Martin Beradt
Die Verfolgten
Martin Beradt

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Hasselbach

Hasselbach war aus einer kleinen Stadt, wo seine einfältigen Eltern bei der Kapelle eines Stiftes wohnten, in einem alten Hause. Sie entrichteten den mäßigen Zins, der von den kirchlichen Anstalten gefordert wird, und waren auch sonst dem kirchlichen Wesen zugetan. Der Vater, der ein Schuhmacher war, half dem Küster, die Mutter diente dem Wachszieher, der Andachtsstöcke formte, in vielen Stärken, kordeldünn und armdick, für jeden Grad der Frömmigkeit des Spenders. Als sie verschied, hinterließ sie vier in einem zarten Alter haltende Kinder, und da er sich die vierköpfige Hinterlassenschaft zu Herzen nahm und an seine Aufgabe glaubte, durch eine Schar von Kindern seinem Namen ein Gedächtnis zu machen, so nahm der Vater nach kurzer Frist eine zweite Frau, die seinen Glauben auferweckte und ihn mit einer zweiten Reihe Kinder beschenkte. Seine Sanftmut achtete darauf, daß sie die Kinder der ersten nicht hintansetzte, aber dennoch wandte sich der Sohn nicht selten inwärts und sehnte sich gebieterisch und unfaßbar nach der wirklichen zurück.

Die wahre Not erfuhr er erst in der Lehre durch die Grausamkeit des Meisters. Bei diesem hatte die Frau es besser: sie war davongelaufen. Als er dasselbe 224 tat, wurde er zurückgebracht, und zwar brachte ihn der Vater von dem Fluchtversuch nach Hause. Beim zweiten Mal gelang die Flucht, als er es erfahrener anstellte, indem er den geschuldeten Lohn aus dem Schub des Meisters nahm und mit dem Goldstück in die Hauptstadt reiste. Allein, sich seines Lohnes zu bemächtigen, das hieß stehlen, und auf eine Anzeige des Bestohlenen, der ihm die Flucht mehr als den Diebstahl nachtrug, wurde er bestraft, der Vorsicht wegen mit Gefängnis, seiner Jugend zuliebe nur für einige Tage. Immerhin war er in der Hauptstadt, wo er fortan mehrere Jahre nach der Art der großstädtischen Gesellen lebte, wenn er auch das Erbe der frommen Veranlagung seiner Eltern nicht selten in der Empörung seines edleren Teiles gegen die Schwachheit zeigte, die in diesen Jahren einen Menschen anfällt. Ziemlich lange einem Meister treu, dann rasch hintereinander die Stellen wechselnd, an dem Gürtel der Stadt angesiedelt und eigenwillig in seinen Vergnügungen, so flog er als ein Körnchen in dem großen Sandtanz um, unsichtbar in dem Gestiebe untergehend, mit einem vollen Gefühl dafür besonders, wenn er über eine der Verkehrsstraßen an einem freien und unbeschäftigten Sonntagnachmittag schritt und von einer bis zur anderen Ecke die Spaziergänger zählte, bedenkend, daß in dreißig Jahren einem jeden vor der Stadt ein hartes Bett bereitet sein würde.

Übrigens lebte er nicht jeden Sonntag solchen unglücklichen Gedanken nach. Eines Sonntags im Sommer etwa nahm er ein altes Fahrrad, das er auf der Straße stehen sah, unter seine Beine, da er es eilig zu einer 225 Verabredung hatte, und ließ sich am Ende von einem Freunde zureden, es zu behalten, vorwiegend, weil er nicht für schüchtern gelten wollte. Die Folge war seine Bestrafung, von der er dann, eingeschüchtert, vier Jahre bis zur nächsten vergehen ließ, wo es dann nicht um ein Beförderungs-, sondern um ein Mittel zur Erwärmung ging. Er war mit einigen Freunden über Land gezogen und fröhlich in einem Wirtshaus abgetreten, als er beim Aufbruch am Abend fror und, um seine Gesundheit besorgt, denn er hustete, den Mantel eines Bauern vom Rechen nahm und sich in dieser Verkleidung davon machte. Die Absicht, das Leihgut am Morgen zurückzustellen, konnte er nicht bewähren; vor der Bekundung seines Willens wurde er verhaftet, und obwohl er einen wärmenden Mantel zu Hause hatte, trotz der Berufung auf seine Absichten, die er nicht beweisen konnte, wiewohl sie ihm nach dem Gesetz hätten bewiesen werden müssen, zu einer nicht gelinden, sondern beträchtlichen und für das Gemüt auf das äußerste nachteiligen Strafe verurteilt.

Als er entlassen wurde, war er ernstlich gewarnt und mit der Erkenntnis vertraut geworden, daß es im Leben auf die kleinsten Dinge ankommt. Die Verhältnisse hatten sich verschoben. Der Anlaß des Krieges bewegte jetzt die Menschen. Hasselbach trat wie aus dem Frieden in einem kräftigen, dunklen Anzug aus dem Hause und wanderte neugierig auf das Feld, das eher herbstlich als winterlich bestellt war, wie er glaubte, einem nicht mehr wiederzuerkennenden neuen Wesen zu. Irgendwie durch die Luft wurde er an den Tag seines Einzuges erinnert, 226 der genau vor einem Jahr vor sich gegangen war, genau um die gleiche Stunde. Seine bewegliche Nase erkannte den Brodem, den sie in ihren Flügeln als Erinnerung bewahrt hatte, etwas knorrig und gleichsam halbstarr, wie sie war, schien sie bei dieser unverdrossenen Tätigkeit in die Luft hinein nicht festzusitzen, wenn nicht abnehmbar zu sein, sein blasses Gesicht, das sich noch grauer darstellte, als der Himmel über ihm, wurde leichenblaß, und wenig sicher wuchs er in die Gegenwart hinein.

Immer vorwärts marschierend, blickte Hasselbach hartnäckig an sich herunter, obwohl um ihn herum genug zu sehen war. Allmählich wurde er des neuen Anzugs, der ihn gefesselt hatte, verdrossen. Die Arbeit stammte aus den Fingern eines Häftlings und quälte ihn jetzt durch ihre Enge. Die Anschaffungskosten, eine stattliche Summe, reuten ihn unversehens, einmal trübsinnig, betrübte ihn die Freiheit überhaupt. Sein Leben erschien ihm ohne Anspruch auf ihren Vorzug, und mit einem plötzlichen Anfall von schlechtem Gewissen blickte er sich um, als sei er entflohen und als setze man ihm nach.

Plötzlich riß ihn eine Erscheinung auf dem Wege über seine Betrübnis hinaus. Der erste Soldat im Kriege kam an ihm vorüber und tat es in seiner neuen Uniform. Hasselbach drehte sich in seiner ganzen Breite um, so viel Auffälligkeit verwunderte den Kanonier, der gestochen mit Kopf und Schultern Kehrt machte, so daß sich beide anstarrten, als ob sie vor Jahrzehnten auseinandergegangen wären und sich nun als Brüder auffielen. Der Kanonier faßte den Verdacht einer Beschränktheit seines umgekehrten Partners, und da Hasselbach 227 hartnäckiger war, so zog er zuerst die Nase geradeaus, während Hasselbach auf den Boden spuckte und dann langsam und beunruhigt wieder die alte Richtung auf die Stadt nahm.

Der Vorort glich in seiner Vorlagerung einem Höhenzuge, der, eine ziemliche Strecke von der Stadt entfernt, allmählich hinsinkt und sich dann zu einem gewaltigen Gebirge aufreckt. Hasselbach sah die Häuser sich in die Felder werfen und zu Blöcken aufspringen. Unruhig machte er vor einer Flurwelle halt und schaute unter der Hand nach Truppen. Aber er sah nur Bürger, und ein Kriegslager ergab sich nirgends.

Allein nach einer Weile wurde sein Wunsch erfüllt. Eine Rotte Soldaten kam die Chaussee herab, ein jeder in der Hand einen pappenen Kasten, und neben verschiedenen die Anhänglichkeit eines Mädchens. Die Stimmen sangen ein Abschiedslied nach Haus, der Hall davon und der Hall der Tritte rissen die Frauen aus den Häusern, kleinen Gebäuden, die wie Kilometersteine am Wegrand standen und die Winde aufhielten. Langsam verlief die Mannschaft sich in den Himmel, und Hasselbach starrte ihrem überirdischen Einzug nach bis zum Verwirbeln des letzten Tritts. Plötzlich wurde er angesprochen von der Neugier eines Dienstmädchens, welches wissen wollte, warum er denn nicht selbst mit in den Krieg zog. Dem Mädchen schien das Blut eines Soldatenwerbers zu gehören, denn ihre Augen jagten ihn noch mehr als schon ihr Mund ins Feld. Hasselbach ging der Mund immer weiter und schließlich in einer Weise auf, daß zwei breite Zahnlücken an den Seiten 228 sichtbar wurden, mit denen er als junger Mensch die Rache einer Beleidigung bezahlt hatte, dann wurde er so wild, daß das Mädchen mit rauschenden Röcken vor seiner Antwort in das Haus wich.

Ingrimmig horchte der Verlassene auf das Brausen und schritt vor. Es hätte keiner großen Güte bedurft, seine Person wie andere Gefangene zum Heer zu lassen. Selbst bei reichlicher Rechnung hatte er nicht sechzig Mark mit allen Diebstählen erbeutet; es war hart, daß man ihn wegen der dritten Versündigung allein für einen Sommer und Winter der Freiheit beraubt hatte und ihm nun auch die bürgerlichen Ehrenrechte nahm, so daß er ohne die notwendigste Bekleidung dastand.

Als drehte ihn die Stadt in ihren Trichter, lief er hastig unter solchen Gedanken geradeaus. Plötzlich übergab er sich fast vor Speichel und stolperte bleich und starr auf einen Wagen der städtischen Straßenbahn, der rasend aus seinem Rücken herkam und in die Stadt hineinspülte. Der Wagen war von Leuten überfüllt, Bürger und Bauern, welche der Stadt zu fuhren, und Hasselbach stellte sich auf die Plattform, weil zwar noch ein schmaler Überfluß an Plätzen in einer Ecke vorhanden war, der Unterschlupf neben so viel Sparsamkeit und Elend in dieser Stunde aber ihm nicht paßte.

Als nach ihm ein Feldwebel auf den Wagen sprang und rückwärts ebenfalls auf der Plattform stehen blieb, stellte Hasselbach sich von ihm weg in das Innere hinein, aber da er hier vom Besseren zum Schlechteren geriet und nach dem Artilleristen auf einen Infanteristen stieß, so trat er wieder hinaus und sprang in plötzlicher Wut über 229 alles, was Soldat bedeutete, blindlings von dem Wagen, so gewaltigen Sprunges, daß er zunächst eine Weile auf der gepflasterten Zufahrtstraße in der Richtung mitlief, in die der Wagen sausend in einer Wolke verschwand.

Nach einigen in der Stadt verstreiften Stunden fror er und beschloß, seinen Mantel abzuholen. Wie seine andere Habe war dieses Stück in der Schlafkammer eines Freundes untergebracht, dem Wirt dieses Freundes hatte der Eigentümer des Hauses einen Possen gespielt, der Hauswirt hatte den Unterwirt vertrieben, worunter der Freund natürlich mit litt. Diesen hatte das Regiment zu den Fahnen gerufen, und eine Nähterin, bei der er zuletzt sich Unterkunft verschafft hatte, wußte Hasselbach, der ihr aufwartete, nichts über den Mantel anzugeben. Auch hinsichtlich der übrigen Habe erwies sie sich nicht besser unterrichtet; der Wirt des Freundes aber war in eine andere Stadt verschwunden, deren Name von den Nachbarn noch verschieden angegeben wurde.

Wegen des zunehmenden Frostes suchte Hasselbach eine Bäckerherberge auf, die im Norden der Stadt lag, in einem verbrecherisch alten Hause, vor dessen Aussehen man erschaudern konnte. Aber Kameraden waren hier zu jeder Zeit zur Stelle, und schließlich wurde man doch von Kameraden allein verstanden. Der Ankünftling traf es erwünscht, in einer niederen und wenig sauberen Stube baute er seine Wärmebedürftigkeit an einem Kachelofen an, der neben dem Eingang zu einer zweiten Stube ausgerichtet war; wie zu der Vorbereitung eines Ausbruchs schleuderte der Ofen seine Wärme hinaus, 230 und Hasselbach wuchs so fest, daß der Anzug ansengte und Haut und Haare an den tausend Adern und Sprüngen der Kacheln klebten. In dieser warmen Angezogenheit genoß er die Freiheit wie einen Trunk, der Feuer in die Därme brachte, und in einem plötzlichen Verlangen nach einem wahrhaften und vollkommenen Rausche, nahm er eine Reihe Zusätze und Essenzen zu sich, die, in heißem Wasser aufgelöst, auf das trefflichste den Eingeweiden schmeckten, einige stellungslose Brüder waren nicht verlogen genug, auf seine scheue, aber deutlich von ihnen erwartete Aufforderung, ihm zu helfen, lang zu zögern. Erst vor Mitternacht lahmte er von seinem Platz, auf dem die anderen ihn vergeblich festzuhalten suchten, unmittelbar in seine Kammer, wo er sich sogleich zur Ruhe legte. Sein Lager war nicht so, wie er es einen Sommer und einen Winter lang gekannt hatte, sondern ein Paradies von einer Bettstatt. Er lag auf einem ausgewaschenen und glatt gestrichenen Laken unter einem linnenbezogenen Bett voll Federn, den Kopf auf einem ebenso geschwellten Kissen, und der Schlaf umarmte ihn so fest, daß sie einen Berg zusammen hinunterrollten.

Bei dem ersten Morgenlichtspiel vor dem Fenster erhob sich Hasselbach und schlich aus dem Haus. Auf dem Wege schnoberte er in alle erwachenden Bäckerläden, aber wie voller Ware ihre Tische standen und so ausgiebig die Bürger auch ihr Brot bekamen, seinem Anliegen wurde auf dem Arbeitsnachweis nicht genügt. Elfhundert Gesellen gingen mit einer älteren Anwartschaft voran, gegen die im Frieden noch um tausend 231 höhere Zahl war dieser Zustand nicht erstaunlich, dennoch ließ er keine rechte Hoffnung, daß der Bewerber vor seinem Untergange eine Gelegenheit, in seinem Fach zu Schweiß und Lohn zu kommen, fand. Aus dem Nachweis für Hausdiener, in den er sich voll Bekümmerung verfügte, wurde er gewalttätig entfernt, keinesfalls durften gelernte Männer an einer Stelle begünstigt werden, wo ungelernte ihre einzige Hoffnung vertreten wollten, und frierend lief Hasselbach durch die ganze Stadt, ging verschiedene bekannte und etliche fremde Bäckermeister an, in ihren und sogar vor ihren Läden, aber die gute Gelegenheit wollte sich nicht einstellen.

Auf dem Weg stieß ihm ein merkwürdiges Erlebnis zu. Ein wohlangezogener Herr, der sich in Gesellschaft eines nicht weniger trefflich angezogenen befand, hielt bei mehreren vorübergehenden Personen, die sämtlich im bürgerlichen Range unter ihm, um Arbeit an und bedankte sich, als ihm verdutzt die Bitte abgeschlagen wurde. Hasselbach war beobachtend gefolgt und dachte über die Sonderbarkeit des Vorkommnisses nach, als er sich selbst beobachtet fand und ein fremder Mann an ihn herantrat und ihn nach seinen Beobachtungen fragte. Als Hasselbach, der keinen Grund sie zu verschweigen sah, seine Erfahrung mitteilte, belehrte ihn der Herr über den Zusammenhang des Geschehnisses. Jener Arbeitslose war ein wohlhabender Mann, der mit seiner Frau im Streite lebte, sein Vermögen verbarg und, um den Nachweis zu führen, daß er keine Arbeitsgelegenheit und deshalb keine Gelegenheit, sie zu ernähren, habe, dieses Manöver auf der Straße aufführte, das sein 232 Freund, unter Fortlassung der Einzelheiten natürlich, später vor Gericht bezeugen sollte. Die Frau, die einen kleinen Heerbann von Verfolgern aufgeboten hatte, war jedoch klüger und entlarvte ihn.

Hasselbach hatte sich kaum von dem Schrecken über die Schurkerei erholt, als ihn der Schrecken über seine eigene Lage befiel. Da er bei seiner Rückkehr in die Herberge, was die Lage betraf, nicht weiter war, als bei dem Abschied aus der Herberge, machte ihm der Zustand viel Beschwerden, und er war deshalb froh, daß in der Herberge sich ein Bekannter anfand. Dieser Bekannte hieß Charisius, und Hasselbach lernte durch ihn einen zweiten Gesellen kennen, der sich Nadolny nannte und sich anheischig machte, ihm Arbeit zu verschaffen. Er hatte selbst in einem Vorort Arbeit gehabt, sie aber niedergelegt, weil ihm der Lohn für eine Woche einbehalten wurde, aus weiter keinem andern Grunde, als weil er nicht den ordentlichen Weg der Kündigung zum Wochenschluß gegangen sei. Die Sache war etwas unklar, insbesondere fühlte Hasselbach, daß er nicht aufklärte, warum die Kündigung ausgesprochen und sogar verfrüht ausgesprochen worden, wenn die Stelle so gut war, daß sie von Nadolny einem Nachfolger empfohlen wurde. Hasselbach kam jedenfalls zurecht, um den hineingewürgten Gewinn dem Bäckermeister aus dem Hals zu ziehen, denn nach der Versicherung von Nadolny sollte die Bestellung eines Vertreters seinen Abgang rechtfertigen und der Abzug des Geldes dann unzulässig sein. In der Gewißheit seines neuen Einkommens holte Hasselbach, wozu ihn 233 die Beteiligten gehörig anregten, seine Freigebigkeit hervor, schnitt jedem ein Stückchen davon auf, und da Charisius ein Mädchen hatte, welches die Tochter eines Steinsetzers war, aus der nicht entfernten Christburgerstraße, so wurde dieses abgeholt und in den Freudenabend eingeschlossen. Einige benachbarte Lokale hatten den Gewinn, Hasselbach selbst entlohnten Umarmungen seiner Freunde, und wenn ihn auch auf den Wunsch ihres Verlobten die Braut zum Zeichen der Anerkennung nicht umarmte, so verhinderten doch ihre Worte, daß er in der Anerkennung sich von ihrer Seite benachteiligt fühlte.

Hasselbach fuhr in der Frühe des nächsten Tages mit Nadolny nach dem Vorort. Seine Flaumbärtigkeit sagte dem Meister zu, ihm selbst gefiel des Meisters Schnauzbart, so wurde Kontrakt gemacht, und Nadolny kam zu seinem Guthaben. Den zweiten Tag ging das Einvernehmen in die Brüche, der Lohn stellte sich als niedriger heraus, als ihn Hasselbach nach den Reden von Nadolny für vereinbart hielt, und da er kein Unrecht litt, so nahm er den Lohn für den einen Tag und zog mit seinem abgebrochenen Reichtum zur Herberge zurück.

Dort fehlte, als er eintraf, Nadolny nicht weniger als Charisius. Nach einigen Stunden, in denen er an seiner Geschichte würgte, trat der letztere ein und setzte sich auch bereitwillig an den Tisch. Da aber eben erst die Mittagszeit vorüber war, so schlug er schon nach einer oberflächlichen Tröstung vor, den Nachmittag zusammen zu verleben und die Steinsetzertochter einzuladen, welche ihn als einen umgänglichen Menschen kannte; es träfe 234 sich gut, daß sie wie er selber den Nachmittag frei habe, da sie in einer Fabrik auf Nachtschicht arbeite. In der Erkenntnis, daß der Ausgang auf seine Rechnung ging, gefiel sich Hasselbach in einem Schweigen der Ablehnung, verschmähte das Glück des Verschwenders und blieb, ein sanfter Hänfling, in der Gaststube.

In dieser wurde es gegen den Abend voll, und bald war zwischen ihren engen Wänden und unter ihren Gästen eine Unterhaltung im Gange, wie immer in dieser Zeit, über den Krieg. Die Russen waren zum zweiten Mal aus dem östlichen Preußen zurückgeworfen durch Siege unter einem winterlichen polnischen Himmel, von denen die Orte sogar fremd und die Namen ohne Sinn waren. Mit allem Nachdruck hatten in jedem Fall die Truppen ihren Stoß in die feindlichen Heere geführt und den Feind in Schwärmen auseinandergetrieben, so daß er sicherlich nicht wiederkehrte. So erschien die Lage wenigstens den Männern in der Stube, indem rascher als die Truppenführer die zehn stellungslosen Herbergsgesellen mit dem Gelichter fertig wurden. Hasselbach blieb bei diesen Feststellungen in seiner Ecke und blies ohne Ablaß aus seiner Pfeife Wolken, als wenn schließlich ein Schnauzbart daraus werden müßte, vergrübelt, ohne daß das Denken zu Gedanken führte, und mit der Folge, daß er andauernd zu einer Stelle kam, wo er nicht weiter fand, meist im Zusammenhang mit der Freundin von Charisius, um die es sich nicht gehandelt hatte.

Nachdem das kriegerische Gespräch eben noch tapfer und mit Leidenschaft geführt war, hörte er eine Neuigkeit erzählen, die ein Geselle von der Straße brachte und 235 auf welche er sich vorsichtig aus seinem Rauch herausdrehte. Zum Schutz vor einem neuen Einfall der Russen sollten Erdschanzen vor Insterburg aufgeworfen werden, von dem Kommando wurden zehntausend Mann dafür gefordert, ein roter Anschlag an den Säulen rief morgen das Heer der Arbeitslosen dazu auf. Hasselbach sprangen die Verschlüsse von den Ohren, vorsichtig wie ein Kaufmann, der von einem Geschäft erfährt, zog er sich aus dem Kreis zurück, und ohne etwas zu sagen, begab er sich als erster auf seine Kammer und in dieser geradewegs dorthin, wohin die Vorbereitung für den nächsten Tag gebot, sich zu verfügen, nämlich in sein treffliches Bett, das bisher von allen Lebensangelegenheiten in seiner Leistung als einzige nicht versagt hatte. Als die anderen nachkamen, war er zwar noch nicht eingeschlafen, in seinen Entschlüssen aber fortgeschritten, und als der Schlaf ihn faßte, schon so weit, daß er sich nur ungeduldig von seiner Klammer halten ließ. Schon vor grauendem Morgen war er wach und vor der vollen sechsten Stunde auf dem Schulhof. Bei diesem Vorsprung von fünf Stunden, hatte er gehofft, das Gitter noch vorgeschoben zu finden. Er behielt zwar damit recht, aber es hatte Entschlossenere gegeben, denn zweitausend Arbeitslose waren schon versammelt.

Nach siebenstündigem Warten klaffte das Tor, und nach zwei weiteren war er angenommen, ohne daß viel Aufhebens gemacht wurde. Jeder schien recht, der halbwegs kräftige Arme und Beine hatte. Als Sicherheit für die Ernstlichkeit der Absicht mußte er seine Invalidenkarte hinterlegen, und durch ihre Abgabe beruhigt, 236 zweifelte er nicht länger, daß es an dem nächsten Mittag zum Bahnhof ging und einige Stunden später in einem Wagen nach Insterburg. Drei Tage und Nächte sollte die Reise gehen, aber er hatte keine Zeit zu versäumen. Der Dienst war nicht umsonst. Jeder Arbeitstag brachte dem Mann drei Mark, unberechnet wurde ein großes Roggenbrot auf den Weg gegeben. Der Fürsorgeplan war damit nicht erschöpft, den nächsten Morgen um die achte Stunde hatte ein jeder sich in dem Asyl für Obdachlose einzufinden, um eine geeignete Hose und wollenes Unterzeug zu empfangen, welche von der Stadt ihren Mitbürgern zum Geschenk gemacht wurden, gleichsam zur Begrüßung bei der Rückkehr in die Welt der Arbeitsscharen, eine Aufmerksamkeit, welche Hasselbach erheblich rührte. Als er am Schluß die Nummer, unter der er angeworben war, erhielt, brach seine oft erprobte Frömmigkeit hervor, und er glaubte, unter einem besonderen Schutz zu stehen. Mit dem Gefühl eines neuen Anschlusses an das Leben verließ er das Gebäude und ging, nichts zu schaffen, nichts zu sorgen, die Straßen und die Plätze hinab spazieren. Sein Anblick auf die Häuser war überheblich, er hatte einen Verdienst und war Soldat dazu, einmal draußen, konnte aus dem Halben etwas Ganzes werden, und so sah er den Leuten dreist ins Gesicht. Mit fünfzehn Mark in der Tasche, der restlichen Entschädigung seiner Arbeit im Gefängnis, und der Aussicht auf den Erwerb von einem Taler an jedem Tag, den Gott noch fürderhin erschaffen wollte, war er über das Heer der Elenden erhoben, und er kam sich wie im Lote befestigt vor und wie am Kreuz erhöht. 237

Auf den Straßen herrschte eine planmäßige Geschäftigkeit, die ihn lange umtrieb. Dazwischen fiel ihm ein, sein guter Anzug müsse bei dem Aufwerfen der Schanzen bankerott gehen, und dank der Zusage einer Hose durch die Stadt, käme er auch mit einem älteren Anzug aus, den er von dem Pförtner des Gefängnisses erhalten hatte. Denn wie die Gefangenen allgemein, hatte er nicht mit einem Packen aus dem Hause gehen mögen, so daß der Pförtner nicht um die kleine Einnahme gekommen war, die er sich üblicherweise durch das Nachschicken des Gepäcks verschaffte. Hasselbach ging in die Herberge zurück und kleidete sich um, sich aus einem gut ausgestatteten Menschen zu einem Gelegenheitsarbeiter herabsetzend und seinen bürgerlichen Ehrgeiz auf den nächsten Tag verschiebend, wo ihm die städtische Hose zu einem erheblicheren Ansehen verhelfen sollte. Den neuen Anzug bekam die Pfandleihe, in welcher ein Kleidungsstück besser behütet war als bei dem besten Freund und wo ihm außerdem zwei Taler auf das Pfand geliehen wurden. So hatte er sieben Taler, die zwar nicht zur Proviantierung ausreichten, denn man sollte, hieß es, sich stark mit Mitteln zum Leben für die ausgesogene Gegend versorgen müssen, immerhin waren sie ein Versprechen und vor der Hand eine Unterstützung.

Um die dritte Stunde nahm er für einige Pfennige in einer Wirtschaft ein bescheidenes Essen zu sich. Das Blut flatterte ihm dabei und ließ den hervorgezogenen Beutel nicht mehr in die Tasche. Ein Fleischerladen mußte Würste hergeben, ein anderer Zigaretten, eine Handlung wollener Waren einen Schal und gegen teueres 238 Geld zwei Paar aus reiner Wolle gewebter Handschuhe, davon eines für einen armseligen Gesellen, der ebenfalls angeworben worden und dem es nach seiner Erzählung noch kläglicher ging als ihm; eine Leinenhandlung beteiligte sich mit zwei Hemden, die für Leinen ausgegeben, aber damit nur durchschossen waren, mit denen er also nicht nur überteuert, sondern sogar betrogen wurde, ein Verfahren, das dem Inhaber indessen keinen Nachteil brachte, da ein Betrug nicht mit der gleichen Schärfe verfolgt wird wie ein Diebstahl, aus durchsichtigen und die Reichen vor den Armen bloßstellenden Gründen, denn ein Reicher, und die Reichen gaben die Gesetze, betrügt wohl, aber stiehlt nicht.

Zum Schluß hatte er vergessen, sich eine Tabakpfeife auszusuchen, den wichtigsten Gegenstand in der Ausrüstung, so daß er sich nachher aus Vorsicht doppelt damit versah, mit einer aus Porzellan und der zweiten aus Buchsbaum, und, den nötigen Tabak dazu einhandelnd, auch mit einem Beutel, um ihn aufzubewahren. Mit Packen beladen wie ein Trödler, begab er sich in die Herberge, und unter der Beladenheit kam er sich vor wie ein Bräutigam und wie eine Braut zugleich.

Fast unfähig, den Vorrat länger auf den Armen zu halten, trat er in die Gaststube und verlangte, um nicht Schulden zu haben, sogleich die Ausarbeitung seiner Rechnung. Nach ihrer Feststellung ergab sich ein Überschuß von nur einigen Mark, so daß das eben begonnene Verschwenderleben aufzuhören und zu verschwinden hatte.

Auf Hungerkost gesetzt, wärmte er den Rücken an dem Ofen und lernte wieder die kostenlosen Genüsse 239 schätzen. Er dämmerte noch vor sich hin, Bilder der Reise vor den Augen, als er durch Charisius gestört wurde, der hereintrat. Charisius bestellte sich ein Gläschen Bier, erwartete aber wohl, es nicht bezahlen zu brauchen. Er teilte Hasselbach mit, daß auch der Vater des Mädchens an den Schanzen arbeiten wollte, und aus Freude über die Eröffnung übernahm Hasselbach die Ausgabe auf seine Rechnung. Charisius hielt sich nun nicht mehr lange auf und erteilte Hasselbach die Erlaubnis, den Steinsetzer zu besuchen, damit er mit einem Kameraden sich bekannt machte. Als nach einer Weile eine größere Gesellschaft eintrat und sich zu ihm zog, wurde Hasselbach dessen leid, der Umgang verteuerte das Dasein, die Hälfte der Würste ging verloren, Nadolny wollte besonders abgefunden werden, weil er am wenigsten zu fordern hatte, so daß er um die siebente Stunde, aus Furcht vor weiterer Verkürzung, seine Habe zusammenpackte und sich zur Herberge hinaus begab, zunächst in eine Bäckerei, wo er eine halbe Mark in Kuchen umsetzte, und dann, um den Erwerb bereichert, in die Christburgerstraße, wo er dem älteren Arbeitsbruder einen Abendbesuch erweisen wollte. Es war ihm feierlich im Sinn, als ginge es in eine Abendandacht, und die Verfassung des Gemütes kam ihm auch nicht abhanden, als sich herausstellte, daß der Mann sich keineswegs allein befand, sondern eine ganze Gesellschaft um ihn herumsaß. Außer der bekannten Tochter waren noch zwei weitere da, zum Überfluß auch die Mutter, es gab, kurz, so viel Frauenzimmer, daß er beklommen wurde. Verschlimmert wurde der bedrückte Zustand des Gemütes noch durch einen 240 heftigen Glanz, der von den Augen der Töchter auf ihn zuschwamm und vollends ins Triefen überging, als er voll Zurückhaltung die Backware als Geschenk anbot. Nachdem die Aufmerksamkeit angenommen und von der Mutter so hoch gewertet worden war, daß sie die Habe in den Schrank stellte und den Schrank verschloß, erhielt er als Gegengabe die Erlaubnis, seine Habe bis zum Morgen in der Wohnung einzustellen, und während die Mutter nun zu einer landläufigen Unterhaltung überging, leckten die Mädchen sich die Lippen feucht nach dem fortgeschlossenen Kuchen, mit den Augen zugleich nach den Paketen schielend, welche der Vater als ihr kommender Partner auf der Reise bereits offen in das Auge faßte.

Die Unterhaltung, die von der Mutter bestritten wurde, stockte, als die Vergangenheit berührt wurde und Hasselbach wegen eines zu überschlagenden Kapitels in Verlegenheiten kam. Dann zog der Text wieder harmloseren, geläufigeren Bahnen zu, so daß von den Töchtern sich eine nach der anderen aus dem Zimmer stahl, was Hasselbach als eine Mißbilligung seines Auftretens auslegte und ihn glauben ließ, etwas schlecht gemacht zu haben. Er brachte also nach einigem Aufenthalt eine Empfehlung an und rüstete zum Aufbruch Die Männer schüttelten sich die Hände, nachdrücklich, als hätten sie die Spaten bereits gefaßt, und die Mutter gedachte, dem jungen Mann die Lippen auf die Stirn zu drücken, aber ein Wink ihres Mannes, der das leichte Verziehen ihres hinreichend großen Mundes wahrnahm, verbot ihr diesen Beweis von Güte, so daß sie die Ausführung auf den nächsten Morgen verschob, für den 241 die Abrede auf sieben Uhr ging; um diese Stunde sollte Hasselbach den älteren Kameraden abholen, und es war ohne Worte abgemacht, daß er das Reisegepäck auch für den anderen auf den Rücken lud.

Auf der Straße wurde er von den drei Jungfrauen überfallen, die ihm aufgelauert hatten; er mochte sehen, wie er mit ihnen fertig wurde. Von so viel Wohlhabenheit sollte wenigstens ein Stückchen für sie abfallen, denn was seinen Überfluß betraf, so nahmen sie den nach den Mitteilungen des Bräutigams der Schwester für gewiß; übrigens hatte diese selbst seine Wohlhabenheit an einem Abend bereits erfahren. Hasselbach gab mit einem zagen Blick auf die Braut den Wünschen nach und lud alle drei an einen freien Tisch in einen Schankraum, wo er den Freigebigen wider Willen machte. Die Mädchen waren samt und sonders schwarz, und da er auf eine andere Farbe eingeschworen, so zürnte er wegen ihrer gar nicht blonden Schöpfe. Dennoch juckte es ihm im Finger, aus dem Schopf der einen Jungfrau ein Haar sich um den geborstenen Hornknopf seines Flauschs zu wickeln. Wahrscheinlich, dachte ihre Tugend, sollte das ein Vorspiel eines ernsteren Anspruchs sein und wollte er in Wirklichkeit erproben, mit welchem Grad von Zudringlichkeit man hier Erfolg hatte. Also fand er Anlaß, sich schon vor dem Anfang seines Unternehmens von der Ausführung zurückzuziehen, denn der schüchtern vorgebrachte Wunsch trug ihm von sämtlichen Beteiligten eine Abweisung in so starken Worten ein, daß auch ein weniger Schüchterner als er an seinem Vorsatz irre geworden wäre. Ohne 242 Schamhaftigkeit sagte die älteste und sah ihm versucherisch in die Augen, er sei ein verrückter dummer Mensch, dem sie solche Gedanken unter seiner blassen Stirn nicht zugetraut habe; die jüngste erinnerte die Schwestern an gewisse Wasser, mit deren Tiefe für ihre Bescheidenheit alles in einem stillen Gleichnis angedeutet war, und nur die Braut, gewohnt, der Angreifer zu sein, schlug vor, umgekehrt zu verfahren und statt aus ihrem Kranz ein schwarzes, ein braunes Haar aus seinem Schopf zu ziehen, ein Vorschlag, zu dessen Güte die drei Fräulein sich sogleich bekannten und in dessen Ausführung sie, auf ihn zuhaltend, seinen Kopf mit spitzen Nägeln zwickten. Wohin er immer seinen Hals bog, immer stürmten ihre Arme nach, und schließlich bekam er Wallungen von der Jagd, daß sein Gesicht von einer dunkelroten Farbe überzogen wurde, sein Arm aber vor lauter Blindheit ein Seidel Bier anstieß und umwarf, so daß der Holztisch überschwemmt wurde. Mehrstimmig schrieen die Mädchen auf, aber seine Ungeschicklichkeit verschaffte ihm nur flüchtig Ruhe, die Braut fing die Flüssigkeit in einen Untersatz und schnitzelte mit böser Absicht kleine Kugeln aus der weichen Pappe, und bald kanonierten alle drei als Artilleristinnen nach seinem Kopf, dessen gar nicht runde Scheibe nach allen Seiten ausschlug. Zum Ende kamen sie, weil sich sein gutes Wesen ihnen dartat, zu einer sanfteren Behandlung, alle drei strichen über seinen Anzug, um wenigstens dem Anzug gut zu tun, und sein guter Kammgarnstoff wurde in drei Bezirke eingeteilt, von denen die beiden Ärmel den beiden unverlobten Schwestern, weil 243 sie sich nur mit den letzten Ausläufern der männlichen Kleidung befassen durften, das heiklere Rückenteil aber der Braut zugewiesen wurde. Bald begann der Anzug sich seiner Verwahrlosung zu schämen, er wurde weniger verblichen und blühte mit einer äußersten Anstrengung aller Teile blank heraus. Nebenher wurde es Hasselbach unter dieser Bearbeitung warm; er blickte einer jeden Jungfrau in die Augen, mit einer Verschämtheit, als ob ein Blick eine unerlaubte Handlung sei. Die Lider, stellte sich heraus, waren bei allen dreien fett, wie er annahm, durch einen Familienzug von der Mutter Seite, aber wichtiger war, daß ihm erlaubt wurde, durch die Regenbogenhaut in die Augen hineinzustarren, und so hätten sie von ihm aus auch mager sein, und, wiederum was ihn betraf, auch von der Vaterseite ihre wesentlichen Ahnen haben dürfen.

Auf diese Weise ging eine Stunde hin, und darüber fielen ihm Ordnung und Wirtschaftführung ein. Von hier aus bedurfte es weiter keiner Anstrengung, daß sich die Zeche in Erinnerung brachte, so daß sein Gewissen die Mädchen von den Bänken trieb. Er bekam von den widerwillig in Bewegung gekommenen gute Wünsche eingepackt, und besonders die Vorsicht wurde ihm in die Tasche getan, merkwürdigerweise aber ohne eine Zugabe für den Vater, so daß Hasselbach bereits dachte, ob vielleicht sein Abgang sehr willkommen war. Auf der Straße drehten sich alle drei nach dem Abschied zu ihm um, und Hasselbach rechnete noch in der nächsten Straße, daß es eigentlich neun Wendungen gewesen seien, die sie für ihn aufgewendet hatten, da sie 244 sich jedesmal zu dritt mit ihrer schönen Vorderseite nach ihm gedreht hatten.

Wieder allein, machte er sich auf die Mitte der abendlichen Stadt zu. Das Mädchenvergnügen hatte ihn des Besitzes von zwei Mark beraubt, mit anderen Worten ihn sein halbes Vermögen gekostet, so daß er nicht mehr den Betrag für ein Bett in einem Gasthof hatte. Aber ein Unterschlupf war auch ohne Sinn, denn ein Jahr lang hatte er geschlafen, und in den nächsten Tagen konnte er in der Eisenbahn bei den Schaffnern mehr von diesem bekömmlichen Stoffe kaufen, als ihm lieb war. Er sperrte also, um der Ermüdung zuvorzukommen, die Augen doppelt auf und erkannte mit einem Male die Verführung, allein und in der Erwartung wunderbare Dinge durch die Stadt zu ziehen. Zu früh hereingebrochen, betrog ihn zwar der Abend um die besten Schaustücke, aber ein kleiner Kreis von Läden hielt seine Schaufenster und Prächte auch für die Nacht offen. In ihren Zauberhafen schiffte er sich aus, und seine Seele fand ganze Ladungen bunter Stoffe und Geschmeide. Unter den Lidern rollten die Augen, als wollte sie sich zwischen die Schätze kugeln, vor Staunen wurden die Lippen trocken, und schließlich überfiel und betäubte ihn die Erregung ganz und gar. Das Pferd eines Kosaken trabte unversehens aus der Scheibe, er wurde dem Tier auf den Rücken geworfen, die Füße flogen in die Steigbügel, plötzlich spaltete er sich oben wie vom Säbel geteilt, fiel einem Mehlsack gleich zur Linken halb und halb zur Rechten und schleifte so die ganze Nacht durch die Steppe, eine 245 unermeßlich weite Strecke, neunzig Tagereisen weit. Der Ritt verschleuderte das Mehl, zum Schluß war der Sack ganz dünn, und so zögerte der Wind nicht, ihn an einer zugigen Stelle abzudecken und über einen kahlen Busch zum Ausstauben zu hängen. Mit einem Gefühl von scharfem Gestochensein sprang er ab, bedrückt von den nahen Abenteuern auf den Schanzen, und erst vorüberkommende Soldaten mit ihrer Heiterkeit und Klarheit gaben ihm die alte Ruhe und Gefaßtheit wieder.

Es war auf den Straßen bis dahin ein angenehmes warmes Wetter, mehr von den Ansehen einer August- als einer Oktobernacht, gewesen, nun verriet sich die vorgerückte Jahreszeit in gefährlichen und hinterlistigen Sprüngen. Die ungewöhnliche Wärme hatte sich verzogen, langsam wich sie einem Regen, einem zuerst spritzigen, dann aber dickeren, der rieselte und niedertroff und es bald ohne Ablaß tat. Nicht, daß er dem Anzug schadete, war bedrohlich, ließ sich doch wünschen, daß er den ganzen Schmutz erweichte, aber das Regenwasser brachte den Leib in Aufruhr, zu wiederholten Malen schauderte die Haut und die rasch verlassenen Straßen waren bald seelenlos und öde. Um nicht zu einer Regenablaufrinne zu werden, trottete Hasselbach den ihm geläufigeren Straßenzügen zu, in der Hoffnung auf einen Unterstand in einem offenen Hause. Aber war es Irrtum oder anderes, nach mehreren Stunden, als es tief schon in der Nacht war, hatte er noch keine Unterkunft gefunden und marschierte noch immer auf der Straße. Der Regen war nicht länger dicht, aber auf seinem Körper begann sich das Wasser zu verteilen. 246 Er war schon lange in den geläufigen Straßenzügen zusammengeschobener Häuserblöcke, die oben mit schmalen Lippen auseinanderklafften, und, unersättlich, immer mehr zu trinken, begierig waren, während die Kiefer von Dunkel und Regen überschwemmt waren und erstarrten. Ab und zu auf weite Zwischenräume badete ein Licht, jüngferlich versteckt, auf einem Stein, manchmal ließ ein Schuh, hineinplatschend, eine Pfütze überlaufen. Ein Quartier aber hatte er nicht gefunden, und als es immer feuchter und immer finsterer wurde, trat er in den ersten besten Hausflur und zog dort auf einen selbstgewählten Posten wie in ein Schilderhaus. Die Auswahl schien nicht schlecht, eine alte Frau kam von der Straße, wackelte mit dem Kopf und stocherte den Schlüssel der Haustür in das Herz, unter solchem Fuchteln, daß ihr die Hand davon oder vor Alter schwankte. Hasselbach schien es, als wollten die Finger abfallen, ohne zu berücksichtigen, was aus dem übrigen Körper würde, nur darauf bedacht, den Schlüssel nicht zu verlieren. Aber die Dreifaltigkeit blieb schließlich beieinander, nach gelungenem Werk lachte sogar der Greisenmund den Posten an und fragte zutraulich, ob das Tor offen bleiben dürfe, sie sehe doch, daß es sich um den Bäckergesellen handle. Hasselbach stimmte der Frage zu, aber mit einem schreckhaften Gefühl, und blickte betroffen an sich nieder, ob er Mehl am Zeug hätte, das ihn verriet. Schnuppernd erkannte er den bisher verflogenen leisen, nur von dem Regen herüberwehenden Duft von frischem Brot. Die ihm zugeworfene Befugnis, einzutreten, nahm er auf, tappte der Alten nach 247 in das brüderliche Haus und begab sich im Dunkel auf die Vordertreppe, wo er an der ersten Drehung unter dem Fenster niederhockte, weil ein schicklicher Platz sich dort ergab. Den Kopf gegen das Fensterbrett gestützt, breitete er den Körper auf den Boden; war dieser auch eisig kalt, so brauchte er doch nur eine kleine Weile in der Nässe zu liegen, damit sein Körper triumphierte und seine Wärme die Kälte der Umgebung vertrieb und abdrängte.

Er hatte die tröstliche Aussicht kaum ans Herz genommen, als er auch bereits eingeschlafen war und sein Dasein Ruhe hatte. Während die rechte Körperhälfte sich über die linke stülpte und zusammengefaltet lag, setzten bedenklich ihm Träume zu. Durch die große Glasscheibe eines Ladens, in welchem es auf das prächtigste zuging, setzte er mit einem großen Sprunge, hielt den Kopf vornweg und hatte die Arme auf so enge Art an den Leib gezogen, daß von dem Druck der Scheiben das Wasser aus den Kleidern ablief. Das Glück begünstigte ihn, die Glassplitter hagelten von ihm, die in das Fleisch gespritzten sprangen unblutig heraus, und unversehrt ging er wieder in den Laden, diesmal aber vorsichtig durch die Tür. Bald war er an einem Zuge aufgestapelter Waren, wo er von drei lebensfrohen Personen begrüßt und angeredet wurde. Sie empfahlen die Ware, schmeichelten sie an den Mann und waren dabei keine anderen Personen, als die Töchter des Steinsetzergesellen, seines zukünftigen Arbeitsgenossen, vor denen er sich keineswegs durfte geizig darstellen. Eine jede setzte bald, wie seiner Eitelkeit, seinem Vermögen 248 zu, so daß er, um ihren Vorwitz von seiner Kahlheit abzubringen, einfach seine Kleider auszog und ihnen die leeren Stücke zuwarf, worauf sie sich um den Geldbeutel balgten und die Unterlegenen sogar noch die Hose aufrissen und sich eine jede mit einem Bein versorgte.

Darüber wurde es Morgen und die sechste Stunde. In dieser wurde sein Körper, der im Laufe der Nacht steif wie ein Ölmantel geworden war, gewaltig angestoßen und von einem Zwischenfall aus dem Schlaf gescheucht. Es war ein Bein, das ihn so unsanft ermunterte, er hörte beim Erwachen den Niederschall des Schritts, erhob sich schwerfällig und wankte mit zusammengenommenen Gliedern in die Tiefe, dem vorangegangenen Schritte nach. Auf dem Hofe dämmerte es, der Regen schwieg, durch eine bei jedem Stoß auseinanderschwingende Tür sah er in das welke Zwielicht, und der Öffnung nach fuhr er über den Hof. Im Rückhaus stieg er die Treppe zu den Stockwerken empor, die Hand an dem Geländer, bis mit einem Male die Stütze abbrach und die Treppe sich mit einer angelehnten Tür gegen einen gespenstischen Bodenstockbau öffnete, der durch zahllose Balken hundert Abschrägungen hatte und wie ein unfertiger Körper durchwachsen war von Bändern und von Sehnen. Trotz der Beklemmung durch die Finsternis drang er bis zur letzten Bodenkammer vor und stieß hier gegen einige an die Holzwand gelehnte Latten, die in Wellen von der Mitte schauerten. Obwohl erschlagen zu werden in Gefahr, legte er sich zu ihren Füßen auf den Boden; der war so weich, als 249 ob Späne oder Säcke ausgebreitet lagen, und gab ein Bett, das die Herbergsgüte ausglich. Schließlich klapperten die Zähne jedoch vor Kälte, der Schlaf stellte sich nicht ein, die Höhle zeigte ihre unbeaufsichtigte Selbstüberlassenheit, in jeder Minute knackte ein anderer dem Ort und der Bedeutung nach unbestimmbar schwarzer Punkt, und als ihn ein neuer Laut, ein Riß oder Bruch, erschreckte, sammelte er seine auseinandergesprengten Knochen und machte sich wie ein in Gang gesetzter Toter die Treppen hinunter auf den Weg, unentschlossen und zögernd, aber doch in einer Stimmung, auf Teufel komm heraus. Er klapperte lauter als sein Schritt, kam aber unzerbrochen in die Tiefe, wo er von dem Treppenausgang aus unter den klebrigen Lidern wieder in das Zwielicht blinzelte und durch den grauen Schatten über den Hof zurückschwamm, wie ein Pferd durch einen Fluß. Im Vorüberschwimmen fand er linker Hand im Seitenflügel eine kleine Tür halb offen mit einem kleinen Risse auf ihn zudämmern, nicht sichtbar machend, wohin sie führte. Eine um diese Stunde offene Tür verhieß einen geschützten Raum, er wollte vor Müdigkeit schon hineinsteuern, eine Stunde wenigstens den übermüdeten Körper zu versorgen, als sein Wille ihm den Vorsatz abtrotzte, bis zum Vomhimmelwehen des Morgens als ein Wanderer der Straße treu zu bleiben. Sein Vorsatz lobte sich sehr bald, noch aus dem Zwielicht des Hofes wurde er angerufen und von einem »Guten Morgen« überfallen. Er gab die Begrüßung sorgfältig zurück, aber wie ertappt, und als er sich nach dem Spender des Grußes umdrehte, roch er mehr, als er sie sah, die 250 Vorüberkunft des Bäckergesellen. Da sein wach gewordener Verstand ins Spiel kam, nahm er die Erscheinung für keine andere als die, unter deren Figur er selbst als Schläfer in das Haus gekommen war, und das war immerhin eine Erscheinung Mensch, der er besser nicht in einem Schuppen oder einer Stube begegnet war, so daß sein Vorsatz sich verstärkte.

Hinauszugehen auf die Straße, fiel nicht schwer, die Haustür stand schon offen. Behutsam trat er auf die Straße und machte sich, um über den Bäcker klug zu werden, mit dem schwarzen Blech am Eingange vertraut. Mit goldenen Buchstaben war der Name aufgeschrieben, und recht verschlungen pries er seine Ware. Die Inschrift schmeckte ihm wie ein erster Bissen, von dem man auf den zweiten Hunger bekam. Er trat in den Laden, und die von ihm rasch geschlossene Tür ließ die Glocke noch im Anlauf schweigen. Der Raum war leer. Er machte sich mit der Hand über die knisternden Körbe und streichelte betulich das geröstete Brot. Dann erbat er von dem inzwischen hereingelatschten Meister eine Schnitte Brot und ließ den üblichen Preis auf die Steinplatte klirren, wozu der Meister mürrisch sagte: »Nanu, so großes Geld« und ihm auf die hingeworfenen zehn fünf Pfennige herausgab. Das Brot erwies sich angenehm, schon fest und nicht zu sehr, so verließ er den Laden und stellte sich in das Haustor, wo er langsam zubiß und den Imbiß hinunterschlang. Bei so vortrefflich beschäftigtem Munde fanden seine Augen, daß Tag und Nacht, das Wetter betreffend, die gleiche üble Beschaffenheit besaßen, der Regen schlug in der alten Weise auf die Straße, und der 251 ewigen Gießkannen überdrüssig, ging er, vor Kälte klappernd, auf den Hof zurück, nunmehr mit einem klaren Entschluß. Er blickte sich, von den Wassern umspült, vorsichtig um, trat durch die zuvor entdeckte Tür, die Uhr von der Zionskirche schlug gerade die sechste Stunde, und da die Christburgerstraße nicht sehr weit war, so ging es noch einmal eine Stunde für ihn an, in halber Geduld sich auszuruhen.

Es handelte sich deutlich bei dem Raum, dessen Bestimmung sich in der Finsternis nicht erkennen ließ, um ein annehmbares Versteck. Vom Regen umrauscht, horchte er hinein, und als er keinen Laut vernahm, verließ er sich auf sein Glück. Sofort hinter der Tür stolperte er über ein dunkles Ding und stieß mit vorgestrecktem Daumen auf den Boden. Schließlich ließ sich ein Stuhl aus der Finsternis heraus ahnen, und diesen Stuhl richtete er zum Lager ein, obwohl das aufgeflochtene Stroh durch die Hosen bohrte und gegen seinen Schenkel stach. Um gegen das bald aufgehende Licht geschützt zu sein, drückte er leise die Türe in das Schloß und schob den Riegel vor, und bald war er zusammengesunken und eingeschlafen. Ab und zu schoben die Füße im Schlaf ein leichtes Gewicht beiseite, er nahm an, daß es eine Buchecker sei, eine Eichel oder eine Roßkastanie. Es war aber weder das erste, noch das letzte, noch überhaupt dergleichen.

Eine halbe Stunde war vergangen, als der Bäckergeselle durch das Fenster blickte und nach wenigen Minuten sein Meister der Bestrebung beitrat. Beide stemmten die Schultern gegen die Tür und unternahmen 252 nicht weniger, als sie zu sprengen. Obgleich ihre Kraft an dem Schlosse abprallte, so erwachte doch Hasselbach davon, zunächst betäubt und voller Vorwürfe, daß er nicht weiter gegen die hölzernen Früchte stieß, bis er zur Erkenntnis seiner Lage kam, das vergitterte Fenster aufriß und den schlafheißen Kopf hinaussteckte. Aber war die Kraft der beiden an der Tür zuschanden geworden, so prallten jetzt seine Worte an den Drohungen zurück, mit denen er von den Belagerern überschüttet wurde. Als der Meister seinen Käufer von vorhin erkannte, stach er mit seiner Eisenstange durch das Gitter, in der offen ausgesprochenen Absicht, bei der mindesten Aufsässigkeit dem Überraschten einen Schlag auf den Kopf zu geben und ihn wehrlos zu machen. Ein Mißverständnis verschärfte die Lage, eine bedeutungslose Bewegung, mit der er sich im Nacken zu kratzen vorhatte, wurde als Widerstand aufgefaßt, und so sauste die Stange herab und zerriß, vorbeigehend, wenigstens den Hut. Ihre offenbare Übermacht schien die Belagerer nicht zu beruhigen, sie verstellten nicht bloß die Tür mit Kisten, sondern forderten, ehe der eine sich entfernte, von Hasselbach die Zusage seines Wohlverhaltens, bis ein Schutzmann geholt sei und ihn festgenommen habe. Obwohl man einen Mann unter Einbruchsverdacht nicht für wahrhaftig halten sollte, wurde seinem Versprechen doch geglaubt, und während der Meister, die eiserne Stange vor sich aufgerichtet, die Wache übernahm, sprang der Geselle zu dem nächsten Polizeiamt.

Es gibt Lagen, in denen sich auch ein harmloser Mensch vor einem Verdacht nicht schützen kann, und 253 von beklommenen werden nicht selten solche Lagen erdichtet, in denen sie sich dann mit der Vorstellung ängstigen, ein Zufall könne sie täglich ihres bürgerlichen Ansehens berauben und zu den Geächteten verstoßen. Von Hasselbach wäre es jedenfalls klug gewesen, die Türe aufzustoßen, die Verhaue fortzuschleudern und an dem Meister vorbei auf die Straße zu stürzen. Für eine solche Entschlossenheit aber fehlte es ihm an allem und in jedem Fall an Mut. Sein von der ersten Bewegung in die Welt noch schwaches Herz war durchaus erschlagen, der Vorfall trat in einem Augenblicke ein, wo er sich zur Abreise hatte rüsten wollen, und er dachte zage, wie nicht mehr über sich bestimmend, vielmehr schon in Erwartung seines Schicksals, ob diese Abreise verhindert werden sollte.

Nach einiger Zeit traf der Beamte ein und zeigte sich im Besitz von Handschellen, was die Art der Schilderung des Vorfalls deutlich machte. Ihre Anwendung war aber überflüssig, Hasselbach, dem gar nichts anderes einfiel, fügte sich ohne weiteres, und sein Verbrechertum ließ sich fangen gleich einem Vogel, der sich von einem Kinde aus dem Bauer nehmen läßt.

Der Beamte besichtigte nun den Raum, und dieser stellte sich als die Stube vor, in welcher der Bäckergeselle wohnte. Der Geselle fuhr auf einen Anzug los und riß das inwendige Futter vor, in dem er wühlte und eine Brieftasche, vergeblich, suchte. Sie fand sich in einem anderen Anzug, wie sich klarstellte, an dem richtigen Platz. Der Verdacht gegen Hasselbach schien sich zu zerstreuen, Hasselbach zog bereits seine Uhr, um 254 festzustellen, ob er noch die vorgeschriebene Pünktlichkeit für den Abmarsch zum Bahnhof beobachten könne, als eine Minute später das Geschick in anderer Weise auf ihn einschlug. In der Nähe des Stuhls nämlich hob der Beamte ein Werkzeug auf, dessen Bestimmung nicht sofort verständlich war. Obwohl der Dietrich offenbar gebraucht war, da er sonst nicht frei herumgelegen hätte, und wahrscheinlich im ersten Schrecken fortgeschleudert worden, blieb seine Verwendung unklar, denn ein verschlossenes Stück, an dem er sich hätte versuchen lassen, fand sich nicht im Zimmer. In jedem Fall verriet die Entdeckung die Gesinnung, mit der die Unternehmung betrieben worden, und der Dietrich begleitete Hasselbach fortan. Er hatte plötzlich einen Feind, von dem er bisher nicht geahnt hatte, daß er sich nun mit ihm um seinen Kragen schlagen mußte. Um dieselbe Zeit, wo er sich von der Christburgerstraße aus in das Asyl begeben sollte, wurde er in einer Polizeistube verhört, und als er um Mittag statt nach Insterburg in einem Gefangenenwagen von dem Polizeiamt nach dem Hauptgebäude fuhr, in einem jener grüngestrichenen Wagen und mit einem viel langsameren Schritte, als er ihn für seine militärischen Unternehmungen für angebracht gehalten hätte, lag auch dort der Dietrich bereits in einer Briefhülle hinter einer wichtigen Aufzeichnung in den Akten, und auf der Hülle war vermerkt, daß das Werkzeug bei ihm gefunden und ihm abgenommen worden sei.

Was die Gerichte betraf, die sich mit dem Vorfall zu beschäftigen hatten, so waren ihre Pflichten um diese Zeit beschränkt, so daß Hasselbachs Sache ohne 255 viel Aufschub zur Verhandlung kam. Seiner eigenen Meinung nach war seit seiner Festnahme nur ein Tag oder nicht viel mehr vergangen, und dazwischen hatte sich alles ineinander verkettet und verquirlt. Dazu beigetragen hatte, daß er nach seiner Einlieferung sofort um Arbeit eingekommen war und unter dem Drange dieser Anforderungen es vorsichtig vermieden hatte, über den Ausgang seines Prozesses nachzudenken.

Die von den Gefangenen ihm vorgestellten Aussichten waren alles andere als günstig, und in den Urteilen einiger erfahrener Verbrecher waren sie hoffnungslos. Der Strafkammer ging ein unerfreulicher Ruf voraus, und die Richtigkeit dieses Leumundes sollte schon der Anfang der Verhandlung offenbaren. Gegen die Form ließ sich zunächst nichts einwenden, der Vorsitzende behandelte Hasselbach mit Ruhe, wenn er ihn auch ein wenig wie in die Falle gegangen nahm, packte auch den Stoff nicht, wie ein Richter ohne Einbildung es getan hätte, immer von derselben Seite, sondern verstand ihn verschieden und immer neu zu wenden, wenn es auch bedenklich war, daß, nach welcher Seite er ihn wandte, es nie die richtige, sondern immer die falsche war, da eben die Einbildungskraft genau so zu einer Gefahr, wie zu einem Vorteil werden kann. Dennoch hätte Hasselbach noch nicht alle Hoffnung fahren lassen müssen und noch glauben dürfen, die Richter auf den richtigen Weg, des Wissens nämlich, hinzuführen, hätten diese Männer ihm die geringe Genugtuung widerfahren lassen, seinem Vortrag zuzuhören. Aber gerade um diese Gunst war es auf das traurigste bestellt, wobei sich 256 übrigens die Kammer nicht mehr als andere des mangelnden Aufmerkens schuldig machte, welches Laster vielmehr vielerorts verbreitet ist. Einzelne Richter blätterten unbeteiligt in den Akten, andere hatten Bogen vor sich liegen und setzten Verfügungen darauf, durch die vielleicht diesen Sachen geholfen wurde, obwohl wahrscheinlich durch eine Bearbeitung am häuslichen Tische auch sie mehr Licht oder Güte empfangen hätten, wodurch diese eine Sache aber in jedem Falle litt. Alles in allem, war die Teilnahme so unvollkommen, daß die Köpfe nur bei einem besonders auffälligen Punkt erwachten und das teilnahmlose Dämmern von sich schüttelten. Aber wie Hasselbach richtig spürte, lag sein Fall so, daß er wohl zu seinem Nachteil, aber kaum zu seinem Vorteil durch gelegentliches Zuhören begriffen werden konnte.

So schickte sich bereits der Stern über seinem Haupte an, mit einer stillen Entsagung abzuscheiden, und nur aus seinem guten Drange sandte er noch ein zweites Mißgeschick herab, damit sein Abgang auch der Güte begreiflich schiene. Wie viele Unzuträglichkeiten, rührte auch dieses Mißgeschick von der Unvollkommenheit einer über ihren Wuchs hinaus beteiligten Person her, von der Beschränktheit eines der fünf berufenen Richter, dem hinsichtlich seiner Aufmerksamkeit zwar nichts vorgehalten werden konnte, gegen den aber andere Vorbehalte um so mehr zu machen waren. Dem Vorsitzenden zur Rechten, auf seinem Stuhle hingestreckt, die Beine vornweggestoßen, daß sie an der Estrade fast unter dem grünen Tuch hervorkamen, obwohl von diesem weniger die Holzbeine des Tisches, als die menschliche Angelegenheit der Richterbeine verborgen 257 werden sollte, den fetten Nacken auf der Lehne, die Hände endlich vor dem Leib und mit dem üblichen Fingerspiel beschäftigt, so merkte er in vollem Maße auf, aber für Hasselbach war keine Aufmerksamkeit so schädlich, wie gerade diese. Aus innerer Armut, die der povere Verlauf seines Lebens verschuldet hatte, und die wieder diesen Verlauf verschuldete, hatte dieser Richter einen Haß auf alle Menschen mit Ausnahme derer, die ihm an Gesinnung glichen, und da er sich in seinem Menschenurteil oft vergriff, so kam es auf den Zufall an, ob man von ihm für armselig genommen wurde, oder nicht, um die Frage zu entscheiden, ob man weich in seine Gunst fiel oder hart. Fragwürdige Umstände verstand er nicht, Hingerissenheiten hielt er für unzulässig, für jeden Antrag eines Verteidigers bemühte er seinen Scharfsinn zu dem Nachweis aus den Akten, daß das Gegenteil einmal behauptet worden sei, was die Glaubwürdigkeit des Angeklagten so hart für ihn herabsetzte, daß er ihm überhaupt nicht glaubte und eine Flüchtigkeit oder besser Böswilligkeit des Anwalts annahm. In das Gespräch, das bisher der Vorsitzende allein mit Hasselbach geführt hatte, warf also dieser Richter den wohlgezielten Einwand, von Hasselbach sei die Tür zu der Stube doch geschlossen worden, obwohl die Stunde Schlaf dies nicht verlangt habe, nach dem trockenen Ausdruck seines gefälteten Gesichts reichte diese Tatsache allein zur Überführung aus. Hasselbach wollte sagen, er habe des Lichtes wegen die Türe zugemacht, als ihm beikam, daß er zur Abwehr des Einfalls allerdings nicht den Riegel hätte vorzuschieben brauchen; er schwieg also. 258 Im nächsten Augenblick spitzte der Richter die Dinge darauf zu, daß in Hasselbachs Besitz zwei Mark als einziges Vermögen betroffen worden seien; seine Armut machte also den Zweck des Einbruchs klar. Hasselbach hatte mit allen Einzelheiten die ganze Geschichte von seinem Abschied aus der Haft über die Anwerbung hinaus erzählt und dachte, wenn das zu schwer war, um begriffen zu werden, so würde die Wiederholung daran nichts bessern, so daß er bei seinem Verhalten blieb und ein ferneres Mal schwieg. Als nun der Vorsitzende, der die raschen Gewohnheiten der Richter großer Städte angenommen hatte, unschlüssig wurde, ob er nicht doch einem Beweisantrag Hasselbachs nachgeben sollte, lehnte sich der Richter zu ihm näher und blies ihm eine Entscheidung in das Ohr, worauf der Vorsitzende beruhigten Gewissens eine Bandzahl und eine Seite dem Verteidiger zurief und sich nicht weiter Sorgen um den Antrag machte.

Für Hasselbach war nämlich ein Verteidiger bestellt worden, und obgleich er nicht mehr an seinen Stern glaubte, hatte Hasselbachs Selbsterhaltungstrieb es nicht verschmäht, dem Mann bei einem Besuche im Gefängnis die Vorgänge mit gesammeltem Verstande darzustellen, wie er jetzt sehen sollte, allerdings vergeblich. Er wurde ohne sonderliche Vorsicht und als sei das ganz natürlich, in den glühenden Ofen hineingeschoben, und er hielt dort, als sei das ebenfalls selbstverständlich, geduldig, obwohl geröstet, still, bis sein Beistand das wichtigste Verteidigungsmittel vorbrachte, das er aus Klugheit für den letzten Augenblick zurückgehalten hatte. Dietriche, 259 erklärte er nun, seien in der kleinsten, wie in der größten Bäckerei zu finden, bei den Lehrlingen wie bei den Gesellen, die sie in der Morgenfrühe brauchten, um die Backware in den Häusern loszuwerden, denn wenn nicht vor Hahnenschrei, so ganz gewiß vor Toresaufschluß, sollten die Beutel an den Klinken hängen, und besonders in den Vierteln kleiner Leute, wo die Bewohner in der fünften Stunde des Morgens schon in Scharen sich aus den Betten hoben und in die Fabriken zogen, würden weiter keine Faxen gemacht und wäre jeder Bäcker ein allgemeiner Pförtner. Der Eintritt sei auch häufig ohne Nachschlüssel nicht auszuführen, da der Hauswirt dem Bäcker den Schlüssel vorenthielte, aus einer kleinlichen Gewinnsucht, indem er ihn nur einem bestimmten Bäcker gegen seine Erkenntlichkeit überließ, während die Hausbewohner sich über den Bezug des Brotes keine Vorschriften machen lassen wollten. Ein Dietrich von Draht schließlich war auch bequemer als sechzig oder siebenzig auf den Bund gereihter eiserner schwerer Schlüssel, von deren Gewicht ein Lehrling sich erschlagen fühlte, und unter denen auch vor jedem Hause der richtige herausgesucht werden wollte. Um nichts zu versäumen, berief sich der Verteidiger auf einen Sachverständigen für die Wahrhaftigkeit der Angabe; seine Unparteilichkeit sollte auch bestätigen, daß aus dem Draht, und zwar dem Griffe der bei einem jeden Bäcker heimischen Marmeladeneimer, sich jeder Lehrling in wenigen Minuten einen Dietrich drehte, so daß das Werkzeug ohne Wert war und auch nicht anders als unwichtig behandelt wurde; blieb einer liegen so drehte man sich einen neuen. Hasselbachs 260 Lebenswille, der schon eingeschlafen war, erwachte, heftig stimmte er in die Beteuerung ein, und auch der Bäckergeselle, der, als Zeuge vorgerufen, zunächst bekundet hatte, kurz vorher, als er über den Hof gegangen war, habe die Stube offen gestanden, bei seiner Rückkehr sei sie abgeschlossen gewesen, bestritt zwar, einen Dietrich zu besitzen, gab aber auf die Frage des Anwalts zu, daß er erst seit einigen Wochen in der Kammer wohnte und früher dauernd ein oder zwei Gesellen darin gelebt hätten, über deren Besitz an Werkzeugen er natürlich sich nicht imstande fühlte, etwas mitzuteilen.

Der Verteidiger, der nunmehr aufgefordert wurde, den Schlußvortrag zu halten, ohne daß man einen Sachverständigen hören wollte, trat vor Enttäuschung, da er die Gesinnung der Kammer fühlte mit halber Wärme für den Angeklagten ein. Vor der Langeweile seiner Zuhörer verlor er die Wärme allmählich gänzlich, denn ohne eine Verstellung zu üben, siebten die Richter Löcher in die Luft, einzelne trieben sogar, die Würde des Anwalts wie des Angeklagten gleich verletzend, ihre Aktenarbeit weiter, und um zu sich selbst zu reden, brauchte der Verteidiger den Mund nicht aufzumachen. Schließlich bezwang er seinen Widerwillen und seine Schamhaftigkeit zugleich, dachte, er spräche zu Gott selbst, wenn er schon nicht zu den Menschen spräche, und wies leidenschaftlich und, um die Toten aufzuwecken, mit der lauten Sprache des jüngsten Gerichts nach, daß der Dietrich nicht Hasselbach gehört haben könne. Er kehrte, von dem Recht des Angeklagten Gebrauch machend, die Dinge um, fragte, womit der Besitz ihm 261 nachgewiesen sei, und erlaubte sich, die wohl noch nicht erwogene Frage aufzuwerfen und sie den mit dem Schuldig schon fertigen Richtern in das Gesicht zu stoßen, was Hasselbachs Besuch in dem Bäckerladen, wenn er anders in die Gesellenstube habe einbrechen wollen, wohl gesollt habe. Schließlich wiederholte er noch Hasselbachs Lebenslauf in den letzten Tagen, gab Aufschluß über alle Umstände, verwies auf seine Anwerbung und ihre Vorbereitungen und erbot sich, zum Nachweis der allgemeinen und besonderen Wahrhaftigkeit alle Personen, mit denen Hasselbach diese letzten Tage verbracht, als Zeugen vorzuladen, aber als er sich niedersetzte, sagte ihm sein Gefühl wahr, wie hoffnungslos er sein mußte.

Die Richter machte in der Tat weder der Dietrich noch der Besuch im Laden verlegen. Ein Dietrich mochte in Bäckerkreisen üblich sein oder nicht, nahm man selbst an, es sei die behauptete schlechte Gewohnheit eingerissen, so war doch der Dietrich bei einem offenkundigen Dieb gefunden worden, bei einem eben aus der Haft entlassenen und alles andere als vertrauenswürdigen Menschen, der, wie er selbst wohl einsah, in einer nicht im geringsten harmlosen Lage ertappt worden, da er vor Morgengrauen in einer fremden Gesellenstube angetroffen wurde, an einem Ort, an welchen er keineswegs gehörte und von welchem er sich wohl nicht ohne die Mittel entfernt haben würde, welche geeignet waren, ihm die nächsten Tage zu vergnügen. Gelegentlich eines Worts, das in diesem Zusammenhang über Hasselbachs offenbar gewerbsmäßiges Stehlen fiel und bei welchem der Verteidiger wie gestochen mit einer Schulter zuckte, 262 unterbrach sich der Vorsitzende und sagte zu dem Verteidiger hinüber: »Sie stoßen sich daran, daß ich von einem gewerbsmäßigen Diebe spreche, aber ich frage Sie, ob uns jemand unsere Vergangenheit abnimmt, oder ob wir nicht genau ebenso für sie einzustehen haben, was nicht für jeden angenehm zu sein braucht, nicht einmal für einen Richter.«

Alsdann fuhr er in der Begründung des Spruches fort, indem er ausführte, was den Eintritt in den Laden anlange, so habe der Mann offenbar die Örtlichkeit erspähen wollen oder, sei diese Mutmaßung falsch, so, einfach des Opfers spotten wollen. Er wandte bei diesen Worten den Kopf zur Anklagebank und richtete die Augen auf eine Stelle, die höher lag als der Kopf von Hasselbach, auch höher, als der Kopf sich nach Hasselbachs Statur befinden konnte. Hasselbach wünschte, mit dem Kopfe bis zur Decke zu reichen, um die Augen abzufangen und seinen Haß den Augen einzubrennen, bis der Strang der Äpfel vom Gehirne abschnitt und die überheblichen Pupillen blind wurden. Von welcher Seite auch der Fall angesehen wurde, so schloß der Richter seine Ansprache, der kaum von Hasselbachs Gedanken etwas spürte, und sie auch nicht wichtig genommen haben würde, und die Kammer habe auch die Lebensfahrt des Angeklagten in den letzten Tagen genau berücksichtigt, auch sein vaterländisches Vorhaben gut in acht genommen, es bestünde für sie kein Zweifel an der Schuld des Mannes, der einen Tag auf dem Wege zur Besserung gewesen, bei der nächsten besten Gelegenheit alle guten Vorbehalte haben fahren lassen, sich eines 263 anderen und Schlechteren besonnen und, wohl erwägend, daß ein leichter Griff in eine fremde Tasche sich rascher lohne, als die mühevollen Griffe mit dem Spaten, der ersten Versuchung nachgegeben habe, wie er auch der nächsten wieder unterliegen werde. Lediglich, weil kein Schaden angerichtet worden sei und es dank dem freundlichen und rechtzeitigen Eingreifen der Beteiligten bei einem bloßen Versuch geblieben, hätte die Kammer ihm mildernde Umstände nicht versagen wollen, und so dürfe er dankbar sein, mit einer Strafe von einem Jahr davonzukommen.

Der Verteidiger suchte Hasselbach am Nachmittag in der Zelle auf, und erst nach einem längeren Gespräch gab Hasselbach seinen Verzicht auf das Rechtsmittel ab. Die Aussichten waren schlecht; wenn er den Rechtsweg einschlug, lief er Gefahr, die Freiheit länger zu verlieren, denn er gab eine eigentümliche Bestimmung im Gesetz: beruhigte sich der Angeklagte bei dem Urteil, so rechnete die Strafe von der Verkündung des Spruches ab, im anderen aber erst von jenem fernen Zeitpunkt, in dem das Urteil von der oberen Instanz gesprochen wurde. Man konnte, wollte man, darin eine Erpressung sehen, und würde im bürgerlichen Leben ein gewöhnlicher Mann ein solches Verfahren eingeschlagen haben, so hätte jeder Richter den Mann auch wegen Erpressung zur Rechenschaft gezogen. Aber dem Staat sind solche Übergriffe allerdings geläufig, ein Angeklagter hatte mit den Verhältnissen zu rechnen, und Hasselbach rechnete mit ihnen, indem er sich nicht auf dieses Spiel mit verschwindenden Aussichten einließ. 264

Am nächsten Tag kam er wieder in den Vorort. Er ging entschlossen die Verwaltung um Arbeit an und erhielt so viel, daß sie sein Gehirn vollkommen abstellte. Er glich einer Uhr fortan, die nicht mehr aufgezogen wird, weil ihr Inhaber dem Wahnsinn der Zeit nicht mehr verfallen ist. Ziele, wenn es welche für ihn gegeben hatte, verloren sich, der Krieg, falls er noch anhielt, schied für ihn aus und wurde eine Angelegenheit für ihn von Menschen fremder Sterne. Warum, in aller Welt, sollte es nicht auch Leute geben, die sich um den Lauf der Zeit nicht ein weniges bekümmerten, gleich als ob sie hundert Jahre früher oder das Doppelte davon später da wären? Es war nicht sicher, ob nicht immer, oder doch solange die Menschen dachten, Kriege geführt wurden, für die drei letzten hundert Jahre konnte er es aus eigener Wissenschaft versichern – so überhörte er die Schlachtberichte, wenn sie zu ihm drangen; seine Sache war es, seinem Dienste zu genügen, den Boden in den Gängen aufzuscheuern, und das tat er desto hartnäckiger, je stärker in ihm der Unmut aufstieg gegen die tägliche Neigung des Bodens, zu verschmutzen, um je liebevoller er für seine Gehilfen empfand, wobei sein Gefühl nicht zwischen Eimer, Tuch und Besen unterschied. Des letzteren nahm er sich bevorzugt an, nicht aus Ungerechtig-, sondern aus Notwendigkeit, und so ging kein Tag vorüber, an dem die Räume zwischen den Borsten sich nicht das Putzen gefallen lassen mußten, wobei er sich als allerschärfster Feind der Löcher auswies, in deren Tiefe die Borsten eingekeilt waren. Aber machte der Tag den Arbeiter müde, so hatte er dafür Jugend genug, um in der Nacht zu schlafen. 265

Auf die Dauer ließen sich jedoch die Gedanken nicht verdrängen und erwachten. Sie waren so beschaffen, daß sie geeignet waren, alle Dinge in den Gelenken umzudrehen. Es ging mitten in einer schlaflosen und finsteren Nacht ein unerträgliches Licht vor ihm auf, bei dem Versuche, sich dem Scheine zu entziehen, wurde das Licht nur unverdrängbarer und leuchtete tiefer in die Kammer seines Innern, die es völlig hell machte und mit einem kernigen Glanze ausschlug. Am Morgen stand der Gedanke vor ihm so nah, daß er nach ihm zu langen wagte und ihn mit zufassender Hand auch wirklich hielt. Die bürgerliche Welt mußte Verbrecher haben, um die guten Menschen von der Begehung übler Taten abzuschrecken, und die einmal Bestraften wurden immer wieder zu ihrem Vater in das Haus gerufen, damit nicht andere, Unschuldsvolle als Mittel zur Abschreckung gebraucht wurden. Vergewaltigung, wie es die Stimme nannte, die zuerst ihn selbst gewalttätig mit den Fäusten nach dem Gedanken hatte schlagen lassen, war dabei nicht, es handelte sich um etwas unergründlich Tiefes, daß einige für die anderen ausgewählt wurden, und in seiner Anforderung stand das Opfer nicht hinter dem des Soldaten zurück, der auf vorgeschobenem Posten bestimmt war, für seine Brüder aus der Heimat auf einen Schuß zu fallen. Einmal erwählt, wollte er auch leiden, und er war bereit, sein Opfer ohne Klage darzubringen. Als er zögernd dem Gefängnisgeistlichen seine Ansicht vortrug, wurde ihre Gültigkeit bezweifelt, aber der Zweifel wurde lediglich im kirchlichen und keineswegs im menschlichen Sinn geübt, was für Hasselbach schon als 266 Bestätigung genügte; denn offen zugegeben konnte es nicht werden.

Der Umschwung seiner Ansicht veränderte sein Auftreten. Ruhe und Nachdenklichkeit begannen an ihm aufzufallen, wurde von den Erniedrigungen nicht verbittert und wußte sich selbst gelegentlichen Schimpfs zu überheben. Von der alten Unruhe überfallen wurde er nur zwei Male, und dies gerade aus unbeträchtlicher Veranlassung. Da brach seine alte Natur so stark aus, daß er bestraft und hinsichtlich des Essens auf die sparsamste Ration gesetzt wurde. Die Ursache war das eine Mal der Schneider, welcher den blauen Anzug einst verfertigt hatte und dem er den Pfandschein nun für wenige Mark verkaufte. In diesem Zusammenhang standen die drei knappen Tage seiner Freiheit vor ihm auf, erschienen alle auf das beste angetan, verbeugten sich vor ihm, und, hingerissen von den Wundern seines Lebens, trieb er seinen Eßnapf an die Wand. Das andere Mal belebte sich sein Blut durch eine Karte von der Hand des Steinsetzers, die die gute Beschäftigung lobte und das tüchtige Geld rühmte, das bei dem Schanzen eingenommen wurde, dann aber fortfuhr, von den Vorräten zu reden; da er nicht pünktlich in der Wohnung erschienen sei, habe er, im Vertrauen, ihn noch im Asyl zu treffen, sie auf die Reise mitgenommen, und da er sich auch da nicht bemerkbar gemacht, hätten die Genossen noch vor der Abfahrt den Zuschuß unter sich verteilt.

Nachdem er die Insassen des Gefängnisses vorübergehend mit diesen Rückfällen beirrt hatte, fand Hasselbach zu dem guten Gedanken zurück, der ihn schon 267 belebt hatte und der nun sich milde in sein Blut blies. Es herrschte zu dieser Zeit eine unbotmäßige Erregung unter der Belegschaft, die Insassen, abgeschnitten von der Welt, fingen an, die kriegerischen Vorgänge als den ersten Teil des Umsturzes anzusehen, der im weiteren Teil ihre Befreiung zur Folge haben könnte, wie sich dies in vielen Gefängnissen auch wirklich demnächst ergab. Ein in dem Gefängnis gedrucktes und für sie bestimmtes Blatt, welches wenige Nachrichten über den Verlauf des Krieges neben wesentlich geistlicher Erziehung brachte, fand keinen Glauben, vielmehr wurde jede Meldung für gefälscht gehalten. Die militärische Auffassung war die, die Engländer und die Franzosen hätten den Rhein erreicht oder überschritten, was die Russen betraf, so standen sie an der Oder, bedrohlich für die Hauptstadt, da sie von Frankfurt nicht mehr weit entfernt war; in den nächsten Tagen sollte eine große Schlacht geschlagen werden, die, in der Vorbereitung begriffen, über den Stromübergang und das Geschick der Hauptstadt entscheiden sollte. Ein umlaufendes Gerücht, unanfechtbar dem Aussehen nach, gab wegen dieser Bedrohung des Landes die Gefangenen frei. Weil sie bisher geschont wurden, oder auch einer schärferen Bestrafung halber, sollten sie in die vordersten Reihen der Gräben kommen. Es war hoffnungslos, sich an diesem Punkte durchzuschlagen, aber darum sollte, wem es gelang, die Strafe erlassen sein. Manchem tauchte ein mutloser Gedanke auf, und auch Hasselbach wurde nicht anders als die übrigen zunächst von Furcht erschlagen, und erst langsam billigte er die Anordnung, als er ihren Sinn erfaßte, 268 der ihm eine Bestätigung seines Wissens gab. Hatte sich bisher die Regierung der Menge wegen zurückgehalten, ihre Absichten mit den Verbrechern aufzudecken, so machte sie jetzt länger keinen Hehl daraus, wen sie als ihre Opfer hochschätzte. Er fand es angemessen, ihn in die erste Reihe der Gräben zu führen; wem das Leid zugewogen wurde, sollte es auch gründlich zugewogen werden, und ihn beschäftigten fortan Beginn und Fortgang dieser Schlacht. Er ließ die Feinde in seine Zelle, und mit einer andauernden Bemühung um eine Festigung seines Körpers wiederholte er Bewegungen, die er auf dem Hof von Kasernen beobachtet hatte. Er ging mit dem Beine zu einem Ausfall vor, er neigte den Körper zur Seite, bis eine Handspitze auf den Boden rührte, und häufig stellte er sich mit einem unsichtbaren Bajonett auf den schweren Platz des Untergangs.

Als so ein Monat, bald mit Übungen, bald Erwartungen, verstrichen war und die Pforten sich nicht öffneten, verlor sich unter den Gefangenen der Glaube an eine andere Verwendung, damit zugleich aber auch die alte Gärung. Es bedurfte keiner scharfen Anziehung der Ordnung mehr, eine zuversichtliche vertrieb die gedrückte Stimmung, und von den Gefangenen wurde wieder mit dem Sieg gerechnet, in jedem Falle mit dem Frieden, oder, was dasselbe hieß, mit einer Begnadigung aus solchem Anlaß. An keinem Orte wurde der Friede so ersehnt, wie hier, die Hoffnung machte wunderbar geduldige Gefangene, geübte Verbrecher bekamen einen schülerhaften Ehrgeiz nach dem Wohlgefallen ihrer Vorgesetzten, und eine maskierte Liebedienerei trieb ein heuchlerisches Wesen in den Mauern. 269

Was Hasselbach betraf, so wurde er anders von dem unveränderten Zustand der Dinge hingenommen als die übrigen; er verdüsterte sein Gemüt. Seine Ansicht hatte die Bestätigung nicht erlangt, und wie sein Körper mit Ungeziefer, bedeckte seine Seele sich mit Zweifeln. Sein Taumel in die neue Sinnlosigkeit der Unschuld war so jäh, daß sein Leben plötzlich ohne Bewegung anhielt und nicht mehr lief. Der Arbeitstag ging nicht mehr um, wurde es Abend, bremste er noch einmal vor dem Abschied, kam der nächste, so war er wie der vorige. Die Mädchen des Charisius erschienen der Vorstellung des Häftlings, der Duft des Brotes und der Lärm der Straße legte sich vor Ohr und Nase, nach einer Woche galt er einem Menschen gleich, der sich von anderen nicht, oder nur zu seinem Nachteil unterschied. Ausschließlich wichtig wurde ihm, was in der Suppe schwamm, die in Abständen wenigstens von Tagen mit Fleisch durchmengt war, er verlangte durchaus, das von seinem Löffel gegriffene Stück solle das von dem Nachbarn hervorgefischte an Größe und Güte übertreffen, aufsässig, wenn er angefahren wurde, fuhr er Leute an, die es sich gefallen ließen, und seine Zerrissenheit führte zu Vorfällen, in deren Verfolge er wegen Zanksucht und Neigung zur Schlägerei von den übrigen Gefangenen getrennt und in Einzelhaft genommen wurde, welche nicht umsonst als trockene Guillotine gilt und für jeden der Anfang zum Untergange wird. Sein Weg verfinsterte sich rasch und wurde zunehmend ohne Hoffnung.

So geschah es nicht viel später, daß er von neuem und bei weitem schwerer bestraft wurde. Der zu seiner 270 Bewachung bestellte Wärter liebte es, die Gefangenen leicht zu necken, war aber ein einfacher Mann von gewöhnlichem Wesen, der alles tat ohne nachzudenken und höchstens an einem Tisch von kleinen Leuten, an dem er zu verkehren pflegte, etwas übertriebene Geschichten von den Gefangenen erzählte. Wiederholt war er von dort aus angegangen worden, er möchte einen von ihnen einlassen, damit sie eine Vorstellung von dem Haus bekämen. Hatte er dies selbstverständlich abgewiesen, so hatte doch die Rede vielleicht ein wenig Nebel um ihn gemacht, denn eines Morgens spielte er sich gegen seine Art etwas größer auf, als sein Maß vertrug, und fuhr auf Hasselbach ein, vor ihm rascher aufzustehen, worauf dieser einen Schritt nach vorn tat und ihn aus Augen, die sofort mit Blut durchlaufen waren, anblickte. Daß ihm der Blick sofort verboten wurde, beirrte Hasselbach nicht weiter, im Gegenteil behielt er die Starrheit in dem Blick, und als der Mann nun, unsicher geworden, und aus der Berufung auf seine Beamtenpflicht allein noch Mut schöpfend, die Forderung ein zweites Mal erhob, spürte Hasselbach die Schwäche aus den Worten und schlug fortgerissen mit den Fäusten auf ihn schon ohne Besinnung ein. Das von dem Mann aus der Nase herausgespiene Blut wurde Hasselbach zum Verderben, rasch in den Anklagestand versetzt, erlitt er eine Strafe, welche alle bisherigen um das Mehrfache übertraf, darum aber seine Empörung nicht minderte, so daß er sich keineswegs mit dem Urteil zufrieden gab, sondern bei einem Rechtsmittel Zuflucht gegen seine Härte suchte. Auf eine Verzögerung kam es bei einer 271 fünfjährigen Strafe nicht weiter an, zumal er infolge der währenden Verbüßung der alten keinen Nachteil hatte, wenn das zweite Urteil selbst auf sich warten lassen sollte. Er legte den Richtern in langen Ausarbeitungen seine Unschuld dar und griff dabei auf den früheren Fall zurück, für den er ganz besonders den Himmel um Gerechtigkeit beschwor, aber noch vor der Verhandlung entschloß er sich zur Umkehr. Eines Abends kam auf einer stillen Wolke die Erkenntnis von dem Sinn des Leidens und der Aufgabe des Verbrechers wieder. Vielleicht war er nur aus dem Grunde der Güte nicht gegen den Feind gestellt worden, deshalb, weil es zu grausam gewesen wäre, zu dem einen Opfer noch das andere zu tun. Was sprach das alles gegen seine Überzeugung von der Aufgabe und dem Opfer des Verbrechers? Er begriff nicht, wie er seinen Glauben verraten hatte. Aber auch jetzt sträubte sich seine Seele noch, dem Glauben zu erliegen. Dunkel spürte sie, wie er den Menschen auszehrte und das Leben auslöschte; war das Leben auch auf alle Fälle für einige Jahre für ihn verloren, so kehrte es doch im anderen Falle wieder. In einer feindlichen Nacht erschienen ihm und versuchten ihn die Zauberprächte mehrerer Läden, der Glanz ihrer Fenster, vor dem er an dem letzten Abend seiner Freiheit gestanden hatte, überschwoll ihn mit Atemlosigkeit und Zuckung, er glaubte, nicht von dem Rausche zu genesen, und wenn die Erkenntnis zehnmal richtig war und er hundertmal zum Opfer auserkoren worden, so wollte er sich bis zum äußersten gegen die Auswahl empören. Dann erkannte er das große 272 Maß seiner Aufgabe, das Meer beruhigte, die Seele geduldete sich und litt, weil sie dazu bestimmt war. Sie fragte nicht, warum sie ausgewählt worden, es war niemand, der ein Leid wie dies verdient hätte, der Zufall wählte wohltätig und blind unter den Menschen aus. Er wurde still, seine Tage hielten sich in der Schwebe, Ankunft und Ablauf wurden ihm gleich lieb und unlieb, und jener künftige Tag beschäftigte ihn nicht mehr, an dem er aus dem Hause schiede. Aus irgendeiner doppeldeutigen Lage, in die man ihn verführte und die er ebensogut hervorrufen konnte, lenkte sein Weg von selbst hierhin zurück. Für die Unverständigen wurde ernstlich auf dem Schein bestanden, eine Anklage erhoben und eine Verhandlung geführt, und die Richter waren rauh, weil niemand von den Zuhörern den wahren Vorgang merken durfte. Aber er verstand den über ihn weggegangenen Blick des Vorsitzenden, der seinen uneingeweihten Trotz gespürt hatte, und sicher hatte er nur den Blick der mitleidigen Güte unterdrückt. Das nächste Mal sollte sein Geständnis den Richtern das Leuchten aus den Augen holen, und der Gedanke verklärte sein Gesicht.

Er war fortan demütig als Arbeiter und wies Auszeichnungen, deren es auch an dieser Stelle des Ungemaches gab, obwohl das Unglück gleichmachen sollte, mit einem Lächeln von sich; er hatte seinen Lohn und bedurfte der Erleichterung nicht. Seine menschliche Frömmigkeit wurde nicht verkannt, und da er des Rechtsmittels gegen seine Bestrafung sich unter Beschuldigungen begab, wurde er von der Einzelhaft verschont, so daß 273 er zurücktrat zur Gemeinschaft. Vielleicht war nun sein andauerndes Schweigen aus der Einsamkeit zu erklären, in der er schon zu lange gewesen war. Obwohl er jetzt reichlichere Mitteilungen über Vorgänge von außen empfing, und man ihm selbst Zeitungen nicht vorenthielt, nahm er selten an bemerkenswerten kriegerischen Dingen Anteil, oder nur in einer Weise, daß er sich sagte, sein Leben sei der gleichen Tüchtigkeit geopfert worden; das weitere gab keinen Anreiz.

Je länger der Zustand von Gefaßtheit währte, um so mehr wurde er der Gegenstand der Beachtung. Seine Jugend, bei seinem Eingang noch nicht abgeflossen, lief rasch von ihm hinab, so daß er vor den Jahren alterte. Ich habe oft gestaunt, wie rasch sein Gesicht in einem Jahr sich veränderte. Ich war es, der ihm als Armenanwalt beigeordnet war, als er wegen des Einbruchs angeklagt wurde. Ich besuchte ihn, weil seine Verurteilung mich wie ein Verbrechen brannte. Bei meinen Besuchen jedoch sprach er nie anders als andeutungsweise von den Vorkommnissen, und erst unter den Wärtern, bei dem Geistlichen und in mir selbst mußte ich mich weiter fragen. Meine Verteidigung, so schien es, nahm er nicht ernst, offenbar gehörte auch ich zu den Leuten, die nicht wußten, daß die Richter gezwungen waren, ihn zu opfern, und wäre ich eingeweiht gewesen, so hätte ich nur obenhin und zum Schein nur seine Sache geführt. So war er meistens still, wenn ich bei ihm war, und da es mir schließlich vorkam, als drängte ich mich ein und als sei ich ihm nicht willkommen, so stellte ich am Ende meine Besuche ein, nachdem er mich noch 274 bei dem letzten mit dem geduldigen Blick des Gefangenen erschüttert und mit dem Glanze seiner Heiligkeit entlassen hatte. Blitzhaft waren unter diesem Blick mir die Mängel meines eigenen Wesens und die zweifelhafte Mehrdeutigkeit meines Wandels aufgegangen, so daß ich die Mauern mit dem Gefühl verließ: warum er, nicht ich?

 


 


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