Eduard Bauernfeld
Aus Alt- und Neu-Wien
Eduard Bauernfeld

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X.

L'Allemagne est faite, pour y voyager.
Montesquieu.  

  Man will nicht bedenken, daß der
Constitutionalismus überall nichts
Anderes ist, als der Uebergang zum
Republicanismus.
Deutsche Jahrbücher
vom Jahre 1842.

Im Sommer 1834 war ich zum ersten Male in's »Ausland« gekommen, nämlich nach Deutschland. Als Oesterreicher und Wiener hatte ich mich zumeist darauf gefreut, in Bayern»constitutionellen Boden« betreten zu dürfen. Leider fand ich in München den Landtag bereits geschlossen, und es schien, als hätte er nie getagt, so wenig war die Rede von öffentlichen Dingen. Dagegen wurden die Alt-Bayern nicht müde, über den König los zu ziehen, über seine Verschwendung und seine Kunstbauten, sowie über die neue Malerschule, die so viel Geld koste. Eigentlich war aber König Ludwig ein guter Wirth, der sehr wohl hauszuhalten wußte und mit geringen Mitteln viel auszurichten verstand; auch kam sein Kunstsinn der Stadt zu Gute. Pinakothek und Glyptothek waren Nothwendigkeiten, um die Fremden nach dem langweiligen München zu ziehen; die neuesten Lockvögel sind die Opern von Richard Wagner, eine Art Branntwein statt des einst berühmten Bieres, welches dermalen in Oesterreich vielleicht besser gebraut wird. – Die Münchner von damals hielten sich auch darüber auf, daß der König auf Grundlage des Concordats eine Menge früher aufgehobener Klöster wieder hergestellt, neue erbaut, und vor Zeiten davon gejagte geistliche Orden zurückberufen hatte. Die Censurmaßregeln vom Jahre 1831 und die Verfolgung aller Freigesinnten nach dem Hambacher-Feste im Jahre 1832, hatte man dem kunstfreundlichen Ludwig gleichfalls nicht vergessen können! Die Häupter der liberalen Partei waren damals zu Gefängniß und Zuchthaus, und zu jener abscheulichen und menschheitschänderischen »Abbitte vor dem Bildniß des Königs« verurtheilt worden, wie später auch der unpolitische Sapphir. Das meiste Aufsehen hatte die Verhaftung des Bürgermeisters Behr in Würzburg erregt, der als freimüthiger Mann und feuriger Redner in ganz Bayern hoch in Ansehen stand. Als ich nach München kam, war der Proceß über ihn noch in der Schwebe – erst im Jahre 1836 wurde der Mann (wegen verfänglicher Reden, im Jahre 1832 gehalten!) zu »unbestimmter« Festungsstrafe und zu jener götzendienerischen Schmachabbitte verurtheilt. Ueberhaupt witterte man damals nichts als Demagogie! Ein Student wurde religirt wegen »Verdachtes der Hinneigung zu burschenschaftlichen Tendenzen!« Ich selber hatte das in einem bayerischen Blatte gelesen und den unfreiwilligen Polizeiwitz später in »Großjährig« angebracht. – Die Münchener schierten sich im Grunde wenig um alle diese Dinge, zeigten großen Respect vor den Gensdarmen und ließen sich den ganzen Tag von den hin und her marschirenden Soldaten die Ohren voll trommeln. Dasselbe Vergnügen genossen wir auch in Wien – und so wollte mir der gar so gewaltige Unterschied zwischen absoluter und constitutioneller Monarchie damals noch nicht recht deutlich werden! –

Bei so geringer politischer Ausbeute erübrigte nichts, als sich ausschließlich an Kunst und Wissenschaft zu halten. Hauptzweck meiner Münchener Reise war übrigens das Zusammensein mit meinem lieben Jugendfreunde Moriz Schwind. Ihn als Cicerone zur Seite, besah ich alle Merkwürdigkeiten. Das neue München hatte noch lange nicht gehörige Toilette gemacht; die bereits angelegte Ludwigsstraße war ohne wogendes Menschengedränge, das man freilich auch heutzutage noch vermißt, und so sorgte man einstweilen für Wohnungen der künftigen Menschen. Allenthalben wurde gebaut und gezimmert, gemeißelt und gemalt, und mitten in dem Wust und neben den schmutzigen Baracken der Altstadt erhoben sich Kunstbauten, griechische und byzantinische Tempel, auch Paläste im Renaissancestil – Glyptothek, Pinakothek, die Ludwigskirche, die Allerheiligen-Kapelle, das Odeon, das Leuchtenberg'sche und Max-Palais, die neue Bibliothek, das Kriegsministerium. In diese und andere Bauten theilten sich zwei Nebenbuhler: der deutschgesinnte Gärtner, welcher, jede antike Reminiscenz vermeidend, den alten vaterländischen Rundbogenstil wieder aufnahm; der andere Meister war Klenze, dem romantischen und gothischen (deutschen) Baustile abgeneigt, mit entschiedener Vorliebe für antike, besonders griechische Bauform. Beide Männer waren Bauräthe, beide reisten nach Griechenland, und ein Jeder verharrte natürlich dort wie hier auf seiner Ansicht. Immerhin! Da doch auf diesem Wege Tüchtiges, wenn auch bisweilen Disparates zu Stande kam.

Mit Schmerzen gedachte ich in meinem Reisetagebuch unseres alten, damals noch so engen und winkeligen Wien. Der »große« Napoleon hatte uns im Jahre 1809 einen Theil unserer Festungsmauern zusammen geschossen – wir aber hatten diesen Kanonenwink unbenützt gelassen, das unnütze Zeugs gläubig wieder aufgebaut. Wann werden wir's freiwillig abtragen, Licht und Luft über die dumpfe Stadt ausgießen? Auch geistige! Umsonst! Das »System«, das österreichische Fatum, und der zahme Schutzgott des mächtigen Reiches: der »Schlendrian« gestattet keine Verbesserung, keine »Neuerung.« –

Neubauten gilt's geschmackvoll zu betreiben! Die Menschen wandeln, die Häuser bleiben.

In München baute ein kunstverständiger König, mit Künstlern zur Seite. Selbst ist der Mann! So überraschte er die Künstler in ihren Ateliers, überfiel die Bauleute auf ihren Werkstätten, spornte an, zankte gelegentlich, feilschte auch um jeden überflüssigen Groschen.

Wenn in unserem Oesterreich damals irgend ein Neubau Allerhöchsten Ortes befohlen worden, so bekam das Hofbauamt, das Landesbauamt, das Wasserbauamt die Sache in die Hand; diese Behörden, die wenig oder nichts davon verstanden, übertrugen die Arbeit natürlich dem befugten Landesingenieur, der das Bauen leider nur in Oesterreich studirt hatte! Eine Buchhaltung, die er gar nicht studirt hat, controlirt seine Voranschläge, und ein hochadeliger Protector überwacht und leitet den Kunstbau, dessen Pläne, die man dem Herrn Grafen unterbreitet, er anfangs für die Blätter eines chinesischen Zusammenlegespiels gehalten hatte, bis ihn der Hofmeister des jungen Gräfleins aufklärt, es gebe ein Ding in der Welt, welches man »architektonische Umrisse« zu nennen pflege. Schließlich schlägt sich noch die ästhetisirende Frau Gräfin in's Mittel, welche die Ausführung des Baues ihrem protégé, einem Schüler der Akademie, zuzuwenden weiß. Da nun das projectirte Ding weder griechisch noch römisch, noch deutsch, noch byzantinisch, sondern in gar keinem Stil entworfen ist, so schadet es nicht, daß auf den Rath der Dame auch noch einige französische Schnörkel und englisch-normannische Verzierungen angebracht werden. So schleppt sich das Bauobject durch versuchende Anfänger und tappende Schüler, durch dilettirende Liebhaber, durch Behörden und wieder Behörden, und wenn es endlich fertig dasteht und, dem Himmel sei Dank, nicht gleich wieder über den Haufen fällt, so hat die Wachstube oder die kleine Kapelle Unsummen gekostet, und König Ludwig hätte um einen weit geringeren Betrag vielleicht eine Basilika in's Leben gerufen. –

Mit Freund Schwind trieb ich mich bei allen Künstlern herum, lernte Kaulbach und Schwanthaler kennen, hatte all die tausend neuen Schönheiten in mich aufzunehmen; inzwischen saß mein gelehrter Reisebegleiter Kaltenbaek, der österreichische Specialist, mitten unter den 600,000 Bänden und 10,000 Manuscripten der königlichen Bibliothek, schwelgte unter den Schätzen, zeichnete emsig Notizen auf für seine Sammlung der »Austriaca«, und für das »Archiv«, welches er späterhin nach Hormayr herausgab, wobei Ernst Feuchtersleben und ich den bisweilen etwas lässigen Redacteur nach Kräften mit Beiträgen unterstützten.

Der treffliche Schmeller war so freundlich, mich auf einige Curiosa aufmerksam zu machen. So bewunderte ich eine Bibel mit Porträts von Luther, Melanchthon und Friedrich von Sachsen, von Luthers Freunde Lucas Cranach gemalt. Die höchst merkwürdige Musikaliensammlung enthält unter anderen Curiositäten auch eine sogenannte Oper von Kaiser Ferdinand III. –

Meinerseits wurde natürlich auch das »Handwerk« begrüßt. Der Hoftheater-Intendant, Hofrath Küstner, versah die Reisenden täglich mit Logen und Sperrsitzen, und zu den Diners und Soupers des gastfreien Mannes wurden mit uns auch die ersten Schauspielkräfte, wie die Dahns und Andere, geladen. Die Münchener Bühne besaß tüchtige Künstler, doch war ich durch unser »Burgtheater« verwöhnt. Die Spielweise, hier und dort, zumeist auf dem Felde des Modernen, war verschieden; so galt es, sich in die neue Weise zu gewöhnen. Kein Zweifel, zwischen dem Theater-Publicum irgend einer Stadt und deren Localschauspielern besteht ein inniges Wechselverhältniß. Der Mann gehört uns, er wächst mit uns zusammen, man überschätzt vielleicht seine Vorzüge, übersieht seine Fehler, leugnet sie wohl gar schlechterdings. Jede Bühne hat ihre Lieblinge. So behauptet zuletzt der Habitué eines Provinztheaters, man besitze dort die beste »Lorle« oder »Grille«, ja sogar den famosesten »Hamlet« und »Romeo.« –

Die Universität wies bereits bedeutende Sommerlücken auf. So hospitirte ich nur ein paar Mal bei Hofrath Thiersch, mit welchem ich schon früher in Wien bekannt geworden und der in seiner geistreichen Weise über Tacitus las.

Schelling war leider abwesend, was ich sehr bedauerte. Ich war bisher noch niemals mit einem Philosophen »vom Fach« in nähere Berührung gekommen. Auch jetzt mußt' ich mich damit begnügen, mir in einem der Münchener Bierkeller die Stelle weisen zu lassen, wo der Schöpfer der Identitätslehre zu sitzen pflegte, nachdem er sich Stuhl und Bierkrug selber herbei geholt, auch den Betrag für die Leibesnahrung in Vorhinein entrichtet hatte, wie es alt- und neubayrische Sitte erheischt.

Ueber Schelling raunte man sich übrigens damals bereits wunderliche Dinge in's Ohr. »Er hat eine neue Religion erfunden« versicherte mich ein Münchener Bürger ganz ernsthaft. – So weit verstieg sich der Begründer der Naturphilosophie nun wohl nicht! Daß er aber seine eigentlich negative Lehre durch eine neue positive Philosophie ergänzen, einen »Dogmatismus höherer Art«, wie er's nannte, zu schaffen im Sinne hatte, das war vollkommen richtig. Und zwar sollte das Factum der Offenbarung als solches erklärt, die übersinnlichen Thatsachen des Christenthums sollten begreiflich gemacht werden! – Der Widerspruch (contradictio in adjecto), der schon in der Aufgabe liegt, springt in die Augen. Wer erklärt ein Mysterium? Wer will ein Wunder begreiflich machen? Auch war die Erklärung, wie sich bald herausstellte, wirklich noch unbegreiflicher, als dasjenige, was dazu dienen sollte, sie begreiflich zu machen. Aber auch schon das angenommene Princip: das rein Negative durch ein Positives zu ergänzen, stand in directem Widerspruch mit sich selbst. – Das Alles hinderte jedoch die Neu-Schellingianer nicht, sich mit den Alt- und Jung-Hegelianern, die nach ihres Meisters Ableben kampfgieriger geworden als je, Jahre lang auf Tod und Leben herum zu schlagen. – Später, im Jahre 1841, kam Schelling als Geheimer-Hofrath nach Berlin und hielt seine Vorlesungen über die Philosophie der Offenbarung; der indiscrete Paulus in Heidelberg gab nun die, von Schelling's Zuhörern nachgeschriebenen Mysterien-Hefte heraus, sammt einer Kritik der Schrift, von welcher nach ihrem öffentlichen Erscheinen der Zauber des Geheimnißvollen ziemlich abgestreift war – nur das Unbegreifliche blieb als Residuum zurück! Dieses Unbegreifliche ließ sich aber nach einer gewissen Seite hin sehr wohl begreifen; die neue Geheimlehre war nämlich für das Christenthum in die Schranken getreten wie für den (preußisch) christlichen Staat, als dessen Schirm und Schutz seiner Zeit gewissermaßen auch Hegel gegolten hatte. Längst aber, eigentlich schon vor dessen Scheiden, hatte sich das Blatt gewendet. Die Jung-Hegelianer hatten inzwischen nicht nur den Renegaten Schelling, sondern Staat und Kirche selber angegriffen. Die Hegel'sche Begriffslehre ist vieldeutig und dehnbar, die Methode Alles bei diesem philosophischen Schachspiel, bei dieser dialektischen (sit venia verbo) Taschenspielerei. Die geschicktesten Escamoteurs traten nach einander auf. – Als gewaltiger Vorkämpfer einer neuen Richtung erwies sich der klarverständige und scharfsinnige David Strauß, dessen Kritik eigentlich mit der Hegel'schen Philosophie nur wenig gemein hatte. Das »Leben Jesu«, bereits im Jahre 1835 erschienen, hatte in der philosophischen wie theologischen Welt das ungeheuerste Aufsehen erregt, wie später das gleichnamige und verwandte Werk Renan's in der ganzen Welt, da es leichter geschrieben ist, wenn auch mit minder kritischem Geiste, dagegen faßlicher, auch von gemüthlicher, selbst poetisch abschildernder Seite anziehend. Jedermann kennt das Buch von Strauß und weiß, daß die Evangelien darin als Mythen aufgefaßt, die Wunder als natürliche Erscheinungen erklärt werden; die Hauptsache ist, daß der historische (dogmatische) Christus negirt, ein ideeller Gottmensch (beiläufig wie bei Hegel) an dessen Stelle gesetzt wird. Von dem Gottmenschen ist der Weg nicht weit zum Menschengotte, zu der Lehre Ludwig Feuerbach's: der menschliche Geist, in Vernunft, Gefühl, Wollen, ist Gott selbst, die außer sich gesetzte Gottheit nichts als ein Phantasiengebilde! Bruno Bauer drückt das noch weit schärfer aus, indem er die Offenbarung ohne weitere Umstände als das Werk des »lügenhaften theologischen Bewußtseins« darzustellen sucht. – Dadurch hatte man der Kirche offenen Krieg erklärt; die Halle'schen (später »deutschen«) Jahrbücher setzten den religiösen Kampf fort, zogen ihn aber zugleich in das Gebiet der Politik und erließen zu Neujahr 1843 jenen bekannten berüchtigten Fehdebrief gegen den bestehenden Staat, indem sie geradewegs zur Republik aufforderten, was zuletzt freilich die völlige Unterdrückung des Journals veranlaßte – allein seine Sendung war beiläufig vollbracht.

So hatte nun die deutsche Philosophie seit Kant in der That ihren Kreislauf vollendet, alle Phasen der Speculation durchgemacht, um schließlich bei einer praktischen Seite anzulangen. Die Metaphysik ist für eine geraume Zeit, wenn auch nicht für immer, bei Seite gelegt, an ihre Stelle die Naturwissenschaft getreten. Dem freien Vernunftstaate wurde aber damals die Bahn gebrochen, nachdem man die letzten Trümmer des ausgegoltenen theologischen und Polizeistaates wissenschaftlich über den Haufen geworfen, was man später, im Jahre 1848, auch praktisch, aber ohne rechten Erfolg, zu versuchen begann. – Jene philosophischen Kämpfe hatten sich sogar bis nach dem stillen Oesterreich verpflanzt. Der Remboldianer (Herbartianer) Franz Exner, seit 1831 Professor der Philosophie in Prag, griff die Hegelianer mit scharfer Waffe an (»die Psychologie der Hegel'schen Schule«, Leipzig 1842–44, zwei Hefte), wogegen sich Joseph Unger (dermalen Sprechminister) in seinen Jugendjahren als eifriger Anhänger Hegel's erwiesen hatte, in dessen Dialektik sich ein Frühwerk Unger's: »Die Ehe in ihrer welthistorischen Entwickelung« gewandt und bequem bewegt, wenn er gleich gegenwärtig, als gereifter Mann, in Michelet's reine Enkomiastik nicht einzustimmen, noch in dem »Sein gleich Nichts« die letzte Auflösung des Welträthsels zu entdecken vermag. –

Ich habe hier nur referirt und die Spitzen gewisser Lehren berührt, die in den dreißiger und vierziger Jahren coursirten und von denen die Gemüther zur Zeit des politischen Stillstands auf das Lebhafteste angeregt wurden, wie in unseren Tagen Schopenhauer's und Eduard von Hartmann's Pessimismus in Gesellschaft und Literatur immer mächtiger eindringt. Merkwürdig genug, daß die »Parerga und Paralipomena«, elegant in Goldschnitt gebunden, auf den Lesetischchen der Wiener Damen zu finden sind, ohne daß man dem Philosophen die wenig schmeichelhafte Ausdrucksweise in der Beurtheilung des schönen Geschlechtes besonders nachzutragen scheint. –

War der zahme bayerische Constitutionalismus himmelweit entfernt von dem freiheitlichen Ideale, und nun gar von dem republicanischen der »deutschen Jahrbücher«, so fühlte man sich dagegen in Wien und Oesterreich wie in einem geistigen Zuchthause. Und so fragten wir uns damals und noch lange nachher:

»Wann wird der Retter kommen diesem Lande?«

Der Münchner Aufenthalt, für den naiven Wiener anregend, so Gemüth als Geist erfrischend, legte doch dem Naturfreunde in der August-Hitze zu schwere Opfer auf. Seit Jahren an Gebirgs-Touren gewöhnt, wanderte ich über Tegernsee und Kreut durch das Achenthal nach Innsbruck. In Ambras lagen kroatische Grenzer seit Jahr und Tag und mochten sich wohl nach Weib und Kind zurück sehnen. Im schönen Rittersaal waren in die Bildnisse der Erzherzoge und Kaiser Pflöcke geschlagen, woran Militairmäntel, auch Hemden und Inexpressibles hingen; Commißbrote lagen vor den Potentaten, wie die Speiseopfer vor den alten Götterbildern. Im Schloßhof standen vor den Fresken Gerüste für Maler aufgerichtet, welche mit Mühe die Bewilligung erhalten hatten, die dem Verderben preisgegebenen Bilder zu copiren. Das Ganze gab einen traurigen Anblick und ließ einen widrigen Eindruck zurück. Merkwürdig genug, daß sich eine uralte Herrscher-Familie um Denkmale, die sich auf ihre Ahnen beziehen, nicht im Geringsten bekümmert. Ich weiß nicht, was sich der Herzog von Modena dabei dachte, der zu gleicher Zeit mit mir den Wust besah; jedenfalls daß sich diese barbarische Gleichgiltigkeit gegen historische Erinnerungen auch dem Volke mittheilen muß, für dessen Bildung ohnehin so viel wie nichts gethan wurde und das sich völlig in den Händen der Geistlichkeit befand. Nirgends wird übrigens mehr auf das Aeußere der Religion gehalten als im Gebirge! Nicht nur die Tiroler sind bigott. auch die Kärntner, Steirer und Oberösterreicher. Die Messe und den Segen hören, Gebete plappern, das geht den ganzen Tag. Auch an beichten gehen und communiciren fehlt es nicht. Wie wenig aber dieses religiöse Handwerkstreiben mit Sitten-Reinheit und Feinheit der Bauerngemeinden. wie ihrer Seelenhirten, im Zusammenhang steht, hatte ich Gelegenheit, bereits im Jahre 1826, bei einem längeren Aufenthalt in Kärnten zu erfahren. Die Landpfarrherren hatten dort von innen wie nach außen nur wenig Geistliches an sich. Sie gingen meist in langen Röcken (Kitteln), weiten leinenen Beinkleidern, bunten Halstüchern, runden Hüten, halb Landbeamte, halb Bauern, schimpften über das Consistorium, trieben Landwirthschaft, auch Viehhandel. Unter ihnen dienten arme Capläne, wahre Lastthiere, denen alle schweren Pflichten ihres Standes, so die Seelsorge im Hochgebirge bei Tag und Nacht aufgebürdet waren, und die kaum in der Lage waren, sich Einmal im Tage satt zu essen. Und die Pfarrer selbst! Aus dem Religionsfond besoldet und durch die Congrua schlecht bedacht, waren sie zumeist auf die Stolagebühren und auf den Zehend angewiesen, den sie strenge einzufordern schlechterdings genöthigt waren, sollten sie sich selber und ihre armen Capläne nothdürftig erhalten. Das führte nun häufig zu Reibungen mit den Beichtkindern und Zehendholden, that, nebst dem etwas lockeren Lebenswandel der geistlichen Hirten, dem Respect gegen sie Eintrag. An gelegentlichen Skandalen fehlte es auch durchaus nicht. So bei dem Frohnleichnamsfeste, welches in Ober-Vellach, dem Sitze eines Dechanten, besonders glänzend gefeiert wurde. Sämmtliche Pfarrer der Umgegend hatten sich dazu eingefunden; der von Flattach aber hatte seine Köchin im Steirerwagen selbst kutschirend mitgebracht, sie einige Schritte vor der Dechanei abgesetzt, wo er erst seine geistliche Toilette machte, später mit seinen Collegen zur Tafel geladen war. Die Tactlosigkeit des Pfarrers, die hübsche »Nani«, die noch weit zum canonischen Alter hatte, an einem so festlichen Tag vor aller Welt herum zu kutschiren, war zu den Ohren des Oberhirten gelangt, welcher dem leichtsinnigen Seelsorger weidlich den Text las, wie er's auch verdiente. – Natürlich daß derlei Vorfälle nicht eben dazu beitrugen, Sitte und Sittlichkeit unter dem Landvolk besonders zu erhalten oder zu fördern. So hatte sich damals die Anzahl der unehelichen Kinder im Möllthal von Jahr zu Jahr in unverhältnißmäßiger Proportion vermehrt und unter den Weibern und Mädchen waren wenig Lucretien zu finden, wozu freilich die Militair-Einquartirungen das Ihrige beitrugen. Aber auch das Kegelschieben um Geld, das Schlemmen und Zechen war unter den wohlhabenderen Bauern eingerissen, sowie das ankreiden lassen, und die Weinwirthe besuchten einander wohl um die Wette, tranken sich gegenseitig ihre Fexungen aus. Schlemmerei und Lüderlichkeit gingen dabei mit Kirchengehen und äußerlichem Gottesdienst wie auch mit dem krassesten Aberglauben Hand in Hand. Gewisse »wunderliche Heilige« standen in besonderem Ansehen. So in Heiligen-Blut der heilige Prictius, der nach der Legende in seiner Wade ein Fläschchen vom Blute Christi davon getragen. Ich hatte aber den hölzernen Heiligen damals in einem erbärmlichen Zustande vorgefunden. Die Weiber schnitten sich nämlich Späne aus ihm heraus, indem der Besitz eines derlei Segments die Geburten erleichtern soll. Im Jahre 1826 war dem armen Prictius besonders hart zugesetzt worden! Nur sein Rumpf war mehr übrig, ohne Kopf und Hände, auch nur mehr die halben Füße. Um der Nachfrage zu genügen, war aber bereits wieder ein neuer hölzerner Wundermann bestellt. –

In dieser und anderer Weise ließ man das schöne Bergland verkümmern, aus welchem man vor Zeiten die fleißigen, auch nüchternen Protestanten vertrieben hatte. Mit ihrem Scheiden gerieth der Bergbau in's Stocken, die sonst ergiebigen Silberschachten zerfielen, man schürfte nur mehr zur Noth und ohne Gewinn. Wie man unbekümmert blieb bei dem schwindenden Wohlstand der einst blühenden Provinz, so that man auch nichts für die Bildung weder des Landvolkes noch des Land-Clerus, der kaum eine Stufe höher stand als seine Pflegebefohlenen. Man begnügte sich, Steuern einzuheben, Executionen vorzunehmen, Beichtzetteln einzufordern und das Militär zwecklos hin und her marschieren zu lassen.

Ward es mir in Kärnthen, wie längst in Wien, schon damals klar, daß dieses geistlose System des »laisser aller, laisser faire« nicht von ewiger Dauer sein könne, sich an den lässigen Gewalthabern früher oder später rächen müsse, so konnte ich jetzt, sechs Jahre später, in Tirol ähnliche Beobachtungen anstellen und dieselben Schlüsse daraus ziehen. Wenn man vielleicht der Meinung war, auf dem oben angezeigten Wege des scheinheiligen Frömmigkeitswesens gehorsame und zufriedene Unterthanen zu erziehen, so befand man sich höchlich im Irrthum! Die Tiroler Bauern waren nichts weniger als mit der Regierung einverstanden, und die Bürger eben so wenig, noch die Beamten, die schon damals nur mit Widerwillen das gepriesene »System« ausführen halfen. Ich kam an ein paar Abenden in einem Gärtchen mit Bürgern und Honoratioren zusammen, die sich kein Blatt vor den Mund nahmen – ich habe nicht bald so herzhaft, laut und ohne Scheu über die »Wiener Herr« losziehen hören, wie damals in Innsbruck. Ob das später, in der sogenannten constitutionellen Aera, anders geworden? Ich zweifle! Deutsch-Tirol liebäugelt seit Jahren immer auffälliger mit Bayern, wie Welsch-Tirol mit Italien. Unser neues Ministerium von »honneten Leuten« (ich schreibe im Januar 1872) wird zu thun haben, um das Concordatwüthige Volk zur Vernunft zu bringen. Wenn die Herren (ich will annehmen, daß es ihnen damit Ernst ist) nur auch Zeit und – Gelegenheit dazu finden. –

Der Curiosität halber wurde die »Martinswand« bestiegen. Entweder war Kaiser Max ein schlechter Bergsteiger oder die Felsen sind seitdem milder und zugänglicher geworden – kurz, wir kraxelten hin und zurück ohne besondere Beschwerde und kein Engel oder Bauernbengel brauchte sich unsertwegen zu bemühen. –

Von Innsbruck über Salzburg und das Salzkammergut nach Wien zurück. –

Im August 1836 unternahm ich eine Reise durch einen Theil von Deutschland mit Freund Auersperg. Der»Pfefferkörner- Maltitz«, breit, klein, etwas höckerig, heftig in Sprache und Gesticulation, machte in Dresden unsern Cicerone.

Er führte uns zu Tiedge – ein vierundachtzigjähriger freundlicher Greis, den das Podagra im Armstuhle festhielt. Seine Freundin Elisa von der Recke hatte den Verfasser der »Urania« jahrelang auf das sorgsamste gepflegt. Sie starb 1833; nun lebte er einsam. Auch der alte Leipziger Schnorr hatte sich eingefunden, der noch mit Seume wohlbekannt gewesen. So verknüpfen sich die Zeiten! Als Repräsentant der Gegenwart besuchte uns der artige Kühne, damals Redacteur der Leipziger Eleganten Zeitung, die später an Laube überging.

In Leipzig wurde Anastasius Grün hoch gefeiert. Er stand damals im Zenith seines Dichterruhmes. Verleger, Literaten und Studenten belagerten ihn schaarenweise, ein Jeder wollte ihn kennen lernen, die Meisten brachten ihre Albums mit, erbaten sich ein paar Erinnerungsverse, gelegentlich auch von mir.

An Goethe's Geburtstag langten wir in Weimar an. Frau v. Goethe hatte nach dem Ableben ihres großen Schwiegervaters mit Mrs. Jameson zum erstenmale Wien besucht, wo sie in der Folge einen bleibenden Aufenthalt nahm.

Ottilie, schon damals kränklich und leidend, trägt ihre Uebel und Gebrechen bis zum heutigen Tage mit einer Engelsgeduld, deren ich kein Beispiel weiß; dabei nimmt sie unter Schmerzen und Entbehrungen jeder Art unausgesetzt den lebhaftesten Antheil an Allem, was geeignet ist, Geist und Gemüth in Bewegung zu setzen. Für das geringste Gute oder Freundliche, das man ihr erweist, in hohem Grade dankbar, in der Freundschaft verläßlich und ausdauernd, hat sie sich eine gewisse Jugendfrische, Empfänglichkeit und Begeisterung für alles Schöne und Gute bis in ein Alter zu bewahren gewußt, welches gewöhnliche Menschen abstumpft, so ideellen Naturen aber, wie es scheint, nichts anzuhaben vermag. Die immer liebenswürdige und zugängliche Kranke, die sich selbst und ihre Zustände vergißt, die, aufmerksam auf Personen und Verhältnisse, einen Jeden mit Interesse anhört, die über ein neues Gedicht in Entzücken gerathen kann, wie über eine schöne Blume – sie könnte wahrhaftig mit Voltaire sagen: »La santé seule me manque; mais il n'y a point de malade plus heureux que moi.« Ihre beiden Söhne, auf die der Name Goethe drückt, haben Geist und Talent, alle Herzensgüte und leider auch vieles Kranke von der Mutter, für die sie einen wahren Cultus hegen.

Ottilie hatte mir in Wien viel von Weimar und vom »Papa« erzählt, mich auch auf das dringendste eingeladen, sie in ihrer Heimat zu besuchen. Ihr Schwiegervater habe von jeher eine Vorliebe für die Wiener gehegt, behauptete sie; Grillparzer und Andere hätten das erfahren, und ich mit meiner Offenheit, selbst gelegentlichem Aufbrausen, würde ihm gewiß zugesagt haben. »Papa« sei höchst unschuldigerweise in üblen Ruf gekommen; er habe sich nur steif und abstoßend gegen neugierige Fremde benommen, die ihn wie ein Wunderthier betrachten wollten, und auch Literaten von Profession, die sich ein Capital aus ihm herauszuschreiben gedachten, waren ihm in der Seele zuwider – wo ihm aber ein wirklicher Mensch entgegentrat, der sich gibt, wie er ist, und nicht mehr scheinen will, als er ist, da habe der alte Herr stets Aufmerksamkeit, Theilnahme, Wohlwollen gezeigt, ja er konnte nach Umständen wohl auch warm und mittheilsam werden.

Wir betraten also das Goethe'sche Haus. Leider war Goethe nicht mehr! Und was war Weimar ohne ihn? Doch nein! Die gute Ottilie war ja hier, die uns wahrhaft herzlich und überfreudig aufnahm. Wir mußten gleich zu Tisch bleiben. Ottilie hatte uns zu Ehren sämmtliche Celebritäten Weimars zusammentrommeln wollen. Ich fragte vor Allem nach Eckermann, der leider nicht aufzutreiben war. Der hypochondrische Mensch ergriff immer die Flucht, wenn er von Fremden, besonders Schriftstellern, vernahm; auch Tags darauf war er nicht aufzuspüren, hatte sich irgendwohin aufs Land verkrochen. Da auch Kanzler Müller abwesend war, so mußten wir mit Froriep, Stephan Schütze und dem Cabinets-Secretär Kreuter vorliebnehmen. Bei Tische stellten sich auch einige Damen ein, und es entspann sich bald die lebhafteste Unterhaltung. Am nächsten Vormittag machte man uns die Honneurs in Weimar.

Der Cancan in einer kleinen Stadt ist groß; gewisse scandalöse Anekdötchen pflanzen sich da noch nach Jahrzehnten fort. Man wies uns unter anderen Dingen auch die seichte Stelle der Ilm (die ganze Ilm ist seicht), in deren Nähe die Frau Superintendentin Herder mit dem Verfasser der »Ideen zur Geschichte der Menschheit« in Zank gerathen war (was nicht selten geschah), dem Herrn Hofprediger die Perrücke vom Kopfe riß und sie von der Brücke in das Flüßchen schleuderte. An ähnlichen Scandalien war übrigens hier kein Mangel, und ich selbst sollte an geheiligter Stelle eine Aeußerung vernehmen, die mich geradezu empörte. Man wies uns nämlich Goethe's Sammlungen und Handzeichnungen, schloß uns sein Arbeitszimmer auf, welches in das Gärtchen geht; auch das Schlaf- und Sterbezimmer des großen Genius durften wir betreten. Es ist schlicht möblirt, eigentlich schlecht, die Bettstätte von weichem Holze, eine Matratze darauf, ein Polster, eine Decke. Ich war bewegt, mir kamen die Thränen – als plötzlich der satyrische St. Schütze mir ins Ohr flüsterte: »Eitelkeit von dem Seligen!« – Auch in der Gruft der Großherzoge, beim Betrachten der Särge Schiller's und Goethe's fielen ähnliche bedenkliche Bemerkungen. Ich selbst erinnerte mich an gewisse kleine Geschichtchen – zum Beispiel, daß der große Goethe, der an der Hoftafel saß, seinem großen Freunde Schiller am Hausofficier- und Katzentische (der Dichter des »Tell« sann vielleicht eben über die hundert Thaler Zulage nach, die man ihm jüngst verweigert) durch den Hofcamerier einen Teller übermitteln ließ mit der erläuternden Erklärung: »Serenissimus senden Ihnen ein Kibitz-Ei!«

Wahrhaftig, der Spötter Kotzebue brauchte nur Weimar zu portraitiren, um die »deutschen Kleinstädter« nach dem Leben zu schildern! Merkwürdig genug, daß dieses sächsische Abdera oder Athen an der Ilm berufen war, die Heroen der deutschen Literatur zu beherbergen. Die paar Anekdoten dürften hinreichen, um an die ganze spießbürgerliche, sociale und Hof-Misère der gelehrten deutschen Musterstadt zu erinnern, deren Hofbibliothek mehr Bände enthält, als das ganze Großherzogthum Unterthanen. Merkwürdig genug, daß jene großen Männer trotz der kleinen Umgebung innerlich groß blieben und mitten in der Misère ihre großen Werke schufen. Für die deutsche Muse gab es keinen Augustus, keine Medicäer, keinen Louis XIV. – sondern nur einen kleinen Kibitz-Eier-Fürsten, der freilich nach Kräften für Literatur und Kunst gethan, allein der deutsche Dichter durfte demungeachtet mit stolzem Bewußtsein von sich sagen und singen: »Selbst erschuf er sich den Werth!«

Wir brachten noch einen angenehmen Thee-Abend bei Ottilien zu, wo freilich die in Weimar uuvermeidlichen Engländer nicht fehlten. Eine Einladung nach Hofe stand uns für den nächsten Abend in Aussicht, worüber wir Beide erschraken. Wir machten uns also des Morgens in der Stille davon, und weiter ging's über Erfurt und Gotha nach Eisenach, wo der Wartburg und dem Luther-Zimmer gebührend Reverenz erwiesen wurde. Tags darauf über Gelnhausen, Hanau nach Frankfurt a. M. Ein junger Doctor legens, Danz (als juridischer Schriftsteller längst bekannt und dermalen Ober-Appellations-Gerichtsrath in Jena), schloß sich uns dort an, begleitete uns nach Mainz, machte die Rheinreise mit uns. Auf dem Dampfschiff gesellte sich ein Mann zu uns, einige Jahre älter als wir, nicht groß, ein frisches volles Gesicht, bebrillt, immer lebhaft, beweglich, mittheilsam, ja ein wenig geschwätzig, in jeder Art Literatur zu Hause. Wir tauschten bald unsere Namen aus und erfuhren, daß wir den Verfasser des »Erbrechts in geschichtlicher Entwicklung«, den Gegner der historischen Schule und Professor der Rechte in Berlin, den Hegelianer Eduard Gans, vor uns hatten. Mitten im lebhaften Verkehr mußten wir uns leider trennen, da er genöthigt war, in Coblenz auszusteigen, wir aber die Rheinfahrt bis Köln fortsetzen wollten, doch gaben wir uns für den Rückweg ein Rendezvous in Bonn.

In Köln saßen eben die Assisen. Für mich, auch für Danz ein willkommener Handel! Wir kamen den ganzen Sommertag und Abend nicht aus dem Gerichtssaale heraus. Es handelte sich um einen Diebstahl, der beiläufig bewiesen war, obwohl unter den verzeihlichsten Verhältnissen, aus Armuth und Verzweiflung begangen. Der Procurator trug, seinem Amte gemäß, auf Verurtheilung an. Der Advocat und Vertheidiger sprach gut, obwohl etwas pathetisch. Der Beschuldigte hatte seit April gesessen – die Jury sprach ihn frei, ohne Zweifel mit Rücksicht auf die Vorhaft wie auf die Familienverhältnisse des armen Teufels. Wie weit schlimmer wär' es ihm in Oesterreich ergangen! Kein Gott hätte ihn vor dem Zuchthause geschützt. Seine Freunde brachten den für unschuldig Erklärten und augenblicklich auf freien Fuß Gesetzten jubelnd nach Hause, und ich fing an, die Vortheile des öffentlichen Verfahrens und der Jury zu begreifen.

Nach ein paar lustigen Tagen in Köln kehrten wir nach Bonn zurück, wo uns Gans bereits mit Sehnsucht erwartete und am nächsten Vormittag zu A. W. Schlegel führte. Trotz der noch warmen Jahreszeit (es war in den ersten Tagen des September) brannte doch in dem netten Empfangzimmer ein leichtes Kaminfeuer. Ein Diener in Livrée meldete uns an. Der Professor, damals beinahe ein Siebziger, trat ein. Er war äußerst sorgfältig gekleidet, hatte etwas Schminke aufgelegt und trug eine höchst elegante Perrücke. Im Gespräch sprang er von einem Gegenstande auf den anderen über, brachte auch gewisse Schlag- und Lieblingsworte vor, auf welche mich Gans im vorhinein aufmerksam gemacht, wie er auch dem Gelehrten das Hölzchen warf, um ihm die gewünschte Phrase zu entlocken; dabei blinzelte mir der Schalk verstohlen zu, wie befriedigt über sein gelungenes Stratagem.

Schlegel hatte sich ganz und gar in sein Sanskrit eingesponnen, ließ die moderne Literatur vollkommen unbeachtet oder that wenigstens dergleichen, doch sagte er dem Verfasser des »letzten Ritters«, der »Spaziergänge« und des »Schutt« ein paar artige Worte. Daß ihm meine harmlosen Wiener Lustspiele unbekannt geblieben, war kein Wunder, auch hütete ich mich wohl, merken zu lassen, daß auch ich, gleich dem hochberühmten Mann, Shakspeare übersetzt hatte.

Der alte Schlegel war ein viel gewanderter und erfahrener Weltmann, trug das Wesen eines vornehmen Gelehrten zur Schau – man merkte die Absicht; auch etwas Geckenhaftes war beigemischt. Die Unterhaltung hatte etwas Steifes. Schlegel's Blicke schweiften auch ab und zu auf den als Tourist ziemlich nachlässig gekleideten Doctor legens – seine Blouse schien dem Manne im Frack ein Gräuel. Der allzeit schlagfertige Gans brachte nun das Gespräch auf Schlegel's und Tieck's Jugendjahre – da ließ der Alte nach und nach die strenge Maske fallen, wurde warm, tischte uns die artigsten Anekdötchen auf, lud uns endlich sogar zum Mittagessen. Leider daß Auersperg nicht annahm, der mit der Rückreise eilte, wegen eines Rendezvous mit Tieck. Ich bedauere das versäumte Mittagmal mit dem Bruder des Verfassers der »Lucinde«. August Wilhelm war in Zug gerathen; sein frivoles Auge ließ errathen, daß wir auf dem besten Wege waren, die wunderlichsten Aufschlüsse über das Jugendtreiben jener Gründer der neuen, inzwischen alt gewordenen Romantik zu erhalten.

Ich gab Freund Anastasius das Geleite bis nach Coblenz zurück, ließ ihn aber nach Darmstadt vorausreisen und versprach, bald nachzukommen. Inzwischen streifte ich, anfangs mit Gans und Danz, später mit Danz allein, eine Reihe vergnüglicher Tage in den Rheinlanden herum: wir besuchten Rheinstein, Drachenfels, Bacharach, Bingen, warfen Blicke in die Seitenthäler der Lahn. Eduard Gans war ein Lebemann und Feinschmecker; als wir uns trennten, schrieb er mir die besten Gasthöfe für die Rückreise bis München auf – ich bewahre den Zettel noch. Wir hatten gegenseitig Gefallen an einander gefunden, und ich versprach, ihn gelegentlich in Berlin zu besuchen, allein in den nächsten zwei Jahren kam ich nicht dazu, trotz seiner dringenden Briefe, und das Jahr 1839 hatte dem thätigen und genußreichen Dasein des lebensfrischen Mannes leider bereits ein Ziel gesetzt. Noch während des fröhlichen Verkehrs mit Gans hatte ich den unglücklichen Ausgang unseres armen gemüthlichen Raimund durch die Zeitungen erfahren.

Wen hab' ich nicht Alles seitdem begraben müssen? Wenn man alt wird, verlieren sich die Freunde, alte wie junge, bis man sich zuletzt selber verliert. –

In Darmstadt endlich angelangt, ward ich von dem Freunde ausgescholten. »Du hast Tieck versäumt«, hieß es, »der deinetwegen noch einen Tag zugewartet.« Es that mir leid. Ich sollte das Haupt der Romantiker erst im Jahre 1852 kennen lernen, als Meister Ludwig bereits neunundsiebzig Jahre zählte, trotzdem noch immer frischen Geistes war.

In Deutschland zu reisen, war vor der Eisenbahn-Aera äußerst angenehm. Deutschland hat keine Hauptstadt – das mag politisch vom Uebel sein – für die Literatur war es bisher ein Vortheil. In jeder Stadt, in jedem Städtchen leben ein paar halbverborgene Geister und Talente, die in ihrer Provinz-Einsamkeit eine höchst originelle Gestalt annehmen. Ich erinnere nur an das Unicum Jean Paul, der einzig in Deutschland, Wunsiedel und Baireuth möglich war! Und wer möchte den »Quintus Fixlein« entbehren, den»Siebenkäs« oder die »Flegeljahre«? Freilich gehen auch vereinsamte Genies bisweilen zu Grunde, wie Lenz und Grabbe – jede Blüthe kann nicht zur Frucht werden!

Kurz, in Deutschland zu reisen, war damals ein Vergnügen, zugleich eine Belehrung. In jedem Orte, den wir auch nur flüchtig berührten, fanden sich ein paar Männer der Wissenschaft und Literatur zusammen, und wir begrüßten in ihnen das Handwerk, hatten oft in wenig Stunden die bedeutendsten Verbindungen angeknüpft. Es ging ein gemeinsames Band durch alle deutschen Lande. Man reiste da wie en famille und war überall bald zu Hause.

Wenn Deutschland in den Dreißiger-Jahren noch völlig in »Literatur-Seligkeit« aufgelöst war, wie Auersperg und ich das im Jahre 1836 erfahren, so hatten sich die kleinen süddeutschen Kammern inzwischen bereits nach Kräften zu regen und zu rühren begonnen. Als ich im Jahre 1845 von einem Ausfluge nach Paris und London in die deutschen Bundesstaaten zurückkehrte, fand ich die Stimmung gewaltig umgeschlagen. Das politische Moment herrschte vor. So erfuhr ich's in den Rheinlanden, so in Bonn bei einem »Maitrank« mit Simrock, Kinkel und anderen deutschen Professoren, wo gar wuchtige Worte fielen.

Aber auch der deutsche Bürger und Philister war nicht mehr derselbe. Bei einem Souper in Mainz im »Hessischen Hof« sagte mir ein tüchtiger, etwas derber Mann, wohlbehäbig, weinfroh: »Deutschland sollte nur Einem gehören – die vielen Herrlein, das taugt nichts!«

Mich als Wiener erkennend, expectorirte er sich des Weiteren: »Oesterreich haben wir gern, hätten uns ihm auch mit Freuden angeschlossen – aber jetzt müssen wir's mit Preußen halten! Auch ist der österreichische Stock abscheulich. Die Menschen muß man mit der Ehre zusammenhalten, nicht mit dem Prügel!« –

In Mannheim kaum angelangt, kam mir Glaßbrenner in den Wurf. Binnen einer Stunde hatte der einen Rudel Literaten und Schauspieler zusammengetrommelt. Wir kneipten mit ihnen und den liberalen Deputirten, den aus Berlin verwiesenen Itzstein und Hecker. Auch der gemäßigtere Mathy war zugegen. Es wurde bis lange nach Mitternacht ungeheuer politisirt, mitunter auch ins Zeug geschwatzt, von Seite Hecker's mit souveräner Verachtung der Gegenpartei. Einer gebrauchte gelegentlich das Wort: »Pöbel.« »Es gibt keinen Pöbel!« – schrie Hecker auf – »es gibt nur das Volk, und das Volk ist der Herr!«

Oesterreichs wurde mit großem Mitleid und mit ebenso großer Unkenntniß gedacht, so daß ich mich meiner Landsleute annehmen mußte.

Hecker, damals ein feuriger junger Mann, ein kräftiger und prächtiger Kopf, gestand mir im Nachhausegehen, daß er der kleinlichen Kämpfe und Nergeleien müde sei. »Kommt's nicht bald zur Revolution, so wandere ich aus mit Weib und Kind!« hieß es.

Nun, es kam zur Revolution und er mußte auswandern.

Tags darauf begleitete mich Glaßbrenner nach Heidelberg zu Karl Beck, der sich schon damals als »stiller Mann« erwies. Herwegh hatte ich leider versäumt.

In Stuttgart war ich viel mit dem Schauspieler Moriz zusammen, in dessen Geleite ich auch, wie früher erzählt worden, den armen Niembsch in Winnenden besuchte.

Bei meiner Abreise von Stuttgart, gerade beim Einsteigen in den Eilwagen, wurde mir mein Reisegefährte genannt: der amerikanische Consul Francis Grund, ein geborner Wiener, seit zwanzig Jahren in Newyork, damals ein kräftiger Vierziger, mehr als lebhaft, in allen Künsten der Democratie zu Hause. Wir unterhielten uns ununterbrochen die ganze Nacht, zur Verzweiflung unser übrigen Reisegenossen. In Augsburg mit Grund und den Redacteuren der Allgemeinen Zeitung, Altenhöfer, Mebold und Wiedemann drei Tage lang in unausgesetztem Verkehr. Kolb war leider abwesend. Alle diese Männer besaßen eine Kenntniß der europäischen, auch der amerikanischen Zustände und Verhältnisse, wie ich sie manchem österreichischen Minister wünschen möchte. Ich hörte zu, wenn sie sprachen, ließ mich unterrichten, lernte an ihnen. Grund hatte ein Auswanderungs-Project in petto. Die Deutschen seien nur etwas werth, meinte er, wenn sie in ausländischen Boden versetzt werden – man müsse das deutsche Gemüth durch etwas Yankeismus pelzen. Er wollte sich auch für eine Revolution in Preußen binnen drei Jahren verbürgen. In Deutschland gährte es allerdings bereits ungeheuer; man konnte diese Bewegung beiläufig mit der in Frankreich vom Jahre 1786 vergleichen. Auch Friedrich List hatte sich gelegentlich zu uns gesellt. Er fühlte sich schon damals ziemlich gedrückt, bereute, Amerika verlassen zu haben. Als er zu der Thür hinaus war, sagte mir Grund: »Der Mann hatte in seinem ganzen Leben immer nur Eine Idee im Kopfe: daß die Deutschen so viel Colonialwaaren als möglich verzehren und dagegen Manufacturwaaren ausführen müssen. Sonst weiß er nichts. Seine Verdienste um Zollverein und Eisenbahnen will ich ihm lassen, aber er wird doch elend zu Grunde gehen.« –

Die Prophezeiung traf leider nur zu bald ein. Das Jahr darauf kam List dahin, seinem Leben ein Ende zu machen. Die deutsche Gleichgiltigkeit hatte ihn in den Tod gejagt.

Wir sprachen auch von Oesterreich. Ich erwähnte der süddeutschen Sympathien für mein Vaterland, die unsere Machthaber wenig benützten, eigentlich Alles thäten, um ihnen entgegenzuwirken. Die Slaven, die man gegen die Magyaren hetzen will, erkräftigten sich so auf Kosten des deutschen Stammlandes!

»Das ist's auch!« rief Grund lebhaft aus. »Ihr zerstückelt euch selbst und arbeitet den Russen in die Hände!«

Ich konnte in Augsburg auch erfahren, wie die Journal-Artikel und Notizen entstehen. Es kam die Nachricht des Anschlusses von Texas an die Sternen-Union. Grund war entzückt darüber, schrieb noch in der Nacht einen Artikel für die »Allgemeine«, aus Newyork datirt. Texas sei beiläufig so groß wie ganz Frankreich, wird darin erzählt. In fünfzig Jahren werde Amerika eine Population von zweihundert Millionen aufweisen können. Ein populäres Buch trage dann dem Verfasser etwa eine Million Dollars ein.

So rechnen die Yankees! Es ist was Dämonisches in der neuen Welt. Wie keusch war unser Deutschland dagegen noch vor 1848!

Ich schied ungern von den Augsburgern, allein Grund mußte nach Antwerpen, seines Consulats wegen, so zog ich heimwärts über München. Auch hier hatte die Politik bereits die Oberhand über die Kunst. Bei einer »Liedertafel«, wo viel Deutschthum consumirt wurde, brachte man meine Gesundheit aus, auf Veranlassung der Schriftsteller-Petition und anderer meiner liberalen Bestrebungen. Als echter Wiener redescheu, des Wortes wenig mächtig, dankte ich ziemlich unbehilflich. Einige Professoren gaben mir ein Diner, wo ich zumeist dem trefflichen und höchst lebendigen »Fragmentisten« Fallmerayer nahe kam. Auch Hofrath Thiersch war zugegen. Der Philologe bezeichnete den Fürsten Metternich als: »Μεσονύκτιος.«

Gegen Ende August nach Hause zurück, nach einer Abwesenheit von vollen drei Monaten.

Bald war ich in den alten Pferch wieder eingewöhnt, fing meine Arbeiten an. Wer sich dem Theater ergibt, dem läßt es nimmer Ruhe. Ein Stoff hatte mir längst vorgeschwebt. In der anscheinend harmlosen Form eines gewöhnlichen bürgerlichen Lustspiels sollte dem »österreichischen Systeme« selber zu Leibe gegangen werden. Das Ding war unter den gegebenen Censurverhältnissen nicht so leicht zu machen. Ich arbeitete »Großjährig« im Laufe eines Jahres drei-, viermal um, schrieb es erst in vier Acten, dann in drei, zuletzt in zweien. In dieser Gestalt lernte es Alexander Baumann kennen. Er diente im Bureau des Grafen Kolowrat, der ihm ungemein gewogen war, ihn auch auf das Landgut mitnahm, wohin sich der Staats- und Conferenz-Minister zur Sommerszeit gewöhnlich für einige Monate cum otio et dignitate zurückzog. Zur Erheiterung des Staatsmannes wurde dort bisweilen auch von Dillettanten Comödie gespielt. Baumann ersuchte mich nun, ihm das Lustspiel für die gräfliche Hausbühne zu überlassen; er selbst wollte den Schmerl spielen, Mathilde Wildauer werde die Rolle der Liebhaberin übernehmen. Und so geschah es auch. Der Graf fand das Stück »charmant«, und die Privat-Aufführung bahnte der Satyre im November 1847 den Weg auf die Bretter des Hofburgtheaters.

Eine Anecdote, die mir Graf Kolowrat mitgetheilt mag hier ihren Platz finden. Wenige Tage nach der ersten Aufführung des Lustspiels, hatte sich Erzherzog Ludwig, als er ins Theater ging, gegen den Grafen geäußert: er höre, daß er (der Erzherzog) in dem Stücke vorkomme. Der Graf versicherte hoch und theuer, daß in dem harmlosen bürgerlichen Lustspiele von derlei Anspielungen durchaus nicht die Rede sei. Wieder einige Tage darauf sagte ihm der Erzherzog, der einen gewissen trockenen Humor besaß: »Ich hab' das Stück gestern gesehen – ich komm' doch darin vor und Sie eigentlich auch!« –

Merkwürdig, daß das Stück zugleich mit dem alten Systeme verschwand. Das neue fürchtet sich doch nicht etwa auch vor dem »Blase«? –

Man lachte über »Blase« und sein »Abwarten«, konnte sich aber zu gleicher Zeit der entsetzlichen Auftritte in Galizien (vom Februar 1846) erinnern, welche durch das ominöse Abwarten herbeigeführt worden.

Die elfte Stunde hatte geschlagen. Das österreichische »Mene Tekel« wurde bereits an der Wand sichtbar.


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