvollen Märtyrertod, und die Hauptstadt sank in Abscheu, Ekel und Grauen zusammen und warf alle Hoffnung hin auf bessere Zeiten. Aber Seneca wußte es besser: »ich betreibe die Geschäfte der Nachwelt,« war sein Ausspruch; eine bessere Zeit war doch nicht fern, die Zeit einer reineren Menschlichkeit. 235

 


 


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