Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der letzte Royalist in Chile.

Spanien war im Kampfe gegen seine südamerikanischen Colonien, der mehrere zwanzig Jahre hindurch bis 1826 gedauert hatte, unterlegen. Auch in Chile hatte die Bevölkerung das republikanische Banner aufgepflanzt und mit wenigen Ausnahmen hatten sich alle wehrhaften Männer um dasselbe geschaart. Der Kampf um Unabhängigkeit und Selbständigkeit war von Erfolg begleitet gewesen, das fremde Joch abgeschüttelt worden. Nur vereinzelt noch fand die spanische Krone Anhang und Unterstützung.

In den Wäldern am östlichen Abhange der Cordilleren lebte Ranudez, ein Eingeborener des Landes. Seine Jugend brachte er im Walde hin, mit dem Beil beschäftigt Flöße zu zimmern, oder den Lasso schwingend im kühnen Jagdeifer. Ein sinnender Knabe, der die Einsamkeit des Waldes den Spielen mit seinen Altersgenossen vorzog, reifte er zum Manne heran, bei dem sich ein nicht minder ernster Charakter zeigte. Der Kampf der Chilenen wider die Spanier fiel in sein erstes Mannesalter. War es die Vorliebe für das Althergebrachte, war es eine auf Einsicht beruhende Ueberzeugung oder Eigensinn und Hang zum Besonderen – genug, Ranudez ließ sich von dem allgemeinen Freiheitsschwindel nicht fortreißen. Er blieb in seinen Bergen, als alle Anderen in den Krieg zogen, von den Schlägen seiner Axt hallte die Waldung wider, und als der Kampf beendigt, als die Sieger wieder heimkehrten, um sich nun der erträumten Segnungen einer unabhängigen Regierung zu erfreuen, war Ranudez verschwunden. Niemand wußte, wohin er sich begeben hatte. –

Auf einer in der Nähe von Villa gelegenen Hacienda, die einem wohlhabenden Chilenen gehörte, dessen Söhne im Kampfe gegen die Spanier mitgefochten hatten, war man gerade mit Feldarbeit beschäftigt. Auf einem freien Platze, in einiger Entfernung von den niedrigen, nur ein Stockwerk hohen Gebäuden, deren aus Lehm aufgeführten Mauern mit Kalk geweißt waren, hatte man eine kreisrunde Umzäunung aufgeführt. Innerhalb derselben lag das zum Ausdreschen bestimmte Getreide ausgebreitet. Alle Nachbarn von den nahegelegenen Gehöften, aber auch von solchen, die in größerer Entfernung lagen, hatten sich zu dieser Arbeit eingefunden. Vor dem einzigen Eingange des Zauns hielt eine Reihe Männer auf munteren Pferden, die kaum vor Ungeduld den Augenblick erwarten konnten, wo die sonderbare Arbeit beginnen sollte. Sie schäumten in die Zügel und scharrten mit ihren Hufen den Boden. Endlich ritten einige der Gauchos in den eingehegten Platz hinein, dann trieb man eine Heerde von etwa hundert Maulthieren herbei, welche gleichfalls in das Gehege hineingelassen wurden, und nun stürzte sich mit lautem Jubelgeschrei die gesammte Reiterschaar ihnen nach. Der Zaun ward geschlossen und die Gauchos begannen durch fortwährenden Zuruf die erschreckten Maulthiere in vollen Sprüngen umherzutreiben. Vor den Rossen fliehend lief die ganze Heerde im Kreise umher und unter dem Gestampf ihrer Hufe ward das Korn enthülset.

Diese Dreschmethode ist ein Fest für Alle. Sie gibt zu vielen Scherzen Veranlassung und gewährt auch Denen, die nur als Zuschauer zugegen sind, einen erheiternden, mitunter selbst komischen Anblick. Auf der Hacienda war daher Niemand zurückgeblieben, Alles war nach dem Dreschplatze geeilt, die Gebäude standen verwaist. Welch eine Bestürzung für die rückkehrenden Bewohner, als sie Alles ausgeraubt und ausgeplündert fanden! Nicht bloß war der größte Theil der Speisevorräthe verschwunden, sondern auch die Kleidungsstücke, die Waffen und das baare Geld des Besitzers war fort. Die Räuber hatten den günstigen Augenblick benützt, wo Niemand des Ueberfalles Acht hatte, und der verwegene Streich war ihnen trefflich gelungen. In weiter Ferne, am Fuße der Berge, wirbelte eine Staubwolke empor; sie verbarg die auf ihren flinken Rossen fortjagenden Räuber, die, mit reichlicher Beute beladen, ihre sichere Zuflucht in den Schluchten der Berge aufsuchten.

Solche Ueberfälle, bei denen es nicht selten zu blutigen Ereignissen kam, fingen an sich zu wiederholen. Stießen die Räuber auf Widerstand, so machten sie von ihren Waffen rücksichtslos Gebrauch. Aber darauf hielten sie strenge, daß die wenigen Anhänger der spanischen Krone, mochten sie es offen oder im Geheimen sein, verschont blieben. Ihr Anführer war Niemand anders als Ranudez. Aus Mißmuth über den Sieg der Republik hatte er seine Heimath verlassen und sich in die Berge begeben. Hier sammelte er eine Schaar, theils Mißvergnügter, theils bloßer Abenteurer um sich. Während er selbst mit dem Plane umging, die Herrschaft Spaniens wieder herzustellen, war es den Meisten seiner Genossen nur um den augenblicklichen Genuß, den das ungebundene Räuberleben gewährte, zu thun. Den kühnen Anschlägen ihres der Gegend und Verhältnisse kundigen Führers ordneten sie sich gerne unter, er führte sie stets zum Siege. Niemals fehlte es ihm an Waffen und Munition, die Spanier führten ihm beides auf geheimen Wegen zu; für Mundvorrath hatte er selbst Sorge zu tragen. Seine Raubzüge versahen ihn hinlänglich damit.

Bald war Ranudez der Schrecken der ganzen Gegend. Viele Haciendas wurden verwüstet, oft von den Räubern, nachdem sie geplündert worden waren, in Brand gesteckt. Ein großer Theil der Landbevölkerung flüchtete nach den Städten. Aber auch bis zu diesen verbreitete sich die allgemeine Bestürzung. Die kleineren Städte erhielten auch mitunter von den Freibeutern Besuch, die mit Gewalt deren Bewohner brandschatzten. In den größeren Städten führte das Zusammenströmen der vielen brod- und obdachlosen Landleute manche Uebelstände herbei. In der Verzweiflung griffen selbst Viele unter diesen fremdes Eigenthum an. Es kam zu blutigen Auftritten, die Gefängnisse wurden überfüllt und die Milizen, wie sie einmal waren, erwiesen sich unfähig, die oft argen Tumulte zu dämpfen.

Die Regierung sah sich genöthigt, außerordentliche Maßregeln zu treffen. Ein Corps Soldaten wurde gebildet, welches die Räuber aufsuchen und vernichten sollte. Auf den Kopf des Ranudez ward ein Preis gesetzt; wer ihn lebendig gefangen führte, sollte das Doppelte zur Belohnung haben. Nach einigen Wochen war eine Abtheilung Reiterei und Fußsoldaten ausgerüstet, welche den Marsch nach dem Gebirge antraten.

Hier in einem Engpaß, an der Quelle eines kleinen Stromes, beschützt durch Waldung und Felsen, hatte Ranudez sein offenes Lager. In einer Weitung des Thales war eine Reihe von Zelten aufgeschlagen, die hinlänglich Schutz gegen die Witterung gewährten. Dort hausten die gefürchteten Männer, nicht bloß Eingeborne, sondern auch Europäer, die das Mißgeschick, dem sie in dem fremden Lande erlegen waren, sich den Räubern anzuschließen genöthigt hatte. Eine Anzahl geraubter Weiber besorgte dem wüsten Haufen die Küche. Ranudez, von der Gefahr unterrichtet, die ihm drohte, hatte Kundschafter ausgesandt, den Marsch der Truppen zu verfolgen.

Er saß eben beim Mittagsmahle, als Einer der ausgesandten Gauchos auf dampfendem Rosse heransprengte und die Meldung überbrachte, daß der Engpaß besetzt sei und die chilenischen Truppen Anstalt zu machen schienen, hereinzudringen, zugleich die Felsen auf beiden Seiten zu besetzen.

Ruhig, mit leichtem Kopfnicken, vernahm der Anführer die Meldung. Dann beendete er sein Mahl, versammelte seine Gefährten, und gab ihnen Befehl das Lager abzubrechen und an einer einige Meilen entfernten Stelle im Gebirge wieder aufzuschlagen. Er selbst suchte einige Vierzig seiner verwegensten Reiter aus und gebot ihnen sich für die Nacht bereit zu halten, um einen Ueberfall auf die Truppen zu machen.

Während der Troß des Lagers mit den beladenen Maulthieren tiefer in's Gebirge zog, begab sich Ranudez mit seiner Reiterei vorsichtig nach dem Eingange des Engpasses. Hier wartete er die Nacht ab, dann wagte er einen Ausfall, der vollständig gelang. Die Truppen, welche darauf nicht vorbereitet waren, wurden theils niedergehauen, theils zerstreut. Ein kleiner Haufen, der sich zur Wehre setzte, ward gefangen, aber nach kurzer Zeit, nachdem man den Gefangenen die Waffen abgenommen hatte, wieder frei gelassen.

Aehnliche Scharmützel wiederholten sich öfter. Wohin die chilenischen Truppen sich wendeten und mit wie großer Vorsicht sie auch verfuhren, nirgends waren sie sicher. Ueberall hin folgten ihnen die Räuber auf dem Fuße. Wie Pilze wuchsen sie aus der Erde, selbst leichte Schanzen, die man aufwarf, wurden von ihnen genommen, die Geschütze vernagelt, die Kanoniere getödtet oder in die Flucht gejagt. Die Soldaten fingen nach und nach an zu desertiren, man sah sich genöthigt das Corps aufzulösen, und vorläufig hatte die Verfolgung der Räuber ein Ende.

Inzwischen trat der Winter ein, mit Anfang April. Der Himmel bedeckte sich mit trüben Wolken, die sich unaufhörlich bei Tage und bei Nacht in heftigen Regengüssen entluden. Aus den Bergen stürzten sich schäumende Gießbäche in die Thäler, überschwemmten die Niederungen und drohten selbst den menschlichen Wohnungen Gefahr, an denen sie vorüberbrausten. Die Wege wurden unfahrbar, die Gebirge unzugänglich, aller Verkehr war gehemmt. Inseln gleich im Ozean, ragten hie und da die Haciendas aus der Wasserwüste. Selbst die Schifffahrt und der Fischfang ruhten, man zehrte von seinen Vorräthen und erwärmte sich an den mit glühenden Kohlen angefüllten Becken in dichtverschlossenen Zimmern. Der Nordwind heulte durch die Wipfel der nur zum Theil entblätterten Bäume und an den Küsten donnerte die wilde Meeresbrandung.

In dieser rauhen Jahreszeit wäre, selbst wenn Truppen vorhanden gewesen, an eine Verfolgung der Räuber nicht zu denken gewesen. Auch diese verkrochen sich in ihren Felsenhöhlen, wo sie ihre Wintervorräthe aufgespeichert hatten. Indessen beschäftigte sich die Regierung ernstlich mit der Bildung eines neuen und stärkeren Truppencorps. Man entwarf die Conscriptionslisten, zog namentlich die von den Räubern am meisten an ihrer Habe beschädigten Landleute herbei, die ohnedieß schon genug ergrimmt waren gegen die Wegelagerer, so daß man mit Beginn der besseren Jahreszeit über ein Heer von zweitausend Mann zu verfügen hatte.

Der Frühling kam, nicht zwar mit jenen lauen, warmen Winden, die seine Ankunft in der gemäßigten Zone zu verkündigen pflegen, sondern im Geleite scharfer Ostwinde, welche sich Ende Juli einstellten. Sie verjagten am Himmel allmälig die grauen Regenwolken und reinigten die Luft von Nebeln und Dünsten. Nach wenigen Tagen wölbte sich ein heiterer, tiefblauer Himmel über die aus kurzem Winterschlummer wieder erwachende Landschaft. Nur selten glitt ein weißes Wölkchen über das Firmament, an dem mit jedem Tage die Sonne höher hinaufstieg. Schon wurden die Tage heiß, aber noch blieben die Nächte kalt, besonders waren es die frühen Morgenstunden, und auf den hohen Berggipfeln beschienen die ersten Strahlen der Sonne noch häufig eine bereifte Waldung. Das Meer an den Küsten des Landes wallte friedlich auf und ab, nicht mehr gepeitscht von wilden Stürmen, zahllose Schaaren von Möven und anderen Seevögeln wiegten sich über den Wellen und tauchten unter, um nach Weichthieren und Fischen zu schnappen. Die Fischer stießen im leichten Kahn vom Lande und warfen ihre Netze aus. Die Schiffer richteten ihre Schiffe, um nach den Küsten entlegener Länder zu fahren.

Auf den Bergen sproßte frisches Laub neben dem alten aus den Zweigen der Bäume, und wo der Abhang ohne Waldung war, da begann die Grasdecke zu grünen, und zwischen den feinen Halmen schossen Zwiebelgewächse hervor von den verschiedenartigsten Gestalten. Die Amaryllis trieb ihren fast mannshohen Schaft, neben kleineren den Glockenblumen ähnlichen Gewächsen; an der Spitze des Schaftes schwellte die dunkelrothe Knospe, bereit, ihren lilienartigen Kelch zu erschließen. Hoch über den Bergesgipfeln wiegte sich der Condor im lichten Sonnenduft; dort aber, wohin nie ein menschlicher Fuß gelangt, hatte er seinen Horst und spähte beutesüchtig umher. Die Rebe entfaltete ihre breiten Blätter, unter deren schattigem Schirm sich die kleineren Vögel verbargen. Die Gewässer begannen zu verdunsten, nach und nach wurden Felder und Fluren trocken, soweit das Auge reichte, war alles mit frischem Grün, mit bunten Blüthen bedeckt. –

In der Morgenfrühe eines dieser Frühlingstage, als kaum das Morgenroth hinter den Bergen hervorbrach, sprengte ein Trupp Reisiger, die plötzlich aus einem dunklen Myrthenwalde hervortraten, am Fuß der Berge hin. Das kaum ausgetrocknete Bette eines Baches diente ihnen als Pfad, auf dem sie, zum Theil durch ein langschaftiges Röhricht verdeckt, hastig hinritten. Es waren kräftige, von der Sonne gebräunte Gestalten, auf dem Kopf einen breitrandigen Hut, um Brust und Nacken wallte der mit bunten Schleifen gezierte wollene Puncho. Die faltigen Beinkleider waren unter dem Knie befestigt, bis wohin der bräunliche Lederstiefel reichte, an dessen Absatz ein langer Sporn mit ausnehmend großem Rade klirrte. Mit diesem regierten sie die hochgebauten Rosse, denen der Zügel schlaff auf dem Halse hing. Die Thiere waren hoch aufgeschirrt, denn über dem hölzernen Sattel lagen zehn bis zwölf wollene Decken über einander, ein Ledergurt mit derben Eisenringen umgab den Leib der Pferde. Am Sattelknopfe war der schmale Riemen, der Lasso, befestigt, dessen äußerste Schlinge neben dem hölzernen Steigbügel, der wie das Vordertheil eines menschlichen Fußes ausgehöhlt war, herabhing.

Die Gauchos – denn solche waren es – waren bald um einen Vorsprung der Waldung herumgekommen. Hier breitete sich vor ihnen eine Ebene aus, auf welcher, von Kornfeldern und Obstanpflanzungen umgeben, eine Hacienda lag. Sie verließen das Flußbette und schlugen einen Weg ein, der zwischen den Aprikosen- und Pfirsichbäumen, welche bereits ihre Blüthenpracht zu entfalten begannen, in vielfach verschlungenen Windungen hinführte und nur von dem verfolgt werden konnte, der hier bekannt war. Die Männer waren, weil der Pfad schmal war, Einer hinter dem Andern herzureiten genöthigt. Derjenige, welcher den Zug eröffnete, war vor den Uebrigen durch imponirenden Wuchs und gebietende Haltung ausgezeichnet. Behende tummelte er seinen buntscheckigen Renner, stieß ihm die langen Sporen in die Seite und flog in raschem Trabe den Begleitern voran. Bald hielt man vor dem Eingang der Hacienda. Die Reiter stiegen von den Pferden, während man sogleich von innen die Pforte öffnete, denn es schien als hätte man sie erwartet.

Nach wenigen Minuten finden wir die Fremden vom Besitzer der Hacienda in dessen luftigem Frühstückszimmer versammelt.

»Wie ich Euch sage, Ranudez,« sprach der Eigenthümer des Gehöftes, Don Molo, »diesen Abend erwarte ich den Vortrab der chilenischen Truppen und in der Nacht das gesammte Heer.«

»Und was wollen sie denn bei Euch?« fragte der Angeredete.

»Nun,« lächelte Molo, »sich ausruhen und dann von hier aus Euch aufheben.«

»Der Plan ist so übel nicht,« erwiderte Ranudez, »und könnte vortrefflich gelingen, wenn sie statt diesen Abend schon diesen Morgen sich hier eingefunden hätten.«

»Und in mir einen Helfershelfer fänden,« setzte Don Malo hinzu. »Aber nein, sie irren sich, wenn sie meinen, ich sei ein Anhänger der Republik. – Stoßen wir an, Ranudez!« rief er, sein Glas erhebend, »es leben die Spanier!«

Die Gläser der Gesellschaft klangen und wurden bis zum letzten Tropfen geleert. Dann sagte Ranudez:

»Natürlich erbietet Ihr Euch zum Führer, das kann nicht fehlen!« Und während der Wirth bejahend mit dem Kopf nickte, fuhr Ranudez fort: »So bringt sie auf Umwegen in mein Lager am dritten Tage. Wenn von heute an nach drei Tagen das Morgenroth die Schneegipfel der Cordilleren röthet, so mögen sie vor meinem Lager aufmarschirt sein. Aber hört Ihr, Molo, nicht eher!«

»Und wollt Ihr bis dahin nicht mit ihnen Bekanntschaft machen?« fragte Molo den Gastfreund.

»Das überlaßt mir!« erwiderte dieser. »Am dritten Tage bin ich bereit sie zu empfangen.«

Bei diesen Worten stand Ranudez auf, rief nach seinem Pferde, und ohne eine weitere Antwort des Don Molo abzuwarten, drückte er diesem zum Abschiede die Hand, warf sich in den Sattel und sprengte denselben Weg zurück, den er gekommen war. Seine Begleiter folgten ihm.

Wieder barg die Myrthenwaldung die verwegenen Gauchos, die nicht eher den Pferden Athem zu schöpfen gegönnt hatten, als bis sie im Schatten der Bäume angelangt waren. Hier hielt Ranudez zuerst seinen Schecken an, wendete sich zu seinen Gefährten und sagte:

»Ihr habt meinen Plan vernommen. Ich werde ihn ausführen. Indessen bleibt ihr hier zur Stelle und beobachtet genau den Zug und die Stärke des Feindes. Morgen mit Einbruch der Nacht erwarte ich euch im Lager, wohin ich jetzt allein zurückkehre, um Alles zur Vertheidigung in Stand zu setzen.«

Leicht grüßend warf er sein Pferd herum und sprengte weiter in's Dickicht.

Es war ihm nicht beschieden das Lager zu erreichen. Ermüdet vom scharfen Ritt, – denn schon um Mitternacht am Tage vorher hatte er das Lager verlassen – legte er sich um Mittag im Waldesschatten nieder, ein Paar Stunden zu ruhen. Er löste die wollenen Decken vom Sattel, die ihm als Kopfkissen dienten, streckte sich behaglich aus, nachdem er seinen Gaul am Lasso befestigt hatte, und war bald eingeschlafen. So fand ihn eine Streifpatrouille der chilenischen Truppen, welche die Waldung durchsuchte, während das Heer in der Thalebene fortmarschirte. Die zur Beobachtung der Truppen zurückgelassenen Gefährten des Ranudez vernahmen aus der Ferne den Schuß, der ihrem Anführer das Leben kostete, ohne zu ahnen, was er bedeute. Die Soldaten hatten in dem getödteten Gaucho zwar nicht den Anführer der Bande erkannt, dennoch nicht gewagt, ihn lebend anzugreifen. Eine aus der Ferne wohlgezielte Kugel verfehlte ihres Zieles nicht, und mit den Spolien seiner Waffen langte die Patrouille Abends auf der Hacienda Molo's an, zu gleicher Zeit, als das Hauptheer dort eintraf.

Am folgenden Tage kehrten des Ranudez Gefährten in's Lager zurück. Sie hatten einen andern Weg, als ihr Führer eingeschlagen, daher seine Leiche nicht gefunden, und waren auf's Höchste erstaunt, ihn nicht im Lager anzutreffen. Man gab sich allerlei Muthmaßungen über sein Ausbleiben hin. Obwohl es unglaublich schien, daß Ranudez sich verirrt haben sollte, da Niemand besser als er Weg und Steg in den Bergen und Wäldern kannte, so suchte man sich doch damit zu trösten. Nach verschiedenen Seiten zerstreuten sich einzelne Reitertrupps ihn aufzusuchen, während ein Verwandter von ihm, Josefo, den Oberbefehl über die Bande übernahm.

Don Molo, der Besitzer der Hacienda, den der Anführer der chilenischen Truppen als Freund ihrer Sache betrachtete, führte die Soldaten, wie verabredet war, zum Lager, wo sie am dritten Tage Morgens eintrafen. Indessen waren die Reiter, welche Ranudez zu suchen ausgesandt waren, noch nicht wiedergekehrt, und neben der tiefen Trauer, die unter den Banditen über den Verlust ihres Führers herrschte, hatte sich Aller Furcht und Zaghaftigkeit bemächtigt. Man mißtraute der Geschicklichkeit des Josefo, sie zu führen. Zwar hatte man die aufgeworfenen Schanzen armirt und mit einigen Geschützen besetzt, und war so auf den Kampf vorbereitet, aber die Seele des Ganzen fehlte, Ranudez, der unbesiegte von Allen gleich sehr geachtete Führer.

Von alle dem hatte Don Molo keine Ahnung. Während er schmunzelnd neben dem Befehlshaber der chilenischen Soldaten hinritt und die treffliche Haltung der Truppen lobte, freute er sich im Herzen ihrer baldigen Niederlage, auf die er mit Gewißheit zählte. Indeß es war anders beschlossen.

Gleich der erste Sturm, den die chilenische Infanterie auf die Schanzen unternahm, war von Erfolg, die blau-weiß-rothe Fahne der Republik, mit dem weißen Stern im blauen Felde, ward auf den Wällen aufgepflanzt. Die Kugeln der Artillerie schossen Bresche und durch den Trümmereingang stürmten die Dragoner in's Lager, das von allen Seiten umzingelt wurde. Es entstand eine unbeschreibliche Verwirrung, denn an ein Entrinnen war nicht zu denken. Ueberall starrten den Flüchtigen die gefällten Bajonette der Chilener entgegen, die in dichtgeschlossener Kreislinie heranrückten. Was nicht unter den Waffen der Truppen fiel, ward gefangen genommen. Nach Verlauf von zwei Stunden war die Blutarbeit vollendet.

Don Molo hatte, ohne selbst am Gefechte Theil zu nehmen, demselben aus der Ferne zugesehen. Als er bemerkte, daß der erste Sturm gelang, glaubte er, es sei dieß eine Kriegslist des Ranudez, der den ersten Angriff der Feinde nicht abwehrte, um sie desto sicherer in der Nähe bekämpfen zu können. Bald aber überzeugte er sich vom Gegentheil. Er vernahm den Siegesjubel der Truppen, und die aus dem Gefechte zurückgetragenen Verwundeten bestätigten die vollständige Eroberung des Lagers.

Erbittert, er wußte nicht recht ob mehr auf Ranudez oder auf die übermüthigen Sieger, wandte er sein Pferd und sprengte in's Dickicht, um auf kürzestem Wege nach seiner Hacienda zurückzukehren. Unbekümmert um Alles, was um ihn her vorging, ließ er seinem Pferde die Zügel, es nur von Zeit zu Zeit mit kräftigem Sporendruck zu schnellerem Laufe antreibend. Nur ein Gedanke erfüllte ihn – die Rache. Darüber nachsinnend, hatte er nicht bemerkt, wie plötzlich die Waldung lichter wurde. Erst als das Pferd mit jähem Sprunge zur Seite scheute und am ganzen Körper zitterte, schlug er die Augen auf und blickte umher. Bald gewahrte er den Gegenstand, welcher dem Thiere Furcht eingeflößt hatte. Es war ein Leichnam, der im Schatten der Bäume dalag. Rasch sprang er aus dem Sattel und untersuchte die Leiche. Aber wer beschreibt sein Entsetzen, als er, ungeachtet der Körper schon theilweise von Geiern zerfleischt war, dennoch seinen getödteten Freund, Ranudez, erkannte.

Das also war die Ursache, weßhalb das Lager in die Hände der Chilenen fiel. Er, der allein vermocht hätte, der Uebermacht Stand zu halten, er hatte bereits sein Leben ausgehaucht. Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen und was er anfangs schmerzlich bedauert hatte – die Vernichtung der Bande – jetzt schien es ihm willkommen, denn die Ehre seines Freundes war gerettet. Ihm ziemte der blutige Leichentroß jenes Schlachtfeldes, wo Hunderte dem geopfert wurden, der hier durch Meuchlerhand umgekommen war.

Er kniete neben der Leiche nieder und wiederholte den Schwur der Rache. Dann zog er sein breites Jagdmesser aus der Scheide und grub dem Freunde ein Grab, in welches er ihn sorgsam bettete. Ueber ihn breitete er seinen Puncho und bedeckte diesen mit frischem Rasen. Mochte es auch den Thieren des Waldes gelingen, den Leichnam wieder auszuscharren, Don Molo hatte seine Pflicht gethan und ihm die letzte Ehre erwiesen.

Darauf stieg er wieder zu Pferd und hatte nach Verlauf von zwei Stunden seine Hacienda erreicht. Hier angekommen packte er in aller Stille seine Kostbarkeiten und sein baares Geld zusammen und erwartete dann ruhig die vom Schlachtfelde heimkehrenden Truppen. Der nächste Tag verging, ohne daß sie erschienen. Am darauffolgenden aber langte der Stab und eine Munitionskolonne nebst Bedeckungsmannschaft an. Mit verstellter Freundlichkeit empfing Don Molo die auf ihren Sieg stolzen Officiere. Was Küche und Keller vermochten, sie festlich zu bewirthen, ward herbeigeschafft. Völlig sorglos überließen sich die Getäuschten den Freuden der Tafel, und erst spät begaben sie sich zur Ruhe. Vor jedem Ueberfall sich sicher wähnend, hatten sie nur zwei Posten ausgestellt, die aber gleichfalls der Freigebigkeit ihres gastfreien Wirthes erlagen, zumal nach den im heißen Kampf ausgestandenen Strapazen.

Um Mitternacht sandte Don Molo einen vertrauten Diener mit zwei Pferden voraus und befahl ihm, in einem nahen Gebüsch seiner zu warten. Dann schlich er sich in die Nähe des Munitionswagens, welcher auf seine Veranlassung, angeblich um gegen Regen geschützt zu sein, unter einen Schuppen gebracht war. Die neben demselben ausgestellte Wache lag schnarchend am Boden. Ein Pistolenschuß entzündete das Pulver, es erfolgte eine furchtbare Explosion und in wenig Minuten standen sämmtliche Gebäude in Flammen. Noch ehe die Schläfer erwachten, hatte Don Molo sich aufgemacht und war dem vorausgeschickten Diener nachgeeilt. Als er diesen gefunden, bestieg er das für ihn bereit gehaltene Pferd und Beide schlugen den Weg nach Valparaiso ein. Hier benutzten sie ein Schiff, das sich zur Abfahrt nach Europa anschickte. Don Molo war der Erste, der seinem Vaterlande Spanien die Trauerbotschaft brachte, daß es für immer mit der spanischen Herrschaft in Chile zu Ende sei.


Zehn Jahre später ritten zwei Männer auf der Straße, die nördlich von Valparaiso von Quillota nach Villa führt. Sie hatten sich zufällig zusammengefunden, da sie desselben Weges hinritten. Der Eine war ein junger Mann von etwa 27 Jahren, in der leichten und eleganten Tracht des wohlhabenden Besitzers einer Hacienda. Ein scharlachrother Puncho aus feiner Wolle, mit blauen Schleifen geziert, wallte um Brust und Schultern, das blonde Haupt deckte ein Strohhut mit breitem Rande. Am silbergestickten Gürtel hing ein breites Jagdmesser mit silbernem Griffe. Hellbraune Lederstiefel umschlossen Füße und Beine, und unterhalb des Kniees waren die blau- und weißgestreiften faltigen Beinkleider von einem Riemen mit silberner Schalle zusammengehalten. Auch sein Pferd, von lichtbrauner Farbe, war reichlich geschirrt. Zaum und Sattelzeug, aus feinstem Leder gearbeitet, waren reich mit silbernen Schnallen und Buckeln besetzt. Die Füße des Reiters ruhten bequem in tief herabhängenden silbernen Bügeln. Der Andere, ein bejahrter Mann mit weißem, wallenden Barte, trug zwar auch eine leichte, der warmen Jahreszeit angemessene Kleidung, aber von europäischem Zuschnitt und bereits ziemlich abgetragen. Unter dem grünen Filzhut blickten nur wenige graue Locken hervor. Ein Wehrgehenk von schwarzem Leder war um seine Hüften geschnallt, darin hing ein einfacher Cavalleriesäbel in stählerner Scheide. Das Pferd, welches ihn trug, ein schlanker Schimmel, war schmucklos aufgezäumt, nur der Sattel war mit einer grünen, in den Ecken mit Gold gestickten Schabracke bedeckt. Vorn zu beiden Seiten des Sattelknopfes steckten Pistolen in Halftern, hinten an den Sattel war ein zusammengerollter Mantelsack geschnallt.

Bereits waren beide Männer in ein Gespräch vertieft, und der Jüngere von ihnen hatte den Fremden eingeladen, auf seiner Hacienda zu übernachten. Das Anerbieten war mit Dank angenommen worden. Bei der Stadt Villa angekommen, schlugen sie einen Seitenweg ein, welcher um die Stadt herumführte. Dann lenkten sie wieder nach der Hauptstraße, auf der sie noch eine halbe Stunde weit forttrabten. Bei einem Maisfelde bogen sie darauf zur rechten Seite ab, und als sie um die Ecke einer Waldung herum kamen, welche sich links am Wege dehnte, zeigten sich schon in der Ferne am Fuße der die Aussicht begrenzenden Berge die Gebäude auf dem Gehöfte, welches dem jüngeren Manne gehörte.

Nachdem sie noch eine Weile fortgeritten waren, hielt plötzlich der Greis sein Pferd an. Zur Seite lag ein wüster Trümmerhaufen – es war der Schutt einer durch Feuer zerstörten Hacienda.

»Euch befremdet,« sagte der junge Chilene, indem er sein Pferd gleichfalls anhielt, »hier mitten im angebautem Lande diese Ruinen anzutreffen!«

»Allerdings!« entgegnete der Fremde.

»Es hat damit eine eigene Bewandtniß,« fuhr der Andere fort, nachdem Beide wieder ihre Pferde in Schritt gesetzt hatten. »Auf dieser Stätte stand einst eine Hacienda. Aber sie gehörte einem Anhänger der spanischen Krone, einem Freunde des Ranudez. Und als das Heer der Republik der Bande dieses Wegelagerers den Garaus machte, ging auch diese Hacienda in Flammen auf. Ich diente damals als Freiwilliger unter den Milizen. Zwei Tage, nachdem wir das Lager der Banditen zerstört hatten, kehrten der Stab und eine Munitionskolonne hieher zurück, um auf der Hacienda zu übernachten. Man hielt den Besitzer für einen Freund des Freistaates, aber leider täuschte man sich, Don Molo haßte die Republikaner. Um Mitternacht warf er selbst die Brandfackel unter die Pulverkarren, es erfolgte eine furchtbare Explosion, in wenigen Minuten standen alle Gebäude in Flammen. Der General der Milizen und mehrere Officire, die noch am Abend trefflich und in Ueberfluß bewirthet worden waren, fanden ihren Tod unter den einstürzenden Gebäuden. Ich und einige wenige Gefährten kamen mit dem Leben davon. In derselben Nacht war Don Molo verschwunden, man hat nie wieder von ihm gehört. Das war seine Rache für den Tod seines Gesinnungsgenossen, der von einer Streifpatrouille, ohne daß diese ihn kannte, erschossen worden war. Die Regierung der Republik hat den Platz, wo die Hacienda stand, verfehmt. Der Schutthaufen soll unangerührt bleiben zum Gedächtniß an die Frevelthat des Royalisten.«

Aufmerksam, aber sinnend vor sich niederschauend, hatte der Fremde der Erzählung gelauscht, doch erwiderte er nichts. Inzwischen war das Gehöfte des jungen Mannes erreicht. Die Reiter stiegen von den Pferden und setzten sich zur Abendmahlzeit nieder, die schon bereitet, ihrer wartete. Der Fremde blieb einsilbig und nachdenkend, er schien jeder heiteren Unterhaltung abgeneigt. Sobald er es, ohne den Anstand zu verletzen, thun konnte, entfernte er sich, um nach dem anstrengenden Ritte zu ruhen.

Am andern Morgen, nachdem er mit seinem Wirthe gefrühstückt hatte, dankte er für die ihm bewiesene Gastfreundschaft und verabschiedete sich.

»Und darf ich nicht erfahren,« sagte der junge Chilene, als er dem fremden Manne, der schon im Sattel saß, noch einmal die Hand reichte, »wer unter meinem Dache geruht hat?«

»Ihr sollt es wissen,« entgegnete dieser. »Möge es euch nicht gereuen! Ranudez war mein Freund, – ich bin Don Molo!«

Er drückte seinem Gaul die Sporen in die Seiten und verschwand im Dickicht der Waldung.

.


 << zurück weiter >>