Otto Julius Bierbaum
Eine empfindsame Reise im Automobil
Otto Julius Bierbaum

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XVI.
Von Sorrent bis Rom

An Herrn Felix vom Rath in München

Montecassino, bei den Benediktinern, den 3. Juli 1902.

Lieber Herr vom Rath! Sie sind einer von den ungläubigen Thomassen, die es nicht glauben wollen, daß es angenehm sei, im Automobil zu fahren. Ihnen müßte ich also eigentlich eine Bekehrungspredigt widmen. Der Ort lädt dazu ein; das ist gewiß, und ich dürfte keine erhabenere Kanzel finden, als die des heiligen Benedikts, der freilich, wie ich ihn zu kennen glaube, auf Ihrer Seite stehen würde, denn der Begriff Mönch ist gewiß ein antiautomobiler Begriff. Aber ich will Sie schonen, bei der heiligen Demut, ich will Sie schonen und den Triumph erleben, daß Sie eines Tages ganz von alleine zu mir kommen und bekennen: Wahrlich, ich habe mich geirrt in meinem ungläubigen Herzen und böse gedacht, wo es recht ist, gut zu denken; siehe, ein Adlerwagen steht in meinem Schuppen, und mein nächstes Klavierkonzert mit Orchester behandelt die Wollust einer Laufwagenreise.

Wozu ich bloß Amen sagen werde, das heißet auf deutsch: Ja, wohl, so sei es!

Damit Sie aber schneller auf diesen einzig wahren Standpunkt kommen, gedenke ich Ihnen auf den folgenden Zeilen mehr kurz, als gut, unsre Fahrt zu erzählen, die heute in Sorrent begonnen hat und morgen in Rom enden soll.

Um die greuliche Straße nach und die nicht ganz angenehme Fahrt durch Neapel zu vermeiden, haben wir unsern Weg an der Ostseite des Vesuvs vorbei genommen und sind über Angri, Sarno, Palma, Nola, Cancello, Caserta nach Capua gefahren, was zwar ein großer, aber sehr lohnender Umweg ist, denn er führte uns durch Gegenden, die, weil sie von der allgemeinen Fremdenstraße fern liegen, erfreulich viel von ihrer Ursprünglichkeit bewahrt haben. Freilich wären wir dadurch fast in Benzinverlegenheit gekommen, denn sowohl in Sarno wie in Palma gab es von dieser Essenz nur eben genug, um ein paar Kleider damit zu reinigen, und schon sahen wir das Schicksal vor uns, in Nola sitzen zu bleiben, als bis wohin wir gerade noch Kraft genug im Wagen hatten.

Nun ist ja, wie Sie sicher wissen, Nola historisch genommen ein sehr merkwürdiger Ort, denn nicht allein, daß der Kaiser Augustus hier gestorben ist, wurde Giordano Bruno hier sogar geboren, aber das reichte doch nicht hin, in uns den Wunsch zu wecken, hier zu übernachten. Zum Glück war es nicht nötig. Wir fanden in einer Drogerie wenigstens soviel Benzin, daß wir hoffen konnten, damit bis Caserta zu gelangen. Ja wir hatten in Nola sogar ein lustiges Intermezzo. Während wir nämlich vor dem Laden des Drogisten hielten, bis unser Führer gefaßt und gefüllt hatte, eilte halb Nola herbei, uns zu betrachten und mit uns zu konversieren, denn hier war noch keine »Benzina« durchgekommen, und so genossen wir das Hochgefühl, als Nouveauté behandelt zu werden, und es ging ein andächtiges Gemurmel durch die Menge. Der Hauptsprecher des Ortes war, wie wir schon an dem Leisten sehen konnten, den er, der flugs vom Werktische aufgesprungen war, in der Hand hatte, ein Schuster. Lasse Sie mich den Dialog zwischen mir und ihm hier wiedergeben.

Der Schuster: Darf man fragen, woher die Herrschaften kommen?

Ich: Von Sorrent.

Der Schuster: Nicht so! Ich meine (mit einer Daumendeutung nach hinten) woher aus der Fremde!?

Ich: Aus Berlin.

Der Schuster (mit um die Hälfte vergrößerten Augen und den Leisten mir auf den Schoß legend): Aus Berlin! Ist es die Möglichkeit? Aus Berlin! (Die Hände wie ein Schallrohr an den Mund legend und über die Menge hinrufend): Aus Berlin kommen die Herrschaften! Aus Berlin!

Und es ging ein ehrfurchtsvolles Gemurmel durch die Menge: Da Berlino! Ah! Da Berlino!

Der Schuster: Berlin, Signor, ist größer als Neapel?

Ich: Ja, es ist größer als Neapel.

Der Schuster: Ah, größer als Neapel! Größer als Neapel! – Und ihr habt dort einen Kaiser, wenn ich nicht irre?

Ich: Jawohl, einen Kaiser, einen ganz richtigen Kaiser!

Der Schuster: Hört ihr? Einen richtigen Kaiser haben sie da, die Leute aus Berlin. Aber einen Papst habt ihr wohl nicht?

Ich: Nein, einen Papst haben wir nicht; das ist uns zu teuer.

Der Schuster: Sehr begreiflich! Und wenn man schon einen Kaiser hat, wozu dann?

Ich: Sehr richtig, man muß nicht von allem haben wollen. Auch dürfen wir ja euren Papst mit benutzen.

Der Schuster: Natürlich dürft ihr das, Signor, selbstverständlich! Der Papst ist für die ganze Welt, und ich bin ein Esel, daß ich gefragt habe.

Die ganze Gesellschaft war selig vor Vergnügen, daß der intelligente Mann sich einen Esel gescholten hatte. Um die Scharte wieder auszuwetzen, verfiel er auf die Idee, seine Kenntnisse über Deutschland und speziell Berlin an den Tag zu legen. Das machte er so:

Der Schuster: Berlin, mein Herr, ist äußerst waldreich.

Ich: Wieso?

Der Schuster: Nun, es besitzt viele Wälder.

Ich: In der Nähe meint Ihr?

Der Schuster: Nicht doch! Es liegt mitten in einem dichten Wald und ist gewissermaßen selbst ein Wald.

Ich: Nun ja, es gibt da einen großen Garten.

Der Schuster: Ach, mein Herr, Sie müssen nicht glauben, daß wir Nolaner außerhalb der Welt wohnen. Wir wissen wohl Bescheid über Berlin. Woher käme der Reichtum der Deutschen (vor lauter Hochachtung sagt er germani statt tedeschi), wenn nicht aus ihren ungeheuren Wäldern?

In diesem Augenblick wurde er gewahr, daß ich aus Leder geflochtene Schuhe anhatte. Er betrachtete sie aufmerksam und hob plötzlich einen Fuß von mir hoch und zeigte ihn der erstaunten Menge: »Seht, solche Schuhe tragen sie in Berlin. Nicht einmal ich kann solche Schuhe machen.« Und zu mir gewandt: »Davon kostet das Paar mindestens zwölf Lire, Signor, ich wette darauf!« »Ihr habt die Wette gewonnen!« »Zwölf Lire hört ihrs? Und dabei schimpft ihr auf meine Preise. Geht nach Berlin, Idioten, dort wird man es euch beibringen, was ein paar Schuhe kosten!« – Dann lief er plötzlich nach der anderen Seite, wo meine Frau saß und inspizierte ihre Fußbekleidung. Da sie einen fußfreien Rock anhatte, sah er, daß sie hohe Stiefel trug. Das versetzte ihn in Ekstase: »Bei allen Heiligen, die Signora hat auch Stivaloni an! Da sieht mans, was für reiche Leute diese Deutschen sind; selbst die Damen tragen Stivaloni, und noch dazu aus braunem Leder. Dieses Leder ist so fein, daß ich nach dem Preise gar nicht fragen will.« – In diesem Augenblick schob sich ein junger Mann durch die Menge und hob einen jungen, sehr hübschen Jagdhund hoch: »Signori, nehmen Sie diesen Hund mit nach Berlin! Es ist ein Jagdhund, und Signora ist eine Jägerin. Zwei Lire kostet er für Sie, und ich gebe ihn nur her, damit er Automobil fahren kann.« Großes Gelächter ringsum. Ich dachte schon, der Jüngling wollte mich utzen. Es war aber sein Ernst. Er setzte den Hund in den Wagen und rief: »Und wenn es bloß eine Lira ist: nehmen Sie ihn. Sie werden sehen, daß Sie ihn in den Berliner Wäldern brauchen können!« – »Aber in Berlin ist kein Wald, wenigstens nicht zum Jagen!« – »O Signor, warum machen Sie sich lustig über mich? Wir alle wissen, welche Wälder es bei Ihnen gibt.« – Es kostete mich Mühe, dem jungen Manne klar zu machen, daß ich keinen jungen Jagdhund von Nola nach Berlin im Automobil mitführen könnte. »Sie werden es bereuen,« war sein letztes Wort, »solche Hunde gibt es nicht in Berlin, und mag es sonst auch alles dort geben.« – Jetzt erblickte der Schuster unsern photographischen Apparat, und kaum, daß wir erklärt hatten, was das sei, stand die ganze Gesellschaft Pose; eine junge Frau, die ihr Kind säugte, wurde galant nach vorn gelassen; hinten erhob einer eine Katze, damit auch sie aufs Bild käme; wer ein Taschentuch hatte, ließ es im Winde wehen.

Aber wir kamen leider nicht zum Photographieren, denn plötzlich fuhr die Menge auseinander. Von hinten war ein Stadtpolizist erschienen, der, indem er fortwährend rief: »Largo! Largo!« ohne viel Federlesens mit seinem Stock auf die Menge einhieb. Ich wollte schon ärgerlich werden über diese Brutalität, aber die Leute lachten bloß und liefen unter ironischem Huhu! auseinander. Man nimmt, scheint es, hier die Polizei nicht tragisch, auch wenn sie Stockprügel austeilt.

Wahrscheinlich hatte der Mann mit dem obrigkeitlichen Knüppel uns für was äußerst Respektwürdiges gehalten, denn er salutierte auf ungemein feierliche Manier. Die Menge aber schrie: Evviva Berlino! der Jüngling mit dem Jagdhunde: Una Lira! Una Lira! die junge Mutter hob ihr Kind hoch, damit es uns ja noch einmal genau sehen möchte, und wir fuhren mit der Empfindung davon, daß wir diesen braven Leuten ein sehr angenehmes Gratisschauspiel geboten hatten. – Auf der Landstraße machten wir nicht weniger Sensation; die Bauern ließen alles stehen und liegen, um uns zu sehen, und schwenkten, was sich nur eben zum Schwenken brauchen ließ, hinter uns her. Oft gab es dabei wunderliche Anblicke. Der wunderlichste war dieser: Wir fuhren an einem parkartigen Garten vorüber und zwar, weil er sehr schöne Bäume hatte, die wir mit Muße betrachten wollten, ganz langsam. So kamen wir an eine offene Stelle in der Mauer, die nur unten durch dichtes Gebüsch abgeschlossen war. Da plötzlich – schläft hier der alte Pan? – erhebt sich hinter dem Grün ein ganz nackter Schmerbauch, stützt die Hände in die Hüften und lacht, lacht, lacht, daß ich glaube, der hin und her schwappende Bauch muß von ihm fliegen. Schade, daß der Dicke keine Hörner auf dem runden Glatzkopf hatte, – bis auf diese Bocksattribute war es ein vollkommener Faun. – Nackte Oberkörper sind hier übrigens nicht selten in freier Natur zu sehen. Viele Bauern tragen bei der Arbeit nichts als eine Hose. Bei unserm lachenden Faun wirkte der Anblick nur deshalb so mythologisch, weil die behoste Partie durch das Buschwerk verdeckt war. Kleine Jungen, bis etwa zum zehnten Jahre, tragen nichts als ein Hemd, das um die Hüften von einem Gürtel festgehalten wird. Alles Weibliche aber ist vollkommen envelopiert, nur, daß sich über dem Mieder nicht noch eine »Taille« befindet. Das wäre bei dieser Hitze aber auch zuviel des Guten. – Die Landschaft macht einen verschwenderisch fruchtbaren Eindruck. Die Straßen sind von herrlichen großen Bäumen eingefaßt. Aber es ist kein Garten, wie bei Sorrent, sondern Ackerland.

Zwischen Caserta, wo wir Mittagspause machten, und Capua kamen wir wieder in die Region des Staubes. Was hinter uns war, verschwand einfach, und wir selber sahen bald aus wie die Mühlknechte. Immerhin: was tuts? Es ist doch unbeschreiblich schön, durch diese Landschaft zu fahren, die nie auch nur eine Minute lang eintönig ist und von Kilometer zu Kilometer neue Reize zeigt.

Man spricht wohl gerne so im allgemeinen von »der« italienischen Landschaft. Die gibt es ebenso wenig, wie »die« deutsche. Sie ist überall anders. Nicht allein, daß die Lombardei landschaftlich ganz verschieden ist von Toskana, und Campanien wieder ganz anders, als der eigentliche Süden, nein, innerhalb der großen Landesteile selber ist eine unglaubliche Mannigfaltigkeit. Nur eines, leider, fehlt fast überall: der Wald. Den haben wir vor Italien voraus, ihn und die weiten, buschigen Wiesen. Denke ich hier an Deutschland, so heiß ich es: Das grüne Land.

Monte Cassino, die Gebetsburg des heiligen Benedikt, des Patriarchen der abendländischen Mönche liegt königlich. Dieser erste Mönch des Abendlandes, den alle Orden als ihren Erzvater betrachten, hat mit seiner Klostergründung ein Vorbild geschaffen für alle übrigen, und es darf wohl gesagt werden: sie ist nirgends erreicht worden. Freilich war es zu seiner Zeit wohl nur eine Felsenklause, und heute ist es ein Schloß, wie es nicht viele Fürsten besitzen. – Mit dem Automobil hinaufzukommen, ist nicht ganz leicht. Wir brauchten, da wir gerne langsam fuhren, fast eine Stunde. Wer möchte da auch hinaufjagen? Es ist unbeschreiblich, wie sich bei jeder Kehre die Landschaft unten erweitert und doch übersichtlicher wird. Nach allen Richtungen hin laufen schnurgerade Straßen. Man fühlt: dies hier ist lange Zeit der Mittelpunkt eines sehr großen Kreises gewesen.

Schon auf dem Wege und dann oben begrüßten uns mit den höflichsten Manieren der besten Erziehung ganze Scharen junger Kleriker und Institutszöglinge, und an der großen Pforte des Klosters bewillkommnete uns der Padre forestierajo mit vollkommenster Urbanität. Andre Herren des Klosters (Mönche zu sagen trage ich Bedenken, weil dies Wort einen schiefen Begriff gibt) kamen herbei und hießen uns gleichfalls willkommen. Wir schickten unsre Karten dem Abt und wurden bald eingeladen, uns zum Abendtisch zu begeben. Der war in einem netten kleinen Zimmer eines Seitenflügels, sauber gedeckt, einfach aber wohlhäbig anzusehen. Der Padre forestierajo erkundigte sich noch nach unseren Wünschen, sagte ein paar höfliche Worte über Deutschland und den Kaiser (den er den Gönner seines Ordens nannte), machte auch ein paar feine politische Anmerkungen über die Reise des italienischen Königs nach Petersburg und überließ uns dann der Bedienung eines tadellos servierenden Laienbruders, der uns ein einfaches aber vortrefflich zubereitetes Abendessen auftrug. Dann erschien der Pater wieder und eröffnete uns, daß, wenn die Signora, die nach den Regeln des Ordens nicht im Kloster selber übernachten dürfe, sich in dem für Damen außerhalb der Klostermauern errichteten Hause etwa ängstlich fühlen möchte, es mir unbenommen sei, auch dort zu übernachten, obgleich dies nicht ganz nach der Regel sei. Wir nahmen das freundliche Anerbieten dankbar an, erhielten es noch anheim gestellt, wann wir morgen zum Frühstück kommen wollten, und wurden dann mit der Laterne hier herüber begleitet, wo für gewöhnlich die Mütter der Zöglinge des Klosters bei ihren Besuchen übernachteten. Unser Führer und der Adlerwagen, der uns auch heute wieder Freude bereitet hat, da er ohne die geringsten Zündungsmucken über Berg und Tal rollte und überhaupt alle guten Eigenschaften einer kräftigen Konstitution an den Tag legte, die sich freut, nach langer Pause wieder ihre Kräfte zeigen zu können, dürfen beim heiligen Benedikt selber übernachten. – Ich würde Ihnen noch gerne vom Kloster selber erzählen, aber von Sorrent bis hier herauf, das heißt einen ganzen Tag gefahren sein, und so habe ich nur die Kraft, Ihnen noch gute Nacht zu wünschen.

Rom, den 4. Juli, im Hotel Continental.

Es war nicht leicht heute früh, von den gastfreundlichen Benediktinern in Monte-Cassino loszukommen, und wir haben uns gewissermaßen heimlich davon gemacht, indem wir es nicht darauf ankommen lassen wollten, daß wir doch noch zurückgehalten würden, wenn wir persönlich Abschied nahmen. Dieses ganz ungemein lebhafte Gastfreundschaft der Monte-Cassinesen gehört zu den Traditionen dieses ersten und obersten Klosters der Christenheit und wird gegen Jedermann geübt, aber sie äußert sich besonders stark dann, wenn es sich, wie bei uns, um Gäste handelt, bei denen man aus irgend einem Grunde eine besondere Anteilnahme an dem Ganzen oder einem Teilgebiet der klösterlichen Interessen voraussetzen kann. In uns erkannte man Leute, die sich für die Kunstübung des Klosters interessieren würden, und aus diesem Grunde brachte man uns mit dem ehrwürdigen Pater Desiderius zusammen, der, als jetziges Haupt der Mönchsmalerschule von Beuron, die er im Verein mit dem verstorbenen Pater Gabriel gegründet hat, das Geschäft der künstlerischen Ausschmückung der ältesten Räume des Klosters Sancti Benedicti leitet. Die Kunstschule der Beuroner Benediktiner, auf die auch der Kaiser einmal lobend hingewiesen hat, ist vor etwa dreißig Jahren gegründet worden, aber sie ist, wie es im Wesen einer mönchischen Anstalt liegt, kaum in die eigentliche Öffentlichkeit getreten, und ich gehe wohl nicht fehl, wenn ich annehme, daß Professor Muther ihrer in seinem Werke von der modernen Malerei nicht Erwähnung tut. Ich selber wußte von ihr bis heute so gut wie nichts, und ich muß gestehen, daß ich mir von dem, was wir von ihren Leistungen hier sehen sollten, nicht eigentlich einen Kunstgenuß versprach. Aber immerhin: Malereien heutiger deutscher Mönche im Hause des heiligen Benedikt auf Monte-Cassino, – das lockte mindestens als Kuriosität. – Pater Desiderius begrüßte uns in der Kirche, wo eben einem verstorbenen Mitgliede des Klosters das Totenamt gehalten wurde. In ihm trat uns ein ganz andrer Typus des Benediktinertums entgegen, als in den fast elegant zu nennenden gelehrten italienischen Klosterherren: auf einem breitschultrigen, ein wenig gebückten Körper ein prachtvoller alter bärtiger Apostelkopf entschieden deutschen Gepräges; die Bewegungen und Gesten langsam wie die Sprache, – ein breites gemütliches Deutsch. Der ganze Mann überhaupt ein grunddeutsches Gebilde, mich sogleich aufs Heimlichste anmutend. Seine bedächtige Ruhe und behagliche Sicherheit erinnerte mich an den werten Meister aus dem Schwarzwalde, unser lieben Hans Thoma. Nachdem er uns ein paar schöne Barockschnitzereien in der Sakristei gezeigt hatte, führte er uns an den Ort seiner Tätigkeit, d. i. in die aus des heiligen Benedikt Zeit stammenden Gewölbe, die, soweit sie nicht schon von den Beuronern ausgeschmückt sind, jetzt ihren Schmuck von ihnen erhalten. Dieser Schmuck besteht aus Fresken, flacherhabenen Bildhauerarbeiten und Mosaiken. Ich war überrascht. Diese mönchischen Künstler sind mehr als bloße Nachahmer alter Stile. Mit dem, was sonst heute in katholischen Kirchen als Kunst ausgegeben wird, haben sie nichts als den religiösen Gegenstand gemeinsam. Viel mehr berühren sie sich mit gewissen Richtungen der modernen Kunst. Sie sind primitive Stilisten, ja man kann sie, wenigstens was die Ornamente angeht, Symbolisten der Linie nennen. Dabei gehen sie weit hinter die christliche Zeit zurück, indem sie ägyptische Motive aus der allerältesten Epoche der Kunst dieses Volkes verwenden, aus der Zeit, in der, wie Pater Desiderius meint, dort eine reine Gottesverehrung bestanden hat. Dem sei, wie ihm wolle, sicher ist, daß diese in den Stein geschnittenen Linien keine Hieroglyphen, sondern klare und schöne Zeichen einer erhabenen Sinnesart sind, und daß sie außerdem einen sehr sicheren künstlerischen Geschmack aussprechen. So auch die Malereien, die echt dekorativ gedacht sind und eine weise Beschränkung in den Mitteln zeigen. Die Farbe entbehrt freilich des Reizes, den moderne Augen nicht mehr entbehren wollen, aber der strenge Stil der Zeichnung ist vortrefflich und stimmt aufs beste zu der Art, wie die heiligen Gegenstände hier aufgefaßt sind. Besonders interessant waren mir die Mosaiken. Einen Vergleich mit den Werken von Venedig, Torcello, Ravenna halten sie freilich nicht aus, aber sie fordern auch nicht dazu auf, denn sie streben eine andere, mildere Wirkung an, und es darf gesagt werden, daß diese Wirkung sehr harmonisch und fein ist. Am meisten gefielen mir vor allem anderen einige Flachreliefs, von denen ich sagen möchte, daß sie eine graziöse Frömmigkeit atmen. Woher hat dieser deutschstämmige Pater mit dem Urwaldbarte dieses Raffinement der zärtlichen Linien? Ist es die Madonnenverehrung seiner katholischen Frömmigkeit? Ist es dieser Spiritualismus des Mönches gegenüber dem Weibe? Genug, es ist derselbe holde Liebreiz der leisen Form wie auf den Gemälden der Primitiven von Siena. – Ich freue mich sehr, daß wir diese Werke sehen durften, und ich freue mich überhaupt dieses Besuches beim heiligen Benediktus. Karl der Große hat recht gehabt, wenn er, wie man ihm zuschreibt, dem Sohne Paul Warnefrieds zurief:

Alma Deo chari Benedicti tecta require:
Est nam certa quies fessis venientibus illuc.
     

Zu deutsch etwa:

      Kehr ein im holden Haus des gottgeliebten Benedikt,
Mit sichrer Ruhe wird der Müde dort erquickt.

– Erst um 11 Uhr kamen wir zur Abfahrt. Die Landschaft, die wir durchfuhren, hatte fast durchweg pathetischen Charakter: riesige Eichen als Chausseebäume, weite Felder, großzügiges, nur leider, wie überall, waldloses Gebirg. – Einem reitenden Mönch, dem wir begegneten, bereiteten wir arge Beschwerden, wodurch aber uns ein schöner Anblick wurde: das Pferd ging mit seinem bekutteten Reiter wild durch, die Kutte blähte sich sehr malerisch auf, der Mönch flog wie ein angebundenes Gestell hin und her, bis endlich das ganze phantastische Bild in einem Straßengraben verschwand, – doch war zum Glück nichts passiert, denn wir sahen Roß und Mönch heil aufstehen.

Wundervoll liegt Frosinone, von wo aus wir eigentlich nach Tivoli wollten, aber man schilderte uns den Weg übers Gebirge als gar zu abenteuerlich steil. Also zogen wir es vor, auf ebener Straße zu fahren, und so gelangten wir, in einem sehr raschen Tempo, durch die Campagna, deren großartige Schönheit uns erst heute richtig aufging, glücklich und schnell zum zweiten Male nach Rom, wo wir indessen diesmal nur übernachten wollen.

Wenn Sie Ihre erste größere Automobilreise unternehmen (an der ich nicht zweifle), rate ich Ihnen, es zu tun wie wir, und Italien zum Ziel zu wählen. Auch sollten Sie dann, gleich uns, im Sommer reisen, wo man die herrlichen Straßen ganz für sich allein hat und sicher ist, keinem andern Automobil zu begegnen. Wegen des Staubes ist das ein recht angenehmer Umstand, wie denn, glaub ich, in künftiger Zeit, wenn das Reisen im Automobil die Regel sein wird, diese Art des Reisens nicht mehr ganz so schön sein dürfte. Viele Automobile hintereinander, – ich danke!

Also, lieber Herr vom Rath, entschließen Sie sich schnell, ehe sich Alle entschließen!


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