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Hinter den Dünen.

Ein Kranz von fast regelmäßig neben einander gereiheten Hügeln! Nur an einer Stelle treten die kegelförmigen Spitzen von zwei derselben weiter zurück, und zwischen ihrem Fuß hindurch windet sich ein grünlicher Streifen, hell, durchsichtig, glänzend; er dehnt sich in die Breite, und wie er den von den Hügeln eingeschlossenen Raum im Grunde einnimmt, wird er zu einer glatten Fläche. Es ist das Meer, das sich durch den Bergpaß drängt, hier füllt es den Dünenkessel, die Dünenschlucht mit seiner Salzfluth. Wie reizend liegt es da, funkelnd im Sonnenscheine, gleich einem riesenhaften Smaragd, den rings ein silberner Ring umfängt. Denn am äußersten Rande dieses Meerbeckens, eines Tropfens nur vom endlosen Ozean, schmiegt sich eine breite nur wenig ansteigende Strandfläche um die glänzende Fluth. Der weiße, mit unzähligen Steinchen und Muscheln bedeckte Sand, in welchen die noch jüngst darüber hinströmenden Wogen ihre Schlangenwindungen eingegraben haben, wirft die Sonnenstrahlen blendend zurück. Aber, wie um den blendenden Glanz zu mildern, hat sich hie und da in schmalen Bändern der dunkle Seetang gelagert, ein untrügliches Maalzeichen, daß so weit zur Zeit der Fluth die Wellen am Strande emporsteigen. Jetzt wallen sie leise im tiefen Becken der Schlucht, kaum bemerkbar sind ihre Bewegungen. Gleich hütenden Wächtern stehen die gemach abfallenden Dünenberge rings umher. Zwar strecken sie nicht das kahle Haupt bis zu den Wolken, dennoch in der Ebene der Insel gleichen sie mächtigen Gebirgen, von deren Zinnen der Blick weithin die Landschaft und den Ozean überschaut. Aber kein betretener Pfad führt zu ihrem Scheitel, nicht aus Granit oder anderm Gestein, nur aus lockerem Sande sind sie erbaut, der nächste Augenblick schon verwischt den Fußtritt des Wanderers, der sie erklimmt, der feinkörnige Staub rinnt sogleich in die eingedrückte Vertiefung und füllt sie wieder.

So einsam ist es in der Dünenschlucht, so einsam wie am äußersten Winkel der Erde. Keine Spur von frischer Vegetation; denn der dürre Halm des Sandhafers, der aus dem Dünensande hervorsproßt, gleich den verdorrten Wurzelfasern längst ausgerodeter größerer Gewächse; man sieht es dem scheinbar verkümmerten, ausgemergelten Kraute nicht an, daß es einer selbständigen, in steter Jugendfrische fortwachsenden Pflanze angehöre. Und was selbst die Natur der eisigen Fläche des Polarlandes nicht versagt hat – das Moos – auf den Dünen findet es sich nicht. Heiß brütend liegt die Mittagsgluth auf den Bergesgipfeln, vor wenig Stunden noch warf die an ihrem Fuße brandende Fluthwelle ihren glänzenden Schaum hinüber und feuchtete den weißen Sand. Jetzt sendet die fast senkrecht stehende Julisonne ihre Strahlen herab, bis in die Spalten zwischen den Bergkegeln hinein; alle Feuchtigkeit ist versiegt, dürre, ausgetrocknet ist der Sand, gleich dem Sand der Wüste. Nirgends regt sich in der Oede ein Thier. Mag auch das trockene Erdreich vom Myriaden mikroskopischer Thierchen wimmeln, – eins der größeren irgend einer Gattung, und wäre es auch nur ein Käfer oder ein Wurm, sucht das Auge vergebens. Das Kaninchen weilt im kühlen Erdbau, mehrere Fuß tief unter dem Sande, nur Nachts wagt es sich aus seinem Schlupfwinkel; den Dünenhasen hat die Mittagsgluth in den Gemüsegarten des Insulaners gescheucht, dort ruht er im Schatten der breitblättrigen Kohlpflanze; und das zahlreiche Geschlecht der Vögel, welches sonst diese Stätte in dichten Schwärmen bevölkert, hat sich im Sande gebettet, in den nur wenig ausgehöhlten Nestern und schlummert während der Mittagshitze.

Und das Meer, das ewig ruhelose – hier wallt es so träge und schwerfällig, hier verstummt seine geheimnißvolle Sprache. Hinter den Bergen zwar branden noch lärmend seine Wogen, dort wallen sie brausend auf und ab, den Fuß der Düne benagend, aber hier im tiefen Kessel der Schlucht ruht die See, des Lärmens und Bewegens satt, gleich als wäre auch sie ermattet in der Sonnengluth. Durchsichtig ist sie wie das Wasser eines Landsees, das Auge schaut bis auf den Grund. Dieser ist mit verschiedenfarbigen Steinen gepflastert, ein buntes Mosaikgemälde, – darüber schwimmen doppelschalige Muscheln. Näher der Oberfläche rudern vielarmige Polypen, wälzen sich gallertartige Quallen zwischen den feinfaserigen Stämmen und Aesten des Seetangs, die rankenartig in vielfach verschlungenen Windungen aus dem Meeresboden hervortreiben. In der Mitte des Seebeckens ruht der Sonne Bild, so blendend, so glänzend, daß der Blick das Anschauen nicht erträgt; täuschend, wie nach oben, so nach unten gewölbt, spiegelt sich der tiefblaue Himmel in den Fluthen. Die fast erstickende, von keinem Windhauch erfrischte Hitze, welche den Dünenkessel erfüllt, gleicht der schwülen Gluth der Tropenzone, am Gestade brennt der Sand unter den Füßen wie in Libyens Wüsten.

Durch die schmale Einfahrt, wo das Meer zwischen den Dünen hindurchströmt, schwamm um diese Zeit ein offenes Boot in die Schlucht langsam herein. Der Segelbaum, an dem das roth angestrichene Segel, mit einem Stricke umschlungen, fest gebunden lag, war der Länge nach darin niedergelegt. Der hintere Bord ruhte tief im Wasser, denn dort lagen Säcke und Kisten, soviel das kleine Fahrzeug tragen konnte, aufgehäuft. Der Vorderbug ragte höher aus der Fluth. Hier saß auf der einzigen Ruderbank ein Mann, das Haupt vornübergebeugt und auf die Knie gestützt, wie schlummernd. Er hatte die Ruder neben sich liegen und überließ den Nachen der Strömung, welche ihn durch den engen Kanal in die Schlucht führte. So trieb das Fahrzeug eine Zeit lang fort. Dann, als der Zug der Strömung nachließ und es wie festgebannt mitten auf der unbewegten Wasserfläche ruhte, erwachte der Schiffer aus seinen Träumen. Er stand auf und zog die zottige Friesjacke aus, lüftete den ledernen Südwester und strich das Haar von der Stirn. Es war ein schönes, männliches Antlitz, von einem blonden Bart umschattet, sonnverbrannt und um die Mundwinkel tief gefurcht, mit zwei blauen, glänzenden Augen. Nachdem der Mann die Jacke ausgezogen, streckte er sich der Länge nach im Boote aus und überließ sich nun vollends dem Schlafe.

Mehrere Stunden vergingen. Die Sonne neigte sich den Gipfeln der Dünen zu, die Gluth wich einer angenehmen frischen Kühle, der Himmel bezog sich mehr und mehr mit Wolken. Es war ein Gewitter im Anzuge, was sich hier nicht wie am Festlande durch zunehmende Schwüle, sondern durch Abnahme derselben ankündigt. Schon flogen die ersten Windstöße durch die tiefen Einschnitte zwischen den Dünenbergen hindurch und wühlten die schlummernde See im tiefen Kessel auf. Ein feuchter Nebel verschleierte allmählig ganz das Angesicht der Sonne, er schwamm in den höheren Luftschichten und senkte sich bis zu den Gipfeln der Sanddünen. Die Strömung im Seebecken kehrte um, die eintretende Ebbe zog magnetisch die Fluth in die offene See, das Boot trieb mit jeder Minute der Durchfahrt näher.

Der Schiffer erwachte und erhob sich. Wie verändert fand er die Scene. Unter seinen Füßen schwankte das Boot, welches die unruhigen Wellen hin und her warfen. Kaum konnte er vom Bord desselben die kegelförmigen Spitzen der Dünen wahrnehmen. Und die Einsamkeit der Dünenschlucht war einem geräuschvollen Lärmen gewichen. Nicht nur, daß der Wind sausend zwischen den Bergen herabfuhr und die unruhigen Wellen brausend an einander schlugen, auch ein zahlloser Vogelschwarm war in Bewegung gekommen. Hoch oben wiegte sich krächzend der langhalsige Reiher, und über die Wogenhäupter hin strichen eiligen Fluges die Möven, ihre säbelförmigen Schwingen in die Wellen tauchend. Widerlich einförmig rief der Kiebitz, die Kreuz und Quere fliegend, seinen eigenen Namen, Schaaren von wilden Enten erhoben sich aus der Fluth mit lautem Schnattern und ließen sich nach kurzem Fluge wieder auf den Wellen nieder. Weiter wich das Meer vom Strande zurück, der sandige Ring, der es einfaßte, ward immer breiter, und hier wimmelte es von großen und kleinen Strandläufern, von Austernfischern und plumpen Tauchern, die alle mit vielstimmigem Geschnatter und Gekrächze nach todten Fischen und Muscheln suchten.

Der Schiffer setzte den Segelbaum seines Bootes ein, löste die Refftaue und entfaltete das rothbraune Linnen. Kräftig griff der Wind in die dargebotene Fläche, drückte das Boot auf die eine Seite, so daß hier der Rand kaum eine Hand hoch über dem Wasser hervorragte, und trieb es zwischen den Dünen durch in die offene See.

Ganz anders war hier der Gang der Gewässer. In langen, schmalen, scharfkantig ansteigenden Wogen rollte dumpf brausend die See mit heftiger Strömung. Zwar wehte der Wind, der sich allmählig verstärkte, wider den Strom, aber nicht heftig genug, um ihn aufzuhalten. Die Wucht der ebbenden See warf sich kühn dem unsichtbaren Hauche entgegen, der nicht mehr über sie vermochte, als den Wogenhäuptern die weißen Schaumkronen abzureißen und die tausend und abertausend Bläschen und Tröpfchen weit umher zu streuen. Sie selbst aber rollten ihm den gewaltigen Leib unaufhaltsam entgegen und drängten ihn aus der Tiefe, wohin er stürzte, in die Höhe, unablässig dem mächtigen Zuge der Ebbe folgend.

Da der Wind allein der Wogen nicht Herr werden konnte, rief er das Gewitter zu Hilfe. Mit reißender Schnelligkeit führte er einen mächtigen Schwall der finstersten Wolken auf den Kampfplatz. Von ihrem hohen Himmelssitze riß er sie hinunter bis nahe über die Meeresfläche, dann spaltete er mit kräftigem Hauch ihren dunklen Schooß, dem nun blendende Blitze entfuhren, die zischend ins Meer schlugen. Dumpf rollte der Donner hinterher, und mit vermehrtem Luftdruck jagten die tief herabhängenden Wolken den Wellen entgegen, die, je ernster der Kampf wurde, um so höher ihre Häupter emporreckten und dem unsichtbaren Feinde ihr schäumendes Gischt ins Angesicht schleuderten. Die Schlacht der Elemente war um so wilder, als der natürliche Ebbstrom des Meeres dem Zuge des Windes gerade entgegengesetzt war, das Wellen- und Sturmesgetümmel erfüllte die Luft mit Grausen erregenden Tönen.

Auf diesem empörten Meere schwamm das Boot mit dichtgerefftem Segel. Der Sturm warf es den Wogen entgegen, diese schleuderten es dem Sturme zu – dennoch war er der stärkere. Er drängte das kleine Fahrzeug von Berg zu Berg, von Thal zu Thal, und wenn einmal eine Sturzsee, die sich darüber ergoß, es in den Schooß der Fluthen zu begraben versuchte, der Sturm riß es wieder hervor und trieb es unablässig vorwärts. Zwar krachte das Steuer, welches der Schiffer mit beiden Fäusten gepackt hielt, zwar ächzten die Planken unter dem ungeheuren Druck der zornigen Wellen – aber der es führte, das schwanke Fahrzeug, mit nervigem Arm, der übersah kundigen Auges jede Gefahr; hier ließ er es den Wellenhügel hinauf-, dort in ein tiefes Wogenthal hinuntergleiten. Im Bunde mit dem stärkeren Sturme bezwang er das wilde Toben des schwächeren Meeres.

Die Folge dieses, mit eintretender Ebbe erwachten Unwetters war, daß die Ebbe keine volle sechs Stunden, wie gewöhnlich, währte, sondern nach Verlauf von kaum vier Stunden kündigte bereits ein fernes dumpfes Donnern die nahende Fluth an. Inzwischen war das Gewitter verstummt, desto lauter brüllte die See. Und nun, als allmählig der steigende Fluthstrom dem Zuge des Sturmwinds folgte und die bis dahin diesem entgegenlaufenden Wellen zurückdrängte, nun warf sich der Wind nach kurzen Schwankungen der Fluth entgegen, gerade als wenn er es darauf angelegt hätte, auch dieser seine siegreiche Allgewalt zu zeigen. Bis dahin blies er aus Südwesten. Nun sprang er ganz nach Süden um, kehrte noch einmal wieder nach Westen zurück, dann flog er im Nu nach Osten und setzte sich in Nordost fest. Von hier aus athmete er so tief und so schwer, daß selbst der gewaltige Fluthstrom zu stutzen schien, ob er dem wüthenden Gegner gewachsen sei.

Aber diese Pause dauerte nicht lange. Hinter sich den gesammten Druck des endlosen Ozeans, rollte die Fluthwelle, hochgehobenen Hauptes, dem wilden Gesellen entgegen. Sie kümmerte es nicht, daß er ihr die feuchten Locken zerzauste oder ihren breiten Rumpf aus einander riß; nur um so höher warf sie ihm die Stirn entgegen, um so dichter ballte sie sich zusammen. In der That, hier schwankte der Sieg. Und je weniger der Wind den Fluthstrom zurückzudrängen vermochte, je grollender dieser sich seinem brausendem Athem entgegenstemmte, desto lauter brüllten beide, desto ungestümer zerrten sie einander. Furchtbarer noch wurde der grausige Kampf, je tiefer die Nacht mit ihrer Finsterniß auf das Meer herabsank.

Dem Schiffer in dem kleinen Boot war gar nicht so ängstlich zu Muthe, wie man hätte denken können. Er war von Jugend auf mit Wind und Wogen vertraut. Obgleich es so finster war, daß er keine Hand vor Augen sehen konnte, steuerte er doch so sicher, als wenn es heller Tag gewesen wäre. Denn je weniger er sah, desto mehr hörte er. Sein Ohr unterschied ganz genau an dem eigenthümlichen Rollen der Wogen und an dem Heulen des Sturmwindes, ob er sich in der Nähe einer Inselküste oder auf hoher See befinde. Er verstand von den Naturlauten so viel, daß er wußte, wo die meiste Gefahr sei, und trotz des ungestümen Brausens der Wellen hatte er doch so viel Gewalt über sie, daß er seinen Nachen geschickt vor dem Kentern bewahren konnte. Den Sturmwind und das aufgeregte Meer fürchtete er nicht, – aber die Menschen fürchtete er, die, welche solchen Leuten, wie er Einer war, nachstellten.

Denn er trieb ein unerlaubtes Gewerbe; die bürgerliche Ordnung nennt es so und trifft darnach ihre Maßregeln. Die Leute freilich, die von diesem Gewerbe leben, halten es für erlaubt: der Strandraub, die Freibeuterei zur See, dünkt ihnen kein Unrecht.

Der Schiffer war ein solcher Freibeuter. Wenn das Meer zur Zeit der Ebbe an den Inseln der Nordsee ein breites Vorland außerhalb der Deiche bloßlegt, dann schreitet der arme Schlickläufer, den Quersack auf der Schulter, über den Schlamm der Watten, in dem er mit dem Stocke herumwühlt, um nach den Schätzen gescheiterter Schiffe zu suchen. Gewöhnlich findet er nichts, mitunter wenig, sehr selten ein werthvolles Stück. Und in der grausen Sturmnacht, wenn der wohlhabende Insulaner die Decke dicht über den Kopf zieht, um das Toben der Brandung nicht zu hören, die draußen an den Deichen seiner Insel anprallt, dann schleicht der Strandräuber am Gestade hin und späht nach den Schiffstrümmern, welche die Wogen, mitleidiger oft als die Menschen, an's Ufer schleudern.

Diesmal war unser Schiffer noch glücklicher gewesen. Er hatte sein Boot schon vor Tagesanbruch an Bord eines Wracks gebracht, das in der Nacht vorher auf eine Sandbank gerathen war. Und da hatte er denn von der Ladung sich zugeeignet, was ihm beliebte und so viel sein kleines Fahrzeug tragen konnte. Dann als der Strandvogt kam und die Zollbeamten mit ihren Segelbooten, war er schon wieder fort. Nun galt es, dem Zollkreuzer zu entgehen, von dem er sicher wußte, daß dieser ihn suche.

Der Sturm schützte ihn nicht, denn die Bemannung des Zollkreuzers besteht aus seegewohnten Leuten, die gern solche wilde Nächte benutzen, um den Freibeutern aufzupassen, von denen sie wissen, daß sie gerade dann ihrem Gewerbe nachgehen. Die Finsterniß der Nacht bot ihm auch keine sichere Gewähr, denn vom Bord des Kreuzers, der einen Freibeuter verfolgt, steigt von Zeit zu Zeit eine Rakete auf, die, wenn sie hoch in der Luft zerplatzt, mit ihren sinkenden Leuchtkugeln die See in weitem Umkreise erhellt.

So geschah es auch jetzt. Noch war Mitternacht nicht vorüber, als unweit des Bootes prasselnd eine Rakete aufflog. Einer zischenden feurigen Schlange gleich erhob sie sich bis zu den Wolken, und mehr als zwanzig bläulich schimmernde Sterne lösten sich dort oben und beleuchteten mit ihrem strahlenden Lichte das Boot und den Kreuzer. Kaum waren sie erloschen, als ein Geschütz am Bord des Kreuzers blitzte; laut krachte der Knall, der Schiffer vernahm das Aufschlagen der Kugel auf den Wellen dicht in seiner Nähe.

Am Vormaste des Kreuzerschiffs flogen jetzt zwei Signal-Laternen empor, die obere mit rothem, die untere mit gelbem Schein, und das gefürchtete Fahrzeug brauste mit vollen Segeln, soviel der Sturm zu führen gestattete, gerade der Stelle zu, wo das Boot schwamm. Es schien verloren, denn in wenigen Minuten schon mußte der Kreuzer es überholt haben, da er vor halbem Winde daherbrauste.

Aber der Schiffer verlor die Geistesgegenwart nicht. Mit einem gewaltigen Druck am Steuer zwängte er seinen Nachen seitwärts. Donnernd sauste der Kreuzer vorüber, und das Boot hatte Muße, in sein Kielwasser hineinzusteuern. Statt nun von dem Kreuzer abzuhalten, fuhr der Schiffer denselben Kurs. Er lüftete sein einziges Segel, das der Sturm voll bauschte, und lief in einigen tausend Ellen Entfernung dem Schiffe, das ihn noch vor sich zu haben glaubte, nach. Aller Augen an Bord des Zollkreuzers waren daher nach vorn gerichtet und schauten über sein Bugspriet hinweg. Wieder prasselte vom Vorderdeck eine Rakete auf, und als sie die See beleuchtete, gewahrte man von dem Boote nichts.

Hastig stürmte das Zollschiff weiter, ihm nach das Boot. Nach Verlauf einer halben Stunde, als man an Bord den Irrthum einzusehen schien, ward der Kreuzer gewendet. Dem Schiffer leuchteten die Signal-Laternen entgegen, abermals flog das schnellsegelnde Fahrzeug gerade auf ihn zu. Behende wich er zur Seite, und ohne seiner gewahr zu werden, sauste es zum zweiten Male an ihm vorüber; der Schaum der Wogen, die es mit seinem scharfgebauten Vorderbug zertheilte, spritzte zischend in das Boot.

So war der Freibeuter zweimal der Gefahr, entdeckt oder gar übersegelt zu werden, glücklich entgangen. Aber er wußte auch, daß man mit diesem mißglückten Versuche, seiner habhaft zu werden, noch keineswegs aufhören würde ihn zu verfolgen. Die Nacht war noch lang, der dämmernde Tag würde ihn in solcher Nähe bei dem nachsetzenden Schiffe verrathen haben. Er mußte die Finsterniß benutzen, um aus dem Gesichtskreise des Zollkreuzers herauszukommen. Unerwartet trat ein anderes Ereigniß dazwischen, was eine neue Wendung der Dinge herbeiführte.

Der Zollkreuzer, an dessen Bord wir uns für einen Augenblick versetzen, hatte im Sturm bereits seine Bramsegel verloren und war dadurch genöthigt, die Schnelligkeit seines Laufes zu mindern. Je weniger hastig er daher nun die tosenden Wogen durchschnitt, desto ruhiger ward auch seine Besatzung, namentlich der commandirende Officier, ein noch junger Marine-Lieutenant, der so gern seine erste Heldenthat auf dem Posten, den er erst vor kurzem angetreten hatte, verrichten wollte, einen berüchtigten Freibeuter nämlich heimbringen. Schon war er seines Fanges so gut wie gewiß gewesen, mit seinem Nachtfernrohr hatte er selbst bei der Raketenbeleuchtung das Piratenboot wahrgenommen; die Kanone, deren Kugel dem Bootschiffer nahe vorübersauste, hatte er selbst gelöst; zwei Matrosen hatten schon Ketten bereit halten müssen, um den Gefangenen augenblicks in Eisen zu legen. Dennoch war der Vogel nicht ins Netz gegangen, vielmehr gänzlich verschwunden. Die verwünschte Finsterniß! tröstete sich der Lieutenant; sie ist an allem Schuld. Sein Bootsmann, ein auf der See grau gewordener Greis, war anderer Meinung. »Fangen wir den Burschen nicht bei Nacht, so niemals, denn bei Tage bekommen wir ihn gewiß nicht in Sicht!« sagte er.

Der Lieutenant besann sich ein wenig, dann gab er Befehl zum Umkehren. Es war kein leichtes Stück Arbeit, im Sturmesbraus die Segel umzulegen. Doch gelang es dem rechtzeitigen Commando des Officiers und der besonderen Behendigkeit der Orlogsmatrosen. Bald furchte das Zollschiff wieder gen Süd-Süd-West durch die Wogen, von Zeit zu Zeit eine Leuchtrakete entsendend. Aber das verfolgte Boot, dessen man so gern habhaft geworden, war nirgends zu sehen. Wohlweislich hielt es sich außerhalb des Beleuchtungskreises des Kreuzers.

Inzwischen kam ein Kauffahrer des Weges, eine stattliche Brigg, die der Sturm überrascht, noch ehe sie die Mündung der Elbe erreicht hatte. Der Capitän hatte, als er Helgoland passirte, keinen Lootsen an Bord genommen, da er, ein geborner Friese von einer der Westseeinseln, sich Kunde genug zutraute, um im rechten Fahrwasser zu bleiben. Aber der Sturm hatte ihn doch seinen Kurs verlieren lassen; er war seit Jahren auf den tropischen Gewässern abwesend gewesen, hatte meistens nur zwischen Rio und Valparaiso gefahren – es war ihm doch nicht so recht heimisch mehr in der Nordsee. Von seinen Steuerleuten, gebornen Spaniern, hatte Keiner bis jetzt diese See befahren. Je mehr der Sturm an Heftigkeit zunahm, desto besorgter wurde daher der Kapitän. Die Brigg lief vor dicht gerefften Segeln, und als der Sturm nun gar nach Nordosten umsprang und die Fluth zwei Stunden früher wiederkehrte als gewöhnlich, da kam der Schiffscommandeur ganz außer Fassung; er wurde an dem Wege irre, auf welchem sein Fahrzeug eilig, als habe es keine Minute zu verlieren, dahinschoß.

In diesem Augenblick seiner größten Verlegenheit ließ er eine seiner Drehbassen lösen. Der Blitz des Geschützes, dem alsbald der Knall folgte, beleuchtete das Boot des Freibeuters, welches sich im Kielwasser der Brigg befand. Man hielt am Bord der Brigg dafür, das Boot sei in Gefahr, machte Allarm, warf ein Tau nach dem andern aus, praite durch das Sprachrohr, aus allen Kräften bemüht, dem kleinen Fahrzeuge Hilfe zu gewähren.

Der Bootschiffer befand sich nun freilich nicht in dem Sinne in Noth, wie man an Bord des Kauffahrers wähnte. Aber er war doch in einiger Besorgniß, von dem unablässig kreuzenden Zollschiffe aufgespürt zu werden, und was ihm dann bevorstand – die Ketten, allenfalls auch noch ein peinliches Verhör und Karrenstrafe auf Lebenszeit – das schien ihm gar nicht behaglich. Mit Freuden benutzte er daher die sich ihm darbietende Gelegenheit, dem Kreuzer zu entgehen, und ließ sich an Bord der Brigg ziehen, während sein Boot an der Schanzkleidung des Hinterdecks befestigt wurde.

Der Kapitän war der Erste, welcher den vermeintlich dem Untergange Entrissenen begrüßte. Wie groß war seine Ueberraschung, als er in ihm einen alten Schulkameraden wiedererkannte, der nun nicht unterließ, ihn über den wahren Zusammenhang der Ereignisse aufzuklären. Dann aber übertrug der Kapitän dem so zufälligerweise gefundenen Jugendfreunde die Führung seines Schiffes, weil er wußte, daß das Steuer in der Hand eines so seekundigen Mannes eben so sicher ruhe, als in der des erfahrensten der eigentlichen Lootsen. Außer der dem Lootsen für seine Mühe und Arbeit gebührenden Summe, die nicht gering ist, weil die Verantwortlichkeit so groß und die Arbeit die pünktlichste Umsicht erfordert, versprach er ihm natürlich noch, vorkommenden Falles der Waaren in seinem Boote nicht zu gedenken, wie überhaupt nicht des unerlaubten Gewerbes, das er treibe. Ein Dienst ist des andern werth!

Und nun war der Brigg und ihrer Mannschaft geholfen. In der That, es war hohe, ja die höchste Zeit gewesen, ihr Steuer kundigen Händen zu vertrauen. Schon trieb der Nordoststurm sie unaufhaltsam südlich, in die Nähe gefährlicher Sandbänke, die jetzt um so schwieriger zu vermeiden waren, als das Wasser ungewöhnlich hoch stand, doch aber nicht hoch genug, um ein tiefgehendes Kauffahrteischiff wie die Brigg ohne Gefahr über sie hinwegzutragen. Der Schiffer, der den Steuermann abgelöst und dem nun auch der Kapitän sein Commando abgetreten hatte, ließ sogleich die Bramsegel entfalten, das große Marssegel halbgerefft hißen, die Raaen brassen, dann wendete er das Ruder in Lee, und nun vor dem Sturm aufluvend, wendete die Brigg bebend wie ein Roß, das den Löwen wittert, und flog dann vor dem Winde in einer ihrer bisherigen Fahrt entgegengesetzten Richtung. Diese führte sie dem nach dem Boote suchenden Kreuzer entgegen.

Die Nacht war bereits im Weichen. Zwar dämmerte der Morgen noch nicht, noch war's im Osten gleich finster wie im Westen. Aber doch war die tiefdunkle Finsterniß im Verschwinden, der schwarze Schleier der Nacht war grau geworden, man konnte, wenn auch nur unsicher und mit Anstrengung, vom Steuer der Brigg aus das Bugspriet wahrnehmen. Dazu schien der Sturm im Begriff sich zurückzuziehen. Er athmete nur noch in Pausen, in langen Zwischenräumen fuhren seine wuchtigen Stöße über die Wogen, die noch in starker Deining sich hoch über einander thürmten. Dieser Uebergang vom stürmischen Wetter zur Windstille ist den Schiffen gefährlicher, als der Sturm selbst. Dann fehlt den Segeln der nöthige Druck, mit welchem sie den Rumpf den tobenden Wellen entgegenstemmen. Dieser ist mehr denn je ein willenloser Spielball ihrer ungezügelten Wallungen.

In diesem Augenblick tauchten die Signallaternen des Kreuzers vor dem Buge der Brigg auf.

»Schiff voran!« rief die Ausguckwache an Bord der letzteren.

Es war dem, der ihr Steuer führte, erwünscht, so nahe als möglich dem Zollkreuzer zu begegnen, der sich dann sicher erkundigen würde, ob man vom Bord der Brigg keinem offenem Boot begegnet sei. Und er hatte sich darin nicht verrechnet.

Kaum waren beide Fahrzeuge einander auf etwa tausend Ellen nahe, als vom Kreuzer eine Leuchtrakete auffuhr, die im Herabfallen beide Schiffe glänzend erhellte, so daß man von einem zum andern die ganze Takelage und alle Segelbekleidung deutlich gewahren konnte. Der Kreuzer, der vor dem Winde fuhr, hatte alles Linnen aufgezogen und flog mit Sturmeseile durch die Fluthen. In kurzer Zeit war er der Brigg auf Leeseite so nahe, daß eine Verständigung möglich war. Ein blinder Schuß von seinem Bord nöthigte den Kauffahrer beizulegen, der Kreuzer that ein Gleiches, und nun führte der Lieutenant selbst die Unterredung, während seine Fragen von dem Schiffer beantwortet wurden.

»Woher?« schallte es herüber.

»Von Batavia!« lautete die Antwort.

»Wohin?« – »Nach Hamburg!« – Loots an Bord?« – »Ja!« – »Kein Boot gesehen?« – »Keines!« – »Gute Reise!« – Gleichfalls!«

Wieder flogen die Segel, rasselten die Taue und die Schiffe trennten sich. Das unvermeidliche Rencontre war für den Freibeuter glücklich überstanden.

Nun dämmerte bald der Morgen. Glühend färbte sich der Osten, purpurn schossen Strahlen empor am allmählig erbleichenden Nachthimmel. Das graue Gewölk versank unter dem Horizont. Als die Sonne selbst sich aus den Fluthen erhob, beleuchtete sie die noch hochgehende See. Ein frischer Nordwind blies über die wallende Fläche, der Brigg ein willkommener Freund. Mit vollen Segeln, wie in eine Wolke gehüllt, strich sie vor halbem Winde der Elbmündung zu.

Mit der Wiederkehr der Tageshelle ward die Hilfe des auf der Brigg als Lootse agirenden Schiffers entbehrlich. Der Kapitän getraute sich nun allein die Untiefen und Sandbänke vermeiden zu können. Er entließ den Kameraden, dem er zur guten Stunde begegnet war und fügte dem verdienten Lohne noch ein Geschenk aus seiner Privatkasse bei. Der Freibeuter sprang in sein Boot und stieß von der Brigg ab.

Wohin sollte er nun sich wenden? Im Westen, davon war er überzeugt, kreuzte das Zollschiff, vor ihm im Osten lag nahe der Elbmündung die dort stationirte Lootsengalliote – beide waren seine geschworenen Feinde; jenes, weil es Pflicht des Marineoffiziers war, der Freibeuterei nach Kräften zu steuern, diese, weil die Lootsen auf demselben es übel vermerkten, wenn ein nicht Berechtigter ihnen in's Handwerk griff. Auch sie haßten die langen, schmalen Inselböte mit dem einen, rothbraunen Segel.

Zuerst übersah der Schiffer seine Ladung. Davon hatte die See ihm freilich eins oder das andere Kistchen hinweggespült, aber er tröstete sich leicht über den Verlust, trug er doch ein unverhofft erworbenes Sümmchen in der Tasche. Ueberdies fand er Ruder, Segelbaum und Segel unversehrt im Boote. Für sein Weiterkommen durfte er also nicht besorgt sein. Er legte die Ruder ein und trieb sein Fahrzeug nordwärts. Als er dann die Lootsengalliote aus dem Gesicht verloren hatte, wendete er östlich, und so lange der Tag währte, trieb er auf der seichten Woge der Watten, die sich längs der holsteinischen Küste dehnen, das leichte Boot. Mit einbrechender Dämmerung hißte er sein Segel und steuerte westwärts in die offene See hinaus.

Nirgends begegnete er einem Schiffe, auch dem Kreuzer nicht. Als der Mond um elf Uhr Abends aufging, befand sich der Freibeuter in der Nähe jener Dünenschlucht, wo er die Mittagszeit des vorigen Tages zugebracht hatte. Von hier aus konnte er bei der Ebbe seine Heimathinsel zu Fuß erreichen. Daher und weil er der Ruhe bedurfte, lief er wieder in die Schlucht ein, um von dort aus seine Beute, mindestens sein Geld, in Sicherheit zu bringen.

Wie ganz anders sah heute die einsame Dünenschlucht aus im Mondenlichte, als gestern, da der blendende Glanz der Mittagssonne darüber ausgebreitet lag. Das bleiche Mondlicht ließ die Dünenberge wenigstens noch einmal so hoch erscheinen, als sie wirklich waren. Auf dem nächtlich dunklen Hintergrunde bildeten sich gespensterhaft die kegelförmigen Gestalten der Berge ab, das Weiß des Sandes, aus dem sie bestanden, kontrastirte auf's grellste mit dem schwärzlichen Blau des Himmels, der hinter und über ihnen sich wölbte. Stille herrschte weit und breit, nur in der Ferne toste, vernehmlicher noch als am Tage, die Meeresbrandung. Der breite Strand, welcher das Wasserbecken der Schlucht umgab, lag auf der einen Seite in tiefer Dunkelheit, die Berge deckten die glatte Fläche mit dem Schatten ihrer Riesenleiber, deren Häupter sich in der Fluth des Meeres spiegelten. Gegenüber goß das Mondlicht seinen bleichen, geisterhaften Schimmer über die sanft geneigte Strandfläche, auf welcher die Streifen dunklen Seetangs gleich tiefen Furchen hervortraten. Die gefiederten Bewohner der Dünen waren lange schon zur Ruhe gegangen, nur mitunter noch tönte das heisere Gekreisch einer Möve, die ihre Brutstätte vergebens zu suchen schien oder noch hungrig nach Beute umherspähte, durch die einsame Schlucht. Der Wind pfiff melancholisch durch den dürren Halmenwald des Sandhafers, und wirbelte mitunter eine dichte Staubwolke feinkörnigen Sandes vor sich her. Wie gestern der Sonne Bild, so schiffte jetzt des Mondes Kahn im Spiegelgebilde durch die wenig bewegten Wellen.

Mit leichtem Ruderschlage brachte der Schiffer sein Boot auf die Schattenseite der Schlucht. Dort warf er im seichten Sandboden Anker und wußte nun für diese Nacht wenigstens sein Fahrzeug auch dem scharfsichtigsten Späherauge entrückt. Schon war er im Begriff, seine Ladung in einer Spalte der Berge in Sicherheit zu bringen, als ein lauter Knall sein Ohr traf. Der Schuß kam von einem Geschütz, und jedenfalls in nicht zu großer Entfernung. Auch mußte die Mündung der Kanone in die Schlucht hinein gerichtet gewesen sein, denn ein Echo, wegen der weichen Sanddünen freilich, an welche die Schallwellen anprallten, nur ein schwaches, wiederholte den dumpfen Laut.

Es war ein Nothsignal, auffallend freilich in dieser mondhellen, nicht stürmischen Nacht. Aber es konnte nichts anderes sein. Hastig sprang der Schiffer eine Düne hinauf, von deren Gipfel er das Meer überblicken konnte. Aber er brauchte nicht weit in die Ferne zu schauen. Am Fuße der Düne, auf der er stand, von wo eine schmale Sandbank, wie er wußte, sich weit in die See hinausstreckte, saß ein Schiff, offenbar fest, denn es lag unbeweglich und stark auf die eine Seite geneigt mit dicht beschlagenen Segeln. Schon dachte der Freibeuter an die herrliche Ladung, von der er sich jetzt das beste Theil aussuchen dürfe, – als ein abermaliger Blick ihn überzeugte, daß es der Zollkreuzer sei. Er hatte sich zu nahe an die Dünen gewagt, die von denselben beschattete Fluth mußte den Steuermann getäuscht haben, daß er sich noch weiter von der seichten Küste entfernt wähnte, als er es wirklich war. So war der Kreuzer auf die Bank gerathen. Der scharfgebaute Kiel hatte sich tief in den Sand hineingerannt.

Es gab nur ein einziges Mittel, das Schiff wieder flott zu machen. Und dies war Geduld! Wenn die Fluth kam nach reichlich vier Stunden und diesmal gerade die Springfluth, dann durfte man hoffen, daß das Schiff wieder sich heben würde, aber selbst dann noch bedurfte es der äußersten Umsicht und Kunde der Tiefen und Untiefen, um es aus dem Bereiche der gefährlichen Bank zu bringen, in deren Nähe noch mehrere andere ihre lüsternen Zungen in's Meer streckten. An Bord war Niemand, das wußte der Schiffer, der dieses Manöver auszuführen im Stande gewesen wäre.

Er bedachte sich nicht lange. Hier gab es ein schönes Schiff zu retten und mehr als einen Menschen einer vielleicht schweren Strafe zu entziehen. Er eilte wieder die Düne hinunter, lud sein Boot aus, verbarg die erbeuteten Waaren, stieg dann in den Nachen, legte die Ruder ein und steuerte aus der Schlucht hinaus.

Inzwischen waren noch zwei andere Nothschüsse gelöst worden, und als die Besatzung des Kreuzers den Schiffer um den vorspringenden Fuß der Düne heranrudern sah, wähnte sie, es sei Einer der Insulaner, der durch ihre Schüsse geweckt, ihr zu Hilfe eile. Ganz irrten die Leute freilich nicht, aber daß es Der sei, den sie verfolgten, kam ihnen nicht in den Sinn.

Den Seemannshut tief in's Gesicht gedrückt, die Jacke bis hoch an den Hals dicht zugeknöpft, so betrat der Schiffer den Bord des Kreuzers, wechselte mit dem Lieutenant einige Worte, und bereitwillig wurde seine angebotene Hilfe angenommen. Sogleich traf er die nöthigen Vorbereitungen. Die Schaluppe und das kleinere Boot, welche das Zollschiff führte, wurden in's Meer gelassen, mit den Matrosen bemannt und mit starken Tauen über das Hinterdeck hinaus an den Kreuzer befestigt. Ebenso ließ der Schiffer auch sein eigenes Boot festmachen, und mit zwei Ruderern bemannen. Er selbst blieb an Bord mit dem Lieutenant, um das Steuer zu regieren.

Allgemach toste die Fluthwelle heran mit kräftigem Schlage. Die Planken des Kreuzers erzitterten von ihren Stößen. Aber sie löste auch den festgebannten Kiel. Langsam hob sich das Schiff und richtete sich nach und nach wieder gerade in horizontaler Lage. Nun ertheilte der Schiffer den Matrosen Befehl, aus allen Kräften zu rudern. Immer höher rauschte die See am Buge empor und nach unsäglichen Anstrengungen gelang es, das Zollschiff flott zu machen und es in's freie Wasser zu bringen. Kaum war es darin, so schallte das Commando »Ruder auf!« Rasch wurden die haltenden Taue vom Hinterdeck gelöst und vorn am Kreuzer befestigt, während die Böte vor das Bugspriet ruderten, um dann abermals mit vereinten Kräften das Schiff in die See hinaus zu bugsiren. Von der Schnelligkeit, womit dies Manöver ausgeführt wurde, hing die Rettung des Kreuzers ab, der von dem Ruck, mit welchem er sich von der Sandbank gelöst hatte, rückwärts fortgetrieben, Gefahr lief, auf das benachbarte Riff zu gerathen. Wenige Minuten zu spät, und er hätte auf's neue festgesessen.

Aber die Raschheit, mit der die Matrosen die Böte tummelten, während der Lieutenant selbst die Taue umlegte, überwand die drohende Gefahr. Der Kreuzer lag nach wenigen Augenblicken auf zehn Faden Tiefe. Die geleistete Hilfe ward dem erfahrenen Schiffer reichlich belohnt.

Als er wieder in seinem Boote saß, und die Matrosen des geretteten Schiffes die Segel hißten, lüftete er den Hut und wünschte der Besatzung eine gute Fahrt.

»Das ist der Bursch, den wir suchen!« rief der Bootsmann.

»Laßt ihn,« erwiderte der Lieutenant, »ich habe ihn längst erkannt, er hat als braver Seemann gehandelt. Nicht jeder Freibeuter verdient den Strang. – Marssegel los! Fockbrassen backbord!«

Und fort brauste der Kreuzer durch die hochgehenden Wogen.

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