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Zünd Lichter an

Heut aber rief's mich nächtlich an:
»Hast du der Liebe genuggetan?
Warst du mit jedem Tropfen Blut
dem Schöpfer und seinen Geschöpfen gut?«

Ich blickte auf. Ich sah der Welt
Gesicht verdunkelt und entstellt
und jeden armen Funken Licht
erstickt von einer Aschenschicht.
O Liebe, Liebe! Höchstes Gut!
Der Urgrund, drauf die Schöpfung ruht,
der strahlenreiche Weihnachtsbaum,
der immergrüne Frühlingstraum,
der Blumenaugen Tausendfalt,
der Gott in irdischer Gestalt,
der Herzen Brot, der Seelen Wein,
der tiefe Born, der heilige Schrein,
wer hätte dir genuggetan?

Da sprach's: »So zünde Lichter an!
Das Döchtlein Erbarmen, ein Endchen Geduld,
den Funken Nachsicht mit fremder Schuld,
die Kerze Mitleid, dass jeder Not
ein Trostesflämmchen brennt und loht.
Der Menschheit Kreuzweg lang und schwer
ist sonnenarm und liebeleer,
bewölkt von Leid, verhüllt von Wahn.
Zünd Lichter an! Zünd Lichter an!«

Ich blickte auf und sah im Raum
der Sterne steilen Kerzenbaum,
hoch hingehalten übers Land
von Gottes ausgestreckter Hand.
Und jede dieser Leuchten sprach:
»O Mensch, mach es uns Sternen nach!
Je finsterer die Erdennacht,
je heller werden wir entfacht.
Blick auf! Erkenne Sinn und Plan!
Zünd Lichter an! Zünd Lichter an!«

 


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