Otto Julius Bierbaum
Das Seidene Buch
Otto Julius Bierbaum

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Ein Traum

                   Kommt her und seht, was in der Nacht ich sah,
Kommt und erlebt, was mir im Traum geschah:

Ich stand an einem weiten, grauen See;
Feucht war die Luft und blaß des Himmels Blau,
Wie flüssig Blei das Wasser. Und ein Kahn
Lag unbewegt am Ufer, das ganz leer,
Wie eine Wüste war. Kein Busch, kein Baum,
Kein Schilf, kein Gras, nur knirschend grauer Sand.

Da, leise, ging aus mir ich selber fort.
Ich sah mich aus mir selber gehn. Leb wohl!
Rief ich mir zu, ich, der ich schauend stand,
Leb wohl, rief ich mir zu, ich, der ich ging.

Der Schreiter, ich, das war ein junger Mann,
Er wiegte in den Hüften sich und warf
Die Arme rüstig hin und her, sein Gang
Sprach: Leben! Leben! Doch der Bleibende,
Ich, der am Ufer stand, war matt und alt.
Und auf den Boden sank er, ich, und starb.

Nun war ich risch im Kahn und ruderte
Und schnitt die Wellen mit dem schwarzen Kiel
Und schoß durchs Grau des unbewegten Sees.
Voran! Voran! denn ich bin jung und stark,
Ich fühle meine Kraft, ich freue mich
Der Muskeln, wie sie mir gehorsam sind,
Wie alles fest mir in den Händen ruht,
Wie meiner Lungen Gleichmaß saugt und stößt,
Wie meine Blicke in die Weite gehn.

Doch nichts als Grau um mich und über mir.
Der Himmel auch hat sich in Grau getan,
Und grauer Hauch weht von mir in die Luft.

Da werd ich mählich matt und willenlos.
Die Ruder lass ich, lautlos sinken sie
Rechts, links ins Wasser, und ich lege mich,
Wie eine Leiche lege ich mich lang,
Als ob ein Sarg er wäre, in den Kahn.

Wer bin ich denn? Bin ich der Tote nun,
Der dorten in den Sand sank, bin ich nicht
Der junge Schreiter mehr?
                                          Es treibt der Kahn
Lautlos, doch schnell, ich fühl's. Ich wage nicht
Die Augen aufzutun. Ich bin wohl tot.

Da, durch die Lider rötet's mir: um Gott!
Ein zischender Eisenklumpen auf grauem Ambos, ruht
Die Sonne auf Wolkenballen in dunkelroter Glut.
Langsam, von Riesenfäusten gehalten, ein Hammer droht,
Eine Krone aus ihr zu schmieden, eine Krone blutglührot.
Eine Krone . . . und ich hebe hoch mich auf
Und greife in den Himmel, und herab
Hol ich die Krone mir und setze sie
Aufs Haupt mir. Hei, ein Strahlenzucken fährt
Von meinem Haupt ringsum, und alles ist,
Was mich umgibt, erhellt und feierlich.

Und vorn am Buge meines Kaiserschiffs
Steh ich und fahre ein ins Himmelreich.
Das liegt vor mir in lauter Schönheit da,
So weit gedehnt, wie nie mein Blick vordem
Etwas gesehn. Doch still und leer und tot
Ist dieses Land, und wie mein Silberkiel
Auf seines Hafens goldne Kiesel knirscht,
Ist tiefe, schauerkalte Nacht um mich.

Nur ferne blinzt ein zages Zitterlicht,
Und ferne klingt ein zager Glockenton,
Und ferne, dort, weiß ich, ist's warm und gut.
Ich geh zum Licht, ich geh zum Ton, ich geh
Dahin, wo mein ein Herd, wo mein ein Herz
Warm wartet. Ach, wie meilen-, meilenweit
Ist Licht und Ton und Herz und Herd! Ich geh
Viel viele Jahre lang, und stets in Nacht.

Da endlich lichtet sich's, so wie im Mai
Es morgenrötet über jungem Grün,
Und zwischen Fliederbüschen wirbelt blau
Herdrauch aus rotem Schornstein, und ein Haus,
Ein kleines Bauernhaus mit moosigem Dach
Seh ich, und an der Tür:
                                        . . . Du, du, o du!

Ein altes Weiblein in schlohweißem Haar
Kommt auf mich zu mit leisen Schrittelchen
Und legt mir an die Brust das alte Haupt
Und blickt zu mir mit braunem Auge auf.
O tiefes Glück: das ist der alte Blick,
Der Kinderblick, der aus dem Herzen kommt,
Und, o, das ist die liebe Stimme auch,
Die glockenleise: Komm, du, komm, du, komm;
So lange, lange fort! . . Da seh ich erst
Im blauen Wasserspiegel, daß mir weiß
So Haar und Bart. Und zweisam, Arm in Arm,
Gehn wir ins kleine Haus. Die Türe fällt
Leis zu . . .


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