Harriett Beecher Stowe
Onkel Toms Hütte
Harriett Beecher Stowe

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

31. Kapitel

Emmeline und Cassy

Cassy trat ins Zimmer und fand Emmeline bleich vor Furcht in der entferntesten Ecke desselben sitzen. Wie sie eintrat, fuhr das Mädchen angstvoll empor; aber als es Cassy erkannte, sprang es auf, ergriff ihren Arm und sagte: »O Cassy, Ihr seid's? Ach, wie es mich freut, daß Ihr kommt. Ich fürchtete, es wäre –. Ach, Ihr wißt gar nicht, was für ein schrecklicher Lärm den ganzen Abend unten gewesen ist!«

»Ich sollte es wissen«, sagte Cassy trocken. »Ich habe es oft genug gehört!«

»O, Cassy, sagt mir, können wir nicht fort von hier? Es ist mir gleichgültig, wohin – meinetwegen in den Sumpf unter die Schlangen! Könnten wir nicht irgendwohin weg von hier?«

»Nirgendshin, als in unser Grab«, sagte Cassy.

»Habt Ihr es jemals versucht?«

»Ich habe genug gesehen von Versuchen und was danach folgte«, sagte Cassy.

»Ich wollte gern in den Sümpfen leben und die Rinde von den Bäumen nagen. Ich fürchte mich vor den Schlangen; aber lieber wollte ich eine neben mir haben, als ihn«, sagte Emmeline schaudernd.

»Es sind schon viele hier Eurer Meinung gewesen«, sagte Cassy. »Aber Ihr könntet nicht in den Sümpfen bleiben – die Hunde würden Euch aufspüren, und man würde Euch zurückbringen und dann – dann –.«

»Was würde er tun?« sagte das Mädchen und sah ihr mit atemloser Spannung ins Gesicht.

»Was würde er nicht tun? solltet Ihr lieber fragen«, sagte Cassy. »Er hat sein Handwerk unter den Piraten Westindiens gut gelernt. Ihr würdet nicht viel schlafen, wenn ich Euch Sachen erzählen wollte, die ich gesehen habe – Sachen, die er manchmal als gute Späße erzählt. Ich habe hier Schreie gehört, die ich mehrere Wochen lang nicht habe vergessen können. Dort bei den Baracken ist ein abgelegener Platz, wo Ihr einen schwarzen verbrannten Baum sehen könnt, rund um den die Erde mit Kohle und Asche bedeckt ist. Fragt jemanden, was dort geschehen ist, und seht, ob sie es wagen werden, es Euch zu sagen.«

»Ach was meint Ihr?«

»Ich mag es Euch nicht erzählen. Der Gedanke daran ist mir verhaßt. Und ich sage Euch, Gott allein weiß, was wir vielleicht morgen noch zu sehen bekommen, wenn dieser arme Mann so aushält, wie er angefangen hat.«

»Entsetzlich!« sagte Emmeline, deren Wangen leichenblaß wurden. »O Cassy, sagt mir, was ich tun soll!«

»Was ich getan habe. Lebt so gut, als es Euch erlaubt ist; tut, was Ihr müßt, und macht es gut mit Hassen und Verwünschungen.«

»Er wollte durchaus, ich sollte von seinem abscheulichen Branntwein trinken«, sagte Emmeline, »und er ist mir so verhaßt –«

»Ihr tut besser, wenn Ihr welchen trinkt«, sagte Cassy. »Er war mir auch einmal ein Abscheu, und jetzt kann ich nicht ohne ihn leben. Man muß etwas haben; die Sachen sehen nicht so schrecklich aus, wenn man sich das angewöhnt.«

»Die Mutter sagte mir immer, ich sollte nie einen Tropfen davon anrühren«, sagte Emmeline.

»Die Mutter hat es Euch gesagt!« sagte Cassy mit herzdurchdringendem, bitterem Nachdruck auf dem Worte Mutter verweilend. »Wozu sagen Mütter überhaupt etwas? Was nützt es? Ihr müßt doch alle verkauft und bezahlt werden, und Eure Seelen gehören dem, welcher Euch erwirbt. So geht es einmal in der Welt zu. Ich sage, trinkt Branntwein, trinkt so viel Ihr könnt, und es wird Euch leichter auf der Welt werden.«

»O Cassy! Habt Mitleid mit mir!«

»Mitleid! Habe ich es nicht? Habe ich nicht eine Tochter – Gott weiß, wo sie jetzt ist und wem sie gehört! Sie wird wohl den Weg gehen, den ihre Mutter vor ihr gegangen ist und den ihre Kinder nach ihr gehen müssen! Dieser Fluch dauert in alle Ewigkeit fort!«

»Ich wollte, ich wäre nie geboren!« sagte Emmeline und rang die Hände.

»Das habe ich schon oft gewünscht«, sagte Cassy. »Ich habe mich an den Wunsch gewöhnt. Ich würde sterben, wenn ich's wagte«, sagte sie und sah mit der stillen und starren Verzweiflung, welche sich gewöhnlich in ihrem Gesicht ausdrückte, wenn sie schwieg, in die Nacht hinaus.

»Es wäre gottlos, sich selbst das Leben zu nehmen«, sagte Emmeline.

»Ich weiß nicht, warum; es ist nicht gottloser, als so wie wir zu leben und Tag für Tag zu sein. Aber die Schwestern erzählten mir Dinge, als ich im Kloster war, die mir Furcht vor dem Tode einflößten. Wenn es nur das Ende von allem wäre, ja dann –«

Emmeline wendete sich weg und verbarg ihr Gesicht mit den Händen.

Während dieses Gespräch in der Kammer stattfand, war Legree von den Folgen des Gelages unten im Zimmer in Schlaf gesunken. Legree war kein Trunkenbold. Seine grobe, starke Natur verlangte und ertrug eine beständige Anreizung, die eine feinere Natur ganz aus den Angeln gehoben hätte. Aber eine ihm tief eingeprägte Neigung zur Vorsicht hielt ihn ab, oft der Versuchung in solchem Maße nachzugeben, daß er alle Gewalt über sich verlor.

Diese Nacht hatte er jedoch in seinen fieberischen Versuchen, aus seiner Seele die schrecklichen Elemente des Schmerzes und der Reue, die in ihm erwachten, zu verbannen, mehr als gewöhnlich genossen, so daß er, als er seine schwarzen Zechgenossen entlassen hatte, schwer in einen Sessel sank und fest einschlief.

Als Legree am nächsten Morgen erwachte, schenkte er sich ein großes Glas Branntwein ein und trank es halb aus.

»Ich habe eine höllische Nacht gehabt!« sagte er zu Cassy, die gerade zu einer entgegengesetzten Türe hineintrat.

»Du wirst bald noch viele von der Art haben«, sagte sie trocken.

»Was meinst du damit?«

»Das wirst du schon mit der Zeit sehen«, gab Cassy in demselben Tone zurück. »Aber jetzt, Simon, habe ich dir einen guten Rat zu geben.«

»Beim Teufel auch!«

»Mein Rat ist«, sagte Cassy ruhig, wie sie hier und da im Zimmer einige Ordnung herzustellen versuchte, »daß du Tom ungeschoren läßt.«

»Was geht das dich an?«

»Was? Allerdings eigentlich nichts. Wenn du Lust hast, für einen Burschen 1200 Dollar zu bezahlen und ihn in der pressantesten Zeit der Lese zugrunde zu richten, bloß um deiner Bosheit zu genügen, so geht das mich nichts an. Ich habe mein möglichstes getan.«

»So? Was mischest du dich in meine Angelegenheiten?«

»Sie gehen mich eigentlich nichts an, das ist wahr. Ich habe dir schon zu verschiedenen Zeiten einige tausend Dollar erspart, weil ich deine Sklaven gepflegt habe – und das ist mein Dank dafür. Wenn du mit einer geringeren Ernte auf den Markt kommst als die übrigen, so verlierst du wahrscheinlich deine Wette, nicht? Tomkins wird wahrscheinlich nicht auf dich herabsehen, und du wirfst ihm das Geld auf den Tisch, nicht wahr? Ich sehe dich schon!«

Wie viele andere Plantagenbesitzer hatte Legree nur einen Ehrgeiz – die größte Ernte für dieses Jahr zu haben; und gerade für diese Lese war er in der nächsten Stadt mehrere Wetten eingegangen. Mit dem den Frauen eigentümlichen Takt hatte daher Cassy die einzige Saite berührt, die bei ihm anklingen konnte.

»Nun, es soll bei dem bleiben, was er bekommen hat«, sagte Legree, »aber er muß mich um Verzeihung bitten und sich besser aufzuführen versprechen.«

»Das wird er nicht tun«, sagte Cassy.

»Nicht, he?«

»Nein, er wird es nicht tun«, sagte Cassy.

»Ich möchte das Warum wissen, Mistreß«, sagte Legree mit dem äußersten Hohne.

»Weil er gut gehandelt hat und es weiß und nicht sagen wird, er habe unrecht getan.«

»Wer, zum Teufel, schert sich darum, was er weiß? Der Nigger soll sagen, was ich haben will, oder –«

»Oder du verlierst deine Wette wegen der Baumwollernte, weil du ihn gerade, wenn er am notwendigsten ist, von der Feldarbeit fern hältst.«

»Aber er wird nachgeben – natürlich; als ob ich die Nigger nicht kennte! Er wird heute morgen betteln wie ein Hund.«

»Das wird er nicht, Simon; du kennst diese Art nicht. Du kannst ihn zollweise töten, aber du bekommst nicht das erste Wort der Nachgiebigkeit aus ihm heraus.«

»Wir werden sehen. Wo ist er?« sagte Legree und ging hinaus.

»In der Rumpelkammer des Speichers, wo der Baumwollgin steht«, sagte Cassy.

Obgleich Legree sich so tapfer gegen Cassy geäußert hatte, verließ er doch das Haus mit einem Grade von Bangigkeit, die bei ihm nicht gewöhnlich war. Seine Träume während vergangener Nacht und Cassys Abmachungen hatten einen großen Eindruck auf sein Gemüt gemacht. Niemand sollte Zeuge seines Versuchs bei Tom sein, und er beschloß, wenn er ihn nicht durch Einschüchterung zur Unterwerfung bringen könnte, seine Rache bis auf eine gelegene Zeit zu verschieben.

»Nun, Bursche«, sagte Legree mit einem verächtlichen Fußstoße, »wie geht dir's heute? Sagte ich dir nicht, ich wollte dich eine Kleinigkeit lehren? Wie gefällt dir's denn eigentlich? Wie ist dir denn die Peitsche bekommen, Tom? Nicht wahr, ganz so munter, wie gestern abend, nicht wahr? Du könntest jetzt wohl nicht einen armen Sünder mit einem Stück Predigt dienen? He?«

Tom gab keine Antwort.

»Steh auf, du Bestie!« sagte Legree und gab ihm wieder einen Fußtritt.

Das war nicht leicht für einen, der so wund und schwach war, und da es Tom sehr viel Mühe machte, lachte Legree roh.

»Was macht dich nur heute morgen so munter, Tom, oder hast du dich vielleicht diese Nacht erkältet?«

Tom war mittlerweile auf die Füße gekommen und stand seinem Herrn mit ruhiger und unbewegter Stirn gegenüber.

»Den Teufel auch, es geht noch!« sagte Legree und betrachtete ihn vom Kopf bis zu den Füßen. »Ich glaube, du hast noch nicht genug bekommen. Jetzt, Tom, kniest du nieder und bittest mich für deine Streiche von gestern abend um Verzeihung.«

Tom regte sich nicht.

»Knie nieder, du Hund!« sagte Legree und schlug ihn mit der Reitpeitsche.

»Master Legree«, sagte Tom, »ich kann nicht. Ich habe nur getan, was ich für recht hielt. Ich werde es wieder so machen, wenn die Gelegenheit dazu kommt. Ich werde nie eine grausame Handlung begehen. Komme, was da wolle.«

»Ja, aber du weißt nicht, was da kommen mag, Master Tom. Du denkst, was du bekommen hast, sei etwas. Ich sage dir, das ist noch nichts – noch gar nichts. Wie würde dir's gefallen, wenn man dich an einen Baum bände und ein langsames Feuer rings um dich anzündete? Wäre das nicht hübsch – he, Tom?«

»Master«, sagte Tom, »ich weiß, Sie können schreckliche Dinge tun, aber« – er richtete sich empor und schlug die Hände zusammen – »aber nachdem Sie den Leib getötet haben, können Sie weiter nichts tun. Und ach, dann kommt die ganze Ewigkeit!«

»Ewigkeit« – das Wort durchzuckte des Negers Seele, wie er sprach, mit Licht und Macht – es zuckte auch durch des Sünders Seele wie ein Skorpionenstich. Legree knirschte mit den Zähnen, aber die Wut machte ihn stumm, und Tom sprach wie ein von Fesseln befreiter Mann mit klarer und heiterer Stimme:

»Master Legree, da Sie mich gekauft haben, will ich Ihnen ein wahrer und getreuer Knecht sein. Sie sollen alle Arbeit meiner Hände, alle meine Zeit, alle meine Kräfte haben, aber meine Seele gebe ich in keines sterblichen Menschen Hand. Ich will an dem Herrn festhalten und seine Gebote über alles setzen, mag ich sterben oder leben, darauf können Sie sich verlassen. Master Legree, ich fürchte mich nicht im geringsten vor dem Tode. Ich würde ebensogern gleich sterben als leben bleiben. Sie können mich peitschen, mich hungern lassen, mich verbrennen – es wird mich nur zeitiger dahin bringen, wohin ich verlange.«

»Ich will dich aber schon nachgeben machen, ehe ich mit dir fertig bin!« schrie ihn Legree voll Wut an.

»Ich werde Hilfe haben«, sagte Tom. »Es wird Ihnen nie gelingen.«

»Wer, zum Teufel, soll dir helfen?« sagte Legree höhnisch.

»Gott der Allmächtige!« sagte Tom.

»Verdammt seist du!« sagte Legree und schlug Tom mit seiner schweren Faust zu Boden.

In diesem Augenblick fühlte Legree eine kalte weiche Hand auf der seinen. Er drehte sich um – es war Cassy; aber die kalte weiche Berührung erinnerte ihn an seinen Traum von voriger Nacht, und es drängten sich durch sein Gehirn alle die schrecklichen Bilder der ruhelosen Nächte und ein Teil des Entsetzens, welches dieselben begleitete.

»Willst du immer unverständig sein?« sagte Cassy auf französisch. »Laß ihn gehen! Überlaß es mir, ihn wieder tauglich zu machen. Ist es nicht ganz so, wie ich gesagt habe?«

Man sagt, der Alligator oder das Rhinozeros hätten, obgleich in kugelfeste Panzer eingehüllt, jeder eine Stelle, wo sie leicht verletzlich wären; und bei wilden, frechen und gottlosen Verworfenen besteht dieser wunde Fleck gewöhnlich in einer abergläubischen Furcht. »Hörst du!« sagte er zu Tom. »Ich schone dich jetzt, weil die Arbeit treibt und ich alle meine Leute brauche, aber ich vergesse nie. Ich merke es dir auf dem Kerbholze an, und es wird schon die Zeit kommen, wo du es mir mit deinem alten, schwarzen Fell bezahlen mußt – das merke dir!«

Legree drehte sich um und ging zur Tür hinaus.


 << zurück weiter >>