Eduard Bauernfeld
Aus Alt- und Neu-Wien
Eduard Bauernfeld

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XIV.

(Die »Gnomenhöhle«. – Alfred der Große. – Alexander Baumann. – Wiener Geselligkeit. – Stimmungen.)

  Wenn Einem der Kopf umgedreht
ist, so sitzt ihm Alles verkehrt.
Viel Lärmen um Nichts.

Im März 1862 bekamen wir in der »Wiener Zeitung« Nachfolgendes zu lesen:

»An mein Regiment!

Ich kann die Welt nicht verlassen, ohne mein tapferes Regiment zu grüßen. So wie ich hienieden stets lebhafte Theilnahme für dasselbe gefühlt habe, so werde ich auch jenseits, wenn dies möglich ist (sic!), seine Thaten und Schicksale verfolgen.«

Wien, 13. März 1862.

Alfred Fürst Windischgrätz, F.-M.

Ich gestehe, daß mich dieser militärisch-clericalisch-mystische Abschied mit einiger Verwunderung erfüllte. – Der Feldmarschall will die Thaten und Schicksale seines Regiments auch jenseits verfolgen! Wie will er das anstellen? Der rechtgläubige Katholik (welchem der Papst seinen Segen in articulo mortis zugesendet) setzt freilich mit einer Art Skepsis hinzu: »wenn dies möglich ist.« Mir schien dies aber unmöglich. – Die wunderliche Expectoration kam mir übrigens höchst gelegen. Der Wiener Humor hatte sich nämlich auch in den schlimmsten Zeiten der Reaction und des Concordats niemals völlig verleugnen können, und so hat sich eine Narrengesellschaft, die »Gnomenhöhle«, eine Art Ableger der berüchtigten »Ludlam«, bis zum heutigen Tage erhalten. Auch ich war Mitglied dieses Narrenkreises und als solches verpflichtet, von Zeit zu Zeit einen Aufsatz zu liefern. Wir waren gewohnt, uns in diesen Artikelu über uns selbst, wie über Regierung, Gott und Welt in der kecksten Figur der Uebertreibung lustig zu machen. Und so bot sich mir in den Eingangs citirten Zeilen der »Wiener Zeitung« ein tauglicher Stoff zu der nachfolgenden kleinen Posse dar, die als Beitrag zur Schilderung der Stimmung jener Tage, so wie des allerdings rücksichtslosen Tones, der in unserem tollen Kreise herrschte, gelten mag. Ich schildere übrigens nur die Schwächen einer politischen Persönlichkeit, unbeschadet ihres höchst ehrenhaften Privatcharakters. Darum glaube ich damit kein Aergerniß zu geben. Der vorurtheilsfreie Leser wird mit mir begreifen, daß der freie Humor und die Form der Uebertreibung jede Absicht eines ernsthaften Angriffs ausschließen.

Alfred der Große.

Scenen aus dem Jenseits.

1862.

1. Scene.

(Ein Seliger klopft an die Himmelspforte.)

Petrus. Wer ist draußen?

Alfred. Machen Sie auf. Ich bin's!

Petrus. Wer ist der Ich?

Alfred. Alfred der Große.

Petrus. Unsinn! Den haben wir ja schon an die tausend Jahre im Himmel droben.

Alfred. Ich bin aber ein größerer Alfred, welchen man den Herrscher nennt, und erst unlängst gestorben mit Extra-Segen Seiner Heiligkeit des Papstes, wie Sie aus diesen Papieren entnehmen können, durch welche ich bei Seiner Majestät Gott Vater ganz besonders empfohlen werde..

Petrus. Laß der Herr sehen! (Liest.) Dieser alte Pio nono macht uns doch nichts als Verlegenheiten im Himmel wie auf Erden! – Die Papiere sind in Ordnung. – (Fixirt ihn.) Durchlaucht sind also Derjenige, welcher –? In Prag! Aha! Und in Wien! Aha! Hübsch bombardirt! Und hübsch belohnt worden dafür! Was? Schon auf Erden! Dotation von 400,000 Gulden! Dazu noch 48,000 Gulden Besoldung, 48 Pferdportionen, und nichts zu thun, gar nichts! Schmeckt nicht übel, wie? Und dabei noch ein so gutes Lotterie-Geschäft gemacht mit den beiden Todesco! – Was machen denn die Juden? Will sich keiner von ihnen taufen lassen?

Alfred (immer gravitätisch). Es scheint nicht. – Aber Sie stellen sich mir da in den Weg! Wollen Sie mich nicht gefälligst zur Himmelspforte hineinlassen, Herr von Petrus?

Petrus (mürrisch). Ich bin kein Herr von! – Petrus schlechtweg. Früher Fischermeister, jetzt Hausmeister.

Alfred. Also nicht einmal geadelt? Nach einer Dienstleistung von beinahe zweitausend Jahren!

Petrus. Ei was! Bei uns droben kennt man solche Dummheiten nicht. – Geh' der Herr jetzt zurück in's Fegefeuer.

Alfred (wie entsetzt über die Zumutung). Wer? Ich?

Petrus. Ja, natürlich! Da muß Jeder erst hinein, sich abwaschen, reinigen. In den Himmel darf kein Schmutzian!

Alfred (nach einer kleinen Pause). Ist eine Ritterstube in diesem Purgatorium angebracht?

Petrus. Warum nicht gar! Beileibe! Alle armen Seelen Crethi und Plethi, werden dort pêle-mêle durcheinander abgestriegelt.

Alfred. So! Hm! Melden Sie gefälligst Gott Vater meine Ankunft. Ich ersuche um eine Privat-Unterredung unter vier Augen.

Petrus. Sonst haben's keine Schmerzen? Man soll dem Herrn wohl gar eine Extra-Wurst braten?

Alfred. Mäßigen Sie sich in Ihren plebejischen Ausdrücken, Herr Petrus, und bedenken Sie, daß Seine Heiligkeit, Ihr Stellvertreter auf Erden, mich besonders im Himmel empfohlen hat.

Petrus. Nichts als Protection! Nun gut! Ich will den Herrn bei dem Herrn anmelden.

Alfred. Sagen Sie dem Schöpfer, ich wünsche ihn insgeheim zu sprechen, und er würde sich mir, dem Herrscher, ganz besonders verpflichten, wenn Er mir seine Antwort durch einen standesmäßigen Boten, etwa durch den Ritter Sanct Georg zukommen ließe, oder durch einen anderen himmlischen Reichsbaron.

Petrus. Schon gut, will's ausrichten. (Im Abgehen.) So ein verrückter Seliger ist mir noch nie im himmlischen Leben vorgekommen! (Ab.)

Alfred (allein, spaziert mit verschränkten Armen gravitätisch auf und ab).

Der Ritter Sankt Georg (tritt auf). Gott Vater erwartet Sie. Wenn's Eurer Durchlaucht gefällig wäre –

Alfred. Hier hinein? Folgen Sie mir, Herr Ritter Sanct Georg (tritt zuerst in den Himmel. Sanct Georg folgt ihm kopfschüttelnd).

II. Scene.

Gott Vater (sitzt auf dem himmlischen Thron).

Alfred (steht vor ihm).

Gott Vater. Was wünschen Sie, mein Sohn? Bedecken Sie sich, nehmen Sie Platz. Was wünschen Sie also?

Alfred. Ich ersuche Sie, Sire, mich für's Erste von dem gemeinen Fegefeuer zu dispensiren.

Gott Vater. Das wäre eigentlich gegen alles himmlische Herkommen, mein Bester!

Alfred. Mein Herkommen ist aber ein Besonderes. Ich bin Alfred der Große und stelle als reinster Repräsentant des Adels eine Ausnahme dar, unter allen übrigen Sterblichen. Bevor ich mich mit dem Plebs amalgamire, würde ich lieber auf die ewige Seligkeit verzichten und geradezu um allergnädigste gänzliche Vernichtung bitten müssen.

Gott Vater (sieht ihn verwundert an). »Stolz will ich den Spanier!« – Also bewilligt.

Alfred (verneigt sich leicht). Alfred der Große, der Herrscher, bedankt sich.

Gott Vater. Was wünschen Sie noch?

Alfred. Ich habe meinem tapferen Dragoner-Regiment versprochen, auch jenseits, wenn dies möglich ist, seine Thaten und Schicksale zu verfolgen.

Gott Vater. In der Wiener Zeitung hab' ich das mit Verwunderung gelesen. Der Gedanke ist jedenfalls neu. Weder Alexander dem Großen, noch dem Napoleon ist so was in den Kopf gekommen.

Alfred. Ich erlaube mir Ihnen zu bemerken, Sire, daß ein blinder Heide und ein Roturier unmöglich an den erhabenen Sinn eines katholisch-hochadeligen Fürsten hinanreichen können.

Gott Vater. Zugegeben. Was kann ich aber für Sie thun? Sie sind im Himmel, Ihr Regiment steht auf Erden. Wie wollen Sie seine Thaten und Schicksale verfolgen? Das ganze feste Firmament liegt dazwischen. Da kann nur das Auge Gottes durchschauen.

Alfred. Lassen Eure Majestät ein Loch in das Firmament schlagen und ein Fenster für den Herrscher herrichten, damit er bequem hinaus und auf die Erde hinunter schauen kann.

Gott Vater. Ich weiß nicht, was mich bewegt, Ihnen auch darin nachzugeben. Sie sind unwiderstehlich.

Alfred. Die Güte Eurer Majestät beschämt mich.

Gott Vater. Sie sind also mit mir zufrieden?

Alfred. Aufrichtig – bis auf Eins, Sire!

Gott Vater. Und das wäre?

Alfred. Wie haben Sie damals zugeben können, daß die heilige Jungfrau, die doch aus königlichem Geblüte stammt, einem Menschen von niederer Extraction, einem Zimmermeister ihre Hand reichen durfte?

Gott Vater (etwas verlegen). Das sind Geheimnisse, mein Bester, über die ich mich nicht näher erklären kann und die mit der sogenannten Dreieinigkeit zusammenhängen.

Alfred (fixirt ihn). Ich muß denn doch bitten, daß der Schöpfer dem Herrscher nichts verhehle.

Gott Vater (für sich). Sonderbarer Schwärmer! (Laut.) Sie vergessen, daß Sie mir gegenüber doch weiter nichts als Geschöpf sind.

Alfred (kalt). Sie können mich vernichten, wie gesagt, wenn Sie mir nicht Rede stehen wollen. Wählen Sie also.

Gott Vater (wieder für sich). Die Hartnäckigkeit dieses Menschen bringt mich völlig aus der Fassung. (Laut.) Hören Sie also, in Gottes Namen! Daß ich der Vater meines Sohnes bin, und zwar durch Vermittlung des heiligen Geistes, das wissen Sie! Der Zimmermann Josef gab nur so seinen Namen dazu.

Alfred. Einen bürgerlichen Namen, Sire! Der Welt-Heiland sollte aber adelig sein. Wie anders, wenn Sie einem Windischgrätz die Rolle des Vaters zugetheilt hätten! Die ganze christliche Religion hätte dadurch einen vornehmeren Anstrich bekommen, und von einem Socialismus, der nur durch diese Apostel vom tiers état beigemischt worden, wäre gar nicht die Rede.

Gott Vater (ablenkend). Sie mögen vielleicht Recht haben. Aber lassen wir das. Ich bin kein Freund von Casuistik und von theologischen Spitzfindigkeiten. Spazieren Sie jetzt in den inneren Himmel hinein, Sie werden dort gute Gesellschaft finden. Da steht gleich ein Ritter, der Ihnen ebenbürtig ist (ruft hinein). Sie dort! Kommen Sie einmal näher.

Ritter (tritt näher, mit schnarrender Stimme). Meinen Euer Gnaden mich?

Gott Vater. Ja. Ich will die Herren miteinander bekannt machen. Durchlaucht Fürst Windischgrätz, Ritter Don Quixote von la Mancha.

Alfred. Sie sind der Ritter, der gegen die Windmühlen kämpfte?

Don Quixote. Aufzuwarten. Und Euer Gnaden sind der Held, welcher das Burgtheater und die Hofbibliothek erobert hat?

Alfred. Zu dienen –

Don Quixote. Erlauben mir Euer Gnaden, Ihnen meine Bewunderung auszudrücken.

Alfred. Ich sehe, daß Sie mich verstehen, und bin erfreut über unsere Zusammenkunft.

Don Quixote. Baso los stifelos a Vuestra dignidad. (Mit erhobener Stimme.) Wer es jemals leugnen wollte, daß Dulcinea von Toboso die reizendste Dame der Christenheit und Fürst Alfred von Windischgrätz der größte Fürst von der ganzen Welt ist, den fordert der Ritter Don Quixote de la Mancha von der traurigen Gestalt zum Zweikampf auf Tod und Leben!

Gott Vater. Still, guter Freund! Hier wird nicht krakehlt. – Macht nähere Bekanntschaft, Ihr Herren! Adieu, lieber Fürst!

Alfred. Adieu, lieber Gott! (Ab mit Don Quixote.)

Gott Vater (allein). Dem Menschen kann man nicht imponiren! Ich werde nie wieder so ein Sujet auf die Welt setzen lassen. (Lärm von außen.) Was gibt's denn? Kann man keine Ruhe im Himmel haben! Was ist denn wieder los?

Ein himmlischer Gendarm (tritt auf). Bitt' Euer Gnaden! Mit dem neuen Seligen ist's nicht länger auszuhalten. Er und der spanische Don machen mit einander den ganzen Himmel rebellisch. Von Karl dem Großen haben sie verlangt, daß er ihnen die Hand küssen soll, weil sie größere Helden wären als er. Die gewöhnlichen Seligen behandeln sie nur mit Fußtritten und Kopfnüssen, was gegen alle himmlische Gleichberechtigung ist – und zuletzt haben sie gar die Prätension, daß die himmlischen Heerschaaren vor ihnen präsentiren und »G'wehr 'raus« rufen sollen!

Gott Vater (steht auf). Das ist zu arg! Zieht ihnen die Zwangsjacke an. Oder halt! Ruft sie Beide her!

Gendarm (ruft hinaus). Zu Seiner Gnaden, Gott Vater, meine Herren!

Alfred und Don Quixote (treten auf).

Gott Vater. Ihr habt an einander Gefallen gefunden?

Don Quixote. Der Fürst ist der einzige Mensch, der mich hier versteht.

Alfred. Der Ritter ist der einzige vernünftige Mensch im ganzen Himmel.

Gott Vater. Dacht's ja! Gleich und gleich! – Hört mich an. Ihr sollt einen aparten Himmel haben. Ihr Beide ganz allein.

Beide. Wir verlangen es nicht besser!

Gott Vater. Wo ist mein Sohn? Schließe den beiden Herren das geheime Gemach auf.

Gott Sohn (kommt). In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Kommt, liebe Leute! (Er schließt eine geheime Thüre auf, Alfred und Don Quixote treten Arm in Arm hinein.)

Gott Vater (allein). Diesen zwei närrischen Menschen genügt die gewöhnliche Seligkeit nicht. Meine Allweisheit hat da die glückliche Lösung gefunden – aber ich hätte nicht gedacht, daß ich den himmlischen Kotter jemals brauchen würde. – Schließ zu, mein Sohn! So. Jetzt ist wieder Ruh' im Himmel und auf Erden!

Die sämmtlichen himmlischen Heerschaaren Alleluja! Gloria in excelsis Deo!


Die »Gnomenhöhle« hatte bis zu ihrer letzten Entpuppung die mannigfaltigsten Verwandlungen durchgemacht. In den vierziger Jahren führte sie den Namen: »Soupiritum« und stand unter Holtei's Leitung, wie bereits bei einer andern Gelegenheit erwähnt worden. Nach des geselligen Mannes Scheiden aus Wien trat der unvergleichliche Alexander Baumann als »König« an die Spitze der nun nach ihm genannten »Baumannshöhle.« – Der Verfasser des »Versprechens hinter'm Herd« besaß so viel Mutterwitz und harmlosen Humor, dabei eine so liebenswürdige Persönlichkeit, daß er mit diesen Gaben allein im Stande war, jede Gesellschaft zu beleben. Die Natur hatte ihn aber auch mit einem nicht gewöhnlichen Darstellungstalente beschenkt, welches er fleißig übte. In der Kunst, das Komische auf die natürlichste Weise zur Erscheinung zu bringen, kam ihm Niemand gleich, Scholz und Beckmann kaum nahe. Wer jemals eine »ungarische Rede« von ihm gehört oder ihn als dummen und verlegenen Bauernjungen gesehen, wie er vor der Prüfungscommission »Kifuen« declamirt und mit stets neuen Nuancen des Steckenbleiben's das Gedicht mühsam zu Ende bringt, um mit einem unbeschreiblich blöden Kratzfuß zu scheiden, der wird meinem Urtheile beistimmen.

Von den geselligen Talenten Baumann's ist noch anzuführen, daß er vortrefflich Cither spielte und im Vortrage von Volksliedern oder auch von ihm selbst verfaßten Couplets ein unbestrittener Meistersinger war. Rechnet man die angenehme Erscheinung, den liebenswürdigen Charakter und die immer gleiche Heiterkeit des Geselligkeits-Virtuosen hinzu, so darf es nicht Wunder nehmen, wenn sich sämmtliche Klassen der Wiener Gesellschaft eifrig bemühten, den seltenen Mann in ihre Kreise zu ziehen. Auch im Hause Metternich war er beliebt und gefeiert und die stolze Fürstin unterließ es nicht, bei Diners und Soupers für den verhätschelten Liebling stets die gewohnte Lieblingsspeise zu bestellen. – Für unsere »Höhle« war er als König unschätzbar. Er wußte immer neue Possen anzugeben und schlug uns Uebrige, mit unsern komischen Aufsätzen und Versuchen es ihm gleich zu thun, jederzeit aufs Haupt. Daß die Lücke nach Baumann eine unausfüllbare war, versteht sich von selbst. –

Im Winter 1847/48 war ein neues Mitglied in unsern Narrenkreis aufgenommen worden: mein damaliger Freund und Genosse, Dr. Alexander Bach, welcher als Neophit maskirt (mit einem Thierkopf) erschien. Castelli, als Vorsitzender, richtete einige Fragen in Knittelversen an den Neuling, um seine Tauglichkeit zu erproben. Der Thierkopf antwortete gewandt und geistreich. Auch der berüchtigte Tausenau und der musikalische Alfred Becher befanden sich in dem lustigen Kreise. Nach Jahr und Tag war der Eine von den Dreien Minister, der Andere politischer Flüchtling, der Dritte »zu Pulver und Blei begnadigt.« – Im Februar 1848 unterhielt man sich (Bach miteingeschlossen) mit burlesken Grabschriften auf Metternich. Die politischen Narrheiten, die bald darauf erfolgten, ließen die »Gnomenhöhle« eine Weile pausiren. –

Unser Wien war bald nach den Juli-Tagen 1830 in die Reihen der »Opposition« getreten. Die Wiener Geselligkeit, welche sich, wie die einer jeden großen Stadt, in Cotterien bewegt, war lange Zeit harmlos und gemüthlich geblieben. Der gebildete Mittelstand hing einigermaßen mit den höheren Finanzkreisen zusammen, denen sich hinwiederum ein gewisser Theil des Adels zugesellte, der sich nicht ungern als die »zweite Gesellschaft« bezeichnen läßt. Die eigentliche Aristocratie (die »crême«) existirte in unnahbarer, olympischer Höhe. Beinahe in jedem Lande hat der Adel sein faubourg St. Germain – lassen wir ihm dieses unschuldige Vergnügen! Lammenais meint zwar: »Malheur à l'homme seul!« Dieses Wort, auf den Adel angewendet, hatte schon Einmal gelautet: Malheur à la caste seule! – Dagegen bemerkt ein norddeutscher Hoch-Tory: »Die Antichambre will durchaus in den Salon: das ist der Hauptkampf unserer Zeit. Ein Parvenu will weiter parveniren.« – Nun, die bürgerlichen Minister sind inzwischen wirklich »parvenirt!« –

An literarischen Mittelpunkten fehlte es übrigens in den 30er und 40er Jahren durchaus nicht. Bei Hammer-Purgstall, später bei Endlicher, trafen sich an einem bestimmten Wochentage Gelehrte, Schriftsteller, auch sonst Fremde von Auszeichnung, und was damit zusammen hängt. Die »Concordia« und der»juridisch-politische Leseverein« waren noch mehr geeignet, die zu einander gehörenden Elemente zu sammeln und zu verknüpfen. –

Als den nieder-österreichischen Ständen die Errichtung eines Lesezimmers von der Regierung untersagt wurde, bot sich dafür eine eigene Auskunft und glückliche Entschädigung dar. Doblhoff, der als ständischer Verordneter eine stattliche Wohnung im Landhause bezogen und mich als alten Freund und Kameraden darin aufgenommen hatte, erklärte sich nämlich bereit, seine Salons für eine Gesellschaft zu eröffnen, welche aus ständischen Mitgliedern, literarischen, industriellen und anderen Capacitäten sich zusammensetzen sollte. Am siebenten Januar 1847 fand die erste Versammlung statt. Von Seite der Stände waren nach und nach erschienen: die beiden Colloredo's, Schmerling, Leo Thun, Fries, Bräuner, Andrian, Hoyos, Stifft, Kleyle. Von meinen Freunden: Ernst Feuchtersleben, Alexander Bach, Seligmann, Frankl, Alexander Baumann, Dessauer, Castelli, Adolf Herz, Hornbostel, Somaruga. Auch der einsiedlerische Grillparzer hatte sich ein paarmal eingestellt, sowie Hammer-Purgstall und Endlicher. Die Conversation war frei und ungenirt; irgend ein Thema der National-Oekonomie, natürlich nicht ohne politische Färbung, oder der Naturwissenschaften kam wohl auf's Tapet, welches nach allen Seiten durchgesprochen wurde, auch an freien Vorträgen fehlte es nicht. Die merkwürdige Thronrede des Königs von Preußen vom 11. April hatte bald alle Gemüther tief aufgeregt, auch im Salon Doblhoff fielen darüber schwere und inhaltsreiche Worte – die einheimischen Verhältnisse wurden einer scharfen Kritik unterzogen (besonders von Seite des alten Baron Stifft), und keiner der oben genannten Männer, so verschiedenen Parteien und Schattirungen sie späterhin auch angehörten, hatte damals im geringsten gezögert, die unabweisbare Nothwendigkeit einer Verfassung für Gesammt-Oesterreich anzuerkennen und auszusprechen. –

Nach den Märztagen, als Alles gährte, brauste und tobte, konnte natürlich von einer eigentlichen Geselligkeit kaum mehr die Rede sein, und die bald darauf folgende »Reaction« ließ in dem Mittelstande, noch mehr in den unteren Volksschichten, ein gehöriges Maaß von Erbitterung zurück. Man konnte durch geraume Zeit seines Lebens nicht froh werden. Wir zogen uns um so lieber in unsern engeren Freundeskreis zurück, je unbehaglicher die Wiener-Stimmung in der langen Reactionszeit sich zu gestalten begann. Auch die einheimische Presse wurde unter meinem Ex-Freunde Bach auf das Entsetzlichste gemaßregelt, bereits vor, aber noch mehr nach dem Abschlusse des unseligen Concordats. Frei (auch grob) durfte von nun an nur die Kirchenzeitung schreiben; wir Übrigen mußten den Mund halten, wenn wir nicht in das Regierungs- und Kirchenhorn stoßen wollten. Ein Beispiel für viele! Meine unschuldigen Gedichte (Leipzig, Brockhaus, 1853), sowie das Buch von den Wienern (Leipzig, Hirschfeld 1858) durften in Wien nicht einmal öffentlich angezeigt werden! Ich, sonst nicht schreibefaul, verlor alle Lust, mich an irgend einer literarischen Unternehmung zu betheiligen. So lehnte ich es auch ab, zu einer, im Jahre 1858 neu gegründeten illustrirten Wiener Wochenschrift mein Scherflein beizutragen. Der bezügliche und von mir längst vergessene Brief an den Redacteur (Sigmund Schlesinger) wurde von dem »Wiener Tagblatt« im Jänner 1872 abgedruckt. Ich erlaube mir, diesen Brief hier mitzutheilen, da er mir für die Stimmung jener Tage höchst bezeichnend erscheint.

Das Schreiben lautet:

GeehrterHerr!

Sie verlangen von mir Beiträge zu Ihrer neuen Wochenschrift »für Belehrung und Unterhaltung.« – Ich bewundere Sie und Ihre Tendenzen – und Ihre Mitarbeiter obendrein. Sie wollen die Leute belehren! Wie wollen Sie das anfangen? Ich bin nun beinahe so alt und habe beiläufig eben so viel erlebt, als das gegenwärtige Jahrhundert, allein ich gewahre nicht, daß wir Beide, das Jahrhundert und ich, durch unsere Erfahrungen viel klüger geworden wären oder daß wir uns, sei's durch eigene Erlebnisse, sei's durch die Rathschläge Anderer, je hätten belehren lassen. Und es hat an Beiden nicht gefehlt. Im Jahre meiner Geburt hat das noch junge Jahrhundert den Frieden von Amiens so wie auch ein Concordat zwischen Frankreich und Rom abgeschlossen und durch den Mann des Jahrhunderts, den es später zum Kaiser machte, mit Revolution und Republik für ewige Zeiten, wie es hieß, gebrochen. Man muß eingestehen, für einen zweijährigen Anfänger von hoffnungsvollem Jahrhundert ist das nicht wenig geleistet! Der hinkende Bote kam freilich nach. Der große Napoleon artete in kürzester Frist zum Tyrannen und Welteroberer aus; der alte Arndt, damals noch jung, und Görres, anfangs blutroth, später ultraschwarz, lasen dem Liebling des Jahrhunderts den Text und suchten ihn zu »belehren«, worauf dieser mit Erschießen drohte. Bald nachher machte man dem Jahrhundert (und auch mir) weiß, Deutschland müsse befreit werden, was auch wirklich durch die Schlacht bei Leipzig, durch den Wiener Congreß und durch die Rückkehr der Bourbonen mit Beihilfe der Censur ins Werk gesetzt wurde.

Es begann nun eine stille idyllische Zeit, bürgerlich glückliche Tage, ein wahres Schlaraffenleben! Das Jahrhundert und ich wuchsen im Schatten der neudeutschen Romantik und des »österreichischen Beobachters« so friedlich-harmlos heran! Wie es aber allenthalben Störenfriede gibt, so machten uns nach und nach die deutsche Burschenschaft, die Carbonari's, das junge Frankreich, das junge Deutschland, Heine, Börne und andere Bösewichter viel zu schaffen. Das Jahrhundert fing zu grollen an, leitete verschiedene Congresse ein und setzte die Karlsbader Beschlüsse durch. Man suchte das Jahrhundert eines Besseren zu »belehren« – allein vergebens. Es blieb hartnäckig und mußte zu seinem Schmerz erleben, daß die Revolution, mit welcher es vor so viel Jahren für immer gebrochen hatte, im Jahre 30 und 48 auf's Neue los ging.

Das Jahrhundert stutzte anfangs, griff aber dann zu seinen alten, bereits bewährten Palliativen; es machte dort ein Kaiserreich, hier ein Concordat. Ein Mann des Jahrhunderts, der eine neue Idee gegeben hätte, fehlte leider. Das oft citirte: »L'empire c'est la paix!« war nur eine Phrase. Die alten Hausmittel mußten aushelfen. Das Jahrhundert, obwohl in den besten Mannesjahren, war ohne Kraft und Mark, schwächlich, gebrochen, blasirt – es schleppt sich jetzt so hin. Wie wenig es aber auch jetzt Lust hat, sich belehren zu lassen, erhellt schon daraus, daß es seine früheren Leiter und Lenker, die antiken und modernen Classiker, Plato und Seneca, wie Voltaire und Rousseau, Kant und Hegel, Goethe und Schiller in Pausch und Bogen verwirft, und sich dafür an gewissen zelotischen, nicht ganz höflichen Zeitungen und frommen Tractätlein erbaut. Ueber diese Verhältnisse wollen Sie durch Ihre Wochenschrift »belehren«? Ich wünsche Ihnen Glück dazu!

Doch halt! Da lese ich eben die Rubriken Ihrer Probenummer durch und finde unter der Aufschrift »Gemeinnütziges« eine Art Aufschluß über Ihre praktische Tendenz. Da wird ein »neues Polstermateriale« besprochen, ein »englischer Briefhalter«, »künstliches Rosenwasser« u. s. w. Wenn das die »Belehrung« ist, welche Sie Ihrem Publicum bieten wollen, so ist nichts dagegen einzuwenden – nur daß ich mich, bei meinen ziemlich mangelhaften technischen und chemischen Kenntnissen, ohne unverschämt zu sein, unmöglich zum Mitarbeiter und »Mitbelehrer« aufwerfen darf.

Wir kommen zu dem zweiten Theil Ihres Programms – zur »Unterhaltung«. Die Leute zu unterhalten, das war im Grunde bisher mein Fach. Ich habe einige Dutzend leichter Lustspiele geschrieben, welche sich, gut gespielt, mit ansehen ließen. Ich habe auch bisweilen einige Körner Ernst und Wahrheit beigemischt (denn et prodesse volunt u. s. w.), ich weiß nicht, ob ich damit so »gemeinnützig« gewirkt, als Ihr »neues Polster-Materiale« oder Ihr »künstliches Rosenwasser«. Gleichviel! Die Stücke sind einmal da, das Publicum erwartet mich auf diesem Felde – und ich selbst! Jung gewohnt, alt gethan! Das Theater übt einen Reiz aus, dem man sich nicht leicht entschlägt, so schwer es uns auch fallen mag, die Leute heutigen Tages mit Hilfe der Bretter zu »unterhalten«; es ist fast noch unmöglicher, als sie zu »belehren!« Und in Deutschland nun gar! Das französische Theater-Publicum sitzt wie ein Kind vor dem Vorhang und will wirklich nichts als sich amüsiren. Corneille und Molière oder Ponsard und Dumas fils, Helden, Marquis, Grisetten, filles de marbre, – es gilt ihm gleich, wenn's nur packt, wenn's nur unterhält! Aber der Deutsche! Er hat Julian Schmidt's Literaturgeschichte gelesen und alle Bücher über Aesthetik von A. W. Schlegel bis Rötscher, wenn nicht durchstudiert, doch durchgekostet. Er sitzt kalt und lautlos bei einer ersten Vorstellung, vergleicht erst das, was er sieht, mit dem, was er gelesen, und wartet sein Morgenjournal ab, um zu erfahren, ob er sich gestern unterhalten habe, sich unterhalten haben gedurft. Wie packt man ein solches Publicum, wenn uns nicht das neckische Wesen einer naturalistischen »Grille« oder die durch Kritik und Democratie vorbereiteten Schmettertöne der Zukunfts-Oper zu Gebote stehen? Aufrichtig, mein Herr, ich zweifle daran, daß ein einfacher Stoff, ein paar gelungene Situationen, etwas Charakteristik, ein Bischen Laune und Witz im Stande sein dürften, neben Posse, Rührung und Tamtam aufzukommen. Allein was hilft's? Ich bin's nun einmal so gewohnt, das Publicum ist mich gewohnt – und man versucht's. Soll ich in meinen alten Tagen ein neues Feld einschlagen? Und welches? Wovon soll ich schreiben? Sagen Sie selbst! Ich erinnere Sie an Beaumarchais. »Pourvu que je ne parle en mes écrits ni de l'autorité, ni du culte, ni de la politique, ni de la morale, ni de gens en place, ni des corps en crédit, ni de l'opéra, ni des autres spectacles, ni de personne qui tienne à quelque chose« u. s. w. Der Vogel singt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Ich bin auch so ein Vogel. Soll ich nicht schreiben, wie mir um's Herz ist, so schreib' ich lieber gar nicht. Das Schreiben selbst muß eine Unterhaltung sein, wenn man die Anderen unterhalten will. Soll ich »künstliches Rosenwasser« schreiben? Das amüsirt mich nicht! Wenn ich noch in Paris lebte oder in Berlin oder in der Walachei – aber so! – Soll ich Ihnen ein Geheimniß anvertrauen? Aber sagen Sie's nur Niemandem. In Wien geht nichts vor. – Nun denn – aus Nichts wird Nichts, nicht einmal ein Feuilleton. Das alte Wien hat sich ausgelebt und das neue ist leider noch nicht fertig. Wenn das Jahrhundert und ich und Ihre Wochenschrift erst noch einige Decennien älter werden, so kann sich's vielleicht machen. Nehmen Sie mich also einstweilen als Mitarbeiter der Zukunft an. Bis dahin wird sich auch neuer Stoff finden und die Möglichkeit, sich seiner zu bemächtigen. Vor der Hand und in der leidigen Gegenwart gibt es hier gewisse Personen, denen es einzig und allein freisteht, die Zeit und den Stoff auszubeuten und uns täglich offen und ungestört anzugreifen, während uns ein Papageno-Schloß an den Mund gehängt wird. Oder mit einem anderen Bilde: Wir bekommen eine Ohrfeige und sollen geduldig die Wange hinhalten, um eine zweite zu empfangen. Ich gestehe, daß ich diese Art der Demuth nie habe begreifen können. Am wenigsten in der Polemik. Schon bei den alten Turnieren wurde Wind und Sonne getheilt. Soll unsere Sonne der Wahrheit nicht leuchten? Sollen nur die Anderen Wind machen dürfen? Nichts da! Gleiches Recht, gleicher Wind, gleiche Schläge . . .

»Auf groben Klotz ein grober Keil,
Auf einen Schelmen anderthalbe!«

Das ist und bleibt mein Wahlspruch. Wo man aber Keile und Ohrfeigen nur empfangen und nicht wiedergeben soll, da hält sich billiger Weise vom Kampfplatz fern

Ihr zukünftiger Mitarbeiter
Bauernfeld.«
       

Wien, im December 1858.

 

Mit Befriedigung darf man sich sagen, daß die hier geschilderten, wie viele andere verrottete Zustände vorüber sind und auch nicht so leicht wiederkehren können. Andere Uebel, die längst im Keime lagen, wuchern dagegen rasch empor: Geldsucht, Stellenjägerei, Reclame-Wesen. Auch hat das einst naive Wien von dem Baume der Erkenntniß genascht und sich dabei den Magen überladen, da es nicht im Stande war, die gierig verschluckte, halb unreife Frucht gehörig zu verdauen. Politische und religiöse Freiheit sind zwei schöne Gaben – sie fallen Einem aber nicht von heute auf morgen in den Schoß. Nur Bildung führt zum schönen Ziel, fortwährende, unablässige Bildung. Die Schul-Frage ist die Existenz-Frage für Oesterreich-Ungarn. Leider hatte das unselige »System« ihre Lösung durch ein halbes Jahrhundert hinausgeschoben, und große Kinder und alte Völker wollen nichts mehr lernen.

Gewiß, das einzig Unfehlbare
Ist nur das Gute, Schöne, Wahre –
Doch wollt Ihr Licht, vor allen Dingen
Müßt Ihr zum Quell des Leuchtens dringen;
Die Wahrheit kommt Euch nicht entgegen,
Sie liegt auf still verborg'nen Wegen,
Und eh' sie Euer Herz durchsprühe,
Braucht's ernste Arbeit, schwere Mühe.
Man sagt Euch tausend Dinge vor,
Will euch befrei'n von allen Banden –
Ihr hörtet zu mit halbem Ohr
Und habt zur Hälfte nur verstanden.
So spottet Ihr dem Glaubenszwang
Und scheut vor Beicht' und Predigtstuhle,
Doch fühlt Ihr nicht des Wissens Drang; –
Da hilft nur Ein's: Geht in die Schule!

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