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VIII.

Es war gegen Mittag des folgenden Tages, als eine Droschke in ungewöhnlicher Eile die enge Straße in Ottensen hinauffuhr, in welcher das Haus der Madame Pietschmann lag. Nicht häufig kam es vor, daß sich ein Fuhrwerk dieser Art in dem Gäßchen sehen ließ, und man darf es daher den guten Leuten, die hier wohnten, nicht als eine übergroße Neugierde anrechnen, daß sie bei dieser Gelegenheit die Augen weit aufrissen und die Köpfe zum Fenster hinaus streckten. Als aber nun gar die Droschke vor dem Hause der Madame Pietschmann hielt, und diese selbst, sichtbar erhitzt und aufgeregt, nachdem sie dem Kutscher ein Geldstück zugeworfen, nicht mit der ihrer Corpulenz entsprechenden Bedachtsamkeit aus dieser stieg, nein, auf eine höchst waghalsige Weise hinaussprang und dann mit zwei tollkühnen Sätzen die vier steinernen Stufen hinauf und, mit einem dritten zur Hausthür hineinflog, da kannte das gerechte Erstaunen der Zahnarztwittwe, des Fräuleins Mitscherling und der gesammten Bürstenbinderfamilie, sowie auch des Doctors Schönfeld keine Grenzen mehr, und dennoch würde es noch unendlich gesteigert worden sein, hätten sie das Gebaren der würdigen Collectrice, wie es dem Leser gestattet ist, noch ferner beobachten können.

Sie stürzte, ohne anzuklopfen, in das Wohnzimmer der Familie Lüders, blickte sich rasch in demselben um und warf sich dann ächzend in den nächsten Lehnsessel.

Louise, die mit einer Handarbeit beschäftigt, am Fenster saß, erhob sich erschrocken; denn sie glaubte nicht anders, als es müsse der Hauswirthin etwas ganz Entsetzliches begegnet sein.

»Sie sind doch nicht krank, Madame Pietschmann?« fragte sie besorgt.

»Ja, ich bin krank,« jammerte diese und wischte sich den Schweiß von der Stirn, »es sitzt mir in allen Gliedern – mein Kopf, mein Kopf – ach, ich hab' so schrecklich schwache Nerven – o, du lieber Himmel!«

»Wollen Sie vielleicht ein Glas Wasser?« fragte Louise weiter.

»Ja Wasser – oder, wenn Sie vielleicht Hoffmann'sche Tropfen hätten – nein, Fräulein Louise – keine Tropfen.«

»Also Wasser?«

»Nein, auch kein Wasser. Ist Ihr Herr Vater zu Hause?«

»Ich glaube nicht, Madame Pietschmann.«

»Ich muß ihn sprechen, der arme Mann weiß noch nicht – schrecklich, das nicht zu wissen – o du grundgütiger Himmel!«

»Sie erschrecken mich; was ist denn geschehen?«

»Was geschehen ist? Großes, Wunderbares, Kolossales, Fräulein Louise – nein nichts, gar nichts – ist Ihr geehrter Herr Vater zu Hause?«

»Ich glaube in der That nicht. Aber könnten Sie es nicht mir oder meiner Mutter sagen?«

»Ja, rufen Sie Ihre gnädige Frau Mutter – nein, thun Sie es nicht – rufen Sie ihren gnädigen Herrn Vater; ich muß ihn sprechen – wo ist er? – Lassen Sie ihn holen, mag er sein, wo er will. O, Schicksal, wie unerforschlich sind deine Rathschlüsse! Wer hätte das sagen können! Ja ich hab' es gesagt – meine Ahnung! Nun, was ist's im Grunde? Das Glück ist ein Heuschober; rupfe davon, so hast du.«

Louise begann ernstlich zu fürchten, der Verstand der Madame Pietschmann sei durch irgend ein schreckliches Ereigniß aus den Fugen getrieben worden, und sie überlegte, was sie in diesem kritischen Falle mit der armen Frau beginnen solle.

Unbestimmte Vorstellungen von kalten Umschlägen und Aderlässen schwebten ihrer Seele vor, und sie fühlte die dringende Nothwendigkeit, ohne den mindesten Zeitverlust Hülfe zu schaffen, ohne aber zu wissen, wie, und ihre Angst wuchs mit jeder Secunde; da ertönte die Hausglocke, und die Schritte des Herrn Lüders erschollen auf der Flur.

»Gott sei Dank,« sagte halblaut das geängstigte Mädchen, froh, der auf ihr lastenden Verantwortlichkeit überhoben zu werden, »da ist der Vater!«

Sie eilte hinaus, erfaßte hastig den Arm ihres Vaters und flüsterte ihm leise zu: »Schnell, schnell, Papa, Madame Pietschmann – sie hat – sie ist – – –.«

»Nun was denn?« fragte der erstaunte Lüders.

»Ich glaube, sie ist krank, wenn nicht gar wahnsinnig.«

»Wie, was sagst Du, wahn – – –«

Aber Louise ließ ihn nicht ausreden, sondern zog ihn mit sich in das Zimmer. Madame Pietschmann hatte sich inzwischen erhoben und schritt, als sie Herrn Lüders erblickte, langsam und feierlich auf ihn zu. Er betrachtete sie forschend. So hatte er sie noch nie gesehen; ihr fest auf ihn gerichteter Blick, ihr ernstes, abgemessenes Benehmen – so gänzlich verschieden von ihrem gewöhnlichen – erschreckte ihn beinahe, und er wich unwillkürlich ein Paar Schritte zurück, indem er leise vor sich hin murmelte:

»Arme Frau, also wirklich verrückt – nun, überraschen kann es mich eben nicht, hab' so was schon längst vermuthet.«

»Herr von Lüders, rechtschaffener, edler Mann,« begann Madame Pietschmann, »Sie kennen die Hochachtung, die Verehrung, die mir Ihr nobler Charakter stets eingeflößt hat – also nichts davon – ich wünsche mit Ihnen zu reden – ich habe sehr Wichtiges mit Ihnen zu reden; aber – wenn ich bitten darf – unter vier Augen. Bitte« – sie sah dabei Louisen an – »unter vier Augen, ich wünsche es sehr.«

Lüders theilte nun zwar diesen Wunsch ganz und gar nicht, aber er überlegte schnell, daß man, um mit Irrsinnigen gut fertig zu werden, ihnen, scheinbar wenigstens, ihren Willen lassen müsse, und entschloß sich, sein Verhalten dieser goldenen Regel gemäß einzurichten.

»Geh, Louise,« sagte er laut, flüsterte ihr aber dann leise in's Ohr: »Laß schnell einen Arzt holen,« und Louise, nicht wenig erfreut, der unheimlichen Nähe der vermeintlich Wahnsinnigen zu entrinnen, verließ ohne Zögern das Zimmer, indem sie noch einmal einen verstohlenen Blick auf Madame Pietschmann warf, die noch immer in steifer, feierlicher Haltung vor ihrem Vater stand.

»Nun, meine liebe, gute Madame Pietschmann, nehmen wir Platz,« sagte dieser, als er sich mit ihr allein sah, in einem so sanften, beschwichtigenden Tone, daß es einen Paroxysmus von Tobsucht hätte niederschlagen müssen. Er deutete dabei mit einer unsäglich liebreichen Miene auf das Sopha, während er selbstmöglichst weit davon einen Stuhl einnahm. Aber Madame Pietschmann leistete seiner freundlichen Einladung, Platz zu nehmen, keine Folge, schritt vielmehr aufs Neue und eben so langsam und abgemessen wie zuvor auf ihn zu.

»Fassen Sie sich, braver, vortrefflicher Herr von Lüders,« sagte sie, »seien Sie Mann!«

»Ich glaube, es wird Noth thun,« hätte er beinahe erwiedert, aber er ließ seine Gedanken nicht laut werden, und wies nur mit einem flehentlichen Blicke auf das Sopha.

»Die Vorsehung,« fuhr Madame Pietschmann fort, »hat Sie auf eine höchst merkwürdige Weise zu ihrem Werkzeuge erkoren.«

»Ja, um deinen Wärter abzugeben, verwünschte Hexe,« dachte Herr Lüders.

»Ich bringe Ihnen eine äußerst wichtige Nachricht,« sagte die Collectrice, »ahnen Sie nichts?«

»O ja,« meinte Lüders.

»Besitzen Sie die nöthige Fassung, mich anzuhören?«

»Ich bin auf – Alles gefaßt,« entgegnete er kleinlaut.

»Das Rittergut Buchenthal gehört Ihnen.«

»Ja, ja,« wiederholte er lakonisch, »Buchenthal gehört mir – es leidet keinen Zweifel, sie ist total verrückt,« setzte er hinzu, aber so leise, daß es die Collectrice nicht hörte, »man muß ihr in allen Dingen Recht geben.«

Nun mochte sich aber Madame Pietschmann vorgestellt haben, daß Herr Lüders, wenn sie ihm die frohe Nachricht brächte, einige Purzelbäume schlagen, oder bis an die Decke springen, oder sich auf dem Fußboden gleich einem Pudel im Grase wälzen, oder einige andere beliebige Thorheiten begehen, zum Wenigsten ihr um den Hals fallen und sie küssen und dann in eine gelinde Ohnmacht sinken würde; denn sie war offenbar nicht wenig betreten, als von dem Allen nicht das Mindeste eintraf.

Sie sah ihn voller Erstaunen an und sagte dann, indem sie die Hände zusammenschlug:

»Na, nun hört doch, weiß es der Himmel, Alles auf. Sie nehmen das ja so ruhig und gelassen hin, als beträf es ein Ei und ein Butterbrod! Glauben Sie etwa, daß ich Scherz mit Ihnen treibe?« Sie hätte hinzufügen können: »Oder ist Ihnen Ihr bischen Verstand wackelig geworden?« denn das glaubte sie in der That; aber sie hütete sich wohl, einen solchen Gedanken zu äußern.

»Daß Sie Scherz treiben, Madame Pietschmann,« sagte Lüders, »nein, das glaub' ich nicht – – – aber – – –«

»Aber ich könnte mich irren, meinen Sie. Nun das fehlte mir noch gerade. Ich, eine achtjährige Collectrice, und mich in solchen Dingen irren! Bedenken Sie doch, verehrtester Herr, ich komme ja so eben von der Ziehung. Sie müssen es doch wissen, daß sie heute gewesen ist. O du meine Güte, hab' ich denn nicht Augen und Ohren? Oder weiß ich etwa nicht Ihre Nummer? Herr Lüders! geschätzter Freund und Gönner, seien Sie doch froh und glücklich, ich sage Ihnen die reine Wahrheit. Sie haben ja doch in des Kuckucks Namen Nummer 18,504, nicht wahr?«

»Ja, ja, das ist meine Nummer, ich weiß es genau,« entgegnete Lüders, und der Gedanke begann in ihm aufzudämmern, Madame Pietschmann könnte doch vielleicht vernünftig sprechen und es möchte sich am Ende wirklich verhalten, wie sie behaupte. »Aber, mein Gott, wie wird mir denn?« setzte er noch immer zweifelnd hinzu, »so wären Sie also nicht – nehmen Sie mir's nicht übel – – –«

»Verrückt, wollen Sie wohl gar sagen?« fiel sie ihm in's Wort. »Nein, ich bin es nicht; aber – hm – verzeihen Sie, verehrtester Herr Lüders, wie steht es denn eigentlich um Ihren – hm, na, du allgütiger Himmel, wenn einem ein solches Glück begegnet, kann man wohl ein klein wenig überschnap – –, – kuriose Ideen kriegen, wollte ich sagen; ich kenne das. Aber nehmen Sie sich zusammen, bester Herr Lüders, ich bin bei vollem Verstande und sage Ihnen noch einmal, Ihre Nummer hat gewonnen. Sie sind wirklich und wahrhaftig der reiche, glückliche Besitzer des Ritterguts und können nun alle Sorgen und Plagen des Lebens an den Nagel hängen. – Glauben Sie's noch immer nicht?«

In den Zügen des Herrn Lüders war eine plötzliche Veränderung vorgegangen, Todtenblässe bedeckte sein Gesicht, der Schweiß trat ihm auf die Stirn; seine Augen starrten stier und ausdruckslos ins Leere hinaus.

»Mein Gott, Sie werden unwohl,« rief Madame Pietschmann ängstlich. »Es ist wahrhaftig nicht ganz richtig mit ihm,« setzte sie leise vor sich hinmurmelnd hinzu, » hab's mir wohl gedacht, war die ganze Zeit über so eigenthümlich. Um's Himmels Willen, Herr Lüders!« schrie sie ihm dann in die Ohren, »fassen Sie sich, stehen Sie auf, kommen Sie an's offene Fenster, es wird Ihnen wohl thun.« Und sie bemühte sich, indem sie ihn heftig am Arme zerrte, ihn zum Aufstehen zu bewegen; aber er sank matt und erschöpft auf den Stuhl zurück und stammelte kaum verständlich:

»Da drinnen – im Schlafzimmer – Riechsalz!«

Madame Pietschmann aber hörte seine Worte nicht. »Zur Hülfe! Zur Hülfe!« schrie sie »Madame Lüders! Fräulein Louise! ach, du Jemine, welch' ein Unglück, der arme Mann hat den Verstand verloren!«

Mittlerweile hatte Louise der Mutter ihre Besorgnisse hinsichtlich der Hauswirthin mitgetheilt, so wie, daß sich diese allein mit dem Vater in der Wohnstube befinde. Madame Lüders, obgleich sie eine fast unüberwindliche Furcht vor Irrsinnigen empfand, beschloß nichts desto weniger, ihrem Manne in der ihn etwa bedrohenden Gefahr beizuspringen; sie eilte daher an die Thür des Wohnzimmers, wo sie erst durch das Schlüsselloch guckte und, als sie nichts gewahrte, das Ohr an die Ritze legte, um auf diese Weise zu erfahren, was drinnen vorgehe. Wenn ihr Mann nach Hülfe gerufen hätte, so wäre ihr das nicht unerwartet gekommen; aber, daß es jetzt Madame Pietschmann that, versetzte sie in das höchste Erstaunen, und augenblicklich stieg der Argwohn in ihr auf, es könnte ihm von dieser ein Leid zugefügt worden sein. Hastig riß sie die Thür auf und trat, von ihren Töchtern begleitet, – Ida war so eben von der Schule zurückgekehrt – in das Zimmer.

»Mein Gott!« rief die geängstigte Frau, als sie ihren Mann wie halb entseelt auf dem Stuhle sitzen sah, »was ist hier geschehen?«

»Ist Papa krank?« fragten Ida und Louise besorgt.

»Bist Du krank, Mann?« fragte auch Madame Lüders. »Madame Pietschmann,« fügte sie hinzu, indem sie diese bei Seite schob, »lassen Sie mich....«

»Krank ist er nicht,« sagte die Collectrice in einem Tone, der beruhigend sein sollte, »krank nicht – – aber –« hier zeigte sie mit einer vielsagenden Miene auf die Stirn, »ich fürchte, ich fürchte – die übergroße Freude – – Herr Lüders, bitte, bitte, ermannen Sie sich.«

»Ist meine Frau hier?« stammelte dieser matt und mit halbgeschlossenen Augen.

»Ich bin hier, lieber Mann, wir sind Alle hier. Wünschest Du etwas?«

»Weißt Du schon, Annette –?« fuhr Herr Lüders fort.

»Ja, ja, bester Mann, ich weiß; aber ängstige Dich nicht, es wird wohl nicht so schlimm sein. Pst!« setzte sie hinzu, indem sie sich niederbeugte und ihm in's Ohr flüsterte, »sie ist noch hier, sprich nicht davon.«

»Wer ist hier, Annette?«

»Nun, die Wahnsinnige, Madame Pietschmann.«

»Pah, das meine ich nicht,« entgegnete Lüders, indem er die Augen öffnete, die Stirn rieb und sich im Stuhl aufrichtete, »Frau, Kinder,« fuhr er dann mit gehobener Stimme fort, »wir haben ein großes unverhofftes Glück gehabt, wir haben das Gut gewonnen!«

»Gewonnen – das Gut? Wäre es möglich?« rief Madame Lüders.

»Auf mein Wort, verehrte Frau,« fiel Madame Pietschmann ein, »Sie haben es gewonnen. Ich habe mir alle Mühe gegeben, Ihrem geehrten Manne die Nachricht auf die schonendste Weise beizubringen; denn ich weiß aus Erfahrung, wie schrecklich die Freude wirken kann. Zwischen Freud' und Leid ist die Brücke nicht breit, das ist ein altes Sprichwort. Meine Schuld ist es beim Himmel nicht, falls der liebe Mann – – aber wenn er sich nur zu Bette legen und ein paar Tassen Kamillenthee trinken wollte, das beruhigt, oder vielleicht einige kalte Compressen auf den Kopf....«

»Nein, nein, meine beste Madame Pietschmann,« sagte Lüders lächelnd und erhob sich nun vollends vom Stuhl, »es ist nicht nöthig; es war nur eine kleine Anwandlung von Schwäche, und die ist jetzt vorüber.«

»Aber darf ich denn wirklich glauben, daß wir das Gut gewonnen haben?« fragte Madame Lüders und sah nun ihrerseits ganz verstört und träumerisch drein.

»Es ist sicher und gewiß, Annette,« betheuerte Lüders und schloß seine Frau in die Arme. »Du hast in den letzten Jahren viel Kummer und Leid mit mir getheilt, ohne zu murren. Gott sei gelobt, nun kann ich Dir eine freundlichere Zukunft bereiten.«

Nachdem sich die erste, erschütternde Aufregung einigermaßen gelegt, und die Betäubung der mit Zweifel und Unglauben gemischten Ueberraschung allmählig gewichen war, gaben sich alle der fröhlichsten Stimmung hin, und Freudenbezeigungen und gegenseitige Glückwünsche wurden gewechselt. Herr Lüders umarmte wiederholt seine Frau, seine Töchter und Madame Pietschmann und würde nun wahrscheinlich nicht übel Lust gehabt haben, die von der Collectrice so zuversichtlich erwarteten Purzelbäume zu schlagen, hätte es sich nur im mindesten mit seiner neuen Würde als Rittergutsbesitzer vereinigen lassen. Madame Lüders lachte und weinte zu gleicher Zeit und war der Ansicht, man müsse das unerwartete und unverdiente Glück in Demuth tragen, Louise war überglücklich und flüsterte ihrer Schwester Ida einmal über das andere zu, wie nun auch dem armen Hugo geholfen werden könnte, wie sie sich freue, ihm das große Glück mitzutheilen, und wie auch gewiß er sich freuen würde.

Madame Pietschmann betrachtete mit einer Miene der höchsten Befriedigung und Selbstgefälligkeit die bewegte Scene, schwatzte unaufhörlich dazwischen und gab nicht undeutlich zu erkennen, sie sei doch eigentlich die Gründerin dieses ungeheuren Glücks und ihr allein gebühre Preis und Ehre.

»Nun, Herr Lüders,« sagte sie schmunzelnd und neckisch, »war es nicht gut, daß Sie mir ein Loos abnahmen? Hat mich meine Ahnung getäuscht? Bereuen Sie noch immer, daß Sie die 20 Thaler so leichtsinnig zum Fenster hinauswarfen? Haben Sie Ihr Gut zu theuer bezahlt?«

»Sie haben mir zum Besten gerathen,« entgegnete er, » ich gestehe, daß wir vor allen Dingen Ihnen dankbar sein müssen.«

»O bewahre, davon ist gar nicht die Rede – – –«

»Ja,« fiel Madame Lüders ein, »darin geb' ich meinem Manne Recht, ohne Sie wäre uns dieses Glück nicht zu Theil geworden; aber mein Mann wird sich auch erkenntlich zeigen.«

»Sprechen Sie davon nicht, gnädige Frau.«

Und wieder begann ein wirres, ohrenzerreißendes Durcheinander von lustigen Scherzen, Lachen und Frohlocken, Fragen, die Niemand verstand und Antworten, die überhört wurden. Alle, mit alleiniger Ausnahme Ida's, der Einzigen, die ihre Ruhe bewahrte, sprachen zu gleicher Zeit, und Keines achtete auf das Andere, bis endlich Herr Lüders mit einem Machtspruche Ruhe gebot und die Nothwendigkeit darlegte, die dringlichsten Maßregeln sofort ernstlich zu überlegen. Man nahm Platz und es wurde ein Familienrath gehalten, in welchem der neue Rittergutsbesitzer mit vieler Würde präsidirte.

Zuvörderst, meinte Herr Lüders, müsse dafür gesorgt werden, den Zimmern ein möglichst festliches Aussehen zu geben; denn das große Ereigniß würde bald in der Nachbarschaft bekannt werden, und eine Menge Freunde und Bekannte – auch die aus früherer Zeit – dürften sich zur Gratulation einstellen. Zwar meinte Madame Lüders, die Freunde aus früherer Zeit hätten ihnen sämmtlich den Rücken gekehrt, als sie damals das große Unglück betroffen; aber ihr Mann beruhigte sie mit der tröstlichen Versicherung, daß ihr jetziges Glück sie Alle ohne Ausnahme zu ihnen zurückführen würde.

»Sorge auch, liebe Annette,« fügte er hinzu, »für ein besseres Mittagessen, wozu ich Sie, Madame Pietschmann freundlichst einlade, laß Wein, Kuchen, Obst, etwas kalte Küche, vielleicht einige Straßburger Pasteten, geräucherten Elblachs, Caviar, oder dergleichen herbeischaffen und bereite Dich überhaupt darauf vor, daß einige unsrer Freunde den heutigen Abend bei uns verbringen. Wir wollen recht lustig sein, Kinder; ein fröhlicher Tag soll uns für manchen Kummer entschädigen. Ferner müssen meine schwarzen Kleider ausgebürstet werden – Ida, dafür könntest du gefälligst Sorge tragen – und auch Ihr Mädchen,« sagte er weiter, indem er den Anzug der Töchter musterte, »müßt Euch besser kleiden. Fehlt euch etwas zu Eurer Toilette, so geht in die Läden, kauft was Ihr nöthig habt, und spart das Geld nicht. Und höre, Annette« – er flüsterte dies seiner Frau leise in's Ohr – »meine Uhr und Deine goldene Kette müssen vom Versatzamt geholt werden; ich gebe Dir nachher das Geld dazu – verstanden?«

Nachdem diese höchst wichtigen Anordnungen getroffen waren, begann Herr Lüders zum dritten Mal – denn er hatte es gleich Anfangs schon zweimal gethan – Madame Pietschmann in Betreff des Gutes Buchenthal auszufragen, und die redselige Collectrice erzählte mit so großer Bereitwilligkeit und so erstaunenswerther Zungengeläufigkeit, was sie wußte und nicht wußte, von den Parkanlagen und den Treibhäusern, dem Thiergarten und den Karpfenteichen, den 1200 Tonnen Ackerland und den unermeßlichen Waldungen, von den 300 Kühen und allen sonst zu dem Gute gehörenden Herrlichkeiten und Pertinenzien, daß ihm zuletzt bei dem schwindelerregenden Gedanken, das Alles zu besitzen, der Kopf dröhnte und er wiederholt nach Athem schnappen mußte, ehe er die Frage herausbrachte:

»Wo liegt denn eigentlich Buchenthal? Sie sagten vorhin – – –«

»In Hannover, gnädiger Herr, zwischen Burgdorf und Wathlingen, dicht an der Eisenbahn.«

»Und wann kann ich das Gut übernehmen?« fragte Lüders weiter.

»Mein Gott, gnädiger Herr, wann Sie wollen, morgen, wenn es Ihnen beliebt.«

»Ja,« meinte er, »das ist leicht gesagt; aber einige Vorbereitungen müssen doch getroffen werden, um von vornherein auftreten zu können, wie sich's gebührt – –«

»Nun, versteht sich,« sagte die Collectrice, » wie die Weise, so der Sang. Sie werden Ihren Gutsunterthanen, die Ihnen gewiß einen feierlichen Empfang bereiten werden – – –«

»Sehr möglich, sehr möglich, Madame Pietschmann, ja, wenn ich mir's recht überlege, sogar wahrscheinlich.«

»Sie werden ihnen, mein' ich, mit einer gewissermaßen imponirenden Eleganz entgegentreten, nicht so, mir nichts, dir nichts, mit der Eisenbahn angesaust kommen – –«

»Nein, bewahre, in eigener Equipage.«

»Und mit der nöthigen Bedienung, gnädiger Herr; Kutscher, Kammerdiener in Livrée, vielleicht noch ein Jäger – das macht Eindruck, das flößt den Leuten Respect ein.«

»Freilich, freilich, für das Alles muß gesorgt werden, und zwar so bald als möglich.«

»Ist denn das wirklich nothwendig, Andreas?« fragte Madame Lüders, »bedenke doch das viele Geld, lieber Mann!«

»Bitte, Annette, in diesem Fall weiß ich am besten, was sich ziemt,« entgegnete Herr Lüders mit einer abwehrenden Geberde, als wolle er ein für alle Mal ihre Widerreden zurückweisen. Ueberhaupt hatte er plötzlich wieder das hochfahrende Wesen angenommen, welches ihn früher so sehr charakterisirte, und wer es nicht besser wußte, hätte glauben müssen, er habe nie erfahren, was Armuth und Drangsal sei. Nichts desto weniger wagte Madame Lüders, obgleich selbst mehr zur Verschwendung als zur Sparsamkeit geneigt, noch einen Einspruch gegen die ungeheuren Ausgaben, die sie voraussah.

»Ich meinte nur, lieber Andreas,« sagte sie mit leiser Stimme, »daß der augenblickliche Zustand Deiner Casse es nicht wohl erlaube – –«

»Sei unbesorgt, Annette,« entgegnete er in entschiedenem Tone, »nun wird es mir, Gott sei Dank, leicht sein, Mittel und Wege zu finden, alle nothwendigen Kosten zu bestreiten.«

Mit diesen Worten erhob er sich, bat noch einmal seine Frau und die beiden Mädchen, ohne Zeitverlust die besprochenen Anordnungen zu treffen, und drückte dann den Wunsch aus, mit Madame Pietschmann einige Worte unter vier Augen zu sprechen.

Madame Lüders und ihre Töchter entfernten sich daher und ließen die beiden allein.

»Nehmen wir wieder Platz,« sagte Lüders und wies herablassend auf einen Stuhl, indem er sich behaglich in eine Ecke des Sophas drückte, »ich möchte Ihnen vor allen Dingen sagen, Madame Pietschmann, daß Sie in Betreff Ihres Honorars darauf rechnen dürfen, daß es im Verhältniß zu der Größe des Gewinnes stehen wird. Ich habe mich, kann ich wohl sagen, in solchen Dingen stets freigebig gezeigt und werde es – verlassen Sie sich darauf – auch bei dieser Gelegenheit thun.«

»Herr von Lüders,« entgegnete die Collectrice mit gesenktem Blicke und einer tiefen Verneigung, »ich bin von Ihrer Großmuth überzeugt, aber eben so überzeugt dürfen Sie von meiner Uneigennützigkeit sein. Brätst Du mir die Wurst, lösch' ich Dir den Durst, das ist, der Himmel weiß es, nie mein Wahlspruch gewesen. Ich freue mich, daß das ungeheure Vermögen in so würdige Hände gefallen ist, keinem Menschen auf Erden würde ich es lieber gönnen, als Ihnen; an mich selbst aber hab' ich mit keinem Gedanken gedacht, das kann ich Ihnen versichern.«

»Leider ist es mir in diesem Augenblick nicht wohl möglich,« fuhr Herr Lüders fort, »Ihnen meine Erkenntlichkeit zu bezeigen; ich muß Sie in der That bitten, noch einige Zeit Ihr Schuldner bleiben zu dürfen, indeß – –.«

»Na, versteht sich, Herr von Lüders,« fiel ihm Madame Pietschmann in's Wort. »Zeit und Gelegenheit hat Niemand im Aermel.«

»Aber, meine beste Madame, was das von anbelangt, welches Sie meinem Namen beizufügen belieben – –«

»Ei, gnädiger Herr, was nicht ist, kann werden. Zu einem Rittergute gehören Rang und Titel, und so mein' ich denn: halte dich im Gleise, so fährst du nicht irre, und wer heute mit rudert, soll morgen mit segeln, und was hinterdrein kommt, fressen die Hunde, und – –«

»Lassen wir das vor der Hand, Madame Pietschmann, und – was ich sagen wollte – hm, meine Frau hatte nicht ganz Unrecht, als sie auf den augenblicklich nicht gerade glänzenden Inhalt meiner Casse hindeutete. Es ist mir unter den eingetretenen Umständen natürlich doppelt unangenehm, nicht hinlänglich mit Geld versehen zu sein; denn, wie Sie leicht begreifen werden – Sie haben selbst auf Mehreres aufmerksam gemacht – werden in kürzester Zeit einige nicht unbeträchtliche Ausgaben nothwendig sein. Ich möchte aber aus Gründen, die ich lieber unerörtert lasse – nicht gern die Gefälligkeit meiner Verwandten und ehemaligen Freunde in Anspruch nehmen, auch weiß ich überhaupt Niemand, an den ich mich lieber wenden würde als an Sie, und da ich Ihre Bereitwilligkeit kenne und vermuthen darf, daß es Ihnen Ihre Verhältnisse gestatten, so – –«

»Aber, mein Gott, verehrtester Herr von Lüders,« unterbrach ihn die Collectrice, »wozu bedarf es denn so vieler Worte unter alten Freunden – verzeihen Sie den familiären Ausdruck – Sie brauchen Geld, nun, versteht sich, viel Geld, und das kann man nicht von den Bäumen schütteln. So weit es in meinen Kräften steht, helfe ich Ihnen mit dem größten Vergnügen aus. Wie viel brauchen Sie?«

»Sie sind sehr gütig, meine beste Madame Pietschmann. Wie viel ich brauche, weiß ich in der That nicht. Lassen Sie sehen – – nun, fünf oder sechshundert Thaler, sollte ich meinen, würden wohl vor der Hand ausreichen.«

»Gut, Sie sollen sie haben. Ich glaube allerdings kaum, daß ich so viel liegen habe, aber das thut nichts, ich schaffe es Ihnen.«

»Und Sie können auf meine Dankbarkeit rechnen, Madame Pietschmann. Ich brauche Ihnen gewiß nicht erst die strengste Discretion anzuempfehlen.«

»O bewahre! Offene Augen, aber verschlossenen Mund, das ist immer mein Grundsatz gewesen.«

»Also darf ich mit Sicherheit auf Ihre gütige Hülfe rechnen?«

»Versteht sich, gnädiger Herr; in zwei Stunden bringe ich Ihnen die gewünschten sechshundert Thaler.«

Mit diesen Worten empfahl sich Madame Pietschmann, und Herr Lüders begann, mit großen Schritten im Zimmer auf- und abgehend, glänzende, riesenhafte Pläne für die Zukunft zu entwerfen. Wir wollen ihn hierin nicht stören, sondern uns eine Treppe höher zu unserm wackeren Doctor Schönfeld begeben. Der wackere Doctor Schönfeld war an diesem Tage früher als sonst nach Hause gekommen; denn auch in seinem Kopfe waren Pläne entstanden und zur Reife gelangt, und da er sich entschlossen hatte, dieselben noch heute zur Ausführung zu bringen, so hatte er seine gewöhnlichen Vormittagsgeschäfte rasch beendigt und sich nach seiner Wohnung begeben.

Wir wissen, daß der Doctor von dem Tage an, da er durch einen glücklichen Zufall von der günstigen pecuniairen Lage seiner Wirthin unterrichtet worden war, dieser die zarteste Aufmerksamkeit gewidmet hatte. Wir wissen ferner, daß Madame Pietschmann gegen seine Huldigung nicht unempfindlich und auch durchaus nicht abgeneigt war, den Rath des seligen Pietschmann befolgend, sich zum zweiten Mal unter die zärtliche Obhut eines liebenden Gatten zu begeben. Ja, um die volle Wahrheit zu sagen, sie hatte schon lange mit Sehnsucht der verhängnißvollen Stunde entgegengesehen, da ihr schmachtender Schäfer ihr zu Füßen sinken, und, von der Allgewalt seiner Leidenschaft hingerissen, ihr in feurigen Worten das Bekenntniß seiner Liebe ablegen würde. Oft hatte sie sich selbst gefragt, warum er denn so lange zaudere, da sie sich doch mit gutem Gewissen sagen durfte, ihn bis an die äußerste Grenze des Geziemenden – wenn nicht gar ein wenig darüber hinaus – ermuthigt zu haben; ja, es hätte wenig gefehlt, und sie hätte auch ihm diese Frage vorgelegt, denn, was ihn abhielt, den entscheidenden Schritt zu thun, und ihn in den Augen des geneigten Lesers hoffentlich völlig entschuldigen wird, daß nämlich auf dem Hopfenmarkte in Hamburg eine junge Apothekerswittwe lebte, die nicht geringere körperliche Reize besaß, als Madame Pietschmann, und dazu noch etwas mehr Bildung und ein weit größeres Vermögen als diese, daß der Doctor auch auf diese sein Augenmerk gerichtet, und sein Herz wie ein Perpendikel rastlos und unschlüssig zwischen Hamburg und Altona, zwischen Apotheke und Collecte, zwischen Susanne Pietschmann und Pauline Müller hin- und herschwankte, das konnte die gute Frau allerdings nicht wissen.

Nun hatte sich aber der Himmel – denn im Himmel werden, wenn es auch einige arge Skeptiker läugnen wollen – die Ehen geschlossen – der Himmel, sagen wir, hatte sich in's Mittel gelegt, um der Unschlüssigkeit des Doctors plötzlich ein Ende zu machen.

Ein Schiffscapitain, der Führer eines stattlichen Westindienfahrers und schon seit einiger Zeit der Gegenstand des Argwohns unseres Doctors, hatte ihm gestern die Wittwe, die wie Madame Pietschmann denken mochte, sie sei jetzt lange genug Wittwe gewesen, weggekapert, ein Umstand, der nebenbei seinen Haß gegen die Seeleute – er war ihnen nie günstig gesinnt gewesen – noch beträchtlich steigerte.

Dem Doctor blieb nun keine Wahl mehr, und so hatte er sich denn schnell entschlossen, noch heute seine Bewerbung bei der Collectrice anzubringen. Zu Hause angekommen, hatte er sogleich begonnen, seiner Toilette die den Umständen angemessene Sorgfalt zu widmen, und er stand so eben am Fenster, wo er seinen kleinen ovalen Toilettenspiegel am Pfosten angebracht hatte, mit dem Rasiren beschäftigt und hatte, nachdem diese wichtige Operation an der linken Seite seines Gesichtes glücklich beendigt war, gerade die rechte eingeseift, als das große Ereigniß eintraf, welches die Aufmerksamkeit fast aller Bewohner des Gäßchens erregt hatte. Es war ihm nicht entgangen, in welcher Hast und Aufregung die Collectrice, die sich nie einer Droschke zu bedienen pflegte, aus dem Wagen und in's Haus gesprungen war; und dann war sie nicht in den ersten Stock hinaufgekommen, nein, sie war unten bei der Familie Lüders geblieben. Das Alles mußte ganz besondere Gründe haben; aber welche? Die Neugierde des Doctors – überhaupt eine seiner hervorragendsten Eigenschaften – war in hohem Maße rege geworden, ja, so zu sagen, in krampfhafte Zuckungen gerathen, und diese theilten sich seinen Fingern mit, so daß er sich, als er endlich das Messer aus der Hand legte, zwei Mal tüchtig in die Wange geschnitten hatte.

Eine volle Stunde hatte der Doctor Zeit, sein Gesicht zu bepflastern, seinen Anzug zu beendigen und sich allmählig aus seinem Erstaunen herauszuarbeiten; da – endlich – knarrte die Treppe unter den gewichtigen Fußtritten der Collectrice, und diese trat in ihr Zimmer. Jetzt konnte der Doctor seine Neugierde nicht länger im Zaume halten, er ergriff den auf dem Tische liegenden Blumenstrauß, und begab sich zu ihr; aber die zierliche Anrede, die er für diese feierliche Gelegenheit in Bereitschaft gehalten, erstarb auf seinen Lippen, als er ihrer ansichtig wurde, so groß war die Aufregung, die sich in ihren runden Zügen aussprach.

»Was ist denn nur geschehen, schöne Frau?« fragte er hastig, »Sie scheinen so erregt, so beunruhigt – ich hoffe doch nicht – –«

»Ach, lieber Herr Doctor, ich ersticke fast vor Wuth,« fiel sie ihm in's Wort, indem sie erschöpft auf einen Stuhl sank, »es ist unerhört, scandalös – o, meine schwachen Nerven! ach, Herr Doctor, das hätte anders kommen müssen!«

»Sie erschrecken mich, Madame Pietschmann.«

»Denken Sie sich, lieber Doctor, die Menschen da unten haben das unverschämte Glück gehabt – ach, kaum bring' ich's über die Zunge.....«

»Das Glück, sagen Sie?«

»Das Gut zu gewinnen!« platzte Madame Pietschmann heraus.

»Das Gut? Sie meinen doch nicht – –?«

»Buchenthal, nun freilich, das große schöne Rittergut, das in der Lotterie ausgespielt wurde. Ach, hätten Sie doch meinen Rath befolgt, auch ein Loos zu nehmen! wer weiß, Sie hätten ja gerade so gut das rechte bekommen können, wie die. Ja, das hätte anders kommen müssen. Daß ich dies erleben muß! – Aber was fehlt Ihnen, bester Herr Doctor, Sie werden ja ganz blaß?«

Wohl hatte Madame Pietschmann Ursache, so zu fragen, denn in den Zügen des Doctors war in der That eine auffallende Veränderung vorgegangen. Er war nicht nur blaß geworden, sondern das verbindliche, einschmeichelnde Lächeln, welches er der Collectrice gegenüber sonst immer zeigte, war wie durch einen Zauber verschwunden, und eine Miene der Zurückhaltung, ein gewisses, unbeschreibliches Etwas, das ihr höchst unerklärlich vorkam, lag auf seinem Gesichte.

»Ja, ich begreife es,« fuhr sie, nachdem sie ihn eine Weile aufmerksam betrachtet hatte, fort »jetzt bereuen Sie es, meinen wohlgemeinten Rath nicht befolgt zu haben; es kränkt Sie, wie es mich kränkt, den ungeheuren Reichthum in den Händen dieser Bagage zu wissen.«

»Ist es denn ganz gewiß, Madame Pietschmann?« entgegnete er, indem seine Blicke unruhig umherschweiften, als habe er Mühe, seine Gedanken zu sammeln. Er drückte dabei den schönen Blumenstrauß, den er in der Hand hielt, so heftig zusammen, daß die geknickten Rosen zu Boden fielen.

»Na, ob es gewiß ist,« sagte Madame Pietschmann. »Komm ich denn nicht geradewegs von der Ziehung? Hab' ich's nicht mit eigenen Ohren gehört, mit eigenen Augen gesehen. O, es ist nur zu gewiß! Und wie sich das Pack nun aufblähen wird! Der Alte ist schon so dickthuig, wie ein Puterhahn, und schwatzt von nichts, als von Equipagen, Livréebedienten, Rang, Titel und Gott weiß, was sonst. Und seine Madame ist nicht besser und läßt sich gnädige Frau schimpfen, und nun erst die beiden Jungfern! Die werden sich nun noch weiter herausputzen und vornehm thun. –

Pah! wir sind von hoher Abkunft, sagten die Töchter des Thurmwächters! Und wie lange meinen Sie wohl, wird dieser neue Reichthum währen? Na, wie gewonnen, so zerronnen! Sie werden bald Alles vergeudet haben, wie es schon einmal geschehen ist. Nein, da wäre es bei uns – bei Ihnen, liebster Doctor, wollte ich sagen, besser angebracht gewesen; ach, daß Sie meinen Rath nicht befolgten!«

Doctor Schönfeld achtete wenig auf den Wortschwall der Collectrice. Der Perpendikel war wieder in heftige Schwingungen gerathen, und wie die Blumen in seiner Hand, fielen alle seine früheren Pläne zu Boden, und neue tauchten in ihm auf.

»Nicht wahr Doctor, das ärgert Sie?« sprach Madame Pietschmann weiter.

»O nein,« entgegnete er endlich kalt und abgemessen, » ich gönne allen meinen Nebenmenschen das Glück, welches ihnen zu Theil wird. Mißgunst ist nicht mein Fehler, Madame Pietschmann, gewiß nicht; ich bin nicht eigennützig.«

Madame Pietschmann wußte nicht recht, was sie von dem veränderten Benehmen des Doctors halten sollte. Ihre sonst so scharfe Beobachtungsgabe war durch die vielen aufregenden Ereignisse des Tages zu sehr getrübt, und so viele Gedanken durchkreuzten ihren Kopf, daß sie ihrem eigenen Urtheil nicht traute. Endlich kam sie zu dem Schlusse, der Doctor empfinde trotz seiner Verneinung dennoch einen heftigen Verdruß, nicht selbst das Gut gewonnen zu haben; denn das schien ihr das Zunächstliegende und Natürlichste.

»Gut, gut, lieber Doctor,« sagte sie, »ich weiß, was in Ihnen vorgeht – vielleicht besser, als Sie selbst.« Der Doctor lächelte auf eine ganz eigenthümliche Weise. »Aber davon sprechen wir ein ander Mal,« fügte sie hinzu, »und nun, mein bester Doctor, möchte ich Sie ersuchen, mir einen kleinen Gefallen zu erzeigen.«

»Sie wissen, daß ich Ihnen gern gefällig bin, Madame Pietschmann,« erwiederte er zerstreut.

»Ja ich weiß es, Sie sind immer so freundlich und liebenswürdig gegen mich.«

»Sie wünschen also?«

»Die Menschen da unten haben kein Geld – wie immer. Sie möchten aber gleich eine Summe verplempern – für Staat und Putz natürlich; und da hab' ich denn dem Alten versprochen, ihm sechshundert Thaler vorzustrecken. Ich glaube aber nicht, daß ich so viel baares Geld liegen habe. Könnten Sie mir wohl mit einer Kleinigkeit aushelfen?«

Es muß hier bemerkt werden, daß die literarische Wirksamkeit des Doctors Schönfeld seine Zeit nicht so ausschließlich in Anspruch nahm, daß er nicht nebenbei einige kleine Geldgeschäfte hätte treiben können, was er denn auch wirklich that. Welcher Art diese aber waren, getrauen wir uns nicht zu sagen, denn des Doctors Person umgab, wie schon zum öfteren erwähnt, ein geheimnißvolles Dunkel, welches zu durchdringen uns nicht ganz gelungen ist. Die Verdächtigungen böser Zungen würdigen wir keiner Aufmerksamkeit und glauben keineswegs, was jene behaupteten, daß er auf die Verlegenheit Anderer speculirte und sich für seine Gefälligkeit durch Wucherzinsen bezahlt machte – o pfui! hörten wir doch die Betheuerung seiner Uneigennützigkeit so eben aus seinem eigenen Munde. Wenn er immer mit Geld versehen war, so beweist dies nur sein ökonomisches Talent, und daß ihm in diesem Augenblicke nichts erwünschter kommen konnte, als die Bitte der Collectrice, beweist vor der Hand gar nichts.

»Schöne Frau,« entgegnete er mit seinem süßesten und einschmeichelndsten Lächeln, »ich danke Ihnen herzlich für das mir erwiesene Zutrauen und bin sehr erfreut, Ihnen eine kleine Gefälligkeit erweisen zu können. Sie brauchen sich durchaus nicht zu derangiren, nein, nein, ich darf nicht zugeben, daß Sie sich aus Gefälligkeit gegen Andere des Geldes entblößen; es ist immer gut, auf unvorhergesehene Fälle vorbereitet zu sein. Ueberlassen Sie daher mir diese kleine Angelegenheit, ich bitte Sie darum, überlassen Sie mir dieselbe ganz, ich würde untröstlich sein, wenn Sie die mindeste Mühe oder Unannehmlichkeit in einer Sache haben sollten, in welcher Sie mich um Rath gefragt haben.«

Der Collectrice fiel ein Stein von Herzen, als sie in seinem Benehmen die gewohnte Galanterie wahrnahm.

»Nun gut, lieber Doctor,« sagte sie mit rührender Hingebung »wenn Sie es wollen, mir ist es ganz recht. Aber ich habe dem alten Puterhahn versprochen, die größte Discretion zu beobachten; darum wäre es wohl gut, wenn er nicht erführe, daß Sie – –«

»Meine beste Madame Pietschmann,« unterbrach sie der Doctor, »Sie wollen doch wohl nicht andeuten, daß es Herr Lüders als eine Indiscretion Ihrerseits betrachten könnte, wenn Sie sich in dieser Angelegenheit an mich, einen Hausbewohner, Ihren vertrauten Freund – darf ich wohl sagen – und seinen genauen Bekannten, gewendet haben?«

»Nein, allerdings, so meine ich es nicht, aber – –«

»Ich weiß, was Sie sagen wollen, schöne Frau; es ist sehr zartfühlend von Ihnen, daß Sie darauf bestehen, die Garantie für diese unbedeutende Summe gewissermaßen selbst zu übernehmen; aber das ist es gerade, was ich nicht zugeben kann.«

»So meine ich es auch nicht, lieber Doctor.«

Aber der Doctor schien sich vorgesetzt zu haben, weit besser als Madame Pietschmann zu wissen, was sie meine, und fuhr fort:

»Ich verstehe Sie vollkommen, schöne Frau, vollkommen; aber erlauben Sie mir die Bemerkung, daß man bei Geldangelegenheiten, selbst den allerunbedeutendsten, stets Unannehmlichkeiten ausgesetzt ist, und daß ich es für meine Pflicht halte, da Sie mir nun einmal Ihr Vertrauen geschenkt und meine Beihülfe in Anspruch genommen haben, daß ich es für meine Pflicht halte, etwaigen Mißhelligkeiten zwischen Ihnen und Ihren Miethsleuten einer so geringfügigen Sache halber möglicherweise vorzubeugen. Solche Angelegenheiten sind für Männer, nicht für zartfühlende Frauen, und ich werde mir nicht nehmen lassen, die kleine Affaire mit Herrn Lüders unmittelbar zu verhandeln.«

»Aber, Herr Doctor – –«

»Kein Aber, liebe Madame Pietschmann, ich weiß zu gut, was meine ritterliche Pflicht gegen eine Dame, der ich eine so große Verehrung zolle, erheischt, als daß ich nicht die kleine Mühe und Verantwortlichkeit ganz auf mich nehmen sollte. Ich habe zu selten Gelegenheit,« fügte er mit einem schmachtenden Blick hinzu, »Ihnen gefällig zu sein, um sie mir aus den Händen gleiten zu lassen, wenn sie sich je zuweilen darbietet.«

Bei dieses Worten machte der Doctor seiner Wirthin eine anmuthige Verbeugung und ging der Thür zu. Es war vergeblich, daß sie ihm nachrief: »So hören Sie doch, lieber Doctor – nur ein Wort – –«

Er drehte sich auf der Schwelle noch einmal um, warf ihr sehr graciös eine Kußhand zu und war verschwunden.



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