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XXIII

Buchschmuck Drei Jahre später, eintausendneunundsechzig Jahre nach der Flucht des Propheten.

Der entthronte Kaiser Schah Dschehan, von der furchtbaren Krankheit ein wenig erholt, die ihn zu Beginn des großen Bürgerkriegs so hilflos gemacht hat, sitzt im Hyazinthenturm der Zitadelle von Agra und erwartet sein Essen.

So streng und hart die Gefangenschaft des Unglücklichen Greises ist, hat Aurangzeb es doch nicht gewagt, seine geheiligte Person ganz des königlichen Glanzes zu entkleiden. Die inneren Gemächer seines Palastes zu Agra, den er einst verließ, um sein Schahdschehanabad zu erbauen, sind jetzt sein goldener Kerker; der Hyazinthenturm ist ein herrlicher achteckiger Pavillon aus mit Halbedelsteinen eingelegtem Marmor. Durch die weiten Fenster sieht man eine schneeweiße Marmorkuppel zwischen vier edlen Minaretten, die Tadsch Mahal, das göttliche Grab, das Schah Dschehan seiner geliebten Gattin Ardschumand am Ufer des Dschamnaflusses errichtet hat.

Der alte Mann hockt auf dem Boden; er kann die Tadsch Mahal schimmern sehen. Er ist viel mehr als sonst mit Edelsteinen beladen, von Perlenketten umklirrt. Der Kohinur scheint in seiner Turbanagraffe: was er an seinem Leibe trägt, wird man ihm nicht nehmen; selbst der freche und habgierige Eunuch Itibar, der Gefangenenwächter Schah Dschehans, treibt seine Schamlosigkeit nicht so weit, er, der dem König der Welt schäbige Lederschuhe im Wert von einer Rupie schickt, wenn seine alten Schuhe zerrissen sind.

Dschehanara geht ab und zu und bereitet mit ihren eigenen Händen alles für das Mahl des Vaters vor. Sie ist nicht mehr die Begum-Sahib, nicht mehr die Herrin und Königin, auch nicht dem Äußeren nach. Sie ist herbe und dürr geworden, verwelkt im glühenden Sturm; sie wird alt und fromm und hat allem weltlichen Glanz entsagt. Sie trägt kein einziges Schmuckstück und ein rauhes wollenes Kleid von gelber Farbe, die geringe Tracht der elendsten Wesen, die es gibt, der verachteten und mißhandelten Hinduwitwen. Vielleicht um Duleras willen; nur der Allwissende kennt das Herz einer Frau. Den Kopf umwindet ein großer, dunkler Turban; er verbirgt die geschorenen Haare.

Jetzt breitet sie vor dem Vater ein goldgewirktes Tafeltuch über den Teppich. Sie kniet dabei nieder, tut das knechtische Werk kühl und sorgsam. Ihre feindliche Schwester Roschanara, die jetzt in Dschehanaras Palast zu Delhi frohlockt und ihren Liebhabern die Juwelen der Gestürzten zeigt, mag königlich prunken, aber sie kann in ihrem neuen Glanz nicht so voll Würde sein wie diese vom Unglück ungebeugte Frau. Es fehlt dem Gefangenen nicht an Sklavinnen, aber Dschehanara läßt niemand in die Nähe seiner Speisegeräte.

Schah Dschehan beklagt sich greisenhaft weinerlich, weil das Essen noch nicht kommt. Die ärgsten Martern der Dschehenna über diesen verschnittenen Hund und Hundesohn, Itibar. »Der Treue« heißt er? Der Verräter sollte er heißen. Oh, wohl hat ihn der Heuchler ausgewählt, der lügnerische Fakir, dem Fluch sei, Aurangzeb. Weiß man doch sehr wohl, wie Itibar Khan seine eigenen Eltern behandelt hat, elende Reisbauern aus Bengalen, als sie zu Hof kamen, den reich und mächtig gewordenen Sohn um ein Almosen anzuflehen. Er hielt ihnen vor, daß sie ihn als Knaben zur Verschneidung verkauft hatten, und er ließ sie ergreifen und sah mit seinem grinsenden Affengesicht zu, wie ihnen fünfzig Streiche versetzt wurden, dem Vater und der alten Mutter. Kein anderer Mensch hätte sich dazu hergegeben, Aurangzebs niedrige kleinliche Rache an seinem Vater zu vollziehen. Aber Geduld, noch ist das letzte Wort nicht gesprochen. Es ist wahr, Dara Schikoh ist zweimal geschlagen worden und irrt im Lande umher; und Murad Bakhsch, der verblendete Narr, den Aurangzeb so schmählich betrogen hat, liegt in goldenen Ketten zu Gwalior und wartet auf das erlösende Gift. Aber wenn es dem Erbarmer gefällt, kann Dara wieder ein Heer sammeln; das Volk liebt ihn noch immer. Die letzte geheime Nachricht, auf Schleichwegen nach Agra gebracht, meldete, daß Dara sich der Stadt Ahmedabad nähere; gewiß wird sie ihm ihre Tore öffnen. Ja, es kann angenommen werden, daß Dara bereits wieder mit einem mächtigen Heere gegen Agra heranzieht, seinen Vater zu befreien; anders kann man gar nicht deuten, daß in den letzten Tagen die Bewachung so viel strenger geworden ist und keine List Dschehanaras, keine Bestechung es ermöglicht hat, sichere Nachrichten zu erlangen. Ganz gewiß, das Volk empört sich gegen die Tyrannei Aurangzebs; hat er sich nicht beeilt, berühmte Hindutempel zerstören zu lassen? Fühlte er sich sicherer, dann hätte er sich wohl längst zum König ausrufen lassen. Aber das wagt er nicht.

Schah Dschehan sagt das alles mit greinender Stimme und verlangt dazwischen immer wieder eigensinnig nach seinem Essen; er ist sehr greisenhaft geworden.

Dschehanara, vor dem Vater kniend, seufzt und zieht aus ihrem Gewand eine Münze, einen Goldmohur. Itibar Khan, der Geizige, er, der selbst den Mist seiner Pferde sammeln und verkaufen läßt, hat ihn heute früh einer ihrer Sklavinnen geschenkt, sicher, damit sie die frisch geprägte Münze der Herrin zeige.

Schah Dschehan nimmt das Goldstück in seine zitternde Hand, und sein Gesicht verzerrt sich; denn die Münze trägt das verschnörkelte und verschlungene Namenszeichen Aurangzebs und als Umschrift den Vers:

» Sikkah zad dar dschehan tschun badr-i-mupir
Schah Aurangzeb-i-Alamgir.
«

»Gold gemünzt in der Welt, hell wie Sonne und Mond; ich, König Aurangzeb Alamgir, der Weltergreifer!«

Schah Dschehan schleudert den Goldmohur von sich, daß er klingend gegen die Marmorwand fällt. »Alamgir!« Er wagt es, sich König nennen zu lassen und Weltergreifer! O Verräter, o Betrüger, o Vatermörder! Aber es nützt ihm nichts, Dara trägt noch sein Schwert, und selbst Sultan Schudscha, der jüngste von den vier Königssöhnen, die untereinander um die Herrschaft kämpften, ist noch in Freiheit, mag auch sein Heer zersprengt sein. Und selbst wenn diese Aurangzeb nicht zu besiegen vermögen, ist nicht alles verloren. Man kann den Betrüger betrügen, den Verräter verraten: »Komm, o Sohn, besuche den Vater, daß er dir verzeihe und dir die Juwelen des Reichs übergebe. Wahrlich, deine Brüder sind nur Rebellen vor meinem Antlitz.« Wenn er dann kommt – –

Mit zitternden Fingern betastet Schah Dschehan seinen Gürtel. Daran hängt ein emailliertes Büchschen, gewisse Betelnüsse enthaltend – –

Dschehanara ist mit ihren Zurüstungen fertig, und jetzt kommt auch endlich das Essen. Zu gleicher Zeit ertönen aus dem Nebenzimmer sanfte Instrumente, und Frauenstimmen beginnen ein Lied zu singen, das Lied, das Schah Dschehan nicht müde wird zu hören. Er hat es in gesegneteren Tagen selbst zum Lobe seines schönsten Werks gedichtet, der Tadsch Mahal, die dort einer Perle gleich in dunstigem Licht schimmert, umgeben von dem Grün der Gärten, das der Regen neu erfrischt hat.

Die Stimmen singen unter dem sanften Schluchzen der Geigen und Flöten:

»Nicht Sabas Königin ward jemals so geliebt
Wie jene hohe Frau, die dieses Grab umgibt.
Wie Himmelsgärten glänzt es in der klaren Sonne,
Durchhaucht von Ambraduft und Paradieseswonne.«

Der Türvorhang ist beiseite gezogen worden; eine persische Sklavin, die Vorgesetzte über den Tafeldienst, tritt herein, mit einem Goldstab in ihrer Hand, und vollzieht den dreimaligen Königsgruß. Hinter ihr kommen andere Dienerinnen mit goldenen und silbernen Schüsseln, die in weißen und roten Musselinsäcken stecken, versiegelt mit dem Siegel Dschehanaras. So kommen sie aus der Küche. Dschehanara löst mit eigener Hand die Siegel, entfernt die Hüllen und kostet von jeder Speise, bevor sie die gewürzten Reisgerichte und das gebratene Hammelfleisch vor ihren Vater setzt. Er sieht mit großer Ungeduld diesen Vorsichtsmaßregeln zu, kann es nicht erwarten, über die Speisen herzufallen. Jetzt taucht er gierig seine Hand ein, ballt den gepfefferten Pilaw zu Kugeln, vergißt alles andere, ißt, unreinlich und wie ein ausgehungertes Tier. Kniend reicht ihm Dschehanara die von Edelsteinen funkelnden Schüsseln.

Leise tönt das Lied der Sängerinnen:

»In seinen Höfen fühlt man Blumenodem wehen,
Und seine Schwelle fegen des Paradieses Feen
Mit ihrer Augen Wimpern, und seine Tore schimmern;
Der Glanz von Edelsteinen blendet in seinen Zimmern.«

Jetzt ist Schah Dschehans erste Gier gestillt, und es stellt sich heraus, daß er nicht wirklich hungrig war. Er macht Pausen im Essen, wählt naschhaft verlockende Bissen, läßt sie wieder liegen, lehnt sich müde in die Kissen zurück, hört mit geschlossenen Augen auf das Lied.

»Der dieses Grab erbaut, besprengte es mit hellen
Perltropfen aus der Gottesgnade Quellen.
Auf diesen hohen Dom strömt wie ein sanfter Regen
Durch alle Ewigkeit der Gottheit höchster Segen.
Wenn hier der schuldigste Verbrecher Zuflucht findet,
Ist ihm vergeben, denn der Sünder ist entsündet.«

Schah Dschehans Gesicht zuckt verdächtig. Er findet eine weinerliche Wollust darin, sich dieses Lied singen zu lassen und an die beiden Marmorsarkophage unten in der Gruft des unvergleichlichen Grabdoms zu denken, an den mit welken Rosenblättern ganz bedeckten Sarkophag, in dem Ardschumand ruht, und an den anderen daneben, der noch leer ist und wartet.

Die Melodie, bisher langgezogen und sanft, schwillt zur leidenschaftlichen Klage an:

»Doch Sonne selbst und Mond, die dieses Grab bescheinen,
Sie weinen, weinen, weinen; sie weinen, weinen, weinen.«

Schah Dschehan bedeckt sein Antlitz. Das Lied verklingt:

»Des Weltenschöpfers Ruhm verherrlicht dieser Bau
Und sie, die er geliebt, die wunderschöne Frau.«

Der alte Mann schluchzt plötzlich auf. Dschehanara ist dicht neben ihm, er klammert sich an sie, umschlingt sie wie ein Kind seine Mutter, und sie besänftigt ihn und tröstet ihn wie eine Mutter. Nimm deine Zuflucht zum Erbarmer, zum Barmherzigen, o Vater! Wenn es verhängt ist, werden deine Leiden bald glückselig enden!

Schah Dschehan weint stürmisch. Er legt seinen alten Kopf an die Brust Dschehanaras, wärmt sich an ihrer Liebe. Oh, es gibt finstere Stunden, in denen der Gefangene selbst der treuen Tochter mißtraut, von ihr vergiftet zu werden fürchtet; hat er sie denn nicht sehr gekränkt, wird sie sich nicht rächen wollen? Aber jetzt ist das fern und unfaßbar; er sieht und empfindet nur ihre Ähnlichkeit mit Ardschumand, ihrer Mutter, der Toten in der Tadsch Mahal; oft verwechselt er Dschehanara mit ihr. Er hat Augenblicke, in denen seine ganze alte Geisteskraft wiederkehrt, dann schmiedet er verwickelte und ausführbare Pläne, vor denen Aurangzeb zittern müßte, hätte Schah Dschehan nur noch ein wenig von seiner alten Kraft. Dann aber wieder wird er wirr und kindisch, nennt Dschehanara Ardschumand und führt lange Staatsgespräche mit Sadullah Khan, der längst tot ist. Meistens aber ist Schah Dschehan bei vollen Sinnen, doch ohne Mut und Würde, verdrießlich, kränklich, voll Kleinlichkeit. An dem Tag, an dem er den ersten großen Streich gegen Aurangzeb führen wollte, und es nicht tat, am Tag des Bades der Dschehanara Begum, endete seine Mannheit; seither ist er ein gebrochener Greis. Jetzt überkommt ihn mitten in seinem königlichen Schmerz um die verlorene Herrlichkeit wieder tierische Freßbegierde; während ihm noch die Tränen über die Wangen fließen, langt er schon wieder mit den blaugeäderten Fingern, an denen große Ringe schlottern, in die fette Brühe.

Da hört man von draußen Schritte. Zwei Keulenträger mit Silberkeulen schreiten voran, dann folgt ein Page, der ein verhülltes Gefäß trägt, dann der Eunuch Itibar Khan, klein, affenhaft, von erschreckender Häßlichkeit und dabei weibisch geschminkt und parfümiert. Er hat, o Schmach, seine spitzen Pantoffeln nicht von den Füßen gezogen, und er tritt ein, ohne den gebührenden Königsgruß auszuführen. Er verneigt sich nur leicht und bleibt am Eingang stehen.

Die Musik hört auf. Dschehanara erhebt sich. Nie war sie königlicher.

Itibar wirft einen Blick befriedigten Hasses auf seinen Gefangenen. Er haßt Schah Dschehan seines vergangenen Glücks und seiner schönen Gemahlin und seiner vielen Kinder wegen; er haßt die ganze Welt, in der er Eunuch sein muß. Heute ist fürwahr ein Glückstag, festlich zu feiern.

Mit einer schrillen Kinderstimme beginnt Itibar: »Der König der Welt, der Herr der Herren der Zeit – –«

Schah Dschehan begreift sogleich, daß sein Sohn Aurangzeb sich als König hat ausrufen lassen und daß er davon verständigt werden soll. Die Wangen des Greises werden rot, er sitzt auf einmal viel aufrechter da, ein Glanz von Majestät ist zurückgekehrt. Er sieht mit ruhigen Augen den kläglichen Sklaven an, der da in unehrerbietiger Haltung vor dem Urenkel Timurs steht, dem einzig gesetzmäßigen Kaiser von Hindustan, und winkt ihm, fortzufahren in seinen hochverräterischen Worten.

Itibar sieht den Blick, die Gebärde, merkt die unendliche Verachtung und lächelt; er weiß die Rache.

»Der König der Welt, der Herr der Herren der Zeit; in seinem Wesen besitzt er gottähnliche Tugenden; der Vollkommenste unter den Vollkommenen; er, der die Einrichtungen des Propheten Allahs verschönert; so tief versenkt ist er in den Inbegriff der Gottheit, daß er das Haus Gottes zu seiner Wohnung gemacht hat; wohl seinem Geist, der sich von Königsglanz wegwendet zu göttlichen Eigenschaften; glückselig der König, der aus seinem Palast fünfmal täglich zur Gebetstätte kommt, in das Haus Gottes; seine erhabene Person erhöht den Glanz des Throns; sein geringster Diener erhebt Tribute von China und von den Franken; das Bauwerk seines Glaubens wuchs durch den Tempel der Vielgötterei und des Heidentums; sein Gebetsteppich hat die Flammen der Feueranbeter von Persien und Irak erstickt; er ist der Führer des Glaubens, durch die Liebe des besten der Menschen in Arabien und Nicht-Arabien, des gepriesenen Propheten; der Vater des Siegs, Mohyeddin Mohammed Aurangzeb Alamgir – –«

Schah Dschehan hebt seine Hand gebieterisch, als säße er noch auf dem Pfauenthron inmitten seiner Emire. Selbst der boshafte Affe Itibar verstummt unwillkürlich. Schah Dschehan sagt mit einer Donnerstimme:

»Wie kannst du, o Schamloser, in meiner Gegenwart eines anderen Menschen Namen mit königlichen Titeln nennen? Ich lebe noch, und nach dem Gesetz des Korans kann niemand als ich König sein, solange ich noch lebe.«

Itibar Khan zuckt die Achseln. Er wird auf einmal honigsüß, fährt fort:

»Er, dessen Hände durch ihre Berührung von Kummer und Sorge befreien, sendet seinem Vater als getreuer Sohn seinen Gruß und schickt ihm dies zum Geschenk, als ein Zeichen, daß er seiner gedenkt, obwohl die Pflichten des Throns und die Mühen des Kriegs gegen die Rebellen ihm nicht gestatten, in Agra zu erscheinen.«

Der kleine Page überreicht dem Eunuchen das verhüllte Gefäß. Es steckt genau wie die Speisen, die Schah Dschehan aufgetragen werden, in einem roten Musselinsack, der mit Aurangzebs Siegel verschlossen ist. Zweifellos ein seltenes und schmackhaftes Gericht von Aurangzebs Tafel; eine gebräuchliche Aufmerksamkeit. So kindisch ist Schah Dschehan geworden, daß für einen kurzen Augenblick Naschlust in seinen Augen aufflackert, die eben noch so königlich zu blicken wußten. Aber er besinnt sich sogleich wieder und beschließt, das Gericht, was immer es sei, nur zum Schein zu berühren; oh, er wird sich von diesem hinterlistigen Fakir nicht vergiften lassen! Aber Verstellung tut not, diese Gabe Aurangzebs kann zur Anbahnung von Verhandlungen dienlich sein. Vielleicht erlangt man eine Erleichterung der Haft, vielleicht kann man den Rebellen und Thronräuber sogar zu einem Besuch bewegen. Gewiß sucht er sich einzuschmeicheln, weil er sich schwach fühlt; es ist augenscheinlich, daß Dara Schikoh mit einer großen Heeresmacht von neuem im Felde steht. Jetzt nur Selbstbeherrschung und List; Aurangzeb soll glauben, seinen Vater für sich einnehmen zu können, und wenn er dann kommt – – Schah Dschehan betastet zärtlich das Goldbüchschen an seinem Gürtel.

Der Eunuch Itibar Khan hebt das verhüllte Gefäß empor und löst feierlich das Siegel Aurangzebs; es kommt ein gewölbter Kasten zum Vorschein, mit großen Türkisen auf dem Deckel. Dschehanara will das Gericht aus der Küche ihres Bruders Aurangzeb entgegennehmen, aber Schah Dschehan streckt schon seine zitternden Hände danach aus. Der Eunuch kommt mit dem Feixen eines bösen Affen nach vorn; Dschehanara, plötzlich voll Ahnung, möchte das Gefäß an sich reißen, aber schon hat es Schah Dschehan in beide Hände genommen und vor sich hingestellt. Ein durchdringender Wohlgeruch geht von dem Sandelholzkästchen und seinem geheimnisvollen Inhalt aus. Der alte Mann lächelt wohlgefällig. Er hebt den Deckel.

Ein Schrei des Grauens. Ein Schrei, der durch Träume widerhallen wird.

In dem Kästchen liegt, auf einer Schicht weißer, mit starken Essenzen getränkter Baumwolle, ein menschlicher Kopf, der Kopf eines schönen Mannes, einbalsamiert und noch mit allen Farben des Lebens. Ein Turban mit einer königlichen Reiheragraffe bedeckt den Schädel, der schwarze Bart ist sorgfältig gekräuselt und parfümiert, die Augen sind weit offen – –

Daras Augen. Daras kleines Mal auf der Stirn.

Es ist ganz still in dem Marmorgemach. Dschehanara ist im Stehen erstarrt und bewußtlos geworden, Schah Dschehan rührt sich nicht nach dem ersten Schrei. Der widerwärtige Eunuch kräht in unmenschlichem Triumph.

»Seht das Haupt eines Verräters und Rebellen gegen die Heiligkeit; wisset, daß er ein Ungläubiger war und vor dem Tode den Sohn der Mariam als Gott und Gottes Sohn angerufen hat – –«

Schah Dschehans Hände krallen in die Luft, er findet keinen Halt und fällt vornüber mitten in die Eßgefäße, auf eine Schüssel aus chinesischem Porzellan. Sie zerbricht; Blut und das Fett der Speisen besudeln das Gesicht und den Bart des Greises; er merkt es nicht, liegt stöhnend da.

Dschehanara Begum erwacht aus dem Starrkrampf. Sie denkt daran, daß dies für ihre Sünden verhängt ist. Sie tritt zum Vater, ihm zu helfen, und sagt, laut, mit einer seltsam fern klingenden Stimme:

»Alle Kraft und Macht ist allein bei Allah, dem Erbarmer, dem Barmherzigen!«


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