Eduard Bauernfeld
Aus Alt- und Neu-Wien
Eduard Bauernfeld

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Vorwort.

    wie das Herz der Welt überhaupt, so hat auch jedes
Herz, auch des besten Menschen, einen Fleck, der ist
gut österreichisch gesinnt – er ist das böse Prinzip.
Börne.

Viele der nachfolgenden Artikel sind in der »neuen freien Presse« in der »Presse«, im »Concordia-Kalender«, im »Berliner Salon«, im »neuen Fremdenblatt« und in der Berliner »Gegenwart« vereinzelt erschienen und mit Antheil aufgenommen worden. Ich bringe sie hier umgewandelt, sorgfältig gefeilt, in chronologischer Reihenfolge mit anderen und in einer gewissen Ordnung und Anordnung, wie es die fortschreitende Erzählung erheischt. –

Alles überlegt, sind Memoiren nicht von Ueberfluß, in wie ferne sie psychologische und culturhistorische Momente enthalten. Die Aufgabe wäre nun freilich: von dem Individuellen ausgehend, an das Allgemeine anzuknüpfen und in dem rein Persönlichen gewisse Verhältnisse und Zustände von höherem Interesse sich abspiegeln zu lassen. Oesterreich und Wien mit seinen socialen, literarischen und politischen Phasen, die ich über ein halbes Jahrhundert mit erlebt, bieten nicht blos ein locales Interesse dar. Wien ist zugleich eine deutsche Stadt und wird es ewig bleiben, dem Dualismus, Föderalismus, Czechismus, und jedem gegenwärtigen oder zukünftigen, ungarischen oder sonstigen Ministerium zum Trotz! Als Deutscher spreche ich daher auch zu Deutschen, wie als Wiener zu meinen Landsleuten. Jeder Mensch gehört seinem Boden an, und der Lebens- und Bildungsgang des Einzelnen wie der Nation kann weder dem Stück Erde, auf welchem wir wurzeln, noch der Atmosphäre entrinnen, welche uns zwingend umgibt. Unser Aller Atmosphäre aber war das sogenannte österreichische System, von Börne als das »böse Prinzip« bezeichnet. Dieser garstige »Fleck« scheint, trotz der constitutionellen Schönfärberei, in seiner Ur-Schmutzfarbe, die immer wieder hervorbricht, völlig unvertilgbar. Wenn der Druck des »Systems« in der sogenannten guten alten Zeit wie ein Alp auf jedem Bürger lastete, so mußte ihn der Schriftsteller natürlich doppelt schmerzlich empfinden. Diese Skizzen werden davon zu erzählen haben!

Wien, im November 1872.

Bauernfeld.

»Was werden wir nun sagen?« –
»Die Wahrheit!«
Zauberflöte.

I.

(Die Studien und die Studien-Hofcommission in der »guten alten Zeit«. – Ein rationalistischer Klostergeistlicher. – Die Professoren Weintridt und Rembold.)

Die Schulen sind voll artiger Kinder,
  und doch ist die Welt voll dummer
  Menschen.
Helvetius.

Die Grundlage meiner Bildung verdanke ich dem Schotten-Gymnasium, welches sich während meiner Schulfrequenz (von 1813 bis einschließlich 1818) beinahe durchgehends tüchtiger Lehrer zu erfreuen hatte. Ich nenne vor Allen den ausgezeichneten Andreas Oberleitner, der uns das Griechische gründlich beibrachte. Er war zu gleicher Zeit Professor des Orientalischen an der Wiener Universität, und seine Ausgabe der aramäischen Grammatik von Jahn, seine Fundamenta linguae arabicae, chrestomathia arabica, syria und Anderes sind in der gelehrten Welt noch heutzutage nicht vergessen.

Als ich in die zweite Humanitätsclasse, in die »Rhetorik« vorrückte, bekamen wir einen Professor, dessen Persönlichkeit und ganzes Wesen nicht ohne mächtigen Einfluß auf uns werdende Jünglinge bleiben konnte. Leander König war zwar kein grundgelehrter Specialist, auch kein eigentliches philologisches Genie, wie der oben genannte Araber und Syrier, jedoch ein wissenschaftlich genugsam ausgebildeter Mann, dabei voll Eifer und Glut für sein Lieblingsfach, für griechische und römische Literatur und Poesie, für Poesie überhaupt. Er hielt überdies nicht wenig auf guten rhythmischen, zugleich richtig empfundenen Vortrag des Verses. Mit seinen besseren Schülern, die er bald herausbekam, las er die Iliade in Extrastunden. Einer meiner Schulkameraden, der mich noch zuweilen besucht, der wackere Schulrath Anton Kral, wird sich erinnern, wie uns der unermüdliche Lehrer sowohl im Interpretiren, wie im Recitiren rastlos herumhetzte. Die Uebrigen durften zuhören, weiter gab er sich aber mit dem »Troß« – sein eigener Ausdruck – nicht ab, sondern wendete sich ausschließlich an das halbe Dutzend seiner homerischen Akolythen. Der Troß horchte übrigens nicht ungern zu, da unser begeisterter, geistreicher, auch witziger Lehrer nicht selten auf Abwege gerieth, dabei Ausfälle machte, die bisweilen ihr Bedenkliches hatten. So wurde der Studien-Hofcommission nicht immer mit dem größten Respecte Erwähnung gethan. »Es ist der Troß, der hinauf kommt!« hieß es. – Ein neuer Studienplan lag eben im Werke. Wenn ein jeder Professor bisher sein specielles Fach pflegte und tradirte, so wurde diese geistige Theilung der Arbeit plötzlich verworfen. Ein und derselbe Lehrer sollte in Zukunft sämmtliche Gegenstände oder Wissenschaften vertreten – das heißt, der Grieche oder Lateiner sollte sich zugleich in einen Historiker umwandeln, in einen Natur-Historiker und Mathematiker. Der sarkastische Pater Leander erzählte uns von diesen didaskalischen Metamorphosen par ordre du Mufti: »Fragen Sie Ihre Mama zu Hause,« – setzte er hinzu, – »ob sie ihrer Kammerjungfer zumuthen wird, zu kochen, oder ihrer Köchin, sie von heute auf morgen zu frisiren?« – Der alberne Plan kam demungeachtet in der Folge zur Ausführung. Nur der Religionslehrer behielt sein Fach, welches er weiter garkochte und fort frisirte.

Es war zur Zeit, als Pater Hofbauer sich in Wien einfand, um die Einführung des Ordens der Redemptoristen anzubahnen, welchem sich unser Professor vom Orden des heiligen Benedictus nicht besonders geneigt erwies. Er warnte uns vor den schwarzen Herren und ihrem Treiben.

Ein »Wunder«, welches bei den P. P. Serviten in der Roßau am Festtage des heiligen Peregrinus sich ereignet haben sollte – (eine völlig gelähmte Frau hatte nämlich ihre Krücken auf den Altar gelegt und war augenblicklich geheilt davon gegangen) – bot dem Professor Gelegenheit, sich deutlicher und bestimmter zu äußern. »Man müsse nicht Alles gleich für ein Wunder nehmen,« – meinte er. – Christus selber habe bei Einführung seiner Lehre mit den Wunderthaten gespart, so große Begierde nach übernatürlichen Ereignissen und Erscheinungen auch das Volk von jeher gezeigt habe und annoch zeige. Die Apostel, Bischöfe und sonstigen Verbreiter der reinen Christuslehre sahen sich daher nicht selten genöthigt, diesem Volkstriebe nachzugeben, besonders wenn es die Bekehrung der Heiden galt. Man durfte der Masse nicht zumuthen, ihre alten Gewohnheiten und Ceremonien im Nu aufzugeben und wegzuwerfen – so sei man denn auf den Ausweg gerathen, einiges Alte beiläufig beizubehalten, ihm jedoch einen neuen Sinn unterzulegen. In dieser Weise habe sich z. B. das »lavacrum« der Alten in unser Weihwasser-Becken umgewandelt, seien die versunkenen Halbgötter und Heroen als Engel und Heilige schöner wieder auferstanden. – »Das Christenthum ist eine geistige Lehre« – so schloß der Rationalist – »und Alles, was von Außen als Zeichen und Symbol hinzukam, gehört nicht zu seinem reinen, inneren Wesen. Das Christenthum ist auch längst fest begründet – die Annahme von Wundern, die sich von Zeit zu Zeit erneuern sollen, wäre daher ein Mißtrauen gegen Gott, ja eine Beleidigung Gottes, denn man verlange von ihm gewissermaßen immer wieder einen neuen Beweis, daß er sich dem Menschengeschlechte geoffenbaret. Aber Ein Wunder genügt nicht, auch hunderte nicht, noch tausende – da zuletzt jeder einzelne Mensch für sich allein einen Beweis ad hominem, ein apartes Wunder, wie das Krückenweib in der Roßau, verlangen könnte! – Sie sind noch junge Leute, kaum Jünglinge, aber ich sage Ihnen dieses Alles, weil Ihnen bald Bücher in die Hand kommen dürften, welche von ähnlichen Gegenständen und Ideen handeln werden, worauf ich Sie im Vorhinein aufmerksam mache, auch Ihrem künftigen Selbsturtheile einen beiläufigen Fingerzeig gebe. Im Uebrigen – der Eine Mensch bedarf mehrerer Symbole, ein Anderer nur weniger oder auch gar keiner! Bleiben Sie Christen im Geiste und in der Wahrheit – das ist die Hauptsache, darauf kommt Alles an!« –

So schloß die merkwürdige Auslassung, welche dem »Troß« nicht minder behagte, als uns Homeriden. Merkwürdig genug, daß ein Wiener Klostergeistlicher vor einem halben Jahrhundert und vor den Ohren und Augen der Studien-Hofcommission es wagen durfte, sich in so rein menschlicher Weise zu äußern. Es war freilich die Zeit, in welcher der (geistliche) Staatsrath Jüstel den Ausspruch that: »Ein Concordat ist ein Ding, das man nicht zu halten braucht!« – Man glaube aber ja nicht, daß diese vereinzelten vorurtheilsfreien Männer, diese rare nantes den Ton angaben, man ließ sie nur gewähren aus Bequemlichkeit, aus Trägheit, oder auch, weil man Diesem und Jenem vorläufig nichts anhaben wollte oder konnte. Doch im Stillen wurden seine Thaten und Worte einem Jeden angekerbt! Das »System« verstand es, abzuwarten, seine Zeit zu ersehen und ihm Mißliebige gründlich zu vernichten. –

Unser Leander König war rastlos thätig, allein die Kraft des Brustkranken war längst gebrochen. Vierzehn Tage nach unserem Austritt aus dem Gymnasium begleiteten wir die sterblichen Reste des geliebten Lehrers, aus denen ein nicht gewöhnlicher Geist entflohen war. Unbefriedigter Ehrgeiz hatte den Mann aufgezehrt, indem er Tage und Nächte durchstudierte, um sich für eine höhere Lehrkanzel vorzubereiten, dabei aber doch leidenschaftlich mit uns Schule hielt. Wir verdanken dem Manne viel, der uns frühzeitig Lust und Geschmack für Literatur und Kunst beigebracht, auch sonst unseren Geist nach mancher Seite geweckt. Er hatte zugleich, indem er mit uns nicht wie mit Knaben, sondern wie mit strebenden Jünglingen verkehrte, unser Bewußtsein und den Ehrgeiz in uns wachgerufen, auch im Leben und vor der Welt wie werdende Männer zu erscheinen, nicht wie läppige Gymnasialschüler. Meister Moriz Schwind, mein Jugendfreund und Mitschüler, hat späterhin unserem wackeren Lehrer ein artiges Denkmal gesetzt. Der Anführer der Scharwache in » Ritter Curt's Brautfahrt« giebt die scharfen Gesichtszüge und die lange hagere Gestalt Leander König's ziemlich getreu wieder. –

Ein ehemaliger, kaum erträglich metamorphosirter Pferdestall der P. P. Jesuiten war's, wo wir die philosophischen Collegien hörten. Von den Professoren ist wenig zu sagen. Die meisten waren Pedanten. So der Professor der Weltgeschichte, ein gebrechliches kleines Männchen mit einem schwachen quickenden Stimmchen und höchst monotonem, wie gedehnt-singendem Vortrage. Zweihundert angehende »Philosophen« strampften gewöhnlich mit vierhundert Beinen, sobald der Mann den Lehrstall betrat, und ließen ihn mit Mühe zu Worte kommen. Doch hatten wir das Trampeln bald satt, zogen es vor, wegzubleiben – so las der Mann vor leeren Bänken. – Die Physik tradirte ein Slovake, ein langer, grobkörniger, wild aussehender Mann mit einem Struwelpeterkopf. Seine Vorträge in ungarischem Küchenlatein erheiterten uns ungemein, noch mehr die Experimente, die ihm zu unserem höchsten Entzücken beinahe immer mißlangen. Unseren Mithörern, den polnischen und böhmischen Klerikern, welche die ersten Bänke einnahmen, erwies der Mann große Deferenz, redete sie nur immer mit: »domini reverendi« an. Kein Zweifel, nicht sein mehr als geringes Wissen, sondern einzig und allein sein kirchlich-pfäffisches Wesen hatte den Cyniker als persona grata (dem »System« nämlich) auf die Lehrkanzel gehoben.

Der Philologe Anton Stein war ein stämmiger, kräftiger, alter Mann, nachlässig gekleidet, mit offener haariger Brust und struppigem Bart. Dieser philologische Diogenes besaß großes Wissen, nur verstand er es durchaus nicht, sich fruchtbar mitzutheilen, oder die Jugend für sich selbst und sein Fach zu interessiren, geschweige zu begeistern. Mit der Erklärung einer einzigen horazischen Ode brachte er wohl an die acht Tage zu; dabei kam er vom hundertsten auf's tausendste, schimpfte über die Jugend, über's Billardspielen, über's Biertrinken, wie über das, dem Verfasser des amor Kapnophilos besonders verhaßte Tabakrauchen.

Reine Mathematik und Geometrie trug der schon damals tüchtige Ettingshausen vor, ohne außer den Vorlesungen weiter mit uns in Berührung zu kommen. – Nur zwei von den Professoren wirkten geistig auf uns junge Leute: Vincenz Weintridt und Leopold Rembold.

Weintridt tradirte die sogenannte »Religionswissenschaft«. Er war Weltpriester, aber auch Weltmann. Früher Hofmeister bei den Stadion's, gewandt, auch redegewandt, mit einer stattlichen Gestalt und einem kräftigen Organ begabt, von feinen Manieren, weniger tief wissenschaftlich als ästhetisch gebildet, schob er die vorgeschriebene Dogmatik nicht selten bei Seite, hielt freie Vorträge, halb aus dem Stegreif. Wenn er nun über Bildung sprach, über die dreieinige Idee des Wahren, Guten und Schönen, über das Göttliche, welches sich auch in dem Drei-Einklang der Künste manifestire, da fühlten wir uns gehörig gehoben und sogen begierig die mehr schöngeistigen als religiösen Vorträge ein. Hie und da entschlüpfte ihm wohl auch ein Wort, welches mit dem streng orthodoxen, sonst äußerst mittelmäßigen Lehrbuche des Hofburgpfarrers Frint nicht völlig im Einklang stand, doch gab er sich als Geistlicher kaum eine eigentliche Blöße. Die Aufführung des »Nathan« im Burgtheater veranlaßte ihn sogar, eine kleine Philippika gegen Lessing's Indifferentismus loszulassen, die zuletzt gar nicht so ernsthaft gemeint war; auch machte uns das nicht irre an unserer Begeisterung für den humanen Juden und für den edlen »Saladin«, der uns als eine Art türkischer Kaiser Joseph galt.

Der Ex-Hofmeister wußte die Jugend an sich zu ziehen. Er spielte gern den Meister unter seinen Jüngern, zu denen auch Schwind und ich gehörten. Freund Moriz hatte unserem Gönner einige seiner genialen Jugendskizzen überbracht und bei dem Manne, der zugleich Sammler war und gern für einen Kunstkenner galt, große Lobsprüche dafür eingeerntet. Auch meine ersten poetischen Versuche fanden Gnade vor Weintridt's Augen.

Ein junger Theologe, der sich nicht minder in Poesie versucht hatte, Namens Rauscher, gehörte gleichfalls unter die Jünger, ohne daß wir uns näher mit ihm berührten. Er war um einige Jahre älter als wir, etwas zurückhaltend in seinem Benehmen, uns Uebrigen jedenfalls weit überlegen. Irre ich nicht, so wurde er bereits im Jahre 1821 oder 1822 zum Professor der Kirchengeschichte in Salzburg ernannt – es ist unser jetziger Kardinal-Erzbischof.

Wir lebten ziemlich angenehm, auch ungenirt mit unserem »Meister«, der uns bei Landpartien freihielt, mich zuerst mit den Freuden und Leiden einer Cigarre bekannt machte, es auch nicht übel nahm, wenn dieser oder jener von den Jüngern bei Erörterungen über Poesie und Kunst eine weit mehr heidnische als christliche Weltanschauung an den Tag legte.

Bereits im November 1819 hatte mir Weintridt anvertraut, es sei eine Anzeige gegen ihn eingelaufen, er führe die Studenten in Bierhäuser und singe ihnen Schelmlieder vor. Das klang nun allerdings lächerlich! Allein im Laufe des nächsten Winters wurde Professor Bolzano in Prag abgesetzt, und zwar seiner »allzufreien Vorträge« wegen; Weintridt war von einem ähnlichen Schicksal bedroht, welches ihn auch bald nach dem ersten Semester 1820 ereilte. Seine Verbindung mit Bolzano war die Hauptanklage, die man gegen ihn erhob.

Die fromme Partei hatte seinen Sturz herbeigeführt. Der Burgpfarrer Frint sowie der Hofcaplan Job hatten es dem ästhetisirenden Geistlichen längst auf der Nadel, auch die »Oelzweige« von Passy ergossen sich ab und zu in Ausfällen auf den verfehmten Weltpriester. Was half es ihm nun, daß er gelegentlich gegen Lessing, Goethe und Voltaire losgezogen? Das ganze Collegium nahm sich die Sache zu Herzen, und in den Vorlesungen, welche Weintridt's Nachfolger, ein Vollblut-Theologe hielt, ging es Anfangs stürmisch genug zu. – Wir Jünger blieben dem Meister treu und er war uns nach wie vor geneigt. Er lud uns auch öfters zu sich. Der Ex-Professor war heiterer denn je, trotz seines plötzlichen Sturzes. Er besaß einflußreiche Freunde und Verbindungen, und seine sanguinische Natur ließ ihn eine Anstellung mit Gewißheit erwarten.

In einer größeren Abendgesellschaft bei Weintridt, im Januar 1822 traf ich zum ersten Mal mit Franz Schubert zusammen, der uns seine neuesten Lieder zum Besten gab. Sein Freund Schwind hatte ihn mitgebracht. Außer den übrigen Jüngern waren auch einige junge Kunstfreunde zugegen, wie Graf Casimir Lanckoronski, mein Schulcollege; Graf Stadion, Weintridt's ehemaliger Zögling, der spätere Minister. Weintridt war ein geselliges Amphibium; die Künstler, aber auch der Adel, war die Umgebung, die er vorzugsweise liebte und pflegte. Als Weltpriester und Weltmann stand er kaum im Zusammenhang mit der »uniformirten Geistlichkeit«. Man ließ ihn dafür auch lange Zeit schmachten und zappeln. Endlich fand sich ein Platz oder Plätzchen! Er wurde zum Dechant von Rötz ernannt und hatte Schwind und mich wiederholt aufgefordert, ihn zu besuchen. Mitten unter Landbeamten und Weinbauern mochte sich der geistreiche Lebemann nicht besonders behaglich fühlen; er nahm uns auch mit offenen Armen auf, als wir im Frühling 1825 für eine Woche in seinem geistlichen Asyl oder Exil einsprachen, in dem ultima Thule an der mährischen Grenze. Der neue Dechant verstand es nicht, sich populär zu machen. Ein gewöhnlicher Landpfarrer hätte hier weit besser getaugt. »Er ist uns halt zu hoch!« sagte ein reicher Weinbauer, als von Weintridt's Predigten die Rede war – »wir haben's gern gemein!« – Vermuthlich hatte der Ex-Professor den guten Leuten von dem »Guten, Wahren und Schönen« vorgepredigt, wie vormals uns, den Studenten und Jüngern. – Der arme Weintridt trennte sich schwer von uns. Wir hatten ihn wieder aufgefrischt, nach uns war ihm die Oede und Leere, die ihn umgab, doppelt empfindlich. Niemand fühlt sich einsamer, als wer, an Bildungselemente gewöhnt, plötzlich unter Ungebildete versetzt wird, die gewisse Ansprüche auf ihn haben, denen er weder genügen kann, noch sich den auf ihn Angewiesenen völlig entziehen darf.

Doch kehren wir wieder in den »Lehrstall« zurück!

Der Professor der Philosophie Leopold Rembold, konnte beiläufig als Gegentheil des eleganten Religionsprofessors gelten. Schlicht und einfach in Kleidung, Manier und Ton, wie er sich gab, im Vortrage sogar etwas trocken, fühlten wir uns Anfangs nur wenig angezogen von dem ernsthaften Mann, der für keinen seiner Schüler eine Neigung oder Abneigung merken ließ. Nur der junge Exner wurde in die unmittelbare Nähe des Professors gezogen, im Uebrigen sprach er immer zum gesammten Collegium, hielt sich auch, ohne besondere ästhetisch-literarische Abschweifung, strenge an den fortschreitenden Gang seiner Vorlesungen. Psychologie, Logik und Metaphysik, leider in lateinischer Sprache vorgetragen, erschlossen uns völlig neue Felder und zwangen den jungen Geist, wenn nicht zum Selbstdenken, doch zu einer besseren Disciplin und Form des Denkens; jedenfalls lernte man das Gedachte mehr freithätig aufzunehmen und zu verarbeiten, und kam so nach und nach über das bloße Auswendiglernen hinweg, worauf man im Gymnasium beinahe ausschließlich angewiesen war. Zur Speculation zeigte sich zwar nur wenig oder gar keine Anlage unter uns; von allen den Hunderten der Philosophie Beflissenen war es wohl nur der einzige Franz Exner (ein Jahr hinter mir), der aus Rembold's Lehre einen wahren Vortheil zog, seinen künftigen Beruf im Vorhinein erkennend und ihm rastlos entgegen arbeitend, während wir Uebrigen uns zur Philosophie, besonders zur Metaphysik, beiläufig nur herumtappend und dilettirend verhalten konnten. Als wir zur Moral-Philosophie gelangten, ging das wohl besser. Rembold war zwar eigentlich Eklektiker, aber sein Respect vor Kant war groß (wenn er ihn auch hie und da mit Herbart'schen Waffen bekämpfte), und so wußte er uns auch für den »kategorischen Imperativ« gehörig zu begeistern. Daß er den lateinischen Vortrag von nun an aufgab, erschien nicht mehr als billig, denn die Ausdrucksweise der kritischen Philosophie war schon in deutscher Sprache schwer genug zu erfassen und zu ergründen, und so klar und liebenswürdig Kant in seinen ersten kleinen Schriften aufzutreten wußte, um so dunkler und vieldeutiger gestalteten sich seine großen und eigentlich kritischen Werke. Daß Rembold alles gethan, um uns junge Leute zwischen siebzehn und neunzehn Jahren in den Geist wie in die Terminologie des Meisters einzuführen, ist gewiß, auch hätten wir nicht um Vieles Eine dieser Stunden versäumt, nach deren jeder wir uns um eine Kopflänge gewachsen glaubten. Uebrigens wurde des Hauptwerkes: der »Kritik der reinen Vernunft« nur beiläufig erwähnt und nicht mehr davon mitgetheilt, als sich etwa mit dem vorgeschriebenen Studienplan vertrug, von welchem man ungestraft nicht völlig abweichen durfte. So viel ward uns aber doch klar, daß Kant die Mängel des Dogmatismus tief erkennend, die Philosophie auf ihre letzte Quelle, auf das menschliche Wissen zurückzuführen bemüht war, worauf er die reine, von der Erfahrung getrennte Vernunft einer gründlichen Kritik unterwarf. Indem wir nun zu begreifen anfingen, daß Zeit und Raum nichts weiter seien, als Formen der Anschauung, und daß die Verstandesthätigkeit schlechterdings an die vier Kategorien gebunden sei, gewannen wir nicht nur an philosophischer Methode, sondern es wurde uns zugleich die Grenze alles Wissens deutlich vor Augen gestellt. Da der Mensch die Dinge nur zu erkennen vermag, wie sie ihm nach den Gesetzen des Denkens erscheinen, und in der Form seiner Anschauung, so ist und bleibt alles Uebersinnliche vollkommen unerweisbar (auch nach Herbart), und die höchsten Ideen von Gott und Unsterblichkeit haben vor der theoretischen (reinen) Vernunft keine Realität. Es gibt sonach eigentlich gar keine Metaphysik, sondern nur eine Kritik der speculativen Philosophie und den höchsten Gütern und Ideen erübrigt nichts, als sich mit Hilfe der praktischen Vernunft als moralische Freiheit in den Glauben hinein zu retten.

Diese und ähnliche Doctrinen schrieben wir eifrig nach und trugen sie gläubig schwarz auf weiß nach Hause, wie der Schüler im Faust. Daß Professor Weintridt und später dessen Nachfolger uns gelegentlich das Gegentheil beweisen wollten, kümmerte uns wenig, auch erwiesen sich ihre dialectischen Waffen lange nicht so scharf und schneidend, wie die unseres Kant und Rembold! Und nun wurden wir erst recht aufmerksam auf die Schwächen des Buches von Frint. Der Verfasser hatte darin die Einwürfe Voltaire's, Rousseau's und Anderer gegen die Offenbarung angeführt und seine Gegenbeweise daneben gestellt, die sich bisweilen läppisch genug ausnahmen. Mit Kant'scher Terminologie ausgerüstet, hätten wir wohl dem Monsieur Voltaire und seinen Spöttereien weit besser erwidern können! Doch in der Hauptsache hatte der frivole Philosoph von Ferney ja im Grunde Recht. Alle Offenbarung beruht zuletzt auf Ueberlieferung, mithin auf Geschichte, und die Geschichte unterliegt der Kritik. Wenn Gott mit Moses aus dem brennenden Dornbusch gesprochen, wenn der Engel Gabriel dem Propheten Mohammed die erste Offenbarung überbracht, und wenn Christus nach der Erzählung des Apostel Lucas vor den Augen seiner Jünger in einer Wolke gegen Himmel gefahren, so sind das Zeugen-Aussagen, Angaben, historische Facten, welche eben so gut behauptet, als widersprochen und widerlegt werden können. Auf Treue und Glauben läßt sich derlei, läßt sich überhaupt keine historische Thatsache als wahr annehmen, ohne zu untersuchen, ob und in wie ferne der Zeuge glaubwürdig sei, ob und in [wie] weit er die Wahrheit sagen konnte oder wollte, ob diese mit andern Zeugnissen und erwiesenen Thatsachen übereinstimme oder nicht, so auch mit dem Gange der Weltbegebenheiten und mit den Naturgesetzen überhaupt, endlich mit der menschlichen Erfahrung und Vernunft, welche beide auf untrüglichen und unumstößlichen Normen fußen. Ein gewisser Skepticismus muß jedenfalls erlaubt sein. A priori Alles und Jedes gläubig hinnehmen – wohin und wie weit soll das führen? Man würde zuletzt an jedes Ammenmärchen glauben und es für baare Realität halten, gleich den Kindern! Allein die Wahrheit und ihre ernsthafte Erforschung ist für die Männer. – Dies und Anderes wurde von uns vorgebracht und mit Kant gegen Frint gestritten. Das schwache und trockene Buch war von jenen flammenden Ideen wie verzehrt worden! So hatte die Religions-Wissenschaft, die uns im Glauben stärken sollte, selbst dazu beigetragen, diesen in seinen Grundfesten zu erschüttern und zum Wanken zu bringen. Wir jubelten der »Kritik der reinen Vernunft« zu, als der neuen Leuchte der Welt, der Wahrheitsfackel, die uns endlich aufgegangen! Wir hatten auch einen Ausspruch Grillparzer's aufgeschnappt! »Die Religion ist die Poesie der Poesielosen.« – Der alte Goethe äußert sich in ähnlicher Weise:

»Wer Wissenschaft und Kunst besitzt,
Hat auch Religion;
Wer jene beiden nicht besitzt,
Der habe Religion.« –

Wer ihrer bedarf, mag sich ihrer bedienen! Religion ist Gemüthssache, hieß es. Was aber gewisse Mysterien betrifft, so hatten ja die Pythagoräer, vor Allen Plato in seinem: Monas, Logos, Psyche, die Dreieinigkeit bereits vor mehr als zweitausend Jahren vorgebildet. Damit war uns die Sache abgethan! –

Wenn Rembold dazu beitrug, uns in der Religion mehr als schwankend zu machen, so sollte ihm das nicht ungestraft hingehen, und ein kategorischer Imperativ, stärker als der Kant'sche, die allmächtige Polizei, hatte längst die skeptischen Worte des Philosophen belauert und sie im Stillen zu einem Anklageacte zusammengedreht. Es wurde wohl auch Falsches hinterbracht – so eine unziemliche Aeußerung des Professors über die Jungfrau Maria. Wir konnten uns nicht entsinnen, Aehnliches aus seinem Munde vernommen zu haben. – Ich war bereits in die juridischen Studien eingetreten, als die Bombe platzte. Professor Rembold wurde plötzlich von seiner Lehrkanzel entfernt, mit elenden vierhundert Gulden pensionirt, ein Geistlicher provisorisch mit der Lehrkanzel der Philosophie betraut. Trotz des Murrens der jungen Philosophen wurde die strenge Maßregel durchgeführt, und ein Studenten-Krawall, der darüber ausbrach, mit Hilfe der Polizei im Keim erstickt. Rembold war Gatte und Familienvater; er zog sich mit seinem Ungnaden-Gehalte nach Ungarn zurück und verlegte sich, ein Mann von über vierzig, mit Fleiß und Ausdauer auf das Studium der Medicin; einige seiner dankbaren und zugleich wohlhabenderen Schüler hatten ihm zu diesem Behufe eine Pension ausgeworfen. Der treffliche Mann wurde Doctor der Medicin und erhielt bald eine Stelle als Arzt bei der österreichischen Nationalbank. Hatte uns Weintridt's Fall geärgert, so steigerte der Sturz Rembold's unseren Unmuth auf's Höchste. Das ist also das »österreichische System!« riefen wir wie aus Einem Munde. Heuchelei, Pfaffenwesen und Brutalität, im Bunde gegen das Wissen, gegen die Gedankenwelt!

Ich war tief im Innersten aufgeregt und konnte mich noch lange nicht zufrieden geben. –»Aus der gemeinen Wirklichkeit gibt es nur zwei Auswege: die Poesie, welche uns in eine rein idealische Welt versetzt, und die Philosophie, welche die wirkliche Welt ganz vor uns verschwinden läßt.«

Dieser Ausspruch Schelling's war wie auf mich gemünzt! Da ich aber kein echter Philosoph war, die »gemeine Wirklichkeit«, die auch sonst schwer auf mir lastete, nicht völlig verschwinden lassen konnte, so flüchtete ich nach dem Rathe des Gründers der »All-Eins-Lehre« in die ideelle Welt der Poesie.


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