Otto Julius Bierbaum
Das Seidene Buch
Otto Julius Bierbaum

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In der Provence

                    Hier ritten einst die tapfern Troubadours
Mit Schwert und Laute ihrer Liebe nach;
Hier glühte einst das Glück der großen Kunst,
Die wie die Sonne der Provence schien:
Ein goldnes Siegeszeichen, ein Juwel,
Der schönsten Tage schönster Schmuck. Es sprang
Das Lied gleich einem schönen Pagen froh
Den Frauen in den Schoß. Doch manchmal war's
Wie Mistralwind und fegte durch das Land
Und trieb die Wolken und zertrümmerte,
Was alt und morsch war. Sieg und Segen trug
Des Verses Flügel, der schön glänzende,
Durch diese Lüfte voller Blumenduft,
Und Liebe lächelte dem Liede zu.

In diesen Liedern war kein müder Ton,
Und auch die Traurigkeit war stolz und stark,
Denn adelig war noch die Kunst des Lieds,
Und wer zu schönen Frauen sich vermaß
Die Stimme zu erheben und das Herz,
Der wußte, was sich ziemt. So wußt er auch,
Daß nicht für alles Worte ziemlich sind
Und Schweigen eine edle Kunst der Herzen ist,
Die eher brechen, als schamlos den Gram
Der Schwäche zeigen. – Ach, wir reden viel
Von neuen Tönen und von neuer Kunst,
Und unsre Herzen sind so jämmerlich,
Daß uns die Knechte jener Troubadours
Verachten würden, sähen sie, wie wir
Schamlos entblößen, was so ekel ist:
Das Trübe, Dumpfe, Schwache, all die Qual
Des machtlos Ungebändigten, den Satz
Der Seele voller Krampf und Mißbegier.

*
Wir wollen fürder nicht so üppig sein
In großen Worten und Versprechungen
Von neuen Weisen einer neuen Kunst.
Wir wollen wieder schweigen lernen, und die Zucht,
Die Adelsmeisterin, angehn, daß sie
Wachsam und strenge bei uns sei, wenn wir
Uns unterfangen, klangvoll Wort an Wort
Zum Vers zu fügen. Ehrfurcht halte uns
Im schönen Maße, und die edle Scham,
Des Künstlers Tugend, walte über uns!

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