Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXII

Buchschmuck Der Papagei kreischt dem Eintretenden entgegen: »Dule-ra! Dschehanara! Dule-ra!«

Blickt Schah Dschehan auf den Vogel? Nein, er hat wohl nichts gehört.

Dschehanara tritt dem Vater entgegen. Da sie allein mit ihm ist, unterläßt sie den Taslim, die Berührung des Bodens, verneigt sich nur tief und grüßt ihn mit einer Stimme, in der kein Schrecken ist.

»Das Leben und das Glück, der Glanz und die Herrlichkeit des Beherrschers der Welt mögen lange dauern!«

Schah Dschehan antwortet: »Segen mit dir, meine Tochter.« Seine Stimme ist milde. Er sieht müde aus und setzt sich sogleich auf den breiten kissenbelegten Diwan, der die Wand entlang läuft.

Schah Dschehan trägt das einfachste der weißen Gewänder und einen schlichten Turban; nur die lange Perlenschnur und das Schwert Alamgir bekunden sein Königtum. Er ist ohne Eskorte gekommen, ohne Banner, Elefanten, Zimbeln und Pauken, in einem gewöhnlichen geschlossenen Palankin; niemand hat ihn in den Straßen der Stadt bemerkt, die um diese Stunde die Sonnenglut entvölkert.

Er sieht erschöpft aus. Dschehanara, ihn zu laben, klatscht in die Hände; sogleich bringen vier erlesen schöne Sklavinnen vier vergoldete Platten mit Kaffee, frischem Sorbet, Früchten, Betel und eine kostbare Wasserpfeife. Schah Dschehan trinkt rasch ein wenig schneegekühltes Gangeswasser aus einem geschliffenen europäischen Glas, murmelt sein: »Hamdulillah!« – »Gefällig und zur Gesundheit!« sagt Dschehanara. Von den anderen Dingen berührt er nichts. Er sitzt da, hat sein Schwert vor sich liegen und spielt mit den achatenen Kugeln eines Rosenkranzes. Dschehanara hat ihm kniend das Wasser gereicht; er gibt ihr ein liebevolles Lächeln. – Nun sitzt sie zu seinen Füßen auf einem Kissen. Sie ist ganz ruhig, aber es ist ihr nicht entgangen, daß er seinen Platz so gewählt hat, daß er den Eingang zum Baderaum sieht.

Dschehanara prüft mit raschem Blick den Abstand. Kann der König ein Geräusch hören, das in dem Nebenraum entstünde? Nein, Preis sei dem Erbarmer, es ist zu weit, und auch Dulera wird nichts hören, was nicht für seine Ohren ist.

Der König blickt zu Boden. »Du wolltest baden?« fragt er lässig. Dschehanara schrickt zusammen, faßt sich, antwortet mit einer sprichwörtlichen Redensart: »Wer am Morgen mit Sandel sich salbt, am Nachmittag ein Bad nimmt und in der Nacht sich Wind zufächelt, für den ist auch die heiße Jahreszeit nur ein Diener.« Schah Dschehan lächelt mit einem bleichen Gesicht.

Dschehanara macht ihm gastfreundliche Anerbietungen, die alle darauf hinzielen, ihn aus diesem Gemach zu entfernen. Es ist kühler in der Halle der sieben Springbrunnen; im großen Gartenpavillon genieße man den Wind, der durch die Vorhänge aus befeuchteten Khaskhas-Wurzeln streicht. Oder vielleicht gefällt es dem König, wie sonst wohl, unter den schattigen Arkaden des Spielhofes zu sitzen und mit Dschehanara eine Partie Patschisi zu spielen? Prächtig gekleidete Mädchen in den verschiedenen Farben sollen statt der Steine über die sandsteinroten und marmorweißen Felder sich begeben und dabei singen; es sind neue Sklavinnen im Haus, schön wie die Vollmonde. Oder befiehlt der Erhabene, im großen Pfeilersaal ein Schauspiel zu sehen? Alles ist bereit, ihn zu ergötzen.

Schah Dschehan läßt den Rosenkranz sinken, riecht matt an seinen Händen. Nein, er ist müde und unlustig, er will hierbleiben. Er klagt über die Krankheit, die nicht weichen will, über die schmerzvolle Unruhe seiner Nächte.

Dschehanara sagt: »Wisse, Herr, deine Dienerin hat, besorgt wegen deiner Leiden, an den Gräbern der drei großen Heiligen gebetet, deren strahlende Gräber deine Stadt Dschehanabad besser zieren als Edelsteine, und am dritten Grabe gab ihr ein höchst ehrwürdiger Mullah einen Rat, den man mit Goldschrift auf Marmor schreiben sollte: durch Almosen und Mildtätigkeit die Macht der Krankheit zu brechen. Wenn es der Heiligkeit gefällt, wollen wir in der Vorhalle die ärmsten und ältesten meiner Sklaven und diejenigen, die am heißesten nach dem Gut der Freiheit verlangen, um deinen Thron versammeln. Ein jeder werde reich mit Beuteln voll Goldmohuren und Ehrengewändern beschenkt; darauf sollen sie langsam dreimal um deinen Sitz herumwandeln und sodann hinausschreiten als Befreite; gewiß werden sie auf diese Weise alle deine Übel mit hinaustragen, wenn es des Erbarmers Wille ist, des Barmherzigen!«

Schah Dschehan hat eine mutlose Gebärde. Nein, ein andermal, Bismillah; jetzt kein Gewühl und keine fremden Stimmen! – Er schweigt, sein Atem geht schwer, er zögert, ringt mit einem Entschluß. Da hilft ihm der Papagei Kakatua. Er kreischt schon wieder hartnäckig: »Dule-ra! Dule-ra!«

Schah Dschehan wird rot, schöpft Atem, sagt dann leichthin:

»Erstaunlich ist fürwahr das Gedächtnis der Papageien; Allah hat sie als kluge Vögel geschaffen. Sieh, er erinnert sich noch des Namens dieses Sklaven, des Sohnes der Tänzerin, der in deinen Gemächern aufgezogen ward. Doch dieser Name wird bald ausgelöscht sein von der Liste der Lebenden; wisse, o Dschehanara, daß dieser Dulera ein schweres Vergehen begangen hat. Er beleidigte im frechen Übermut auf offener Straße einen Mann, von dessen Schatten berührt zu werden er nicht wert ist, den größten meiner Emire, Mahabet Khan. Und dies zu der Stunde, da die Treue Mahabets wie der Stab ist, auf den ich Müder mich stütze. Fällt auch er noch ab und erliegt den Ränken deines Bruders Aurangzeb, dann ist es um Daras Thronerbschaft geschehen. Dieser Jüngling Dulera ist sehr schuldig vor meinem Angesicht, aber selbst wenn er unschuldig wäre, müßte er sterben, da das Wohl des Staates es so verlangt.«

Dschehanara ist sehr bleich geworden; ihr Blick zuckt blitzschnell zur Badewanne. Wird Dulera sich verraten, sich vielleicht dem König Gnade flehend zu Füßen stürzen? Aber nichts regt sich in dem Zimmer der tausend Spiegel.

Schah Dschehan fährt langsam und stockend fort. Er weiß, sagt er, daß dieser Dulera der Begum früher ein lieber Diener war, daß sie seine arme Mutter sehr geliebt hat, wer erinnert sich nicht des höchst kläglichen Endes dieser Tänzerin voll Anmut? Aber die Zeiten sind gefährlich, und nicht immer darf ein weiser König Gnade walten lassen; zückt er sein Schwert nicht bei solcher Gelegenheit, dann wird es in der Stunde der höchsten Gefahr in der Scheide eingerostet sein.

Schah Dschehan erzählt ausführlich, was heute in der Straße der Goldschmiede geschehen ist und wie heftig Mahabet Khan sich in der Audienz beklagt hat, und er legt dar, wie sehr er jetzt den guten Willen des Mir Bakhsch braucht und wozu. Keinerlei Geheimnisse verbirgt der Vater vor seiner Tochter, die seine beste Ratgeberin ist, weiser als alle Frauen Hindustans, und die allen Wesiren, den gelehrten und weißbärtigen, an Staatsklugheit überlegen ist. Sie muß einsehen, daß der verräterische Anschlag Emir Dschumlas nur vereitelt werden kann, wenn Mahabet Khan völlig versöhnt wird. –

Er hat vorhin, als er Duleras Todesurteil verkündete, laut und deutlich gesprochen; jetzt haucht er die gewichtigen Staatsgeheimnisse ganz leise in das Ohr der zu seinen Füßen Sitzenden. Und doch weiß sie: Wenn der König vorhin Dulera gesehen hat, wenn er seine Anwesenheit im Nebenzimmer nur ahnt, ist er rettungslos verloren, und wäre es nur, weil er die Dinge mitangehört haben könnte. Warum spricht der Vater so leise? Aber ruhig, die Besinnung nicht verlieren, solche Geheimnisse schreit niemand aus, auch nicht im vertrauten Zwiegespräch in einem einsamen Zimmer.

Schah Dschehan fährt fort zu flüstern. Die Worte kommen schwer, er sitzt mit geschlossenen Augen da, windet und dreht rastlos den Rosenkranz in seinen zuckenden Fingern. Die Lage des Reichs erfordert kühne Entschlüsse und gnadenlose Gerechtigkeit. Niemand darf am Leben bleiben, der die Verteidigung der Macht gefährdet. Es werden ganz andere Häupter fallen müssen als das eines hübschen Lautenschlägers.

Ganz leise, fast unhörbar, jedes Wort wie aus einer Wunde ausblutend: »Häupter, die meine und deine Züge tragen, o Dschehanara!«

Sie sieht ihn mit funkelnden Augen an. Immer hat sie ihn angefleht, aus seiner weichen Untätigkeit zu erwachen, endlich einen großen und entscheidenden Streich zu wagen, um Daras willen. Sie sagt inbrünstig: »Möge dein Herz stark sein in der Stunde der Gefahr, o mein Vater!« Und dann schrickt sie zusammen. Hat sie nicht mit diesen Worten Duleras Schicksal besiegelt, den Unseligen aufgeopfert?

Schah Dschehan nickt unmerklich. Er beginnt von Daras törichtem Verhalten gegen Emir Dschumla zu sprechen; der Leichtfertige hat, um seinen Schmeichlern von einem lächerlichen Streich erzählen zu können, den großen Plan ernstlich gefährdet, der doch nur zu seinem Glück dienen soll. »Nicht genug, o Dschehanara, daß ich in einigen meiner Kinder meine ärgsten Feinde erblicken muß, auch diejenigen unter ihnen, die ich liebe, und die mich zu lieben vorgeben, sind unvorsichtig und ohne Bedacht, pflegen Umgang mit unwürdigen Menschen von geringer Abkunft und erschweren in ihrer Torheit meine bedenkliche Lage.«

Dschehanara wird rot, beißt sich die Lippen wund.

Schah Dschehan hat gesagt, was er sagen wollte, gleitet weltmännisch über die Verlegenheit hinweg. Er beginnt bitter über Aurangzeb Klage zu führen, über Murad Bakhsch und Schah Schudscha, die durchaus unzuverlässig sind und in ihrem Herzen nicht minder zum Verrat geneigt als der Fakirprinz. Am gefährlichsten aber ist Roschanara Begum, die Stille, die Schleicherin, die glatte und giftige Schlange. Wie Aurangzeb heuchelt sie Sittenstrenge und Tugend, und doch weiß man, was sich in der Stille ihrer Gemächer zuträgt, da Sadullah Khan einige ihrer Eunuchen gewonnen hat. »Denn, o meine Tochter, die Zimmerwände der Fürstinnen sind aus Glas, jedermann kann hindurchblicken.« Roschanaras Verirrungen sind wohl bekannt, obwohl die große Menge nichts davon weiß, da sie sehr vorsichtig ist und es vermeidet, öffentlich Anstoß zu erregen. –

Ein streitbares Funkeln ist in Dschehanaras Augen. Sie sagt: »Meine Schwester ist schuldig, weil sie gegen die Heiligkeit ihres königlichen Herrn verräterische Ränke schmiedet, doch was eine große Fürstin, eine Tochter Timurs, in der Abgeschlossenheit ihres Harems tut, unterliegt nicht dem Urteil der Menschenherde. Die Töchter unseres Hauses leiden unter einem grausamen und widernatürlichen Gesetz, das ihnen verbietet, sich einem würdigen Muselman zu entschleiern und Mütter starker und rechtgläubiger Söhne zu werden. Nie wolltest du dieses ungerechte Gesetz aufheben, o König, obwohl es uns schwere Leiden bringt. Aber ist es nicht genug damit? Sollen deswegen die Fürstinnen des Mogulhauses, machtvolle Königinnen in Hindustan, freudlos dahinleben müssen wie die Witwen der Ungläubigen? Sollen sie verdorren wie ein Reisfeld, wenn die Monsunregen ausgeblieben sind? Sicherlich willst du das nicht, o Schah Dschehan, denn immer warst du voll Einsicht und ohne jede Kleinlichkeit. Nichts kann meine Schwester Roschanara entschuldigen, aber was ist es, was ihr Herz mit solcher Bitternis und Tücke erfüllt hat? Hätte sie einem treuen und würdigen Mann in seine Frauengemächer folgen dürfen, ihn unendlich zu ehren und fest mit dem Hause des Königs zu verbinden, vielleicht wäre sie heute die ergebenste deiner Sklavinnen, ein Pfeiler deiner Macht. Denn es ist eine bittere Schmach für eine edle und wohlgestaltete Frau, unverehelicht zu bleiben und unfruchtbar.«

Schah Dschehan lehnt sich zurück. Er greift nach der Hand seiner Tochter, streichelt sie mit großer Zärtlichkeit.

»Ich weiß, o Dschehanara, daß dein Leben voll Schmerz ist und ein Opfer, ich gedenke mit Trauer der Tage, da ich dich so sehr betrüben mußte: als Nedschabet Khan um dich warb, ein Sprosse des königlichen Hauses von Balkh und ein großer Feldherr.«

Dschehanara blitzt ihn zornig an. »Und mein Oheim, Schaistah Khan, füllte das Ohr des Königs mit falschen Worten und wandte sein Herz von meinen Bitten ab, weil er die Sache Aurangzebs fördert und weiß, daß Nedschabet ein marmorner Pfeiler der Thronhalle geworden wäre, den Schild des Königs daran zu befestigen!«

Schah Dschehan schüttelt den Kopf: »Mein Blick ist ohne Trübung, ich kenne die wahren Absichten Schaistah Khans; wäre er nicht der Bruder deiner Mutter, längst hätte ich sein Schicksal erfüllt. Doch nicht sein Rat hat mich bewogen, dir den Wunsch deiner lieben Augen zu verweigern.«

Ernst und milde klingen die Worte, es ist tiefer Schmerz in ihnen. Schah Dschehan beugt sich über das Haar der Tochter.

»Der Arzt liebt den Kranken, und doch tut er ihm weh. Nicht willkürlich und ohne Sinn ist das Gesetz, unter dem du leidest. Wir sind Könige in großer Herrlichkeit; zwanzig Königreiche und Provinzen bedeckt unser Schatten, Dank sei dem Hohen und Erbarmer, und die Welt zittert vor dem Hall unserer Stimme. Aber wisse, beherrscht sind die Herrscher, und der lenkende Zügel bindet auch den Zügler, nicht nur die Gezügelten. So beschaffen ist das Wesen des Königtums, daß es zu jeder Stunde neu erworben werden muß, und mit Opfern bezahlt. Unsere Ahnen kamen aus der großen Steppe auf ihren Pferden, mit ihren wehenden Roßschweifen und blutigen Krummsäbeln. Sie kamen in dieses Land, das so alt ist wie die Welt, und sprachen: Seid Sklaven des Moguls! Und wenn der Mogul stirbt, sollt ihr dem Sohn des Moguls dienen, und dem Sohn des Sohnes bis zum Tage des Gerichts. Wir sprachen: niemand ist dieses großen Landes Erbe als der Mogul und der Sohn des Moguls. Wir nahmen den Boden des Reisbauern und schenkten ihn dem Khan, der uns treu gedient, dem Emir, den wir erhoben. Und gaben auch ihm kein Erbrecht. Stirbt ein Emir über Fünftausend, der große Schätze hat und ein stattliches Haus, dann nimmt der König zurück, was vom König kam. So leben wir, Erben Timurs, allein in einem festgefügten Palast aus behauenen Quadern, und neben uns sind nur leichte Zelte, die der Wind umweht. Kein Großer kann sich in diesem Reich gegen uns erheben, denn er ist keines Großen Sohn, und, will es der König nicht, keines Großen Vater, wir aber waren, sind und werden sein, wenn es der Wille des Erbarmers ist. Seit fernen Zeiten ist dem Geschlecht Timurs kein Übel von seinen Dienern gekommen. Nur die Söhne des großen Moguls waren stets die Feinde ihrer Väter und Brüder. Denn unsere Macht und Herrlichkeit ist zu groß, als daß einer ihr entsagen möchte, der unseres Blutes ist.

Der weiseste unter den Enkeln Tamerlans, Akbar, hat klar begriffen, worauf unser Thron gegründet ist. Ich erinnere mich eines Tages, da ich ein Knabe war und Khurram hieß, so saß ich neben dem Großvater unter seinem Baldachin in seiner Palaststadt Fatehpur Sikri; wir sahen den Kämpfen der Elefanten zu. Damals hat Akbar, der große König, mir wahrhaft vorausgesagt, daß ich in Hindustan herrschen würde, und ich weiß noch jedes Wort seiner Ermahnungen.

›Zwei Dinge bedenke, Khurram, wenn du König bist: die unbewegte Masse des Hinduvolkes nicht zur Empörung zu treiben und keinem Moslem zu gestatten, daß er ein festes und dauerndes Haus begründe neben dem Hause Timurs.

Verschone den Hindu. Sieh, er baut seinen Reis, schlägt seine Büffel, zahlt Abgaben und salbt das Bild seines Götzen mit zerlassener Butter. Störe ihn nicht darin. Mein teueres Kind, ich bin seit langem ein mächtiger Herrscher, der Schatten Gottes auf Erden, und ich habe gesehen, daß Er den Segen seiner gnädigen Vorsehung allen seinen Geschöpfen ohne Unterschied zuteil werden läßt. Übel würde ich die Pflicht meines hohen Amtes verwalten, wollte ich mein Mitleid und meine Duldung irgendeinem meiner Untertanen vorenthalten. Mit dem ganzen Menschengeschlecht, mit allen Geschöpfen Allahs lebe ich im Frieden; was sollte mich bewegen, irgendeinen von ihnen zu unterdrücken? Überdies, sind von sechs Teilen des Menschengeschlechts nicht fünf Hindus oder Ungläubige? Soll ich sie alle töten? So scheint es mir am weisesten, sie in Frieden zu lassen.

Folgst du meinem Beispiel, dann wird nicht von den Hindus Gefahr für deine Macht kommen, sie sind sanft und geduldig. Aber in dem Blut unseres eigenen Volkes, der Eroberer aus der Steppe, ist Unruhe und Gier; hüte dich!‹«

Schah Dschehan blickt seiner Tochter in die Augen. »Damals, o Dschehanara, erklärte mir König Akbar, mein Großvater, warum er für alle Zeiten unserem Haus das Gesetz gegeben hat, durch das du leidest: daß keine Tochter des Königs einem Mann in seinen Harem folgen darf, ihm Söhne zu gebären. Würde nicht der Emir, dessen Sohn aus dem Blute Timurs wäre, zu groß, um im Schatten des Pfauenthrons zu bleiben, ein Diener unter Dienern? Die Söhne des Königs sind die Feinde des Königs, das ist das innere Gesetz königlicher Macht. Sollen sich auch noch die Töchter des Königs gegen das Reich auflehnen? Hätte ich deine Bitten erfüllt und dir Nedschabet zum Gatten gegeben, wer weiß, ob ich ihn jetzt nicht töten müßte und deine Söhne.

Dschehanara, ich bin krank, und mein Leben dauert nicht mehr lang, und siehe, ich bin voll Bangigkeit. Denn ich sehe das große Vermächtnis Akbars in tödlicher Gefahr: Aurangzeb wird die Hindus durch Unduldsamkeit zur Empörung treiben, und Dara hat dir versprochen, wenn er den Thron besteigt, Akbars Gesetz aufzuheben und dir einen Gatten zu gewähren. Still, sage nichts, ich weiß es. Und es darf nicht sein, oder das Reich ist dahin. Sieh, ich habe lange und in Frieden geherrscht, und statt der Schädeltürme, die unsere Vorfahren aufrichteten, habe ich Paläste und Moscheen gebaut, ein Staunen für künftige Zeitalter. Aber die Welt ist wie eine Wasserwoge, die dem Durstigen entrinnt; niemals kann er seinen Durst an ihr stillen. Noch lebe ich, noch halte ich das Schwert der Gewalt, hier, ich umfasse es, ich lasse es erklirren, das Schwert Alamgir, das welterobernde; und doch fürchte ich mich. Heute habe ich den Gesandten eines fränkischen Königs in den Staub vor meinem Thron schleudern lassen. Willst du die Stadt Surat, in der diese Franken ihre Faktorei haben? Ich schenke sie dir, Dschehanara, dir von ihrem Tribut Betel zu kaufen. Und doch, wenn es Allahs Wille ist, könnten meine eigenen Enkel die Sklaven dieses kleinen barbarischen Inselmaharadschahs werden; vor dem Antlitz des Weltenschöpfers gibt es nichts Unmögliches.«

Schah Dschehans Gesicht ist ganz verzerrt, aber jetzt lächelt er doch ganz leise, er hat, um sich deutlich auszudrücken, doch ein zu unwahrscheinliches Bild der Zukunft gemalt. Er fährt fort:

»Wer die Macht genießt, der muß die Macht erhalten, dies ist das ewige Gesetz, und dies ist der teuere Preis der Macht. Ich sehe meine Söhne unter den Pfeilern des Throns wühlen, und selbst du, meine Tochter, lehnst dich gegen das Verhängte und Notwendige auf. Als deine Mutter noch lebte und ich sehr glücklich war, habe ich oft gehofft, o Torheit, o Verblendung, daß Ardschumands Kinder anders sein würden als andere Kinder des Mogulhauses. Und ich habe lange gezögert, zu lange, jetzt aber ist der Augenblick gekommen, da der königliche Tiger gegen seine Jungen wüten muß, oder er wird von ihnen gefressen werden. Ich sehe es klar: Meine Söhne, drei meiner Söhne muß ich vernichten, und selbst dir werde ich weh tun müssen, Dschehanara.«

Schah Dschehan hat mit feierlicher Würde gesprochen, aber jetzt überkommt ihn das Bewußtsein des Ungeheuerlichen. Er sieht Dschehanara dasitzen, blaß, mit wogenden Pulsen, aber stolz und strahlend in ihrem königlichen Schmuck, und sie gleicht Zug um Zug ihrer Mutter, seiner unsäglich Geliebten, trägt ihre Juwelen, scheint sie selbst zu sein. Schah Dschehan wird auf einmal weich; er ist gekommen, blutige Strenge zu üben, und zweifelt plötzlich, ob er es kann.

»Dschehanara – – –!« Er fährt ihr mit seiner heißen, kranken Greisenhand über ihr eiskaltes Gesicht.

»Dschehanara,« sagt er ganz leise, mit einer erlöschenden Stimme, »es ist furchtbar und quallvoll, ein König sein zu müssen oder eine Königin. Manchmal – –«

Er erbebt. Seine entsetzlichen Nächte steigen vor ihm auf. In seinen Augen ist so viel Schmerz, daß Dschehanara mitleidig nach seiner Hand faßt, und sie wollte ihm doch trotzen, um ihres verdorbenen Lebens willen. Aber sie vermag es nicht; was er ihr gesagt hat, ist seit jeher in ihrem eigenen tatarischen Königsblut, sie versteht ihn so unsagbar tief, ihr Denken sagt ihr, daß er handeln muß, blutig handeln muß, wenn er das Reich retten will und Dara zum König machen; und ihr Herz erbarmt sich des leidenden alten Mannes. Zugleich blitzt ihr ein Frauengedanke durchs Hirn: der Vater ist schmerzlich und milde gestimmt, kluge Worte könnten ihn wohl rühren und das Leben des Knaben Dulera retten; was liegt denn dem König an dem Sklaven? Aber ein Blick in das Gesicht des Vaters läßt sie jeder List und Berechnung entsagen. Was ist dieser Dulera ihr selbst? Sie ist Schah Dschehans Tochter und aus dem Hause Timurs; es geziemt ihr, dem Vater treu zu sein und seine Macht zu stützen. Sie nimmt die Hand des alten Mannes und küßt sie mit stolzer Zärtlichkeit.

Aber er versteht nicht, die Liebkosung betrübt ihn, ist er nicht gekommen, ihr weh zu tun? Es muß sein, es muß heute sein, es muß sogleich sein! Schah Dschehan steht an einer Pforte; er muß in diesem kurzen Augenblick durch sie schreiten, oder sie fällt zu für immer. Seit Tagen, seit Nächten sagt er sich: es muß sein! Jetzt ist er da, mit einer eiskalten Absicht in seinem Hirn, mit dem blutdürstenden Schwert in seiner Hand, säumen heißt untergehen. Er muß jetzt aufstehen, gewisse Worte sagen, die er sich sorgfältig ausgedacht hat, und den ersten Schwertschlag tun in dem unvermeidbaren letzten Kampf um die Macht; und so hat es ein höhnisches Schicksal gefügt, daß er diesen ersten Schwertschlag gegen Dschehanara richten muß, die er über alles liebt, und die völlig ihrer Mutter gleicht, der Geliebten seines Lebens. Er hat einen Schädelturm zu bauen, und der erste Schädel muß der dieses Dulera sein, der Dschehanaras Liebling ist; dann muß er den Kopf des Emirs Dschumla haben, dann den Kopf seines Sohnes Aurangzeb – – Es muß sein, oder die Macht ist verloren, sogleich muß das Schwert aus der Scheide, die drei Rubine am Griff müssen mit neuem Blut verjüngt werden. Es muß sein, muß, muß, muß!

Der alte Mann fürchtet sich vor sich selbst, beginnt mit sich zu verhandeln. Könnte man diesen Dulera nicht irgendwie entwischen lassen? Noch ist kein Wort gefallen, das verriete, daß der König den Mann im Gemach seiner Tochter gesehen hat. Wenn er jetzt einfach weggeht und sodann Dulera überall suchen läßt, wird Dschehanara ihm zur Flucht verhelfen; und vielleicht glaubt Mahabet Khan an die ehrliche Absicht, ihm Genugtuung zu verschaffen. Aber nein, nicht schwach werden, nicht einen geringen Knaben weichherzig verschonen, wenn man Königssöhne erbarmungslos vernichten will. Oh, muß es denn sein? Gibt es keinen Ausweg? Ist diese Macht all das Blut wert und den Ekel und das Grauen? Gibt es denn keinen Ausweg?

Nein, es gibt keinen. Hier und heute zögern, heißt dem Thron entsagen, der Freiheit, vielleicht dem Leben. Es kann sein, daß Dara Schikoh sterben muß, wenn dieser kleine Lautenschläger Dulera jetzt am Leben bleibt, und es kann sein, daß das gewaltige Reich der Mogule in Trümmer fällt, wenn Schah Dschehan jetzt nicht diese Schwäche bezwingt und diese furchtbare Müdigkeit, wenn er jetzt nicht die wenigen und heiteren Worte sagt, die zu sagen er sich vorgenommen hat. Dschehanara hat das Hirn eines Königs und das Herz eines Mannes, sie wird schließlich verstehen und verzeihen – – –

Schah Dschehan beginnt wie im Traum zu handeln. Er hat seinen Plan gut eingelernt; ehe er noch einen letzten Entschluß gefaßt hat, beginnt er ihn schon zu verwirklichen.

Er macht eine leichte Geste, als wollte er das zu ernste und traurige Gespräch aufgeben. Er lächelt die Tochter an; diese Geste und dieses Lächeln sind schon der Beginn der Tat, der Anfang des blutigen Kampfes um die Macht, bedeuten den Tod Duleras, den Bürgerkrieg gegen Aurangzeb, das Todesurteil gegen drei Söhne dieses Vaters, der jetzt so leichthin zu seiner Lieblingstochter belanglose Worte sagt, mörderische Worte:

»Es ist sehr heiß heute, Dschehanara!«

Schah Dschehan hält ein wenig inne. Dschehanara blickt rasch auf. Mit der Feinfühligkeit eines Weibes empfindet sie vollkommen klar, daß ihr Vater sich verstellt, daß sich jetzt etwas Wichtiges und Furchtbares ereignen wird. Aber was?

Jetzt sagt er mit einer leicht verschleierten Stimme:

»Es ist sehr heiß, du wolltest baden – –«

Und mit kaltem Scherz: »Du sagtest: wer am Morgen mit Sandel sich salbt, am Nachmittag ein Bad nimmt – Bade, Dschehanara!«

Schah Dschehan besucht seine Tochter oft, um ihr beim Baden zuzusehen. Er ist ihrer Schönheit Vater.

Dschehanara macht eine entsetzt abwehrende Gebärde. Da ist es, das angstvoll erwartete Verhängnis. Sie weiß es unvermeidbar, aber sie wäre kein Weib, ergäbe sie sich ohne einen letzten Winkelzug.

»Ich höre und gehorche, o Herr. In der Halle der sieben Springbrunnen will ich in dem Marmorbecken baden –«

Er sieht sie streng an. Daß er ihr weh tun muß, erfüllt ihn mit einem seltsamen Zorn gegen sie. Er spricht kein Wort mehr. Er nähert die Hände seinem Gesicht und findet, daß ein Leichengeruch von ihnen ausgeht. Jetzt hebt er diese blutleeren Hände zu einem scharfen Klatschen. Der Obereunuch der Begum, der riesenhafte Sudanneger, tritt ein, Schah Dschehan schreit ihm entgegen:

»Die Begum-Sahib will baden, entzünde das Feuer!«

Dschehanara ist aufgesprungen, lehnt an der Wand. Schah Dschehan sitzt da wie ein ehernes Bild, mit seinem Schwert auf den Knien. Man hört nichts als den Papagei, der geräuschvoll kleine Nüsse knackt.

Der Negereunuch kommt wieder, mit einer lodernden und rauchenden Fackel. Er watschelt durch den Raum, riesig, düster und lächerlich, tritt in das Badegemach, zündet mit seiner Fackel das unter der Wanne zum Scheiterhaufen geschichtete Sandelholz an und kehrt wieder zurück, mit einem grausamen Grinsen auf seiner Fratze. Er blickt den König an, Befehle erbettelnd. Der treibt ihn mit einem einzigen Blick hinaus.

Ein starker Wohlgeruch von brennendem Sandelholz wogt durch den Raum.

Dschehanara ist ganz weiß im Gesicht. Mehr als alles andere schreckt sie der Gedanke an das Widerliche, das jetzt kommt, wenn Dulera aus dem heißen Wasser springen wird, sich hereinschleppen, um Gnade flehen – –

Aber sie kennt den Mut dieses Knaben nicht. Er liegt jetzt in dem Sarg aus Kupfer, fühlt das Wasser ganz langsam wärmer werden und sagt sich leise seinen Spruch vor: Dessen Leben ist nicht glücklich, der es nicht für die Geliebte wagt; das wird Liebe genannt, was höchste Not bringt – – –

Er weiß nicht, was zwischen Dschehanara und ihrem Vater vorgefallen ist, weiß nicht, ob der König ihn gesehen hat, und ist fest entschlossen, lieber im siedenden Wasser zu ersticken als die Begum zu verraten.

Schah Dschehan winkt mit gebietendem Finger seiner Tochter, sich wieder vor ihm niederzulassen. Er hält sich mit beiden Händen an dem Schwert an, das auf seinen Knien liegt; es gibt ihm einen wohltuend festen Halt, denn rings um ihn scheint alles zu schwanken und zu wogen; der starke Sandelgeruch betäubt ihn, und er fühlt den leiblichen Schmerz, der ihn quält, von Augenblick zu Augenblick wachsen. Er wehrt sich, leistet Widerstand, aber er empfindet, daß die Krankheit im Begriffe ist, ihn zu übermannen. Es muß geschehen, es muß heute geschehen, nur der Erbarmer, der Barmherzige weiß, was morgen sein wird.

Er sitzt da, an sein Schwert geklammert, wie der Fischer in der Brandung an den Rand des Einbaums sich klammert. Ein Brausen wie von tausend Wogen ist in seinen Ohren, und doch bedrückt ihn das tiefe Schweigen in dem Gemach. Dschehanara sitzt mit gesenkten Augen da, niemand kann erkennen, was in ihr vorgeht. Und sie spricht kein Wort. Da ist dem leidenden Manne die Stille unerträglich, und er beginnt zu reden, rasch, lärmend, im Fieber.

»Dschehanara,« sagt er, »Dschehanara, die Stunde des Schwertes ist gekommen, wehe den Feinden des Königs!

Sie glauben, ich sei alt und schwach. Sie glauben, ich sei krank – – –«

Schah Dschehan lacht, lacht, hört seine Stimme gellen, lacht immer lauter, schüttelt sich, schreit.

»Ich bin aber nicht krank, Dschehanara – – – Was soll ich denn krank sein – – Bei der Kaaba, noch stark genug, diesen Dschumla zu vernichten, den Hundesohn, den Verräter! Mit diesem Schwert schlage ich Aurangzebs Fakirkopf ab! Hundert Köpfe, hunderttausend Köpfe!«

Er hält das Schwert mit beiden Händen, am Griff und an der Spitze, hebt es hoch, daß in der Goldscheide die Juwelen aufblitzen. Hundert Köpfe, hunderttausend Köpfe! In den Staub mit allen Verrätern und Rebellen.

Dschehanara weiß um seine innere Qual. Es ist ihr, als müßte sie ihm helfen, selbst diese gehaßten Köpfe vor seine Füße legen. Ihr Herz kann an den Jüngling nicht denken, der nebenan für sie unter Qualen stirbt, es ist übervoll von Erbarmen für den Vater. Er muß ja tun, was er tut. Er sollte viel härter sein, viel grausamer, seine großmütige Milde ist es, die ihn so quält. Sie wendet ihm einen starken Blick zu; das Blut der Mogultochter wacht in ihr auf. Schädeltürme schrecken sie nicht, sie ist von Timurs furchtbarem Geschlecht.

Schah Dschehan stöhnt auf; seine Rede überhastet sich, wird leise, undeutlich.

»Ich befehle meinen unbesiegbaren Heeren, den Verräter Aurangzeb in goldene Ketten zu schlagen und vor mich zu führen. Dann wendet sich die Südarmee gegen Golkonda und Bidschapur, bezwingt alles, was mir in Indien noch widerstrebt. Dann steige ich auf meinen Schlachtelefanten Kaliqdad, sie sollen sehen, ob ich krank bin – Selbst führe ich das ganze Heer gegen Kandahar, mein Schwert Alamgir blitzt auf durch die Sonne, erbleichen muß – Nach Ispahan –«

Er stolpert über das Wort, wiederholt immer Is-pa-han, Is-pa-han, und lauscht dabei, ob aus dem Nebenzimmer nicht ein Schrei kommt. Er möchte weinen, sich hinwerfen, ganz still sein, und er wagt es nicht, zu schweigen, er muß seine Stimme hören, muß sich Lügen erzählen, weil er sonst diesem furchtbaren Schmerz erliegt.

»Oh, nach Ispahan! Schah Abbas soll sehen, ob ich krank bin. Es ist nicht wahr, meine Hände riechen nach frischen Äpfeln. Riechst du es nicht? Das ganze Zimmer duftet nach frischen Äpfeln – – In goldene Ketten lasse ich Schah Abbas schlagen – – Er ist ein Rebell, sein Kopf muß fallen. Ich erobere ganz Iran und Turan –«

Immer rascher, immer undeutlicher.

»Und dann – – Viel zu lange habe ich das Schwert der Mogule in der Scheide gelassen. Ich lasse tausend Heerpauken schlagen, tausend grüne Banner wehen. Die Hufe meines Heeres zertreten die Türken von Num, ich erobere ganz Frankistan, Sadullah fürchtet die Franken, ich fürchte sie nicht. Ich bin der Enkel Tamerlans, die Menschenerde ist der Schemel meiner Füße und die Weide meiner Rosse. Heerpauken. Tausend. Mit meinem Schwerte Alamgir, dem weltergreifenden – –«

Er hält inne, Schweiß rieselt über sein Gesicht, und das Fieber rüttelt an seinen Gliedern. Nur nicht nachgeben, nur nicht die Krankheit eingestehen, die Schwäche.

»Ich muß die ganze Welt erobern, denn, Dschehanara – –«

Er flüstert es ihr zu wie ein großes Geheimnis.

»– – denn, Dschehanara, ich will einen Palast bauen, wie ihn die Sonne noch nicht beschienen hat. Das Paradies verwelkt, wenn es ihn sieht. Nicht wie in Schahdschehanabad, klein, erbärmlich. Ich erobere die ganze Welt, und meine Ziegel gieße ich aus dem Gold ihrer Könige. Ein Palast. Höfe, mit Diamanten gepflastert; Kuppeln, ganz aus Smaragden. O schön, schön – Ich will es. Heute noch. Es muß sein, es muß sein, es muß heute noch sein. Das Paradies verwelkt. Is-pa-han. Tausend Heerpauken – – –«

Ein halbersticktes Gurgeln aus dem Nebenzimmer. Heißer Wasserdampf schlägt herein, vermischt mit dem unerträglich duftenden Sandelrauch.

Dschehanara springt auf, sie weiß nicht, daß sie es tut. Sie vergißt alles andere, will hineinstürzen. Aber da erhebt sich Schah Dschehan, schwankend. Die Besinnung kehrt ihm wieder, ein traumwandelnder Wille. Er macht einige taumelnde Schritte, und nun steht er vor dem Eingang des Badegemachs, läßt Dschehanara nicht vorbei. Das Schwert Alamgir hält er mit beiden Händen wagerecht vor sich hin, es wird zur furchtbaren Schranke, wehrt ihr den Eintritt.

Sie steht mit weit aufgerissenen Augen da, preßt die Hand auf den Busen. Duleras verzweifeltes Röcheln hat sie aufgerüttelt, aber nun sieht sie nur den kranken alten Mann, was ist ihr dieser Lautenschläger Dulera? Schah Dschehan, ihr Vater, so groß, so bemitleidenswert ... Sie möchte sich vor ihm niederwerfen, ihm sagen, daß sie ihm gehorchen will, ihm helfen, diesen Dulera aufopfern. Es muß ja sein, Schah Dschehan hat ja recht, es ist der erste Schwertstreich in dem großen Kampf um die Macht, er muß ihn tun, jetzt tun, oder er unterliegt, und das Reich ist verloren und Dara ...

Aber so ist es um Menschen beschaffen, so hat Allah sie gestaltet, daß sie einander niemals verstehen können, einander nie ganz nahe sein. In diesem letzten entscheidenden Augenblick verkennt Schah Dschehan die Gebärde der Tochter, die er liebt und die ihn liebt. Im letzten Flackerschein der Besinnung sieht er ihr schreckensbleiches Antlitz und glaubt, daß sie um den sterbenden Knaben bangt. Und nun schlägt der Fieberwahn über seinem Haupt zusammen, er sieht nicht mehr Dschehanara, sondern ihre Mutter Ardschumand, und glaubt, daß er sein Schwert erhoben habe, um die Geliebte zu töten. Nein, es ist Dschehanara. Weh tun! Es muß sein, es muß heute sein.

Das Fieber wallt auf und nieder. In einem Augenblick sieht er die Mutter, im anderen die Tochter. Jetzt verschwimmt alles, jetzt ist alles da, klar und kalt. Ja. Der Augenblick der Entscheidung. Jetzt schwach sein, dieses Schwert fallen lassen, diesen Eingang freigeben, heißt kampflos weichen, auf die Macht verzichten, Dara hinopfern. Es muß sein. Fürchte nichts, Ardschumand, ich liebe dich ja, ich will dich nicht begraben. Einen Palast. Aus lauter Smaragden die Kuppeln. Nicht schwach werden, nicht krank sein.

Er spornt seinen stolpernden Willen an wie ein aufs äußerste gehetztes Pferd und gewinnt einen Augenblick der Klarheit, und weiß auf einmal ganz deutlich, daß alles vorbei ist. Es ist der Augenblick der Entscheidung. Über Dschehanaras Leib hinweg. Ardschumands. Tausend Heerpauken. Mit dem Schwerte Alamgir, dem weltergreifenden, die Köpfe Aurangzebs, Murads, Schudschas. Drei Söhne. Über Ardschumands Mutterleib hinweg. Es muß sein.

Und er läßt das Schwert zu Boden fallen, das Schwert Alamgir. Es poltert nieder. Er beugt sich, hebt es auf, möchte selbst niederfallen. Nein, er hat das Schwert wieder. Aber es ist ein ganz gewöhnlicher Säbel, nicht mehr das Schwert der Gewalt. Alles vorbei. Er kann nicht.

Er hält den Säbel ungeschickt in der Linken, macht mit dem rechten Arm eine hilflos rudernde Bewegung. Er murmelt halblaut:

»Es ist recht heiß heute. Du wolltest baden, Dschehanara. Wer sich am Morgen mit Sandel salbt, am Nachmittag badet –«

Auf einmal stürzt er wie ein Rasender an ihr vorbei aus dem Zimmer.

Dschehanara sieht ihn halb bewußtlos an, möchte ihm nacheilen, ihn anflehen, hart zu sein. Aber ihre Beine bewegen sich nicht.

Und nun fliegt der Vorhang des Badegemachs zur Seite, und Dulera stolpert über die Stufe. Seine verbrühten Füße tragen ihn kaum, aus seinem weißen Gewand fließt heißes Wasser, Dämpfe umwallen ihn, die Spur des Todes ist in seinem Antlitz. Aber seine Augen sind voll stolzer Freude. Hat er nicht für seine Geliebte gekämpft, wie er es träumte? Gleicht er nicht dem Helden Rama, der für Sita duldete? Jetzt ist alles gut. Die entsetzliche Kali hat, durch seine Gebete bezwungen, das Opfer verschmäht, und er kann mit Dschehanara glücklich sein. Er kann nicht sprechen, aber er blickt sie voll Liebe an. Er hat für sie geduldet, sie kann ihn nicht mehr verachten.

Sie aber, Dschehanara Begum, Schah Dschehans Tochter und aus Tamerlans Geschlecht, bäumt sich auf wie unter einem Peitschenhieb, empfindet die Gegenwart dieses triefenden Sklaven wie eine unendliche Schmach. Wie, der König der Welt ist unterlegen und wird sterben, und dieser geschminkte Sklave soll triumphierend dastehen, der Dunkelhäutige, der Niedriggeborene, der Esser von Unreinem, der Götzenanbeter? Wie ein tatarischer Heereszug galoppiert es durch ihre Adern, die tausend Heerpauken Tamerlans dröhnen in ihrem Hirn. Und sie kann nicht anders. Sie tut, was sie ihr Leben lang bitter bereuen wird und durch harte Fasten büßen; und doch ist es ein unweigerliches Gebot ihres Blutes.

Sie blickt Dulera flammend an, dann klatscht sie wild ihre Hände zusammen.

Der schwarze Eunuch erscheint. Da er Dulera sieht, bricht er in ein Schafsgrinsen aus.

Dschehanara Begum befiehlt mit einer klaren Stimme, in der kein Beben ist:

»Man töte diesen Sklaven, der sich in mein Badegemach eingeschlichen hat!«

Der Papagei Kakatua, durch die viele Bewegung beunruhigt, hopst auf seiner goldenen Stange herum und kreischt: »Dule–ra! Dschehan–ara! Kaka–tu–a!« Und dann immer wieder, hartnäckig: »Dule–ra! Dule–ra!«

Da kommt ein grausamer Zug in Dschehanaras Gesicht. Sie fügt zum Mord noch furchtbare Kränkung:

»Und erdroßle mir auch das lästige Tier da!«

Dulera senkt seinen Kopf, von dem das warme Wasser hinabrieselt. Er versteht nichts, als daß diese Frau ihn haßt, und sein Leben ist ihm nichts wert.

Da reckt der fette, grinsende, schwarze Halbmann zwei unförmige Pranken aus; die eine krallt sich in die Schulter des zitternden Knaben, die andere packt den Papagei mitsamt seinem Ständer, und er schleift beide hinaus, mit Wollust in seinen kleinen, rot geränderten Augen.

Dschehanara steht in der Mitte des Zimmers. Sie ist ganz sicher, ganz ruhig, ganz Königin. Und um nicht mit sich allein zu sein, um weiter zu leben, um sich zu betätigen, ruft sie laut und herrisch nach ihren Dienerinnen:

»He, Subali, Neki, Gulrang!

Rasch, rüstet mir mein Bad!«

Buchschmuck

 << zurück weiter >>