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Die »Hansa«.

Auf der Schiffswerft des Kaufmanns Will in Hamburg, welche dem Elbhafen gegenüber auf Steinwärder gelegen war, ragte der mächtige Bau eines Dreimasters, an dem noch die letzte Arbeit, das Kalfatern, vorgenommen werden sollte. Zu dem Ende war man damit beschäftigt, alle zwischen den Schiffsplanken befindlichen Fugen oder Nähte mit lose gezupftem, getheerten Tauwerk, Werg genannt, zu verstopfen, und mit einem flüssigen Gemisch von Pech und Harz zu überstreichen. Nachdem diese mühsame und große Sorgfalt erfordernde Arbeit nach Verlauf einiger Tage von den vielen dazu verwendeten Handwerkern vollendet worden, war das neugebaute Fahrzeug, an welchem keine Kosten gespart waren, so weit fertig, daß es vom Stapel laufen konnte. Dieser von Vielen ersehnte Akt ist allemal ein wichtiges Ereigniß für Alle, die bei dem Bau beschäftigt gewesen oder überhaupt nur sich für dergleichen interessiren und zu den Bekannten des Schiffseigenthümers gehören.

An dem dazu festgesetzten Tage versammelte Herr Will eine zahlreiche, glänzende Gesellschaft auf der Werft, wo eine Tribüne errichtet worden war, die Gäste aufzunehmen. Außerdem schwammen auf dem Elbstrom in der Nähe der Werft, eine Menge mit Herren und Damen angefüllte Böte, die im Hafen vor Anker liegenden Schiffe und Dampffahrzeuge waren zum Theil dicht mit Menschen besetzt, Andere standen am Hafenquai und auf den benachbarten Werften, zu beiden Seiten des Schiffes waren alle Zimmerleute und übrigen Handwerker, welche daran gearbeitet hatten, in festlichem Anzuge, ihre Geräthschaften mit Blumen und Bändern geschmückt, aufgestellt – Alle in gespannter Erwartung des großartigen Schauspiels, welches bald vor sich gehen würde.

Der Dreimaster selbst, dessen Kiel sich zum ersten Male in die Wogen des Stroms tauchen sollte, trug erst die bis zur halben Höhe aufgerichteten Masten. Vom laufenden Tauwerk war noch so gut wie gar nichts angebracht, ebenso fehlte noch die Segelbekleidung. Nur das Bugspriet streckte sich bereits wie ein mächtiger Zeigefinger, der vorwärts deutet, über die stark vergoldete, dreiköpfige Figur hin, welche den Namen des Schiffes symbolisch darstellte, und am Vorderdeck hing ein Anker, an welchem das Fahrzeug, wenn es auf den Wellen ruhte, vorläufig festgelegt werden sollte. Eine Menge bunter Flaggen, darunter auf der oberhalb des Spiegels angebrachten Stange die Hamburgische, drei blaue Thürme auf rothem Felde, welche über das Heck herabwallte, flatterte auf dem Verdecke, auf welchem sich außer den nothwendigen Arbeitern, der Eigenthümer, der Kapitän des Schiffes und die Steuerleute, sowie von den Gästen diejenige Herren und Damen befanden, welche kühn genug waren, die erste bedenkliche Fahrt des Schiffes mitzumachen, bei der die Tüchtigkeit der Bauart ihre erste Probe bestehen sollte.

Ein ausgesuchtes Musikkorps spielte das vaterstädtische Lied: »Auf Hamburgs Wohlergehen« etc., während die Zimmerleute unter dem Rumpf des Dreimasters die letzten Stützen weghieben. Mit jeder Minute näherte sich der entscheidende Augenblick. Der Kaufherr überreichte einer der jungen Damen, die an Bord waren, einen bis an den Rand mit Wein gefüllten silbernen Pokal, wobei er einige wenige Worte für die glückliche Zukunft des Schiffes aussprach. Die Dame goß den Wein, nachdem sie davon gekostet, über den Bug und nannte dabei den Namen des Schiffs »Hansa«. So war die Namengebung vollzogen. Noch wenige Axthiebe, die haltenden Taue waren gekappt, die letzten Stützen gefallen. Langsam anfangs, dann von Sekunde zu Sekunde schneller glitt der stolze Bau, in allen Fugen erbebend, auf der Unterlage fort, die Tragbalken krachten und erhitzten sich durch die gewaltige Reibung, Rauchwolken stiegen empor, und mächtig die Fluthen theilend, rauschte das Schiff in die Wogen. Es herrschte einen Augenblick erwartungsvolle Stille, Keiner wagte ein Wort zu reden, Jeder hielt den Athem an, die Augen Aller waren auf das imposante Schauspiel gerichtet. Dann aber donnerten die am Ufer aufgestellten Böller ihren lauten Freudengruß über die Wogen und nun stimmte die Menge jubelnd ein. Lautes wiederholtes Hurrah erschallte von allen Seiten und vom Verdeck des Schiffes, man schwenkte Hüte und Taschentücher. Dazwischen mischte sich der Angstruf Derjenigen, welche in den Booten sich befanden. Denn nun begannen die Wellen des Elbstroms schäumend aufzurauschen. Vom breiten Rumpf der Hansa hastig zur Seite gedrängt, erhoben sie sich und wallten in weiten Bogen auf und nieder. Die kleinen mit Menschen angefüllten Fahrzeuge wurden in diese Bewegung mit hineingezogen, sie schwankten heftig – aber kein Unfall ereignete sich. Allgemach ebneten sich die fluchenden Wellen, legten sich friedlich neben einander, und nur eine lange mit weißem Schaum gefüllte Furche, welche hinter dem Schiffe herrauschte, bezeichnete die Bahn, die dieses genommen hatte.

Noch schoß es sausend durch die Fluth, es rollte von einer Seite zur andern. Allmälig aber verminderte sich die Geschwindigkeit seiner Fahrt, es legte sich völlig wagerecht auf die Wasserfläche, der Anker sank in den Grund, und vom starken Tau gehalten, ruhte es endlich unbeweglich, ein Bild menschlichen Kunstfleißes, und spiegelte sich in den klaren Wellen.

Für diesen Tag ward kein Hammerschlag mehr auf der Werft gethan. Sämmtliche bei dem Bau der Hansa thätig gewesenen Arbeiter begaben sich in Booten an Bord des Schiffes, wo auf dem Verdeck ein fröhliches Bankett gehalten wurde. Der Kaufherr, nachdem er noch die Beglückwünschungen der Arbeiter entgegengenommen hatte, fuhr darauf mit seinen Gästen an's Ufer zurück. Ein weithallender Tusch der Blasinstrumente begrüßte ihn, als er seinen Fuß an's Land setzte, noch einmal flogen Hüte und Mützen in die Höhe, ein Hurrah der am Lande versammelten überholte das andere und ward vom Schiffe erwidert. Dann verließen die Herren und Damen die Tribüne, und die ganze Gesellschaft sammt dem Musikchor schiffte sich auf einem bereit gehaltenen Dampfer ein, welcher unter dem Schalle heiterer Fanfaren, mit seinen Schaufelrädern mächtig die Wogen zertheilend, die Elbe hinabfuhr. Dort lag am hohen holsteinischen Ufer, im Dorfe Nienstedten, oberhalb des bekannteren Fischerdorfes Blankenese, die prächtige Villa des Kaufherrn, von einem reizenden Park umgeben, der von der Uferhöhe auf Terassen sich bis an das Elbgestade ausbreitete. Hier legte das Dampfschiff an, die Gesellschaft ward in Booten an's Land gesetzt und begab sich die Anhöhe hinauf nach dem Landhause, wo eine üppig besetzte Tafel ihrer wartete. Als die Champagnerpfropfen knallend bis zur Decke emporflogen, drängte ein Toast den andern, welche alle dem Schiff und seinem freigebigen Eigenthümer galten.

In den nächsten Tagen wurde die Hansa gekielholt, um, soweit der Rumpf nach erfolgter Ladung im Wasser lag, gekupfert zu werden. Man legte es mittelst dazu angebrachter Maschinen ganz auf die Seite, strich dann eine Lage von Pech, Theer und Harz über die bloßgelegten Schiffsplanken und brannte diese vorsichtig ab, damit sie überall gleich dick aufliege. Dann ward darüber grobes, in kochendem Theer getränktes Papier gelegt, und über dieses kupferne Platten mit Bolzen von demselben Metall und messingenen Nägeln geschlagen. Mehrere Wochen vergingen noch über dieser, große Sorgfalt und Vorsicht erheischenden Arbeit, und erst als das ganze lebendige Werk, d.h. der bei voller Ladung unter dem Wasserspiegel liegende Theil des Schiffes, durch dieses Vornehmen kupferfest gemacht war, begann die Auftakelung. Auch diese konnte erst nach mehreren Wochen vollendet werden. Zugleich aber hatte man angefangen, das bereits nach dem Hafen gebrachte Schiff zu beladen, und etwa zwei Monate, nachdem es von der Helling abgelaufen war, lag es segelfertig und harrte des Befehls zur Abfahrt.

Der Kapitän Torning befand sich eines Morgens im Comptoir seines Rheders, um von diesem die nöthigen Connoissemente und übrigen Papiere entgegenzunehmen, als der Hausknecht dem Buchhalter des Letzteren die eben mit einem englischen Dampfer angekommene Ueberlandpost auf's Pult legte. Der alte erprobte Geschäftsführer öffnete einen Brief nach dem andern und legte ihn wohlgefällig schmunzelt zur Seite, ohne die Unterhaltung seines Prinzipals mit dem Kapitän zu stören. Als er aber den letzten aufbrach und einen flüchtigen Blick hineingeworfen hatte, begann seine Hand zu zittern. Er wandte die Augen vom Papier weg, nahm die Brille ab, reinigte die Gläser mit seinem seidenen Taschentuche, setzte sie wieder auf und nahm den Brief noch einmal zur Hand. Unter großer Bewegung las er ihn aufmerksam von Anfang bis zu Ende, sein Gesicht entfärbte sich, er blickte über die Brille weg zu seinem Prinzipal hinüber, – der aber war zu sehr mit dem Kapitän beschäftigt, als daß er die Aufregung seines Buchhalters bemerken sollte. Endlich konnte dieser nicht länger an sich halten.

»Herr Will,« sagte er mit zitternder Stimme, »Ihre Aufträge an den Herrn Kapitän bedürfen wohl noch einiger Abänderungen, wenn Sie gefälligst diesen Brief aus Batavia gelesen haben werden.«

Mit diesen Worten reichte er den Brief hinüber, und kaum hatte der Kaufherr, die ersten Zeilen gelesen, als das Blatt seinen zitternden Händen entfiel, und er dumpf vor sich hinbrütend in seinem Stuhle zurücklehnte. Der Brief brachte die Nachricht, daß ein Handlungshaus in Batavia, Robertson und Comp., seine Zahlungen eingestellt habe. Es war gerade dasjenige, an welches Herr Will Forderungen zu machen hatte, welche den Belauf von einer Million Mark Banco weit überstiegen.

Der Schrecken, den diese unerwartete Nachricht bei Herrn Will hervorgerufen hatte, der sich um mehr als ein Drittheil seines Vermögens betrogen sah, war jedoch nur vorübergehend. Der Kaufherr erholte sich bald wieder. Er schlug die Augen auf, bog sich über sein Pult hinüber zu seinem Buchhalter, der noch immer seine gewohnte Ruhe nicht wiederfinden konnte und an allen Gliedern zitterte, und sagte lächelnd:

»Nun, alter Freund, nur nicht den Kopf verloren! Wir werden sehen was zu retten ist, und wäre es nichts – wie Gott will,« setzte er leiser hinzu.

Dann wandte er sich zu dem Kapitän, der bei diesem Vorgange ein wenig zur Seite getreten war und sagte:

»Hören Sie, lieber Torning, wann wollten sie noch Anker lichten?«

»Morgen,« entgegnete dieser, »ich denke Nachmittags vier Uhr.«

»Gut, gut,« antwortete Herr Will, »dabei mag es bleiben. Nur halten sie eine Kajüte bereit, zur Aufnahme eines Passagiers. Die Ladung der Hansa ist so werthvoll, daß ihr Absatz die größte Umsicht erfordert. Ich gebe Ihnen einen Supercargo mit, desto geringer ist Ihre Verantwortlichkeit.«

»Wie Sie befehlen!« erwiderte der Kapitän etwas betroffen.

»Ja, ja, einen Supercargo, Herr Kapitän,« fuhr der Kaufherr fort, »und ich habe schon meine Wahl getroffen, das ist Niemand anders, als ich selbst. Ich gehe mit Ihnen nach Batavia. Es hat mir da ein vieljähriger Geschäftsfreund einen dummen Streich gemacht, für den ich ihn selber auf die Finger klopfen will. Vielleicht läßt sich der Schaden doch noch wieder gut machen und es handelt sich um erhebliche Summen. Lassen Sie uns daher jetzt abbrechen. Wir können unsere Geschäfte in Ihrer Kajüte beendigen.«

»Ich werde Alles für Sie in Bereitschaft setzen,« erwiderte der Kapitän, verbeugte sich und ging, indem ihm Herr Will, der seinen Abschiedsgruß freundlich erwiderte, noch nachrief:

»Also Morgen Punkt zwei Uhr holen Sie mich in der Schaluppe an Bord.«

Fast die ganze Nacht hindurch wurde jetzt im Comptoir des Herrn Will gearbeitet, bis der Morgen graute. Man rechnete und copirte Briefe, man ordnete die Connoissemente, und Herr Will berathschlagte mit seinem alten Buchhalter über die zweckmäßigsten Maßregeln, die er in dieser kritischen Lage ergreifen solle, um so viel als möglich von seinem Vermögen zu retten. Endlich, nachdem er mit seinem erfahrenen Freunde einen Plan festgestellt hatte, begaben sich Beide zur Ruhe.

Inzwischen hatte die Dienerschaft des Herrn Will Befehl erhalten die Reiseeffecten ihres Prinzipals einzupacken. Ein zuverlässiger Diener sollte die Reise mitmachen. Die Familie des Kaufherrn war von seinem Entschluß sogleich, nachdem ihn der Kapitän verlassen hatte, in Kenntniß gesetzt worden. Die Frau war anfangs aufs höchste erschrocken und machte Einwendungen, als sie aber den Grund erfuhr, als ihr einleuchtete, daß, wenn nicht alles verloren gehen sollte, durchaus Herrn Wills persönliche Anwesenheit in Batavia nothwendig war, fand sie sich in das Unabänderliche.

Am folgenden Tage Nachmittags zwei Uhr legte die Schaluppe der Hansa an der Treppe des Quai, welche zum Wasser hinunterführte, an. Sie war mit Laubgewinden festlich geschmückt, denn die Matrosen betrachteten es als eine große Ehre, daß der Rheder selbst das Schiff auf seiner ersten Fahrt begleiten wolle. Dieser ließ nicht auf sich warten. Er hatte sich bei seinen Geschäftsfreunden auf der Börse verabschiedet und war unmittelbar von dort an den Hafen gefahren. Nachdem er das Fahrzeug mit seinem Diener bestiegen hatte, legten die Matrosen die Ruder ein. Bald hielten sie an der Seite des Dreimasters, der bereits am Abend vorher auf den Strom hinaus gelegt hatte. Der Rheder stieg die Fallreep hinan, die ganze Besatzung war auf dem Verdeck aufgestellt und begrüßte ihn mit Hurrah und Hüteschwenken. Herr Will dankte, ließ jedem der Matrosen eine halbe Flasche Wein reichen und begab sich dann mit dem Kapitän in die Kajüte, nachdem dieser seinem ersten Steuermann Befehl zum Ankerlichten gegeben hatte.

Eine günstige östliche Brise blähte die Segel des schönen Schiffes, als es, die Anker an Bord, majestätisch durch die Wellen des Elbstroms rauschte. Es gibt kaum einen prächtigeren Anblick, als solch einen Schiffskoloß im lichten Gewande seiner straffen Segel die Wellen zertheilen sehen. Gleich einem beflügelten, lebendigen Wesen, die weißen Schwingen ausgebreitet, so gleitet es durch die Fluthen. Diese umspielen brausend seinen Rumpf, wie unwillig darüber, daß er sie zur Seite drängt. Mit ihren schäumenden Zungen lecken sie an ihn hinauf, als wollten sie ihn ersteigen, aber an den glatten Planken sinken sie ohnmächtig wieder zurück. Murrend steigen sie am Vorderbuge empor, murrend gleiten sie wieder hinunter. Es ist ein ununterbrochenes Steigen und Fallen, Lärmen und Brausen ein abwechselndes Aufwallen und Niederlegen, ein Spiel ohne Anfang und Ende, dieses Spiel der nimmer ruhenden Wogen. Und ruhig über die ruhelose Fläche, das Bugspriet gleich einem Scepter ausgestreckt, mit der Wucht seines Rumpfes und den ausgebreiteten Schwingen die Wogen beherrschend, gleitet das Fahrzeug dahin, gleich einer Königin, die eine tobende Volksmenge durchschreitet, und mit dem Zauber ihres Ehrfurcht gebietenden Blickes das Toben der Murrenden zügelt.

Vom Bord des Kauffahrteifahrers hallten in kurzen Pausen drei Kanonenschüsse, ein Abschiedsgruß an die reiche Vaterstadt, in deren Hafen er nach Monaten wieder, mit Indiens Schätzen beladen, einzulaufen hoffte. Das Hamburger Wachtschiff, welches an der Landungsbrücke für die Dampfschiffe angekettet liegt, erwiderte den Gruß aus ehernem Munde. An der Besahngaffel flatterte Hammonia's weltbekannte Flagge, vom Tob des Hauptmastes wallte ein langer Wimpel herab auf die oberen Segel. Das Steuerrad ruhte in der nervigen Faust eines erfahrenen Lootsen, der das Schiff bis vor die Elbmündung bugsiren sollte, und die gesammte Mannschaft, welche einige sechzig Mann zählte, bestand aus wackeren, zuverlässigen Burschen, denen mehr als einmal schon die Sonne senkrecht auf den Scheitel gebrannt hatte.

Die Fahrt auf der Elbe hinab ging ohne weiteren Aufenthalt von Statten. An dem bis Blankenese hohen, mit prächtigen Landhäusern und Parkanlagen bedeckten holsteinischen Ufer vorüber, dann zwischen den Niederungen zu beiden Seiten des Stromes, am hannoverischen wie am holsteinischen Gestade, führte der kundige Lootse das Schiff geschickt über die Sandbänke, die leider mehr und mehr besorgnißerregend sich im Fahrwasser festzusetzen beginnen. Bei hohem Wasserstande zur Fluthzeit kann man allerdings an ihnen tiefgehende Schiffe vorüberführen, aber sie gewinnen von Jahr zu Jahr an Breite, und bis jetzt ist noch nichts ernstlich unternommen worden, dem Anschwemmen des Sandes einen Damm entgegenzusetzen. Der stolze Strom, der unterhalb Hamburg mehr als eine Meile breit zu werden anfängt, Deutschlands nordwestliches Hafenthor, in welches die Fahrzeuge aller handeltreibenden Nationen der Erde einlaufen um in der Metropole des norddeutschen Handels ihre Ladungen zu löschen und zu verwerthen, droht dem Flußbette der Rheinmündung gleich zu werden. Möchte dieses nimmer, auch annähernd nicht geschehen!

Als man Cuxhafen passirt war und nun mit mächtigerem Drucke sich das Gemisch der Strom- und Meereswogen um den Rumpf der Hansa schmiegte, auch der Wind frischer und voller in die Segel blies, zeigte sich diese dennoch vollkommen die Elemente beherrschend. Zwar schwankte das Fahrzeug ein wenig mehr, als es bis dahin auf den ruhigeren Elbwogen gethan hatte, aber mit kräftigem Stoße warf es den stolzen Bug den Fluthen entgegen und drängte sie zur Seite. Die Sonne war schon untergegangen, als man in der Nähe der Lootsengalliote, die hier stationirt ist, anlangte. Der Lootse empfahl sich mit schwerer Börse, und der Kapitän übernahm nun selbst das Commando. Während die eine Hälfte der Besatzung in die Kojen geschickt wurde, bezog die andere Hälfte die Nachtwache, und Kapitän Torning beschloß, diese Nacht auf dem Verdeck zu bleiben. Es war die erste, in welcher das seiner Führung anvertraute Fahrzeug auf den Meereswogen sich wiegte, das Gebot der Pflicht ebensosehr, als das der Ehre bewogen ihn, sein Commando nicht dem Obersteuermann abzutreten. Er hatte seinen Entschluß auch nicht zu bereuen.

Denn um Mitternacht änderte sich das Wetter, es war gerade der Eintritt des Neumondes. Der Wind, welcher in den nächstvorhergehenden Stunden schon abwechselnd gelinder oder heftiger geweht und erheblich geschwankt hatte, lief jetzt um und setzte sich in Nordwesten fest. Dorther blies er mit vollen Backen dem Lauf des Schiffes gerade entgegen. Dies brachte der Besatzung Arbeit. Die Matrosen mußten die Wanten hinauf, um die Segel zu bergen; das mühsame Geschäft ging glücklich von Statten. An den glatten Raaen hingen nach Verlauf einer halben Stunde wohlbefestigt die Rollen der schweren Leinwand. Durch das laufende Tauwerk sauste des Windes lärmender Athem, und schwer rollte das Schiff von einer Seite zur andern.

Dadurch gerieth es in eine drehende Bewegung, die das jetzt nothwendige Wenden erleichterte. Der Klüver und Außenklüver wurden wieder entfaltet, das Focksegel ausgebreitet, und mit Hilfe des Steuers das Fahrzeug an den Wind gebracht. Dann klimmten abermals die gewandten Matrosen in die Raaen, lösten das Mars- und Bramsegel, braßten die Raaen, und nun begann das Laviren. Hiebei zeigt es sich ganz besonders, ob ein Schiff ein behender Segler ist oder nicht. Je leichter es wendet, je schneller es am Winde die Fluthen durchschneidet, desto besser ist es gebaut. Die Hansa, welche zum ersten Male auf den hochgehenden Wogen manövrirte, machte ihrem Baumeister alle Ehre. Leicht, ohne Zittern und Schwanken ging sie über Steuer, und wenn die Wendung geschehen und der Wind nun wieder von der Seite her die ihm dargebotenen Segelflächen füllte, so durchfurchte sie rasch die brausenden Wogen, und drängte mächtig diejenigen zur Seite, welche ihr trotzig das schaumbekränzte Haupt entgegenwarfen.

Am dritten Tage näherte man sich bereits dem Kanal, am vierten lief das Schiff in die breite Wasserstraße, welche das Festland Europa's von dem Inselreiche Großbritannien scheidet, ein. Der fünfte Tag war ein Sonntag. Der Wind war wieder günstig geworden und ohne ferneren Aufenthalt ward die Fahrt fortgesetzt.

Kapitän Torning war nicht bloß ein kundiger und unermüdlich aufmerksamer, sondern auch ein frommer Seemann. Vieljährige Erfahrung hatte in ihm die schon in seiner Jugend in sein Gemüth gelegte Ueberzeugung befestigt, daß über dem Willen der Menschen noch ein höherer Wille gebiete, dem der Mensch zu gehorchen und dem er sein Schicksal demüthig anzuvertrauen habe. Aus manchen Gefahren hatte ihn die Hand seines Gottes gerettet, durch Freude und Leid hatte sie ihn stets so hindurch geführt, daß es an ihm war, sich dafür dankbar zu beweisen. Er war aus Ueberzeugung ein Christ, und schämte sich niemals und nirgends, mit seinem Munde und seinen Werken zu bekennen, was er als lebendigen Glauben im Herzen bewahrte. Daher hielt er auf Heiligung des Sonntages, selbst auf dem Meere, am Bord seines Schiffes, soweit die Umstände es gestatteten. Seine Steuerleute, die schon auf mehreren Reisen seine Begleiter gewesen waren, und die Matrosen, welche bereits seit mehreren Jahren in seinem Dienste standen, wußten dieses und hatten noch nie Ursache gehabt, sich in dieser Hinsicht über ihren Kapitän zu beklagen. Im Gegentheil, auch in ihre Seelen war manches gute Samenkorn gefallen und hatte einen fruchtbaren Boden gefunden. Auch sie mußten einräumen, daß es gut sei, auf den Herrn zu vertrauen und ihm die Ehre, die ihm gebührt, zu geben.

An diesem ersten Sonntage, wo die Hansa auf dem Meere schwamm, war das Wetter heiter und der Wind, wie gesagt, wehte günstig. Schon in der Frühe des Morgens war das Schiff mit besonderer Sorgfalt gereinigt, Alles in gehöriger Ordnung aufgestellt und das Hinterdeck möglichst abgeräumt. Man wußte, wozu der Kapitän dort seine Besatzung versammeln werde.

Nachdem das Frühstück eingenommen war, gingen die Matrosen, welche auf dem Verdeck entbehrt werden konnten, hin, um ihre Feiertagskleider anzulegen. Der Kapitän übersah das Hinterdeck, ob alles in der nöthigen Ordnung und Bereitschaft sei, um dort einen Gottesdienst halten zu können. Dann ließ er sich bei seinem Rheder melden und begab sich darauf in dessen Kajüte.

»Was ist Ihr Begehr, lieber Kapitän?« fragte Herr Will, nachdem er den Gruß des Seemanns erwiedert hatte.

»Sie einzuladen,« antwortete dieser, »an unserem Gottesdienst Theil zu nehmen.«

»Wie? was? – Gottesdienst, hier auf dem Schiffe?« fragte Herr Will überrascht. »Haben Sie denn einen Prediger an Bord?«

»Das nicht!« erwiederte der Kapitän. »Ich leite die Andacht selbst.«

»So, so!« brummte der Kaufherr und fuhr dann fort: »Ich liebe dergleichen nicht, Herr Kapitän. Hilf Dir selbst, so wird Gott Dir helfen! ist mein Wahlspruch. Das andere da, das Singen und Beten macht Kopfhänger, Faullenzer und Heuchler.«

»Nach meinen Erfahrungen nicht!« widersprach Kapitän Torning mit Bestimmtheit. »Denn ich zwinge Niemanden, an unserer Andacht Theil zu nehmen, obgleich selten ein Matrose fehlt. Und wer Gottes gedenkt in guten Tagen, dessen versäumt Er nicht in den bösen.«

»Mag sein,« erwiederte Herr Will. »Jeder hat seine Passion. Die meinige ist dergleichen nun einmal nicht.«

»Ich wollte Ihnen auch nur anzeigen, was wir vorhaben,« entgegnete der Kapitän. »Das war meine Schuldigkeit, alles Uebrige steht bei Ihnen.«

»Danke sehr, lieber Torning,« antwortete der Schiffsrheder. »Machen Sie es, wie Sie wollen, Sie wissen es am besten!«

Der Kapitän verbeugte sich schweigend und ging. Nach einer halben Stunde ward die Schiffsglocke geläutet. Auf dieses Zeichen versammelte sich die ganze Mannschaft auf dem Hinterdeck. Der Kapitän trat unter sie, nahm seinen Platz neben dem Kompaßhäuschen ein und sprach einen Gesangvers strophenweise vor, den er dann mit der ganzen Versammlung anstimmte. Hierauf folgte ein mit vernehmlicher Stimme gesprochenes Gebet. Dann schlug er die Heilige Schrift auf, las das Evangelium des Sonntags vor und schloß daran eine kurze erbauliche Betrachtung, die er aus einem Buche vortrug. Ein Vaterunser und abermals ein Gesangvers schloßen die Feier, welche nicht länger als eine gute Viertelstunde währte.

In den nächsten Wochen ging die Fahrt der Hansa ohne Unfall oder andere bemerkenswerthe Ereignisse von statten. Man näherte sich allmählig der Capstadt, doch ward beschlossen, da noch hinreichend Lebensmittel an Bord waren und auch das Wasser noch trinkbar, hier nicht zu landen, sondern das Cap zu umschiffen und die Reise ohne Unterbrechung fortzusetzen. Kaum war man indeß um das gefährliche Vorgebirge glücklich herumgesegelt, als sich heftige Stürme einstellten, welche den Lauf des Schiffes, zum größten Mißvergnügen seines Eigenthümers, störten, der dadurch seine Reise, an deren schleunigster Beendigung ihm so sehr viel gelegen war, unverhoffter Weise verzögert sah.

Mehrere Tage hindurch raste der Sturm. Schwere Nebel, heftige Regenschauer, die den wildtobenden Luftstrom begleiteten, und wenn sie einmal aufhörten, nur auf Augenblicke ruhten, machten die Reise äußerst beschwerlich, ja hemmten sogar das Fortkommen und brachten die Hansa in einen ganz anderen Kurs, als der war, welchen sie verfolgen sollte. Der Kapitän war endlich genöthigt, um nicht das äußerste zu wagen, umzuwenden, und bei einer der ostafrikanischen Inseln anzulegen. Nachdem er sich dazu entschlossen hatte, wiewohl gegen den Willen seines Rheders, der darauf bestand dem Sturm zu trotzen, ward es ihm noch schwer genug, seinen Entschluß auszuführen. Doch gelang es nach vielen Mühsalen, die östlich von der Gruppe der Mascarenen gelegene kleine britische Insel Rodriguez zu erreichen, wo man im Hafen vor Anker ging.

Das anmuthige fruchtbare Eiland, welches oft Ostindienfahrer anlaufen, um Lebensmittel und Wasser einzunehmen, lockte auch die Besatzung der Hansa während der Rasttage an's Land, wozu der Kapitän seine Erlaubniß ertheilte. Er selbst verfehlte auch nicht, manche Erfrischungen am Lande einzukaufen, nur der Eigenthümer des Schiffes, Herr Will, dem nun einmal die Unterbrechung der Fahrt im höchsten Grade zuwider war, verschmähte es, seinen Fuß an's Land zu setzen. Mürrisch schloß er sich in seiner Kabine ein, befahl, sein Mittagsessen, welches er bisher gemeinschaftlich mit dem Kapitän eingenommen hatte, ihm in seine Kajüte zu bringen und untersagte eigens, ihm frisches Fleisch, Früchte u. dgl. m. vorzusetzen, sondern ließ sich ausschließlich nur mit seinem, von Hamburg mitgenommenen Proviant traktiren. Dem Kapitän war dies Benehmen allerdings nicht lieb, allein da er nur seiner besten Ueberzeugung nach gehandelt hatte, wie seine hohe Verantwortlichkeit für Schiff und Ladung es gebot, so fand er keine Veranlassung, dem mürrischen Herrn die böse Laune zu vertreiben. Er überließ ihn seinen Grillen, ohne sich dadurch irgendwie in seiner Handlungsweise leiten oder beschränken zu lassen.

Nach fast acht Tagen erheiterte sich das Wetter und beim ersten Sonnenstrahl und günstigen Windhauch ging Kapitän Torning wieder unter Segel. Seines Schiffes und der Sicherheit seiner Reise wegen, welche letztere jetzt vom freundlichsten Wetter begünstigt war, hatte er den ihm durch die Umstände aufgenöthigten Aufenthalt auf der Insel Rodriguez nicht zu bereuen. Allein dennoch hatte dieser eine sehr üble Folge. Ein großer Theil der Besatzung erkrankte und zwar in ziemlich hohem Grade. Die Leute waren nicht vorsichtig genug im Genüsse der Südfrüchte gewesen, die sie auf der Insel wohlfeil hatten kaufen können. Sie hatten mehr davon genossen, als gut war, und die daraus entstandenen Unterleibsbeschwerden, welche sich anfangs nur bei einigen einstellten, nahmen in kurzer Zeit einen gleichsam ansteckenden Charakter an und warfen mehr als zwei Dritttheile der Mannschaft auf das Krankenlager. Die Hitze der Tropensonne vermehrte das Uebel und Niemand empfand den Mangel eines Schiffarztes mehr, als der brave Kapitän, dem jetzt nichts anderes übrig blieb, als selbst die Rolle eines solchen zu übernehmen. Ganz unerfahren war er zwar in dieser Hinsicht nicht, auch führte er eine Anzahl der nothwendigsten Arzeneien mit sich. Aber wie jeder gewissenhafte Mann gern seine Hände von dem fern hält, was nicht seines Amtes ist, so auch der Kapitän. Allein hier wurde die Noth zum Gebot. Betrübt und gebeugt über den unvermutheten Unfall öffnete er seinen Arzneikasten und während nun die noch wenigen Gesunden, zu denen glücklicherweise seine Steuerleute gehörten, das Ruder und die Segel handhabten, sah man den Kapitän in seiner Kajüte mit Hilfe des Koches Salmiakmixturen, Rhabarberpulver u. dgl. m. bereiten.

Kein Mensch war über dies fatale Ereigniß verstimmter, als Herr Will.

»Da haben wir die saubere Bescheerung!« so sprach er zu dem Kapitän, als er ihn eines Tages mit der Mörserkeule die Pulver reibend, in seiner Kajüte antraf. »Sagt' ich's nicht, es sei zum Schaden, wenn wir anliefen. Das Bischen Wind da – papperlapapp – eine Kleinigkeit, so ein Eichenrumpf, vom gesundesten Holz und mit kupfernem Ueberzug, wie der meines Schiffes, würde die Brandung schon ausgehalten haben, und je toller der Sturm bläst, desto eher geht er zur Ruhe. Zornige Herren regieren nicht lange!«

Der Kapitän hatte anfangs beschlossen, dem mürrischen Herrn nichts zu erwiedern; als dieser aber unaufhörlich fortfuhr, seinen Mißmuth in Worten auszuschütten und sich selbst immer ingrimmiger redete, zuletzt mit förmlichen Beleidigungen gegen den Kapitän herausfuhr, da hielt dieser es für angemessen, den ungerechtfertigten Vorwürfen ein Ende zu machen.

»Sie reden wie ein Unkundiger,« sagte er mit ernster Ruhe. »Daß Sie heute noch ihres Schiffes rühmend gedenken können und hier es unter Ihren Füßen haben, verdanken Sie nächst Gott unserm Aufenthalt im Hafen von Rodriguez. Hätten wir diesen Zufluchtsort nicht aufgesucht und zeitig genug glücklich erreicht, so wären Schiff und Ladung, Sie und wir alle längst im Meeresgrund begraben. Gott bewahre uns vor solchem Schiffbruch.«

Der Kaufherr, der auf eine solche Antwort nicht gefaßt zu sein schien, suchte schweigend die Thür und entfernte sich. Aber sein Groll gegen den Kapitän war keineswegs besänftigt, im Gegentheil nur noch verstärkt.

Die Hansa glitt indessen unbehindert über die Meereswogen. Das Befinden der Mannschaft fing unter der sorgsamen Pflege, welche der Kapitän persönlich seinen Leuten widmete, allmählig an sich zu bessern. Einige Matrosen freilich erlagen den heftigen Fieberanfällen. Sie wurden mit den üblichen Ehren nach Seemannsbrauch im Schooß des Meeres bestattet. Alle übrigen genasen wieder, und man hatte die Hoffnung, die im Durchschnitt hunderttägige Reise von Hamburg nach Batavia auch diesmal, ungeachtet des Aufenthalts im Hafen von Rodriguez, in dieser Frist zurücklegen zu können.

Die Fluthen des Indischen Ozeans umspülten den Bug der Hansa, die etwa auf dem 5. Grade südlicher Breite nach der Sundastraße steuerte. Der Wind stand West-Süd-West und war deshalb dem Lauf des Schiffes günstig. Heitere Tage wechselten mit trüben, an denen sich von Zeit zu Zeit ein feines, mitunter auch schweres Regengestöber einstellte, doch waren erstere vorherrschend. Von ihrem Aufgange bis zum Untergange brannte die Tropensonne glühend heiß auf das Meer herab. Ungeachtet des ziemlich heftigen Windes trug er doch wenig zur Abkühlung der Luft bei, deren Gluthhitze nicht blos jede Bewegung, sondern sogar das Athmen erschwerte. Selbst die den senkrechten Sonnenstrahlen fortwährend ausgesetzten Theile des Schiffes litten unter der sengenden Gluth. Das Pech erweichte und begann sich aufzulösen und zu zerstießen, an einzelnen Stellen bekam selbst das Holz Risse von der ungeheuren Dürre, die es auszuhalten hatte. Die am Spiegel hängende Schaluppe war man genöthigt, in's Meer und hinter dem Schiffe herschleppen zu lassen, die Fugen barsten schon auseinander. Statt Ballastes ward sie zum Theil mit Seewasser gefüllt.

Am Tage glich das Meer einem unermeßlichen glänzenden Spiegel, aus welchem das Bild des Himmels zurückstrahlte. Wie er sich nach oben wölbte in halbkugelförmiger Gestalt, so wölbte er sich auch nach unten, nur daß sein Spiegelbild in den ruhelos auf- und abwallenden Wogen in beständiger Bewegung zu sein schien, während der Himmel selbst in ewiger Ruhe darüber hing. Wenn er sich mit Regenwolken bedeckte, hinter welchen sich das durchsichtige Blau verbarg und die glänzenden Sonnenstrahlen verkrochen, so breitete sich auch ein ähnlicher trüber Schleier über die Meeresfläche, die dann Grau in Grau gemalt zu sein schien; doch verlor sie dabei ihre Durchsichtigkeit nicht, man konnte mitunter einige Faden tief, in den Grund hinunter sehen.

Abends bei heiterem Wetter gewährte das Meer einen wunderbar schönen, ganz unübertrefflichen Anblick. Es erschien dann tiefschwarz, nur der Schaum, der auf den Spitzen der Wogen perlte, war glänzend weiß, wie Schnee. Es war, als wenn man aus der Vogelperspektive auf die schneebedeckten Firnen einer Gebirgskette hinabschaute. Und zwischen den einzelnen, mit der lichten Schaumkrone gezierten Wogen glühten weißlich leuchtende Streifen, bald streckten sie sich gleich Bändern in die Länge, bald war's, als wenn diese zerrissen und die Enden nun mit hellem Schein wie Fackellicht aufblitzten. So zeigte es sich namentlich in der Ferne am Horizonte. Dort schien ein Heer von Lichtern, wie Irrlichter auf einem Sumpfe, umherzuhüpfen, die um so stärkeren Glanz ausstrahlten, je dunkler die Fluth war, auf der sie sich bewegten. Die Hansa durchschnitt rauschend dieses wallende, wogende, flimmernde Meer. Am Buge empor spritzten die funkelnden Wellen und sanken in leuchtenden Cascaden wieder hinab. Zu beiden Seiten des Schiffes bildeten sie einen Lichtstreifen, der bald eng die Planken umgürtete, bald von ihnen zurückwich, um auf's neue wiederzukehren und dem düsteren Rumpfe sich anzuschmiegen. Hinter dem Schiffe flossen diese beiden leuchtenden Schaumgürtel zu einem einzigen Streifen zusammen, der, soweit das Auge reichte, einen glänzenden Schweif hinter dem unablässig vorwärts eilenden Fahrzeug herschleppte. Und über diese tausend und abertausend hüpfenden und wallenden Schaumlichter, die auf der Meeresfläche schwammen, ergoß der Mond sein geisterhaftes Dämmerlicht, das sich wunderbar mit dem Leuchten des Meeres mischte. Gleich einem dunkel gefiederten Riesenvogel mit weißen Schwingen durchfurchte die Hansa diese flimmernden Wogen. –

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»Feuer, Feuer!« – Der gellende Angstruf schallte eines Morgens, nachdem die Mannschaft eben ihr Frühstück eingenommen hatte, aus dem untern Raum heraus. Kapitän Torning war gerade auf dem Verdecke, sogleich eilte er hinunter, gewahrte aber nirgends weder Rauch noch Flammen. Er glaubte schon, es sei ein Irrthum vorgegangen oder er habe sich getäuscht, als ein Matrose zitternd auf ihn zukam und ihm sagte: dort im Fasse sei das Feuer. Der Kapitän legte seine Hand daran, empfand aber keine Wärme. Und nun erzählte der Matrose, es sei ihm von dem Proviantmeister aufgetragen worden, aus einem Fasse mit Spiritus eine Flasche voll abzuzapfen, deren Inhalt man für die Lampen in den Kajüten habe verwenden wollen. Wie gewöhnlich habe er das Spundloch des Fasses geöffnet, um aus dem Hähnchen zapfen zu können und den eisernen Leuchter mit einem brennenden Licht an den Rand eines dicht daneben stehenden Fasses aufgehängt. Plötzlich habe sich an dem Docht des Lichtes eine Schnuppe gebildet, welche abgesprungen und gerade in das Spundloch gefallen sei. Der Spiritus, von dem freilich nicht viel mehr in der Tonne gewesen, sei entzündet worden, habe den Boden der Tonne gesprengt und sei brennend in den untern Raum hin abgeflossen, wo die Steinkohlen lägen, die man zur Heizung des Heerdes gebrauche. Er habe sogleich nachgesehen, ob die Kohlen entzündet worden, habe aber nichts bemerkt, indessen doch Feuer! gerufen, damit der Vorfall gründlich untersucht werden könne.

So sonderbar diese Erzählung in mancher Hinsicht lautete, die der Matrose mit bebenden Lippen berichtete, so mußte doch etwas Wahres daran sein, denn das Faß, dessen Boden zersprengt worden, war allerdings zur Stelle, ebenso der eiserne Leuchter mit dem brennenden Lichte. Kapitän Torning stieg augenblicklich in den unteren Raum hinab, untersuchte die Kohlen, fand aber durchaus keine Spur einer Entzündung. Er stellte indessen aus Vorsicht zwei Matrosen als Wache dort auf und gab ihnen strenge Ordre aufzupassen, ob irgendwo sich Feuer zeigen würde. Dann begab er sich beruhigt auf das Verdeck zurück.

Kaum befand er sich wieder eine halbe Stunde oben, als abermals der erschreckende Feuerruf von unten herauftönte. In wenig Sätzen war er die Treppen hinunter und gewahrte leider zu seiner größten Bestürzung, wie wohl begründet der Allarm sei. Im untersten Raume aus einer Höhlung des Kiels stieg dicker Rauch empor und ein Theil der Coaks brannte. Zwar schien das Feuer noch nicht weit um sich gegriffen zu haben, allein weil es die Steinkohlen erfaßt hatte, war es um so schwieriger, ein geeignetes Löschmittel ausfindig zu machen. Auch begann der Rauch bereits den Raum so sehr anzufüllen, daß es einem Menschen unmöglich war, sich darin aufzuhalten, und wieder schien es rathsam, jeden Zutritt von Luft abzuwehren, um nicht durch Zugwind eine Ausbreitung des Feuers zu veranlassen. Kapitän Torning ließ deshalb den untern Raum verschließen und mittelst der Pumpen unter Wasser setzen. Ein anderes Verfahren wußte er nicht anzuwenden und der Erfolg mußte abgewartet werden.

Eine peinliche Stimmung bemächtigte sich jetzt der Gemüther Aller. Man sah sich genöthigt, vor der Hand dem Ereigniß müßig zuzusehen und zu warten, ob die getroffenen Maßregeln ihren Zweck erfüllen würden.

Wieder eine halbe Stunde verging, da zeigte sich, wie wenig das angewandte Löschmittel geholfen habe. Der Boden, welcher die Decke des unteren Raumes bildete, war auf der einen Seite, wo die Kohlen unter demselben dicht aufgeschichtet lagen und das Wasser nicht hindurch gelassen hatten, vom Feuer ergriffen worden. Unter den Kohlen selbst hatte sich der Brand weiter ausgebreitet, und die Flammen begannen lodernd aus dem untern Raum emporzuschlagen. Es blieb kein Zweifel übrig, daß die glühenden Kohlen auch das Holz des Schiffes nach unten angesteckt hatten. Nachdem die Flammen einmal nach oben einen Ausweg gefunden, griffen sie mit reißender Schnelligkeit um sich. Während das Schiff sogleich beigelegt wurde, um jeden Luftzug so viel als möglich zu vermeiden, wurden alle auf dem Deck entbehrliche Hände zum Löschen verwendet. Kapitän Torning leitete mit großer Umsicht und Entschlossenheit die Löschversuche. Eine Zeit lang blieb es zweifelhaft, ob sie von Erfolg sein würden, Wasser war das einzige Mittel, dessen man sich bedienen konnte, und es mußte sich zeigen, ob dieses, ohne ein Sinken des Schiffes herbeizuführen, das Feuer dämpfen würde. Die Pumpen ächzten unter dem kräftigen Druck der Matrosenfäuste, die Zimmerleute bohrten stellenweise durch die Schiffsplanken, um dem Wasser Zutritt zu gestatten; die Ladung konnte nicht geschont werden, war es nur möglich, das Schiff zu retten.

Endlich nach unsäglichen Anstrengungen gelang es. Die Flamme ward überwältigt und man konnte wieder daran denken, mittelst der Pumpen das Wasser aus dem Raum zu entfernen. Herr Will war wie vernichtet, denn die werthvollen Waaren, vom Seewasser durchnäßt, waren gänzlich verdorben. Er ließ seinen Unmuth an dem Kapitän aus, der indessen den unverdienten Vorwürfen mit Nachdruck zu begegnen wußte.

Das Unglück war nahe vor dem Eingange der Sundastraße geschehen. Das Schiff war durch die Zerstörung im Innern aus seinem Gleichgewichte gebracht. So gewandt und rasch es bis dahin gesegelt war, so schwerfällig rollte es jetzt durch die Wogen. Doch erreichte es ohne ferneren Unfall Batavia und ging auf der Rhede vor Anker.

Der erste Gang des Herrn Will war zu seinem Geschäftsfreunde. Hier fand er zu seiner Beruhigung die Angelegenheiten weniger schlimm, als er vermuthet hatte. Herr Robertson hatte bereits seinen Gläubigern angeboten, eine Abschlagszahlung auf ihre Forderungen sogleich machen zu wollen und dann in Terminen sie nach und nach ganz zu befriedigen, wobei er nur einen geringen Nachlaß von ihnen beanspruchte. Der Hamburger Kaufherr war mit diesem Anerbieten zufrieden und dachte jetzt nur daran, sich des Kapitäns Torning zu entledigen, dem er nun einmal um keinen Preis sein schönes Schiff wieder anvertrauen wollte. Durch seinen Geschäftsfreund ward ihm sogleich ein anderer Kapitän vorgeschlagen. Herr Will engagirte diesen, und Kapitän Torning ward verabschiedet.

Dies kam dem letzteren nicht ganz ungelegen. Denn er hatte eingesehen, wie mißlich es sei, den eigenen Rheder an Bord zu haben und durch dessen Willen beschränkt zu sein. Auch brauchte er nicht zu fürchten, kein neues Engagement wiederzufinden. Sein Ruf war genügend und darin täuschte er sich auch nicht. Auf Empfehlung des niederländischen Gouverneurs auf Java, der sich besonders für ihn verwendete, nachdem er von seiner persönlichen Frömmigkeit erfahren hatte, ward ihm der Befehl eines nach China bestimmten Barkschiffes übertragen, mit dem er nach kaum vierzehn Tagen unter Segel ging.

Die Ladung der Hansa wurde unterdessen unter ihrem Werthe verkauft und das Schiff einer gründlichen Ausbesserung unterzogen, welche erst nach Verlauf von sechs Wochen beendigt werden konnte. Dann lichtete es unter der Führung seines neuen Kapitäns die Anker, nachdem Herr Will, dem die Reparatur zu lange dauerte, bereits mit dem von Batavia fahrenden Dampfschiff die Rückreise angetreten hatte.

Er traf wohlbehalten in Hamburg ein, selbst wohlgelaunt, da seine Verluste nicht erheblich waren, und er seiner persönlichen Anwesenheit auf der Hansa und den während derselben gemachten Erfahrungen namentlich die, wie er meinte, glücklichere Wahl eines umsichtigen und energischen Führers seines Schiffes zuschrieb.

»Der Torning,« sagte er zu seinem Buchhalter, »war ein Finsterling und eine Memme. Beides schickt sich nicht für einen Kapitän. Er hielt Sonntags seine Andachten mit den Matrosen, und gab's einmal ein Bischen Sturm, gleich schlüpfte er in einen sicheren Hafen. Es ward viel Zeit bei der Ueberfahrt verloren und die Mannschaft verweichlicht.«

In diesem Augenblick brachte der Hausknecht seinem Herrn eine soeben im Bureau der Börsenhalle aus Liverpool angelangte telegraphische Depesche, welche wörtlich so lautete:

»Dampfboot ›Albert‹ vom Cap bringt die Nachricht, daß die ›Hansa‹, Hamburger Barkschiff, Kapitän Solman, von Batavia am 3. d. M. bei den Cap-Verdeschen Inseln mit Mann und Maus untergegangen ist.«

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