Eduard Bauernfeld
Aus Alt- und Neu-Wien
Eduard Bauernfeld

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IV.

(Jugendfreunde. – Schwind und Schubert.)

Das Gemüth ist die Unruh' in der Uhr.
Fischart.

Mit Moriz v. Schwind bin ich im Gymnasium auf der Schulbank gesessen. Seitdem ist weit über ein halbes Jahrhundert verstrichen, und die Jugendfreunde waren sich traute Freunde geblieben, bis zum Scheiden des Einen. Den Jünglingen hatte sich ein Dritter beigesellt: Franz Schubert leider nur für wenige Jahre! Das Verhältniß zwischen den Beiden war eigen und einzig. Moriz Schwind, eine Künstlernatur durch und durch, war kaum minder für Musik organisirt, als für Malerei. Das romantische Element, das in ihm lag, trat ihm nun in den Tonschöpfungen seines älteren Freundes zuerst überzeugend und zwingend entgegen – das war die Musik, nach der seine Seele verlangte! Und so neigte er sich auch dem Meister mit seiner ganzen jugendlichen Innigkeit und Weichheit zu, er war völlig in ihn verliebt, und ebenso trug Schubert den jungen Künstler, den er scherzweise seine Geliebte nannte, im Herzen seines Herzens. Er hielt auch große Stücke auf Schwind's musikalisches Verständniß, und jedes neue Lied oder Clavierstück wurde dem jungen Freunde zuerst mitgetheilt, welchem das immer wie eine neue Offenbarung seiner eigenen Seele klang.

»Wie der componirt, so möchte ich malen können!« rief es in seinem Innern. Und die Wirkung nach Außen ließ nicht lange auf sich warten. Eine Jugendarbeit, eine Reihe Blätter von reicher Erfindung und reizender Zeichnung: »Die Hochzeit des Figaro«, konnte nur von einem musikalischen Maler herrühren, und die Cartons zur »Zauberflöte«, für das neue Opernhaus bestimmt, sowie die Entwürfe zu den Opernscenen für's Foyer führten den alten, aber noch lebenskräftigen Mann wieder der Richtung zu, den Keimen, die in der Seele des Jünglings gelegen.

Diese Skizzen, poetisch-musikalisch gedacht und empfunden und mit Grazie gezeichnet, sind längst nach ihrem vollen Werthe gewürdigt worden. Was die Ausführung im Großen und die Farbe betrifft, so sind tadelnde Stimmen darüber laut geworden, zumeist über die Fresken der »Loggia«. Ich überlasse diese Streitpunkte mit Recht den competenten Kennern und Kunstrichtern. – Cornelius und seine Schule, wie auch Kaulbach, gehen ihrer innersten Natur nach nur wenig auf blendende Farbeneffecte aus, sie wirken durch Conception und Erfindung, Geist und Symbolik. Auch die Schwind'schen Märchenbilder erfordern Stimmung, wie sie sie erwecken; das reiche und mannigfaltige Leben, welches sie enthalten, schließt immer ein neues Schönes aus, je mehr man sich darein vertieft und es Einem zuletzt klar wird, daß es nur der innere Gehalt ist, die edle Harmonie zwischen Stoff und Form, wodurch irgend eine Schöpfung sich zum wahren Kunstwerke erhebt.

Der junge Künstler hatte lange gebraucht, bis er sich emporgerungen und geschwungen, doch gilt er nun seit geraumer Zeit als das, was er längst war. In poetischer Conception kommt ihm kein Lebender gleich, kaum nahe; da ist Alles frisch empfunden, menschlich wahr, voll Humor, Geist und Grazie – ich erinnere nur an die »sieben Raben«, an die »Fresken auf der Wartburg« und im Wiener Opernhause, sowie an sein letztes: »Melusine«. Die Meisterschaft in der Zeichnung sprechen ihm selbst seine Gegner nicht ab. Von seinen nicht zahlreichen Oelgemälden darf man »Ritter Kurt's Brautfahrt« herausheben. In dieser Jugendarbeit geben sich bereits alle Vorzüge des Maler-Dichters in Erfindung und Charakteristik kund.

Moriz Schwind ist und bleibt Romantiker, ein Stück Mittelalter ist in ihm wieder ins Leben getreten, zugleich von dem lebendigsten Hauch der Gegenwart angeweht. Mein alter und immer junger Freund, eine urwüchsige Natur, ist zugleich ein Wiener, auf München gepfropft und seinerzeit durch Meister Cornelius gepelzt. Wenn man ihm sein bisweilen derb sarkastisches Wesen, seine anscheinend einseitige Richtung, sein künstlerisches Parteinehmen zum Vorwurfe macht, so wird sich manches Schroffe an ihm in weit milderem Lichte zeigen, kennt man erst seinen Lebensgang. Im Ganzen ist's ein Kernmensch, dessen Wesen und Genesis ein wenig zu verfolgen jedenfalls der Mühe lohnt.

Freund Moriz war noch zu Schubert's Zeiten ein schlanker junger Mensch von Mittelgröße, mit einer angenehmen, wohl geschnittenen, echt deutschen Physiognomie, frisch-rother Gesichtsfarbe, kleinen, aber bedeutenden, scharf blitzenden Augen, das lange wallende Haupthaar wie Schnurr- und Spitzbart röthlichblond. Eigentlich ein hübscher Junge, welchem sich Frauen und Mädchen durchaus nicht abgeneigt erwiesen, und er sich ihnen ebensowenig. Er machte unter Scherz und Possen den Hof, die hübschen Kinder kamen ihm vertraulich entgegen, behandelten ihn wie einen guten Kameraden. Darum erhielt er auch von den Freunden den Spitznamen »Cherubin«; sonst hieß der junge Romantiker wohl auch »Giselher«. – Beherbergte die Natur des jungen Künstlers viel des Zarten, Weichen, beinahe Weiblichen, so grübelte und spintisirte er nicht wenig, war immer bewegt, unruhig, eine Art Selbstquäler, von seinem eigenen Thun und Lassen unbefriedigt. Dieser hamletische Zug findet sich mehr oder minder in jeder zart besaiteten jugendlichen Seele, die nach einem Ideellen gerichtet ist, und in diesen Schmerzen des jugendlichen Volllebens ist zugleich eine Art Wollust, die dem ruhigen, aber gleichgiltigen Alter immer fremder wird »La mélancholie c'est le bonheur d'être triste«, wie Victor Hugo bemerkt. Wenn Schwind zeitweise ein Kopfhänger war, so hatte ihn die Natur dafür mit Frische und Humor ausgestattet, daß er über die üblen Stunden bald wieder weg kam. Leicht aufregbar, ging er in Freundeskreisen, wenn er kaum von Wein oder Punsch genippt hatte, von der düstersten Grübelei urplötzlich in die ausgelassenste Lustigkeit über, gab wohl auch mit schlagendstem Witz und trefflichster Selbstironie das komische Zerrbild seiner künstlerischen Zerrissenheit zum Besten.

Schwind war und ist in seinen Briefen, deren ich eine Unzahl besitze, so originell und ursprünglich, wie in seinen Reden. Er schreibt immer geistreich und prägnant. Seine Aussprüche über Kunst und Leben wie Personen sind jederzeit treffend, ja schlagend. Die Phrase kennt er nicht; jeder seiner Zettel ist individuell. Und so kommt mir eben ein vergilbter Brief in die Hand, den er mir von seinem ersten Ausfluge nach München (in den Zwanziger-Jahren) geschrieben und worin er sich über unser Wiener Jugendtreiben lustig macht. Eine Stelle der humoristischen Epistel, die gelegentlich in Hexameter à la Voß übergeht, lautet folgendermaßen:

»Du wirst vielleicht lachen, aber die Götter des Cornelius umarmen ihre Weiber auf eine solche Art –

Daß mir die Lust für itzo verging nach süßem Gemädel,
Denen zuletzt kein ander Verdienst, als ein sammtener Nacken,
Leicht hintänzelnder Fuß, Capuchon und ein Pelzchen am Halse!
Anders wohl wird dir's zu Muth, wenn du schaust, wie Peleus der Thetis
Goldenen Gürtel löset in Lieb', als wenn Resi und Susi
Zart den gewichseten Boden voll Scham und Anstand behupfen;
O Geschlecht, für Ohrringe gut und an Uhren zu hängen,
Das zum Leben nicht Muth und zum Entsagen nicht Kraft hat,
Dessen Tugend so groß als ihr Unterrock oder ihr Mieder!
Götter ruhen im Arm der Göttinnen frisch und befriedigt,
Und hinhaspelten wir durch die Nacht und gaben noch Geld aus,
Sandten auch Steinchen und Staub an das unerreichbare Fenster,
Daß uns die Holde zuletzt en silhouette noch zunick'!
An Stricknadeln, o Schmach, zapft Unsereines sich Blut ab,
Stopselt' Verse zusammen und ließ sich schimpflich ertappen,
Wenn er das saub're Geschreib' erzdumm unter'm Tisch in die Hand steckt';
Gräulich wechselt Mama die Farb', und der Padre erhebt sich.
Herkules spann, es ist wahr, am Rocken – aber du mein Gott,
Anderes that er wohl früher genug, nun verübt er auch das noch,
Und doch ward er dafür ein Aushängschild und ein Stichwort
Jedem beherrscheten Mann, er, der sie Alle noch einsteckt!« – –

Wenn der Freund hier seiner Ketten spottet, so saß ihm doch der Angelhaken tief in der Brust. Ein junges Fräulein, nicht eben hübsch zu nennen, aber zierlich, gebildet, mehr häuslich-bürgerlich als genial, hatte es verstanden, den urwüchsigen Huronen zu fesseln, ihn auch gehörig im Zaum zu halten. Das Verhältniß, welches sich lange hinschleppte, hatte aber auch seine ernsthafte Seite und sollte endlich zum Ziele führen. Schwind, noch in der Entwicklung begriffen, ohne Stellung, ohne künstlerischen Namen, lebte vom Tage auf den Tag, war genöthigt, »Bilderbogen« für Tretsensky zu zeichnen und ähnliche Aufträge zu übernehmen. Der poetische und geniale Künstler konnte es in Wien zu nichts bringen, während weit geringere Talente nicht genug oberösterreichische Landschaften, Alpenscenen, sentimentale Genrebildchen, »Rastelbinder«, ungarische Heubauern und dergleichen fabriciren konnten, wie es eben dem Verständnisse und dem Geschmacke eines naiven Publicums entsprach, dessen Bildungsstufe beiläufig auf gleicher Höhe mit dem Kunstsinn jener »Künstler« stand. Trotz seiner precären Lage hatte der treue Mensch seine Geliebte im Frühjahr 1828 feierlich begehrt, war auch als Bräutigam angenommen worden. Die Sippschaft des Mädchens wurde nun zusammengetrommelt, ein kleines Heer von Tanten und Basen, Onkeln und Cousins, alten Hofräthen und dergleichen – kurz, eine Kaffee und Whist-, nebenbei Brautgesellschaft. Freund Moriz wollte erst gar nicht dabei erscheinen, oder im Malerrock, da ihm der schwarze Frack fehlte, mit welchem ihm zuletzt einer der Freunde aushalf; dann dachte er daran, gleich in der ersten Viertelstunde wieder auszureißen – die Braut hatte alle Noth, ihn bis zehn Uhr festzuhalten.

Ich hatte den glücklichen Bräutigam mit Schubert im Kaffeehause erwartet. Er trat ganz verstört ein, schilderte uns die philisterhafte Gesellschaft mit einer Art verzweifelten Humors. Schubert kam aus seinem gemüthlichen Kichern nicht heraus. Schwind stürzte ein Glas Punsch nach dem anderen hinunter, versicherte uns dabei, er fühle sich total vernichtet und hätte nicht übel Lust, sich auf der Stelle zu erschießen. Und seine Lage war darnach.

In einem Familienrathe ward nun beschlossen, der Bräutigam in spe sollte sich ein zweitesmal nach »Monacho Monachorum« begeben, sich in der Malerstadt par excellence, vielleicht mit Beihilfe des großen Cornelius, eine Stellung zu gründen suchen.

Und so geschah's. Schwind blieb über Jahr und Tag weg, Briefe liefen hin und her, es gab Zweifel, Mißverständnisse, die rechte Stellung wollte sich nicht finden – die Sippschaft schüttelte die Hofrathsköpfe! Nach seiner Rückkehr fand der Brautwerber manches verändert. Die Braut selbst, mehr und mehr einer pietistischen Richtung hinneigend, machte ihm Vorwürfe nach dieser Seite. Er war ihr nicht fromm genug, wenn er gleich ihr zuliebe gewissenhaft zur österlichen Beichte ging. Da wurde er toll.

»Sagte ich: Verlieben Sie sich in den Papst!« hatte er ihr schließlich geantwortet, wie er mir mittheilte, und war kopfüber davongerannt.

Kurz, die Sache hatte sich zerschlagen. Schwind ging ein drittesmal nach München.

Im Sommer 1834 besuchte ich den Jugendfreund, fand ihn nicht wenig verändert, von Außen wie nach Innen. Das Münchener Bier hatte ihm nicht übel bekommen! Das immer rothe Gesicht glänzte voll und frisch und noch immer jugendlich – aber wo war die schlanke Gestalt geblieben? Der Körper hatte bedeutend an Umfang gewonnen, der Ansatz zum künftigen stattlichen Bauche war bereits sichtbar. Schwind war in der neuen Residenz beschäftigt, malte am Tieckzimmer. Er machte meinen Cicerone, führte mich überall herum, und so auch zu den Schöpfungen des großen Cornelius, zu den Fresken der Glyptothek. Ich hatte sogleich begriffen, von welchem Einfluß die Nähe und Anleitung dieses Meisters, der vertrautere Umgang mit ihm auf einen jungen Künstler sein mußte, der in Anlage und Richtung so manchen gemeinschaftlichen Zug mit dem großen Manne in sich fühlte, dessen Art und Weise des Vortrages und der Zeichnung wie der zarten und poetischen, freilich nicht eben glänzenden Farbengebung ihm seit seinen Jünglingsjahren als Ideal vorgeschwebt hatte. Er arbeitete und rang auch seinem gewaltigen Vorbilde rastlos nach, und der Meister wie auch Schnorr und andere Künstler von Bedeutung ließen dem unter ihnen emporstrebenden Genie alle Anerkennung widerfahren – allein das große Publicum nahm damals noch wenig Notiz von ihm. Wie seinerzeit an Schubert's poetischen Liedern nur ein kleiner auserwählter Kreis theilgenommen, so ging es auch mit den geistreichst erfundenen und innigst empfundenen Schwind'schen Bildern und Skizzen. Die Sachen wurden als poetisch belobt, aber Niemand wollte sie kaufen, keine Bestellung lief ein, und während Kaulbach bald der Mann des Tages war, wurde Schwind's Name noch durch Jahre nur so nebenbei genannt. Das nagte an ihm, verbitterte seine Stimmung, machte ihn verdrießlich, wol auch ungerecht gegen die Leistungen Anderer, welche er, wenn sie seinem (dem Cornelius'schen) Ideale nicht entsprachen, mit dem erbarmungslosesten Spotte verfolgte. Dazu kam, daß ihm die Wiener Freunde fehlten, der gemüthliche, auch anregende Umgang, für welchen die jungen Maler, von denen es in München wimmelte, in keiner Hinsicht als Ersatz gelten konnten. Im Ganzen fühlte er sich in dem Bockbier-Athen unbehaglich, vereinsamt, obschon er abermals in neuen Liebesbanden befangen war. Er vertraute mir seine Neigung zu einem Mädchen, einer Art »Rosalinde«, die sich diesem Romeo bald freundlich, bald schroff erwies. Zwei Jahre später besuchte ich den Freund abermals, fand seine Stellung wie Stimmung nicht gebessert. Ein Glück, daß er im Jahre 1838 auf längere Zeit nach Wien zurückkam! Dort malte er für Arthaber, entwarf eine Menge neuer Skizzen, fand sein altes Wesen im trauten Freundeskreise wieder, welchem sich auch angenehme weibliche Elemente beigesellt hatten.

Nach München zurückgekehrt, erhielt er später einen Ruf nach Karlsruhe. Dort lernte er das reizende und charaktervolle Wesen kennen, mit welchem er sich im Jahre 1842 verlobte: die schöne Louise Sachs, mit der er nach Frankfurt übersiedelte. In der Folge wurde ihm die Stelle eines Professors der Akademie in München zu Theil, welche er bis zu seinem Ableben bekleidete. Am 5. September 1867 hatte er bereits seine silberne Hochzeit mit der noch immer stattlichen Frau Louise gefeiert. Er war glücklicher Gatte und Vater, und auch an Enkeln fehlte es nicht.

Der poetisch-musikalische Maler war im Alter ruhiger geworden. Künstlerruhm, eine ehrenvolle Stellung, gemüthliche Häuslichkeit, Alles trug dazu bei, sein Gemüth zu sänftigen – doch war sein Haß gegen alles Schlechte und Verkehrte noch immer so lebendig geblieben, wie seine Verehrung für das Schöne und Große. Und so brauste er noch häufig auf, schnauzte Diesen und Jenen an oder ab – nur war's nicht gar so schlimm damit gemeint. Ein Wort Börne's über Lord Byron mag hier am Platze sein.

»Weiche Herzen, wie das seine, schützt die Natur oft durch ein Dornengeflecht von Spott und Tadel, damit das Vieh nicht daran nage. Aber wer kein Schaf ist, weiß das und fürchtet sich nicht, dem stechenden Menschenfeinde nahe zu kommen.«

Nun, Schwind war kein Menschenfeind à la Byron, aber ein Mensch, ein Künstler, der sich fühlt. Dabei gehörte er einer bestimmten Richtung an, in welcher er für ein Unicum gelten konnte. Er lebte und webte nun einmal in dem Zauberkreise, in den er gebannt war. Doch war er nicht blind für das, was ihm fehlte, und der Farbe, die er sein Lebenlang suchte, herzhaft auf den Leib zu gehen, war immer sein Drang. Auch er war in seinen Jugendtagen nach dem Künstler-Mekka gepilgert, und Rafael's Anmuth und blühendes Colorit wie Tizian's große und breite Manier schwebten seiner Seele stets lebendig vor. Aber eben darum liegt sein Form- und Farben-Ideal weit ab von gewissen, mehr schimmernden und gleißenden als wahrhaft glänzenden Erscheinungen des Tages, welche die Technik und den Effect quand même obenan stellen. Diese modernen Künstler sind eine Gattung Virtuosen und haben einen »concertanten Vortrag«,wie das der musikalische Schwind mit einer glücklichen Analogie bezeichnete, und so bringen sie auch nur ein »concertmäßiges Entzücken« hervor.

Eine derlei Manier sei aber für ernst componirte, thematische Vorwürfe ebensowenig zu brauchen, als etwa die Abbé Liszt'schen Künste für eine Oper oder für ein wahrhaftes Oratorium ausreichen. Die Sache bleibt sich gleich in allen Künsten. So hat seinerzeit auch Friedrich Schlegel seine Tragödie »Alarkos« in lauter Terzinen, Sonetten und anderem Reimgeklingel zusammengeschmiedet, weil er eben ein Virtuose war und kein Dichter. Ein Jeder, der es ernsthaft mit der Kunst meint, ringt nach Styl, das heißt nach dem eigentlichen Ausdrucke seines wahren Ich, wobei man freilich voraussetzen muß, daß er eines hat und daß er kein Hannswurst ist! Das gilt von Cimabue bis auf Cornelius, von Sebastian Bach und Händel bis auf Karl Maria Weber und Schubert. Der Styl kann schroff und hart sein und die Verse holperig wie in den Nibelungen – aber da ist Kern, Seele, Lebensathem, wahres pulsirendes Leben! Aus nichts wird nichts. Was hat man von dem Virtuosenstück, wie etwa von einer frömmelnden, süß flötenden und, als Composition betrachtet, hin und her flatternden, völlig zerfahrenen »Amaranth!« Derlei ist für Weiber und Kinder. Die Kunst ist ewige Heiterkeit, aber kein Spielzeug von heute auf morgen! Wo sich Charakter zeigt, da ist Bestand – das Manierirte, wenn es sich auch der Gunst des Tages erfreut, wird zuletzt in Dunst und Nebel zerfließen. –

Ich habe hier beiläufig die Gedanken und die Gesinnungen meines Freundes ausgesprochen. Man sieht, Moriz Schwind hatte seinen festen Standpunkt und den Muth seiner Meinung. Bruder Mattherz und die »Alles Gutheißer« mögen sich darüber aufhalten! Das Kunst- wie das Lebensmotto meines feurigen Jugendfreundes, welches er gern und häufig im Munde führte, ist das Wort aus Goethe's »Pandora«:

»Des thät'gen Manns Behagen sei Parteilichkeit!«

Am 8. Februar 1871 verlor ich meinen besten Freund, die Künstlerwelt Eine ihrer schönsten Zierden. Der Werth des einzigen und unersetzlichen Mannes wurde in der »Schwind-Ausstellung« erst völlig klar. Ein ganzes Menschenleben in Bildern! Phantastisches und Märchenhaftes, Gemüthliches und Häusliches; auch das Heroische fehlte nicht – und Alles frisch, ursprünglich, in Geist und Humor getaucht, wie es aus der ewig jugendlichen Seele, aus dem goldenen Herzen des Mannes herausgequollen! – Schwind war ein musikalischer Maler, er ist der malende Schubert – sie gehörten zusammen, und man kann des Einen nicht gedenken, ohne sich des Andern zu erinnern. –

Franz Schubert war im Convict erzogen und wohnte später wieder im elterlichen Hause, wo er seinem Vater (Schullehrer in der Roßau) als Schulgehilfe zur Seite stand. Daß dem jungen Genie diese pädagogische Beschäftigung nicht besonders zusagen mochte, ist wohl begreiflich. Indessen componirte der Jüngling, zwischen Sorgen und Plagen aller Art, frisch darauf los, unbekannt, namenlos, das Talent nur von einigen Freunden gewürdigt.

Franz v. Schober Verfasser der»Palingenesien«, eines Bandes Gedichte, im Verlag von Cotta, der Oper »Alphons und Estrella« u. s. w. , ein geistreicher junger Mann, nur um ein paar Jahre älter als Schubert, nahm nun diesen gastfrei in die Wohnung auf, die er mit seiner Mutter theilte. Vom lästigen Schulzwang befreit, athmete der junge Künstler frisch auf, ergab sich leidenschaftlich einem rastlosen Produciren, fühlte sich auch lebhaft angeregt, da er, seinen kümmerlichen Verhältnissen entrückt, plötzlich in eine für ihn neue Welt, zugleich in einen bedeutenden Freundeskreis gerieth, darunter der Dichter Mayrhofer, der Maler Kupelwieser, der philosophische Bruchmann und Andere. Dort kam er auch zuerst mit dem berühmten dramatischen Sänger Michael Vogl in Berührung. Der Darsteller des Orest, des Patriarchen Jacob, des Telasko, Grafen Almaviva u. s. w., in Kunst wie Literatur heimisch, ein musikalisch und artistisch vollkommen ausgebildeter Sänger, damals im Zenith seiner Berühmtheit, fand sogleich heraus, was für ein reicher musikalischer Quell aus den ersten Liedern und Balladen des jungen Menschen hervorströme. Vogl war es auch, welcher unsern Franz zuerst dem Wiener Publicum vorführte.

Der »Erlkönig«, von Vogl im Kärntnerthor-Theater gesungen, von Schubert am Clavier begleitet, schlug gehörig ein und machte bald seine Runde durch die Welt. So war das Eis gebrochen, auch die harten Herzen der Kunsthändler fingen an, ein wenig aufzuthauen, obwol sich ihre Geldbörsen, dem neu entdeckten und gehörig auszubeutenden Genie gegenüber, durchaus nicht weit genug öffnen wollten.

Schubert brachte sich eine geraume Zeit nur kümmerlich durch, gab Clavier-Lectionen, componirte, was man ihm auftrug, auch Kirchensachen.

Im Winter 1824/25, als Jurist im vierten Jahre, war ich zugleich mit der Wiener Shakspeare-Ausgabe, so wie mit eigenen Productionen über und über beschäftigt. Eine Menge Dramen und Lustspiele lagen mir nach und nach aufgehäuft, darunter die »Geschwister von Nürnberg«, später »Der Musicus von Augsburg«, »Fortunat« und anderes Ideelle und Romantische, wovon das reale und praktische Theater vor der Hand nichts wissen wollte. Doch arbeitete ich rastlos weiter, brachte damals auch fast alle meine Abende in meiner einsamen Stube zu.

So saß ich auch im Februar 1825 eines Abends in meiner Klause, als mein Jugendfreund Schwind den inzwischen bereits berühmt, wenigstens bekannt gewordenen Schubert zu mir brachte. Wir waren bald vertraut mit einander. Auf Schwind's Aufforderung mußte ich einige verrückte Jugendgedichte vortragen, dann ging's ans Clavier, Schubert sang, wir spielten auch vierhändig, später ins Gasthaus, bis tief in die Nacht. Der Bund war geschlossen, die drei Freunde blieben von dem Tage an unzertrennlich. Aber auch Andere gruppirten sich um uns, meist Maler und Musiker, ein lebensfrischer Kreis von Gleichgesinnten, Gleichstrebenden, die Freud' und Leid mit einander theilten.

Das Alter wird ab und zu geschwätzig, aber nur in der Jugend hat man sich eigentlich etwas mitzutheilen und wird nie damit fertig.

So erging es auch uns. Wie oft strichen wir Drei bis gegen Morgen herum, begleiteten uns gegenseitig nach Hause – da man aber nicht im Stande war, sich zu trennen, so wurde nicht selten bei Diesem oder Jenem gemeinschaftlich übernachtet. Mit dem Comfort nahmen wir's dabei nicht sonderlich genau! Freund Moriz warf sich wohl gelegentlich, blos in eine lederne Decke gehüllt, auf den nackten Fußboden hin, und mir schnitzte er einmal Schubert's Augengläser-Futteral als Pfeife zurecht, die eben fehlte. In der Frage des Eigenthums war die communistische Anschauungsweise vorherrschend; Hüte, Stiefel, Halsbinden, auch Röcke und sonst noch eine gewisse Gattung Kleidungsstücke, wenn sie sich nur beiläufig anpassen ließen, waren Gemeingut, gingen aber nach und nach durch vielfältigen Gebrauch, wodurch immer eine gewisse Vorliebe für den Gegenstand entsteht, in unbestrittenen Privatbesitz über. Wer eben bei Kasse war, zahlte für den oder die Andern. Nun traf sich's aber zeitweilig, daß zwei kein Geld hatten und der dritte – gar kein's! Natürlich, daß Schubert unter uns Dreien die Rolle des Krösus spielte und ab und zu in Silber schwamm, wenn er etwa ein paar Lieder an Mann gebracht hatte oder gar einen ganzen Cyclus, wie die Gesänge aus »Walter Scott«, wofür ihm Artaria oder Diabelli 500 fl. W. W. bezahlte – ein Honorar, mit welchem er höchlich zufrieden war, auch gut damit haushalten wollte, wobei es aber, wie stets bisher, beim guten Vorsatz blieb. Die erste Zeit wurde flott gelebt und tractirt, auch nach rechts und links gespendet – dann war wieder Schmalhans Küchenmeister! Kurz, es wechselte Ebbe und Fluth. Einer solchen Fluthzeit verdanke ich's, daß ich Paganini gehört. Die fünf Gulden, die dieser Concert-Corsar verlangte, waren mir unerschwinglich; daß ihn Schubert hören mußte, verstand sich von selbst, aber er wollte ihn durchaus nicht wieder hören ohne mich; er ward ernstlich böse, als ich mich weigerte, die Karte von ihm anzunehmen. »Dummes Zeug!« rief er aus – »ich hab' ihn schon Einmal gehört und mich geärgert, daß Du nicht dabei warst! Ich sage Dir, so ein Kerl kommt nicht wieder! Und ich hab' jetzt Geld wie Häckerling – komm' also!« – Damit zog er mich fort. Wer hätte sich da nicht erbitten lassen? Wir hörten also den infernalisch-himmlischen Geiger, über dessen Phantasien Heine so schön phantasirt, und waren nicht minder entzückt von seinem wunderbaren Adagio als höchlich erstaunt über seine sonstigen Teufelskünste, auch nicht wenig humoristisch erbaut durch die unglaublichen Kratzfüße der dämonischen Gestalt, die einer an Drähten gezogenen, mageren schwarzen Puppe glich. Herkömmlicherweise wurde ich nach dem Concert noch im Gasthause freigehalten und eine Flasche mehr als gewöhnlich auf Kosten der Begeisterung gesetzt.

Das war die Fluthzeit! Dagegen kam ich ein andermal zu früher Nachmittagsstunde in das Kaffeehaus beim Kärntnerthor-Theater, ließ mir eine »Melange« geben, verzehrte ein halb Dutzend Kipfel dazu. Bald darauf stellte sich auch Schubert ein und that desgleichen. Wir bewunderten gegenseitig unsern guten Appetit, der sich so früh nach Tisch eingestellt hatte.

»Das macht, ich hab' eigentlich noch nichts gegessen«, erklärte mir der Freund, etwas kleinlaut. – »Ich auch nicht!« versetzte ich lachend.

So waren die beiden ohne Verabredung in das Kaffeehaus gekommen, wo wir hinlänglich bekannt waren und hatten die Melange »auf Puff« genommen, anstatt des Mittagsmahls, welches heute Keiner von uns zu bestreiten im Stande war. Es war zur Zeit der beiderseitigen völligen Ebbe.

In ähnlicher Lage hatten wir uns auch das »Du« – mit Zuckerwasser zugetrunken! Dann kamen wol wieder Schubert-Abende, sogenannte »Schubertiaden« mit munteren und frischen Gesellen, wo der Wein in Strömen floß, der treffliche Vogl alle die herrlichen Lieder zum Besten gab und der arme Schubert Franz accompagniren mußte, daß ihm die kurzen und dicken Finger kaum mehr gehorchen wollten. Noch schlimmer erging es ihm bei unseren Hausunterhaltungen – nur »Würstelbälle« in jener einfachen Zeit – wobei es aber an anmuthigen Frauen und Mädchen durchans nicht fehlte. Da mußte nun unser »Bertel«, wie er im Schmeichelton bisweilen genannt wurde, seine neuesten Walzer spielen und wieder spielen, bis ein endloser Cotillon sich abgewickelt hatte, so daß das kleine, corpulente und schweißtriefende Männchen erst beim bescheidenen Souper sein Behagen wiederfinden konnte. Kein Wunder, daß er uns bisweilen ausriß und sogar manche »Schubertiade« ohne Schubert stattfinden mußte, wenn er just nicht gesellig gestimmt war oder ihm dieser und jener Gast nicht besonders zusagen wollte. Nicht selten, daß er eine geladene Gesellschaft vergebens auf sich warten ließ, während er mit einem halben Dutzend Schulgehilfen, seinen ehemaligen Collegen, in einer verborgenen Kneipe behaglich beim Weine saß. Wenn wir ihm Tags darauf Vorwürfe machten, so hieß es mit einem gemüthlichen Kichern: »Ich war nicht aufgelegt!« –

Hier mag es am Platze sein, gewisse Irrthümer zu berichtigen, welche über den ungenirt-genialen Künstler noch immer zeitweise in Umlauf sind, besonders unter Leuten, die sich auf ihre sogenannte Bildung nicht wenig zugute thun. »Das Talent ließ sich nun wol dem guten Schubert nicht absprechen; aber der feine Schliff, der gute Ton, auch das Wissen, kurz jede weltmännische wie literarische Bildung fehlten ihm gänzlich«, behauptete man, und man war zuletzt nicht übel gewillt, sich den zarten Liedersänger als eine Art genialen »besoffenen Wilden« vorzustellen, wie sich seinerzeit der prosaische Voltaire den Riesenpoeten Shakspeare in usum Delphini zurechtgelegt hatte.

Schubert besaß nun allerdings keine eigentliche akademische Bildung; seine Studien reichten kaum über das Gymnasium hinaus und er blieb sein kurzes Leben lang Autodidakt. In seinem Fache kannte er die Meister und Muster ziemlich genau, hatte sich auch, unter Salieri's Leitung, mit der Theorie seiner Kunst hinlänglich abgegeben. Auch in der Literatur war er übrigens nichts weniger als unbewandert, und die Art und Weise, wie er die verschiedensten dichterischen Individualitäten, als Goethe, Schiller, Wilhelm Müller, J. G. Seidl, Mayrhofer, Walter Scott, Heine poetisch-lebendig aufzufassen, in neues Fleisch und Blut zu verwandeln und eines Jeden Wesen in schöner und edler musikalischer Charakteristik treu wiederzugeben verstand – diese Sanges-Palingenesien dürften allein genügen, um ohne allen weiteren Beweis blos durch ihr eigenes Dasein darzuthun, aus welchem tiefen Gemüth, aus welcher zart besaiteten Seele diese Schöpfungen hervorgequollen. Wer die Dichter so versteht, ist selbst ein Dichter! Und wer ein Dichter ist und mit Freunden und Gleichgesinnten ab und zu anakreontisch zecht, hat noch weit zum besoffenen Wilden! Auch hatte sich dieser Wilde nicht selten an ernste Lectüre gewagt, es finden sich Excerpte von seiner Hand aus historischen, selbst philosophischen Schriften vor, seine Tagebücher enthalten seine eigenen, zum Theil höchst originellen Gedanken, auch Gedichte, und sein Lieblingsumgang waren Künstler und Kunstverwandte. Dagegen trug er eine wahrhafte Scheu vor gewöhnlichen und langweiligen Leuten, vor Spießbürgern, hoch oben oder in der Mitte, die man gewöhnlich die »Gebildeten« nennt, und Goethe's Aufschrei:

»Lieber will ich schlechter werden
Als mich ennuiren!«

war und blieb sein, wie unser Aller Motto. In mittelmäßiger Gesellschaft fühlte er sich einsam, unbehaglich, gedrückt, und verhielt sich meist schweigsam, gerieth wohl auch in üble Laune, so sehr man dem berühmt werdenden Manne entgegenkam. Kein Wunder, wenn er sich dann bei Tisch zuweilen ein herzhaftes Räuschchen antrank und sich nebstbei von der lästigen Umgebung durch einige derbe Ausbrüche zu befreien versuchte, so daß man erschrocken von ihm zurückwich.

Die Lebensweise Schubert's war einfach, wie er selbst. Jeden Morgen um neun Uhr besuchte ihn die Muse und verließ ihn selten vor zwei Uhr Mittags ohne eine bedeutende Gabe. Wenn ihm nun was recht Tüchtiges gelungen war, so schlug sein guter Humor vor und belebte des Abends den ganzen Freundeskreis. Aber man hat nicht lauter gute Stunden! Melancholie und zeitweiliger Katzenjammer bleiben keinem Sterblichen aus. Nebenbei lief es auch bei dem, in gewissen Dingen ziemlich realistischen Schubert nicht ohne einige Schwärmerei ab. Eigentlich war er zum Sterben in eine seiner Schülerinnen verliebt, in. eine junge Comtesse Eszterhazy, welcher er auch eine seiner schönsten Claviersachen, die vierhändige Phantasie aus F-moll, gewidmet hatte. Er kam auch außer den Lectionsstunden bisweilen in das gräfliche Haus, unter Schutz und Schirm seines Gönners, des Sängers Vogl, der mit Fürsten und Grafen wie mit Seinesgleichen verkehrte, überall das große Wort führte und sich, wenn er den genialen Compositeur unter seine Flügel nahm, wie der Cornac geberdete, der eben eine besondere Rarität aus dem Thierreiche vorzuzeigen hat. Schubert ließ sich bei dieser Gelegenheit nicht ungern in Schatten stellen, hielt sich im Stillen zu der angebeteten Schülerin, drückte sich den Liebespfeil immer tiefer ins Herz. Für den lyrischen Dichter wie für den Tondichter ist eine unglückliche Liebe, wenn sie nicht gar zu unglücklich ist, vielleicht von Vortheil, indem sie seine subjective Empfindung erhöht und den Gedichten und Liedern, die ihr entströmen, Farbe und Ton der schönsten Wirklichkeit ausdrückt. Productionen, wie die »beiden Suleika«, die »zürnende Diana«, Vieles aus den »Müllerliedern« und der »Winterreise«, lauter musikalische Selbstbekenntnisse, in die Glut einer wahren und tiefen Leidenschaft getaucht, sind geläutert und abgeklärt als echte Kunstwerke in schönster Form aus dem zarten Innern des Liebenden hervorgegangen. In Schubert schlummerte übrigens eine Doppelnatur. Das österreichische Element, derb und sinnlich, schlug im Leben vor wie in der Kunst. Neue und frische Melodien wie Harmonien und Rhythmen sprudelten in Hülle und Fülle aus einer reich begabten Brust, trugen auch nicht selten den Charakter des von jeher sangreichen Bodens an der Stirne, welchem ihr Schöpfer entsprossen war – was übrigens kein Tadel sein soll, weit davon! Wie das Volkslied überhaupt die Grundlage der Oper ist, so wird und muß sich auch Lied und Oper einer Nation nach ihrer eigenthümlichen musikalischen Empfindungsweise gestalten und ausbilden. Es genügt, Rossini, Auber und Weber zu nennen, um die verschiedensten nationalen Opernrichtungen anzudeuten. Die italienische Barcarole, die französischen Chansons und Romanzen verharren beiläufig in ihrer stereotypen Form; das deutsche Lied scheint einer unendlichen Weiterbildung fähig. Im Anfang war es einfaches Strophenlied, wie unter Reichardt und Zelter; späterhin brachte Zumsteg die durchcomponirte Ballade in Schwung, bis Schubert seine kleinen lyrischen und Seelendrama's schuf. Seitdem hat das deutsche Lied nun freilich keine weiteren erheblichen Fortschritte gemacht, denn wenn man auch die rein künstlerische, edle und poetische Form, welche ihm Mendelssohn aufzudrücken wußte, nicht gering anschlagen darf, so geht doch bei diesem Meister die Erfindung, das Ursprüngliche und Schöpferische nicht gleichen Schrittes mit seiner Bildung und Kunstausbildung. Bei Schubert dagegen läßt sich an der Form, an der musikalischen Declamation, an den frischen Melodien selbst so Manches tadeln. Die letzteren klingen bisweilen zu vaterländisch, zu österreichisch, mahnen an Volksweisen, deren etwas niedrig gehaltener Ton und unschöner Rhythmus nicht die volle Berechtigung hat, sich in das poetische Lied einzudrängen. In dieser Richtung kam es gelegentlich zu kleinen Discussionen mit Meister Franz. So wenn wir ihm nachzuweisen suchten, daß gewisse Stellen in den »Müllerliedern« an einen alten österreichischen Grenadiermarsch und Zapfenstreich erinnerten, oder an Wenzel Müller's: »Wer niemals einen Rausch hat g'habt!« – Er wurde wohl ernstlich böse über solche kleinlich nergelnde Kritik, oder er lachte uns aus und sagte: »Was versteht Ihr? Es ist einmal so und muß so sein!« – Aber es mußte und sollte nicht sein, wie sich's die erste sprudelnde, übermüthige und unausgebildete Jugend in den Kopf gesetzt, und in den späteren und reiferen Erzeugnissen ist auch keine jener von uns getadelten burschikosen und trivialen Weisen fürder zu entdecken.

Kam in dem kräftigen und lebenslustigen Schubert, so im geselligen Verkehr wie in der Kunst, der österreichische Charakter bisweilen allzu stürmisch zur Erscheinung, so drängte sich zeitweise ein Dämon der Trauer und Melancholie mit schwarzem Flügel in seine Nähe – freilich kein völlig böser Geist, da er in den dunkeln Weihestunden oft die schmerzlich-schönsten Lieder hervorrief. Allein der Kampf zwischen ungestümem Lebensgenuß und rastlos geistigem Schaffen ist immer aufreibend, wenn sich in der Seele kein Gleichgewicht herstellt. Bei unserm Freunde wirkte zum Glück eine ideelle Liebe vermittelnd, versöhnend, ausgleichend, und man darf Comtesse Caroline als seine sichtbare wohlthätige Muse, als die Leonore dieses musikalischen Tasso betrachten.

Meister Franz erging es wie allen deutschen Compositeuren, er sehnte sich sein Lebelang nach einem tüchtigen Operntext. Zwar lagen fertige Opern vor, wie »Alphons und Estrella« und »Fierabras«, so die Operette: »Der häusliche Krieg«, die einige dreißig Jahre später zur Aufführung gelangte, Furore machte, aber bei der Gleichgiltigkeit aller Theater-Directionen für das Poetische und wahrhaft Schöne bald wieder vom Repertoire verschwunden war, weil es – der Theaterkasse nicht zusagte, daß für eine solche Kleinigkeit die ersten Opernkräfte verwendet werden mußten. – Auch mich hatte Schubert längst um einen Operntext angegangen. Nun hatte ich den Frühling und Sommer 1826 in Begleitung eines Freundes im Kärntnergebirge zugebracht und mir an kalten oder regnerischen Tagen die Sage vom »Grafen von Gleichen« als Opernstoff zurechtgelegt, darüber auch an Schubert berichtet, der mit der Antwort nicht lange warten ließ. Der Brief, an beide Freunde gerichtet, obwohl ich wunderlicherweise nur ganz allein angesprochen werde, lautet wie folgt:

»Lieber Bauernfeld!
Lieber Mayrhofer!

Daß Du die Oper gemacht hast, ist ein sehr gescheidter Streich, nur wünschte ich, daß ich sie schon vor mir sähe. Man hat hier meine Opernbücher verlangt, um zu sehen, was damit zu machen sei. Wäre Dein Buch schon fertig, könnte man ihnen dieses vorlegen und bei Anerkennung des Werthes, woran ich nicht zweifle, in Gottes Namen damit anfangen oder es nach Berlin zur Milder schicken. Die Mlle. Schechner ist hier in der »Schweizerfamilie« aufgetreten und hat außerordentlich gefallen. Da sie viel Aehnlichkeit mit der Milder hat, so kann sie gut für uns sein. – Bleibe doch nicht so lang aus, es ist sehr traurig und miserabel hier – – die Langweiligkeit hat schon zu sehr um sich gegriffen. Von Schober und Schwind hört man nichts als Lamentationen, die viel herzzerreißender sind, als die wir in der Charwoche gehört haben. – In Grinzing war ich, seit Du fort bist, kaum einmal, mit Schwind gar nicht.«.(Hier folgen ein paar Privat-Anspielungen, zur Mittheilung nicht geeignet.) »Aus allem diesen kannst Du Dir ein schönes Sümmchen Lustigkeit zusammendividiren. Die »Zauberflöte« wurde an der Wien sehr gut gegeben. Der »Freischütz« im k. k. Kärntnerthor-Theater sehr schlecht. Der Herr Jacob und die Frau Baberl in der Leopoldstadt unübertrefflich. Dein Gedicht, welches in der Modezeitung erschienen ist,« – (ich weiß nicht mehr welches!) »ist sehr schön, doch schöner ist das Gedicht in Deinem letzten Brief. Die erhabene Lustigkeit und die komische Erhabenheit und besonders der zarte Schmerzenslaut am Ende, wobei Du die gute Stadt Villach – ach – ach! meisterhaft benütztest, erheben es unter die schönsten Muster dieser Gattung.« (Ich hatte nämlich eine Art Parodie: »Die Lustigen in Villach« geschrieben, und darin unser bukolisches Leben mit Bauern, Verwaltern, Förstern, Pfarrern, auch deren Köchinnen abgeschildert.) – »Ich arbeite gar nichts. – Das Wetter ist hier wirklich fürchterlich, der Allerhöchste scheint uns gänzlich verlassen zu haben, es will gar keine Sonne scheinen. Man kann im Mai noch in keinem Garten sitzen. Schrecklich! fürchterlich!! entsetzlich!!! für mich das Grausamste, was es geben kann! Schwind und ich wollen im Juni mit Spaun« (in der Folge Hofrath und mein Chef) »nach Linz gehen. Dort oder in Gmunden könnten wir uns ein Rendezvous geben, nur laß es uns bestimmt wissen – sobald wie möglich. Nicht erst in zwei Monaten.

Lebt wohl!«

Damit endet die Epistel. Der zerstreute Mensch hatte vergessen, seinen Namen beizusetzen. Das ist zugleich der einzige Brief Schubert's an mich, der sich noch vorfindet. Die übrigen, wie auch Briefe Raupach's, Immermann's, Tieck's, Meyerbeer's, Mendelssohn's und anderer bereits geschiedener Celebritäten sind in die Hände jener verwünschten Autographensammler gewandert, die nicht müde werden, Einen anzubetteln. So erinnere ich mich, daß nach Gräffer's Ableben eine Autographen-Licitation stattfand; in dem Katalog war auch ein Brief Schubert's an mich verzeichnet. Ich wollte mein ehemaliges Eigenthum wieder erstehen, kam aber zu spät. Der vertrauliche Brief, etwas verfänglichen Inhalts, war bereits von fremder Hand erstanden. Vergebens beklagte ich meinen Leichtsinn im Verschwenden von Documenten, die unschätzbar sind, wenn es sich darum handelt, sich Personen, Zustände und Zeiten zu vergegenwärtigen. Das macht, wenn man kein Sammler ist, wie seinerzeit Castelli, sondern ein Streugütlein wie ich!

Daß man dem Freunde endlich eine Oper abverlangte, war mir höchst angenehm zu erfahren. Bisher hatte man sich stets ablehnend und kalt gegen das große Genie verhalten.

Ein wiederholtes Ansuchen Schubert's um eine zweite oder dritte Capellmeisterstelle im Kärntnerthor-Theater oder in der Hofcapelle wurde kaum einer Antwort gewürdigt. Schubert litt aber auch an dem Unglück, ein Oesterreicher zusein! Das österreichische System bewahrt übrigens seine Ehren und Würden nur für die goldene Mittelmäßigkeit und hält einen Jeden, der nur ein Bischen Talent an den Tag legt, für seinen gebornen Feind, was er freilich auch ist und sein Leben lang bleiben wird, bis der zähe Polyp System endlich niedergekämpft ist! –

Im August 1826 brachte ich die fertige Oper mit und Schubert machte sich sogleich darüber her, hatte auch den Text vorläufig der Regie des Kärntnerthor-Theaters überreicht, welche sich der Censur wegen einigermaßen besorgt zeigte. Grillparzer trug sich bereitwillig an, für den Fall des Verbots in Wien die Aufführung der Oper auf der Königsstädter Bühne zu vermitteln. Im Laufe des nächsten Winters hatte Schubert den Text beiläufig durchcomponirt, mir auch Einiges davon auf dem Clavier vorgetragen, zur Noth vorgesungen. Es klang gar reizend und poetisch! Doch fehlte noch die Instrumentation, die nur hie und da angedeutet war und deren volle Ausführung erst die gehörige Färbung gibt. Dabei überraschte ihn aber der Tod. Beinahe erst nach vierzig Jahren tauchte die Partitur, von Schubert's Hand geschrieben, durch des rastlosen Herbeck's Bemühungen wieder auf, der mit allem Feuereifer daran ging, die Oper nach des Maestros Andeutungen vollständig zu instrumentiren. Die einzelnen Stücke, die eines der Gesellschafts-Concerte brachte, machen jedenfalls auf das ganze musikalische Werk begierig, dem ich so glücklich war, das poetische Substrat liefern zu dürfen. Ich hatte mir dabei Mozart's Ausspruch vor Augen gehalten: »Und ich weiß, bei einer Oper muß schlechterdings die Poesie der Musik gehorsame Tochter sein.« – Richard Wagner denkt freilich anders über den Punkt!

Schubert lebte zumeist von seinen Liedern, die ihm nach und nach besser honorirt wurden, und sonst von Bestellungen der Kunsthändler. Unter seine besonderen Gönner gehörte Ladislaus Pyrker, früher Patriarch in Venedig, in der Folge Abt in Lilienfeld. Die Gönnerschaft beschränkte sich aber vorzugsweise darauf, daß er ihn im Hochsommer bisweilen nach Gastein mitnahm, nie aber habe ich vernommen, daß der reiche, nur etwas genaue Kirchenfürst die Dedication der »Allmacht« und anderer Werke anders als mit– Freundlichkeit erwidert hätte.

Die Freunde und Genossen, in deren Mitte Schubert am liebsten weilte, waren wenig in der Lage, ihm thatkräftig unter die Arme zu greifen; in höhere Kreise sich zu drängen und Gönner zu suchen, die ihn emporzuheben vermöchten, dazu fehlte ihm Neigung und Geschick. Kein Wunder also, daß er es weder zu einer Anstellung brachte, noch irgend eine seiner Opern zur Aufführung gelangte. So verharrte er sein Lebelang in einer mehr als mittelmäßigen Stellung, und die Kunsthändler, die ihn genugsam gedrückt und ausgebeutet, waren und blieben vor wie nach seine einzige Zuflucht und Hilfsquelle. Zeitweise fühlte er sich auch völlig muth- und hoffnungslos, voll düsteren Ausblicks in die Zukunft. So erinnere ich mich des Sommers 1827, als ich mir in dem neuen Kreisamtsdienste so wohl gefiel, zugleich Aussicht hatte, mit Nächstem, nach langem Harren endlich, auf die geheiligten Bretter des Hofburgtheaters zu gelangen.

Auf einem Spaziergange erzählte ich dem Freunde frohen Muthes von meinen Hoffnungen und Planen. »Mit Dir gehts vorwärts!« sagte er, in sich gekehrt. »Ich sehe Dich schon als Hofrath und als berühmten Lustspieldichter! Aber ich! Was wird mit mir armen Musikanten? Ich werde wohl im Alter wie Goethe's Harfner an die Thüren schleichen und um Brod betteln müssen!« Ich sah den hypochondrischen Freund groß an und rieth ihm zu einem Concert, nur von seinen eigenen Sachen und unter Mitwirkung der tüchtigen Wiener Virtuosen, welche sich's gewiß zur Ehre schätzen würden, dem Maëstro mit ihren Talenten beizustehen. – »Du magst vielleicht recht haben!« versetzte der Freund nachdenklich, »wenn ich die Kerls nur nicht bitten müßte!«

Er bat sie doch und das Concert kam im Frühjahre 1828 zu Stande. In der nachfolgenden Einladung ist das Programm enthalten.

Einladung

zu dem Privat-Concerte, welches Franz Schubert am 26. März, Abends 7 Uhr im Locale des österreich. Musikvereins unter den Tuchlauben Nr. 558 zu geben die Ehre haben wird.

Vorkommende Stücke.
1. Erster Satz eines neuen Streich-Quartetts, vorgetragen von den Herren Böhm, Holz, Weiss und Linke.
2.
a.  Der Kreutzzug von Leitner  }  Gesänge mit Begleitung des Piano Forte, vorgetragen von Herrn Vogl, k. k. pensionirten Hofopernsänger.
b.  Die Sterne von demselben  } 
c.  Der Wanderer a. d. Mond v. Seidl  } 
d.  Fragment aus dem Aeschylus  }
3. Ständchen von Grillparzer, Sopran-Solo und Chor, vorgetr. v. Fräulein Josephine Fröhlich und den Schülerinnen des Conservatoriums.
4. Neues Trio für das Piano Forte, Violin und Violoncell, vorgetragen von den Herren Carl Maria von Boklet, Böhm und Linke.
5. Auf dem Strome von Rellstab, Gesang mit Begleitung des Horns und Piano Forte, vorgetr. von den Herren Tietze und Lewy dem Jüngeren.
6. Die Allmacht, von Ladislaus Pyrker, Gesang mit Begleitung des Piano Forte, vorgetragen von Herrn Vogl.
7. Schlachtgesang von Klopstock, Doppelchor für Mannerstimmen.
Sämmtliche Musikstücke sind von der Composition des Concertgebers.
Eintrittskarten zu fl. 3 W. W. sind in den Kunsthandlungen der Herren Haslinger, Diabelli und Leidesdorf zu haben.

Der Saal war vollgepfropft, jedes einzelne Stück wurde mit Beifall überschüttet, der Compositeur unzähligemale hervorgerufen. Das Concert warf einen Reinertrag von beinahe achthundert Gulden (Wiener Währung) ab – was damals für eine Summe galt! Die Hauptsache aber: Schubert hatte sein Publicum gefunden und war mit dem frischesten Muthe erfüllt!

Das Concert hatte am 26. März 1828 stattgefunden. Merkwürdig genug! Das Jahr vorher, an demselben Tage, war Beethoven gestorben.

Am 29. März 1827 hatte ich mit Schubert den Leichenzug nach dem Währinger Kirchhofe begleitet, wo Anschütz die von Grillparzer verfaßte Leichenrede hielt. Und das Jahr nachher Schubert's erstes Concert! Und über's Jahr?!

Im September 1828, nach dem Succès d'estime oder dem Ehrendurchfall meines nichts weniger als ersten, aber von allen zuerst zur Aufführung gelangten Lustspiels »Der Brautwerber«, fand der Freund Gelegenheit, mich zu trösten wie ich früher ihn. Nach dem Theater hatte ich mich mit Grillparzer, Schubert, Schwind, Schober und anderen Freunden in unser gewöhnliches Gasthaus bestellt, war aber nicht im Stande, das Rendezvous einzuhalten, hätte mich lieber in den Bauch der Erde verkriechen mögen. So lief ich in den dunkeln Straßen herum und stieß nach Mitternacht auf Grillparzer, der mich auf die liebenswürdigste Weise aufzurichten bemüht war. Am nächsten Morgen besuchten mich Schwind und Schubert, der meine Hypochondrie gar nicht begreifen konnte. »Mir hat das Lustspiel ganz außerordentlich gefallen« – versicherte er wiederholt – »uns Allen! Und wir sind doch keine Esel!«

»Was hilfts? wenn ich Einer bin!« versetzte ich halb ärgerlich, halb lachend.

Schubert wohnte damals in der Vorstadt Wieden, ich auf der Landstraße – so kam es, daß wir uns im November bei schlechtem Wetter ein paar Tage nicht gesehen hatten. Er war auch im Gasthause nicht erschienen, weder des Mittags noch des Abends. Schon früher hatte er über Mangel an Appetit geklagt, sich unwohl gefühlt, doch kam das bisweilen vor und schien uns nicht von Bedeutung.

Da erhielt Schober einen Brief des Freundes – vermuthlich den letzten seines Lebens. Die Zeilen lauteten:

»Lieber Schober!

Ich bin krank. Ich habe schon elf Tage nichts gegessen und nichts getrunken, und wandle matt und schwankend von Sessel zu Bett und zurück. Rinna behandelt mich. Wenn ich auch was genieße, so muß ich es gleich wieder von mir geben.

Sei also so gut, mir in dieser verzweiflungsvollen Lage durch Lectüre zu Hilfe zu kommen. Von Cooper habe ich gelesen: Den letzten der Mohikaner, den Spion, den Lootsen und die Ansiedler. Solltest Du vielleicht noch was von ihm haben, so beschwöre ich Dich, mir solches bei der Frau v. Bogner in Kaffeeh. zu depositiren. Mein Bruder, die Gewissenhaftigkeit selbst, wird solches am Gewissenhaftesten mir überbringen. Oder auch etwas Anderes.

Dein Freund
Schubert.«
       

Der Zettel war ohne Datum. Ohne Zweifel die letzten Zeilen des kranken Freundes! Aber wer glaubt in der Jugend an Krankheit und Tod?

Als ich Schubert zum letztenmal besuchte – es war am 17. November – lag er hart darnieder, klagte über Schwäche, Hitze im Kopf, doch war er noch des Nachmittags vollkommen bei sich, ohne Anzeichen des Delirirens, obwohl mich die gedrückte Stimmung des Freundes mit schlimmen Ahnungen erfüllte. – Sein Bruder kam mit den Aerzten – schon des Abends phantasirte der Kranke heftig, kam nicht mehr zum Bewußtsein – der heftigste Typhus war ausgebrochen. Bereits am Elisabethstage, bald nach 3 Uhr des Nachmittags, war er eine Leiche. Noch die Woche vorher hatte er mir mit allem Eifer von der Oper gesprochen, und mit welcher Pracht er sie orchestriren wolle! Auch völlig neue Harmonien und Rhythmen gingen im Kopfe herum, versicherte er – mit diesen ist er eingeschlummert.

Am 21. November 1828 wurde Franz Schubert mit seinen Melodien im 32. Jahre seines Alters zu Grabe getragen.

Schwind und ich konnten lange Zeit nicht begreifen, daß dieser Dritte im Bunde nicht mehr mit uns wandeln sollte. Jeder von uns Beiden wäre gern statt des Freundes gestorben – ein verzeihlicher Egoismus! Man will keinen ungeheuern Verlust erleiden, und darum lieber nicht sein, als Schmerz und Qual empfinden. »Nicht sein ist besser als sein!« sagt eine Formel altegyptischer Weisheit. Und im Oedipus lautet das:

»Nie geboren zu sein, ist der Wünsche größter!«


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