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VI

Buchschmuck Der Eunuch Faridun hat den fremden Fakir heimlich eingelassen, ihn vor dem Morgen aus dem Palast zu schmuggeln, wäre gefährlich. Er wird ihm einen verborgenen Winkel zeigen, wo er schlafen kann. Morgen, zur Stunde der großen Audienz, wenn Hunderte kommen und gehen, kann ein heiliger Bettler unbemerkt die Zitadelle verlassen.

Der Eunuch Faridun faßt den Fakir am Arm, zieht ihn durch dunkle Säle. In einem langen Gang, der zu den Gemächern des Königs führt, legt sich die fette Hand des Eunuchen plötzlich auf den Mund des Fakirs. Er reißt ihn beiseite, hinter einen großen Pfeiler, in verborgenes Dunkel.

Denn es kommt ein feierlicher Zug durch den Gang geschritten. Voran sechs Pagen mit Fackeln, paarweise. Dann zwei schwarze Eunuchen, deren jeder einen großen goldenen Leuchter trägt, mit einer sonderbaren grauen Kerze darin, die nicht angezündet ist. Dann weiße Eunuchen mit Bettzeug, Matratzen, brokatenen Decken. Dann vier Eunuchen, die einen großen Baldachin tragen, aus Goldgewebe, mit langen Fransen aus Perlenschnüren.

Dann ein Riese von einem Verschnittenen, ein Nubier, kohlschwarz, mit parallelen Schnittnarben im Gesicht. Trägt eine Leibschüssel aus purem Gold.

Hinten sechs Eunuchen mit blanken Säbeln. Dann wieder drei Paare von Fackelträgern.

Man wird im Schlafzimmer Schah Dschehans das kaiserliche Lager aufschlagen.

Jetzt sind die Fackeln vorbei. Faridun, geschwätzig wie ein altes Weib, fängt hinter dem Pfeiler zu tuscheln an. Er will dem Fremden imponieren, fängt an, ihm zu schildern, wie kostbar und herrlich Schah Dschehans Lagerstätte ist, wieviel Rosenwasser man auf die Brokatdecken spritzt, wieviel die Unze davon kostet, und wie die verschnittenen Leibkämmerer heißen, deren Amt es ist, jede Nacht die glückselige Lagerstätte der Heiligkeit auszubreiten.

Der die drei Matratzen übereinanderlegt, heißt Saadat: »Der Wirksame«.

Der die Decken breitet, Itibar: »Der Treue«.

Der Neger, der das erlauchte Nachtgeschirr verwaltet, heißt Abnus: »Elfenbein«.

Den Baldachin pflanzt Hilal über das Lager. Hilal heißt »Neumond«.

Weiß der Heilige, was die beiden grauen Kerzen bedeuten? Nein?

Der fette Eunuch bricht in ein maßloses, schmutziges Kichern aus. Sie bedeuten – – Man stellt sie an das Bett des Großherrn. Wenn er gewillt ist, eine Frau im Harem durch seinen Besuch zu ehren, tragen zwei Eunuchen von hohem Rang ihm die Kerzen voraus. Was von den Kerzen übrigbleibt, bekommt dann sie, die Begünstigte. Voll Stolz ist sie, wenn die Stümpfe tief herabgebrannt sind in dieser Nacht.

Ob Aurangzeb auch ein so prunkvolles Lager hat, will Faridun wissen. Er fragt ganz aufgeregt, und obwohl er flüstern muß, klingt seine Stimme schrill.

Der Fakir sagt: »Wisse, du Vater des Geschwätzes, daß der Heilige Mann, dessen Hand Kummer und Sorgen benimmt, jede Nacht nur drei Stunden schläft und immer auf dem nackten Boden. Denn er ist des Sultans Ibrahim eingedenk.«

Der Eunuch will weiterfragen und führt den Fakir in seine eigene Kammer, und die beiden hocken nebeneinander auf der Diwanbank, und der dicke Verschnittene läßt den Gast nicht schlafen, bevor er nicht erfahren hat, was es mit diesem Sultan Ibrahim für eine Bewandtnis hat.

»Wisse: Als Harun al Raschids Urenkel Muntassir zu Bagdad Khalif war, herrschte in der Stadt Balkh im Lande Turkestan ein mächtiger König, Sultan Ibrahim, Sohn Adhams. Siehe, er liebte den Glanz und eitle Pracht. In seinen Schatzkammern lagen Haufen von Perlen, jede hell wie der Mond, und geschichtete Berge von Juwelen, jedes leuchtender als ein Stern.

Vernimm ferner, daß Sultan Ibrahim, Sohn Adhams, voll Stolz war, hart gegen seine Sklaven, und ganz der Wollust hingegeben. Aus den fernsten Ländern der Ungläubigen brachten ihm Karawanen Prunkgewänder, Gewürze und seltene Speisen, auch Blumen aller Himmelsstriche. Denn am Abend, wenn er sich zur Ruhe begab, mußte das Gemach des Sultans ganz voll sein von duftenden Blumen; und man goß Rosenöl in den Kelch der Rosen, um den Duft duftender zu machen. Und dann wurde das üppige Lager ausgebreitet, Gewebe von Damaskus und chinesische Seide, unter einem Baldachin, auf dem die Gestirne aus Diamanten und Rubinen nachgebildet waren und die Milchstraße aus Perlen. Und eine Sklavin, in solchen Werken erfahren, mußte die Glieder des Sultans mit würzigen Ölen salben und kunstreich kneten. Dann schlief er ein, unter Wohlgerüchen.

Wisse ferner, daß Sultan Ibrahim, Sohn Adhams, eines Abends eingeschlafen war, und daß er plötzlich wieder aus dem Schlafe auffuhr, durch eine Berührung geweckt. Da sah er im Schein der Ampel, daß jene Sklavin, die Kneterin, an dem königlichen Bette kniend vor Müdigkeit eingeschlafen war, und sie hatte ihren Kopf sinken lassen auf das Prunklager des Königs. Da erzürnte Sultan Ibrahim, daß eine turkmenische Magd es gewagt hatte, auf dem Bett eines so großen Königs auszuruhen; und er rief seine Eunuchen, daß sie die Verwegene auf der Stelle züchtigten. Da erschienen sie mit geflochtenen Peitschen und begannen die Magd hart zu schlagen. Aber sie weinte und jammerte nicht, sondern fing an zu lachen, immer lauter, je schneller die Peitschen auf ihren entblößten Rücken sausten.

Da wollte Sultan Ibrahim, Sohn Adhams, wissen, warum sie lachte, statt zu weinen. Und er gebot den Henkern Einhalt.

Da sagte die Sklavin: ›O Herr der Zeit, soll ich nicht lachen? Ich lache, weil ich an dich denken muß, o glückseliger König. Denn wenn ich solche Strafe verdiene, die ich nur aus Müdigkeit für einen kurzen Augenblick meinen Kopf auf ein Eckchen dieses Prunklagers gelegt habe, welche furchtbare Strafe mußt du verdient haben, der du dein ganzes Leben lang auf so üppigem Lotterbett ruhst?‹

Wisse, daß Sultan Ibrahim in jener Nacht nicht schlief und nicht schlief in den folgenden Nächten. Er mußte darüber nachdenken, was da diese geringe turkmenische Magd gesagt.

Und da er für seine furchtbaren Zweifel Klarheit nicht finden konnte, schlug er nach frommer Sitte den gesegneten Koran auf; und das Buch voll Ermahnung öffnete sich bei der fünfundvierzigsten Sure, die betitelt ist ›Das Knien‹, und er las diese Stelle:

›Wehe jedem sündigen Lügner.

Der Allahs Zeichen hört, wie sie ihm verlesen werden, und alsdann in Hoffart verharrt, als ob er sie nicht hörte – drum verkündige ihm schmerzliche Strafe.‹

Und nochmals schlug Sultan Ibrahim das Buch auf, das herabgesandt ist von Allah, dem Mächtigen, dem Weisen.

Und es öffnete sich bei der siebenten Sure, die ›Der Wall‹ genannt ist, und er las diese Stelle:

›O Kinder Adams, hinab sandten wir auf euch Kleidung, euere Blöße zu bedecken, und Prunkgewandung; aber das Kleid der Gottesfurcht, das ist besser.‹

Da sann Sultan Ibrahim, Sohn Adhams, nach, und plötzlich zerriß er sein Gewand, entsagte seiner Königin, die schöner war als der Vollmond, ließ seinem Sohn Reich und Macht und Schätze und Heere, und ging in die Wüste, als ein heiliger Derwisch zu leben. Und groß wurde seine Heiligkeit.«

Der Fakir beendigt die Geschichte, hüstelt, sitzt starr da, selbst voll von Heiligkeit und nicht abgeneigt, das erkennen zu lassen. Der Eunuch Faridun sieht ihn sehr bewundernd an. Da sagt der Fakir: »Die Zierde des Thrones, Aurangzeb, spricht in jeder Nacht vor dem Schlafengehen dreimal Ibrahims Namen aus; und er schläft auf den nackten Steinen des Bodens oder auf einer schlechten Strohmatte, Sultan Ibrahims wegen. Aber erfahre, daß der Mann, dessen Hand Kummer und Sorge benimmt, nur gegen sich selbst so streng ist, und gegen seine Diener liebreich und voll Gnade; die ihm getreu sind, werden großen Lohn erhalten und in seinem Schatten ein glückseliges Leben führen.«

Der dicke Eunuch Faridun, der »Große unter den Kleinen«, wackelt ganz verzückt mit dem Kopf.


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