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[Vorbericht]

Von einem Leben wird hier berichtet und es ist mein Leben. Indem ich es jedoch in diesem Augenblicke vor mir sehe als etwas, das ich nun erst in besonderem Sinne durchschreite, will es mich bedünken, als sei es nicht mehr mein Leben, von dem ich berichte, als sei vielmehr der Bericht von meinem Leben ein Bericht von vielen Leben, die unsichtbar und unhörbar füreinander alle den gleichen Weg gingen. Nicht im Einzelnen und Persönlichen natürlich, sondern im Großen und Gemeinsamen. Denn eines Menschen Leben – und wäre er der Größte – ist nicht loszulösen aus der Zeit, die er mit andern teilte. Ist auch im letzten der Mensch der Schöpfer seiner Zeit – und er soll von dieser Verantwortung hier am allerwenigsten losgesprochen werden –, so durchdringt sie ihn doch wie eine Essenz, die in ihn übergeht und von der ihn keine Chemie erlöst. Man kann also nicht einmal erwarten, daß, von äußeren Schicksalen abgesehen, die Leben von Menschen der gleichen Zeit sehr verschieden aussehen, ja man möchte meinen, daß ein solches Leben für das andere einstehen müsse und daß daher auch meines für andere stehe.

Das aber, was ich von meinem Leben zu berichten vermag, liegt nicht hinter mir. Es ist nicht etwas, worauf ich zurückschauen vermöchte wie auf etwas, das einmal mein war. Ich kann, damit ich mich nicht betrüge, nur von dem berichten, was in mir lebt und was ich somit erlebte, was als Erlebtes in mich überging, was noch immer mein ist, ohne daß ich dem Augenblick nicht ins Auge sehen könnte, der vor mir steht. Es werden keine Erinnerungen beschworen, von denen man wehmütig und gefühlvoll fragt: wie lange ist das her? – und es nicht einmal beantworten will; sondern es wird ein Gegenwärtiges beschworen. Und indem ich dies tue, indem ich von dem berichte, was in mir aus meinem Leben lebt, habe ich die seltsame Hoffnung, daß dies jenes Unsichtbare und Unhörbare ist, was ich mit jenem andern Leben teilte oder nunmehr teile, da ich es mitteile.

Denn es ist leicht, Erinnerungen, die wieder aufleben, von dem zu trennen, was mit mir lebt; es ist leicht, Erzähltes von Eigenem zu scheiden. Jedes verrät sich selbst. Das Erlebnis wird seine Kraft schon dartun, wenn es eines war.

Äußerlich und zeitlich kann ich von mir sagen, daß mein Leben mit vollem Bewußtsein den Anfang, den Verlauf und das Ende des deutschen Kaiserreichs umfaßt, eine Epoche anfänglich hoher Erhebung und danach verdächtigen und betrüglichen Glanzes, der als die eigentliche Essenz jener Zeit in unser Dasein drang; daß ich im Krieg gestanden habe all die Jahre, daß ich heimgekommen bin und so durch das große Tor des Lebens gehen durfte, das er für uns und die kommenden Geschlechter bedeutet. Aber auf der langen Strecke des Lebens liegt das wahrhaft Erlebte unregelmäßig und oft weit voneinander entfernt; es bildet kaum einen Weg und große Strecken sind leer. Und dennoch mag es geschehen, daß es den Weg bezeichnet, den ein Mensch gegangen ist.

 


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