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I.
Naturgesetze.

Die Natur! – Ein Großes! – Zuerst unsre Mutter, in der wir leben, weben und sind; ohne die wir uns selber nicht denken können, außer der kein Sein noch Dasein. Was der feuchte, warme, fruchtbare Boden dem Samenkörnchen, was das mit Nahrungsstoff erfüllte Meerwasser dem Fischlein, ist uns diese uns umgebende, tragende, ernährende Natur. Ihr entnehmen wir unsre Seeleneindrücke und die Bilder unsres Denkens und unsrer Sprache; und unaufhörlich, zart und still und leise regt sie uns an. Wie dunkel und undenkbar unser Leben ohne diese Natur, wenn's überhaupt noch ein Leben zu nennen wäre!

Auch ein Rätsel ist diese Natur, uns zum Sinnen und Fragen, zur Wahl und Qual gegeben. – Was wollt ihr mir, ihr Alpengipfel, die ihr so scharf, so rein, wie ein Kupferschnitt und Lichtdruck von Gotteshand in die kühle Morgenluft emporragt, hoch über unsern Hader, unsre Erbärmlichkeit und unsern Jammer erhaben; die ihr Abends in unheimlich schöner Glut entbrennt, und dann ergrauet, wenn der kalte Nebel aus dem Thal steigt, und erbleicht wie ein Menschenantlitz, über das der Tod herauszieht? Führen Granit und Dolomitenkalk auch eine Sprache; trauern und jauchzen auch Schnee und Gletscher, die Luft und der Lichtstrahl? – Was willst du mir sagen, Natur, so lautlos und so mächtig?

Traue nicht dieser Natur! – Es lächelt das Meer so heiter; lieblich unschuldig kosen die kleinen Wellen mit den glänzenden Kieseln; sorglos fahren die Fischer ab; und versenken weit von der Küste ihre Netze in die Tiefe. Aber es überspinnt sich der Himmel wie mit Spinngeweben; es fängt der Wind an zu seufzen und zu stöhnen und zu pfeifen durch die Takelage. Noch beachten sie es nicht, denn sie müssen das Brot ihrer Familie mühselig und langsam aus der Tiefe winden; doch dunkler wird's am Himmel; da braust die Bö daher; gellend, ohrzerreißend schreit der Sturm, das Meer rast und schäumt und heischt sein Opfer; umsonst ist der Kampf, die Anstrengung und die Kraft der Fischer, und erschöpft, schon halbtot, versinken sie, mit bleichen Zügen und ausgestreckten Armen, den offenen Mund voll Salzwasser, unter den schwarzen Wogen, die sich schäumend über sie schließen. Und am nächsten Morgen lächeln wieder das Meer und der Himmel; die Wellen kosen lieblich und spielen mit Schiffsplanken oder einer Leiche am Strand. – »Stark ist Ägir, der Riese,« sangen vom Meer die Skandinavier, »und doch froh wie ein Kind; aber seine Gemahlin, die böse Ran (der Raub), das Weib ohne Herz, fängt die Menschen mit ihrem Netz; ihr entgeht niemand, und die Ertrunkenen gehören ihr an!« – Wiege, Boot und Sarg war dem Urmenschen der ausgehöhlte Einbaum, und uns alle wird einst das Meer ans Ufer spülen, ein Wrack, ein totes Seetrift.

Und auch der schönen Alpenwelt traue nicht! – Du bewunderst die Aussicht, atmest mit Wonne reine Bergluft und fühlst dich eins mit dieser herrlichen Natur; – du willst ein Blümlein pflücken, eine Gentiane oder ein Edelweiß; aber … du gleitest aus, fällst, und mit gebrochenen Gliedern liegst du da, – mußt hilflos, verlassen, langsam sterben! – Und doch erglühen gleich schön die Gipfel, und ein paar Fuß über dir blüht eine prächtige Alpenrose; am klaren Himmel segeln die Wölkchen gleichgültig weiter; und diese ganze schöne, große Natur fragt nichts nach dir und deiner Qual! – Doch kannst du beten zu dem, der über dieser Natur steht, und antwortet Er: »Heute wirst du mit mir im Paradiese sein!« so ist es genug.

So ist diese Natur eine Sphinx mit lächelndem Frauenantlitz und großen leuchtenden Augen; mit nährenden Mutterbrüsten und grausamen, zerfleischenden Krallen; liebkost und zerreißt uns, erzieht und ernährt uns und will uns vernichten; ist weise und blind, gütig und taub unsern Bitten; liegt so klar und einfach und durchsichtig da, und ist so unerforschlich; so harmonisch und so voll Widersprüche; ist so zweckmäßig und ist nicht, wie sie sein soll.

Diese Natur ist eben ein Dreifaches. Weil das All in Gott lebt, webt und ist, und weil dieses stete göttliche Denken nicht wie das sich zu einem Bilde oder Werk versteinernde menschliche ein totes ist, so ist diese Natur zum ersten von einem göttlichen Geist des Lebens und der Freude durchweht, welcher bewirkt, daß das Dasein, das Existieren des Krystalles und des Sternes, der Blume und des Baumes, des Adlers und des Löwen schon an sich eine Freude ist, und ebenso von einem Geist der Liebe, der ein Wohlwollen der Wesen zu einander und ein fröhliches Beisammensein des Schmetterlings und der Blume, des Vogels und des Baumes, eine Mutterliebe des großen Wals und eine Freundschaft des wilden Elephanten zu seinen Gesellen bewirkt; von einem Geist der Zweckmäßigkeit, ohne den das Weltall in den ersten Stunden seines Daseins zusammen- und auseinanderfallen müßte.

Weil aber einst ein großer Riß im All geschah und Legionen von Engeln und Erzengeln, Satans Ruf folgend, auf ewig die Himmel verließen, so spiegeln sich die Folgen dieser gigantischen That in dem Stückchen des Alls, das wir bewohnen; und durch diese unsre Natur geht auch ein Hauch der Zwietracht, des Grimms und des Verderbens. – Einst lebte in der schönen, großen Natur der oberen sinaitischen Halbinsel ein sehr gerechter Mann, der wie kaum einer das prächtige, gesetzliche Denken Gottes in seiner Schöpfung verstand und bewunderte. Er lebte und webte und war natürlich göttlich in und mit dieser göttlichen Natur, mit seinen Söhnen und Töchtern, seinen Dienern und seinem Vieh, und ward groß und reich und glücklich vom Segen Gottes. – Aber es trat der Ankläger, der Ungerechte, der stets Gerechtigkeit für andre fordert, vor den Ewigen und reizte Ihn, diesen Mann zu verderben kraft Seiner Gerechtigkeit; denn auch dieser Hiob war Staub und Asche. Da bekam der Fürst dieser Welt und Prinz der Luft und der Geister die darin walten, Erlaubnis zu toben in dieser Natur, und Orkan und Erdbeben und Feuer Gottes brachen los und verzehrten Hiobs Kinder und seine Herde.

So ist die Natur von Gottes Geist durchweht und belebt, aber auch von Satan durchgeistet, daher die Mühsal und der Kampf und die Unbarmherzigkeit.

Aber unter diesem Kampf der Geister, wenn auch von ihm oft verhüllt und verdeckt, liegen unbeugsame, ewige, weil göttliche Gesetze. Wie der Finsteraarhorn majestätisch, unbeweglich, vom Sturm unentwegt, gleichviel ob heller Sonnenschein ihn lieblich umstrahlt, oder ob Nebel ihn verhüllt, oder ob er schwarz und drohend inmitten der Sturmwolken, die sich an ihm brechen, steht, so bleibt trotz dieses steten geistigen Wetterwechsels in dieser und über dieser Natur ihr Knochen- und Felsengerüste, das Gesetz, ewig fest.

Kaum fallen wir in diese Welt hinein, so besteht unsre Existenz aus einem steten Sichanpassen diesem Gesetz; den Gesetzen des Seins und des Daseins, der Zeit und des Raumes, der Körper und des Geistes, des Festen, des Flüssigen und des Luftigen, der Wärme und der Kälte, des Falles und des Gewichtes, des Wachsens und Zunehmens, der Ernährung und des Stoffumsatzes, des Wachens und des Schlafens und andern noch; wir bewegen kein Glied, öffnen nicht den Mund noch sprechen ein Wort, ohne zahllose Gesetze zu erfüllen. Im Gesetz allein ist und besteht alles Leben auf der Erde und im Himmel; denn das Gesetz, das ist Gottes ewiges Denken. Wie auf Erden nichts Schöneres als das Denken großer und guter Männer, so im Weltall und in den Himmeln nichts Schöneres als dieses treffliche, absolut weise, gerechte Denken Gottes, wie es sich in der Schöpfung aussprach, in Luft und Wasser, Berg und Thal, Meer und Land und Pflanze und Fisch und Vogel, Tier und Mensch; davon Gott selber sprach: es ist sehr gut! und wie es fort und fort in der ganzen Natur fortklingt. – Bewunderst du in stiller Betrachtung die majestätischen, erhabenen Alpenkolosse mit kühnen Formen, mit schneeigem Mantel, so bewunderst du das majestätische, erhabene, kühne Denken Gottes; Granit und Kalk allein thäten's nicht; ebensowenig wie im Ocean die bloßen Tropfen aus Sauer- und Wasserstoff. Stehst du staunend vor dem brausenden, schäumenden, donnernden Wasserfall oder vor den goldenen und purpurnen Wolkenpalästen des Sonnenuntergangs, so stehst du vor Gesetzen der Kraft und der Schönheit und der Farbe, vor kräftigen, schönen und farbigen Gedanken Gottes. – Und weil dieses Denken des Einigen Gottes eins ist, so ist diese Natur so harmonisch, so aus einem Guß; so stimmen diese Gesetze so schön zusammen zu einem großen Accord des Weltalls.

*

Es steht nun dem Menschen frei, wie er sich zu dieser Natur und ihren Gesetzen stellen will; und diese seine Stellung zu derselben wird auch der erste Schritt sein zur Stellungnahme gegenüber dem Schöpfer dieser Natur und Geber dieser Gesetze. Hier schon wird es sich zeigen, ob er zu der regierungsfreundlichen oder zur Oppositionspartei gehört, diesen zwei einzigen Fraktionen im großen Reichstag.

Mit dieser Stellung zur Natur meinen wir zunächst nicht eine mehr auf der Oberfläche liegende heutzutag immer häufigere Liebhaberei für die Natur. – Zwar ist der heutige Naturschwärmer meist ein grundehrlicher Mann, wie er mit kräftigem Naturstock bewaffnet, von seinem Hund begleitet, durch Wald und Flur sich ergeht, einem Schoppen unterm grünen Baum nicht abhold, und dann schön von der natürlichen Lebensart und Kaltwasserkur predigt; ist zwar selten ein Genie, aber fast immer ein recht gutmütiger Mensch und Tierschutzvereinler, hat einige Schrullen und eigne Gewohnheiten, versteht selten die Kunst, ist nicht persönlich mit der Wissenschaft bekannt und taugt nicht an den Hof. Aber bei aller Gutmütigkeit und Wohlwollen gegen Tier und Pflanze wächst er doch gewöhnlich auffallend langsam am inwendigen Menschen, und nach zehn und zwanzig Jahren kannst du ihn noch wie leiblich, so auch geistig auf derselben Bank am Lieblingsplätzchen sitzend, finden. – Die »schöne Natur« allein thut's nicht.

Daß Dichter und Künstler für die Natur und von ihr begeistert sind, ist allbekannt. Der Krieger dagegen, der von der Idee der eignen Macht und Gewalt erfüllte Feldherr, pflegt weniger für sie zu schwärmen; die Schönheit eines coupierten Terrains oder gar einer Gebirgslandschaft schätzt er nur als zur Verteidigung günstig, zum Angriff hinderlich; sowie Alexander und Cäsar beim Alpenübergang, so mögen ebenfalls Hannibal und Bonaparte sich dieselben Alpen ganz anderswo hin gewünscht haben. – Was auffallender ist, selbst Weltweise bewundern mitunter die Göttin Natur nicht gehörig. So soll Sokrates sich über sie in unpassender Weise dahin geäußert haben: vom Spazierengehen und Bäumeansehen werde man nicht gescheiter! Aber der gute Alte war bei aller Weisheit ein geborener Athener und hatte somit etwas von einem Berliner Bummler und badaud de Paris an sich, denen es bekanntlich in der ganzen Welt »Unter den Linden« oder auf dem boulevard des Italiens am besten gefällt. Auch Kant soll sein lebelang nie über die Königsberger Gemarkung hinausgekommen sein. – Es ist eben schön, wenn man am Schreibtisch Welt und Mensch konstruieren kann und nicht, wie wir gewöhnliche Sterbliche, um sich eine Weltanschauung anzuschaffen, sich diese Welt zuerst anzuschauen braucht.

Charakter und Seelenleben des Menschen bezeichnet, wie zu erwarten, sein Behagen der Natur gegenüber und seine Behandlung derselben. Mit dem Mann läßt sich leben, bei dem alle Blumen gedeihen, der Amseln im Schnee füttert und der Schlingpflanze hilft am Pfahl hinaufzuranken. Dem aber, der gleichgültig das Würmchen oder den flügellahmen Schmetterling unter dem Absatz zertritt, traue nicht, Mädchen! er würde auch dich zertreten. Der Mann, der die schöne rankende Passiflora und die blaue Clematis liebt, versteht auch die Frau. Der, dessen Lieblingsblume die Rose oder das Veilchen, wird sich eine andre Braut suchen, als der Liebhaber des prächtigen originellen Kaktus oder der fremden Orchidee. – Auch ein Gesetz!

Bei gänzlich dem Bösen verfallenen Menschen dagegen kommt oft eine grauenvolle Zerstörungswut zum Ausbruch, die an allem Lebendigen und Natürlichen ihr höllisches Feuer kühlen möchte, am Kinde und an der Blume, am unschuldigen Tiere und am Bäumchen im Walde. Wie Gott, ist ihnen auch das Werk seiner Hände, seine Schöpfung, in der Seele verhaßt, ihr Anblick schon eine Qual. Welch ein Gericht und logisches Gesetz des Prinzips, dem sie dienen!

Die Natur kommt zwar heutzutag mehr als früher zur Geltung; die erschreckende Zunahme der Nervenleiden- und Seelenschwäche, dieser Kulturkrankheiten, als Resultat eines unnatürlichen Lebens zwingt uns, in der Natur Heil zu suchen. Aber wir thun es meistens nur einseitig; der eine meint, Barfußgehen sei das Richtige; ein zweiter will nur kaltes Wasser; der dritte nur warmes; ein vierter schwärmt für frische Luft und ein fünfter für Tannenausdünstung; ja ein sechster führt gar im Zimmer an allerlei Maschinen Rudern und Bergsteigen aus! Einem solchen Karikaturist der Natur möchte man empfehlen, seine Bergsteigbewegungsmaschine zuerst auf den nächsten Hügel zu tragen, um wenigstens in reiner, staub-, rauch- und bacillenfreier Luft seine Manipulationen vorzunehmen.

Leben wir in der ganzen Natur und lassen wir alle ihre Kräfte auf uns einwirken! sie sind alle heilsam und gesund.

Doch zwei gewaltige Quellen der Kraft und der Gesundheit sind es vorzugsweise, von denen einigermaßen zu hoffen ist, daß sie, besser erkannt und gewürdigt, unsre Nachkommenschaft vor gänzlicher Enervation schützen werden: die Sonne und das Meer.

Daß die Sonnenstrahlen Leib und Seele, weit mehr noch als die Kälte, stärken und stählen, wissen die meisten Menschen nicht, meiden dieselben und schützen sich ängstlich davor. Und doch zeigt die ganze Pflanzen- und Tierwelt, wie wohlthätig, kräftigend und belebend, ja unentbehrlich Sonnenlicht und Sonnenwärme sind. Aber auch die Weltgeschichte! Was haben die sonnendurchglühten Völker von jeher ausgerichtet, sie die wahre Blüte der Menschheit, die Säulen der Weltgeschichte, die Ägypter und Assyrer, die Juden und Babylonier, die Griechen und Römer mit ihren Weltreichen und Weltstädten, Memphis, Ninive, Babylon, Athen und Rom, mit ihren Pharaonen und Cäsaren, mit den vier Weltmonarchien und Nebukadnezar, dem goldenen Haupt; mit ihren Patriarchen, Propheten und Aposteln, ja Christus selbst; wie Gott auch den Garten Eden und später das gelobte Land und Jerusalem, seine geliebte Stadt, in den sonnendurchglühten Süden, nicht in die dunkeln Wälder des Nordens verlegte.

Die Sonne des Südens, indem sie das Leben im Freien ermöglicht, befördert ein natürliches Sein, weshalb jene sonnenhaften Völker allein es dahin brachten, klassisch und natürlich zu sein. Denn das Klassische ist ein klares, helles Erkennen des Gesetzes, mit Ausschluß des Häßlichen als eines Gesetzlosen; das Romantische oder der Naturalismus ein Photographieren sämtlicher Erscheinungen, an denen der Geist hängen bleibt und vor Gestrüpp den Felsen nicht mehr sieht. Daß je weiter nach Norden, so schon in England, Holland, Norddeutschland, das öffentliche vom Privatleben, die Sprache der Wissenschaft von der Umgangssprache, das Klassische vom Alltäglichen, die Kunst von der Natur und das Gesetz von der Erscheinung sich immer weiter trennen, ist auffallend. Vergleiche Sophokles und Shakespeare, Zeus und Odin, die Odyssee und die Edda. Und auch deshalb trägt der Mensch des Südens soviel leichter am Elend des Daseins.

Und jetzt noch steht, was Ausbildung der leiblichen Kräfte und Sinnen betrifft, der Araber, dieser Bewohner der heißen Wüste, obenan. Mit Muskeln von Eisen trägt er mit Leichtigkeit halbe Stunden weit und durch tiefen Sand vier bis sechs Centner; seine Stimme reicht bei Windstille über das Meer von Akkaba; sein vom glühendweißen Licht – denn das Auge ist für das Licht geschaffen – nicht geschwächter, sondern geschärfter Falkenblick unterscheidet zwei bis drei Stunden weit in der Sahara ein Pferd von einem Kamel, was ein französischer Reisender mit seinem guten Glas nicht vermochte. Im Bewußtsein seiner Kraft wagt er allein und vollzieht unermüdet einen vieltägigen Dromedarritt von Timbuktu nach Kairo, quer durch Afrika! Dabei ißt er wenig, trinkt nur Wasser und mäßig (bei Karawanen rechnet man auf den Europäer fünf Liter täglich und nur eineinhalb auf den Araber); trinkt seinen Kaffee in walnußgroßen Täßchen und schaut stolz und verächtlich auf den schwächlichen und verweichlichten Europäer. – Denn im Gegensatz zur Kälte, die, wie an Eskimos zu sehen, viel Nahrung voraussetzt, gehört zur Umsetzung der Sonnenwärme in Kraft durch den menschlichen Organismus, und das beweist ihre Vorzüglichkeit, nur ein Minimum von Stoff. Wie mäßig lebten die Griechen in ihrem wenig fruchtbaren, sonnverbrannten Lande und auf ihren Felseninseln; aßen Honig und Oliven, etwas Gemüse und Fisch; Fleisch fast nur bei Festen und Opfern, eine Mäßigung, auf die Curtius mit Recht ihren Schönheitssinn, ihre elastische Lebens- und Geistesfrische zurückführt. Und jetzt noch heißt es auf der Insel Samos: »Eine Handvoll schwarze Oliven ernährt einen Riesen.« – »Wo die Sonne nicht eingeht,« sagt das italienische Sprichwort, »geht der Arzt hinein;« denn die alles befruchtende und belebende Sonne tötet dagegen Bacillen, verhindert die Fäulnis; ihre heißen Strahlen desinfizieren wie das sorgenvolle Gemüt so auch kräftig Zimmer und Kleider der Kranken und heilen schnell die ihnen ausgesetzten Wunden; und nirgends ist die Luft so rein und gesund wie in der glühenden Sahara.

Wie Rußland im majestätischen russischen Winter, und der Nordpol mit seinen Eisbergen in der Größe der von phantastischen Nordlichtern beleuchteten Polarnacht gekostet und genossen sein will, so die Tropen- und Sonnenländer, so Griechenland, Italien und Spanien in ihrer ganzen Sonnenglut und Sonnenhitze und Sonnenstaub und Sommerschweiß und Sommerpoesie. Der Tourist, der sie im Winter sieht, hat sie nicht gesehen.

Auch die großartige leibliche und seelische Wirkung des Meeres wird immer mehr erkannt. Meerwasser mit seinem Salz und Jod, Meereswellen kräftigen unglaublich den ganzen Organismus, Meeresluft erfrischt das Gemüt, Meeresanblick beruhigt; läßt uns empfinden, wie gar unfrei wir, wie klein und kleinlich unser Sorgen und Arbeiten, wie wir selber nur kleine, bald verschwindende Wellen auf dem Ocean der Zeit sind.

Aber auch hier heißt es: selber mitmachen, schwimmen, fischen, rudern, segeln; und auch aushalten im Wind und Wetter, nicht vor jeder Regenbö oder Salzspritzer gleich ins Kurhaus flüchten und dort die Zeit mit Rauchen und Kartenspielen totschlagen! – Auch eine Nacht im Boot schadet nichts! Ein Mann freut sich des Sturms und liebt es mit ihm zu kämpfen. »Es gibt,« sagt Ruskins, »kein schlechtes Wetter, sondern nur verschiedene Arten von gutem Wetter.« Besonders ist selbständiges Segeln eine äußerst gesunde und dabei anziehende Leibes- und Geistesübung; wird auch von vielen immer leidenschaftlicher in England, Frankreich, Norddeutschland getrieben. Hoffentlich findet man bald an jedem Bad- und Seeplatz mietbare Einhandcatboote, die mit mäßigem Gaffel- oder Luggersegel unsinkbar und praktisch unkenterbar gemacht, je nach der Küste mit Schwert oder festem Kiel versehen, schon mit geringen nautischen Kenntnissen und kurzer Übung manövrierbar sind und sich ausgezeichnet zu kleinen Spazierfahrten und auch zum Wettsegeln bei nicht zu stürmischem Wetter eignen. – Wer so ein schmuckes, ihm allmählich vertraut gewordenes Bootchen allein in mehrstündigem Kampf mit Wind und Wellen glücklich, vielleicht durch Klippen oder Sandbänke in den Hafen gelotst hat, ist zwar noch kein Seemann, hat aber immerhin Leib und Seele kräftigende Genüsse erlebt, wie sie einer »Landratte« unbekannt bleiben. – Wirken auch andre Ursachen mit, so trägt doch sicher das Meer, sein Befahren und sein Sport dazu bei, daß im meerumspülten England die mittlere Lebensdauer achtunddreißig Jahre, im durchaus kontinentalen Sachsen dagegen nur zwanzig Jahre beträgt!

Frei und beweglich und zum Weltbürger macht das Meer auch das Volk, das an demselben wohnt; so einst die Griechen und Phönizier, die Perser und Assyrer, so jetzt noch den Engländer dem Deutschen und Russen gegenüber. Mächtige Flotten sind Flügel einem Reich, ermöglichen seine Expansion, geben ihm Fühlung mit dem Erdenrund, sind auch ferntönendes Machtwort. – Wünschen wir dem Deutschen Reich eine kräftige Flotte!

*

So sieht uns diese Natur an und ruft uns zu: Seid auch ihr natürlich! Seid natürlich, nicht nur weil ihr euch dadurch das schon so schwere Leben erleichtert, weil ihr dann andern besser gefallt und es euch selber wohler ist; nicht nur, weil ihr und eure Kinder dadurch gesünder bleibt; sondern weil ihr damit Gott gehorcht, der uns in dieser Natur geschaffen hat, um darin natürlich zu leben; weil die Gesetze dieser Natur einen geistigen Grund und Hintergrund haben, und wir nicht im Geringsten unnatürlich sein können, ohne in die Lüge zu geraten. Unnatürlich ist alles Böse und die Hölle, natürlich das Gute und die Himmel. – Natürlich sein ist nicht, wie die Wahl einer einfachen Toilette, Geschmacksache; es ist eine Pflicht, deren Verletzung sich am Menschen unerbittlich straft.

Aber um Weisheit aus der Natur zu ziehen, muß sie als die Frucht des göttlichen Denkens erkannt werden, nicht als ein Unbedeutendes, uns zum Spielen nur und zum Genießen gegeben; sondern als ein uns Überlegenes und Lehrreiches. So lehren auch alle Religionen die Achtung vor dieser Natur, ihre schonende und ehrende Behandlung, die Beachtung ihrer Gesetze, und die Scheu dieser Natur zuwider zu handeln. So spricht die Bibel: »Wohl dem Menschen, der Weisheit findet, denn sie ist besser denn Silber und Gold und edler denn Perlen, langes Leben ist zu ihrer rechten Hand, zu ihrer linken ist Reichtum und Ehre.« – Und fügt hinzu, um zu zeigen, woraus der Mensch diese Weisheit zu schöpfen habe: »Denn der Herr hat die Erde durch Weisheit gegründet, und durch seinen Rat die Himmel bereitet. Durch seine Weisheit sind die Tiefen zerteilet und die Wolken mit Tau triefend gemacht.« So predigt das ganze Buch Hiob, und Gott selber am Schluß desselben, daß der Mensch zuerst die Schöpfung sich ansehen müsse, um daraus die Gesetze seines Daseins, die ungeheure Größe, Macht und Weisheit des Schöpfers und seine durchaus untergeordnete Stellung zu demselben zu erkennen, als Bedingung, ehe er einer direkten Offenbarung dieses Gottes gewürdigt werde.

Laßt uns natürlich sein! Vor allem in unsrer Frömmigkeit und Gottesfurcht! Der Mensch verzeiht es schließlich seinem Mitmenschen, wenn er am Hof oder als Festredner, in einem Toast oder Nachruf, auf dem Theater oder in einer Leichenrede es nicht fertig bringt ganz wahr und natürlich zu bleiben; in der Religion aber kann er nichts Künstliches und Unnatürliches ertragen; dazu ist sie ihm zu gut und zu hoch, und die Verachtung, die der fromme Heuchler auch dem Gottlosen einflößt, ist ein beredtes Zeugnis von der verborgenen Achtung, die er für wahre und echte Religion empfindet. Das verwünschte Kopfhängen, das schon zu Jesaias Zeiten Mode war, und schon damals Gott so mißfiel (Jes. 53, 8), der salbungsvolle gemachte Ton vom lieben Heiland, als ob man nicht von seinem Herrn und Gott frisch und natürlich reden könnte, haben schon dem Christentum mehr geschadet, als manche tüchtige Sünde der Christen. – Wer hat dagegen nicht schon bemerkt, wie ältere und bewährte Christen natürlich sind und werden; denn wahres Christentum macht natürlich. So ein alter Christ ruht von der Phrase und von der Kunst, vom Fieber der Stadt und ihrem vielfachen Wahn und Konventionsleben, vom Gewinn und von der nagenden Sorge aus, liebt wieder die Natur, das Licht und das Wasser, die Blume und das Kind, versteht den Mann des Volks und das Haustier; er fühlt in sich die Anfänge einer ewigen, naturgemäßen Jugend. Seine Gottseligkeit ist ihm in Fleisch und Blut übergegangen, der Glaube und die Zuversicht des ewigen Lebens schimmert durch seine Züge und hallt in seiner Stimme nach, auch wenn er von Gleichgültigem redet; aber auch ohne Absicht, ohne Anstrengung, ohne besondere Stimme und Tonfall, wenn er von ewigen Dingen spricht. – Denn immer ist es der Anfänger, welcher glaubt, überall Nachdruck anbringen und jedes Wort unterstreichen zu müssen. – Der vorgeschrittene Jünger läßt die Wahrheit selber reden; er weiß, daß sie seiner und seiner Kunst nicht bedarf.

Nie gab es einen natürlicheren Menschen als den Heiland. Wie hätten wir uns, als Er nach seiner Auferstehung mit seinen geliebten Jüngern am einsamen Strande des Sees Genezareth in früher Morgenstunde wieder zusammentraf, auf ein Wiedersehen à la Klopstock gefaßt gemacht, voll Rührung und wonnigen Thränen und ergreifenden Ansprachen des Herrn. – Aber nichts von allem. – Er fragt sie: »Kinder, habt ihr wohl etwas zu essen?« – Und als sie es verneinen, spricht er: »Werfet das Netz auf die rechte Seite des Schiffes, und ihr werdet finden!« und darauf: »Kommt her, frühstückt!« und ißt schweigend gebratene Fische und Brot. – Aber – Wonne war es doch, auch ohne Worte, wieder bei Ihm zu sein. – Einst werden wir uns darüber wundern, wie natürlich das Leben im Himmel ist.

Ist unsre Religion einfach und wahr, so wird es auch unser ganzes Leben sein. Wir werden natürlich, also zweckmäßig und weise sein im Essen und Trinken, in der Kleidung und in der Wohnung, in der Familie und in der Gesellschaft. Wir werden unsre Kinder natürlich erziehen, also mit rechter Anwendung am rechten Platz von den zwei großen schweren Wörtchen: Ja! und Nein! werden streng sein gegen die Gifte der Kinderseele: Ungehorsam vor allem, Lüge, Neid, Hochmut; duldsam dagegen für zerrissene Hosen, fehlende Schuhbänder, zerzaustes Haar und nicht ganz saubere Händchen, werden sie nicht für den Salon, sondern für das Leben und für ihre Mitmenschen erziehen. Machen wir Männer aus ihnen, so wird der innere Gehalt ihnen die äußere Form schon geben; der rechte Mann ist immer salonfähig; ja der Salon muß froh an ihm sein.

Laßt uns natürlich sein in der That und in der Rede und den Mut haben, ja, aber auch nein zu sagen und zu dem, was wir sagen und schreiben, ganz und mit vollem Namen zu stehen, kurz den Mut, wir selber zu sein und so herumzulaufen, wie Gott uns geschaffen hat, denn Natürlichkeit und Wahrheit ist ein und dasselbe.

Weil alles Sein nur im göttlichen Gesetz möglich ist, so läßt sich die ganze Religion, das Verhältnis des Geschöpfes zu Gott mit dem einzigen Wort ausdrücken: Gehorsam dem Gesetz. Wir sind Gottes Kinder; das Gesetz des Kindes ist Gehorsam; wie vom Jesuskind nur berichtet wird: »Er war ihnen unterthan!« Wie alles im All in drei Graden, Positiv, Komparativ und Superlativ existiert, so muß der Mensch, wie jedes in die Welt kommende Kind, diesen Gehorsam lernen, erstens an den und in den für die gesamte Menschheit allgemein gültigen und allgemein gefaßten Gesetzen der Natur, ob Wilder oder Civilisierter, Christ oder Gottloser, und nimmt zunächst an seiner Leiblichkeit Schaden, wenn er es nicht thut. Zum zweiten soll er einen höheren Gehorsam an einem höheren Gesetz der Seele im Gesetz des Sinai lernen, mit den Verboten: » Du sollst nicht«, den lebendigmachenden Geboten: » Du sollst Gott von ganzem Herzen lieben und deinen Nächsten wie dich selbst,« und mit der unerbittlichen Strafe: »Die Seele, die dieses nicht thut, soll ausgerottet werden.« Will aber der Mensch diesem Gesetz gehorsam sein, so merkt er alsbald, daß er es nicht kann. – Dann entsteht das Bewußtsein der Sünde (Röm. 4, 15) und das Sühnopfer tritt ein, ein tröstendes und hinweisendes Symbol. – In Erfüllung des Gesetzes der göttlichen Zeit tritt endlich Christus in die Welt als Vermittler zwischen Gesetz und Sünder ein; » Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit Ihm selber.« Denn wer oder was könnte mit ihrem Schöpfer eine abgefallene Welt, die durch diesen Abfall alle Kraft wieder zu Ihm zurückzukehren verloren hat, versöhnen, als dieser Gott allein? – Dieser Jesus Jehova nun spricht das höchste Gesetz, den Superlativ des Geistes aus: Ihr habt gehört, daß … Ich aber sage euch … und Strafe dieses, Leib, Seele und Geist betreffenden Gesetzes, ist ewiges Verderben des ganzen Menschen, an Leib und Seele und Geist.

Wie wunderbar, daß dieser Geist, der freieste der freien, der hinweht wohin er will, sich selbst Gesetze schafft, die er nimmermehr übertritt, ja in denen und kraft deren er groß und mächtig wird! Und wie thöricht ist dagegen das Gebahren der Geistlosen, die ohne Gesetz stark und groß und frei sein wollen!

Warum ist am Mann Kraft, am Weib Anmut, am Kind Unschuld und Gehorsam, am Wasser das Fließen und Sprudeln und Schäumen und Perlen, am Licht der Glanz, am Feuer das Verzehren so schön? – Weil das die Gesetze ihres Daseins sind; ja das Licht ist nichts andres als die Sichtbarkeit des Leuchtens, das Feuer des Verzehrens. »Das Schöne«, sagt Plato, »ist der Glanz des Wahren,« ein Wort, das in sich seinen Beweis führt. – Gesetz ist höchste Schönheit. So ist das Gesetz des Geschlechtes schöner als das schönste Weib, oder vielmehr die höchste weibliche Schönheit ist nur die Sichtbarkeit dieses göttlichen Gesetzes. Das Gesetz der Pflanze und der Blume ist schöner als jede Blume, denn das Gesetz ist ewig, die Blume ist vergänglich; das Gesetz wird mit dem Geist und im Geist angeschaut, die Blume nur mit den Augen des Leibes. – Wer das versteht, versteht auch wie in den Himmeln die ewige, körperliche, reelle, himmlische Natur ein ewiges Fest und Gastmahl für den Geist sein wird. – Wie soll es denn größere, tiefere, höhere Wonne für den Menschengeist geben, als in Gott, mit Gott zu denken? – Schon die alten Weisen hielten für höchste Seligkeit das Anschauen der ewigen Ideen in der Gottheit. Aber es fehlte ihnen die Offenbarung, daß diese Gottheit unser Vater ist und sein will in Christo, und daß dieser zuerst die Sünde sühnen will, die uns den Blick trübt für diese ewigen Schönheiten. – Dieses Sichversenken in die ewigen Ideen Gottes ist ein Vorbild von dem wonnigen, ewigen Anschauen seiner ewigen Sophia, von der Salomo, vom heiligen Geist inspiriert, spricht: »Jehova besaß mich im Anfang seines Weges, vor seinen Werken, von jeher. Ich war eingesetzt von Ewigkeit her, von Anbeginn, vor den Uranfängen der Erde. Ich war geboren, als die Tiefen noch nicht waren, als noch keine Quellen waren, reich an Wasser. Ehe die Berge eingesenkt wurden, vor den Hügeln war ich geboren; als Er die Erde und die Fluren noch nicht gemacht hatte, und den Beginn der Schollen des Erdkreises. Als Er die Himmel feststellte, war ich da; als Er einen Kreis abmaß über der Fläche der Tiefe; als Er die Wolken droben befestigte; als Er festigte die Brunnen der Tiefe; als Er dem Meere seine Schranken setzte, daß die Wasser seinen Befehl nicht überschritten; als Er die Grundfesten der Erde feststellte: da war ich Schoßkind und Künstlerin bei ihm und war Tag für Tag seine Wonne, vor ihm mich ergötzend allezeit, mich später ergötzend auf dem bewohnten Teile seiner Erde; und meine Wonne war bei den Menschenkindern.« »Glückselig der Mensch, der auf mich hört! Denn wer mich findet, hat das Leben gefunden. Wer aber an mir sündigt, schadet seiner Seele. Alle, die mich hassen, lieben den Tod.« (Spr. 8, 22-36.)

*

Sehen wir uns diese große Natur und ihre Gesetze an! – Sie gleicht einem majestätischen Bergkoloß, dessen Flanken mit unzähligen Gewächsen bedeckt, von unzähligen Wesen bewohnt, der sich immer kühner, immer höher erhebt, bis der hohe Gipfel in den Wolken verschwindet.

Das erste, das Grundgesetz, das sie uns zeigt, ist das der Zuspitzung nach oben, der Hinweisung auf ein großes Eins. Wie die Wassertropfen die Oceane, wie die Sandkörner den Berg, so bilden Tausende von Individuen eine Art, mehrere Arten eine Gattung, viele Gattungen eine Familie, die Familien alle ein Reich, die Reiche zusammen die Schöpfung. Und ein jedes weist auf ein Höheres, auf ein Primitiveres und Ursprüngliches, auf eine Ursache und eine Ur-Sache hin. Nichts ist bloß das, was man an ihm sieht. Selbst der Kieselstein erzählt: Ich bin das Produkt eines andern als ich, das Gemächte höherer Kräfte; ich bin nicht die Ursache, sondern die Wirkung, das Gewordene. – Wie alle Zahlen sich auf die Einheit zurückführen lassen, so alle Gesetze der Natur auf ein Gesetz, alle Erscheinungen auf eine Ursache, alle Kräfte auf eine Kraft, aller Stoff auf einen Stoff, alle Prinzipien auf ein höchstes Prinzip; das erkennt mehr und mehr der Naturforscher. Und selbst wo der Thatbestand ihm noch dunkel, ist es gesunde Philosophie anzunehmen, daß diese gesamte, sich wie eine Pyramide aufbauende Natur auf einen Gipfel und großes Eins, als Kraft aller Kräfte, Leben aller Leben, Ursache aller Ursachen sich zuspitzt. Dieser müssen wir den Vorrang vor allen, die Oberherrschaft über alle andern einräumen, sie also »Gott« nennen; wie schon der sterbende römische Philosoph ausrief: » causa causarum, miserere mihi!«

Diese Erkenntnis, diese Anschauung, diese Ahnung des Grundgesetzes der Natur ist der Grundgedanke, die Wurzel aller Religionen. Alle bestehen in dem Glauben, daß alles Endliche aus einem Unendlichen, alles Lebende aus einem Leben, alles Zeitliche aus einem Ewigen, alles Werdende aus einem Sein seinen Ursprung hat.

Freilich erklärt laut und dreist der Materialist, daß die Natur nichts von einem Gott wisse; daß er die ganze Schöpfung durchsucht und ihn nirgends entdeckt habe; ungefähr wie jener Arzt, welcher meinte, er habe schon viele Leichen seziert, aber noch nie die Seele gefunden. – Hoffentlich nicht! – Aber dieser Behauptung stehen die Zeugnisse von vielen der bedeutendsten Forscher gegenüber, eines Kopernikus, Newton, Kepler, Cuvier, Herschel, Liebig, Secchi, Faraday, Rob. Mayer u. a., die alle wie Linné ausrufen: »Wir haben die Fußstapfen des Schöpfers gesehen!« oder wie Liebig: »Die Naturforschung lehrt uns die Geschichte der Allmacht, der Vollkommenheit, der unergründlichen Weisheit eines unendlich höheren Wesens in seinen Werken und Thaten erkennen.« (Chem. Briefe S. 41.)

Nehmen wir einstweilen an, diese zweierlei Zeugnisse heben sich gegenseitig auf, so bleibt noch die ganze übrige Menschheit, deren Stimme doch auch etwas gilt. Denn wir gehören nicht zu jenen Vorkämpfern der Humanität und Vertretern der Menschenrechte, die die Darlegung ihrer Ansichten mit dem Beweis (?) anfangen, daß diese vom Affen abstammende Menschheit ungezählte Jahrtausende hindurch im Zustand tierischer Wildheit verharrt, und darauf, von Pfaffen verdummt und von Tyrannen geknechtet, bis dato ein erbärmliches Dasein geführt habe; nebenbei eine sonderbare Art, uns vor dieser Menschheit und ihrer Erkenntnis- und Urteilsfähigkeit Achtung einzuflößen! –

Fragt man diese Menschheit und die Völker alle, was sie aus der Natur und aus dem sie umgebenden Weltall erkennen, so antworten auch sie einstimmig zu allen Zeiten, von Ost nach West, vom Nord- bis zum Südpol: Wir haben die Fußstapfen des Schöpfers gesehen! Nirgends findet sich ein Volk, das »Gott los« sei; wenn auch sprachunkundige Reisende es je und je behaupteten. – »Es gibt kein Volk ohne Religion, selbst die auf der niedrigsten Stufe der Bildung stehenden nicht«, sagt Max Müller, der Historiker der Religionen (Deutsche Rundschau 1895).

Wohl wird von manchen der Buddhismus als eine atheistische Religion angeführt. Aber dieser Buddhismus, von dem der Orientalist Prof. Dr. Garbe sagt, daß er tief unter der brahmanischen Philosophie steht, ist keine ursprüngliche Naturreligion, sondern eine erst im sechsten Jahrhundert vor Chr. aufgetauchte Rationalisierung des Brahmanismus, ohne Brahma, ohne Vedas und ohne Gebet, gleicht also einem modernen Christentum ohne Christus, ohne Bibel und ohne Gebetserhörung. Eben wegen dieses Mangels an positivem Inhalt wurde in Indien diese Lehre bald wieder vom Neubrahmanismus überwunden. Selbst im übrig gebliebenen Buddhismus sind es nur die Gelehrten, die diesem verwaschenen und verschwommenen Pantheismus und dieser Tugendlehre huldigen; das Volk, hier wie überall, glaubt an einen Gott, betet den goldenen Zahn des Buddha und seinen Fußstapfen auf Ceylon an und bringt Opfer dar. Im buddhistischen Tibet und in der Mongolei ruft von der Wiege bis zum Grabe der Mensch möglichst oft mittels Rosenkranz und Gebetstrommel den Padmapâni, den größten unter den drei Göttern der Mandschurei, mit dem mystischen Gebet an: » Ôm mani padmê! Hum!« was ungefähr bedeutet: Du Allumfassender! gedenke meiner. Amen! Vierhundert Millionen von buddhistischen Chinesen flehen in der Todesstunde Dhyani-Buddha um Aufnahme in sein »unendlich lang währendes«, also ewiges Paradies des Mitâbha an. – So wurde im letzten Krieg zwischen China und Japan bei der Hinrichtung von Verrätern Buddha offiziell gebeten, dieselben nicht in sein Paradies aufzunehmen. Beweise, daß, so sehr die Weisen und Klugen dieser Welt stets bemüht sind, Gott aus seiner Schöpfung und selbst aus der Religion zu eliminieren, die Menschheit in ihrer gesunden Einfalt immer wieder auf Ihn zurückkommt. Alle Völker glauben an eine Schöpfung, an die Unsterblichkeit der Seele, an gute und böse Geister, an die Macht des Opfers, des Gebets und des Fluches, an einen seligen und einen unseligen Ort im Geisterreich. So gaben schon die Höhlenmenschen ihren Toten Waffen, Schmuck und Lebensmittel mit für die Reise in die Unterwelt, wie E. Lartet in der Höhle von Aurignac und Dr. Pruner-Bey in Solutré sie fanden. So glaubten schon, als Europäer zu ihnen kamen, die Eskimos, daß der gute Gott und Geist (vgl. Joh. 4, 24) Tornarsuk alles geschaffen habe, und auch, sei es persönlich, sei es durch gute Geister (Ebr. 1, 4) auf die an ihn gerichteten Gebete antworte.

Denn noch nie hat der Gott, der sich »Vater aller Geister und ein Gott alles Fleisches« nennt und in seinem Wort bezeugt, daß »wer Gott fürchtet unter allen Völkern, der ist ihm angenehm« (Ap.-Gesch. 10, 34), von dem Paulus den Heiden predigt, daß »er nicht ferne ist von einem jeglichen unter uns, sondern daß wir in Ihm leben, weben und sind«, der Menschen, seiner Kinder, so sehr vergessen, daß er ihnen keinen Lichtstrahl seines ewigen Lichts hätte leuchten lassen. »Auch die Heiden«, sagt Molitor, »sind Glieder des großen, allgemeinen, göttlichen Reiches, allein sie sind äußere Glieder, wie im Tempel Salomonis, der nicht für Israel allein, sondern für die ganze Menschheit zur Anbetung Gottes gebaut war, der äußerste Raum »der Vorhof der Nationen« hieß.

Neben dem erwählten Volk Gottes gab es von jeher noch Individuen und wohl auch ganze Stämme, denen, wie dem rätselhaften Melchisedek, dem Propheten Bileam, Hiob und seinen drei Freunden und sicher vielen andern aus seinem Volk und auch den Weisen aus dem Morgenlande, Gott, wir wissen nicht wie, direktere Gotteserkenntnis schenkte. Nie hat dieser Gott seine Menschheit dem Irrtum so sehr überlassen, daß ihre Religionen und Mythologien nur Wahnvorstellungen von vor Hunger und Kälte zitternden, vor Blitz und Donner, vor Meereswogen und Erdbeben, als bloßen Äußerungen einer toten Natur stets bangenden Wilden gewesen wären. Das sind sie schon deswegen nicht, weil diese Wilden und Urmenschen, abgesehen von einzelnen ver- und herabgekommenen Stämmen, eben dieser Natur gegenüber individuell viel mutiger und selbständiger gegenüberstanden als der verweichlichte und feige heutige civilisierte Mensch. Wie die Bibel uns einen Kain und Lamech, und die vorsündflutlichen Menschen alle als voll wilden Trotzes schildert, so atmen die ältesten Lieder der Menschheit, so die der keltischen Barden, die isländische Saga, das Nibelungen- und Gudrunlied und die Frithjofsage, auch Ilias und Odyssee, kurz alle alten Epopöen ein so urwüchsiges Behagen an der Existenz und an der Natur, einen so wilden, unbeugsamen Mut, eine solche Kampflust auch gegen die Elemente, solchen Todesmut und solche Lebensfreude, alles mit kernigem, gesundem, oft grimmem, meist heiterem Humor gewürzt, daß wir moderne, ängstliche und umständliche, unfreie Stubengelehrte, Bureau- und Salonmenschen gar klein vor diesen Helden und Recken stehen, vor einem König Ragnar Lodbrog, der im Schlangenturm stolzes Todeslied dichtend, singend in den Qualen stirbt, vor diesen im Winterorkan unter den Schrecken des Eismeers und des Polarsturms jauchzenden Wikingern, die lieber zu Grunde gingen, als daß sie vor dem Sturm die Segel strichen; vor diesen Nordkriegern, die lächelnd sich Blutrunen in die Brust schnitten, um den Strohtod zu meiden, und der Walhalla und der Walküren würdig zu sein.

Wie nackte Riesen mit einem großen Schwert und Armspangen aus rohem Gold, wandeln sie mit großen Schritten sorglos über der Erde, schauen nach oben, was die Götter, horchen nach unten, was die bösen Mächte zu ihrem Thun sagen, fürchten den Zorn des Himmels und den Haß der Hölle, sind sich der Schuld bewußt und des furchtbaren Fatums; fürchten aber sonst nichts, als daß der Himmel einfalle; lieben Gold, Weib und Ruhm, und kämpfen darum, verachten die Gefahr und den Schmerz und lachen noch im Tod. – Denn das Leben in und mit der Natur macht stark und mutig und gleichmütig im Leben und im Sterben; alle unsre Lebenskünste aber schwächen uns an Leib und Seele.

Das können wir noch selbst an den jetzigen kleinen und schwachen Überresten von wilden Völkern sehen, die längst mächtigere in die Öde vertrieben. So lebt sorglos der Eskimo und erbeutet mit selbstgemachten Waffen den Eisbären und den Moschusochsen in der Polarnacht und in den eisigen Wüsten und Einöden, wo kostspielige noch so gut mit vorzüglichen Waffen und reichen Lebensmitteln versehene und von tüchtigen Seeleuten und Gelehrten geführte Nordpolexpeditionen elendiglich zu Grunde gehen, wie die Sir Franklins. – So bewunderte G. Kennan, der drei Monate unter den Tungusen lebte, die Seelenstärke und die ernste Selbständigkeit dieser Menschen auf ihren öden, monatelang gefrorenen Tundren, unter Entbehrungen und Verhältnissen, die für einen Europäer unerträglich wären, und ebenso die Kühnheit der Kamtschadalen, als er hundertjährige Ansiedlungen am Fuß des fast stets donnernden 16 000 Fuß hohen Vulkans Klutschefski fand, dessen dichte, schwarze Rauchwolken er stundenweit schon gesehen, und dessen hohe, lodernde Feuersäule nachts weithin die Gegend taghell erleuchtet. – Und was sind der Araber der Wüste, die Alpenbewohner von Tirol und der Schweiz und der abgehärtete Norweger am wilden Fjord und auf stürmischer See für felsenfeste, kaltblütige, besonnene und dabei grundheitere Menschen; und auch ihr Sterben ist meist gefaßt, groß, oft heldenhaft im Kampf mit den Elementen.

Wo bleibt da der von der modernen Aufklärung zur Erklärung der Religionen erfundene, vor jeder Woge und Wolke, Windstoß oder Donner zitternde Naturmensch? – Sondern gerade der aufgeklärte civilisierte Kulturmensch und Stadtbewohner ist es, der beständig um sein teures Leben zittert, dem alles Denken und aller Mut gleich vergeht und der, wie mehrfach beim Theaterbrand in Wien, beim Unglück in Santander, beim Meteor in Madrid und bei jedem größeren Schiffbruch irr- und wahnsinnig wird vor Angst, wenn die Naturkräfte sich nur ein wenig regen. Denn sein Gewissen schlägt ihm, und im Donner und Sturm und Feuer hört er den Gott, den er haßt, rufen: Adam, wo bist du?

Und wie ihr Leben, so war groß und kräftig die Naturauffassung und auch der Glaube dieser alten Naturvölker. So bei den Kelten, deren Druiden (Derhuid, der von Gott sprechende), diese Priester, Gesetzgeber und Beherrscher ihres Volks, in prächtigen Triaden, Dreisprüchen, tiefe Philosophie und Religion lehrten. »Es gibt dreierlei Leben,« sagten sie, »das des Abgrunds, das der Erde und das des Himmels.« – »Es gibt drei Kreise im Menschen und im Weltall, der Kreis der Freiheit, der Glückseligkeit und des Lebens, der Kreis der Not, des Bedürfnisses und des Begräbnisses, der Kreis der Unfreiheit, der Unseligkeit und des Todes.« – »Drei Dinge werden einst im Kreis des Glücks, Gwynfyd, dem Menschen wieder gegeben: der ursprüngliche Geist, die ursprüngliche Liebe und das ursprüngliche Gedächtnis.« (33. Triade.) Und edel, wenn auch streng und selbst grausam war ihr Gesetz. – »Dreierlei darf dem freien Mann nicht verpfändet werden: Das Buch, die Harfe, das Schwert.«

Schön stimmt der Glaube dieser alten Völker mit der Bibel überein.

Gegen die Ansicht, daß dieser Glaube bei Nordvölkern – von Griechen und Römern wissen wir das Gegenteil – ein erst später durch das Christentum ihnen beigebrachter sei, siehe K. Simrock, die Edda S. 339. »Vielmehr,« schreibt er S. 319, »war in Deutschland und Skandinavien der Eifer der christlichen Priester leider mit zu großem Erfolg bemüht, das Heidentum bis auf die letzten Spuren zu tilgen. Nach Island flüchteten sich die freiesten Männer Norwegens vor der Allgewalt Haralds des Schönhaarigen und nahmen diese Götter- und Heldengesänge mit. – Selbst von den Mythen der jüngeren Edda hat schon Grimm geurteilt, daß sie uns reiner und ursprünglicher überliefert sind als selbst die griechischen.« (S. 331.) Von vielen dieser alten Lieder urteilt Simrock: »In wildkühner Erhabenheit scheinen sie mir hoch über allem zu schweben, was bis auf Goethes Faust eine moderne Litteratur darbietet.« (Ebend.) – Sondern tief in allen Sagen und Mythologien der Völker klingen die großen Wahrheiten immer noch nach, die Noah und seine Söhne von der vorsintflutlichen Welt herbrachten und die ein Gemeingut aller Nationen blieben, auch als diese sich in der Ebene von Sinear trennten. So glaubten diese Völker an obere Fürsten des Lichts, die stets kämpfen mit den Fürsten und Mächten der Finsternis, jedoch so, daß Gott auch letzteren einige Gewalt und einiges Recht zuläßt und sich die letzte Entscheidung vorbehält. Wie im Buch Hiob kommt in »Oegisdrecka«, Odins Trinkgelage, der böse Loki uneingeladen zum Fest der Götter; er beruft sich auf sein altes Recht, tötet den Diener Funafengr, als die Asen seine gute Bedienung rühmen, »denn das mag er nicht hören«, und stellt mit wahrhaft teuflischem Hohn diesen Halbgöttern alte Schuld und Sünden vor. – Endlich wird er gebunden, bis die Flamme die Walhalla frißt. (Vergl. Off. 20, 2.)

Großartig beschreibt uns diese skandinavische Mythologie das Ende der Tage. – Odin, am Toben der aus dem Weltmeer auftauchenden, die ganze Erde umschlingenden Miggardschlange – wie biblisch! – und auch aus den Runen (Weissagungen) erkennend, daß nun der letzte Kampf bevorsteht, bricht, auf dem Regenbogen reitend, mit seinen leuchtenden Kriegern zu den 500 Thoren der Walhalla kampffreudig hervor (vergl. Offenb. 19, 11-14), während der Wolf Fenris den Mond frißt, die bleiche Hela das furchtbare Haupt aus der Unterwelt erhebt und die drei Nornen wehklagend die die Zukunft weissagenden Runenstäbe zerbrechen; denn nun fängt die Ewigkeit an. Im furchtbaren Kampf geht die alte Welt mit ihren Helden unter.

Davon singt die Völuspà:

»Sie (die Toten) bangen alle – In Helas Banden, – Bevor sie Surturs – Flamme verschlingt. – Schwarz wird die Sonne, – Die Erde sinkt ins Meer, – Vom Himmel fallen – Die heiteren Sterne. – Glutwirbel umwühlen – Den allnährenden Weltbaum, – Die heiße Lohe – Beleckt den Himmel.«

Aber aus den Flammen entsteht eine unvergängliche Lichtwelt und über diese herrscht ewig der einst vom bösen Loki getötete, nun auferstandene Sonnengott Baldur.

»Da werden sich wieder – Die wundersamen – Goldenen Scheiben – Im Grase finden. – Da werden unbesät – Die Äcker tragen, – Alles Böse schwindet, – Baldur kehrt wieder. – Wißt ihr was das bedeutet? – Einen Saal seh ich – Heller als die Sonne, – Mit Gold bedeckt – Auf Gimils Höhen: – Da werden werte – Fürsten wohnen – Und ohn Ende – Der Ehren genießen. – Da reitet der Mächtige – Zum Rat der Götter, – Der Starke von Oben, – Der Alles steuert. – Den Streit entscheidet er, – Schlichtet Zwiste – Und ordnet ewige – Satzungen an. – Wißt ihr was das bedeutet? –«

Das ist Poesie, weil es wahr ist; und das ist wahr, weil es poetisch ist! – Solche konkreten, aus göttlichen Ahnungen des Wahren und aus einem großartigen ernsten Anschauen der Natur durch Männer, die in und mit dieser Natur lebten, die Auge in Auge mit ihr kämpften und starben, gewonnene Anschauungen sind, mögen dabei die Namen lauten wie sie wollen, ungleich besser und wertvoller als die verwässerten und vernebelten Vorstellungen so vieler Gebildeten heutzutage, wonach die Annahme, daß möglicherweise und unter veränderten Umständen, jedoch in jedenfalls sehr ferner Zukunft einigermaßen ideale, vorderhand nicht näher zu bezeichnende Zustände eines verhältnismäßigen Glücks, beziehungsweise Glückseligkeit nicht ohne weiteres abzuweisen sei, ja daß dabei die Hypothese eines etwaigen, mehr oder weniger individuellen Eingreifens eines als höchste Ursache im Weltall zu denkenden Wesens nicht absolut und ohne vorherige sorgfältige wissenschaftliche Prüfung als durchaus unannehmbar zu bezeichnen ist, und so weiter!

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Einen Gott erkennt überall die Menschheit aus der Natur. »Obgleich sie wußten, daß ein Gott sei.« (Röm. 1.) – Der Polytheismus der Ägypter und der Griechen und auch der des jetzigen Italieners und Spaniers, von denen jeder zu seinem Heiligen betet, ist nur ein Desaggregatzustand des ursprünglichen Glaubens. Denn zu mächtig ist der Drang alles Erschaffenen nach dem großen Eins; zu wahr das Wort: »Niemand kann zwei Herren dienen;« – und soviel Logik hat auch der Wilde, daß er erkennt, von zwei Göttern kann nur einer der wahre sein. Diese alten Götter der Urvölker, die ursprünglich historische Menschen waren, ein Vulkan, Nimrod, Herkules, Theseus, Osiris und Zeus, Odin und Thor, waren ihnen keine Götter in unserm Sinne, wie das auch in ihrer Mythologie klar liegt, sondern diese Halbgötter, die auch die Bibel lehrt (1. Mos. 6, 2 und 4), sind der Vereinigung der überirdischen, wohl, wie schon die Druiden lehrten, auf den Sonnen wohnenden Söhnen Gottes (Hiob) mit den Töchtern der Planetenbewohner entsprungen; zugleich eine tief symbolische That und Darstellung der Befruchtung der weiblichen Erden durch die primären und männlichen Sonnen. Und weil sie ihnen nur halbe Götter waren und obgleich sie sie einerseits als die Hüter und Verwalter der Gerechtigkeit darstellten, was in seiner Art selbst ein Nero war, so dichteten sie ihnen doch allerlei nicht nur Menschliches, sondern Lasterhaftes an; was auch völlig mit der biblischen Erzählung von jenen »Riesen und Helden stimmt, die von jeher Männer von Ruhm gewesen sind« und die Erde mit Gewaltthat füllten. – So lehrt die Kabbala, daß es außer Israel 70 Völker auf der Erde gebe, wovon jedes über sich einen Himmelsfürst oder Gott, die 70 Sarim, habe, in deren Namen sie wandeln, während es Israel allein gestattet sei, im Namen Jehovahs zu wandeln. – Über diesen Göttern in demselben Sinn, in dem der göttliche Sänger ausruft und Christus es bestätigt: »Ich habe es gesagt: Ihr seid Elohim!« aber stand, das wußten alle Einsichtigen unter diesen alten Völkern sehr wohl, der unsichtbare, absolut gute, ewige, einige Gott. – Wie die ägyptischen Priester dem Eingeweihten den einzigen Gott Ptah, den »Vater der Väter der Götter, den Schöpfer aller Wesen« offenbarten; wie vor Zeus und allen Göttern des Olymp der alte Demiurgos war, und die Skandinavier an den Allfadur, der Odin und alle Götter erzeugt habe, glaubten; wie die Perser Ormuzd, Mithras und Ahriman verehrten, über ihnen aber Zeruane Akherene, das höchste Wesen, stand; so sprachen Sokrates und Plato, Marc-Aurel und Cicero stets nur von »der Gottheit« oder von Gott als dem Eins; und alte Mythologien lehren den endlichen Sieg eines Gottes des Guten. Allerdings ist auch in der Natur dieser Gott ein »verborgener Gott«, denn er hat sich einstweilen von der sündigen Menschheit in die Himmel der Himmel zurückgezogen, oder richtiger gesagt, diese Menschheit hat sich selbst durch die Sünde so von ihm geschieden, sich selbst so geblendet, daß sie ihn nicht mehr sieht, und wenn Er vor ihr stünde. Deshalb ist von jeher das Schreien und Rufen der Menschheit, wie das der Athener, »dem unbekannten Gott« geweiht, so sehr Satan auch von jeher sich bemühte, in dasselbe sich einzuschleichen, es auf sich zu beziehen und sich ihre Anbetung anzueignen. Indessen nimmt Gott als gütiger Vater seiner Geschöpfe auch Bitten an, die unter falscher Adresse an ihn gerichtet sind, und so hat er erwiesenermaßen Millionen von gläubigen Gebeten um irdische und geistige Güter, um Hilfe und Errettung an Ormuzd und Osiris, an Zeus und Allah, an Odin und Balder und an den »großen Geist« gütigst erhört. »O Zeus! ruft der Chor im Agamemnon von Aeschylus, wer du auch seiest, der du die Menschen durch Leiden zum Denken führst, wenn dieser Name dir zusagt, so will ich dich darunter anrufen.« – Denn es steht geschrieben: »Du erhörest Gebet! Darum kommt alles Fleisch zu Dir« (Ps. 65, 3). Und so wird er auch Millionen aus allen Nationen einst erretten, die auf Erden Ihn nicht persönlich kannten. – Siehe in Matth. 25 das Gericht der Völker, nicht der Christen.

Nicht nur gibt es kein Volk ohne Religion, sondern das Leben wie des einzelnen, so der Völker, ist Religion oder Irreligion; die Welt, das Dasein ist Religion; die Weltgeschichte ist Religion, ist der stets tobende Kampf des Guten und Göttlichen mit dem Bösen und Teuflischen, – der Kampf des Glaubens und des Unglaubens, wie Goethe es aussprach. Das erkennt noch nicht der vom tausendfachen Leben umrauschte Jüngling, wohl aber der am Abend seines Lebens stehende Greis. Ihm reduziert sich alles auf diese zwei Prinzipien des Ja und des Nein, und immer geringer und endlich gleichgültig wird ihm eine physikalisch-chemische, atomistische oder ätherische Weltauffassung. – So weit waren die alten Völker; ihr ganzes Leben war Religion. Ob sie aßen oder tranken, feierten oder arbeiteten, Krieg führten oder Frieden schlossen, sie thaten es ihren Göttern und das war ihre Kraft. »Der religiöse Kultus, sagt L. v. Ranke (Weltgesch. I. Bd. S. 11), ist das vornehmste Geschäft des Ägypters; es gibt eigentlich nichts Profanes in diesem Land!« Der Tempel, das war Ziel, Zweck und Inbegriff der Bau- und andrer Künste; sie sagten sprichwörtlich: »Was kümmert's mich, ob mein Haus klein und eng, wenn nur Gottes Haus schön und reich ist.« Heutzutage denken wir umgekehrt.

Schön ist diese imposanteste Erscheinung der Weltgeschichte, diese großartige Übereinstimmung aller Völker, dieser consensus gentium, auf den schon die Alten mit Recht soviel Wert legten und die auch wir für gewichtiger halten als die spitzfindigen Beweisführungen einzelner Gelehrten. – Der Menschheit offenbart das Weltall einen Gott! Und so ruft Paulus aus: » daß man weiß, daß Gott sei, ist ihnen offenbar; denn Gott hat es ihnen geoffenbart damit, daß Gottes unsichtbares Wesen, das ist seine ewige Kraft und Gottheit, wird ersehen, so man das wahrnimmt an seinen Werken, nämlich an der Schöpfung der Welt.« Freilich fährt er fort: »Obgleich sie wußten, daß ein Gott ist, haben sie ihn nicht gepreiset als einen Gott noch gedankt, sondern verfielen in ihren Überlegungen in Thorheit, und ihr unverständiges Herz ward verfinstert,« wie an der späteren und thörichten Ausbildung der Mythologien, und am Gebahren der Materialisten zu allen Zeiten zu sehen.

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Dieses Buch der Natur, das uns Gottes ewige Kraft und Gottheit verkündigt, ist aber nicht in der Art ein religiöses Handbuch, daß daraus nach einander alle göttlichen Eigenschaften und sein Thun den Menschen gegenüber erkannt und bewiesen werden könnte. Die Natur offenbart uns Gott als Schöpfer Himmels und der Erde, aber nicht als Erlöser; zeigt uns Jehovah – Christus als den Stellvertreter und Ebenbild des Ewigen Vaters, nicht als den menschgewordenen Sohn. Von dieser nicht nach Naturgesetzen geschehenen, sondern übernatürlichen Menschwerdung und neuen Offenbarung Gottes weiß die Natur nichts und ebensowenig vom Heiligen Geist, obgleich sie vom Geist Gottes durchweht, nur durch diesen Hauch des Lebens existiert. So können wir den Kern und die Hauptsache des Christentums, die Um- und Bekehrung des Menschen zu Gott, die Erlösung durch Christi Tod, die Heiligung durch den Heiligen Geist und alles, was mit diesen höheren Absichten Gottes zusammenhängt, seine Führungen und seine Treue seinen Kindern gegenüber, Gebetserhörungen und Wunder nicht aus dem Buche der Natur lernen, weil das nicht darin steht. Stünde es darin, so bedürfte der Mensch keiner andern Offenbarung. Auch hätten die weisen Heiden, von denen so manche mit rührender Treue und Einfalt die Natur studierten, es längst gefunden, ebenso wie sie darin die Offenbarung eines einzigen und unsichtbaren, allmächtigen und allweisen Schöpfers fanden.

Darauf, daß die Natur wie die Kunst wohl göttlich, aber nicht christlich ist, gründet sich das Ungenügende, das mancher Christ bei ihrer Betrachtung empfindet. Denn es gibt Menschen, denen Gott sich mehr als Schöpfer und Vater aller Geister, Geber aller guten Gaben offenbart, als der Gott, in dem wir leben, weben und sind und von dem es heißt: »und Gott wird einst alles in allem sein!« – Solchen ist seine Schöpfung, die Natur, vorzugsweise verständlich und auch erbaulich, d. h. sie dient ihnen zu einer Er- und Aufbauung im Geist in Gott. Andern offenbart sich Gott vorzugsweise als das fleischgewordene Wort, als redemptor mundi und lieber Heiland, den Seinen nur bekannt; andre endlich gibt es, die in der Macht und Kraft des Heiligen Geistes die Welt richten um der Gerechtigkeit und der Sünde willen. Diesen zwei Kategorien erscheint die Betrachtung der Natur, der Schöpfung, oft nicht hinreichend erbaulich. Sie bietet ihnen keine Fülle desjenigen geistigen Stoffes, den ihre religiöse Persönlichkeit am liebsten assimiliert. Ohne hier zu richten, bemerken wir, daß nach unserm Dafürhalten die Erkenntnis des Vaters die granitene Basis bildet der gewaltigen Pyramide der Dreieinigkeit, und daß die Christen, die vorschnell zum Sohn und Heiland vordringen, ohne die erste elementare Offenbarung Gottes, das Gesetz der Natur und das Gesetz Moses, absolviert zu haben, oft lebenslang in ängstlicher Unsicherheit um Gottes Reich und Macht verbleiben. Christus ist ihnen wohl der subjektive liebe Heiland, aber zu sehr der von der Welt verkannte und verworfene, zu wenig dagegen auch der Gott, durch den und für den alle Dinge geschaffen worden sind, der große Werkmeister, dem Gott der Vater auftrug, seinen Schöpfungsplan auszubauen, der Erstgeborene aller Geschöpfe und der Inbegriff alles Erschaffenen oder, wie die Kabbala den Maschiah nennt, »die Idee des Weltalls«.

Wer zu seinem Glauben das auf die Schöpfung und auf die Natur gründende Alte Testament entbehren zu können vermeint, gleicht einem, der die Grundmauer und den Unterbau eines Palastes abbricht, weil er im Oberbau erst die vollendete Schönheit habe, oder einem, der herrliche Früchte bewundern und genießen möchte, aber dabei Stamm und Wurzel für überflüssig hält. Die Bibel lehrt Christum nicht nur als den Heiland seiner kleinen Herde, sondern als den wahren König und Herrn der sichtbaren und unsichtbaren Schöpfung, als den, der alle Dinge geschaffen, erlöst hat und einst vollkommen erlösen wird, als der König und Herr des neuen Himmels und der neuen Erde.

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Obiges Gesetz der Zuspitzung in der Natur schließt die ungeheure Größe des höchsten und letzten Prinzips in sich. Diese Ursache aller Ursachen muß logisch zum mindesten ebenso groß sein als alle diese Ursachen zusammen, diese Kraft, die sich in Millionen von Kraftwirkungen äußert, muß mindestens der Gesamtheit dieser Kräfte gleichkommen. Daß wir aber nicht alle Ursachen und ihre Wirkungen und nicht alle Kräfte und ihre Äußerungen kennen, sagt uns jeden Augenblick der gesunde Verstand bei der Anschauung dieser Natur. Folglich muß das höchste Prinzip, die letzte Ursache, die Kraft aller Kräfte, die Summa unsrer Vorstellungen, d. h. unsre ganze Weltanschauung noch um ein Beträchtliches übersteigen, ja sie kann unendlich größer sein als diese; ein Eindruck, der oft überwältigend den Astronomen überkommt, wenn seine Denkkraft erlahmt bei dem Versuche, das Weltall zu fassen.

So enthält die Natur das Gesetz der Größe Gottes. Sie ist uns dazu gegeben, damit wir diese Größe nicht bloß theoretisch glauben, sondern von derselben eine lebendige Anschauung gewinnen. – Weil unser Gott so klein, sind wir es auch. Aber ein kleiner Gott ist kein Gott. – Entweder gibt es keinen: dann ist alles Zufall, alles unerklärlich und unbegreiflich, die Welt ein Kreis ohne Centrum, eine Wirkung ohne Ursache, eine Frage ohne Antwort; dann lohnt es sich nicht mehr zu denken! – Oder es gibt einen Gott, dann ist Er, wie gesagt, unendlich, und so unfaßlich groß sein Werk, so ist doch der Meister stets beträchtlich größer als seine Schöpfung. Dann kann nichts in der Welt uns so groß machen, als das geistige Anschauen dieser seiner Größe. – Weil aber jede geistige Vorstellung auf leiblicher gründet, so bildet zeitliche, räumliche und stoffliche Größe die notwendige Basis unsrer Vorstellungen von einem großen Gott. Hätte Er die Erde in ewigen, undurchdringlichen Nebel gehüllt, so daß wir von Sonne, Mond und Sternen nichts gewußt, ihre Oberfläche zu einer großen Wiese mit kleinen Bäumchen gestaltet, und endlich uns so geschaffen, daß wir nur hundert Meter weit sehen könnten, so wäre unser geistiges Leben und unsre Begriffe von Ihm entsprechend klein und ärmlich geblieben. – Wie groß ist doch das Thun Gottes! – Er rührt ein wenig die Erdaxe an, und es entstehen Jahreszeiten mit unermeßlichen, materiellen und geistigen Konsequenzen. – Er richtet drei Axen im Stoff auf und daraus erblüht die prachtvolle, unerschöpfliche Welt der Krystalle. – Er hüllt die Erde in eine weiche unsichtbare Luftdecke ein, und es beginnt der ungeheure Kreislauf der Gewässer und der Schall und das Wort. – Er fährt mit der Fingerspitze über das Bild des in seinem Bilde geschaffenen Adam und es wird zu einer entzückenden Variation, zum Weib! – Denn was dieser größte Künstler anrührt, überzieht sich mit Schönheit. – So predigt uns seine Natur einen unfaßbar großen Schöpfer und erhebt uns zugleich über unsre niederdrückende Kleinheit. Denn wir sind aus Ihm geboren und unsre Seele dürstet nach Größe. Wo ist ein Mensch, ein Kind, ein Wilder oder ein Gebildeter, der nicht schon an materieller Größe seine Freude hätte?

Überall groß ist diese Natur; auch in ihrer oft fast erdrückenden Einförmigkeit, in der unaufhörlichen und doch nicht ermüdenden Wiederholung desselben Wortes, im gleichmäßigen Plätschern der Wellen, oder des rieselnden, murmelnden Baches. – Groß das Meer, so einfach, so unendlich, so wechselnd, ob in fast himmlischer Ruhe sich sonnend, ob wütend seine Ufer peitschend und mühsame Menschenwerke verschlingend, eine geheimnisvolle Macht und Welt der Tiefe, wenn bei Weststurm und kein Land in Sicht, tagelang krystallhelle, grüne Wasserberge mit schäumenden Mähnen, voll wilder Kraft und triumphierendem Leben, die Pferde des Neptun, brausend, rauschend, sich überstürzend, in höchster Lust und Hast unaufhörlich daherjagen. Groß die Wüste, Bahr el Schaitan, das Meer des Satan, wie der Araber sie nennt, wenn am schon heißen Himmel die weißglühende Sonnenscheibe über der endlosen gelben Fläche aufgeht, sie mit Lichtströmen und sengender Hitze übergießend, – und die wilden Söhne der Sahara fallen nieder und rufen anbetend: »Allah, In Allah! – Ras allulah!« – Groß die in sechsmonatlicher Nacht erstarrte Polarwelt, wenn unter prachtvollem Sternenhimmel krystallene phantastische Eispaläste in die kalte Luft emporragen und plötzlich knisternde Nordlichter, blitzschnell wechselnd, phantastische blaue, grüne und purpurne Lichtgewölbe am Himmel aufbauen. – Groß auch die wilde, kahle Steppe, wenn abends über die weite schwarze Ebene der blutrote Mond langsam aufgeht, und hundert Meilen in der Runde ragt nichts auch nur haushoch empor. Doch noch majestätischer, großartiger ist das Weltall, das sich in hellen Nächten dem Sternkundigen erschließt. Da sieht er sie, die gotterschaffenen Riesen, schweigend durch Äonen wandelnd, vielleicht in einer, nur unsterblichen Ohren vernehmlichen Sphärenharmonie, wie im kunstvollen Tanz dahineilend, den roten Mars mit seinen blauen Meeren und schneebedeckten Polen; den wolkenumgürteten, im fahlen Rot unter Wolken noch düster glimmenden Jupiter, von Monden umflogen, den ringreichen Saturn, Uranus und Neptun in majestätischem Flug die Sonne bald schneller, bald langsamer umkreisend. – Und auf dieser ihrer Königin und Mutter, auf diesem Glutocean, wo in unaufhörlichem, unbegreiflichem Lebenssturm die Kräfte der Natur toben, sieht er farbige Lichtströme wie goldene Ähren, wie rosafarbige Palmbäume aufschießen, um als Sonnenregen, als Lichtfluten wieder niederzufallen.

Und weit über unsrer Sonnenfamilie sieht er Tausende andrer Sonnen durch die Abgründe des Raumes schweben, purpurn und smaragdgrün, goldgelb und hellweiß, einzeln und zu zwei und drei und vielen verbunden, im ewigen Reigen sich drehend, die einen majestätisch langsam, die andern unbegreiflich schnell hinrasend durch brennende Weltnebel hindurch, an halberloschenen, noch je und je aufflammenden roten Sonnen und an andern immer heller erglühenden vorbei; an Nebelsternen, wo im heißen Kerne eine Sonne geboren wird, an Sternhaufen, aus Tausenden von verwandten Sonnen bestehend, vorbei, immer weiter, unbekannten, großen Zielen zu.

Aber fliegt auch der gewaltige Regulus über eine Million Stunden täglich dahin, und flöge der Mensch ebenso schnell fünfhundert Millionen Jahre und noch einmal soviel in immer gerader Linie fort, so käme er dem Ende von Gottes Weltall um nichts näher! Immer ist Er da! immer: »allgegenwärtig!« – In jenen uns unbekannten Fernen, von denen selbst der Lichtstrahl, ermattet, uns keine Kunde mehr bringt, ist Er es, dessen Willen die Sonnen im Raum erhält, dessen Hauch sie fortweht, dessen Wärme sie durchglüht, dessen Leben sie belebt, der auch dort wie auf Erden jedes Atom und jedes Molekül sieht, wägt und regiert. Und während Er in den Himmeln der Himmel, in unnahbares Licht gehüllt, wandelt, neue Welten schaffend, bei deren Anblick die Morgensterne jubeln und jauchzen alle Söhne Gottes (Hiob 38, 4-9) und Er spricht: »Es ist sehr gut« und die göttliche Freude wallt auf von Ewigkeit zu Ewigkeit; und es loben ihn die starken Engel im Licht und die Teufel im Feuerzorn, schaut Er auch auf dieser unsrer kleinen, in ihrer Bahn dahineilenden Erde dich und mich und jeden der tausendfünfhundert Millionen Menschen, die darauf wohnen. »In dem Augenblick, wo du dies liesest, sieht Er dir ins Herz hinein und erkennt alle deine Gedanken, aber ebenso die aller deiner Mitmenschen und alles Träumen der Millionen, die jetzt im Erdschatten im Schlafe liegen. In diesem Augenblick sieht er auf der dahinfliegenden Erde alle die Kranken und Elenden, die Bettler in ihrer Not und die Könige in ihrer Pracht, die Tausende, die sich im Kampfe erwürgen, die Schiffer, die mit dem Sturm kämpfen, die Verbrecher, die in der Nacht lauern, die Gefangenen und die Wahnsinnigen, die mit Schweiß und Todesröcheln Scheidenden, die neugeborenen Kindlein, dazu alle Löwen in der Wüste, alle Raben in den Lüften und jedes Vöglein im Nest. Kein Käferlein im Gras, dessen Weg Ihm verborgen, kein Fischlein im tiefsten Meer, dessen Thun Ihm unbekannt, kein Blatt an einem Baum auf der ganzen Erde, dessen Form und Größe Er nicht wüßte, das ohne sein Wissen und Wollen welk herabfiele. – Und während Er diese ganze Welt regiert, versorgt, nährt und beherrscht, schaut Er noch unverwandt in jedem Wassertröpflein im Bach und im Teich, im Strom und im Meer die Millionen von Infusorien, die sich darin tummeln; und gibt einem jeden Leben und Nahrung, denn in ihm lebt, webt und ist alles, was existiert.« (Bettex, Das erste Blatt der Bibel.) Und entdeckt irgendwo gespannt ein Astronom im Fernrohr auf Mars ein neues Fleckchen oder einen Doppelkanal, oder ein Mikrograph nach langem Suchen im Mikroskop am Panzer einer Diatomee neue Querstreifen, so schauen es gleichzeitig die Flammenaugen dessen, der den Mars mit mächtiger Hand hält, der die Diatomeen gezeichnet hat, und vor dem die Finsternis hell und der Abgrund licht ist. –

Und ebenso hört Er alles, was auf dieser Erde klingt und schallt und tönt, die Meereswogen und den Sturm, den Wind und die Quelle, Löwengebrüll und Nachtigallengesang, alles Schreien, Rufen, Klagen, Jauchzen aller Kreaturen, allen Schall und Klang und Laut, womit sie ihr Lieben und Hassen, ihre Angst und Not, ihr Sehnen und Flehen aussprechen, alles Lachen und Weinen, Beten und Fluchen von allen Menschen. – Alles das hört Gott der Herr, in diesem unaufhörlichen Gesang der Terra, in diesem ewigen Lied der Schöpfung, das täglich, stündlich zu ihm hinaufsteigt, und erkennt darin alles Dichten und Trachten seiner Geschöpfe, und alsobald steht es auch fixiert im großen Phonograph des Weltalls für den Tag des Gerichts und der Verantwortung. »Die Luft,« sagt Böhme, »wird am jüngsten Tage alle Worte wiedergeben, zu deren Machen sie gedient hat.« – Was werden da die Mauern und Wände so mancher Spelunken und Kneipen für Flüche, Zoten und schmutziges Geschwätz, mit dem sie jahrelang durchtränkt und infiziert wurden, wiedergeben, und wieviel ernstes Gebet, freudiges Lob, herzlicher Dank zu Gott wird wiederschallen aus so mancher Dach- und Kranken- und Witwenkammer und aus durch Gottesdienst geheiligten Kirchen?

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Diese Natur offenbart ferner das Gesetz der Kraft. Das All ist Kraft. Was wäre der Stoff ohne Kraft, ohne Kräfte? Unsichtbar, unhörbar, unfühlbar! wäre tot, existierte für uns nicht; denn was wir an ihm noch wahrnehmen, ist nicht sein uns hienieden ewig verborgenes Sein an sich, sondern die Kräfte, die ihn beleben. Und diese Kräfte laufen in einer Kraft zusammen, in einen Gott der Kraft, dessen Kräfte diese ungeheure Schöpfung erhalten, wie geschrieben steht: »auf daß seine ewige Kraft erkannt werde an den Werken der Schöpfung.« Sein Wollen, das ist die Kraft, die das Weltall durchströmt und die Sonnen in ihren Bahnen bewegt; und wollte Er morgen nicht, so erlöschten sie plötzlich und hielten im Flug inne; ersterben würde alles, was Odem hat und die Welten bröckelten langsam in der ewigen Nacht und Totenstille ab. – Wir, und auch wir Christen sprechen viel von Naturkräften, als ob eine tote Natur in sich und aus sich Kräfte haben könnte. Wenn es einen Gott gibt, so ist es seine Kraft, nicht die Schwerkraft, die die Weltkörper kreisend erhält, so ist Er es, der auf den Sonnen ungeheure, nie versiegende Kraftströme erzeugt und in den Weltraum hinaussendet; und seine Kraft ist es, die in Sonnenstrahlen für unsre Erde über zwei Milliarden Dampfpferdekraft beträgt! Unbegreifliche, unberechenbare Kräfte fluten durch das Weltall und alle sind: Gotteskraft! Ja, Gottes Kraft ist es, du blinder Mensch, die Gras und Korn in die Höhe treibt, durch Brot und Fleisch in dir Leben erzeugt, und dein Herz unaufhörlich schlagen läßt bis zur Stunde, wo er diese seine Kraft zurückzieht und es steht ewig still. »Du lässest aus deinen Odem, so werden sie geschaffen; du nimmst weg ihren Odem, so vergehen sie und werden wieder zu Staub« (Pf. 104, 29 und 30).

Ist es aber so, und ist dieser Gott der unbegreiflich große, über alle menschliche Vorstellung gewaltige, ewig flammende Urgrund alles Seins und alles Lebens, in dem und vermöge dessen Kraft die Weltalle und die Atome existieren, woher dann bei uns, die wir an Ihn glauben, der alltägliche Kleinmut und die Verzagtheit? Woher die ängstliche Menschenfurcht und das Sichbeugen vor jedem Menschenwort und Urteil? Woher das ewige Bangen um das bißchen Existenz und Nahrung? – Leben, weben und sind wir nicht in Ihm? – und sollte Er, der am Himmel Millionen von Sonnen und im Wassertropfen tausend Millionen von Bacillen erhält, nicht auch dich, du winziges Sandkorn und Atom in seiner Schöpfung versorgen können auch ohne dein Zuthun und ebenso, wenn du heute Nacht stirbst, deine Kinder nach dir? – Oder traust du seiner Güte nicht? – Siehst du nicht wie reich, überreich, nobel sich dieser Gott in seiner Schöpfung zeigt? Nicht nur streut er wie Sand Sonnen an Himmel; was liegt ihm an ein paar Millionen Welten mehr oder weniger? sind doch alle Völker der Erde vor Ihm wie der Tropfen, der am Eimer hängt! – sondern allenthalben und überall in seiner Schöpfung begegnen wir einem Reichtum, einer Verschwendung von Kraft und Leben und Lebenskeimen, von Farbe, Form und Ichheit, vor der wir staunend stehen. Nicht ein paar Blumen läßt Er am Weg als Schönheitsbeispiel hie und da aufgehen; nein, zu Millionen und Billionen entsprießen sie im Frühjahr und färben weithin rot und gelb und blau die Oberfläche der Erde, und »das Blühen will nicht enden.« Am Don reitet dann der Kosak über die vorhin so tote Steppe, tagelang, von morgens bis abends durch einen Ocean von mannshohen Gräsern und Blüten hindurch, und richtet sich manchmal hoch in den Steigbügeln auf, um über das ihn umgebende Blumenmeer nach einem auf hohen Pfosten errichteten Militärposten auszulugen. – In den Nordmeeren aber fährt der Walfisch, eine schwimmende Welt, träge durch die mit ungezählten Millionen von kleinsten kaum linsengroßen Medusen gefüllten Fluten und frißt sich satt daran. Scoresby, dieser kühne Seefahrer und ernste Christ berechnet, daß alle Menschen der Welt achtzigtausend Jahre lang an den in einer Kubikmeile Meerwasser enthaltenen Tierchen zu zählen hätten. Und doch segelte er drei Tage lang durch den damit wie Sagosuppe gefüllten Ocean! Jedes Meduschen aber steht, wenn es entsteht im »Haben« und wenn es vergeht im »Soll« des großen göttlichen Hauptbuchs eingetragen.

Ja, eine unbegreifliche Fülle des göttlichen Lebens offenbart uns die Schöpfung, zeigt uns, wie in Hesekiels Gesicht, den Geist des Lebens, wie er als ein rauschender Strom in Billionen und aber Billionen von Atomen und Molekülen sich unaufhörlich ergießt und sie Tag und Nacht zu Lebenskeimen von unzähligen Pflanzen und Tieren umgestaltet.

Und welche göttliche Größe der Freude gibt sich oft dabei in der Natur kund! Alle Pessimisten der Welt können nicht hindern, daß im Frühjahr Lebenswonne millionenfach durch die Welt rieselt, durch Wald und Wiese, im Fisch und Vöglein und Mücklein, im Baum und Tier und Blume, im Jüngling und Mädchen und im dahinsinkenden Greis. – Gott ist ein Gott der Freude und der Wonne. Er, der befiehlt, daß schwarze, dürre, tote Äste im Frühling an allen Enden grünen und blühen und Früchte tragen, wird auch einst befehlen, daß diese gefesselte, leidende, verkrüppelte Schöpfung um uns und in uns grüne und wachse, daß unser dürres, kaltes, totes Herz, das nicht weiß, was wahre Freude ist, in Jubel ausbreche, und des Jauchzens und der Freude und Wonne und des ewigen Blühens und Früchtetragens wird kein Ende sein; denn triumphierende Freude, das ist Gottes Charakter.

Glaubst du aber mit diesem göttlichen Sehen alles dessen, was geschieht, von den fernsten Sternkreisen an bis zum kleinsten Aufgußtierchen im Wassertropfen, ja bis zum chemischen Atom, mit diesem göttlichen Hören der zusammenbrechenden Sonnen und des Zirpens eines Käferleins im Gras dir eine richtige, wenn auch noch so schwache Ahnung von Gottes Größe geistig erkämpft zu haben, so verzage und gib auf dein Beginnen! Denn diese ganze sichtbare Schöpfung vom Atom bis zu den fernsten Fixsternen hin, dieses abgefallene, in den harten Banden der Materie gefangene Weltall, dieses Gebiet und Reich des einst so mächtigen Lucifers, diese Schein- und Traumwelt Satans, ist ja, so unendlich sie uns erscheint, doch bloß ein unbedeutender Winkel des göttlichen Universums. Wie in einem herrlichen, Tausende von Morgen bedeckenden Park irgendwo ein abgelegenes Plätzchen, von Brennesseln und Unkraut überwuchert, in der großen Anlage übersehen und beiseite gelassen wird, so auch in der himmlischen und ewigen Schöpfung das bißchen vom Bösen überwucherte Weltall, das uns das göttliche All zu sein dünkt. Jenseits dieser hundert Millionen von Sonnen, die in solcher erschrecklichen Majestät durch Zeit und Raum wandeln, fängt erst recht, unübersehbar, durch die Ewigkeiten der Ewigkeiten sich hinstreckend, unendlich in Raum und Zeit, eine himmlische Schöpfung der Himmel der Himmel an. – Und das ist die eigentliche Haushaltung des lieben Gottes. Wie der Hausvater, obgleich der verlorene Sohn in die Fremde gezogen, mit seinem ältesten Sohne und seinem Gesinde sein Gut ruhig weiter verwaltet, so herrscht auch unser Gott, daneben seine gefallene Schöpfung immer noch versorgend, doch hauptsächlich in den Himmeln der Himmel, über Thronen und Herrschaften und Fürstentümer und Obrigkeiten, über Seraphim und Cherubim, ihnen und unendlichen andern sündenlosen Schöpfungen unendliche Lebensfülle stets spendend. – Und sie sprechen unaufhörlich: Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth! Geheiligt werde dein Name! und schauen im ewigen Gott das wahre Sein – der du bist – und in der ewigen Schöpfung der Weltalle das Werden – dein Name werde geheiligt. – Sie rührt nicht unsre rauhe Erdennot! Sie kümmert nicht der Abfall Satans und seiner Legionen. Vergangenheit und Zukunft gleich erkennend in der Gottheit, sind sie hoch über alle Vergänglichkeit und Endlichkeit erhaben und schauen ewig einen Gott an, heilig in sich, heilig in seiner Schöpfung, heilig in allen Himmeln, heilig in allen Höllen, heilig in allen Formen seines endlosen Daseins, und in majestätischer, ewiger Ruhe hoch über alles Werden des Guten und des Bösen erhaben. Billig sollen wir darüber trauern, daß wir von diesen unsern herrlichen Brüdern im Licht, von der ganzen wahren, nicht gefallenen Lichtschöpfung Gottes, ja von unsern im Glauben dahingegangenen Lieben, die nun auch im Licht leben und sind, so gar nichts zu sehen vermögen, sondern blind und taub für das wahre Leben, gefesselt im Stoff, uns sehend dünken.

Das sich Emanzipierenwollen vom Gesetz der Größe Gottes bewirkt beim Menschen eine unvermeidliche geistige Verkümmerung, ein stetes Kleinerwerden. Die ganze Weltanschauung des Atheisten schrumpft zusammen, ja, wie wir in einem ersten Werk gesehen haben, er kommt schließlich dazu, das chemische, unsichtbar kleine Atömchen für seinen Gott zu halten! – Sage mir wie groß dein Gott, so weiß ich, wie groß du bist. Es gibt für den Menschen nur eine wahre Größe, nämlich, in einem großen, allmächtigen, allwissenden, allsehenden, allhörenden, allgütigen Gott zu leben.

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Stellt uns die Schöpfung als Grundsatz die ungeheure Größe des Schöpfers dar, so nicht minder das logisch damit gegebene, das Weltall durchdringende, von manchen Christen nicht genügend anerkannte Gesetz der Kleinheit aller Geschöpfe und auch des Menschen; auch eine notwendige Basis der biblischen Erkenntnis!

Einst schuf Gott im Spiel seiner Weisheit zu seiner, nicht zu unsrer Ehre Pflanzen und Tiere ohne Zahl, die Vögel des Himmels und die Fische des Meeres und sah, daß es gut war, auch ohne den Menschen. – Wohl setzte er ihn zum Beherrscher der Erde und ihrer Geschöpfe ein; nur aber von Eva heißt es: »denn das Weib ist für den Mann geschaffen;« von allen andern vor ihm geschaffenen Geschöpfen aber: »alle Dinge sind durch Christum und für Ihn geschaffen«.

Wenn wir bedenken, daß über zweidrittel der Erde mit Oceanen bedeckt sind, in denen hoch übereinander und auf deren Grund, in unterseeischen Wäldern so groß wie ganze Länder, Billionen und aber Billionen von Fischen, Mollusken, Korallen, Schwämmen und kleinsten Meertierchen sich tummeln, daß auf dem Lande in den großen Wäldern am Orinocco, auf den Pampas und in den Sawannen, in den Steppen unzählige wilde Tiere weiden; in den Polargegenden Millionen von Seevögeln, Robben, Walrossen und Eisbären ihr Wesen treiben, und wenn wir dazu die ungezählten Billionen Infusorien, Bazillen und Mikroben rechnen, die das Weltmeer und die Luft, den Schnee und die Erde füllen, so erkennen wir, daß weitaus die meisten Geschöpfe auf Erden nie einen Menschen gesehen haben, noch von ihm gesehen worden sind, daß sie außerhalb seines Einflusses leben, seine Existenz nicht ahnen und nicht davon berührt würden, wenn das Menschengeschlecht unterginge. Die Geschöpfe sind nicht um des Menschen, sondern um ihrer selbst und um Gottes Willen da. Das lehrt uns die Natur und die Bibel, wenn sie auch wiederum lehrt, daß die seufzende Kreatur einst teilhaben werde an der Erlösung des Menschen.

Noch weniger sind für den Menschen und um seinetwillen die Weltkörper geschaffen, die am Himmelszelt funkeln. Schon der gesunde Menschenverstand sagt uns, daß Millionen für das bloße Auge unsichtbare Sonnen, manche viel größer als unsre, die majestätisch durch die Abgründe des Weltalls fliegen, mit Licht und Kraft und Wärme und Leben sie erfüllend, nicht bloß dazu geschaffen wurden, damit je und je ein Mensch durch sein Fernrohr am dunkeln Himmelszelt ein Lichtpünktlein erblicke. Hätte ja Gott die Beleuchtung des nächtlichen Himmels unendlich leichter, billiger und auch effektvoller durch einige Dutzend nahegelegener farbiger Monde und ein paar Hundert Asteroïden bewerkstelligen können! Und was hat denn die Menschheit von den Sternen, die nie ein Mensch gesehen hat, noch sehen wird selbst durch das Fernrohr, und deren Existenz erst jetzt durch schwarze Pünktlein auf der photographischen Platte uns bewiesen wird?

Eine Beleidigung des Schöpfers ist es, anzunehmen, daß Er in den Ewigkeiten der Ewigkeiten nichts andres zu erdenken wußte, nichts andres zu erschaffen vermochte als tote Weltkörper, auf denen nichts Ihn lobt und preist, nichts Ihn erkennt, nichts und niemand Ihm für seine Existenz dankt, die zwecklos und wertlos ewig durch die Himmel fahren; während doch dieser Gott des Lebens auf dieser kleinen Erde in jedem Wassertröpfchen und unter jedem Moosblättlein lebende Wesen geschaffen und in Luft und Wasser Millionen von Lebenskeimen gelegt hat. – Weg mit solchem Frevel an der Weisheit und Majestät des » lebendigen« Gottes! mit solchen ärmlichen Vorstellungen von Menschen, die gern allein bei Gott wohl daran sein möchten, als ob Er nicht »die Liebe« wäre, unergründlich, unendlich, sich immer vermehrend, immer größer werdend, je mehr sie liebt, wie das Feuer, je mehr es verzehrt.

Ja, klein und unbedeutend ist und fühlt sich der Mensch in diesem wunderbaren göttlichen Weltall, und bei Anschauung dieser großen Natur möchte er wie der Fischer in der Bretagne beten: »Herr Gott! hilf mir! Dein Meer ist so groß und mein Schifflein ist so klein!«

Die Verkennung dieses Gesetzes der Kleinheit des Menschen, und seiner Proportion zum Weltall und zur Erde, die er bewohnt, ein Verhältnis, dessen Grund uns völlig unbekannt, läßt den Menschen sich zu einem scheinbar großen Wesen aufblasen, das aber in Wahrheit hohl, leer, gehalt- und haltlos ist, ein Koloß, der umfällt, wenn eine Maus an ihm nagt. Das weiter zu beweisen, ist überflüssig.

Der Mensch ist leiblich klein, schon der Erde gegenüber. Man hat berechnet, daß alle Menschenwerke und Bauten, Schiffe und Häuser, Städte und Dörfer noch nicht eine Kubikmeile ausfüllten, und die Erde enthält über zweitausendsechshundert Millionen solche Kubikmeilen! – Aber er ist noch kleiner als seine Werke. Alle Menschen der Welt, sagen wir selbst rund: eintausendsechshundert Millionen hätten in einem Viereck von vierzig Kilometer oder acht Stunden Seite Platz, also in einem Kanton der Schweiz, wie Freiburg oder Zürich, und die übrige Erde wäre leer. Würde man sie etwas näher zusammendrängen, so könnten sie sich alle auf dem Bodensee aufstellen. Noch erstaunlicher ist die ebenso leicht zu kontrollierende, schon gemachte Berechnung, wonach, da durchschnittlich fünfzig Kubikdecimeter Inhalt auf den Menschen, Kinder und Erwachsene zusammengenommen, kommen, obige eintausendsechshundert Millionen einen Raum von achtzig Millionen Kubikmeter einnehmen. Da nun die Oberfläche des Bodensees fünfhundertvierzig Millionen Quadratmeter beträgt, so würde, wenn die ganze Menschheit darin ertränke, der Wasserstand nur um fünfzehn Centimeter, also einen halben Fuß, steigen! – Und schon oft ist er in vierundzwanzig Stunden infolge von starken Regengüssen um soviel lautlos gestiegen! – So klein ist die Menschheit der großen Natur gegenüber! – Ach, der Grashalm und das Sandkorn und der Wassertropfen sind stärker als der Mensch; besiegen seine stärksten Festen, zerstören Theben, Ninive und Babylon! – So wiegt der einzelne Mensch durchschnittlich fünfundsiebzig Kilogramm, also nur ein achtundsiebzig Sextillionstel vom Gewicht der Erde, die selbst nur ein Sandkörnchen im Weltraum, an Größe 1/1 400 000 der Sonne ist. Sieht man in der großartigen Alpenwelt oder in der Wüste von ferne so einen Menschen als winzigen Punkt langsam und mühselig sich vorwärts bewegen, so denkt man unwillkürlich: Kann ein solches Stäublein und Pünktlein im All der Herr der Schöpfung und eine ewige die Welt einst überlebende Seele sein?

Auch zeitlich klein ist der Mensch. Wie steht so fest und stark und wächst noch so freudig so manche Eiche und Linde, die schon hoch und groß ihr Laub gen Himmel streckte, als Luther noch in die Schule ging; und wie sind seitdem die Menschengeschlechter und die Reiche wie Laub gewachsen und verwelkt! – Und am Himmel braucht eine Sonne zwanzig Millionen Menschenjahre zu einem Umlauf! – Wie sein Leben so kurz, so auch gering seine Lebenskraft. So gegenüber von Infusorien und Bazillen, die monatelang einer Hitze und Kälte trotzen, die den Menschen in kurzer Zeit tötet; und so eine unsichtbare Bazille vernichtet ihn!

Auch gering ist seine vielgerühmte Macht über die Natur. – Wohl versteht er die Naturkräfte sich dienstbar zu machen und zu erstaunlichen Leistungen zu verwerten; aber nur so lange sie folgsam und willig sind; regen sich die Elemente nur ein wenig, oder bewegen sich gar die unterirdischen Kräfte und sprühen Feuer und Lava, so zittert ratlos dieser Herr der Schöpfung, und er und seine Werke verschwinden von der Erde. Furcht ist das Gepräge seines Lebens; Furcht vor der Natur, Furcht vor dem Leben und Furcht vor dem Tod, Furcht vor andern und Furcht vor sich selber! – Wir Menschen fürchten alles, nur Gott nicht.

Sind wir klein der Schöpfung gegenüber, so auch schwach in unsern Nachahmungsversuchen derselben. Was die Natur mit großartiger Sicherheit, mit unnachahmlicher Eleganz, vermöge der allereinfachsten Mittel spielend und schweigend zuwege bringt, machen wir ihr nach jahrtausendlangen Versuchen immer nur noch mit Ach und Krach, mit viel Lärm und Mühe äußerst unvollkommen nach. So läßt jede Pflanze, jeder Obstbaum, der mühe- und lautlos in anmutigem Leben aus Humus und Wasser Nahrungsstoffe, Wohlgerüche, Heilmittel aller Art verfertigt, alle unsre mühseligen mit Rauch und Lärm und Staub arbeitenden chemischen Fabriken und Spinnereien weit hinter sich. – So bleibt der Schwimmkäfer, so ein Dytiscus, ein für den Menschen unerreichbares Ideal von einem Luft- oder Kriegs- und auch Taucherschiff; denn es bewegt sich, stark gepanzert, mit großer Kraft und Gewandtheit auf dem Boden, schwimmt rasch auf dem Wasser und unter dem Wasser, taucht dann und geht ebenso zweckmäßig auf dem Grunde bei mitgenommenem Luftvorrat, ja fliegt dazu noch schnell durch die Luft! So spottet jedes im Sonnenscheine unermüdlich auf- und abtanzende Mücklein aller unsrer angeblich lenkbaren Luftschiffe und Flugmaschinen.

Und ebenso mit unsrer Kunst. Nicht mit Unrecht sagte Plato zu den großen Künstlern seiner Zeit: »Die irdische Natur ist eine schlechte Nachahmung der ewigen Natur, und ihr seid schlechte Kopisten dieser schlechten Nachahmung!« Wer je Kunst trieb, hat es erfahren, wieviele jahrelange Versuche, wieviel auch geistiger Schweiß, welche Ausgaben an Nerven- und Hirnkraft dazu gehören, ein klein wenig von der in der Natur geschauten Schönheit in Gips oder Marmor, mit Bleistift oder Pinsel, am Klavier oder an der Orgel plastisch, sichtbar, hörbar zu machen! Und war das Schaffen auch beglückend, so steht der Künstler doch vor dem fertigen Werk mit dem bitteren Gefühl: » ce n'est pas ça!« Ach! es ist nicht weit her mit unsrer Genialität, und meist hüllt den funkensprühenden Feuerstein eine rauhe erstickende Kruste ein. Das sieht man am besten an unsrer Unfähigkeit, neue Formen zu schaffen. So wenig die Erde ohne Sonne Leben erzeugen kann, so wenig kann auch der genialste Mensch aus sich eine neue Form ersinnen. Sondern wollen wir als Ornament oder Symbol ein neues Tier erfinden, so setzen wir einem Stierleib einen Frauenkopf auf und nennen es Sphinx oder Chimäre, oder stellen eine dicke Schlange mit Flügeln, Vogelkrallen und dreispitzigem Schwanz dar und heißen es Drachen und stehen damit so ziemlich am Ende unsres Witzes.

Wie schön und geschmackvoll und wahrhaft originell dagegen die von Gott gezeichneten Hunderttausende von Blumen in allen ihren Varietäten!

Und als Ihm, dem großen Tonkünstler, denn Schöpfung ist auch Musik, das Thema »Scarabeus« einfiel, setzte Er sich, wollen wir menschlich sagen, ans Klavier und nach einem kurzen Präludium, die Grundgedanken des neuen Wesens ausdrückend: – ein kleines Geschöpf voll Freßgier und zum Zermalmen gerüstet, stahlgepanzert und doch durch die Lüfte summend, die Zahl 6 sein Gesetz; – improvisierte Er nur so spielend vor den erstaunten Engeln über hunderttausend – soviel Käferarten kennen wir – Variationen über obiges Thema; und wie schön, elegant, zweckmäßig, überraschend neu, sich überall charakteristisch an die Umgebung anpassend diese sind und wie für jeden Kontinent ein andrer Typus zu Grunde liegt, wie z. B. die Käfer Afrikas wahre Neger sind, kann jeder in einer großen Käfersammlung sehen.

Von der menschlichen Wissenschaft haben wir in einem früheren Werk gesehen, wie sehr auch sie begrenzt ist. Denn sie ist in den kleinen Kreis der Endlichkeit gebannt; die Sachen untersucht sie; die Ursachen, richtiger die »Ur-Sachen« aber bleiben ihr verborgen. Nach der Wurzel der Dinge darf sie nicht fragen, darf sich nicht an ihr wahres Wesen wagen. Sobald das Unendliche hereintritt, so erlahmt unser Denken; an der Grenze des Endlichen stehen wir auch an den Grenzen der Fassungskraft unsres Hirnes. Weil aber das Unendliche stets und überall das Substrat des Endlichen bildet, das unergründliche Meer, auf dem die kleinen Wellen des Endlichen sich tummeln, so kann die Wissenschaft uns zwar über manches Schwierige und Verborgene Interessantes mitteilen, nicht aber das Allereinfachste und Alltägliche erklären. Ja, wenn erklären heißt, das Wesen eines Dinges erfassen, hat die Wissenschaft noch nie etwas erklärt. – Ach! wir sagen es mit Trauern, die Wissenschaft weiß nichts! Sie weiß nicht, woher wir kommen und wohin wir fahren, was unser Leib und was unsre Seele, wie das Gras wächst und das Mücklein stirbt, was Gold und warum es nicht Eisen ist, was der Stoff und was die Kraft, was das Leben und was der Tod, und auf die Frage aller Fragen, einige hundert Millionen Male wichtiger als die ganze Physik und die Chemie dazu, nämlich: was soll ich thun, daß ich dem zweiten Tod entrinne und lebe ewiglich? weiß sie erst recht nichts zu antworten!

Wohl erzählt sie uns viel Hübsches von dem was sie, zur Hälfte durch Zufall, zur Hälfte durch fleißiges Suchen und Nachdenken gefunden; aber immer nur vom Wie? nie vom Warum? – Denn die Gebiete sind ihr verborgen, auf denen die Gründe alles dessen, was wir sind und sehen und greifen, entstehen; die ungeheuren Reiche des Lichts und der Finsternis, die Himmel der Himmel und die Höllen der Höllen, mit ihren unzähligen Bewohnern, mit ihren Fürsten und Hierarchien, mit ihren Gesetzen und ihren Prinzipien! – »Das Sichtbare,« spricht der Apostel, »ist vergänglich, das Unsichtbare aber ist ewig.«

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So weiß und erkennt die Natur nichts Großes am Menschen. Ihr gegenüber ist er ein Geschöpf wie ein andres, zeitlich, räumlich, stofflich klein, der hie und da in ihre Ordnung eingreift, den sie aber in ihren Launen ebenso gleichgültig, ebenso spielend vernichtet, wie irgend ein Mücklein oder Würmchen. Für einen Nichtchristen ein trostloses Bewußtsein! – Also nachdem ich als blindes Produkt des ewigen Stoffes entstanden, wenige Jahre lang diese Natur genossen, vielleicht mit schwerer Mühe und liebevoller Hingebung sie erforscht habe, tötet sie mich, unbewußt und unbekümmert, vielleicht plötzlich; sei es, daß ein giftiges Mücklein zufällig mich sticht, oder daß ein Windzug eine Lungenentzündung verursacht; darauf zerlegt sie mich in meine chemischen Bestandteile, braucht mich als Dünger für die Pflanzenwelt, oder läßt mich als Sauer- und Wasserstoff in den Lüften zerflattern und das alles, ohne daß sie selber die geringste Freude davon hätte. – Entsetzlich klein ist der Mensch bei solcher Weltanschauung! – Erst die zweite Offenbarung Gottes, die Bibel, weist ihm seinen richtigen Platz im Weltall an. Als ein Hauch Gottes, ein Geschöpf nach dem Bild des Schöpfers, ein Ewiges, das diese ganze Natur überleben wird, steht er auf einmal groß und erhaben da, trotz seines Elendes; ein verlorener Königssohn, der die Schweine hütet, aber immer noch ein geborener König. Und geht er in sich und steht auf und kehrt zum Vater zurück, so kommt ihm dieser entgegen und setzt ihn in seine Königswürde wieder ein; dann sieht er, was der Vater thut; und tötet ihn scheinbar zufällig eine scheinbar blinde Natur, so weiß er, daß nun nach dem ewigen Ratschluß seines Vaters die Stunde gekommen ist, aus dieser endlichen und vergänglichen Natur jauchzend in die unendliche und ewige Natur einzugehen. Ja, dieser Sohn des Staubes darf alsdann mitreden in der Weltregierung, und der allmächtige Schöpfer Himmels und der Erden hört auf seine Bitte: »Was du jetzt geredet hast, will ich auch thun!« sprach Jehovah (2. Mos. 33, 17). – Darüber sagt die Kabbala: »Jehovah spricht – ist als gütiger Scherz des Allvaters seinem schwachen aber geliebten Kinde gegenüber zu verstehen: – der Gerechte ist größer denn ich; denn ich verhänge Strafen, und er wendet sie ab!« Und der Apostel sagt: » Wir sind Mitarbeiter Gottes!« Wir dürfen an der Erlösung des Weltalls, an der Verwirklichung der ewigen Gedanken Gottes mitarbeiten! Gibt es für das Geschöpf eine höhere Würde?

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Das dritte, was jeder, der nicht geistig blind ist, aus der Natur erschauen kann, ist das Gesetz der Gegensätze. Licht und Finsternis, Kälte und Wärme, Leben und Tod, Gutes und Böses, Ja und Nein sind und bekämpfen sich im Weltall – und nur durch seinen Gegensatz erkennen wir das Eine, so an der Finsternis das Licht, an der Kälte die Wärme, am Haß die Liebe. – »Ein Wesen,« sagt J. Böhme, »dem nicht widersprochen wird, geht nur stracks vor sich hin, kehrt nicht in sich und lernt sich selbst nicht kennen.« – Woher diese Gegensätze? Ist Gott nicht die Liebe? Ist Er nicht ein Licht, in dem keine Finsternis? Woher der Kampf der zwei Prinzipien des Guten und des Bösen, des Ja und des Nein, des Zeugens und Erhaltens und des Verderbens und Vernichtens, das unser Dasein ausmacht, ohne das wir uns kein Leben vorstellen können? – Aber diese große Frage hat ihre Wurzel in dem Abgrund, in den kein Erdgeborener, ohne vom Schwindel erfaßt zu werden, schauen kann. Und dieses Begehren hineinzusehen, das die Seele turbieret, ist das Essenwollen vom Baume der Erkenntnis des Guten und Bösen. Adam griff zur Frucht und sofort trübte sich sein Blick, und wir sehen es wie in Nebel und Dämmerung, daß es ein Gutes und ein Böses gibt und wissen nicht, was gut und was böse ist. Gibt es einen Gott und Urheber des Alls, so muß Er gut, ja die Güte sein; denn das fühlen wir alle, das Sein an sich ist gut; das Sehen und das Licht ist gut dem Auge, der Schall und das Hören dem Ohr; gut ist die Kraft und die Liebe und das Leben; und das Böse ist erst hinzugekommen. »Es wäre schön und gut, wenn nicht!« sprechen wir. Und daß wir das Böse als solches als stete Beeinträchtigung des Guten empfinden, beweist, daß wir nicht im Bösen und kraft des Bösen leben, weben und sind.

Wie auch der Ungläubige sich Mühe geben mag, dieses Ringen und Kämpfen als notwendigen und naturgemäßen Kampf ums Dasein, Evolution, Walten der Elementarkräfte u. s. w. abschwächend hinzustellen; wie sehr auch mancher Gläubige gutmeinend die Zweckmäßigkeit alles Bestehenden, so des Orkans als luftreinigend u. s. w. darzustellen sich bestrebt, so leuchtet uns grell aus der ganzen Natur die furchtbare Wahrheit entgegen: wir leben inmitten eines allumfassenden Zweikampfes auf Tod und Leben zweier unergründlicher Ursachen, denen es dabei jeden Augenblick nicht auf ein paar Millionen Existenzen ankommt. Das eine, das Prinzip des Tages, des Lichtes und des Lebens, läßt die Sonne am Himmel scheinen und wie sie und durch sie spendet es unaufhörlich, unermüdlich ungezähltes Leben, Freude, Glück, Segen und unermeßliche Wonne des Daseins und es keimt und wächst und grünt und blüht und bringt Früchte und freut sich der Existenz die ganze Schöpfung. – Das andre, das Prinzip der Nacht und des Todes, in der Finsternis schleichend und wühlend, verdirbt und vergiftet, nagt an der Wurzel der Weltesche Ygdrasil, ist der Wurm an der Lebensfrucht, bricht auch je und je tobend, mit rasender Wut in Orkanen und Taifunen, in Vulkanausbrüchen hervor, der ganzen Schöpfung Verderben und Untergang drohend. Und weil auch dieses Prinzip kolossal mächtig am Mark selbst der Dinge nagt, die Ur-Sachen selbst vergiftet, so hallt unendliche Klage durch das Weltall, und überall krümmen sich die Geschöpfe im Weh. Beim Vertrocknen einer Pfütze verschmachten Millionen von Wesen, und im versiegenden Tröpfchen sieht der Mikroskopiker, wie so eine winzige Cypris immer ängstlicher Rettung sucht, das Herz ihr im durchsichtigen Leib immer banger klopft, bis es konvulsivisch zuckend bricht; selbst im Wassertropfen die Schrecken des Todes! Am Himmel aber lodern plötzlich Sterne auf, sprühen versengende Flammen und vernichten auf Millionen Meilen in der Runde alles Leben.

Kein Wesen, das nicht seinen Quälgeist habe. Dem Walfische fressen Schmarotzertiere die Zunge, der Schwalbe unsichtbare Würmchen die Augen, und die Raupe wird bei lebendigem Leibe von dem Raupenwespchen verzehrt. Nicht nur im Weltmeere verbreitet der Hai und der Pottfisch, die Muräne, der gräuliche Rochenfisch und der scheußliche Oktopus Tod und Verderben; nicht nur in den Dschungeln lauert der Tiger, der Leopard und die Giftschlange; auch im Wassertropfen verfolgt rastlos und verschlingt gierig das kleine Rädertierchen seine Opfer. So lauert unter jedem Blättlein im Walde Haß und Mord in der Insektenwelt. Auch die Pflanze ist vergiftet, und wer in Java barfuß auf das Satanskraut ( urtica urentissima) tritt, muß den Fuß verlieren oder stirbt unter unsäglichen Schmerzen. Selbst der Krystall kränkelt und stirbt. – Und was ist das Leben des Menschen anders als ein langes Weinen? Mit Weinen tritt er in die Welt, mit Weinen fährt er ab; und während du dies behaglich liesest, krümmen sich und stöhnen Hunderttausende unheilbar Kranker, liegen in Spitälern und wünschen sich den Tod; Frauen gebären unter Schmerzen, Verwundete liegen zerrissen auf Schlachtfeldern in China oder in Afrika und schreien, und überall, unaufhörlich rafft der immer geschäftige Engel des Todes unter kaltem Schweiße und Todeskampfe seine Opfer dahin.

Es weint die ganze Schöpfung, weil sie über sich Allfaders Zorn fühlt, und solange Jehovah nicht von seinem Thron sich erhebt und mit mächtiger Hand das Leid wendet und spricht: Siehe, Ich mache alles neu! – leben wir in Gottes Zorn.

Auch hier steigert sich, was in der Natur natürlich, im Menschen zur Blüte und Frucht. Wogte dieser Gegensatz, dieser Kampf der Prinzipien nur um und außer uns! – Aber bis ins Mark der Knochen reicht er uns hinein; keine Fiber und Faser in unserm Leibe, die nicht Wohlsein und Schmerz, Gutes und Böses empfände, kein Herzschlag, in dem nicht beide kämpften, kein Wort noch Seufzer, in dem nicht beide miteinander rängen; innigst vermischt, ewig unversöhnlich. Und willst du auch nur eine Sekunde von ganzem Herzen zum Gott des Guten flehen, so flüstert dir Böses der andre ins Ohr! Dieses Nessuskleid, das uns brennt, von dem wir nicht Fetzen wegreißen können, ohne daß das Fleisch von den Knochen mitgeht, das dem Apostel den schmerzlichen Aufschrei entlockt: »Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen vom Leibe dieses Todes!« werden wir erst im Tode ausziehen, erst im Grabe liegen lassen.

Wie tobt oft im Menschen, in diesem Gottesbilde, der Teufel mit seinem Gotteshasse, mit seinem höllischem Grimme, mit rasender Verzweiflung, mit glühendem Hasse gegen alles Lebendige. Alle Grausamkeit, alle Qual und aller Schmerz, die in der Natur sind, sind wie nichts gegen das, was Mensch gegen Mensch schon ersann. – Doch am größten zeigt sich die Beherrschung Satans und die Verblendung des Menschen darin, daß dieser Mensch von seinem Schöpfer und Erhalter nichts mehr weiß noch wissen will. »Dieser Vater im Himmel,« sagt Pastor Zahn, »beschenkt in der Natur seine Kinder mit einer Menge von Goldstücken, die alle sein Bild tragen; aber sie sehen sie kopfschüttelnd an und sagen: »Das ist nicht unser Vater!« Ja, die meisten rufen ergrimmt aus: Wir haben keinen Vater und wollen auch keinen! Was schwatzen Finsterlinge von einem gütigen Vater im ewigen Licht! Ewig Waisen, hilflos, allein und ungeliebt wollen wir durch die Äonen wandeln; das ist uns Licht und Aufklärung!

So klar liegt in der Schöpfung dieses Gesetz der Gegensätze, dieser Kampf von zwei Prinzipien, daß die Menschheit ihn zu allen Zeiten erkannt hat, ja, daß daraus ihre Welt- und Naturanschauung, ihre Religion, besteht. So tief auch der Buschmann und der Tunguse, der Eskimo und der Feuerländer sonst stehen, sie fühlen es alle: Es ist in der Welt ein Etwas, das mir wohl will und mich zu erhalten sucht, und ein Etwas, das mich stets zu verderben und zu vernichten strebt. – So glaubten schon die Wenden an den weißen Gott Belbog, den Gott des Guten, und an den schwarzen Gott Zernebog, den Gott des Bösen. Der Kampf zwischen Ormuzd und Ahriman, zwischen dem weltenschaffenden Brahma und dem verderbenden Schiwa, zwischen einem allmächtigen, allgütigen Allah und einem alles Sein und Leben hassenden Schaïtan, das ist der aus der Natur erschaute Grundgedanke aller Naturreligionen. Als die Römer den entscheidenden Kampf um die Weltherrschaft und um ihre Existenz mit Karthago anfingen, da erhoben sie vor dem Abzuge ihrer Legionen und auch diese und ihre Führer, so ein Scipio Afrikanus vor jeder Unternehmung, vor jeder Schlacht die Hände zu den Göttern der oberen Welt und flehten um Schutz und Sieg, und weihten sich den Göttern der Unterwelt und dem ewigen Verderben, wenn sie je dem Vaterland untreu würden. – Und Gott verlieh dem immerhin Gerechtigkeit und Menschlichkeit schützenden Zeus den Sieg über den bluttriefenden Baal, den Kinder im glühenden Bauch verzehrenden Moloch. – Hätte der Held Hannibal Rom gestürzt, so hätte sich auch der Himmel auf Jahrhunderte hinaus über den Völkern am Mittelmeere verfinstert.

Auch das erkennen diese Naturvölker aus der Natur, daß das Gute erschaffend, belebend und beseligend zuerst da war, ehe das Böse verderbend hinzutrat. Es keimt die Pflanze und blüht die Blume auf und dann kommt der nagende Wurm; denn ist kein Leben da, was soll denn der Tod töten? – Ferner erkennen diese Völker, daß das Böse, wie erst später hinzugekommen, auch einst wieder verschwinden wird. Sie alle glauben an den endgültigen Sieg nach furchtbarem Kampf des Ormuzd, des Allah, des Balder; sie alle glauben an ein Paradies, einst verloren, endlich wiedergewonnen; darin auch durch göttliche Intuitionen erleuchtet.

Unsrer blasierten geistesmüden Zeit, der es deshalb am wohlsten unter bloßen Begriffen und Abstraktionen ist, der jede konkrete, starke Individualität zuwider, war es vorbehalten, uns durch saft- und kraftlose Begriffskonstruktionen aus der Studierstube, wie den lebendigen Gott, so auch seinen Antagonisten aus der Schöpfung hinaus zu deduzieren, und uns den natürlichen, gesunden biblischen Glauben an den Teufel zu rauben; wobei er nur gewinnt und wie Mephistopheles höhnisch ausruft: »den Teufel spürt das Völkchen nie, und wenn er sie am Kragen hätte!«

Gibt es keinen persönlichen, lebendigen Urheber und Fürst des Bösen, der von glühendem Haß gegen Gott erfüllt, mit seinen Engeln des Verderbens täglich, nächtlich die Erde umkreist, stündlich, unaufhörlich den Menschen zum Bösen verlockend, um dann ihn, obgleich selber ungerecht, der Gerechtigkeit Gottes zu überliefern, jedes Leben hassend und vernichtend, denn »er hat die Gewalt des Todes«; so brauchen wir keine Religionen mehr! – Etwas Moral thut's! – dann ist das Böse nur eine vorübergehende Trübung des Guten, eine üble Laune, eine Unpäßlichkeit des höchsten Wesens, aus der Er sich schon, wenn Er überhaupt existiert, auch ohne unser Zuthun, erholen wird; und höchste und weiseste Lebensanschauung ist: »Es wird schon alles recht werden.« – Und so haben wir uns, im Gegensatz zu den Alten, so den Griechen und Römern, bei denen alles und ein jedes im Leben den Göttern der Ober- oder der Unterwelt geweiht war, und alles Thun des Menschen unter ihrer Führung stand, ein neutrales, moralisch indifferentes Gebiet des alltäglichen Lebens, der Kunst und der Litteratur, der Ästhetik und der Politik, des Geschäfts und des Vereins geschaffen, auf dem man weder religiös noch irreligiös zu sein braucht, das weder Gott noch den Teufel etwas angeht, auf dem man weder göttlich noch teuflisch, überhaupt ein barbarisches, dem finstern Mittelalter entlehntes Wort, sondern menschlich lebt. – Bequem wäre ein solches neutrales Gebiet schon! Nur weiß das Wort Gottes nichts davon! Sondern nach ihm gibt es im Weltall nur zwei Reiche des Daseins, in die der Gott des Ja und des Guten und der Gott des Nein und des Bösen sich so geteilt haben, daß wer dem Einen nicht huldigt, ipso facto dem andern angehört. Alle Abfälle von Gottes Tisch reklamiert mit unerbittlicher Logik der Teufel als sein Eigentum. Nur in einem dieser Reiche, nur im Dienst eines dieser zwei Herrscher kann unser Leben geschehen. Wie ein Soldat im Krieg überall und mit allem, was er thut, gleichviel ob er marschiert oder ruht, kämpft oder schläft, mit seiner ganzen Existenz seinem Kriegsherrn dient, so auch der Christ Gott und der Nichtchrist dem Teufel; gleichviel ob bewußt oder unbewußt, ob der eine gerade betet und der andre gerade flucht, oder ob sie das Alltäglichste und scheinbar Unbedeutendste verrichten. Denn, und darin zeigt sich die göttliche Größe des Menschen, nirgends und niemals ist auch der Kleinste unbedeutend, noch sein Thun bedeutungslos; stets strömen von ihm Kräfte aus, die, auch unbewußt, auf andre sich ihm Nahende einwirken, stets und immer schimmert durch die vergängliche und leibliche Erscheinung das unsterbliche Prinzip in ihm, dem er sich ergeben, durch; stets ist er der Diener eines Herrn und verrichtet seines Herrn Geschäfte.

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Zum vierten lehrt uns die Betrachtung der Natur das Gesetz des Werdens und des Seins, die Veränderlichkeit und die Vergänglichkeit der Stoffformen und die Ewigkeit der Geistesgesetze, nach denen sie entstehen. Daß das Wesen, d. h. die Art und Weise, richtiger nach dem Grundtext: Die Figur dieser Welt vergeht, glauben wohl mehr oder weniger alle Menschen; aber die wenigsten haben davon einen so klaren Eindruck, wie gerade der Naturforscher. Nicht eine Größe, nicht eine Form, nicht eine Quantität noch Qualität, nicht eine Erscheinung am Himmel und auf Erden, die sich nicht unaufhörlich verändere, die unter und während der Beobachtung nicht ab- oder zunähme, die nicht einem sozusagen unter der Hand zerrinne. – Am Himmel ändern beständig in jeder Sekunde Sonnen und Planeten ihre Entfernungen und Schnelligkeit und Bahnen, Anziehungen und gegenseitige Kräfte; und im kleinsten Stoffteil ebenso die Atome und Moleküle ihre Geschwindigkeit und Nähe, gehen unaufhörlich neue Verbindungen ein und lösen die alten auf. Das Wassertröpfchen gibt in jeder Sekunde viele Millionen Atome durch Verdunstung an die Luft ab, und die Sonnen und die Erden erkalten und erglühen, ziehen sich zusammen oder dehnen sich aus. Auf Erden verändern sich unaufhörlich die Kontinente; die Meeresküsten heben oder senken sich; es bröckeln ab und erheben sich die Berge; es verändert sich der Lauf der Flüsse; es füllen sich die Seen und vertrocknen die Sümpfe. Nirgends Ruhe und wahres Dasein, überall nur ein stetes Werden. Wie von einer Wolke, die am Himmel scheinbar unbeweglich und unverändert steht, nie eine genaue Zeichnung entworfen werden kann, weil ihre Formen stets unmerklich in andre übergehen, so zergehen und zerrinnen beim Beobachten alle Formen und Farben des Stoffes. Wer vermag den Schmelz der Blume, den zarten Flaum der Früchte festzuhalten? – Ja selbst bei Dingen, welche gewöhnlich als dauerhaft angesehen werden, weiß der Naturforscher nur zu gut, daß keine Zubereitung, keine Vorsicht, kein noch so scharfsinniges Verfahren, keine Präservierung noch Bewahrungsmethode ausreicht, um die so flüchtige Erscheinung zu einer dauerhaften zu machen. Und so ist's überall. Nicht nur Eintagsfliegen sind vergänglich; auch das Granitdenkmal verwittert, die Bronzestatue verwandelt sich in Grünspan, die Perle wird durch allmähliche Oxidation trübe, und an der Luft verbrennt langsam der Diamant. – Auch unser Leib ist jeden Augenblick ein andrer und verändert sich gänzlich innerhalb weniger Jahre; er ist, chemisch betrachtet, ein Mittelpunkt der Kraft, um den unaufhörlich unzählige Millionen von Atomen sich beständig zu Flüssigem und Hartem verdichten, während ebensoviele durch Verdunstung oder Abnützung ebenso unaufhörlich sich entfernen. Auch dieser Besitz zerrinnt uns unter den Händen.

So zeigt uns der Stoff um uns her und in uns das Gesetz des unaufhörlichen, nie ruhenden Werdens. Alles Können, alle Wissenschaft, alle Erfindungen des Menschen können nicht einem Sandkorn, nicht einem Wassertropfen befehlen: Bleibe, nur eine Sekunde lang, was du bist! können nicht irgend einer Erscheinung des Stoffes zurufen: Verweile, du bist so schön! In und hinter diesem Stoff, und als verborgener Grund dieses Werdens stehen die Gesetze des Seins, des Geistes, ewig unveränderlich.

Und weil das Wort sie ausspricht, – »Alles ward durch dasselbe, und ohne dasselbe ward auch nicht Eines, das geworden ist« (Joh. 1. 3) – so ist dieses Wort, das bißchen zitternde Luft, bleibender als alle stoffliche Erscheinung, als das Härteste und Festeste, womit Herrscher und Gewaltige ihr Bild für die Nachkommenschaft zu fixieren gesucht. Tempel und Paläste, Säulen und Statuen sind zu Staub geworden, oder das wenige, das davon übrig ist, sagt uns nicht einmal den Namen des Erbauers; aber immer noch erklingen die Worte des alten, armen, blinden Homer, des im Gefängnis sterbenden Sokrates, des verbannten Dante. Und wie hallen noch durch die Welt die Worte, die Christus sprach: »Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte vergehen nicht!« – Ewig und unveränderlich sind schon die Sprachgesetze, das Substantiv und das Adjektiv, das Verb, die Präposition, das Zahlwort; das sind bronzene Felsen. Ewig sind die Ideen, härter als Diamant, dauerhafter als Porphyr, unzerstörbar, so sehr der Thor sie gering schätzt, der nur für die Erde lebt. Lange, nachdem alle Bank- und Aktiengesellschaften, alles Geld und Gut zu Staub geworden und Sonne und Mond erloschen sind, werden die Ideen oder, was dasselbe, die Gesetze der Liebe, der Gerechtigkeit, der Wahrheit bestehen, überhaupt alle Ideen; denn nur der Gedanke kann falsch sein, die Idee nicht; Gott ist Idealist.

Wir erkennen aus der Natur das Gesetz des Werdens im Stoff und das Gesetz des Seins im Geiste.

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Die Natur lehrt uns ferner das Gesetz der Zusammengehörigkeit und Solidarität aller Wesen. – Keines, dessen Wohlergehen oder Verderben seine Mitwesen nicht berührte, keines, das aus eigner Kraft allein bestehe. Eine gottfeindliche und deshalb griesgrämig und pessimistisch angehauchte Naturforschung erblickt im Schalten und Walten der Natur nur den großen »Kampf ums Dasein, in welchem der Schwächere von dem Stärkeren schonungslos zertreten wird, damit dieser um so mehr Luft, Raum und Nahrung habe.« Daß ein solcher Kampf durch die Sünde in die Welt gekommen ist, und besonders unter den von dunkeln Prinzipien beherrschten unteren Stufen des Tierreichs, unter den Insekten, Infusorien und Mikroben wütet, haben wir ja selber vorhin betont. Aber ebensowenig darf verkannt werden, daß der Bestand der Schöpfung auf gegenseitige Unterstützung und Solidarität gegründet ist. So wachsen friedlich beisammen die Blumen der Wiese und die Bäume des Waldes, gewähren sich gegenseitig Schutz und fördern das Leben. Wären ihre Ausdünstung, ihre Abfälle gegenseitiges Gift, so gäbe es längst keinen Wald noch Wiese mehr. So bilden an jeder zuerst kahlen Insel im Ocean die Anfänge der Vegetation, bescheidene Moose und Flechten, die Grundlage für einen neuen und mannigfaltigen Pflanzenwuchs, und dieser dann ermöglicht wieder ein reiches Tierleben. So leben zahllose Tiere in bester Eintracht und Frieden und zum Teil in wohlgeordneten Staaten und beschämen den Menschen. So Ameisen und Bienen und Biber; so die Schwalben, Störche und Kranichscharen, die Millionen von Wandertauben und die unzähligen Pinguine; wilde Enten, Möven und Taucher am Nordpol samt den Robben und Walrossen. So die Mustangs auf den Pampas und Prärien Südamerikas, so in rührender Freundschaft (s. Brehm) die wilden Elefanten in Afrika, die Büffel Nordamerikas, die Moschusochsen am Nordpol, die Gemsen in den Alpen, und die wilden Schafe im Himalaya, bei welchen die Stiere und Böcke eifrig die Herde beschützen und bewachen. Ebenso selbst in den Tiefen des Meeres ziehen die Heringe, die Sardinen, die Makrelen einträchtiglich zu Millionen dahin und dorthin, friedlich spielt und tummelt sich die Delphinenschar, und auch die gewaltigen Wale leben familien- und herdenweise fröhlich zusammen und opfern sich auf, um ihre Jungen zu retten. Die Insekten helfen den Blumen zur Befruchtung und nähren sich wieder von ihrem Honig; Schmetterling und Blume, Rebe und Ulme gehören zusammen, wie man um die Kaffeebäume andre schattige Bäume pflanzt, um sie vor der Hitze zu schützen. Manche Pflanzen gedeihen in Gesellschaft besser, so der Vogelbeerbaum; und die Schönheit des Gartens und des Parks beruht auf dem freundlichen Zusammenleben so vieler Blumen, Gewächse und Bäume. Und wie eng ist die Solidarität der Familie; wie zärtlich und treu lieben und pflegen und schützen alle Tiere ihre Nachkommenschaft, die ihnen doch nur Schmerzen und Mühen verursacht; wie hängen auch Raubtiere, so der Adler und der Löwe und selbst der Tiger, der Panther, der Leopard, der Grizzlybär an ihren Jungen! Wenn allen Wesen nur gegenseitiger Haß und Grimm eingepflanzt wäre, wenn sie nur darauf ausgingen einander zu vernichten, so hätte sich schon längst das Tierreich selbst ausgerottet. Friedliches und gesellschaftliches Beisammensein bildet vielmehr weitaus die Regel und die Bedingung ihrer Existenz und nur wo der von seinem Egoismus beherrschte Mensch hinkommt, verschwinden rasch Seerobben und Elefanten, Büffel und Wale.

Und so ist auch beim Menschen die Solidarität Grundgesetz seiner Existenz. Wohl redet man heutzutage viel von Übervölkerung, Konkurrenz, Überproduktion, Arbeitsstockung, und leitet daraus den Klassenhaß und die traurige Notwendigkeit für den einzelnen, durch steten Krieg gegen alle seine Existenz zu verteidigen. Wer hat aber den Menschen befohlen, sich auf so ungesunde und unnatürliche Art zusammenzudrängen? Kaum ein Drittel der Erde ist vernünftig bebaut und bevölkert. Würden die Völker wie Bienen friedlich zusammen leben und die ungeheuren Kräfte und Summen, die sie für Unterhalt von stehenden Heeren ausgeben, auf vernünftige Bebauung und Bewässerung der Erdoberfläche mit weiser Einschränkung von Industrie, Gewerbe und Handel verwenden, was und wer hinderte sie wie ein einiges Volk von Brüdern unter ihrem Weinstock und Feigenbaum zu wohnen ohne Scheu, und Brot die Fülle zu haben? – Der liebe Gott doch wahrlich nicht!

Solche Zustände verheißt uns Gott im tausendjährigen Reich Christi. Einstweilen befiehlt er: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst, und stellt damit das Naturgesetz auf: Einer für alle und alle für einen! – Freilich will uns an diesem Grundgesetz der Schöpfung eine Seite nicht gefallen. – Daß Gott die Sünden der Väter bis ins vierte Glied strafe, eine übrigens an Völkern und Individuen nicht zu leugnende Thatsache, finden wir gar streng, ja ungerecht. Eben, daß wir unsern Nächsten nicht lieben wie uns selbst, macht, daß wir fragen: warum leide ich für fremde Schuld? Merkwürdigerweise aber fragt niemand: Warum genieße ich fremde Verdienste? Warum darf ich das Vermögen, den Adel, die Talente, die socialen Vorzüge meiner Väter erben? Warum darf ich sie meinen Kindern hinterlassen? Wo ist der Sohn, der sich weigert, das schöne väterliche Vermögen zu erben, weil er es nicht verdient habe? Diese Seite des Gesetzes kommt uns ganz natürlich und gerecht vor! Daß wir an allem Guten und Großen, was unsre Ahnen gethan, unsern Anteil erhalten, dünkt uns billig, selbstverständlich, gerecht. Wir können es nicht genug rühmen, was sie, was unser Volk gethan, wie die Germanen von jeher Helden waren; wir sonnen uns in ihren Verdiensten und glauben uns groß, weil sie groß waren. An ihrer Schuld und an ihrer Strafe wollen wir nicht mittragen. Ist aber das erste gerecht, so auch das zweite. Haben wir Gutes empfangen von Gott, sagt Hiob, und sollten das Böse nicht auch annehmen? Doch! denn das göttliche Gesetz der Natur lautet: Jedes Wesen ist verantwortlich für alle, und alle für das eine; jedes Volk trägt an den Sünden und erntet Lohn für die Tugenden seiner Vorfahren; ja, ist mit und für die ganze Menschheit verantwortlich. Die Natur kennt keinen Egoismus, kein bloß für sich leben wollen. Ob mein Bruder oder ich leide, sündige oder strafbar bin, ob er oder ich die Strafe erleide, das ist einerlei. »Er ist Fleisch von meinem Fleisch und Bein von meinem Bein.« Nicht allerdings, als ob jeder Chinese, der jetzt gerade Zahnweh hat, ebensoviel Mitleid von mir beanspruchen könnte als etwa meine Frau oder mein Kind; denn wie in der materiellen Welt, so hat Gott auch in der seelischen eine Perspektive festgestellt, kraft derer für alle Geschöpfe das Nahe groß, das Entfernte klein erscheint, also ist, ein göttliches Gesetz, das trefflich im Wort: » deinen Nächsten« ausgedrückt ist und dessen Verkennung zum sentimentalen und sterilen Weltschmerz führt als zu einem vergeblichen und schädlichen Versuch des einzelnen, die Schuld und das Leid der Welt zu tragen. – Nur ein Gott konnte das und starb daran. – Nur Er selber, Gott, sieht nicht perspektivisch; nur Er sieht jedes Wesen in seiner wahren Größe, und heißt es von uns: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst, so heißt es von Gott: » Er hat die Welt geliebt

Diese Solidarität lehrt die Bibel von Anfang an. Müssen wir nicht alle sterben, weil Adam von der verbotenen Frucht aß? Ward nicht um seinetwillen der Acker verflucht? Sehnt sich nicht alle Kreatur nach der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes, damit auch sie von der Eitelkeit erlöst wird? Aber dürfen wir nicht auch deshalb einst ewig selig werden, weil Christus, der Erstgeborene aller Kreaturen, von seinen Mitbrüdern sprach: Ihre Sünde ist meine Sünde, ihre Strafe meine Strafe, ihr Tod mein Tod! Auch mein Leben soll ihr Leben sein! – Absolute Solidarität aller Geschöpfe und dabei individuelle Freiheit des einzelnen, das ist Gesetz der Schöpfung! Wird einst Grundstimmung der Himmel sein!

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Auch das Gesetz der Zeit, am Firmament geschrieben, von Sonne und Mond verwaltet, lehrt die Natur. Alles geschieht in der Zeit und hat seine Zeit; trägt diese seine Zeit in sich. – Ihre Zeit haben Sonnen und Monde, Kometen und auch die Eintagsfliegen. Jedes Samenkörnchen, das du beim Gärtner kaufst, hat in sich sein Zeitgesetz in Sonneneinheiten. Das eine wird zur nur einjährigen Pflanze, wenn auch groß und stark wie die Sonnenblume oder der Kürbis; das andre zur zweijährigen mitunter klein wie Petersilie; das dritte zur perennierenden, immer fortwuchernden, wie die Maiblume, der Thymian und manche Erika, die jahrhundertelang auf der Heide fortwuchert, immer neue Ableger treibend. So lebt eine Linde achthundert Jahre, ein Hecht bis dreihundert, eine Krähe zweihundert, ein Elefant nur einhundertundfünfzig und der König der Schöpfung siebzig und »wenn's hoch kommt achtzig Jahre.« – Warum? –

In diesem Gesetz der Zeit liegt es, daß die Natur keine Sprünge macht. Auch ihre Schlaglichter und Knalleffekte und Zornausbrüche bereitet sie langsam, bedächtig, zweckmäßig vor. Es wachsen langsam die Wasser; Tag und Nacht fügt sich lautlos Tropfen an Tropfen, bis plötzlich mit donnerndem Krach die Fluten die Dämme durchbrechen und ringsum alles überschwemmen. So sammeln sich in langen schwülen Stunden und Tagen die oberen Kräfte in den Lüften und brechen dann los als Gewitter und Orkan. So brechen wohl im Frühjahr Millionen von Blatt- und Blütenknospen auf; aber den langen Winter hindurch hat der Baum sich mit beharrlichem Bemühen dazu gerüstet; ja, der Obstfreund erkennt schon im Herbst an seinen Bäumen, ob sie im nächsten Jahr viel tragen werden. – So auch im Geistigen. – Eilen ist des Teufels, sagt der Araber, die Ruhe aber ist Gottes. Nichts geschieht plötzlich. Aus kleinen Anfängen der Empfindlichkeit und des Unmuts sammelt sich Bitterkeit, wächst zum Groll und Hader; wird zum Zorn und verzehrenden Haß; und bringt ein Tropfen das volle Glas zum Überfließen, so bricht der langverhaltene höllische Grimm los, und ehe der Mensch sich's versieht, liegt der Erstochene, der Erschlagene vor dem erschrockenen Mörder da – und die Furien fallen über ihn her.

Ebenso, wenn ein Saulus zum Paulus auf dem Weg nach Damaskus wird. Schon lang war diese Bekehrung in ihm angebahnt; lag im Keim in seinem feurigen Eifer um das Gesetz Gottes; schon lang »löckte er wider den Stachel« und frug sich bange, ob er nicht mit seinem fanatischen Eifer für Gottes Ehre doch auf falscher Fährte sei.

So muß alles Große, Gute, Wahre, Göttliche erst keimen, dann wachsen, dann Blüte und Frucht treiben. »Die Erde, spricht Christus, »bringt hervor zuerst das Gras, dann den Halm und hernach die Frucht in dem Halm.« – »Und es geschah!« – »Als die Zeit gekommen war.« – » Meine Zeit ist noch nicht,« spricht Christus: » eure Zeit ist allezeit!« Ihr Blinden, die ihr glaubt, es komme nur auf euer Wollen an, zu gehen oder zu bleiben, zu thun oder zu lassen. »Es gebühret euch nicht,« spricht Er zu seinen Jüngern, »zu wissen Zeit und Stunde, welche der Vater seiner Macht vorbehalten hat« (Apostelgesch. 1, 7). Auch spricht Er von der großen Trübsal: »Wo diese Tage nicht würden verkürzt, so würde kein Mensch selig, aber um der Auserwählten willen werden diese Tage verkürzt« (Matth. 24, 22). Also auch hier eine uns unbekannte, droben geführte göttliche Zeitrechnung.

Wer dieses Gesetz der Zeit verkennt, eifert, aber mit Unverstand. So einer glaubt wohl, ein Feldherr reite nur so auf stolzem Schimmel vor seinem Heer her bis er auf den Feind trifft, den er mit ein paar geschickten Schachzügen geschwind schlägt, um weiter von Triumph zu Triumph zu eilen; weiß nicht, wie viele Mühe und Denken und Rechnen, und Schweiß und Arbeitskraft und Mannesmut und Besonnenheit, Überlegung und Vorsicht, Kunst und Wissenschaft es bedarf, auch eine noch so kleine Armee kampffähig zu machen und zu erhalten, und noch mehr im Felde zu führen, und was für eine Rolle dabei die Schuhsohlen und das Lederzeug und die Patronenhülsen und jede Schraube am Gewehr u. s. w. spielen. – Zu diesen Menschen gehören die gefühlvollen Philanthropen und Philanthropinnen und sentimentalen Seelen, die da glauben, die Welt könnte man über Nacht, oder wenigstens binnen Jahresfrist, verbessern, reinigen, entwaffnen, versittlichen und bekehren mit mehr an sich noch so guten Vorträgen und Traktaten, Vereinen und Komitees und Friedenskongressen.

Diese Menschen verkennen das große Gesetz der Zeit, können sie an der göttlichen Uhr nicht ablesen, verstehen die Weltgeschichte nicht. Denn Weltgeschichte, das ist das unaufhaltsame Rollen des Universums, die mit unerbittlicher Konsequenz sich vollziehende, dabei nichts nach dem Wohl oder Weh des einzelnen fragende Entwicklung aller Geistesgesetze, das Auswachsen aller Keime, das Reifen aller Früchte, das Sichrächen aller Schuld, das große, göttliche » Habeant sibi!« das stete Siegen alles Guten und Wahren, trotz aller scheinbaren Niederlage, die Logik und die Gerechtigkeit aller Dinge, la force des choses, sagt gut der Franzose, die Gott bei der Schöpfung in jedes Atom hineinsprach. – Und alles zu seiner Zeit, zu Gottes Zeit! – Was in Jahrhunderten aufgebaut, vergeht nicht im Nu; vor allem nicht geistige Schuld und geistiger Segen. Das Gericht der Verdummung, das auf hundertjährige Geringschätzung geistiger Güter, das Gericht der Verstockung und Verblendung, das auf lange Verkennung der Wahrheit und ihr hochmütiges Meistern folgt, das Gericht der Entwertung, des Unsegens, das sich auf durch jahrhundertelanges Unrecht, Krieg oder Erpressung oder habsüchtigen Welthandel erworbenes Gut legt, der lastende Fluch der bösen That, so auf Mexiko und Südamerika der der Blutthaten Cortez' und Pizarros, dieses Gesetz des langsamen Einerntens alles dessen, was die einzelnen und die Völker gesät haben, hebt nicht geschwind noch so gut gemeintes menschliches Wirken. – Den einzelnen magst du, mit Gottes Hilfe, retten und zu Gott führen; für die Völker ist, seitdem die Menschheit ihren Gott ermordet hat, keine Hoffnung mehr; sie versinken langsam in das Meer des Zweifels, des Wahns, der Blindheit, der Gottlosigkeit, bis »die Zeiten der Nationen« um sind, bis sich vollendet das Mysterium der Bosheit, bis Gott Erde und Himmel erschüttert, bis Er die Zeiten der Menschen abschließt, den alten Himmel mit seinen Zeiten wie eine Pergamentrolle abrollt, und seine Zeit, Gottes Zeit, an den neuen Himmel schreibt.

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Aber bei aller strengen, schönen Gesetzmäßigkeit liebt diese Natur das Paradox und die Ironie. »Der im Himmel wohnt, lacht ihrer; der Herr spottet ihrer!« (Ps. 2). – Dieser Gott, der nicht den mächtigen Ägypter, noch den tiefsinnenden, mystischen Hindu, noch den klassisch schönen Griechen, noch den weltbezwingenden Römer zu seinem Volk erwählte, sondern einige Hirten und ihre Nachkommen, denen Er vor allem harte vierhundertjährige Knechtschaft bestimmte; der später selber erwählte nicht in Memphis, noch Babylon, noch Athen, noch auch in Jerusalem, sondern auf der Reise in einer Krippe auf die Welt zu kommen, der zwölf Fischer und Zöllner ohne Bildung noch Wissenschaft hinaussandte, um die Welt mit der Predigt vom Kreuze zu erobern, den Griechen eine Thorheit und den Juden ein Ärgernis, der seine Weisheit den Weisen verbirgt und den Unmündigen offenbart, hat in allen Dingen seine eigne Logik, Arithmetik und Buchführung. Er gibt dem, der da hat, und nimmt dem, der nichts hat, schenkt viele Kinder dem Armen und viel Geld dem kinderlosen Reichen, läßt einen Arbeiter, Vater von sechs Kindern vom dritten Stock sich zu Tode fallen und einen unnützen, den seinigen lästigen, kindischen Greis endlos leben, – denn seine Wege sind nicht unsre Wege und seine Gedanken nicht unsre Gedanken. – Und so liebt es seine Natur uns ironisch zu zeigen, daß das Kleinste am größten, das Schwächste am stärksten, das Winzige furchtbar, das Unsichtbarkleine unüberwindlich ist. Der Wassertropfen höhlt den Felsen, mikroskopische Diatomeen füllen die Oceane mit ihren Schalen auf; winzige Korallentiere und Madreporen bauen im Meer zukünftige Kontinente auf. Ein Bohrwurm, den ein altes Schiff aus Indien mitbrachte, drohte einst die Seemacht Hollands zu vernichten, und ein Zweiglein der Wasserpest ruiniert den Welthandel eines Hafens oder eines Kanals. Was hätte der Angriff von tausend Löwen oder wilden Elefanten viel zu bedeuten? Ein Regiment mit Repetiergewehren würde mit ihnen in kurzer Frist fertig; die Tse-Tse-Fliege aber macht dem Menschen ganze Länder streitig. Ja, den Einfall von Frankreichs und Rußlands Heere kann deutscher Mut zurückwerfen, aber nicht den der Reblaus oder des Coloradokäfers; und will Gott uns strafen, so rücken seine Heere, die unsichtbaren Bacillen, auf den Flügeln des Windes daher, und die Menschen werden wieder wie früher zu Zehn- und Hunderttausenden vor dem schwarzen Tod oder der Cholera fallen und alle ihre Macht und ihre Wissenschaft wird sie nicht schützen. – Und was ist das Ende aller irdischen Macht und Größe? – In der Erde sitzt das Würmchen und verspeist wohlgemut schöne Frauen und starke Männer, gescheite Köpfe und geniale Denker, Könige und Kaiser, und ist schließlich der alles besiegende Held!

So ist auch im Geistigen das Kleine groß und die Schwäche mächtig. Was vermag der hochmütigste Hochmut gegen absolute Demut? Was der grimmigste Zorn gegen vollkommene Milde? – Am sanften »Nein« der Sklavin Blandina brach sich Roms Macht und die des Heidentums; am bescheidenen, festen: »Ich kann nicht anders!« eines Mönchleins die des Papstes und des Kaisers; ja, am demütigen, sich selbst vernichtenden: »Muß ich den Kelch trinken, so geschehe dein Wille!« alles Toben und Wüten Satans und der Hölle, und eine Welt ward erlöst.

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Unzählig sind die Gesetze der Natur! Kein Mücklein, keine Blume, kein Stein, keine Wolke am Himmel, noch Tautropfen, die uns nicht zahlreiche derselben veranschaulichten, die nicht erst kraft vieler Gesetze entstanden und bestünden. – Doch nicht dieses oder jenes Gesetz nur verkündigt uns die Natur. Sondern wo wir gehen und stehen, ruft sie uns zu: seht mich an, denn ich bin das Gesetz! Aus der göttlichen Sophia entsprungen, enthalte ich alle Gesetze eures Daseins, alle Bedingungen eurer Existenz!

Alle Sünde ist Unnatur. Unnatürliches, widernatürliches Leben ist ungöttliches Leben.

Es sündigt der Anarchist, wenn er den Staat, die Familie, die Ehe, den socialen Geschlechtsunterschied aufheben will, zunächst gegen die Natur. Vermag er nicht an den Vögeln am Himmel und an den Lilien aus dem Felde das Walten eines Vaters im Himmel zu erkennen, so könnte und sollte er wenigstens von der Biene lernen, die einen monarchischen Staat hat, von der Ameise, die Standesunterschiede kennt, vom Löwen und Tiger, von den Vögeln, von der Turteltaube, dem Storch und dem Seeadler, die den Ehestand kennen und lebenslänglich die eheliche Treue halten; von der Hindin und dem Hirsch, vom Schaf und vom Widder, von der Kuh und vom Stier könnte er die verschiedene Stellung und Aufgaben der Geschlechter, ja von jedem Hund des Bettlers und des Blinden lernen, daß es eine Liebe und Treue gibt, die nicht auf materiellen Vorteilen beruht, und ein freiwilliges Gehorchen, das in dieser Liebe, in der Anerkennung eines Höheren, geschieht und seinen Lohn in sich trägt.

Gesetz allein ist Kraft und Macht; Gesetz macht stark, unüberwindlich; im Gesetz leben macht glücklich, gibt Frieden, macht auch weise und verständig. Wie das Dasein, ist auch der Himmel ohne Gesetz nicht denkbar. Leben ist das Erfüllen des Gesetzes durch von Gott ausgesprochene Ichheiten. Die ganze Natur ist nur die Sichtbarkeit von Gesetzen. Die Schöpfung ist die Frucht vom Gesetz. Astronomie enthält die Gesetze der Persönlichkeit, der Ichheit; Chemie die der Veränderungen innerhalb dieser Ichheit und auch der Wahlverwandtschaften solcher Ichheiten zu einander; Physik regelt das Verhalten dieser Ichheiten untereinander und einander gegenüber. Die Zahl endlich ist das Urgesetz, das Gesetz dieser Gesetze, der Buchstabe, womit sie geschrieben, ihre Form und Fassung.

Je größer der Meister, desto mehr lebt er im Gesetze, bewegt sich frei darin und vollendet in und nach dem Gesetze seine Meisterwerke; ja, diese sind nichts als die möglichst klare Offenbarung dieser ewigen Gesetze. – Der große Mann, ein Aristoteles, Kopernikus, Newton, Kepler, Herschel, Linné, ist groß dadurch, daß er das Gesetz findet und es seinen Mitmenschen zum festen Grundstein ihrer Weltanschauung gibt. Welches Glück das Finden und Erkennen dieses Gesetzes solchen Männern verschafft, haben sie oft bezeugt. Den ärmlichen, kleinlichen, geistlosen Nörgler aber geniert und beengt, wie das menschliche Gesetz, so auch jedes Gesetz im Weltall, und diesen Gesetzen gibt er die Schuld, daß er so ohnmächtig und unfrei und unfruchtbar ist.

Der starke, einfache, wahre Naturmensch bedarf wie das Kind des Gesetzes noch nicht; er lebt in der Natur, als in einem unmittelbaren Ausfluß der Gottheit und ist auch so in der Wahrheit, wie den ersten Römern der Baum und die Quelle göttlich waren. Dem wahrhaft Geistigen ist diese Natur nur noch geistiges Gesetz und zugleich göttliches Denken, womit er mit ersterem übereinstimmt. Am schlimmsten daran ist der arme gottlose Gelehrte, der zwar sein Leben dem Erforschen des Gesetzes widmet, welches Gesetz auch einzig der Wissenschaft ihre Würde verleiht, aber dabei gestehen muß, daß er die meisten dieser Gesetze nicht kennt, daß ihm die Grenzen der bekannten doch unbekannt sind, und daß er überhaupt nicht weiß, woher diese Gesetze kommen, warum und wie sie entstanden und wozu sie da sind.

Aus sich heraus kann der Mensch ebensowenig ein Gesetz schaffen, wie eine neue Form oder einen neuen Vokal erfinden. Schaut er aber mit treuherzigem Gemüte in die ihn umgebende, von Gott geschaffene Natur hinein, so findet er darin einen Abglanz aller der himmlischen Gesetze in der Gottheit. So findet er darin die Vaterrechte, die des Erstgeborenen (wie auch in Christo geoffenbart), die der Hierarchie und der Erbschaft, des Alters, des Geschlechtes und des Staates, des Besitzes, des Wachstums und des Ernährens, der Ehe und der Familie. Daher Jakob Böhme tief sagen kann: »Wer in der Natur lebt, bedarf keines Gesetzes« und der so geniale Hippokrates: »Für den, der natürlich lebt, gibt es nichts Schreckliches.« Weil dieses Gesetz göttlich und folglich gut ist, so ist nicht nur jede Übertretung desselben, jedes sich davon emanzipieren wollen Unverstand und Thorheit, sondern dieses Gesetz hat in sich Macht, eben durch seine Gesetzmäßigkeit und göttliche Logik jede Übertretung und Emanzipation unnachsichtlich, unerbittlich mit absolut gerechter Selbststrafe zu belegen; weil jedes Gesetz der Natur einen weisen Zweck verfolgt und eine absolut notwendige Bedingung des Seins erfüllt, so entspricht jedem derselben eine thörichte und schädliche in sich die eigne Vernichtung tragende Übertretung. Denn diese Gesetze sind nicht von außen und nachträglich erst den Wesen auferlegt worden, sondern sie liegen in ihnen, sind die Formel ihrer Existenz, innerhalb deren allein ihr Leben bestehen und sich bewegen und entwickeln kann; sie sind das durch sie selber Gesetzte, sind und werden mit und durch das Sein Gesetz.

Gott ist nicht ein König, der je und je ein Edikt erläßt, mit der Begründung à la Louis XIV.: » Tel est mon bon plaisir!« Sondern seine absolute Vollkommenheit zeigt sich darin, daß jeder seiner Gedanken so gut und so vollkommen dem Wohl und dem innersten, Ihm wohlbekannten, aus Ihm rührenden Wesen seiner Geschöpfe angepaßt ist, daß das Geschöpf auch bei Aufbietung aller seiner Weisheit doch niemals und gar nichts Zweckmäßigeres und Besseres erfinden kann, als diesem Gesetz so genau als möglich zu folgen, und daß umgekehrt die Übertretung desselben für das Geschöpf der Inbegriff aller Thorheit und Borniertheit ist, schon vom Standpunkte der eignen Erhaltung, also eines wohlverstandenen Egoismus aus.

So führt die Emanzipation vom großen Gesetze der Ichheit zum ichlosen und ichvernichtenden Buddhismus. Aus der Verkennung des Gesetzes der heiligen, ewigen Individualität entsteht der Darwinismus. Das einseitige Studium der Körpergesetze des Stoffes bringt den Materialismus hervor. Verachtet der Mensch das Gesetz der Selbstoffenbarung, so ist die Folge geistige Verkümmerung. Die Übertretung des Gesetzes der Imagination, d. h. die Vernachlässigung und Nichtausbildung dieser Anlage erzeugt Langeweile; die Nichtbeachtung des Gesetzes des Wollens: Kraftlosigkeit; des Kreislaufes: Versumpfung; die Emanzipation vom Gesetze des Geschlechtes: Feminismus; vom Gesetze der Hierarchie: Socialismus; der Solidarität: Egoismus; der Schönheit: den geistigen Aussatz des Häßlichen; der Gerechtigkeit: die weichliche und schwächende, falsche Humanität; der Ernährung: geistige Schwindsucht; des in jedem Wesen liegenden Maßes, der Mäßigung und der Proportion: ein Vergeilen und den materiellen und auch seelischen Alkoholismus u. s. w.! – Diese Gesetze sind alle schon, aber latent und noch unentwickelt auf den niederen Stufen der Schöpfung vorhanden, so das des Wollens beim niedrigsten Infusorium; so spielt kraft des Gesetzes der Imagination das Kätzchen mit dem Ball.

Um so beklagenswerter im Interesse der Menschheit ist es, daß heutzutage eine verächtliche Sucht durch die Welt geht, sich von allem Gesetz zu emanzipieren, wobei jeder Gehorchende als ein Unterdrückter und Duldender angesehen wird, des Mitleids wert; jeder sich gegen ein Gesetz Aufbäumende als ein bewunderungswürdiger Held und edle in unwürdige Fesseln geschlagene Seele. Als ob Freiheit nicht einzig im Gesetze zu finden wäre; als ob nicht alles Befehlen erst Kraft und Macht davon erhielte, daß auch der Befehlende einem noch höheren Gesetze gehorcht; als ob nicht Erfahrung lehrte, daß nur dieser Starke und Gehorsame zu befehlen versteht, nicht aber der stets aufbegehrende Schwache. Gegen das Gesetz des Staates und der Familie, der Autorität, der Hierarchie und des Besitzes, des Geschlechtsunterschiedes und der individuellen Ungleichheit, der geistigen Hygiene, der wahren und sittlichen Ästhetik, erheben sich heutzutage auch vielfach christlich sein wollende gebildete Philanthropen. – Jede »Emanzipation« aber, jede Excentricität ist Schwäche; jedes sich vom wahren Gesetze Freimachenwollen Feigheit; zeigt, daß man nicht den Mut, nicht das Zeug dazu hat, innerhalb des Gesetzes groß, stark und frei zu sein. Von jeher haben die größten, stärksten, freiesten Völker sich die strengsten Gesetze gegeben, erkannten darin ihre Kraft; und daß wir Gesetze gegen die Sünde, gegen Gotteslästerung, Umsturz und Unsittlichkeit nicht mehr ertragen können, zeigt die ganze Unselbständigkeit und Unfreiheit unsrer Kunst, unsrer Wissenschaft, unsrer Litteratur, unsrer gesamten Kultur.

Von der Zerfahrenheit unsres Geisteslebens zeugt die geradezu charakterlose Entschuldigung: Mit Gesetzen lassen sich nicht wahre Gottesfurcht, noch rechte Sittlichkeit einem Volke octroyieren! – Ei, so laßt uns überhaupt das Gesetz verwerfen und nur noch polizeiliche Verordnungen für Straßenreinigung u. s. w. behalten! – Wozu noch den Sohn strafen, der betrunken seinen alten Vater insultiert und mißhandelt? Wahre Kindesliebe läßt sich nicht im Menschen mit dem Gesetz erzeugen! – Warum denn die Frau, die ihren Mann vergiftet, gefangen setzen? Den richtigen Begriff von ehelicher Liebe kann man ihr ja nicht durch Gesetzesparagraphen beibringen!

Wie ganz anders aber Gott darüber denkt, sieht man an seinem Gesetze. – Höchstes Verbrechen mit höchster Strafe belegt ist die Beleidigung des Höchsten, gleichviel ob der Lästerer es bereut oder nicht. Denn Gesetz und Strafe sind zuerst nicht dazu da, daß der Mensch dadurch gebessert werde; sondern damit Recht Recht bleibe und die Grundsäulen des Alls nicht wanken. Und von jeher haben rechte und große Völker nicht lange nach Zweckmäßigkeit und Resultaten gefragt, sondern verfuhren summarisch nach dem Salomonschen Grundsatze: »Das Böse muß gestraft werden mit harter Strafe, die man fühlt.« Waren denn solche, so die ersten Römer, und auch die Puritaner, die Albigenser, die Hugenotten, die Genfer Republik unter Calvins eiserner Zucht und strengen Religions-, Sitten- und Luxusgesetzen nicht imposante und trotz ihrer mitunter kleinen Zahl bedeutende geschichtliche Erscheinungen? – Gestehen wir es offen: Wir sind zu weichlich und zu bequem, zu feig und zu träge, zu genußliebend und zu materiell, um strenge Gesetze noch zu ertragen! – Dem vollkommenen Menschen wäre es Lust und Wonne gewesen, das Gesetz des Sinai zu erfüllen. Denn nach Gottes Liebe ist sein Gesetz das Schönste im Weltall; ja, es ist seine Liebe.

Solche Versuche, sich vom Gesetze zu emanzipieren, sind unverständig und thöricht, weil aussichtslos. Himmel und Erde werden vergehen, aber Geistesgesetze nicht. Ob unsre Gesetze streng oder lax, gerecht oder ungerecht sind, Gottes Gerechtigkeit kommt dabei nicht zu kurz. Ob hier oder drüben wird sie den frechen Lästerer zu finden wissen. Aber das entschuldigt uns nicht. Es war Elis Pflicht, seine Söhne zu strafen, und darum, daß er es nicht that, mußte er und sie verderben. Am großen Gerichtstage wird mancher Verbrecher zum Menschengesetze wie jener Jüngling auf dem Schafott zu seiner Mutter sprechen: Hättest du mich hart gestraft, als ich den jungen Spatzen die Augen ausstach, so stünde ich nicht hier! und mancher Mörder, dem man das verwirkte Leben hier geschenkt, verfällt um das mehr drüben dem zweiten Tode. Die Abschaffung der Todesstrafe ist ein schweres an dem Mörder begangenes Unrecht; wie schon ein solcher es vor Gericht als sein gutes Recht forderte, durch seine Hinrichtung, soviel an ihm sei, seine Schuld hienieden wieder abzutragen.

Wer hier vollends davon fabelt, daß wir nicht mehr unter dem Gesetze, sondern unter der Gnade leben, macht sich einer großen Konfusion schuldig. – Als Christus zum einzelnen Jünger sprach: »So dir einer den Rock nimmt, so gib ihm auch den Mantel,« hat er damit die gerechte Strafe des Diebstahls nicht aufgehoben. Wohl spricht Er: »So jemand dich auf den rechten Backen schlägt, so biete ihm den linken auch dar;« als er aber vor dem Gericht steht, das Recht sprechen soll, und ungerecht geschlagen wird, bietet er nicht den andern Backen dar, sondern stellt sich mit vollem Recht auf den Rechtsstandpunkt und antwortet: »Habe ich übel geredet, so beweise es, daß es böse sei; habe ich aber recht geredet, was schlägst du mich?« Und so hat er durch sein Sterben am Kreuz die Todesstrafe legitimiert; denn war er nicht Gottes Sohn, so war er nach dem Gesetze Gottes der Gotteslästerung und des Todes schuldig. – Der christliche Staat, wenn es einen gäbe, und wie Calvin sich bestrebte ihn herzustellen, kann nur auf der Basis des unerbittlichen Gesetzes bestehen. Pflicht des einzelnen Christen dagegen ist es, seinem Bruder siebzigmal siebenmal zu vergeben; wie ein edler Richter persönliche Beleidigung völlig und von Herzen verzeihen kann, sie aber um der Gerechtigkeit willen hart strafen soll. – Auch hier steht das Gesetz des Individuums höher als das der Gesamtheit. – Denn jeder Mensch steht erstens, nicht zweitens, vor Gott als göttliche Individualität und ist Ihm Verantwortung nach höchstem, göttlichem Gesetze schuldig; zweitens aber, und nicht erstens, steht er auf Erden und seinen Mitmenschen gegenüber da als nur Teil eines Ganzen, der Menschheit. Als Teil aber steht er weniger hoch als als Ganzes und hat hier dem von Gott dem Menschen gegebenen Recht sich zu fügen: Auge um Auge, Leben um Leben. – Würde dieser Unterschied zwischen der Unerbittlichkeit des gemeinschaftlichen und staatlichen Gesetzes und der unendlichen Vergebung und Gnade des individuellen klarer erkannt, so stünde es bald besser um Recht und Gesetz und wahre Menschenliebe in unsern sogenannten christlichen Staaten.

Den Alten war der Staat deshalb so ehrwürdig und groß, so über den einzelnen erhaben, weil er ihnen die göttlichen Gesetze verkörperte. Uns ist er zu einer Aktien- und Handelsgesellschaft geworden, mit der jeder unzufrieden, weil sie ihm nicht genug Dividenden zahlt. – »Überall,« sagt L. v. Ranke (Weltgesch. I. S. 212), »tritt in Sophokles die Ehrfurcht vor den Gesetzen der Götter hervor; vom menschlichen Verstände rühren sie nicht her, nie können sie vergessen werden!« Uns ist das Gesetz nicht nur drückend, peinlich und widerwärtig, sondern auch gleichgültig geworden. Wie kaum ein Christ noch nach dem auf dem Sinai gegebenen furchtbar prächtigen Gesetz Jehovahs viel fragt, so fragt kaum auch der heutige Bürger nach dem Gesetze und den Gesetzen, unter denen er lebt, und solange er nicht gestraft wird, auch nicht nach dem, was ihm verboten; das Gebot aber, groß und heilsam und fruchtbar, kennt unser Gesetz nicht mehr. Je mehr das Gesetz aus unserm Leben schwindet, desto mehr wuchert die Verordnung und die Verfügung auf. Daß wir das Gesetz verloren, bezeugt unsre Sprache. Das harte Wort »Gesetz«, das bei Gottes Volk das ganze Leben des Einzelnen wie des Staates beherrschte, brauchen wir in Jahr und Tag nicht; das schöne Wort: »Der Gerechte« ist nicht mehr sprachgebräuchlich, und ebensowenig sein Antagonist »der Gesetzlose«. Und wie gering taxiert die Sprache das Höchste am Menschen und sagt von ihm: ein guter Mann! aber … Wie traurig! Denn das alte Testament bezeichnet den Mann, den Luther den »Gottlosen« nennt, als den Gesetzlosen und spricht: Der Gesetzlose sagt in seinem Herzen: es ist kein Gott!

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Über allem Gesetz aber steht der Macher und Geber des Gesetzes, derjenige, dessen Denken das Gesetz des Gesetzes ist.

Anzunehmen, daß ein so Lebendiges und Organisches, Kraft- und Machtvolles, Harmonisches und Vollkommenes wie das Gesetz aus dem toten, bewußt- und willenlosen chaotischen Stoff hervorgegangen sei, widerspricht dem innersten Bewußtsein des Menschen, diesem ihm ebenso angeborenen Sinn für Wahrheit, wie der äußere Sinn für das äußere Licht, für Form und Farbe. – Das Gesetz setzt sich nicht selbst, sondern wird von Einem gesetzt, welcher weiß, was Er damit sagt und was Er damit bezweckt, denn das unzweckmäßige Gesetz existiert nicht.

Wie schön und gütig von Gott, daß er die Erfüllung seiner Gesetze für alle seine Geschöpfe unabänderlich mit Beglückung verbunden hat. Wäre es anders, so müßten wir wohl, um zu existieren, uns Gewalt anthun, und dennoch nach Naturgesetzen leben. Aber welche furchtbare Prüfung, wenn es nur mit Ungenuß verbunden wäre; wenn Essen eine Qual, Schlafen schmerzlich, das Licht den Augen weh thäte, der Ton dem Ohr verdrießlich wäre, die Luft übelriechend und das Wasser abscheulich schmeckte. – Darüber denken wir zu wenig nach. Es ist eben des gefallenen Menschen Fluch, daß er sich bei allem »gar nichts dabei denkt«.

Als solcher über dem Gesetze Stehender dokumentiert sich Gott je und je durch das Wunder. Denn das Wunder ist weder gesetzlos, noch ungesetzlich; sondern zeigt ebenso höhere Potenzen des Gesetzes wie die Differentialrechnung der Arithmetik gegenüber. Daß das Wunder in sich sein Gesetz trägt, eine Steigerung des Gesetzes ist und nicht wie im Märchen ein zügelloses und extravagantes Thun, sieht man ihm an. So schon darin, daß es eine geistige Entsprechung verlangt, (Matth. 13, 58) und auch darin, daß es in der Zahl geschieht. Wie der Magnetstein eine höhere Stufe des sonst keine Anziehungskraft aufweisenden Steins ist, so ist der Mensch, der auf dem Wasser wandelt und im Feuerofen nicht verbrennt, eine höhere Potenz des gewöhnlichen Menschen, und die auf Erden nur zeitweilige Erhöhung zu dieser Stufe geschieht durch die Kraft und den Willen des Gottes, der das ertränkende Wasser und das verzehrende Feuer geschaffen hat, und der eben deshalb jederzeit sprechen kann: »So du durchs Wasser gehst, will ich bei dir sein, daß dich die Ströme nicht sollen ersäufen, und so du durchs Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht anzünden.« (Jes. 43, 3). – Außer wo als Strafe das Gegenteil geschieht, bewirkt es eine Erhöhung und Befreiung, ein Lebendigmachen des Stoffs und der Organismen, läßt uns also Blicke thun in eine Welt der Herrlichkeit, wo zwar alles ebenso wie hier, ja noch mehr, nach Gesetzen geschieht, aber nach höheren, also freieren. So erhöht Christus Wasser zum Wein, steigert die stoffliche Expansion und die ernährende Kraft des Brots und der Fische und legt in sein Wort und in seinen Speichel Heilkräfte, die wir wunderbar nennen, weil wir sie nicht kennen noch besitzen.

Dem Geist, der in selbstloser Demut und Uneingenommenheit die prächtigen Gesetze des Alls angeschaut und bewundert hat, wird geschenkt, hoch über ihnen, schöner als alles Schöne, größer als alles Große, mächtiger als alle Macht, in unaussprechlicher Erhabenheit und Majestät den Grund und Geber des Gesetzes im Geist zu schauen; diese Sonne, die unaufhörlich über alles Erschaffene Ströme der Güte und der Liebe ausgießt und als höchstes, einziges, alles andre in sich schließendes Gesetz zum Geschöpf spricht: Du sollst deinen Gott lieben von ganzem Herzen; denn das ist dein Leben! – Welch Ideal der Begründung eines Gesetzes: seine Übertretung ist Tod, ewiger Tod, seine Befolgung nie aufhörendes, unüberwindliches Leben, unfaßliche Wonne, ewige Seligkeit! Und das ganze Weltall ist eine Symbolik Gottes. Wahre Liebe erquickt uns als ein Bild und Schatten seiner Liebe, Größe ist uns ein Sinnbild von einem großen Gott, Gerechtigkeit versichert uns, daß Er gerecht ist, kurz, das arme, verwaiste Menschenherz sucht den Vater stets unbewußt und findet Ihn auch in seiner Schöpfung und mit jedem Tag wächst in ihm die Zuversicht und die Freude der Ewigkeit, die die Bibel in dem unaussprechlich großen Wort zusammenfaßt: Sie werden Gott schauen.

Wir Christen brauchen wahrlich nicht uns solcher diamantenen Ecksteine unsrer Welt- und Lebensanschauung zu schämen, noch im geringsten Atheisten und Buddhisten, heidnische und moderne Philosophen, Nationalisten und Materialisten um ihre unsicheren, erkünstelten und gänzlich trostlosen Grundsätze zu beneiden. – Selbst wenn wir von der Wahrheit unsrer Weltanschauung absehen wollten und ihr und der unsrer Gegner nur eine Probabilität von 1 = 1 einräumen, muß es jedem einleuchten, daß derjenige, dessen Leben und Thun auf einer individuellen Ewigkeit gründet, ganz andre und großartigere Beweggründe für sein Thun und Lassen besitzt, als der, dessen Existenzbegriff sich innerhalb weniger Jahrzehnte und nur auf diesem kleinen Planeten bewegt; und ebenso daß der, dem ein überwältigender, lebendiger und persönlicher Gott zur prima causa und zum ersten Faktor und Motor des Alls geworden, dadurch persönlicher, größer, fester und stärker wird als der, der dafür sich ein unpersönliches, problematisches und lebloses Etwas setzt. – Wächst der Mensch mit seinen Zielen, so noch mehr mit einem großen und starken Glauben; so müssen ihn große Hoffnungen wie auf Adlersflügeln über die ärmlichsten irdischen Verhältnisse emporheben, und die Freude der Ewigkeit in ihm jetzt schon das Leid der Zeit überwinden. Daß es so ist, haben Tausende von Christen mit ihrem Leben, und was noch mehr, mit ihrem Tode auf Schafott und Scheiterhaufen bewiesen und es beweisen es auch Hunderttausende von Nichtchristen tagtäglich durch die Angst und das Bangen, womit sie schließlich in eine lange bezweifelte, aber immer reeller werdende Ewigkeit abfahren.

Das ganze nach höheren Gesetzen sich vollziehende Leben des Christen, jeder Christ, der seinem himmlischen Vater die Fürsorge für sein irdisches Dasein und das der Seinen völlig übergibt, der Krankheit, Armut, Schande und Schmach gelassen erträgt, der nicht nur seinem Feinde verzeihen, sondern auch von ganzem Herzen für ihn beten kann, ist ein mathematischer Beweis, daß er durch die Erscheinungen hindurch zum Gesetz und durch das Gesetz zum Gesetzgeber durchgedrungen ist; daß, wie Prälat Ötinger antwortete, »der da droben sein guter Freund ist«.

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