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XIII

BuchschmuckDer Wesir läßt sich zur Zitadelle tragen, ein Eunuch erwartet ihn am Eingang des Palastes, führt ihn eine Treppe empor zu einer offenen Loggia, wo sich der König aufhält. Die Loggia geht auf den Fluß hinaus, weiße Säulen mit bunten eingelegten Ornamenten und breiten Kapitälen tragen das vorspringende Dach, eine niedere Marmorbalustrade, wie aus steinernen Spinngeweben, begrenzt den Rand. Von hier aus pflegt der Mogul zuzusehen, wenn unten auf dem Sand die Elefanten gegeneinander kämpfen. Heute ist kein Gefecht befohlen, und die Weiber der Elefantenlenker können fröhlich sein. Wenn ein Kampf anberaumt ist, legen sie ihren Schmuck ab und jammern, sie sehen sich schon als Witwen, denn der Mahaut ist sehr glücklich, der das furchtbare Wüten des Ungeheuers überlebt, auf dem er während des Gefechtes zu sitzen hat. Indessen hat man wie an jedem Morgen die Elefanten des Königs an den Fluß gebracht. Da tummeln sie sich fröhlich, und Schah Dschehan, auf einem vergoldeten Stuhl, sieht ihnen mit lässigem Wohlgefallen zu, den Rosenkranz in den spielenden Fingern. Er hat auf einem Tischchen aus kostbarem Gestein eine leichte Kollation von Früchten vor sich, frische Trauben von der Art, die keine Kerne hat, persische Melonen, Mandeln und Pistazien aus Bokhara, Walnüsse und getrocknete Aprikosen aus Samarkand. Es ist noch nicht heiß, der König trägt noch nicht die feierliche Staatsrobe, die er zur Audienz anlegen muß, sondern weiche weiße Gewänder aus dünnem Kaschmirgewebe und einen leichten Turban. Er sieht trotz der frühen Stunde und dem schattigen Frieden dieses schönen Säulenerkers erschöpft aus, und der Eunuch, der im Hintergrund steht mit einem perlengestickten Beutel, in dem sich des Königs Taschentücher befinden, muß seinem Herrn manchmal ein Tuch reichen, mit dem er sich den Schweiß von der Stirn wischt.

Sadullah Khan vollführt mit einiger Übertriebenheit den dreimaligen großen Gruß aus ehrerbietiger Ferne. Der König winkt ihm, näherzukommen. Natürlich bleibt er vor dem Mogul stehen, mit über dem Bauch gekreuzten Sklavenhänden, die bebrillten Augen niedergeschlagen und mit einem Ausdruck, als hätte er eine unendliche Angst vor der zerschmetternden Gegenwart des Herrn der Welt. Die beiden Männer sehen seit vielen Jahren einander täglich, der Wesir ist der treueste Diener, der bewährteste Ratgeber des Königs, kennt die meisten seiner Geheimnisse, teilt seine Sorgen; die beiden sind, soweit sie es sein können, alte und vertraute Freunde. Aber niemals würde Sadullah Khan anders vor Schah Dschehan stehen, niemals ihm ins Auge blicken, niemals mit zuversichtlicher Stimme zu ihm sprechen.

Der Mogul will wissen, ob Sadullah Khan bei dem fränkischen Gesandten gewesen ist.

»Der Padischah befahl es mir«, sagt der Wesir Khan einfach. »Der Wille des Königs ist geschehen und wird geschehen. Der Franke weiß, daß er ein Sklave des Königs ist, und wie er seine Ehrfurcht zu bezeigen hat. Vergäße er es etwa vor dem leuchtenden Antlitz, sind die Maßregeln getroffen.«

Schah Dschehan blickt hinaus, wo die grauen Elefanten im Fluß herumplätschern.

»Man muß ihn,« sagt er, »mit Höflichkeit empfangen; es stünde einem König schlecht an, dem Gesandten eines unglücklichen Königs anders zu begegnen, den rebellische Untertanen vertrieben haben. Sodann eine Ehrengabe, ein schönes brokatenes Gewand, ein arabisches Pferd und eine ausweichende Antwort. Aber es ist wichtig, daß er vor den Augen der Emire den gebräuchlichen Taslim vollzieht. Sieh, o Wesir, mein Knabe zerbricht Geschirr, und ich muß es flicken. Dara Schikoh läßt diese ungläubigen Fremden zu viel in seine Nähe. Ich muß den Emiren beweisen, daß sie nichts sind als schutzflehende Bettler, aus ihren dunklen kalten Ländern geflohen, weil sie dort keine Nahrung fanden. Sie sind zu vielerlei Dingen nütze, als Ärzte, Uhrmacher oder Baumeister mögen sie uns dienen. Aber wenn sie ihr Haupt ohne den Turban des Bekenners zu hoch erheben, dann wieder in den Staub mit diesem Haupt! Nur dann kann man sie im Lande dulden und ihren Faktoreien Schutz gewähren. Denn der Hochmut dieser Fremden ist groß, und sie sind alle ein wenig verrückt. Heute kommt dieser Franke von einer kleinen Insel irgendwo in einem barbarischen Meer und möchte, daß ich mit den Schätzen, die Akbar gesammelt hat, seinem König helfe, irgendwelchen Rebellen die Köpfe abzuschlagen; wird er nicht morgen kommen und vom Hause Timurs Tribut verlangen? Oder den Mogul vom Pfauenthron weisen und über Hindustan herrschen wollen?«

Schah Dschehan hält inne, wartet wohl auf die ergebenste Erheiterung seines Wesirs, da er doch ein so scherzhaftes Ding gesagt hat. Sadullah Khan lächelt auch ein wenig zum Boden hin, aber ohne rechten Nachdruck. Er sagt langsam:

»Das Schwert meines Herrn, des Königs, beschattet die Erde, und die fernsten Nationen zittern, wenn sie es blitzen sehen. Wer wie die Weisheit des Beschützers der Gläubigen soeben erkannt hat: sie sind von einem seltsamen und befremdlichen Wahnsinn erfüllt, diese Franken.

Vernimm, o Herr: in der Hafenstadt Kambay in deinem Königreich Gudscherat unterhalten die ungläubigen Brahmanen – –«

(Sadullah Khan würgt ein wenig an dem Wort »ungläubigen«. Er ist ein Renegat des brahmanischen Glaubens und durchaus nicht ohne Scheu vor den zweimal Geborenen.)

»– – unterhalten die ungläubigen Brahmanen, wie es die Sitte der Götzenanbeter ist, ein Hospital für kranke Tiere. Nur bei Allah allein ist die Kraft und die Macht!« (Beeilt er sich zu versichern. In den Augen Schah Dschehans glimmt etwas auf.)

»Eines Tages, als ich in Kambay war, brachte man einen flügellahmen Falken in dieses Tierspital. Da fiel er über die anderen Tiere her und begann sie zu verschlingen. Man mußte ihn rasch entfernen, und die Brahmanen sagten: seht, er ist von der Rasse der Franken!«

Schah Dschehan blickt den Wesir fragend an, er weiß, daß nach dieser Einleitung etwas Wichtigeres kommt. Sadullah Khan betrachtet die Steinfliesen des Bodens.

»Dieser englische Gesandte wohnt in der Karawanserei der Begum-Sahib; wir haben ihm kein eigenes Haus angewiesen, da wir ihn nicht lange in Schahdschehanabad lassen wollen. Wie sich die Weisheit des Weltergreifers denken kann, unterhalten wir in Häusern dieser Art Leute, die die Gesinnung der Fremden zu erkunden verpflichtet sind. Einer von ihnen ist ein griechischer Renegat – –«

(Das Wort kommt schwer heraus.)

»– aus Anatolien. Er versteht die Sprache, in der dieser Gesandte mit seinem jungen Schreiber spricht. Vernehme nun deine Heiligkeit, was mir der – Renegat, mein Spion, meldete. Dieser Gesandte, der in ferner Heimat ein Krieger gewesen ist, sah die besten Truppen des Mogulheeres, und statt zu erschrecken und für die Unabhängigkeit seines Frankenlandes zu fürchten, sagte er: ›Welch ein Haufen ohne Ordnung und Zucht! Wahrlich, diese Heerscharen gleichen einem Strom, der das flache Land überschwemmt hat, lärmend und seicht, und bald versiegt.‹

Und er fügte hinzu, er machte sich anheischig, aus dem Heer eines gewissen fränkischen Sultans, der in einem Land namens ›Flandern‹ Kriege führt, fünfundzwanzigtausend Mann, nur fünfundzwanzigtausend auszuwählen. Würde die ein gewisser, im Abendland berühmter, Emir des Frankenkönigs in den Kampf führen, dann wäre es möglich – ich bin der Mund, o Herr, nicht das Herz – mit diesen fünfundzwanzigtausend Mann das ganze ungeheuere Heer des Reiches zu zersprengen, Mogulen und Radschputen, Reiter, Fußsoldaten, Elefanten, Lanzenträger und Musketiere, all die vielen Hunderttausende, und ganz Hindustan in wenigen Monaten zu erobern. Alle Kraft und Macht ist bei Allah!

So groß, o Heiligkeit im Heil, ist die Verwegenheit dieser Franken. Herr, du hast mich nach Surat und Goa geschickt, dein Wort zu überbringen, ich habe sie aus der Nähe gesehen. Glaube mir, jene Brahmanen haben recht, sie gleichen Falken in einem Taubenschlag. Fern sei es von deinem Diener, dem anmaßenden Wort dieses lahmen Landstreichers Bedeutung beizumessen, aber es scheint mir dennoch von Nutzen, daß die Franken untereinander uneins sind, die Untertanen gegen den König, der König gegen die Untertanen. Nicht weise wäre es, solchen Streit schlichten zu helfen!«

Schah Dschehan sagt: »Was könnten die Bewohner eines fernen, kleinen und barbarischen Eilands dem großen Reich der Söhne Timurs schaden?«

Der Wesir betrachtet unruhig das Muster des Steinbodens. Er antwortet langsam:

»Der Tiger sprach zum Dolch: Ich bin so groß, solch eine Masse von starken Muskeln, und du bist so klein und dünn! – Da sprach der Dolch: – Aber von Stahl!«

Schah Dschehan hat bisher steif und förmlich dagesessen und hat Audienz erteilt; und es war ein Eunuch mit einem Fliegenwedel anwesend und einer mit den Taschentüchern, die winkt er jetzt fort, und nun steht er von seinem Stuhl auf und tritt an die Brüstung neben den Wesir, und legt ihm die Hand auf die Schulter mit dem Griff des Besitzers, aber doch auch des Freundes, der sich anklammert, und der Griff wird immer fester, und der Blick in den Augen des Königs wird immer weniger fest, und nun flüstert er: »Sadullah, Sadullah! Ist es wirklich wahr, daß dieses Reich wankt? In meinen Nächten, oh, in meinen Nächten – –« Sein Gesicht wird aschgrau. Sie verstehen einander, und obwohl der alte Wesir immer noch so sklavisch dasteht, geht von ihm eine tröstende Wärme aus, und es sind zwei Menschen und Lebensgefährten und Mitarbeiter, nahe beieinander.

Nach einer Pause sagt Sadullah Khan, scheinbar unvermittelt:

»Der Türsteher Mahabet Khans ist ein Afghane; man kennt ihn in meinem Haushalt – –«

Er stockt; Schah Dschehan versteht ihn. Sadullah Khan hat ein afghanisches Weib und afghanische Schwäger, eine unerträgliche habgierige Sippe, die ihn beherrscht und ausbeutet, und der zuliebe er, der Weise und Getreue, immer Geld zusammenraffen muß, nicht immer auf ganz rechtliche Weise. Aber das ist jetzt so gleichgültig, so verzeihlich. Schah Dschehan klammert sich mit einer heißen Hand an den alten Freund. Der fährt fort:

»Er kam heute, mir zu berichten – ein fremder Fakir ist in der Nacht bei Mahabet gewesen und lange dageblieben, bestimmt ein Bote Aurangzebs. Herr, wir dürfen Mahabet nicht verlieren. Herr, du säumst lange, und Aurangzeb verliert keinen Augenblick. Schon ist Emir Dschumla in seinen Schatten getreten, der mächtigste Mann im Süden. Ich kenne Mahabet, er liebt dich, aber er ist voll Eitelkeit und hat einen alten Groll, der seine Nächte unruhig macht, du weißt es, wegen jener Begum. – Herr, deine Tochter Roschanara ist am Werk; sie wäre kein Weib, wüßte sie nicht einen Stachel in diese alte Wunde zu setzen; Herr, verzeih deinem Sklaven, wenn er der erhabenen Weisheit zu raten wagt, doch du zögerst zu lange, deine Kinder werden zu groß im Nest und drängen dich hinaus. Noch ist es Zeit, vielleicht noch. Emir Dschumla darf Schahdschehanabad nicht verlassen, und wir dürfen Mahabet nicht verlieren. Du mußt –«

Da fühlt er schmerzhaft die Finger des Königs seine Schulter umkrallen. Schah Dschehan stöhnt, röchelt, verliert jede Festigkeit: »Sadullah, Sadullah, ich weiß, daß es der letzte Augenblick ist, und ich muß, diesmal wie damals – Sadullah, ich habe in Frieden gelebt und die Kinder sind herangewachsen und groß geworden – –

Sadullah, Sadullah, ist die Herrschaft über Hindustan das wert, daß wir alte Männer – –?«

Er flüstert angstvoll:

»– – alte Männer, krank, Sadullah, und unserem Tode nah, daß wir noch einmal auf den Elefanten der Gewalt steigen und ihn durch Blut waten lassen? Ich kann nicht, Sadullah, ich kann nicht!«

Sadullah Khan, ganz ergraute Staatsweisheit: »O König, du hast einen edelsteinfunkelnden Palast gebaut, sollen die Schakale in ihm wohnen? Soll das Reich schwach und entzweit sein, jedem Räuber zur Beute, vielleicht einer Handvoll Franken, die über das schwarze Wasser kommen, wenige, doch mit stählernem Willen und mit erbarmungslosen Herzen? Herr, dieses Reich ist mit blanker Gewalt gewonnen worden und mit bluttriefendem Schwert, von deinen Ahnen, von deinem Vater, von dir selbst. Mußt du es nicht mit stets erneuerter Kraft weitertragen?«

Sadulla wird weich; er ist ein sanfter Hindu, aus Instinkt aller Grausamkeit abhold: »Herr, dreißig Jahre lang hast du in Frieden regiert und schicktest den Löwen vereint mit der Ziege auf die Weide. Du hast die Muselmanen beschützt, und die Heiden haben deinen Namen unter den Namen der milden und segenspendenden Götter verehrt. Soll der Bau deiner Größe einstürzen, weil du müde bist, Allah wende es ab, weil du einen wankenden Pfeiler nicht mit starker Schulter aufrichten magst? Herr, ich kenne deinen Sohn Aurangzeb; wenn du ihn schonst, wird er ganz Hindustan verderben! Er ist stark und schlau, aber sein Blick ist starr und kann die Wahrheit nicht sehen, er wird die ungezählten Massen der Hindus zur Verzweiflung treiben, und das Reich wird zerfließen wie dieser Schnee von Kaschmir in deiner goldenen Sorbetschale! Herr, dein Herz ist voll Milde wie dieser Granatapfel voll süßer Kerne ist, aber im Innern jedes Kerns ist der Same eingeschlossen, sorge, daß er ein guter und fruchtbarer Same sei!

Ich habe, o König, einen alten und weisen Priester der Franken gefragt, was die Reiche ihrer Könige so stark mache. Herr, ich fürchte diese Franken mehr, als ich sagen kann, wir kennen sie nicht recht, sie sind voll dämonischer Kraft. Der Padre sagte mir: wenn im Lande der Franken ein König stirbt, beugen sich seine jüngeren Söhne vor seinem ältesten Sohn und rufen: »Der König ist tot, es lebe der König!« Das ist es, was diesen armen und wenig bevölkerten Staaten solche Kraft und Festigkeit verleiht. Sei kraftvoll, gib ein gewaltiges Beispiel, laß deinen ältesten Sohn so mächtig zurück, daß er keinen Widerstand mehr vorfindet und sogleich und kampflos den Pfauenthron besteigen kann. Ich weiß, und du weißt es, Dara liebt mich nicht, und wenn du es dem Sklaven gestattest, sage ich: ich sehe seine Fehler. Aber ich stehe hier vor dir und bitte dich: hilf ihm. Nicht, weil er dir der Geliebteste unter deinen Söhnen ist, sondern damit in diesem Lande endlich das ruhige Recht eines Einzigen auf die Herrschaft anerkannt werde, damit die Prinzen des Hauses Timur lernen, dem Willen ihres Vaters und dem Gesetz des Reichs zu gehorchen, daß nicht beim Tode eines jeden Königs die Erdscheibe zu schwanken beginnt! Noch hältst du das Schwert und den Schild; noch ist es Zeit, großes Unheil abzuwehren, das ich kommen sehe. O Schah Dschehan, du hast herrlich gebaut, nun beschütze das Tor!«

Schah Dschehan löst seine Hand von der Schulter des Wesirs, kehrt zu seinem Sitz zurück, lehnt sich traurig an die Kissen. Er hat in einer seltnen Stunde seine menschliche Qual anvertraut und Staatsklugheit als Antwort vernommen. Er ist ganz einsam. Und der Mann da vor ihm hat recht und spricht die Wahrheit, und es muß sein, unabweislich sein; er muß, ein alter Mann, mit dem wühlenden Wurm Tod in seinen Eingeweiden, noch einmal das blutige Schwert ergreifen, muß es gegen die Söhne seiner Ardschumand richten, muß Aurangzeb blenden lassen, Schudscha und Murad in den Kerker von Gwalior sperren, den die Prinzen des Hauses Timur nicht lebend verlassen, muß Roschanara zertreten wie eine Schlange.

Und fühlt die Krankheit in seinem Leib wachsen und in seinem Kopf die große Müdigkeit – – –

Er reißt sich zusammen, gibt kurz und hochmütig einige Befehle für die herannahende Staatsaudienz; Sadullah Khan wird ganz klein, ein katzbuckelnder Sklave, windet sich in Verbeugungen, in übertriebenen Schmeicheleien und geht, mit einem betrübten und verstehenden Blick in seinen sanften Hinduaugen.


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