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IV.

Während in der Wohnstube der Familie Lüders das im vorigen Kapitel mitgetheilte Gespräch geführt wurde, saß in der schattigen und kühlen Laube des Gartens ihre jüngste Tochter Louise. Sie war mit einer Handarbeit beschäftigt – so schien es wenigstens; aber wer sie genauer hätte beobachten können, wie es uns vergönnt ist, der würde bald wahrgenommen haben, daß das junge, schöne Mädchen nur hin und wieder ihre Aufmerksamkeit dem Nähzeug zuwandte, um dann immer von Neuem das Köpfchen auf die Hand zu stützen und träumerisch ihre Blicke von einem Gegenstand zum andern schweifen zu lassen, von dem Georginenbeete neben der Laube nach den Gipfeln der hohen italienischen Pappeln dort an der Gartenmauer, und wieder von den Pappeln hinüber auf den nahen Kirchthurm von Ottensen und weiter hinaus in die Ferne, wo der aus dem hohen Schornstein einer Fabrik emporsteigende Rauch, einem leichten Windzuge nachgebend, in langen Streifen über die Dächer und Baumgruppen dahinzog.

Der Ausdruck in den lieblichen Zügen des jungen Mädchens wechselte während sie, wie in Gedanken verloren, die kleine weiße Hand an dem vollen schwarzen Haar herabgleiten ließ, oft und schnell. Bald leuchtete aus ihren großen dunkeln Augen ein flüchtiger Schimmer von Schelmerei, der von den Amorinen, die in den Grübchen ihrer Wangen ihr neckisches Spiel trieben, lustig erwiedert zu werden schien, bald aber hätte man glauben können, hinter dem Lächeln des Auges eine Thräne hervorblicken zu sehen, in welcher sich sowohl die tiefste Wehmuth, als auch eine schwärmerische Begeisterung spiegeln konnte. Nahm sie dann wieder die Arbeit zur Hand und trällerte sie dabei leise vor sich hin eine heitere Melodie, so war es, als wolle sie dadurch die bunten Bilder ihrer Phantasie verscheuchen, die sie in immer wechselndem Farbenspiel umgaukelten; aber es gelang ihr nicht, und immer von Neuem versank sie in ihre Träumereien.

Wohl eine Stunde mochte sie auf diese Weise zugebracht haben, als leise, nahende Schritte ihre Aufmerksamkeit erregten. Es war ihre Schwester Ida, deren helles Kleid jetzt hinter der Rosenhecke sichtbar wurde. Sie begrüßten sich freundlich, und Ida nahm neben ihrer Schwester Platz.

»Du kommst heute früher als gewöhnlich aus der Schule,« sagte Louise.

»Und das ist Dir gar nicht lieb,« erwiederte Ida mit einem bedeutsamen Lächeln, »weil ich Dich in Deinen Gedanken störe, die, wie ich in Deinen Zügen lese, recht angenehmer Art waren.«

»Angenehm? Ja – und peinlich zugleich,« gab Louise zur Antwort, indem sie sich tiefer über ihre Arbeit beugte. Beide schwiegen eine Weile.

»Du hast etwas auf dem Herzen, Schwester,« begann Ida von Neuem und legte ihre Hand auf den Arm Louisens, als wolle sie damit ausdrücken, sie möge das Nähzeug für jetzt ruhen lassen. »Sag, Louise, seit wann haben denn wir beide Geheimnisse, die wir einander nicht anvertrauen können?«

»Geheimnisse?« entgegnete Louise, und eine tiefe Purpurröthe überflog ihre Wangen. »Ich verstehe Dich nicht.«

»Sieh, liebe Schwester,« fuhr Ida fort, »Du meinst, ich habe die vorige Nacht hindurch ruhig und fest geschlafen; aber Du irrst. Ich habe recht wohl gehört, wie unruhig Du Dich im Bette umherwarfst, wie Du alle Augenblicke tief seufztest, ja, wie Du auch einmal recht bitterlich geweint hast. Du verbargst zwar Deinen Kopf unter der Decke, damit ich es nicht gewahr werde, aber, wie gesagt, ich hab' Alles gehört. Ich mochte Dich nicht mit Fragen quälen, um Dich nicht noch mehr aufzuregen; aber jetzt mußt Du mir beichten. Und warum solltest Du es nicht? Und bin ich nicht Deine treueste Freundin, der Du volles Vertrauen schenken darfst?«

Louise erhob den Kopf und sah der Schwester liebevoll in die Augen.

»O, gewiß, gewiß,«, sagte sie. »Zürne mir nicht, weil ich Dir nicht gleich aus eigenem Antriebe Alles gesagt, weil ich gewartet habe, bis Du mich fragtest. Aber das Geheimniß, welches mich mit Freude und zugleich mit Kummer erfüllt, ist nicht das meine, es betrifft einen Andern.«

»Und hat dieser Andere Dir denn so strenge Verschwiegenheit zur Pflicht gemacht?« forschte Ida weiter.

»Gegen Dich nicht, Schwester – das heißt – eigentlich wohl – aber – sei dem, wie ihm wolle, ich muß es Dir sagen; denn gewiß, ich muß verzweifeln, wenn Du mir nicht hilfst.«

»Mein Gott, Du erschreckst mich.«

»Denke Dir, Schwester, Hugo ist zurückgekehrt!«

Die Züge Ida's entfärbten sich, als sie diese Worte vernahm; für einen Moment war sie nicht im Stande ein Wort hervorzubringen.

»Ach, meine liebe Louise,« sagte sie dann, »das wird uns Allen fürcht' ich, mehr Sorge als Freude bereiten. Wie hast Du es erfahren?«

»Ich hab' ihn gesehen, Ida.«

»Gesehen? Und wo?«

»Hier.«

»Er war hier? – Wann?«

»Gestern Nachmittag. Ich saß, wie gewöhnlich, allein hier in der Laube mit meiner Arbeit. Da hörte ich plötzlich von der Gartenmauer her meinen Namen rufen. Ich fuhr zusammen; die Stimme war mir so bekannt, und doch hatte ich diese tiefen, klangvollen Töne nie gehört. Im nächsten Augenblicke sprang ein Mann über die Mauer, eilte auf mich zu, und, eh' ich recht wußte, wie mir geschah, schloß er mich stürmisch in die Arme und, wie außer sich vor Freude, küßte er mich auf Mund und Wange. Ach, Schwester, wärest Du an meiner Stelle gewesen, hättest Du unsern theuren Bruder so wiedergesehen, so, wie er plötzlich vor mir erschien, so liebevoll und – so – ja, warum sollt' ich es nicht sagen, so schön – gewiß, Dein erstes Gefühl wäre das der höchsten Freude gewesen, und Du hättest seine herzliche Begrüßung mit gleicher Wärme erwiedert.«

Ida hatte ihre Schwester, während dieser Worte, mit einem prüfenden Blicke betrachtet.

»Meine arme Louise,« seufzte sie, »so hängt denn Dein Herz noch immer mit jener schwärmerischen Neigung an ihm?«

»Ja,« entgegnete Louise mit großer Lebhaftigkeit, »so ist es, es wird immer an ihm hängen, so lange es schlägt. Ach, meine theure Ida, gestehe, daß die Eltern ihm großes Unrecht thaten, als sie ihn so herzlos von sich stießen. Was hatte der arme Knabe verbrochen? Nichts, als wofür er höchstens eine ernste Rüge verdient hätte.«

»Er war ausgelassen, ja – wenn Du willst – er war wild und unbändig; aber er war auch ehrlich, offen, wahr, voller Ehrgeiz, ein Knabe, wie es unter Hunderten keinen zweiten giebt, mit hellem Kopf und dem besten Herzen. Ja, ich bleibe dabei, es war grausam, ihn um einer so geringen Ursache willen in die weite Welt hinauszuschicken. Du mußt es einräumen, Schwester, Du bist ja doch sonst so lieb und gut und auch so gerecht, Du mußt es einräumen.«

Auf Ida's Zügen trat immer deutlicher der Ausdruck tiefer Besorgniß hervor, als sie die Heftigkeit bemerkte, mit welcher die Schwester sprach.

»Ja, ich räume es ein,« erwiederte sie, »und auch die Eltern haben, wie Du weißt, ihre Uebereilung späterhin oft und bitter bereut.«

»Warum seid Ihr denn Alle noch immer so sehr gegen den armen Hugo eingenommen?«

»Laß mich Deine Frage durch eine andere beantworten,« entgegnete Ida, »warum hat er in der langen, langen Zeit nie was von sich hören lassen? Sei auch Du so billig, zuzugeben, daß er so nicht hätte handeln sollen. Mochte er sich auch über Manches zu beklagen haben, er war doch den Eltern Vieles schuldig und hätte wohl seine Dankbarkeit dadurch beweisen können, daß er ihnen hin und wieder Nachricht von sich gab. So aber rächte er sich gewissermaßen an ihnen, indem er sie über sein Schicksal in gänzlicher Unkenntniß ließ und ihr Herz mit Kummer und Sorge um seinetwillen erfüllte. Wie läßt sich das vertheidigen?«

»Er hatte, eh' er von uns schied, geschworen, erst dann von sich hören zu lassen, wenn er es in der Welt zu etwas Tüchtigem gebracht hätte.«

»Und soll der Mann halten, was der unbesonnene, trotzköpfige Knabe schwört?«

»Was sich ein Knabe, wie Hugo es war, fest vorgenommen hat, das hält er.«

»Wir wollen darüber nicht streiten. Gebe Gott, daß er und die Eltern sich gegenseitig von Herzen das Unrecht verzeihen mögen, das sie einander zugefügt haben. Und nun liebe Louise, da Du ihn gesehen und gesprochen hast, theile mir etwas Näheres über ihn mit. Wie sind seine Verhältnisse? Hat er erreicht, wonach er strebte?«

»Ach, das ist ja eben mein Kummer,« entgegnete seufzend Louise, »er ist fast so arm, wie er fortging, wieder zurückgekommen.«

»Mein Gott,« sagte Ida mit dem Ausdruck der tiefsten Besorgniß, »was soll daraus werden!«

»Er ist zweiter Steuermann auf einem Westindienfahrer,« fügte Louise hinzu.

»Zweiter Steuermann?«

»Er behauptet zwar,« fuhr die jüngere Schwester fort, »das sei eine ganz gute und einträgliche Stelle, und er könne bald avanciren und erster Steuermann werden; – aber – ich hatte doch so sicher gehofft, daß er es mit seinen herrlichen Anlagen zu etwas Größerem bringen würde – ach, es ist recht, recht traurig.«

»Zürne mir nicht, Schwester,« erwiederte Ida, »muß dieses gänzliche Mißlingen seiner hochfliegenden Pläne ihn nicht noch tiefer in der Meinung der Eltern herabsetzen? Sage selbst, erscheint Dir nicht jetzt ihr Mißtrauen gegen ihn gerechtfertigt?«

Eine leichte Wolke des Unmuths überflog die schönen Züge Louisens.

»Aber, mein Gott,« sagte sie eifrig, »ist es denn seine Schuld, daß das Glück ihn nicht mehr begünstigt hat? Und kommt es bei der Würdigung eines Menschen denn allein auf seine Stellung im Leben an?«

»Du scheinst,« war die Antwort, »von seinem innern Werth fest überzeugt zu sein.«

»Ja,« erwiederte Louise, und ein höheres Roth färbte ihre Wangen, »ja, das bin ich, und wenn Du ihn siehst, so wirst Du es mit mir sein; denn auch Du hast oft gesagt, daß die Seele eines Menschen sich in seinem Aeußern abprägt. Sein Aeußeres aber ist schön und herrlich. Der Zug von Treuherzigkeit und Offenheit, der ihn schon als Knaben auszeichnete, ist noch immer derselbe, aber es liegt jetzt in seinem Gesichte noch etwas – ich weiß nicht, wie ich es nennen soll – etwas Kühnes, echt Männliches, was unwillkürlich Zutrauen erweckt. Wenn man in sein ehrliches Auge blickt, dann fühlt man, daß sich Jeder zu ihm hingezogen fühlen muß. O gewiß, Du wirst mir Recht geben, wenn Du ihn siehst.«

Louise hatte diese Worte mit einer Wärme gesprochen, über die sie nun selbst fast erschrak; Ida aber legte den Arm um die schlanke Taille der Schwester und sah ihr sinnend und prüfend in die Augen.

Diese mochte die Frage errathen, die auf Ida's Lippen schwebte; sie senkte die langen, dunkeln Wimpern und zupfte verlegen an einem Blatte, welches sie von dem die Laube überwuchernden Epheu abgerissen hatte.

»Willst Du mir volles Vertrauen schenken?« sagte Ida nach einer langen Pause und drückte das erröthende Mädchen fester an sich. Ein Händedruck war die Antwort.

»Du liebst ihn,« fuhr Ida fort.

Louise verbarg das Köpfchen an der Schulter der Schwester, sie wollte etwas erwiedern, aber ihre Gemüthsbewegung war zu heftig, die Worte erstarben ihr auf den Lippen und erst nachdem ihr Ida Muth eingesprochen und sie wiederholt ihres Beistandes versichert hatte, gewann sie allmählich ihre Fassung wieder.

»Wir müssen,« sagte Ida, »vor Allem die Eltern mit Hugo zu versöhnen suchen, und dann erst mögen wir weitere Entschlüsse fassen. Aber, Schwester, täuschest Du Dich nicht, indem Du Deine Gefühle für Liebe hältst?«

»Ich habe seit gestern Nachmittag,« entgegnete Louise mit leiser, bebender Stimme, »wohl hundert Mal selbst die Frage an mich gerichtet, die Du, meine theure Ida, jetzt stellst – – –«

»Und die Antwort war?«

»Die Antwort, ja die Antwort, ich wagte nicht, sie mir zu geben: sieh,« fuhr sie dann gesammelter fort, »Du hast mich oft gescholten, wenn ich Dir die wehmüthige Stimmung schilderte, die mich inmitten der ausgelassensten Freude so oft ergriff. Du sagtest ich sei auf gutem Wege, mir selbst und allen Andern durch meine phantastischen Grillen ein dunkles Räthsel zu werden. Erinnerst Du Dich noch unsrer Gespräche darüber, als wir im vorigen Frühjahr in Haffkrug waren?«

»O gewiß,« entgegnete Ida mit einem wehmüthigen Lächeln, »Du sagtest das Frühjahr rufe diese eigenthümliche Stimmung in Dir hervor.«

»So war es,« fuhr Louise fort, »ich schalt mich selbst ob meiner Träumereien, aber es half nichts. Wenn ich allein im Walde lustwandelte, der in seinem neuen Kleide so herrlich prangte, und dann die sanften Töne der Drossel an mein Ohr schlugen, während Alles um mich her keimte und sproßte und überall ein neues Leben erwachte, oder wenn ich am Meeresufer stand und meine Blicke über die endlose Fläche hinausschweifen ließ, während Welle auf Welle zu meinen Füßen im Sande zerrann, da war es mir, als offenbare sich mir des Daseins Herrlichkeit in tausend goldenen Lichtgebilden, ein wonniger Traum schien vor mich hinzutreten, so nahe, daß ich meinte, die Arme nach ihm ausstrecken zu müssen, ihn fest zu halten und in mir aufzunehmen; – aber treulos entfloh er, und nur schmerzvolle Sehnsucht ließ er in meinem Inneren zurück. Ja, die Sehnsucht saß dann hier drinnen, wie ein gefangener Vogel mit matten, hängenden Schwingen, und immer war es mir, als müsse er doch einmal die Fittige entfalten und mich mit sich emporheben, hoch über alles irdische Leid. Da pochte mir das Herz und schwoll, als wolle es mir die Brust zersprengen.

Es drängte mich, die warme, kräftige Lebensfülle zu umfassen, die sich rings um mich regte; – aber, wie das Zauberwort finden, das den Bann lösen und mir die geahnte Seligkeit zuführen konnte? Jetzt, Schwester, hab ich's gefunden, die Liebe ist es, die allein die Pforten öffnet zu der Wonne und Poesie des Lebens, die Liebe ist es, die sich so mächtig in der ganzen, unendlichen Natur regt und auch in des Menschen Brust jede schöne Blüthe entfaltet. Meine Sehnsucht hat endlich das lang gesuchte Ziel gefunden – ach, es lag ja immer vor mir – nur wußte ich es nicht. Aber als er gestern vor mich hintrat, da war es mir plötzlich, als vernehme ich die entfesselten Töne einer Melodie aus der Zeit der Kinderjahre, die lange in meiner Seele Tiefe geschlummert habe, und sie rauschten stärker und immer stärker und zerflossen zuletzt in mächtige, schwellende Accorde. Das Ideal meiner Träume – ach ich hatte es – mir selbst unbewußt – nach seinen Zügen gebildet – es war aus der Feenwelt der Ahnungen hervorgetreten und stand nun in wirklicher Gestalt und frischer Lebensfülle vor meinem Auge, aber die Wirklichkeit übertraf noch bei weitem die Gebilde der Phantasie, und ich beugte mich vor ihrer Macht.«

Von Neuem warf sich Louise ihrer Schwester in die Arme, ihre Augen füllten sich mit Thränen und sie hörte nicht die beruhigenden Worte, die ihr jene in's Ohr flüsterte.

»Weißt Du noch, Ida,« fuhr sie dann fort, »wie sehr uns das Märchen von der Undine gerührt hat, die nur durch die Liebe eines Menschen eine unsterbliche Seele gewinnen konnte? Sieh,« schloß sie mit einem trüben Lächeln, »ich bin eine solche Undine; was jetzt mein Herz erfüllt und die Seele meines Daseins ausmacht, es müßte wie ein Traum in ein leeres, trostloses Nichts zerfließen, wenn ich ihn wieder verlöre. Darum – was auch immer kommen möge – versuche nie die Hoffnung abzuschwächen, die allein mich aufrecht hält damit es mir – – – –«

»Damit es Dir nicht ergehe,« ergänzte Ida mit leiser, bebender Stimme, »wie es mir ergangen ist, wolltest Du sagen.«

»Nein, Ida, an Dich dachte ich dabei nicht,« entgegnete Louise lebhaft, und drückte zärtlich der Schwester Hand, »verzeihe mir, daß ich mit meinen thörichten Reden Erinnerungen in Dir erweckt habe, die Dir so peinlich sind.«

»Sprich nicht so, Schwester,« entgegnete Ida sanft, »ich habe mich ja schon längst mit der Vergangenheit ausgesöhnt und danke Gott, daß ich es konnte; denn dadurch wurde mir der Schlüssel gegeben zur Gegenwart und Zukunft. Glaube mir, der Kummer öffnet in der Seele Lebensquellen, welche vielleicht mehr noch als die Freude die ihr inwohnende Liebe nähren und kräftigen, indem sie dieselbe zugleich von den Leidenschaften läutern, die daran haften.«

Beide schwiegen eine Zeit lang; dann fuhr Ida fort: »Du sprachst vorhin von dem Einflusse, den die Natur auf unser Gemüth namentlich während des Frühlings, ausübt. Es gab eine Zeit, da auch ich, wenn das Frühjahr die Lust milderte, und ein tausendfältiges Leben aus der Erde hervorkeimte, mich zur Wehmuth gestimmt und fast krank vor Sehnsucht fühlte. Jetzt aber ist Etwas in mir erwacht, was mit dem großen, allwirkenden Naturleben gleichsam näher verwandt ist, etwas ebenso Gesundes und Kräftiges, wie dieses selbst; und ich kann mich nun an dem üppigem jungen Leben erfreuen, welches der Lenz um mich her wach gerufen hat. Damals kannte übrigens meine Liebe auch nur ein einziges Ziel; doch sie hat sich seitdem erweitert und umschließt jetzt Alles, was das Leben Schönes und Gutes enthält; und so scheint sie mir dem großen, göttlichen Ursprung, aus dem alle unsere besseren Gefühle als herrliche Offenbarungen hervorgehen, weit näher zu stehen und seiner würdiger zu sein.«

»Du machst es mir zum Vorwurf,« sagte Louise, »daß ich alle meine Gedanken und Gefühle so ausschließlich und mit so leidenschaftlicher Wärme ihm zuwende.«

»Das nicht, meine theure Louise; denn ich weiß, daß es nicht anders sein kann. Ich wollte Dir nur zeigen, daß wir, um mich an deine Worte zu halten, obgleich sie mir fast ein Lächeln abzwingen – Gott sei Dank keine Undinen, sondern mit einer freien, unsterblichen Seele ausgestattet sind, die an einer fehlgeschlagenen Hoffnung nicht erkranken darf, noch weniger aber, wie Du Dich ausdrücktest, in ein leeres Nichts zerfließen kann.«

»An einer fehlgeschlagenen Hoffnung?« wiederholte Louise und sah ihre Schwester fragend an, »Du willst doch nicht sagen, daß ich schon jetzt auf meine Hoffnung verzichten müsse?«

»O gewiß nicht,« entgegnete Ida, »halte sie fest, so lange Du kannst und wir wollen beide Gott bitten, daß sie in Erfüllung gehen möge; nur suche darin nicht Deine einzige Stütze.«

»Ich sehe jetzt ein,« sagte Louise, »wie unüberlegt ich mich vorhin ausdrückte, denn wenn auch alle Anderen treulos von mir wichen, hätte ich dann nicht immer noch Dich, Du liebe, gute Schwester? Aber, gestehe mir, auch Du gabst nicht alle Hoffnung auf?«

»Ich habe mich wenigstens mit dem Gedanken vertraut gemacht,« war die Antwort, »daß mir ein Glück, wie Du es Dir nun träumst, nicht beschieden ist, und ich bemühe mich daher, in meinem Innern gegen die Stürme des Lebens und die sengende Gluth der eigenen Leidenschaften eine Schutzwehr zu errichten, in deren erquickenden Schatten meine Seele Ruhe finden kann.«

Es trat wieder eine Pause ein, während welcher beide wie in Gedanken verloren vor sich hinsahen; dann knüpfte Louise das Gespräch von Neuem an.

»Du hast von mir das vollste Vertrauen verlangt, Ida,« sagte sie, »nun schenke auch Du mir ohne allen Rückhalt das Deine. Sag', hat Dir Werner nicht öfter aus Boston geschrieben?«

»Schon seit langer, langer Zeit nicht mehr.«

»Und glaubst Du nicht dennoch, daß er einmal zurückkehren wird?« fuhr Louise fort.

»Hierher zurückkehren?« entgegnete Ida, »O, gewiß nicht so lange er nicht die Mittel in Händen hat, sich von dem entehrenden Verdachte zu reinigen, der an seinem Namen haftet; und – sag' selbst – wie könnte er diese jemals erlangen?«

»Freue Dich deshalb, Schwester,« sagte Louise, »daß gegen seine Ehrenhaftigkeit in Deinem Herzen nie der leiseste Zweifel erwachte. So kannst Du doch sagen, aus dem Schiffbruche Deiner Liebe das Beste, den festen, unerschütterlichen Glauben an ihn gerettet zu haben.«

»Dafür danke ich Gott,« gab Ida zur Antwort, »aber, glaube mir, der Verdacht der Menschen und namentlich der Umstand, daß unsere Eltern ihn theilten, hat mir einen so bittern Schmerz verursacht, daß ich meine ganze innere Kraft habe aufbieten müssen, um nicht – – – zur Undine zu werden.«

»Arme, arme Ida,« rief Louise und umarmte stürmisch ihre Schwester.

Sie saßen noch lange in traulichem Gespräche beisammen und beriethen mit einander Alles, was auf Hugo's und Louisens augenblickliche Lage Bezug hatte, und es gelang endlich Ida, die Besorgnisse ihrer Schwester einigermaßen zu beschwichtigen, ja, viel leichter wurde ihr dies, als sich selbst über die unerwartete, plötzliche und für die Schwester so verhängnißvolle Zurückkunft des jungen Mannes zu beruhigen. Louise hatte ihr gestanden, daß sich schon gestern Hugo in seiner gewohnten raschen und zuversichtlichen Weise um ihre Hand beworben hatte, und die eben so besonnene als sanfte Ida nahm ihr jetzt das Versprechen ab, seinen weiteren Anträgen kein Gehör zu geben, als bis er sich mit den Eltern vollständig ausgesöhnt und ihnen über seine augenblickliche Lage sowie über seine Aussichten für die Zukunft genügende Auskunft gegeben haben würde.

»Auf die Stellung im Leben,« so schloß sie, »kommt es zwar, wie Du vorhin sagtest nicht allein an, aber bei einem so ernsten und folgenreichen Schritte, wie eine Verlobung, kann und darf ich nicht zugeben, daß meine geliebte Schwester nur dem Zuge ihres Herzens folgt. Auch die kalte, nüchterne Vernunft hat dabei ein Wort mitzureden, und diese möchte ich bei Dir vertreten. Darum gelobe mir, Nichts ohne meinen Rath zu thun.«

»Ja, ich verspreche es Dir, meine theuerste Ida,« sagte Louise, indem sie sich rasch erhob und ihrer Schwester die Hand reichte, »und nun komm, die Mutter hat uns schon gerufen.«



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