Eduard Bauernfeld
Aus Alt- und Neu-Wien
Eduard Bauernfeld

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VIII.

(Ein Bauerntheater in Tirol. – Vom Burgtheater und vom Theater überhaupt.)

    Der Grund aller theatralischen Kunst,
wie einer jeden andern ist das Wahre, das
Naturgemäße.     Goethe.
———
    Wir haben Schauspieler, aber keine
Schauspielkunst.
Hamburgische Dramaturgie.

Der Antheil, welcher in neuester Zeit den Ammergauer Passionsspielen zugewendet wird, mag als ein erfreuliches Zeichen gelten, daß es noch ein Theaterpublicum gibt, welches, mit der »schönen Helena« und der »Großherzogin von Gerolstein« nicht völlig zufrieden gestellt, sich auch da der Bühne nicht verschließt, wo ihm Besseres und Würdigeres, ja gewissermaßen Ideelles geboten wird. Die Pracht und der Glanz, womit jene Bauernspiele auftreten, die blendenden Costüme und die Massenchöre mögen wohl dazu beitragen, die Menge anzuziehen; auch ist die Sache beiläufig »Mode« geworden. Die Wirkung der sorgfältig einstudirten Vorstellungen ist demungeachtet keine blos äußerliche; ein Theil der Zuseher, und nicht der geringere, fühlt sich wahrhaft erbaut durch die dramatische Leidensgeschichte, deren Genuß er sich überdies durch Opfer von Geld und Bequemlichkeit erkaufen mußte. Man erfährt nun, daß diese naturwüchsigen dramatischen Festvorstellungen, die bisher nur nach Dezennien zählten, in Zukunft alljährlich wiederkehren sollen. Es wäre schade, wenn ihnen dadurch das Feierliche benommen, wenn der poetische Schmelz abgestreift würde, so daß sie zuletzt zu Alltagskomödien herabsänken, in Verbindung mit einer Geldspeculation. Auch ist zu besorgen, daß sich Unberufene hinzu drängen, um Aehnliches zu eigenem Vortheil zu versuchen. War doch bereits im Sommer 1871 in Döbling bei Wien ein Passionsspiel – »ohne Worte« – angekündigt.. Die religiöse Pantomime wirkte nicht besonders erbaulich. Für die künftige Weltausstellung war sogar projectirt worden, die Original-Ammergauer Künstler nach dem frivolen Wien zu citiren. Ich will hoffen, daß die Sache nicht zu Stande kommt. Alles hat seinen Ort und seine Zeit. Das Naive, Seltene und halb Versteckte, im Halbdunkel gut aufgehoben, soll man nicht an das überhelle Licht der brennenden Alltagssonne ziehen.

Diese Ammergauer-Frage hat übrigens eine Jugenderinnerung in mir wachgerufen, deren Mittheilung sich vielleicht rechtfertigen läßt, da sie mit der Theaterfrage überhaupt in einiger Verbindung steht.

Im Hochsommer des Jahres 1826 ward mir nämlich auf einer Gebirgsreise die günstige Gelegenheit zu Theil, in Tyrol einer der berühmten alten Bauernkomödien beiwohnen zu können. In der Nähe von Lienz, bei Thurn, dem alten Schlosse Wallenstein gegenüber, war im Freien eine Art hölzernes Amphitheater aufgerichtet. Die Bühne, mit Reisig, Bändern und Fahnen ausgeschmückt, hatte drei Vorhänge neben einander, außerdem ein Thürmchen mit vergittertem Fenster, ein Gefängniß vorstellend, denn es handelte sich um nichts Geringeres als die »heilige Genovefa« zur dramatischen Anschauung zu bringen. Eine ungeheuere Menschenmasse war bereits im Thale zusammengeströmt und drängte nach den stufenweis erhöhten Sitzen, während ein »Ordner« mit Federhut und einem uralten Degen, der tosenden Menge die Plätze anwies, die nicht Zahlenden zu verjagen bemüht war. Diese kletterten inzwischen auf nahestehende hohe Bäume, oder flüchteten auf benachbarte Scheunen und Häuserdächer, um vielleicht doch etwas von der Herrlichkeit gratis zu erhaschen – allein der Ordnungsmann war unermüdlich und zankte sich noch während der Vorstellung mit den Leuten auf den Dächern herum. – Der Anblick des Amphitheaters war hinreißend, bezaubernd! Die Tausende von Menschen, die sich übereinander aufthürmten, anfangs munter schwatzend, später, als die Herrlichkeit anging, athemlos verstummend, – die frischen, fröhlichen Gesichter, die prächtigen Bursche, die Mädchen, die Kinder, Alle im Sonntagsputz, die weißhaarigen, noch tüchtigen Greise, die stattlichen Matronen, die Familien- auch Liebesgruppen, die sich gegenseitig kannten, einander begrüßten, zuwinkten, auch zuriefen, sich beim Namen nannten – das Alles gab das traulich-liebenswürdigste Bild echt menschlichen Seins und Zusammenseins.

Für's Erste hielten die Schauspieler ihren Einzug im Costüme, den »Bajazzo« mit der langen Tabackspfeife an der Spitze. Die Musik war an die Eine Seite der Bühne gestellt. Nun hebt sich der mittlere Vorhang: ein geharnischter Prologus tritt auf, mahnt in gereimten Versen zur Aufmerksamkeit auf die höchst interessante und lehrreiche Geschichte, bittet zugleich um Nachsicht. Die Courtine fällt wieder, der Vorhang zur rechten Seite des Schauspielers geht in die Höhe: wir sind in Brabant. Die schöne Genovefa (sie ist wirklich schön, dabei prächtig gekleidet) sitzt züchtig mit ihrer Mutter; der Vater kommt mit Graf Siegfried, der um das Fräulein geworben; sie halten Hochzeit, der Bischof segnet sie ein – inzwischen hebt sich wieder der mittlere Vorhang und so ziehen sie gleich über die Bühne in Siegfried's Burg. – Nach kurzer Häuslichkeit ein Trompetenstoß – die Vasallen erscheinen, Siegfried muß in den Krieg. – Er übergiebt seine Gemahlin dem bösen Golo zu Schirm und Aufsicht, Genovefa schenkt dem geliebten Gemahl ein »Vergißmeinnicht« zum Angedenken. Mit Siegfried's Abzug endet der erste Act. – Golo hat seine Sache am besten gemacht; er ist ein halber Schulmeister und leitet das Ganze. Da Genovefa nicht lesen kann, so war er genöthigt, ihr die Rolle durch wiederholtes Vorlesen einzulernen; aber keiner von den Schauspielern blieb stecken, der Souffleur war nur zur Verbindung des Ganzen da. Ein Zöfchen besonders hübsch! – Die Fabel geht nun ihren Gang; Golo dringt in Genovefa, was er besonders gut und natürlich macht; da sie ihm widersteht, wirft er sie in den Kerker – der Vorhang fällt – es scheint, daß die Wehen beginnen. – Die Mörder lassen die Gräfin im Walde am Leben – der Säugling, den sie in den Armen hält, ist gar zu wunderschön! – Inzwischen ist der Graf heimgekehrt, Golo sitzt mit ihm an der Tafel, verleumdet seine tugendhafte Herrin, wird aber von der hübschen Zofe verrathen und zum großen Jubel des Publicums jetzt selber in den Kerker geworfen. – Genovefa, sehr im Negligé, aber nicht zu ihrem Nachtheil, blos in einem ziemlich langen Hemde, in wirklich bloßen Füßen, mit aufgelösten Haaren, erscheint nun im Walde, von der Hirschkuh begleitet, die sich zum Glück gehörig passiv verhält. Der Mutter zur Seite ist auch das Kind inzwischen bereits so weit aufgewachsen, daß es gleichfalls in Versen spricht, dabei splitternackt, nur mit einer wirklichen Schafhaut zur Noth bedeckt. – Der Graf ist in seiner Betrübniß auf die Jagd gegangen und stößt nun auf die todtgeglaubte, tugendhaft gebliebene Genovefa. Rührende Erkennungsscene – lautes Schluchzen und Schneuzen im ganzen Amphitheater. – Die wiedervereinigten Gatten ziehen nun zu den Eltern nach Brabant – alle drei Vorhänge heben sich, und sämmtliche Personen sitzen oder stehen in passenden Gruppen, der »Bajazzo« ladet zur nächsten Vorstellung ein und das Kind spricht die Schlußverse zu allgemeinster Erbauung.

Das Stück gefiel mir außerordentlich! Es war über hundert Jahre alt und in Knittelversen geschrieben, in natürlich-naivem Stil. So sagt einer der Vasallen tröstend zu Genovefa:

»Liebe Madam, thut nit so weinen,
Wenn's regnet, wird auch die Sonn' wieder scheinen.«

Es war vortrefflich gespielt worden. Von diesem und jenem Schauspieler konnte man kaum glauben, daß es ein Bauer sei, und ich habe von manchem berühmten »Mimen« die Verse nicht so natürlich, selbst mit so richtig-rhythmischem Gefühl vortragen hören wie hier von Leuten, die sonst den Acker pflügten, kein Spielhonorar bezogen, keinen Rollenneid kannten, keine Recensionen lasen und über keinen artistischen Director loszuziehen hatten. – Golo, dessen Bekanntschaft ich nach der Vorstellung gemacht, hatte als Regisseur fungirt, auch das Stück eingerichtet, einiges hie und da abgeändert, die Schlußverse hinzugedichtet. Auch hier hatte man sich über die Censur zu beklagen. Es war mir aufgefallen, daß der Bajazzo, der immer in den Zwischenacten erschien, nichts als ein paar unbedeutende Worte sagte oder sich wohl gar damit begnügte, die Zunge der Länge nach herauszustrecken, freilich zu großem Entzücken des kindlichen Publicums! Der verständige Golo klärte mich darüber auf. Das Kreisamt hatte die witzigen, aber etwas derben Zwischenreden des Hanswursten als dem Ernste und dem Pathos des heiligen Gegenstandes abträglich und unwürdig befunden, und sie kurzweg mit dem Rothstift vertilgt. Aber auch eine Hauptperson der Tragi-Komödie mußte völlig wegbleiben, zu großem Bedauern des Regisseurs. Der ursprüngliche bäuerliche Dichter hatte nämlich, nach der Auffassung seiner Zeit, zugleich nicht ohne künstlerische Absicht, das Böse in der Natur des Golo vor den Augen des Zuschauers hervortreten und reifen lassen, indem er ihm den veritabeln »Gottseibeiuns« als Verführer beigesellte, der ihm die Reize der schönen Gräfin hervorhob, ihn Schritt für Schritt zum Verbrechen führte. Nun hatte aber die Censur den Teufel gestrichen, wodurch nach der nicht ungerechtfertigten Ansicht meines ländlichen Aristarchen eine unausfüllbare Lücke in das Ganze kam. Das Stück machte demungeachtet seine ungeheure Wirkung und zwar gerade durch die Verbindung des ästhetischen mit dem religiösen Elemente; man konnte sich bei dieser Vorstellung, die mit ebenso viel Interesse als Andacht aufgenommen wurde, in die Zeit der alten Mysterien oder Moralitäten zurück versetzt glauben. Das Theater hatte hier seine eigentliche Bestimmung erfüllt: es bot seine Räume zu einer wahrhaft festlichen Vorstellung, die das Gemüth erhob, nicht blos zur Unterhaltung oder Zerstreuung diente – und so war mir von diesem Tage, von dem Drama selbst wie von den Darstellern, dem Publicum und dem Schauplatz ein mächtiger Eindruck zurückgeblieben, den kein Hoftheater mit seinen blasirten Logen, seinem schwatzenden Parterre und der stumpfen Gallerie bei aller Kunstfertigkeit der Schauspieler jemals zu verwischen, geschweige zu überbieten im Stande war.

Das hinderte nun freilich den warmen Antheil nicht, den ich mit meinen Freunden und Genossen an dem Burgtheater nahm; ja das dramatische Tyroler-Volksfest gab meinem Enthusiasmus für die Kunst nur noch neue Nahrung, wobei sich jedoch gewisse ideelle Wünsche nicht völlig abweisen ließen. Was konnte mit den theatralischen Kräften, die unser Wien damals in sich schloß, nicht alles Schönes und Herrliches ausgerichtet werden, mußte man sich sagen, wenn die Bühne wirklich und wahrhaftig als ein künstlerisches Volks-Institut aufgefaßt würde, während in der reellen Wirklichkeit Polizei und Censur nur eifrig bemüht waren, die goldenen Worte der großen Dichter zu schwächen und abzudämpfen, wenn man ihnen nicht gar das Wort gänzlich versagte. Kurz, das Theater, gleich den Kunstreiter- und Seiltänzergesellschaften, sollte zu nichts weiter dienen als zu einer mäßigen und gefahrlosen Unterhaltung für das große Publicum, welches auch mit dieser polizeilichen Anschauung ziemlich einverstanden schien. Das Jahr 1848 hat nun zwar mit seinen politischen Blitzen auch die dumpfe Theateratmosphäre des Burgtheaters was weniges gereinigt – allein was hilft's? Es fehlt der Nachwuchs, der neue Trieb von Dichtern und Schauspielern. Beinahe alle unsere dramatischen Größen sind gestorben oder im Absterben! –

In den Zwanziger Jahren, etwa bis zum Jahre 1840, prangte das Burgtheater in seinem vollsten Glanze. Ich brauche nur Namen aus der frühesten Periode zu nennen wie Rose, Koberwein, Koch, Korn, Krüger, Costenoble, Anschütz, Wilhelmi. Auch Heurteur und die Komiker Baumann und Wothe dürfen nicht vergessen werden. Unter den Damen glänzte als erster Stern die große Sophie Schröder, ihr stand zunächst die höchst bedeutende Sophie Müller, die wir leider frühzeitig verloren. Antonie Adamberger und Julie Löwe excellirten im feinen und höheren Lustspiel, Wilhelmine Korn (die erste »Melitta«) später Auguste Anschütz, geb. Butenop, im naiven Fach. Meister Fichtner kam bereits im Jahre 1824 als Anfänger hinzu, fand seine künftige Gattin Betti Koberwein als aufkeimendes Talent. Sie wuchsen rasch mit einander und an einander empor. – Dem schönen Kreise traten in der Folge noch bei: Löwe, La Roche, Herzfeld, Therese Peche, Caroline Müller, Julie Rettich, Mathilde Wildauer. Mit Louise Neumann, 1839, schließt sich die eigentliche Glanzperiode ab und einzelne Größen traten seitdem nur mehr sporadisch auf, wie Dawison, Marie Seebach, Friederike Goßmann, leider keine Fixsterne, sondern nur Kometen, in ihren Gastrollen-Ellipsen und Hyperbeln im Theater-Weltenraum ruhelos umherschweifend. – Doch fehlte es auch nach ihnen und bis zum heutigen Tage nicht an bedeutendem Zuwachs, welcher die Tradition von dem besten Zusammenspiel auf der ersten deutschen Bühne stets wach und lebendig erhält. In wie fern dieses Ziel durch die wechselnde Theaterleitung oder trotz ihrer erreicht wurde, soll diese Skizze anzudeuten versuchen. – Die besten Schauspieler machen noch immer kein gutes Theater. Das lebendige dramatische Material muß gut und zu Gutem verwendet werden. Das ist Sache des Dramaturgen. In der Auswahl der Stücke, in der Zusammenstellung des Repertoirs, in der richtigen Verwendung der darstellenden Kräfte wird der tüchtige Mann sich zeigen. Josef Schreyvogel war das. Als Dramaturg (mit dem Titel »Hofsecretair«) waltete er seines Amtes vom Jahre 1814 bis 1832 mit allem Feuereifer für die Kunst. Er war ein ernster Mann von gediegenem Charakter, von Wissen, Urtheil und Geschmack, in Geschäftssachen die Rechtlichkeit selber, verläßlich, unparteiisch, jeder Intrigue fern. Sein Hauptaugenmerk blieb natürlich das Repertoir, welches er mit Umsicht zusammenstellte, nicht ohne schwere Kämpfe mit der Censur, auch mit dem obersten Kämmerer. Wenn er da bisweilen zu schroff auftrat, suchte der gutmüthige und wohlwollende Theaterhofrath v. Mosel nach Kräften zu vermitteln, zu versöhnen.

Das Burgtheater brachte damals die Werke von Lessing, Goethe, Schiller, mehreres von Kleist, und von Shakespeare, so viel sich durchsetzen ließ. Auch das classische Theater der Franzosen war noch ziemlich stark vertreten. »Phädra« und »Rodogüne« erfreuten sich durch die Schröder einer besondern Beliebtheit.

Der vaterländische Collin mit seinem »Regulus«, »Balboa« und »Mäon«, stand in den zwanziger Jahren noch immer in Ansehen, und Kotzebue und Iffland gehörten unter die Stützen des Repertoirs. Den Rest bildeten ältere, längst bewährte Stücke, endlich die Neuigkeiten von Müllner, Houwald und Raupach, von Clauren, Töpfer, Holbein und Anderen. Auch die Einheimischen trugen ihr Scherflein bei: Deinhardstein und Frau von Weißenthurn, die Veteranin des Burgtheaters, seit 1789 bis gegen Ende der zwanziger Jahre seinem Verbande angehörig. Das moderne französische Theater war hauptsächlich durch Picard und Scribe vertreten.

Im Jahre 1816 ward die Poesie in Wien leibhaftig in's Leben gerufen. Grillparzer brachte seine »Ahnfrau«, bei welcher Schreyvogel zu Gevatter stand. Es scheint, daß die Darstellung dieser »Gespenster«- oder »Schicksals-Tragödie« im Burgtheater anfangs auf Hindernisse stieß, darum veranlaßte der Dramaturg ihre Aufführung im Theater an der Wien mit Heurteur und Sophie Schröder. Im August 1824 ward das Stück auch dem Burgtheater-Repertoir einverleibt, aber erst mit der »Sappho« wurde Grillparzer eigentlich hoftheatergerecht.

Schreyvogel war auch Schriftsteller. Seine Bearbeitung der »Donna Diana« hört und liest sich wie ein Originalwerk und kann noch immer als das Muster eines poetischen Lustspiels gelten. Eben so waren »Das Leben ein Traum« (im Theater an der Wien) und »Don Gutierre« vollkommen geeignet, das deutsche Repertoir zu bereichern; der Dramaturg vergaß aber seine eigenen Schöpfungen, als der fruchtbare und bald die deutsche Bühne beherrschende Raupach erschienen war, für welchen er eine besondere Vorliebe hegte. Er brachte nach Möglichkeit alle seine neuen Stücke, bisweilen drei bis vier in einem Jahre. Freilich daß nicht alle zündeten, aber viele hielten an, wie »Isidor und Olga«, »Corona von Saluzzo«, »Die Schleichhändler«, »Der Nibelungenhort«, »König Enzio«, vor Allem »Vormund und Mündel«, eine Mustervorstellung durch Korn, Costenoble und Sophie Müller. »Der Müller und sein Kind« nicht zu vergessen, der sich noch jetzt an jedem Allerseelentag auf vier oder fünf Wiener Theatern zu Tode hustet, dabei »gar nicht umzubringen« ist!

Raupach hat jedenfalls seine großen Verdienste um die deutsche Bühne, und das »Junge Deutschland«, welches ihn mit kritisch-theoretischer Keule erschlug, hat ihn in theatralischer Praxis nichts weniger als übertroffen.

Unter Schreyvogel brachte auch ich meine Erstlinge: »Leichtsinn aus Liebe« und »Liebesprotokoll

Man sieht, das Burgtheater brachte damals, was mit Ehren zu bringen war. Man hielt auf Anstand, das Gemeine war ausgeschlossen. Auch die einactigen Ephemeren und die eigentliche Posse. Mit dem an und für sich vortrefflichen »Versprechen hinterm Herd« hatte der Tempel in der Folge seine Keuschheit eingebüßt.

In den Rollenbesetzungen erwies sich der Dramaturg eben so einsichtig als gewissenhaft und parteilos. Er kannte keine Vorliebe, das Talent gab bei ihm den Ausschlag. Die Proben neuer Stücke leitete er selbst, wobei es ihm vor Allem zu thun war, ein harmonisches Zusammengreifen im Sinn und Styl des Autors zu erzielen, ohne sich in kleinliche Details einzulassen, auf's Höchste, daß er hie und da eine Nuance anrieth. Bei bedeutenderen Stücken wurde über Charakter und Darstellungsweise der Hauptrollen mit den Künstlern Rücksprache gepflogen, die etwa nöthigen historischen, auch ästhetischen Anmerkungen nicht gespart. Bei fertigen Schauspielern überläßt man das Individualisiren am besten ihrer eigenen Beurtheilung und Ausführung; zu vieles Dreinreden, Nergeln oder gar ein gewisser Schulmeisterton würde die Leute, die sich als Künstler fühlen, mit Recht verstimmen. Dagegen müssen eigentliche Anfänger gehörig geschult werden, in Sprache, Mimik, Gang, Haltung, in Allem; auch darf man den Lehrling nicht gleich in ein neues und schwieriges Fach werfen, dem er nicht gewachsen ist, man läßt ihn seine Kräfte für's Erste an kleineren Rollen versuchen und üben. Auf diese Weise verfuhr Schreyvogel mit dem jungen Fichtner, den er im Jahre 1824 vom Theater an der Wien übernommen hatte. Er verkehrte viel mit ihm, ließ ihn das Theater täglich besuchen, machte ihn auf die Spielweise Anderer, zumeist des feinen und eleganten Korn aufmerksam, in dessen Fußstapfen der Neuling treten sollte – doch brauchte es geraume Zeit, bevor er ihn mit einer größern Aufgabe betraute. Fichtner wuchs schnell empor, von Rolle zu Rolle, aber bereits ein vollendeter Meister, hatte er niemals ein Hehl daraus gemacht, was er theoretisch dem Dramaturgen, praktisch dem ältern Collegen zu danken habe.

Auf den höchst bedeutenden Ludwig Löwe längst aufmerksam geworden, der sich auf der Prager Bühne meist im Lustspielfach bewegte, lud ihn Schreyvogel auf Gastrollen, gewann ihn im Jahre 1820 für immer. Die Begeisterungsglut, die in dem großen Talente bisher noch nicht völlig zum Durchbruch gekommen war, eignete den Künstler vorzugsweise für feurige Liebhaber und jugendliche Helden, die dem Burgtheater fehlten. Der Dramaturg hatte Ludwig Löwe's höhere Weihe längst erkannt und ihn so auf dem richtigen Wege seinem großen Ziele zugeführt. Bald war nun ein Rivalisiren zwischen dem feurig brausenden Löwe und dem älteren eleganten und immer maßvollen Korn. Das Publicum theilte sich anfangs in zwei Lager, auch das weibliche, bis man zur Einsicht gelangte, daß zwei Vortrefflichkeiten sehr wohl neben einander bestehen können.

Schreyvogel brachte uns auch Sophie Schröder bereits im Jahre 1815. Seine ferneren Engagements waren: Wothe, Kettel, Costenoble, Heinrich und Auguste Anschütz, Heurteur, Wilhelmi, Rüger, Sophie Müller, Therese Peche, Caroline Müller, Herzfeld. Diese Künstler wurden dem Burgtheater nach und nach gewonnen vom Jahre 1815 bis 1829. Sie boten mit den bereits vorhandenen Talenten ein Zusammenspiel, besonders im Lustspiel, dergleichen man schwerlich je wieder sehen wird. Die »Wiener Schule« war damals berühmt. Wenn der strenge Hamburger Dramaturg seiner Zeit über die moderne Schauspielkunst vielleicht gerechte Zweifel hegte, so war doch späterhin durch Goethe in Weimar eine eigentliche Kunstwirkung erzielt worden. Dasselbe mag für Wien gelten, wo alle Schauspielerkräfte eifrig zusammen strebten, um im schönen Einklang ein harmonisches Ganzes zur Erscheinung zu bringen.

Auch durch interessante Gäste wurde das Burgtheater von Zeit zu Zeit aufgefrischt. Bereits im Frühjahr 1824 bekamen wir jungen Leute Gelegenheit, den berühmten Eßlair im Theater an der Wien in seinen Hauptrollen zu bewundern; allein erst bei seinen späteren Gastdarstellungen im Burgtheater ward es Einem völlig klar, daß man im Grunde nur einen großartigen Manieristen vor sich habe. Von der Natur mit einer prächtigen Gestalt und einem kräftigen, klingenden (obgleich etwas monotonen) Organ ausgestattet, wußte sich der Mann dieser Vorzüge gewandt und kunstreich zu bedienen, ohne damit in das eigentliche Reich des ideellen Künstlerthums einzudringen. Ein gewisser schlichter und natürlicher Ton, welchen er auch im höheren Schauspiele, wie im »Wilhelm Tell«, jezuweilen mit großer Wirkung anschlug, mochte wohl für den Schweizer Bauer taugen, und der Effect ließ auch in der Eingangs- und Apfelschuß-Scene nicht auf sich warten; dagegen war der berühmte große Monolog dürr, trocken, farblos, ohne eigentliche poetische Würde. Im Ganzen mußte man sich sagen: dem Dichter hat es nun einmal beliebt, seinen etwas passiven Bauernhelden wie das ganze Bauernstück durch Form und Behandlung in eine gewisse höhere Sphäre zu rücken; es sind Landmänner im großen Styl, keine gewöhnlichen deutschen oder niederländischen Bauern – der Schauspieler muß daher bemüht sein, dieser dichterischen Intention zu folgen, anstatt sie durch gar zu naturalistisches Bestreben weniger zu erläutern als zu zerstören, sie in den Bereich der völligen Prosa zu ziehen und so gewissermaßen in Widerspruch mit sich selber zu bringen. – Eßlair's Macbeth hatte einige wahrhaft große und erschütternde Momente – aber auch nur Momente! Der alte und gebrechliche König Lear war entschieden Eßlair's schwächste Leistung im Tragödienfach. Wie anders Held Anschütz, in der That jeder Zoll ein König! Eßlair spielte freilich die Rolle nach der prosaischen Schröder'schen Bearbeitung, in welcher der Hauptnachdruck auf die kindische Greisenschwäche gelegt wird, welche übrigens der Künstler, mehr als gerade nöthig war, zur Erscheinung brachte, und in einer Weise, daß die Monotonie gar nicht ausbleiben konnte. In bürgerlichen Rollen, wie der alte Dallner in der »Dienstpflicht«, Oberförster in den »Jägern«, als Essighändler u. s. w. war Eßlair ausgezeichnet – sein Meinau stellte sich mehr als eine theatralische Curiosität heraus.

Der Heros deutscher, oder besser: reinmenschlicher Schauspielkunst überhaupt, der große und unvergleichliche Ludwig Devrient, gab im Winter 1829/30 einen Gastrollen-Cyklus im Burgtheater.

In ihm vereinigte sich die Kunst mit der schönsten Natürlichkeit. Er brachte zwar keine naturalistische Photographie, wenn er einen Menschen schuf (wie etwa später der afrikanische Ira Aldridge im »Othello«), sondern er zeichnete kunstvoll nach der Natur und gab ein Bild, in Wahrheit, aber auch in Poesie getaucht. Eine der Hauptkünste des Schauspielers, eigentlich seine Capitalkunst, besteht darin, seine Persönlichkeit insoweit aufzugeben, daß sie in der darzustellenden Individualität möglichst verschwinde. Niemand kann freilich aus seiner Haut heraus, aus seiner Gestalt, oder selbst aus seinem Organ – ebensowenig wie der Schriftsteller, auch der dramatische, aus seinem Styl, aus seinem Wesen überhaupt. Schiller bleibt immer Schiller, der Idealist, selbst wenn er den derb-realen Musikus Miller sprechen läßt. Das gilt umsomehr für den Schauspieler, der ja mit seiner Persönlichkeit einsteht, in jeder seiner Rollen immer er selbst bleibt, seine Person nur ummodelt, sich insoweit verstellt, um die darzustellende Figur, dem Charakter gemäß, den ihr der Dichter verleihen wollte, in's Leben zu rufen. Nur der feinste Tact, der gebildetste Geschmack wird die Grenzlinie festzuhalten wissen, über welchen hinaus die Darstellung des Wirklichen, welche man von dem Schauspieler fordert, vielleicht in Caricatur übergehen würde – der zaghafte Künstler aber, welcher jener Grenze sich niemals zu nähern wagt, liefert eine matte, lebenlose Gestalt. Vor beiden Extremen war Ludwig Devrient schon von Haus aus durch sein Genie beschützt. Er spielte jederzeit individuell, niemals schematisch oder nach der Schablone in hergebrachter Theaterweise; er wußte schönes Maß zu halten, trat aber auch scharf und charakteristisch auf, ohne je zu übertreiben. Die Kunst, eine Maske zu wählen und der angenommenen Gestalt in Haltung und Ton gleich zu bleiben, war bei ihm im höchsten Grade ausgebildet. Bisweilen wurde die Täuschung so groß, daß man wirklich einen anderen Menschen vor sich zu haben glaubte als den, der uns vor Kurzem verließ. So, wenn er an einem und demselben Abende den armen Poeten und Schneider Fips zum Besten gab.

Die beiden Juden, der bürgerliche Shewa wie der tragische Shylock, schlugen gehörig ein. Bei Shylock wurden, mit discretem Anklang an den jüdischen Jargon, gewisse Gutturallaute hörbar, wie eines jüdischen Tigers, die mir noch im Ohre klingen.

Als Ossip griff der große Menschendarsteller nicht durch. Man war die Rolle von Anschütz gewohnt, der die Töne der weichen Rührung in seiner Gewalt hatte, wie kein Zweiter vor ihm oder nach ihm. Dazu kam das mächtige Organ, die imposante Gestalt, selbst das malerische, etwas kotette Costüm. – Devrient brachte einen hageren Russen mit schwarzem Haar und Bart, ging im dunklen langen Kittel. Er declamirte gar nicht, sprach leise mit heiserer Stimme, beugte sich in Sklaven- und Slavendemuth vor seinem Herrn. Wenn Anschütz von seiner Oxinia sprach und ihr wie sein jammervolles Schicksal beklagte, so blieb kein Auge trocken und er war immer des lebhaften Beifalls gewiß. Devrient hingegen hob die Stelle wenig heraus, kaum daß sich ein paar halbunterdrückte Seufzer vernehmen ließen. So ging der erste Act spurlos vorüber, ohne Sang und Klang. Man konnte irre an dem großen Künstler werden.

Das Stück geht nun seinen weiteren Verlauf. Der demüthige Sklave bemächtigt sich mälig der Leidenschaft des Prinzen und wird so der Herr seines Herrn, drängt ihn zur Gewaltthat, rächt sich auf diese Weise für alles Unheil, das man ihm und den Seinen angethan. Devrient gab ein vollendetes Seelengemälde – die jammervolle Geschichte der Leibeigenschaft entwickelte sich vor unseren Augen an der Person des Sclaven, an der Stumpfheit, Rohheit, Bosheit, Rachsucht, wie an der zertretenen Liebe; er erinnert sich der längst erstorbenen besseren Empfindung, allein sie bricht nur selten, ein einzelner Sonnenstrahl durch die dunklen Wolken seines verwilderten Gemüthes, und Haß, Zorn und Rache behalten die Oberhand. Devrient machte durch seine wahrheitsgetreue Darstellung wenig Effect bei dem großen Publicum, kaum daß ein paar Hände sich rührten. Aber warum hatte er auch einen Sclavenkittel angezogen und eine »Declamations-Rolle« gespielt, der er nicht gewachsen war, wie die Leute meinten! –

Der Mann spielte auch Nebenrollen. Er besaß eine eigene Gabe, oft mit einem an sich unbedeutenden Worte zu zünden, natürlich wo es paßte und ohne sich vorzudrängen. So als Apotheker in »Hermann und Dorothea«, in der Scene, wo vom Heirathen die Rede ist. Wenn der alte Junggeselle mit einer ganz besonderen Betonung und mit listig-lüsternem Augenzwinkern sagte: »Will's nicht verschwören!« so schlug das Wort elektrisch durchs ganze Haus.

Als Rechenmeister Grübler (in »Jurist und Bauer« von Rautenstrauch) fiel ihm die Aufgabe zu, einen stillen, aber mächtigen Rausch zu verbergen, den sich der Pedant zu seinem eigenen Schrecken angetrunken hatte. Wie er nun das Uebel vor seiner Umgebung zu verbergen, womöglich bei sich selber zu bekämpfen suchte, mit Worten und Geberden in Widerspruch gerieth, zuletzt ängstlich nach der Klinke tappend, mit dem Rücken voran glücklich zur Thüre hinauskam, ist mir heute noch ein Räthsel, obwohl ich ihn mit eigenen Augen hinausschlüpfen sah. So huscht ein seligtrunkener Schullehrergeist!

Unter die Rollen, in denen Devrient wenig Aufsehen machte, gehörte auch der Schwätzer und Prahler Paroles in Shakspeare's »Ende gut, Alles gut«. Das Stück selbst (natürlich der Zensur wegen ungeheuer verballhornt) sagte dem Wiener Publicum wenig zu, und den Schauspieler ließ sein Gedächtniß über Gebühr im Stich – doch prahlte er prächtig und mächtig und ganz im Geiste des Dichters. Eine kleine Costüm-Nuance, welche Devrient angewendet, mag für einen künftigen Darsteller des Paroles erwähnt werden. Der Prahlhanns erscheint im ersten Acte, wo er sich Gönner zu erschmeicheln wußte, in prächtigen seidenen Kleidern, nimmt auch in solcher Gestalt an dem Kriegszuge Theil, wo er sich feige benimmt und alle Schmach erfährt. Nach seiner Rückkehr und völlig heruntergekommen und auf dem Trockenen, erscheint er nun in demselben Prunkgewande, nur daß es völlig beschmutzt ist und in Fetzen an ihm hängt, was ihn aber nicht hindert, so keck und stutzerhaft aufzutreten wie vorher, wie immer. – Als Posert im »Spieler« feierte der Künstler einen großen Triumph. Man kann diesen siechen, einäugigen und verlumpten, durch die Nachtwachen am grünen Tische völlig erschöpften abenteuernden Gauner mit dem schleppenden Gange und der heiser-krächzenden Stimme, diesen ausgehöhlten Croupier ohne alles Herz und Gefühl nicht naturgetreuer und abschreckender hinstellen. Man lebte mit dem liederlichen Tuch, glaubte den Menschen von Spaa oder Wiesbaden her persönlich und von Grund aus zu kennen. Im letzten Acte überraschte der Künstler dennoch! Er wird zum General berufen, um Bank zu halten, erscheint in einer verschossenen Uniform, in engen, lichten Beinkleidern, der verkrüppelten Gestalt nicht eben zum Vortheil. War er bisher dem jungen Baron gegenüber trotzig und herrisch aufgetreten, hatte er die Baronin mit wenig Rücksicht behandelt, so schlich er nun leise herein, lispelte kaum, benahm sich demüthig gegen Kammerdiener und Bediente, kroch wie ein Wurm vor dem General, die schlimme Katastrophe vorahnend – und als das Unheil näher rückte, da zitterte er am ganzen Leibe, man fühlte seine Seele mitzittern, als er in der Herzens- und Todesangst sich ein Glas Wasser ausbat.

Viele Schauspieler haben dem großen Ludwig diese und andere Rollen nachgespielt, wie z. B. der treffliche Wilhelmi, zu seiner Zeit der beste komische Alte des deutschen Theaters. Auch im ernsten Schauspiele war er verwendbar, dagegen kam er in der Tragödie und im höheren Charakterfach wohl kaum über das Gewöhnliche hinaus. Auch sein Posert war übrigens nicht ohne Verdienst, und er trotzte, that ängstlich, schlich und zitterte à la Devrient – jedoch duo dum faciunt idem, non est idem.

»Man fühlt die Absicht und
man wird verstimmt!« –

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