Harriett Beecher Stowe
Onkel Toms Hütte
Harriett Beecher Stowe

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17. Kapitel

Topsy

Eines Morgens, als Ophelia einer ihrer häuslichen Pflichten oblag, rief sie St. Clare unten von der Treppe herauf.

»Komm einmal herunter, Cousine, ich muß dir etwas zeigen.«

»Was gibt's?« sagte Miß Ophelia, als sie mit der Näherei herunterkam.

»Ich habe dir etwas gekauft – sieh her«, sagte St. Clare, mit diesen Worten schob er ein kleines Negermädchen von acht oder neun Jahren vor. Die Kleine gehörte zu den Schwärzesten ihres Geschlechts; und ihre runden, hellen Augen, glänzend wie Glaskorallen, schweiften mit raschen und ruhigen Blicken über alle Einzelheiten der Umgebung. Den Mund halb geöffnet vor Erstaunen über die Wunder der Stube des neuen Herrn, zeigte sie zwei Reihen weißer glänzender Zähne. Das wollige Haar war in kleine Zöpfchen geflochten, die in jeder Richtung emporstanden. Der Ausdruck des Gesichts war ein seltsames Gemisch von Schlauheit und List, welches als eine Art von Schleier einen Ausdruck kläglichster Ernsthaftigkeit und Feierlichkeit drollig überdeckte. Die Kleine hatte nur ein einziges, schmutziges, zerrissenes Kleidungsstück von Sackleinwand an und stand da mit ehrbar gefalteten Händen. Im ganzen war etwas Seltsames und Koboldartiges in der ganzen Erscheinung – etwas, wie sich Miß Ophelia später ausdrückte, »so Heidnisches«, daß der guten Dame ganz bange dabei wurde; und zu St. Clare gewendet sagte sie:

»Aber Augustin, wozu in aller Welt hast du mir dieses Geschöpf gebracht?«

»Damit du es erziehst und ihm den Weg zeigst, den es gehen soll, natürlich. Die Kleine kam mir wie ein ziemlich drolliges Exemplar von dem Vogelscheuchengeschlecht vor. Na Topsy«, fügte er hinzu und pfiff wie jemand, der die Aufmerksamkeit eines Hundes erregen will, »singe uns ein Lied und zeige uns, wie du tanzen kannst.«

In den schwarzen hellen Augen glitzerte eine Art boshafter Humor, und die Kleine stimmte mit einer klaren, schrillen Stimme eine seltsame Negermelodie an, zu der sie mit Händen und Füßen Takt schlug, sich herumdrehte und in einem wilden phantastischen Takte mit den Händen klatschte und die Knie zusammenschlug und alle ihre Bewegungen mit den seltsamen Kehltönen begleitete, welche die dieser Rasse eigentümliche Musik auszeichnen; und zuletzt kam sie mit ein oder zwei Luftsprüngen und einer langen Schlußkadenz, die so wunderlich und unheimlich klang wie der Pfiff eines Dampfwagens, plötzlich auf den Teppich herab und stand da mit gefalteten Händen und einem höchst scheinheiligen Ausdruck von Demut und Feierlichkeit auf dem Gesicht, zu dem nur die schlauen schielenden Seitenblicke aus den Augenwinkeln nicht recht passen wollten.

Ganz stumm vor Staunen stand Ophelia da.

St. Clare schien mit boshaftem Behagen sich über ihr Erstaunen zu freuen und sagte zu dem Kinde gewendet:

»Topsy, das ist deine neue Herrin. Ich werde dich ihr übergeben; trag Sorge, daß du dich gut aufführst.«

»Ja, Master«, sagte Topsy mit scheinheiligem Ernste, während ihre boshaften Augen funkelten.

»Du mußt dich gut aufführen, Topsy, verstehst du«, sagte St. Clare.

»O ja, Master«, sagte Topsy mit einem anderen funkelnden Blick, während ihre Hände immer noch fromm gefaltet blieben.

»Aber Augustin, was in aller Welt soll das bedeuten?« sagte Ophelia. »Dein Haus ist bereits so voll von diesen kleinen Plagegeistern, daß kein Mensch seinen Fuß wohin setzen kann, ohne auf sie zu treten. Ich stehe früh auf und finde einen hinter der Tür schlafen, und sehe einen schwarzen Kopf unter dem Tisch hervorgucken und einen andern auf dem Strohteller vor der Tür liegen, und sie lungern auf allen Geländern herum und balgen sich auf dem Küchenflur! Wozu in aller Welt bringst du das eine noch her?«

»Du sollst es erziehen – habe ich es dir nicht gesagt? Du predigst immer vom Erziehen. Ich dachte, ich wollte dir ein frisch gefangenes Exemplar schenken, damit du dich an ihm üben und es im Guten und Rechten unterweisen könntest.«

»Ich mag die Kleine nicht, das weiß ich; ich habe ohnedies schon mehr mit ihnen zu tun, als ich wünsche.«

»So seid ihr Christen alle! Ihr stiftet eine Gesellschaft und mietet einen armen Missionar, daß er sein ganzes Leben unter solchen Heiden zubringen soll. Aber den möchte ich sehen von euch, der einen derselben in sein Haus aufnehmen und sich der Arbeit seiner Bekehrung selbst unterziehen möchte! Nein, wenn es dazu kommt, sind sie schmutzig und garstig, und es ist zuviel Plage usw.«

»Augustin, du weißt, daß ich die Sache nicht in diesem Licht ansehe«, sagte Miß Ophelia schon sanfter gestimmt. »Es könnte am Ende doch ein echtes Missionswerk sein«, sagte sie und sah das Kind bereits mit etwas günstigerem Auge an.

St. Clare hatte die rechte Seite berührt. Miß Ophelias Gewissenhaftigkeit stand immer auf der Hut. »Aber«, setzte sie hinzu, »ich sehe wahrhaftig nicht ein, wozu du das Kind noch gekauft hast – wir haben schon so viel im Hause, daß sie alle meine Zeit und Kraft in Anspruch nehmen.«

»Nun, komm nur, Cousine«, sagte St. Clare, indem er sie beiseite zog, »ich sollte dich wegen meiner nichtsnutzigen Reden eigentlich um Verzeihung bitten. Im Grunde bist du so gut, daß sie keinen Sinn haben. Die Wahrheit ist, das Kind gehörte einem ewig betrunkenen paar Leuten, die eine gemeine Schenke, an welcher ich jeden Tag vorbeigehe, besitzen; und ich war müde, das Kind schreien und seine Herrschaft es schlagen und ausschimpfen zu hören. Die Kleine sah außerdem munter und drollig aus, als ob sich etwas aus ihr machen ließe; deshalb kaufte ich sie, um sie dir zu schenken. Versuche es nun einmal und gib ihr eine gute orthodoxe, neuengländische Erziehung, und sieh zu, was du aus ihr machen kannst, du weißt, ich habe dazu keine Anlage, aber ich möchte gern, daß du es versuchtest.«

»Nun, ich will tun, was ich kann«, sagte Miß Ophelia, und sie näherte sich ihrem neuen Zögling ziemlich so, wie sich jemand einer schwarzen Spinne nähern würde, vorausgesetzt, daß er wohlwollende Absichten auf sie hätte.

»Sie ist schrecklich schmutzig und halbnackt«, sagte sie.

»Nun, so nimm sie mit hinunter und laß sie von den Leuten reinigen und kleiden.«

Miß Ophelia brachte sie in die Küche hinunter.

»Ich sehe nicht ein, wozu Master Clare noch Nigger braucht«, sagte Dinah, welche den neuen Ankömmling mit keineswegs freundlichen Blicken betrachtete. »Sie mag mir nicht unter die Hände kommen, das weiß ich!«

»Pfui!« sagten Rosa und Jane mit großartiger Verachtung. »Sie mag uns aus dem Wege gehn! Wozu in aller Welt Master noch mehr von diesen gemeinen Niggern braucht!«

»Seid still da! Nicht mehr Nigger als Ihr selber, Miß Rosa«, sagte Dinah, welche sich von dieser letzten Bemerkung beleidigt fühlte. »Ihr scheint Euch gar für Weiße zu halten. Ihr seid keins von beiden – weder weiß noch schwarz. Ich möchte entweder nur das eine oder das andere sein.«

Miß Ophelia mußte bald bemerken, daß sich unter der Dienerschaft niemand fand, der das Reinigen und Ankleiden des neuen Ankömmlings übernehmen wollte. So mußte sie es denn selber tun, wobei ihr Jane widerwilligen Beistand leistete.

Miß Ophelia hatte einen guten Teil praktischer Entschlossenheit, und sie unterzog sich allen den ekelhaften Einzelheiten mit heldenmütiger Gründlichkeit, obgleich, wir müssen es gestehen, mit keiner sehr freundlichen Miene – denn zu mehr als zum bloßen Dulden konnten sie ihre Prinzipien nicht bringen. Als sie auf dem Rücken und den Schultern der Kleinen große Striemen und Narben entdeckte, die unauslöschlichen Zeugen des Systems, unter dem sie bis jetzt aufgewachsen war, da begann ihr Herz Erbarmen mit der Kleinen zu fühlen.

»Sehen Sie nur!« sagte Jane und wies auf die Narben. »Zeigt das nicht, daß sie ein Höllenbraten ist? Sie wird uns schön zu schaffen machen, rechne ich. Ich kann diese Niggerkinder auf den Tod nicht leiden! Sie sind so ekelhaft! Ich möchte nur wissen, wozu es Master gekauft hätte.«

Das Niggerkind hörte alle diese Bemerkungen mit der demütigen und kläglichen Miene an, die ihr Gewohnheit zu sein schien, und betrachtete nur mit einem scharfen und verstohlenen Blick seiner glitzernden Augen den Schmuck, den Jane in den Ohren trug. Als die Kleine endlich dastand, in einen anständigen und nicht zerrissenen Anzug gekleidet und das Haar kurz geschoren, sagte Miß Ophelia mit einiger Befriedigung, daß sie nunmehr wie ein Christenkind aussehe, und fing schon innerlich einige Pläne zu ihrer Erziehung zu überlegen an.

Sie setzte sich vor sie hin und fing an, sie zu examinieren.

»Wie alt bist du, Topsy?«

»Weiß nicht, Missis«, sagte der Kobold mit einem Grinsen, das alle Zähne zeigte.

»Du weißt nicht, wie alt du bist? Hat dir es niemand gesagt? Wer war deine Mutter?«

»Hab' nie keine gehabt!« sagte das Kind abermals grinsend.

»Du hast keine Mutter gehabt? Was meinst du damit? Wo bist du geboren?«

»Bin nie nicht geboren!« beteuerte Topsy mit einem so koboldartigen Grinsen, daß Miß Ophelia, wenn sie nervenschwach gewesen wäre, hätte glauben können, sie hätte einen schwarzen Gnomen aus der Unterwelt erwischt; aber Miß Ophelia war nicht nervenschwach, sondern einfach und praktisch und sagte daher mit einiger Strenge:

»Du darfst mir nicht so antworten, Kind, ich spiele nicht mit dir. Sage mir, wo du geboren bist und wer dein Vater und deine Mutter waren.«

»Bin nie nicht geboren«, wiederholte der Kobold noch emphatischer, »hatte nie Vater oder Mutter oder sonst was. Ein Sklavenhändler hat mich aufgezogen mit vielen andern. Alte Tante Sue wartete uns ab.«

Das Kind sprach offenbar die Wahrheit, und Jane sagte mit einem gezierten Lachen:

»Ach Gott, Missis, solche gibt's in Unmassen. Spekulanten kaufen sie billig, wenn sie ganz klein sind, und ziehen sie zum Verkauf auf.«

»Wie lange bist du bei deiner Herrschaft?«

»Weiß nicht, Missis.«

»Ein Jahr oder mehr oder weniger?«

»Weiß nicht, Missis.«

»Ach Missis, diese gemeinen Nigger können so was nicht sagen; sie wissen nichts von der Zeit«, sagte Jane. »Sie wissen nicht, was ein Jahr ist; sie wissen nicht, wie alt sie sind.«

»Hast du etwas von Gott gehört, Topsy?«

Das Kind machte bei dieser Frage ein ganz verblüfftes Gesicht, grinste aber wie gewöhnlich.

»Weißt du, wer dich erschaffen hat?«

»Niemand, soviel ich weiß«, sagte das Kind mit einem kurzen Lachen.

Der Gedanke schien ihm ganz vorzüglichen Spaß zu machen, denn seine Augen funkelten und es setzte hinzu:

»Ich glaube, ich bin gewachsen. Glaub' nicht, daß mich jemand geschaffen hat.«

»Kannst du nähen?« sagte Miß Ophelia, welche ihren Fragen eine mehr praktische Richtung zu geben gedachte.

»Nein, Missis.«

»Was kannst du? – Was hast du bei deiner Herrschaft gemacht?«

»Wasser geholt und Geschirr gewaschen und Messer geputzt und den Leuten aufgewartet.«

»Haben sie dich gut behandelt?«

»Vermute«, sagte das Kind, indem es Miß Ophelia schlau ansah.

Miß Ophelia erhob sich von dieser ermutigenden Prüfung; St. Clare stand hinter ihr auf die Stuhllehne gestützt.

»Du findest hier jungfräulichen Boden, Cousine; pflanze deine eigenen Begriffe hinein – du wirst nicht viel erst aufzuräumen haben.«

Miß Ophelias Begriffe von Erziehung waren, wie alle ihre anderen Begriffe, sehr abgeschlossen und bestimmt und von der Art, wie sie vor einem Jahrhundert in Neuengland vorherrschten und selbst noch in sehr abgelegenen und unverdorbenen Gegenden bestehen, wo keine Eisenbahnen hinkommen. Sie ließen sich so ziemlich in sehr wenige Worte zusammenfassen. Dem Kinde wurde gelehrt, zu gehorchen, wenn man ihm etwas hieß; es wurde ihm der Katechismus, Nähen und Lesen gelehrt; und es bekam Schläge, wenn es log, und obgleich diese Ansichten natürlich durch die über die Erziehungsfrage ausgegossene Flut von Licht weit überholt sind, so ist es doch unbestreitbar, daß unsere Großmütter einige recht verständige Männer und Frauen auf die Weise erzogen haben, wie viele von uns sich erinnern und bezeugen können. Jedenfalls wußte es Miß Ophelia nicht anders und widmete sich daher ihrem heidnischen Zöglinge mit dem möglichsten Fleiße.

Das Kind galt im ganzen Hause als Miß Ophelias Mädchen, und da es vor den Herrschaften in der Küche durchaus keine Gnade fand, so beschloß Miß Ophelia, seinen Wirkungskreis und seinen Unterricht hauptsächlich auf ihr Zimmer zu beschränken. Mit einer Opferbereitwilligkeit, welche einige unserer Leser werden würdigen können, faßte sie den Entschluß, anstatt sich selbst ihr Bett zu machen und selbst ihr Zimmer zu kehren und zu ordnen – was sie bisher getan hatte, alle Hilfsanerbietungen des Hausmädchens entschieden zurückweisend –, sich dem Märtyrertum zu unterwerfen, Topsy in diesen Verrichtungen Unterricht zu erteilen. Aber wehe über diesen Tag! Wenn jemals unser Leser so etwas versucht hat, so wird er die Größe ihres Opfers würdigen können.

Miß Ophelia fing damit an, am ersten Morgen Topsy mit auf ihr Zimmer zu nehmen und einen feierlichen Kursus in der Kunst und den Geheimnissen des Bettmachens zu beginnen.

Topsy, gewaschen und der kleinen geflochtenen Schwänzchen beraubt, die ihres Herzens Freude waren, in einer reinen Kutte und einer gut gestärkten Schürze, steht ehrerbietig vor Miß Ophelia und macht ein so feierliches Gesicht, daß es sich zu einem Leichenbegräbnisse geschickt haben würde.

»Nun, Topsy, werde ich dir zeigen, wie du mein Bett machen mußt. Ich bin sehr eigen mit meinem Bett. Du mußt ganz genau lernen, wie es gemacht werden muß.«

»Ja, Ma'am«, sagte Topsy mit einem tiefen Seufzer und einem Gesicht voll kläglichen Ernstes.

»Also sieh, Topsy, das ist der Saum des Bettuches – das ist die rechte Seite des Bettuchs, und das die linke: Wirst du das behalten?«

»Ja, Ma'am«, sagte Topsy wieder mit einem Seufzer.

»Nun, das Unterbettuch mußt du über das Polsterkissen legen – und es recht hübsch und glatt unter die Matratze stopfen – siehst du?«

»Ja, Ma'am«, sagte Topsy mit tiefer Aufmerksamkeit.

»Aber das obere Bettuch«, sagte Miß Ophelia, »muß so gelegt und fest und glatt unten zu Füßen untergestopft werden – so –, der schmale Saum zu Füßen.«

»Ja, Ma'am«, sagte Topsy wie vorhin; aber wir müssen hinzusetzen, was Miß Ophelia nicht sah, daß während der Zeit, wo ihr die gute Dame in ihrem Lehreifer den Rücken zugekehrt hatte, die junge Schülerin Gelegenheit fand, ein paar Handschuhe und ein Band zu stehlen, welches sie geschickt in ihre Ärmel gleiten ließ, worauf sie wieder mit gehorsam gefalteten Händen dastand wie vorher.

»Nun versuch du es einmal, Topsy«, sagte Miß Ophelia, indem sie die Bettücher wieder entfernte und sich setzte.

Topsy verrichtete das Befohlene mit großer Geschicklichkeit zu Miß Ophelias vollkommener Befriedigung; sie strich die Bettücher glatt, klopfte jede Falte heraus und zeigte bei der ganzen Arbeit einen Ernst und eine Würde, von der sich ihre Lehrerin höchlichst erbaut fühlte. Durch ein unglückliches Versehen guckte jedoch gerade, als sie fertig war, ein Endchen des Bandes aus dem Ärmel heraus, und Miß Ophelia sah es. Auf der Stelle ergriff sie es. »Was ist das? Du böses, schlechtes Kind – das hast du gestohlen!«

Obgleich Ophelia das Band aus Topsys eigenem Ärmel zog, so geriet das Kind doch nicht im mindesten außer Fassung; es sah den Fund nur mit einer Miene der überraschtesten und arglosesten Unschuld an.

»Ob das nicht Miß Feelys Band ist! Wie mag's nur in meinen Ärmel gekommen sein!«

»Topsy, du böses Mädchen, lüge nicht! Du hast das Band gestohlen!«

»Misses, wahrhaftig, ich hab's nicht gestohlen; sehe es diese Minute zum allerersten Mal.«

»Topsy«, sagte Miß Ophelia, »weißt du nicht, daß es schlecht ist zu lügen?«

»Ich lüge nie, Miß Feely«, sagte Topsy mit tugendhaftem Ernste. »Es ist die reine Wahrheit, was ich Ihnen gesagt habe, und weiter nichts.«

»Topsy, ich werde dir die Peitsche geben lassen, wenn du so lügst.«

»Ach, Missis, und wenn Sie mich den ganzen Tag peitschen lassen, kann ich nichts anderes sagen«, sagte Topsy und fing an zu flennen. »Ich habe das Band noch mit keinem Auge gesehen, und es muß sich in meinen Ärmel verkrochen haben. Miß Feely hat's gewiß auf dem Bett liegenlassen, und es ist unter die Bettücher gekommen und so in meinen Ärmel geraten.«

Miß Ophelia war so empört über die freche Lüge, daß sie das Kind faßte und schüttelte. »Sage mir das nicht noch einmal.«

Durch dieses Schütteln fielen die Handschuhe aus dem anderen Ärmel in die Stube.

»Da siehst du?« sagte Miß Ophelia. »Wirst du jetzt noch leugnen, daß du das Band gestohlen hast?«

Topsy bekannte jetzt den Diebstahl der Handschuhe, aber leugnete immer noch hinsichtlich des Bandes.

»Topsy, wenn du alles gestehen willst, sollst du diesmal nicht die Peitsche bekommen«, sagte Miß Ophelia. Auf dieses Versprechen bekannte sich Topsy zum Diebstahle des Bandes und der Handschuhe mit den kläglichsten Bußbeteuerungen.

»Jetzt gestehe es mir nur. Ich weiß, du mußt auch andere Dinge gestohlen haben, seit du hier bist, denn ich habe dich gestern den ganzen Tag frei herumlaufen lassen. Gestehe jetzt, was du genommen hast, und ich will dich nicht schlagen.«

»Ach, Missis! Ich habe Miß Evas rotes Ding genommen, das sie um den Hals trägt.«

»Was? Du böses Kind! Nun, was sonst noch?«

»Rosas Ohrringe – die roten.«

»Geh und bring mir alle beide Sachen gleich die Minute her.«

»Ach Missis, das kann ich nicht – sie sind verbrannt.«

»Verbrannt – was für eine Lüge! Hole sie oder du bekommst die Peitsche.«

Mit lauten Beteuerungen und Tränen und Seufzern erklärte Topsy, daß es ihr unmöglich sei.

»Sie sind verbrannt – rein verbrannt!«

»Warum hast du sie verbrannt?« sagte Miß Ophelia.

»Weil ich ein böses Kind bin. Ich bin schrecklich böse, sagen die Leute. Ich kann nichts dafür.«

In diesem Augenblick kam Eva zufällig ins Zimmer, geschmückt mit dem Korallenhalsband, von dem die Rede war.

»Was, Eva, wo hast du dein Halsband herbekommen?« sagte Miß Ophelia.

»Herbekommen? Ich habe es ja den ganzen Tag umgehabt«, sagte Eva.

»Hattest du es auch gestern immer?«

»Jawohl, und was das Drolligste ist, Tantchen, ich hatte es die ganze Nacht um. Ich vergaß es abzunehmen, als ich zu Bett ging.«

Miß Ophelia wußte nicht, was sie denken sollte, um so mehr, als jetzt auch Rosa ins Zimmer trat, mit einem Körbchen frischgeplätteten Leinenzeugs auf dem Kopfe und den Korallengehängen in den Ohren.

»Ich weiß wahrhaftig nicht, was ich mit einem solchen Kinde machen soll! Wozu, in aller Welt, sagtest du mir, du hättest diese Sachen gestohlen, Topsy?«

»Ach, Missis sagte ja, ich sollte bekennen; und ich wußte nichts anderes«, sagte Topsy und wischte sich die Augen.

»Aber natürlich verlange ich nicht, du solltest mir Dinge bekennen, die du nicht getan hast«, sagte Miß Ophelia, »das ist so gut eine Lüge wie das andere.«

»Ach wirklich?« sagte Topsy mit einer Miene unschuldiger Verwunderung.

»Ja, 's ist auch kein Funken Wahrheit in diesem Satanskind«, sagte Rosa und sah Topsy mit bösem Gesicht an. »Wenn ich Master St. Clare wäre, wollte ich sie peitschen, daß ihr das Blut vom Rücken liefe; sie sollte es schon kriegen!«

»Nein, nein, Rosa«, sagte Eva mit einer befehlenden Miene, welche das Kind manchmal anzunehmen verstand, »so darfst du nicht sprechen, Rosa. Ich kann das nicht mit anhören.«

»Herrjemine! Miß Eva, Sie sind so gut und verstehen es nicht, wie man mit Niggern umspringen muß. Es gibt kein anderes Mittel, als sie blutig zu schlagen. Darauf verlassen Sie sich.«

»Rosa«, sagte Eva, »still! Kein Wort wieder von dieser Art.« Und das Auge des Kindes flammte auf, und seine Wange rötete sich tiefer. Rosa war in einem Augenblick eingeschüchtert.

»Miß Eva hat das St.-Clare-Blut in ihren Adern, das ist klar. Sie kann wahrhaftig gerade so sprechen wie ihr Papa«, sagte sie, indem sie das Zimmer verließ.

Eva stand da und betrachtete Topsy.

Als Miß Ophelia über Topsys Schlechtigkeit schalt, machte das Kind ein verwundertes und betrübtes Gesicht, sagte aber sanft:

»Arme Topsy, warum stiehlst du? Du sollst es ja jetzt gut hier haben. Gewiß will ich dir lieber etwas von meinen Sachen geben, als daß du stiehlst.«

Es war das erste freundliche Wort, welches das Kind in seinem Leben gehört hatte; und der sanfte Ton und die sanfte Weise berührte seltsam das wilde rohe Herz, und es funkelte etwas wie eine Träne in dem lebhaften runden glitzernden Auge, aber es wurde bald von einem kurzen Lachen und dem gewöhnlichen Grinsen verdrängt. Nein! Das Ohr, das nie etwas anderes als Scheltworte gehört hat, ist merkwürdig ungläubig, wenn es etwas so Himmlisches wie Freundlichkeit vernimmt, und Topsy kam die Anrede nur wie etwas Spaßiges und Unerklärliches vor – sie glaubte nicht daran.

Aber was war mit Topsy anzufangen? Miß Ophelia wußte weder aus noch ein; ihre Erziehungsregeln schienen hier keine Anwendung zu finden. Sie wollte sich Zeit nehmen, darüber nachzudenken; und um Zeit zu gewinnen und im Vertrauen auf eine unbestimmte moralische Heilkraft, die in dunklen Kammern wohnen soll, sperrte Miß Ophelia ihren Zögling ein, bis sie ihre Gedanken über diesen Gegenstand besser geordnet hatte.

»Ich sehe noch nicht ein, wie ich mit dem Kinde auskommen kann ohne Schläge«, sagte Miß Ophelia zu St. Clare.

»Nun, so schlage sie, soviel es dir gefällt, ich gebe dir die unbeschränkteste Vollmacht.«

»Kinder müssen immer Schläge bekommen«, sagte Miß Ophelia. »Ich habe nie gehört, daß sie ohne Schläge erzogen würden.«

»Tu, was du für das Beste hältst«, sagte St. Clare. »Aber nur eins will ich bemerken: Ich habe gesehen, wie man dieses Kind mit dem Schüreisen, mit der Feuerzange oder mit der Kohlenschaufel, und was gerade bei der Hand war, geschlagen hat, daß es zu Boden stürzte; da es also an diese Behandlungsweise gewöhnt ist, so glaube ich, du wirst mit ziemlicher Energie prügeln müssen, um einigen Eindruck hervorzubringen.«

»Was soll ich denn mit dem Kinde beginnen?« sagte Ophelia.

»Du stellst da eine ernsthafte Frage auf«, sagte St. Clare. »Ich wollte, du könntest sie beantworten. Was man mit einem menschlichen Wesen, das nur mit der Peitsche regiert werden kann, anfangen soll, wenn diese nicht mehr anschlägt, das ist etwas, was wir hier unten uns sehr häufig fragen.«

»Ich weiß es nicht, mir ist noch nie ein Kind von dieser Art vorgekommen.«

»Solche Kinder sind bei uns sehr gewöhnlich und auch solche Männer und Weiber. Wie soll man sie in Zucht erhalten?« sagte St. Clare.

»Die Frage ist jedenfalls für mich zu schwer, um sie zu lösen«, sagte Miß Ophelia.

»Und auch für mich«, sagte St. Clare. »Die schrecklichen Grausamkeiten und Schandtaten, die dann und wann ihren Weg in die Zeitungen finden – solche Vorfälle, wie z. B. der mit Prue – woher rühren sie? In vielen Fällen ist es ein allmählicher Verhärtungsprozeß auf beiden Seiten – der Sklavenbesitzer wird allmählich grausamer und grausamer, und der Sklave wird immer verstockter. Schläge und Scheltworte sind wie Laudanum; man muß die Dosis in dem Maße verdoppeln, wie die Gefühle sich abstumpfen. Ich sah dies sehr frühzeitig ein, als ich Sklavenbesitzer geworden war, und ich nahm mir vor, nie anzufangen, weil ich nicht wußte, wo ich aufhören würde, und beschloß, wenigstens meinen eigenen sittlichen Charakter rein zu halten. Infolge davon sind meine Dienstboten wie verzogene Kinder; aber ich halte das für besser, als wenn wir beide zusammen ganz vertiert wären. Du hast viel von unserer großen Verantwortlichkeit für die Erziehung unserer Mitmenschen gesprochen. Ich möchte wirklich wünschen, du versuchtest es mit einem Kinde, welches eine Probe von Tausenden unter uns ist.«

»Euer System ist an solchen Kindern schuld«, sagte Miß Ophelia.

»Ich weiß es, aber sie sind einmal vorhanden – und die Frage ist, was soll mit ihnen geschehen?«

»Nun, ich kann eben nicht sagen, daß ich dir für das Experiment sehr dankbar bin. Aber da es sich als eine Art Pflicht herausstellt, so will ich nicht ermatten und den Versuch fortsetzen und mein Bestes tun«, sagte Miß Ophelia; und von nun an widmete sich Miß Ophelia mit lobenswertem Eifer und Energie ihrem Zögling. Sie richtete regelmäßige Stunden und Beschäftigungen für die Kleine ein und lehrte sie selbst lesen und nähen.

In ersterer Kunst machte das Kind ziemlich rasche Fortschritte. Sie lernte die Buchstaben wie durch Zauberei und war bald imstande, gewöhnliche Schrift zu lesen; aber mit dem Nähen ging es nicht so leicht vonstatten. Die Kleine war so geschmeidig wie eine Katze und so rührig wie ein Äffchen, und die sitzende Beschäftigung des Nähens war ihr ein Greuel; so zerbrach sie die Nadeln, warf sie verstohlen zum Fenster hinaus oder in Mauerritzen; sie verwirrte, zerriß oder beschmutzte ihren Zwirn oder warf wohl auch mit einer listigen Bewegung ein Knäuel ganz weg. Ihre Bewegungen waren fast so schnell wie die eines geübten Taschenspielers, und sie beherrschte ihr Gesicht ebenso vollkommen; und obgleich Miß Ophelia recht gut einsah, daß so viele widrigen Zufälle sich nicht hintereinander ereignen konnten, so konnte sie doch nicht ohne eine Wachsamkeit, welche ihr zu nichts anderem Zeit übrig gelassen hätte, die Arglistige ertappen.

Topsy hatte sich in St. Clares Haus bald einen Ruf erworben. Ihr Talent für jede Art drolliges Gebärdenspiel, Gesichterschneiden und Schauspielern – für Tanzen, Luftspringen, Klettern, Singen, Pfeifen und Nachahmen jeden Tones, der ihr auffiel – schien unerschöpflich zu sein. In ihren Spielstunden lief ihr unfehlbar jedes Kind des Haushalts nach, den Mund weit aufsperrend vor Bewunderung und Staunen – nicht einmal Miß Eva ausgenommen, welche von ihren Koboldstücken ganz entzückt zu sein schien, wie manchmal eine Taube von einer glänzenden Schlange bezaubert wird. Miß Ophelia befürchtete, Eva möchte an Topsys Gesellschaft zuviel Gefallen finden, und bat St. Clare, es ihr zu verbieten.

»Bah! Laß das Kind seinen eigenen Weg gehen«, sagte St. Clare. »Topsy kann ihr nur nützen.«

»Aber ein so verderbtes Kind – befürchtest du nicht, daß es sie etwas Schlechtes lehren könnte?«

»Sie kann ihr nichts Schlechtes lehren; sie könnte es anderen Kindern lehren, aber das Schlechte gleitet von Evas Seele ab wie der Tau von einem Kohlblatt; kein Tropfen dringt ins Innere.«

»Sei nicht zu sicher«, sagte Miß Ophelia. »So viel weiß ich, daß ich nie eins meiner Kinder mit Topsy spielen lassen würde.«

»Nun, deine Kinder brauchen es nicht zu tun«, sagte St. Clare, »aber meine können es; wenn Eva verderbt werden könnte, so wäre sie schon vor Jahren verdorben.«

Anfangs sah sich Topsy von den oberen Dienstboten verabscheut und verachtet; aber sie fanden sehr bald Ursache, ihre Meinung zu ändern. Man entdeckte sehr bald, daß, wer Topsy eine Schmach zufügte, ganz sicher binnen sehr kurzer Zeit von irgendeinem unangenehmen Zufall betroffen wurde; entweder fehlten ein Paar Ohrringe oder sonst ein Lieblingsschmuck, oder man fand ein Kleidungsstück plötzlich ganz und gar verdorben, oder der Schuldige stolperte zufällig in einen Eimer heißes Wasser, oder ein schmutziger Regen von Spülwasser goß ganz unerklärlich auf ihn herab, wenn er in vollem Staate war; und bei allen diesen Gelegenheiten konnte man bei näherer Untersuchung nie den Urheber dieser empfindlichen Neckereien entdecken. Man zitierte Topsy, und sie erschien zu wiederholten Malen vor der Herrschaft zu Gericht; aber immer bestand sie das Verhör mit der erbaulichsten Unschuld und der ernsthaftesten Miene. Kein Mensch in der ganzen Welt zweifelte, wer der Urheber sei; aber es ließ sich auch nicht ein Buchstabe direkten Beweises zur Bekräftigung des Verdachtes auffinden, und Miß Ophelia war zu gerecht, um ohne Beweise sich strengere Maßregeln zu erlauben.

Die Neckereien waren außerdem stets der Zeit so gut angepaßt, daß der Urheber nur noch sicherer der Strafe entging. So wählte derselbe die Zeiten der Rache an Rosa und Jane, den beiden Kammerzofen, regelmäßig, wo, wie es nicht selten geschah, sie bei ihrer Herrin in Ungnade gefallen waren und wo natürlich eine von ihnen erhobene Klage keinen Anklang fand. Kurz, Topsy prägte der Dienerschaft bald ein, es sei klug, sie in Ruhe zu lassen; und man ließ sie nun auch in Ruhe.

In allen Handarbeiten war Topsy gewandt und energisch und lernte alles, was man ihr lehrte, mit wunderbarer Schnelligkeit. Nach wenigen Stunden Unterricht verstand sie Miss Ophelias Zimmer in einer Weise in Ordnung zu bringen, welche selbst diese vielverlangende Dame befriedigte. Menschenhände konnten die Laken nicht glatter ausbreiten, die Kissen nicht sorgfältiger an ihre Stelle legen, das Zimmer nicht vollkommener kehren, abstäuben und ordnen als Topsy, wenn sie Lust hatte – aber sie hatte nicht sehr oft Lust. Wenn Miss Ophelia, nachdem sie drei oder vier Tage sorgfältig und geduldig die Oberaufsicht geführt hatte, sanguinisch genug war, zu glauben, dass Topsy endlich ausgelernt habe und alles ohne Aufsicht verrichten könne, und nun fortging, um sich mit etwas anderem zu beschäftigen, so stellte Topsy ein oder zwei Stunden lang ein wahres Karneval von Verwirrung an. Anstatt das Bett zu machen, zog sie die Kissenüberzüge herunter, fuhr mit ihrem wolligen Kopf unter die Kissen, bis er manchmal auf das Groteskeste mit nach allen Richtungen emporstarrenden Federn verziert war; kletterte die Säulen hinauf und baumelte sich mit den Füßen anhaltend von oben herunter; warf die Bettücher im ganzen Zimmer herum; zog dem Fußkissen Miß Ophelias Nachtkleider an und führte verschiedene theatralische Darstellungen mit dieser Puppe auf; sang und pfiff und schnitt sich Gesichter im Spiegel; mit einem Worte, sie führte eine wahre Teufelskomödie auf.

Einmal fand Miss Ophelia Topsy mit ihrem besten scharlachroten, chinesischen Kreppschal als Turban um den Kopf gebunden vor dem Spiegel stehen, wo sie im großen Staat ihre Rolle einstudierte; denn Miss Ophelia hatte mit einer bei ihr unerhörten Sorglosigkeit den Schlüssel zum Schranke stecken lassen.

»Topsy!« pflegte sie zu sagen, wenn ihre Geduld zu Ende ging. »Weshalb machst du das nur?«

»Weiß nicht, Missis – ich glaube, weil ich so schlecht bin.«

»Ich weiß nicht, was ich mit dir anfangen soll, Topsy.«

»Ach, Missis, Sie müssen mich schlagen; meine alte Missis schlug mich stets. Ich bin nicht gewohnt zu arbeiten, wenn ich keine Schläge kriege.«

»Aber ich will dich nicht schlagen, Topsy. Du kannst dich gut aufführen, wenn du Lust dazu hast. Warum tust du's nicht?«

»Ach, Missis, ich bin an Schläge gewöhnt; ich glaube, es muß wohl gut für mich sein.«

Miss Ophelia versuchte das Rezept, und Topsy machte stets einen schrecklichen Lärm und schrie und stöhnte und flehte, obgleich sie eine halbe Stunde später auf einer Ecke des Balkons sitzend gegen eine um sie versammelte Schar von der jungen Brut sich höchst verächtlich über die ganze Sache aussprach.

»Ach Miss Feely und peitschen! – Die kann keine Fliege totschlagen. Sollte sehen, wie alter Master das Fleisch in Fetzen davonfliegen machte; alter Master wusste, wie!«

Topsy war stets sehr stolz auf ihre Sünden und Missetaten, die sie offenbar als etwas ganz besonders Auszeichnendes betrachtete.

»Nun, ihr Nigger«, sagte sie zu ihren Zuhörern, »wisst ihr nicht, dass ihr alle Sünder seid? Ja, ihr seid Sünder, ohne alle Ausnahme. Die Weißen sind auch Sünder – Miss Feely sagt's; aber ich glaube, Nigger sind die größten aber ach, mit mir könnt ihr's nicht aufnehmen. Ich bin so schrecklich schlecht, daß niemand mit mir was anfangen kann. Alte Missis mußte immer den halben Tag über mich fluchen. Ich glaube, ich bin das schlechteste Geschöpf der Welt«, und Topsy schlug ein Rad und hockte munter und glänzend auf einen noch höheren Sitz und war offenbar stolz auf die Auszeichnung.

Sonntags war Miss Ophelia sehr eifrig bemüht, Topsy den Katechismus zu lehren. Topsy hatte ein ungewöhnlich gutes Wortgedächtnis und lernte mit einer Schnelligkeit, welche ihre Lehrerin sehr ermutigte.

»Was soll das ihr nützen?« sagte St. Clare.

»Mein Gott, es hat Kindern immer genützt. Alle Kinder müssen das lernen, das weißt du ja selbst«, sagte Miss Ophelia.

»Mögen sie es verstehen oder nicht?« sagte St. Clare.

»Oh, Kinder verstehen es nie, wenn sie es lernen; aber später, wenn sie groß werden, sehen sie es schon ein.«

»Bei mir ist das Verständnis noch nicht gekommen, obgleich ich bezeugen kann, daß du mir es gründlich gelehrt hast.«

»Ach, du zeigtest immer einen guten Kopf, Augustin. Ich setzte damals große Hoffnungen auf dich«, sagte Miß Ophelia.

»Nun, und jetzt nicht mehr?« sagte St. Clare.

»Ich wollte, du wärst so gut, wie du als Knabe warst, Augustin.«

»Das wünsche ich auch, Kusine«, sagte St. Clare. »Nun fang nur an und katechisiere Topsy, vielleicht machst du noch etwas aus ihr.«

Topsy, die während dieses Gesprächs wie eine schwarze Statue mit frommgefalteten Händen dagestanden hatte, begann jetzt auf ein Zeichen Miß Ophelias: »Unsere ersten Eltern, da ihnen ihr freier Wille gelassen war, verloren das Paradies, für das sie geschaffen waren.« Topsys Augen funkelten und sahen ihre Lehrerin fragend an.

»Was gibt's, Topsy?« sagte Miss Ophelia.

»Ach, Missis, war das Paradies Kentucky?«

»Was für ein Paradies, Topsy?«

»Das Paradies, das ihnen verlorenging. Ich hörte immer Master erzählen, wir wären von Kentucky gekommen.«

St. Clare lachte.

»Du wirst ihr eine Erklärung geben müssen, oder sie macht sich eine«, sagte er. »Sie scheint mir da eine Theorie der Auswanderungen aufzustellen.«

»Ach Augustin, sei still«, sagte Miss Ophelia. »Wie kann ich etwas machen, wenn du beständig lachst?«

»Na, ich will dich nicht weiter stören, auf Ehre«, und St. Clare nahm die Zeitung und setzte sich hin, bis Topsy mit ihrem Hersagen fertig war. Sie bestand recht gut, nur daß sie manchmal einige wichtige Worte ganz wunderlich versetzte und sich auch nicht eines besseren belehren ließ; und St. Clare hatte trotz aller seiner Versprechungen eine boshafte Freude über diese Irrtümer, rief Topsy stets zu sich, wenn er sich einen Spaß machen wollte, und ließ sich von ihr trotz Ophelias Abmahnungen die verdrehte Stelle wiederholen.

»Denkst du denn, ich kann etwas mit dem Kinde ausrichten, wenn du dich auf diese Weise benimmst, Augustin?« pflegte sie zu sagen.

»Du hast recht, es ist zu schlecht, und ich will es nicht wieder tun; aber es macht mir Spaß, die drollige Kleine über diese schweren langen Worte stolpern zu hören.«

»Aber du bestärkst sie nur auf dem falschen Wege!«

»Was schadet das? Ein Wort gilt ihr soviel wie das andere.«

»Du hast mir aufgetragen, ihr den rechten Weg zu zeigen; und du solltest nicht vergessen, daß sie ein vernünftiges Geschöpf ist, und Sorge tragen, daß du keinen schlimmen Einfluß auf sie ausübst.«

»Ja freilich sollte ich das, aber wie Topsy selbst sagt: Ich bin schlecht.«

Auf ziemlich gleiche Weise ging Topsys Erziehung ein oder zwei Jahre lang ihren Gang, und Miß Ophelia quälte sich mit ihr Tag für Tag ab, wie mit einer Art chronischer Krankheit, an deren Schmerzen sie sich mit der Zeit so gewöhnte wie manche Leute an nervösen Glieder- oder Kopfschmerz.

St. Clare machte die Kleine denselben Spaß, wie anderen die Spielereien eines Papageis oder eines Hündchens machen. Wenn Topsy durch ihre Sünden anderwärts in Ungnade fiel, flüchtete sie sich hinter seinen Stuhl, und St. Clare glich für sie stets in einer oder der anderen Weise die Sache aus. Von ihm bekam sie manchen Picayune, für den sie Nüsse oder Kandiszucker kaufte, welche sie mit sorgloser Freigebigkeit unter alle Kinder des Hauses verteilte, denn man mußte Topsy lassen, sie war gutmütig und freigebig und nur boshaft aus Notwehr.


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