Martin Beradt
Die Verfolgten
Martin Beradt

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Zuflucht

Viele Formen hatte ich schon erprobt, unter denen man seinen Menschen behaupten kann in einer Stadt, und nach und nach sie alle abgestreift als nicht für mich gewachsen. Zuletzt benutzte ich eine kleine Wohnung, die ich in Ordnung halten ließ von einer Frau, welcher ich die Stunden für ihre Arbeit nicht eindeutig vorgeschrieben hatte. Ihre Dienste zu verrichten, kam sie vielmehr zu den wechselnden Zeiten, da ich nicht zu Hause war, und so gelang es mir, außer dem einen Male, wo ich sie für diese undankbare Stellung annahm, sie nicht zu sehen, ein Ziel, das ich mir nicht wegen einer Schrulle setzte, sondern aus einem tiefen Bedürfnis nach Einsamkeit in ihrer strengsten Form, nach einem Leben zwischen Wänden, die nur mein Bild wiedergaben und meine Stimme, so daß ich gleichsam wie in mir selber wohnte.

Als dieses Bedürfnis nachließ, wollte ich meine Wohnung von einer Wirtschafterin betreuen lassen, die bei mir wohne, damit sie das Essen mir bereite. Ich stand in einem Alter, wo man persönlicher für seinen Körper sorgen muß, als es in einer öffentlichen Speisewirtschaft angeht, auch glaubte ich, die gastliche Güte mancher Häuser zu mißbrauchen, wenn ich nicht auch von meiner 100 Seite gelegentlich Gäste in mein Haus lud. Freilich wußte ich, ich würde es nur mit einer krankhaften Unruhe können; wenn sie auf meine Teppiche träten, würde mein Herz fliegen, und ihre Hände auf meinem Schreibtisch würden das äußerste von mir verlangen, daß ich sie nicht gewaltsam von dort fortrisse.

Ich nahm also eine Wirtschafterin an, und als der Lärm des Sachenbringens vorüber war, lud ich sie am Abend zu mir, um ihr Anweisungen zu geben. Ich wies sie in ihr Zimmer ein und zog mich selbst in das meinige zurück, wo unerledigte Arbeiten auf dem Schreibtisch lagen und mich beschäftigten. Aber ich war wie gelähmt, ich konnte kein Papier entfalten, ich fühlte in der Luft einen Hauch, ich roch einen fremden Atem, beklemmend hing der Geruch eines Rocks herum, fast sichtbar wogend und aufsteigend in mein Gesicht; ich fühlte, wie meine Ohren horchten, ob sie nebenan schritt oder saß, rückte oder still hielt, über ihre Kleider mit den Händen strich oder über die Betten. Ich hatte sie hinausgeschickt, um allein zu sein, aber ich wäre weniger in Gesellschaft gewesen, wenn sie hiergeblieben wäre. Denn nun hörte ich unausgesetzt auf sie, nicht auf ihre Worte, die mich nicht beunruhigt hätten, sondern auf die Geräusche, die sie schuf, wie ein merkwürdiges Wesen, nach ihrem Willen, unberechenbar und zu begreifen schwer.

Als sie später zur Ruhe ging, wurde mir sehr sonderbar zumute. Hier lag nun ein fremder Mensch in meinem Frieden; ohne mich zu kennen, sperrte er sich ein in ein Gelaß, ausgeliefert meinem Willen. Ich bedachte, ob sie die Tür verriegelt hatte: geschah es nicht, 101 welches maßlose Vertrauen auf mein Gesicht, es konnte eine Maske sein, vielleicht dürstete ich, ein Messer einzutauchen in den Auf- und Niedergang von ihren Brüsten, und hatte sie zugeriegelt, welcher Haß des Menschen gegen den Menschen, zwei lagen in den Zimmern einer Wohnung und fürchteten voneinander nichts Geringeres als den Mord. Erregt ging ich durch die Zimmer, legte den Kopf an die Wand, um zur Ruhe zu kommen an ihrer Kälte, aber den lebenden Körper von nebenan konnte ich nicht vergessen, und unter Wachen und Beängstigung verbrachte ich die Nacht.

Verschiedene Dinge ohne Bedeutung führten am nächsten Tage mich aus der Wohnung. Die Erlebnisse von gestern gingen mit wie ein herabgestimmter Ton, der sich zwischen keiner Beschäftigung verlor, und als ich am Abend nach Hause kam, war ich peinlich betroffen, daß sie sofort zu mir herantrat, wie um ihre Anwesenheit zu beweisen. Ich werde den Gruß erwidert haben, den sie bot, aber noch im Mantel und Hut befiel mich ein Zittern, als ich ihrer fremden Erscheinung ansichtig wurde, und plötzlich empfand ich, wie den ganzen Tag über hier ein Mensch gewohnt, meine Sachen durchstöbert, ihre Fläche begriffen, ihren Inhalt betastet hatte, mit der Unreinheit seiner Neugier, seines Neides, seiner Liebe. Sie sah mich erbleichen und wollte fragen, was mir sei, so daß ich mich bezwang und ausschritt in das Zimmer, wo ich sparsam und ängstlich das Abendessen einnahm.

Aber ich mußte irgendeinen Kontakt herstellen zu ihr, wenn ich nicht diesen Abend in derselben Unruhe 102 verbringen wollte wie den vorigen. Ich verlangte daher Wasser und tat so, als ob mich ein inneres Feuer brennte. Ich hieß sie eine ganze Flasche voll hereinbringen und befahl ihr, den Wasserhahn lange laufen zu lassen, um es zu kühlen. Sie ließ auf diesen Befehl das Wasser in solchen Stürzen in das Becken schmettern, daß mir war, als ob sich in der Erde die großen Wasserrohre aufrichteten und das Grundwasser in meine Küche schütteten. Die ganze unterirdische Zirkulation von Abfluß- und Zuflußröhren, dieses tiefsinnige Flußsystem unter einer steinernen Stadt, schien in Unruhe geraten, von einem Luftdruck hochgepreßt sausten die Deckel der Gullyschächte durch die Straßen; ich bog mich unter dem Donner der Wasserfälle, als sie endlich den Hahn schloß und mit einer gläsernen Flasche erschien, an deren durchsichtigen Wänden noch außen die Spuren des Tuchs zu sehen waren, mit dem sie die über den Rand in den Abgrund gestürzten Tropfen fortgewischt hatte. Nun lagen sie in einem Tuch, die nicht in einer Flasche mit anderen zusammen hatten enden wollen, erstickt und aufgeschluckt von irgendeinem Faden oder Tupfen, einen Augenblick aus dieser Ewigkeit noch nicht vergessen, weil ich ihren Ausgang, ihren Untergang und Tod erregt mit innerem Anteil überdachte.

Sie fragte nach weiteren Wünschen, und da ich keinen aussprach, verschwand sie mit einem hörbar lauten Rauschen. Bei der Wendung schien ihr Rock von außen an die Tür zu schlagen, und diese Mahnung machte mich beklommener als zuvor. Zwei Menschen, so durchrieselte es mich wieder, eingesperrt in eine Wohnung, 103 der eine in einem Zimmer, essend, der andere im anderen, ohne Tun verweilend, wie kam ich dazu, in einem guten Zimmer mein Essen einzunehmen und meinen Nachbarn in eine Kammer zu verweisen, wo er danach hungerte, den Mund zu öffnen und Dinge auszusprechen. Sie war ja nur ein Weib, hatte kein Kind und, wie ich glaubte, keinen Geliebten, eine solche Frau fesselten die tausend Dinge, die sie am Tag erlebt hatte, der Vogel des Nachbarn, der Hund gegenüber, die Geranien des Balkons, die Lebensumstände der Familie meines Pförtners, die Reden der Frau, welche die Zeitungen brachte. Sie hatte alles das heute hier zum erstenmal erlebt, es drängte in ihr, es jemandem mitzuteilen, und ich zwängte sie in eine Kammer, ich gab ihr die Wände zu Schwestern, die Decke zur Freundin und ließ sie sich unterhalten mit totem Kalk. Ich sprang auf und rief sie; sie solle sich zu mir setzen, wollte ich sagen, aber bei ihrem Erscheinen wurde ich verlegen, ich sagte, daß ich sie um nichts gerufen hätte, und zog mich noch betroffener zurück. Aber sehr bald stellte ich mich an die Tür, um von ihr zu hören und ihr Dasein aufzufangen, das meiner Nachbarin und Schwester. Durch die Gewohnheit von Geschlechtern waren wir verurteilt, uns wider die Natur voneinander zu sondern, aber mein Gefühl ließ sich nicht ersticken, hier war ein Mensch, und so mußte ich wissen, wie er lebte und wie er eindrang in die Welt. In stumpfen Lauten und Geräuschen gibt es eine Sprache, die tiefer ist als jede andere, und ihr vertraute ich und überließ mich ihr. Und wirklich hörte ich nebenan sie hin und her gehen, langsam, gequält, 104 wie in zu engen Röcken, oder wie wenn die Röcke an drei Punkten des Bodens mit Seilen festgehalten wurden, so daß sie zwischen diesen Grenzen wie gefangen sich bewegte. Ich spürte die Unruhe eines Menschen, der sich auslaufen wollte und es nicht konnte. Da saß sie ein Leben lang zwischen denselben Geräten, die täglich künstlich in Unordnung kamen und beschmutzt wurden und täglich von ihr gereinigt und geordnet wurden, und mich dauerte diese Enge und Beschränktheit und diese Dumpfheit ihres Daseins. Ich brach durch die Tür und sagte ihr, wenn sie wolle, so könne sie den Abend über ausgehen.

Aber mochte es ihr unpassend scheinen, es schon am ersten Abend zu tun – sie wies es von sich. Da schlug mit einemmal meine Menschlichkeit zu Haß um; kaum in meinem Zimmer angelangt, hämmerte ich die Fäuste gegen die Wand, daß der Kalk hinter die Tapete rutschte und kleine Körner kopfüber die Wand hinuntertaumelten. Wenn sie es nicht freiwillig tat, so verlangte ich einfach, daß sie ginge, unfähig, den verschiedenen Takt des Bluts hier im Hause zu ertragen. Ich hatte gestern vor einem Uhrladen gestanden und drei Pendel beobachtet, von denen die beiden äußeren ganz genau in denselben Zeitteilchen ausschlugen, ausschlugen und zurückpendelten, der mittlere aber sich um ein Sechstel der Zeit, die die beiden anderen für ihre Schläge brauchten, verspätete. Mit Gewalt, mit Trotz, mit allen Mitteln des Willens hatte ich das dreifache Leben der Uhren zu einer Einheit verschmolzen in mich aufnehmen wollen; aber jede Harmonisierung ihres Dreitaktes war mißlungen, und 105 erbittert war ich von dannen gegangen. Und hier wollte sich der lebendigere Takt eines anderen Lebens trotzig in mein eigenes stellen, es aus sich herausschleudern, zu sich hinausbeziehen? Ich haßte es, ich wollte nicht länger durch die Wände hindurch hören, wie fremdes Blut die Bahn zum Herzen schritt und eine Brust zum Atmen aufstand und dann abschwoll. Ich wollte nicht die Augen spüren, die auf dieselben Punkte starrten, die ich bestarrte, auf das Mauerwerk, auf die Gardinen, auf das Blau im Himmel und das Grün im Hof. Das war mein Mauerwerk, meine Augen hatten es sich zu eigen gemacht, es war von mir aus seiner natürlichen Beschaffenheit befreit, zu Wänden geworden meines Daseins, zu Träumen meiner Seele, dieses Blau war die Hoffnung meiner tiefverschatteten inneren Himmel, dieses Grün die Darstellung für mich von allem, was an Säften durch die Erde schoß, war Feuer mir, war Leidenschaft, war Sinne, Rausch. Und nebenan stand eine Person von vierzig Jahren, ein Frauenzimmer von einer sicher üblen Vergangenheit, vielleicht von einer schmutzigen Phantasie, eine wilde, strotzende Megäre, ein Weib, das man in ein öffentliches Haus hineinstecken sollte, und roch dieses Grün und besah dieses Blau, und ich mußte erst einen Lappen nehmen, um die Farben rein zu putzen, die sie besudelt hatte . . .

Mir kroch der Schweiß aus, erst auf dem Schreibstuhl fand ich meine Sinne wieder. Wie töricht war es, gegen die Sitten einer Frau zu eifern, deren Tugend wahrscheinlich mit den Jahren dick und ledern geworden war und hier weiterruhen und steif werden würde. 106

Tief in der Nacht begab ich mich zu Bett. Obschon es Sommer war, hatte ich die Fenster geschlossen, hatte die Türen verriegelt und einen Stuhl an die Tür gestellt, als könnte ich dadurch sie entschiedener von mir entfernen. Nun waren die Vorhänge vorgezogen, die Jalousien herabgelassen, kein Ton kam von nebenan, und übermüdet, wie ich war, wünschte ich mir, tief zu schlafen. Und wirklich gelang es mir, nach kurzer Zeit ein wenig Ruhe zu finden. Aber was ich mir als Beruhigung gedacht hatte, wurde die Hölle. Ich wurde von wahrhaft menschenfresserischen Träumen heimgesucht, und obschon sie mir klar in der Erinnerung stehen, kann ich nicht an sie denken, ohne erneuter Unruhe zu verfallen.

Am nächsten Tage war alles anders. Ich hatte noch einen schweren Kopf, aber mich nahm in Anspruch, daß drei Freunde mit ihren Frauen sich bei mir einfanden. Ursprünglich hatte wohl ich die Einladung ergehen lassen; als ich sie nicht erneuerte, weil die Verhältnisse dagegen sprachen, brachten die Geladenen am Morgen sie in Erinnerung und überfielen mich am Abend. Den ganzen Tag über spieen die Zimmer davon eine fremde Erregung aus. Ich war unerklärlich befangen, irre wie im Fieber; auch die Wirtschafterin lebte in einer Weise, wie eine Katze, welche Mäuse wittert. Ich tat zuletzt nichts, als auf das Brausen hören, das von ihr durch meine Wohnung scholl. Der Fernsprecher rasselte, Klingelzüge läuteten immerfort, im Geschirr wetterte es, die Töpfe schienen wild gemacht, sie tobten und schmetterten auf den Platten. Daneben knirschten die Schuhe 107 der Frau, als hätten die Sohlen ein Verhältnis mit dem Fußboden, das sich prustend kundgab, schmatzend, aufkreischend, ihre Röcke schienen im Kampf zu sein mit der Luft der Stuben, die dumpf und durchkocht war, sie kollerten und rauschten in einer dröhnenden Schlacht. Ich wollte mehrmals aus dem Zimmer stürzen, um sie anzuhalten und ihre Bewegungen abzudrehen; mochten meine Freunde kommen und nichts Gebratenes finden, ich würde ihnen schildern, was ich gelitten hatte, und ihre Verzeihung nachsuchen. Dann dachte ich, Schmerzen für seine Freunde zu erleiden, sei gut, sperrte die Tür auf, daß alle Geräusche stärker zu mir drangen, und weidete mich an meinen Wunden. Halb wahnsinnig, sprang ich auf, es litt mich in meiner Wohnung nicht, ich dachte mir Geschäfte aus, aber ich fand keine und lief einfach auf die Straße. Menschen wollte ich nicht sprechen, Vergnügungen gab es nicht am Tage; ich fuhr in die Stadtmitte, um Schaufenster zu betrachten, aber der Luxus widerte mich an, der Gedanke kam mir, die Scheiben zu zertrümmern, die Schlipse zu zerreißen, die herunterhingen, die Flaschen mit den gelblichen Parfümen umzustoßen, im Nachbarladen die Konfitüren aus den Schachteln herauszuholen und sie zwischen meinen Händen zu dicken Massen zu verbacken und weiße Wäschestücke anzuschmutzen, die nebenan hingebreitet waren. Ja, ich überschlug mich; wild gemacht, wollte ich einem Polizisten auf den Kopf springen und seine Helmspitze in meinen Darm treiben, durch die Luft fliegen, den Leuten die Hüte einbeulen, Laternenhähne aufreißen, Baumgitter sprengen, mich unter den Motor 108 eines Autos legen und die rasende Spannung unter Wollust kosten, ob der Fahrer mich bemerken oder totfahren würde.

Dann zogen Vorkehrungen mich nach Hause. Es war jetzt alles bereit, ich hatte es nur zu überprüfen. Aber alles war falsch und widersprach meinen Gewohnheiten. Ich liebte es, Messer und Gabel weitab vom Teller zu legen, ich haßte die erschlaffende Symmetrie der Weichheit, trachtete, alles in gerade und harte Linien zu setzen, um aus der vielfältigen Gebrochenheit und inneren Hitze mich in eine eindeutig aufgebaute, kalte Welt zu retten. Hier aber herrschte unter den Geräten eine warme Nähe, eine gemütliche Verbundenheit, eine Bruder- und Vetternschaft. Ich stürzte über das Tischleinen hin und wollte mit Fäusten dreinschlagen, aber meine Hände bauten auf, statt zu zerstören, jeder Griff veränderte das Bild, und als ich nach zwanzig Griffen mich zurückbog, war ich willens, das Leinen zu streicheln, so kalt sah es nun aus und so rein fror es.

Nach solchem Tun setzte ich mich auf das Sofa, auch dieses war hart und kalt mit seinem Leder, und wartete darauf, daß Besucher kämen.

Als sie endlich erschienen, setzte mein Herz seine Schläge aus und ich fühlte meine Brust sich bis zum Springen mit heißem Wasser füllen. Mein Mund war in Ketten, und meine Hände zogen sich zum Rücken, um ihr Zittern nicht zu verraten. Es geschah, was ich erwartet hatte: meine Freunde und ihre Frauen begriffen und durchspähten sofort das Erreichbare und Entzogene, durchwühlten die Wohnzimmer, und die Frauen gar 109 drangen in mein Schlafgemach, als wenn sie Schamhaftigkeit nicht besitzen dürften. Sie schlugen andere Gardinen für die Fenster vor, eine andere Decke für die Kissen, trotz des Verweises meiner Freunde, daß hier ein anderer Geschmack wohl zu entscheiden habe; so daß ich im Augenblick erwog, ob meine Kräfte ausreichen würden, alle sechs, denn meine Freunde waren gefolgt, aus dem Fenster hinauszustürzen; die drei Frauen würden vom Gesims hinuntergeschmettert sein, ehe die erschrockenen Männer auch nur verstanden, daß es Ernst war. Jetzt geschah es, daß eine Frau in aller Ruhe die Decke vom Bett zurückschlug, die andere ein Kissen herauszog, die dritte mein Hemd für die Nacht, die erste legte sich des weiteren in mein Bett, die zweite öffnete das Kleiderspind, der eine Mann holte meine Beinkleider aus der Truhe, dann fanden sie meine Strümpfe und warfen sie sich zu wie Bälle. Um sie aufzufangen, schonten sie nichts, traten mit den Beinen auf das Bett, stellten sich auf die Stühle und wälzten sich am Boden. Die Lust am Ungewöhnlichen steigerte sich so, daß sie, mit einer Freude an der Zerstörung, alle Schubladen herausrissen und, was sie bargen, auf den Boden schütteten, die Frauen faßten die Röcke zusammen, um zu tanzen, ein Mann hob zwei Stühle mit den Händen und erzeugte eine Tanzmelodie auf diese Weise, daß er die Stuhlbeine gegeneinander schlug, die beiden anderen Männer standen auf den Stühlen in der Luft und beklopften die Decke, um zu untersuchen, ob sie in die obere Wohnung einsteigen konnten und dort neue Verwirrungen und Sonderbarkeit erregen. Die Frauen 110 traten zu der Gruppe, eine jede faßte mit dem linken Arm den Mann, der die Stühle hielt, um die Seite, dann trieben sie, einer hinter dem anderen, im Kreise herum, wobei sie nunmehr, um besser auszuschreiten, die Röcke vorn an einem Zipfel faßten und sie spreiteten. In diesem Augenblick fühlte ich mich von zweien meiner Freunde plötzlich umfaßt, als fürchteten sie, ich könne hinschlagen, und in der Tat mußte ich sehr erblaßt sein, denn alle sechs, die bisher, wie ich sah, in der Tür meines Schlafzimmers stehen geblieben waren und mit einer gewissen Zurückhaltung seine Einrichtung betrachteten, wandten sich mir zu und bemühten sich um mich. Ich gestand, daß eine flüchtige Anwandlung von Blutleere mich befallen hätte, die sicher sofort wiche, wenn sie sich nicht um mich kümmerten und sich für eine Weile ohne mich unterhielten. Sie taten, wie ich wünschte, doch ward ihre Stimmung müde und verlegen, ich mußte mich gewaltsam zusammenfassen und wieder unter sie begeben, damit nicht der Aufenthalt ihnen lästig würde. Ich scherzte mit Lippen, die so müde waren, daß sie zu zergehen schienen, meine Augen steckten nur ganz kleine Lichter auf, und in meinen Händen hielt ich das Dunkel, die unberechenbare zweite Welt, die nach mir herüberlangte und mich forderte. Dabei erkannte ich nun ihre Harmlosigkeit, ihre Teilnahme, alles, was sie Rücksicht oder Freundschaft nennen, aber doch nie eine Menschenhaut an die andere näht. Ich sagte einer Frau, wie hübsch ihr Schmuck sei, und dachte dabei bloß, wenn ich ihn doch lösen und mit seiner Nadel ihr den Hals durchstechen dürfte. Meine Schläfen wurden 111 unausgesetzt von heißem Blut befahren und durchrauscht und ich wünschte einzig, daß mich diese Menschen doch bloß lassen möchten. Ich wurde stumm, daß mein Schweigen auffiel, aber einer erzählte gerade die Geschichte eines Bekannten, beladen mit neuen Fakten, so daß ihre Augen brannten und ihre Munde nichts anderes wollten, als diese Geschichte auffressen und zerkauen. So setzte ich mich abseits und spürte ihren angstvollen Blick, daß sie die Erzählung etwa um meinetwillen unterbrechen müßten. Welch heftiger Anteil an den Dingen, wollte mir scheinen, welche übertriebene Wertung des Tatsächlichen, anscheinend auch welche Unfähigkeit, Geschehenes über das Geschehene hinaus als Erlebnis nicht eines bestimmten Menschen, sondern eines Menschen überhaupt zu fassen, was sofort die brennende Farbe von den Lippen geschminkt und die dunkle Glut aus den Augen genommen hätte. Plötzlich brachen sie in ein Lachen aus, welches ich nicht als unmäßig bloß, sondern als unanständig empfand. Den Frauen kollerten vorn die Berge unter den Kleidern durcheinander, ihre Hüften zitterten, und ihre Oberarme erschienen mir wie die Zuckungen von galvanisierten Schenkeln in den regelmäßigen Bewegungen, die aus den Achseln liefen. Bei der einen bohrte sich sogar die Spitze einer Brust sichtbar in den weichen Stoff, und gerade in diesem Augenblick, wo sie ihren Körper aus sich herauszuspannen und er die Luft zu durchstreben schien, wandte sie sich mir zu mit einem in ein Lachen gebadeten Gesicht, ihre Ohren waren durchsichtig, man sah das Blut, in seine Wandungen gespannt, nur der kleine, festgewachsene Ausläufer war 112 fleischiger und wollte das Geheimnis seines Lebens nicht offenbaren. Ihr Haar hatte eine Farbe, die himmlisch schimmerte und hell, in seinem unbestimmten, wechselnden Ton sah man das Leben fließen, das bei dunklem Haar erstarrt ist, und bei schwarzem tot, und wie ich diese natürliche und starke, diese sichere und übermütige Lebenskraft erblickte, diesen Behälter zum Verschwenden voll von Genuß, von Selbstverständlichkeit und Lebensfreude, mußte ich die Augen schließen und den Abgrund suchen, in den sich mein angeschossenes Dasein verstecken und enden lassen konnte. Meine Arme wurden schwer, die Lippen bekamen in die Falten Salz, ich stierte sie an, die hier standen und meine Qual mich nicht ersticken ließen zwischen diesen Wänden. Ich starrte sie an, die Hände gegen sie erhebend, den Mund offen zu dem »Hinaus!« und da verstanden sie mich endlich, drängten zum Gehen, zogen ihre Übermäntel über, verabschiedeten sich und trugen mir viele Wünsche auf, die ich gedachte zu erfüllen, indem ich, sobald sie mich verlassen hätten, die Zunge nach ihnen ausstrecken wollte, schamlose Reden über sie führte, und mit den Händen jede Faser der Decke und des Teppichs aufrichtete, die sie gekrümmt hatten. An den Wänden gedachte ich entlang zu gehen und den Atem von ihnen fortzupusten, ihren Geruch aus den Fenstern auf die Hoffliesen zu schicken, die Vorhänge aber zu schütteln, daß sie das Dasein der Menschen vergaßen und nur noch mich kannten.

Oh, wie war ich glücklich, keinen Hund zu besitzen! Den Hund hätten sie an der Kehle gekraut und ihm das Gehirn ausgekitzelt, seine Läuse gefaßt und seinen 113 Rücken wohlig gemacht mit ihren Händen, und ich hätte ihre Bilder aus den Augen des Tieres wischen müssen, die nur mich hätten in sich tragen dürfen.

Als ich hinter ihnen die Tür geschlossen hatte, konnte ich mich nicht mehr halten. Ich stürzte auf das Bett zu, mich beißend, daß bald Lippen und Hände Zeichen meiner Zähne trugen, und schlug meinen Kopf gegen das Holz, sprang wieder auf, wühlte meinen Kopf in die Gardinen und hob die Arme zu den Wänden wie ein Beter an der Klagemauer. Ich horchte auf, sie waren noch hier, mich schüttelnd hörte ich ihre Gespräche, ihr Lachen, ihr Schreiten und den Wahnsinn ihrer Worte. Alles verschlang sich, mein Weinen, ihr Lachen, meine Tollheit und ihr Übermut, es tanzte durch mein Zimmer und ich tanzte ihm nach, ich sprang auf einen Stuhl, weil es aufwärts zur Decke sprang, und suchte es auf dem Boden, weil es plötzlich unter den Teppich getaumelt schien. Das hatte ich von meiner Mutter, diese Nähe zu den Teppichen; sie konnte krank werden, wenn eine Ecke eines Teppichs umgeschlagen war oder die Fransen sich verwirrten. Ich zupfte die Ecke des Teppichs hoch, bloß ein wenig, sonst sprang es heraus und sprang wieder in die Luft, aber ich wollte es packen mit den Händen und dann sofort in den Mund hineinstecken und hinunterschlucken, denn sonst wurde es nicht tot und zerbarst.

Ernüchtert blieb ich schließlich auf dem Teppich liegen, vergaß, was ich suchte, und konnte mich gar nicht darauf besinnen. Hier lag ich auf dem Boden und spürte eine etwas staubige Luft, ein leichter Geruch von 114 Sohlleder und Absätzen schien aufzufliegen, dazwischen der etwas fettige und zwirnige des Teppichs. Ich legte meine Wange an ihn, er war jetzt meine Mutter, meine Geliebte, meine Frau, mein Junge, an dessen frischen, wohlriechenden Wangen ich meine harten Backen rieb; er war nun die Menschlichkeit, in die ich einging. Ich drückte den Mund auf seine Haare, zog die Beine unter den Körper, sie ein wenig spreizend, die Arme stützte ich auf die Hände, die Hände auf den Teppich und lag nun da wie auf einer Geliebten. Machte sie die Augen zu? War ihr Mund geöffnet? Schlugen ihre Brüste zu mir hoch? Ihr Hals war so weiß, daß ich für ihn Erbarmen hatte mit ihr und sie trinken ließ von meiner Kraft. Ach, wie sie um mich stöhnte und ich in ihr. Nein, ich haßte sie, sie verwirrte mich, sie brachte mich ab von meiner Wand, von meinem Zimmer, von meiner Einsamkeit, von meiner Flucht und meiner Auslöschung.

In diesem Augenblick überfiel mich ein Krampf, und ich wäre fast unter ihm vergangen, denn langsam, schwerfällig, nicht anders denn ein Tier kam meine Wirtschafterin ins Zimmer. Ich weiß nicht, ob sie mich noch in dieser Lage sah, denn als ich es niederklinken hörte, sprang ich auf und stand zitternd da, wie ein Pferd, das nach einem Laufe auf seine Decke wartet. Einen langen Augenblick stellte ich meine Blicke auf ihre stumpfen Tieraugen ein, dann fühlte ich meinen Körper hochgehoben und auf sie zugetrieben, und es mag wohl sein, daß mir, wie man später sagte, ein furchtbarer Schrei aus der Kehle fuhr. Ich stürzte auf sie zu und 115 glaubte mit einem sie zu erfassen und zu zermalmen, die mich so gesehen hatte, daß ich die Schmach und Schande dessen im Leben nicht verwinden würde. Aber ich packte nur die Luft, sie war entronnen, war in ihr Zimmer gestürzt, und als ich gegen die Tür antobte, die Klinke mit der Gewalt meiner Hände fast aus dem Holz riß, fand ich die Tür verriegelt und verschlossen, wahrscheinlich noch mit Sachen obendrein verstellt und von ihrer eigenen, anpressenden Schulter versichert und gestützt; denn ich hörte ihren Atem, der wild wie bei einem heißen Zugtier war, ihr Körper dehnte sich und spannte sich in seinen Kleidern, und davon wurde mir mit einemmal so schlimm, daß ich die Wohnung verließ, daß ich auf die Straße ging und dort wahllos wanderte, Stunde auf Stunde, bis ich schließlich ein Quartier mir in einem Gasthaus suchte. Von dort verständigte ich am Morgen von dem Vorgefallenen einen Freund, bat ihn, die Frau zu entlassen und zu entlohnen und ihr das Versprechen abzunehmen, mir keine Weiterungen zu machen, und als ich am Nachmittag zu Hause eintraf, war die Wohnung ausgeleert und wieder stumm. Ich riß alle Fenster auf und ließ die Türen in den Angeln tanzen, um dann sofort wiederum hinab auf die Straße zu gehen. Das Wetter war stürmisch, und als ich heimkehrte zur Nacht, hörte ich von dem Winde wunderbare, singende Geräusche, er, der Befreier und Besieger, der große Rauscher und Stürmer, war hier gewesen und war noch hier, trieb alle üblen Düfte aus, alle schlechten Erinnerungen und tat mir wohl und liebte mich. Ich stellte mich an das Fenster 116 und preßte meinen Kopf in seine Kleider, und es umrauschte mich und es rieselte in mir. Dann stellte ich mich an die Wand, und wie der Luftzug über sie fuhr und meine Stirn auf der Tapete ihn leise vernahm, seinen goldenen Schritt, sein sanftes Erbeben, wurde ich dankbar, still und in einer neuen Weise sicher, und, die Arme in die Luft werfend, grüßte ich sie, meine geheime Köstlichkeit, ihre tiefe Güte, still und selig meine Einsamkeit.



 << zurück weiter >>