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VII.

Wie mochte Louisens Herz pochen, als sie am folgenden Nachmittag auf ihrem gewohnten Platze in der Laube saß und an die bevorstehende Zusammenkunft mit Hugo dachte. Noch spät am vorigen Abend, ja bis tief in die Nacht hinein, hatte sie in Betreff ihrer augenblicklichen Lage ernste Gespräche mit Ida geführt und das ihr gegebene Versprechen wiederholt, ihren Gefühlen Zwang anzuthun und die Rathschläge der besorgten Schwester zu befolgen. Aber wie schwer mußte es ihr nicht werden, dem Bruder – nein, als solchen betrachtete sie ihn nicht mehr, – dem geliebten Manne ein ihr vorgezeichnetes angemessenes Verhalten zu beobachten, da doch eine fast unwiderstehliche Macht sie zu ihm hinziehen würde, sie drängend, sich an seine Brust zu werfen und ihm zu sagen, wie innig, wie unaussprechlich sie ihn liebe. Ein lebhaftes Roth stieg in ihre Wangen, und ihr Busen wallte heftig, wenn sie sich vorstellte, wie er schon in der nächsten Minute vor sie hintreten und mit der männlichen Offenheit, welche sie so sehr für ihn einnahm, seine Liebe zu ihr schildern und um das Geständniß ihrer Gegenliebe flehen würde; wenn sie dann aber überlegte, wie sie, dem strengen Gebote einer kalten, nüchternen Vernunft gehorchend, ihm nur mit trivialen Hindeutungen auf die Erfordernisse des materiellen Wohlseins antworten dürfte, ja, dann preßte sie die Hand auf das Herz, wie um den Sturm zu beschwichtigen, der hier tobte, und ein Seufzer entstieg ihrer Brust.

Da hörte sie eilige, nahende Schritte, und gleich darauf schloß Hugo sie in seine Arme.

»Siehst Du, meine theure Louise,« sagte er, und seine Augen strahlten vor Entzücken, »siehst Du, wie pünktlich ich bin? Ich hab' kaum erwarten können daß es endlich, endlich 4 Uhr werde. Ach, wie wenig vermag doch die Zeit mit der Sehnsucht eines liebenden Herzens gleichen Schritt zu halten!«

»Auch ich hab' Dich mit – – Ungeduld erwartet, Hugo,« entgegnete Louise, und lud ihn mittelst einer Handbewegung ein, neben ihr Platz zu nehmen.

»Aber nun laß Dich vor allen Dingen genau betrachten, Louise,« fuhr Hugo fort, indem er ihrer Aufforderung entgegenkam und ihre beiden Hände ergriff. »Vorgestern war der Eindruck, den Du auf mich machtest, so überwältigend, daß ich mich nicht zu sammeln vermochte. Tausend liebe Erinnerungen drangen auf mich ein, ich versetzte mich so ganz in die Zeit unsrer Kindheit zurück, und dachte dabei immer, meine einstige Gespielin vor mir zu haben.«

Louise senkte den Kopf, als wolle sie seinen feurigen Blicken ausweichen.

»Auch mir ging es so, lieber Hugo,« stammelte sie, »auch mir schien es, als ob jene glücklichen Tage wiedergekehrt wären – – – aber ach, es ist doch jetzt Alles so ganz, ganz anders geworden – –«

»Laß einmal sehen,« sagte Hugo und legte ihr die Hand unter das Kinn, damit sie den Kopf hebe, »Du hast noch immer dieselben braunen, halb schelmischen, halb schwärmerischen Augen, dasselbe liebe, freundliche Lächeln! da ist denn wohl auch das Herz dasselbe geblieben?«

»O, gewiß, Hugo – aber – wir sind beide um so viele Jahre älter geworden – die Zeit ändert so Vieles – –«

»Sag' mir, Louise – aber quäle mich nicht durch ein nutzloses Ausweichen auf meine Frage – bin ich Dir noch lieb? Du antwortest nicht? Du blickst zu Boden? Sag', könntest Du mich deshalb je verachten, weil ich so arm, wie ich fortging, wieder zurückgekehrt bin?«

»Nein, Hugo,« erwiederte Louise lebhaft, » wie kannst Du das denken? Sind wir denn etwa so reich, daß wir Ursache hätten, geringschätzig auf Andere herabzublicken? – – Aber – –«

»Nun, aber?«

»Aber ich bin so besorgt um Deine Zukunft.«

Der Ton, in welchem Louise diese Worte sprach, bezeugte ganz die innige Theilnahme, die sie für ihn empfand, und dennoch konnte Hugo nicht umhin, an die Aeußerung seines treuen Jacob zu denken: »Sie wird jetzt Zeit gehabt haben, die Sache zu überlegen.«

»Um meine Zukunft?« fragte er zögernd.

»Ich habe seit vorgestern unaufhörlich an Dich gedacht, Hugo,« fuhr Louise fort, »und mir recht viele Sorgen gemacht. Er hat gewiß gethan, sagte ich mir, was der angestrengteste Fleiß, die unermüdlichste Ausdauer und ein fester Wille vermögen, um eine Stellung im Leben zu erringen; wenn es ihm nun dennoch nicht gelungen ist, wie wird es ihm denn künftig möglich sein?«

»Macht denn der Reichthum allein glücklich, Louise?«

»Nein, das nicht; ich weiß es ja aus eigener Erfahrung; aber – –«

»Lassen wir das, meine theuerste Louise. Sieh mich an. Komme ich Dir vor wie ein Hungerleider? Sehe ich aus, wie ein Mensch, der die Hoffnung aufgegeben hat?«

»O gewiß nicht,« entgegnete sie und konnte ein Lächeln kaum unterdrücken, als sie seine kräftige Gestalt und seine kühne zuversichtliche Miene betrachtete.

»Nun, das sollt' ich auch meinen,« sagte er, »im Gegentheil, ich bin voll guten Muthes, und dem Muthigen, weißt Du, steht die Welt offen. Du wirst sehen, ich werde es noch zu was Tüchtigem bringen, und wenn Du mich nur recht lieb haben willst, o, dann vertausche ich meine Steuermanns-Stelle mit keinem Königreiche.«

»Du bist noch immer so zuversichtlich, wie damals; ach, möchtest Du Dich nie getäuscht sehen! Wäre der Vater noch reich, gewiß, er würde mit Freuden etwas für Dich thun.«

»So? das würde er?«

»Ja sicherlich, denn Du bist ja nicht mehr so – so unbesonnen wie früher, Hugo. Nicht wahr, Du bist – bist anders geworden, nicht?«

Ein bittres Lächeln spielte um Hugo's Mund.

»Ja, ich bin anders geworden,« erwiederte er, »wenn man 24 Jahre zählt, ist der Uebermuth verraucht, der im Knabenalter so leicht aufloderte; man ist ruhiger geworden. Ich war nicht immer auf Rosen gebettet, Louise,« setzte er ernst hinzu. »glaube mir, ich habe böse Zeiten gehabt, habe Wind und Wellen, Gefahren und Mühen zu Land und zu Wasser getrotzt, hab' oft kaum das Nothwendigste gehabt, um das Leben zu fristen; das kühlt das Blut. Doch, ein anderes Mal mehr davon; Du sprachst von Deinem Vater; er ist sehr herabgekommen, wie ich höre.«

»Er hat große Verluste erlitten,« sagte Louise mit einem tiefen Seufzer, »ja fast Alles eingebüßt, und wir haben uns sehr, sehr einschränken müssen. Er ist auch alt geworden, Hugo, und die Mutter auch; ach, die Nahrungssorgen zehren doch schrecklich an dem Mark des Leben.«

Hugo fühlte sich durch diese wenigen Worte tief erschüttert; er stand auf dem Punkte, sein Geheimniß zu verrathen; aber er bezwang sich schnell.

»Es wird besser werden, Louise,« sagte er und ergriff ihre Hand, »gewiß, es wird bald besser werden. Sei nicht betrübt, ich kann Dich so nicht sehen; wenn Du mich nur lieb hast, dann wird noch Alles, Alles gut werden.«

»Wie kannst Du nur so sprechen, Hugo; kann denn meine – – – Neigung zu Dir Wunder wirken?«

»Sie kann mich zum Glücklichsten der Menschen machen.«

»Du gehst so leicht über Alles hin, was ich Dir sage – – –«

»Verzeihe mir, liebe Louise; ich will gern hören, was Du mir zu sagen hast und es auch wohl beherzigen. Warst Du doch, als ich noch ein wilder, ausgelassener Knabe war, die einzige, die einen Einfluß auf mich übte, und ich sollte jetzt Deinen Worten keine Aufmerksamkeit schenken? Aber höre erst Du mich an. Sieh, ich will mein ganzes Herz vor Dir ausschütten, und Du wirst mir dann eine offene, ehrliche Antwort geben. – Man hat mich als Knaben hier zu Hause unfreundlich behandelt, ja, wie einen Hund hinausgestoßen – ich weiß, was Du sagen willst – aber wer könnte einem muntern, lebhaften Jungen den Ernst und die Bedachtsamkeit des gereiften Mannes einflößen? Mich als Schiffsjungen an Bord eines Westindienfahrers fortzuschicken, war doch zu hart. Wie ich mit ganzer Seele an Euch hing, das wußtet Ihr freilich nicht, und ich selbst wußte es nicht, bis ich mich von Euch getrennt sah. Als ich aber mit meinen Gedanken allein an Bord des Schiffes stand, das mich weiterhin nach einem fremden Welttheile führen sollte, und um jede Secunde mich mehr und mehr von meiner Heimath entfernte, und am Ufer all die bekannten, liebgewonnenen Gegenstände an mir vorbeiglitten, und einer nach dem andern sich in blauer Ferne meinen Blicken entzog, da, Louise, fielen mir die Schuppen von den Augen. Ich übersah die Zeit meiner frohen, glücklichen Kindheit und erkannte jetzt zum ersten Mal, wie gut und reichlich in jeder Hinsicht für mich gesorgt worden war, wie viele Mittel man mir geboten hatte, Alles zu erlangen, was wir Menschen als die Hauptbedingungen eines glücklichen Lebens zu betrachten pflegen. Die Reue erwachte in mir, sie stellte mir vor, wie ich diese Mittel mißachtet, wie ich das mir erzeigte Gute verkannt, wie ich selbst mich dem Kreise meiner Lieben entfremdet, und daß ich die Heimath und Alles, woran mein Herz hing, durch meine eigene Schuld, vielleicht auf immer verloren hätte. Es war mir, als sei mein innerstes Wesen von seiner besten kräftigsten Lebenswurzel losgetrennt, als sei es gewaltsam von der mütterlichen Erde gerissen, aus welcher es bisher Nahrung gesogen hatte. – Bald hatte die tadelnde Stimme in meinem Innern die lauten Schmerzensrufe übertönt, in die ich über die Herzlosigkeit Deiner Eltern ausgebrochen war, und – leidenschaftlich und ungestüm wie alle meine Gefühle damals waren – hätte sie mich zur Verzweiflung gebracht, wenn nicht mein stolzer Trotz mich aufrecht gehalten hätte, und noch weit mehr die Liebe zu Dir. Ja, Louise, ich liebte Dich schon damals, obgleich ich den Jahren nach noch ein Knabe war; ich war mir bewußt, daß diese Liebe mit meinem ganzen inneren Leben so eng verwachsen sei, daß ich mich von dem besten Theil meines eigenen Ichs hätte losreißen müssen, falls mich je das Schicksal hätte zwingen wollen, auf sie zu verzichten. Und die Zeit schwächte diese Liebe nicht ab, nein, sie wuchs mit den Jahren, sie gewährte mir Trost in allen Mühen und Drangsalen, sie belebte meinen Muth und meine Hoffnung, wenn das Mißgeschick drohte, mich zu Boden zu drücken, sie hielt meine Phantasie bei Tag und Nacht rege und erfüllte in manchen glücklichen Stunden mein Herz mit Begeisterung. – Und wie geschäftig war nicht meine Einbildungskraft, mir in tausend wechselnden Gestalten Dein liebes Bild vorzuführen, wie rastlos spann sie nicht ihre Fäden über den weiten Raum, der mich von Dir trennte, um mich geistig mit Dir zu verknüpfen! Stand ich am Tage, während das Schiff durch die Fluthen glitt, an die Regeling gestützt und schaute über die endlose Wasserwüste hin, so träumte ich wachend von Dir. Meine Sehnsucht umschwebte Dich dann so nah, daß ich oft meinte, Du müßtest es fühlen; ja, ich dachte, sie müsse aus den Wogen des Meeres, die ja Deine Heimath bespülten, vor Dir auftauchen, wie eine der Wasserfeen in der Fabel, um Dir Worte der Liebe in's Ohr zu flüstern. Nachts aber, wenn ich schlaflos in meiner Koje lag, und dem Pfeifen des Sturmes im Tauwerk lauschte, war es mir, als bringe mir jeder Windstoß einen Gruß von Dir; oder wenn ich in einer sternhellen Nacht hinauf schaute in den klaren Himmel der Tropen, und die bekannten Sternbilder aufgingen über dem nördlichen Horizont, dieselben Sterne, die ja auch Dir leuchteten, so wollte es mich dünken, als blinkten sie so traulich zu mir nieder, wie um mir ein fernes aber sicheres Glück an Deiner Seite zu verheißen. So war denn jeder Augenblick der Trennung von Dir ein immerwährendes Drängen und Sehnen nach Dir hin, und ungeduldig hätte ich den Lauf der Zeit beschleunigen mögen, indem ich ihr die Flügel meiner eigenen Sehnsucht lieh.«

Hugo schwieg; er schien eine Antwort von Louisen zu erwarten; aber diese hatte den Kopf tief gesenkt, ein brennendes Roth bedeckte ihre Wangen und der gespannte Ausdruck ihrer Züge verrieth, wie begierig ihr Ohr jedes seiner Worte eingesogen, wie tief ein jedes in ihr Herz eingedrungen war. Gewiß, sie war wie berauscht von dem entzückenden Bewußtsein, sich so innig von ihm geliebt zu sehen, und wäre sie dem Zuge ihres Herzens gefolgt, sie hätte ihm gestanden, wie überglücklich sie sich in diesem Augenblicke fühle; der Gedanke aber an ihre Eltern, an deren dürftige Lage, an den Kummer, den ihnen ein übereilter Schritt bereiten könnte, an das Versprechen endlich, das sie der Schwester gegeben, hielt sie zurück, und nur ein leichter Händedruck beantwortete seine Worte. Jedoch auch hierin glaubte Hugo eine Ermunterung zu sehen, und er fuhr fort:

»Du hast nicht Unrecht gehabt, als Du vorhin sagtest, ich hätte gewiß Alles gethan, was der angestrengteste Fleiß und die unermüdlichste Ausdauer vermochten, um zu dem Ziele zu gelangen, welches ich mir gesetzt habe, und, Gott sei Dank – – – doch nein, was ich sagen wollte, ist dies: nur um Dich zu gewinnen, meine geliebte Louise, bot ich Alles auf, was in meinen Kräften stand; und ist es mir auch nicht so ganz gelungen, wie ich gehofft, so war doch darum mein Bemühen nicht weniger ernst und redlich. Was ich bin, das bin ich nur durch Dich, denn Du warest der Leitstern, der mich durch die dunkeln, oft gefahrdrohenden Irrgänge des Lebens führte und mich von den Abgründen fern hielt, in die so Mancher schon gefallen ist. So nimm mich denn, wie ich bin, um meiner selbst willen, um dessen willen, was ich durch Dich und für Dich geworden bin. Antworte mir nun, mein theures Mädchen, aber so offen und aufrichtig, wie meine Frage gestellt ist: willst Du mir Herz und Hand schenken?«

So schwer hatte sich Louise den Kampf nicht vorgestellt; sie war nahe daran, ihn aufzugeben. Was lag ihr an irdischem Gut, wie gern, wie freudig hätte sie die härteste Armuth und Noth mit ihm getheilt, um nur ihm anzugehören für das ganze Leben, mochte sich auch sein Schicksal gestalten, wie es wolle. Doch einer heiligen, bindenden Zusage, sich selbst untreu werden, – nein, es durfte nicht sein.

»Hugo,« sagte sie bittend, und mit leiser zitternder Stimme, »dringe nicht in mich, jetzt nicht, lieber Hugo; glaube mir, ich kann, ich darf nicht antworten, wie Du es verlangst, wie – ich es selbst ja so gerne wollte. Warum auch heute, mein theurer Hugo,« setzte sie mit einem flehenden Blicke hinzu, als sie die düstre Wolke bemerkte, die sich auf seiner Stirn lagerte, »ich bin ja nicht frei und unabhängig, wie Du, bin durch die Rücksicht auf die Eltern gebunden. Geh', söhne Dich mit ihnen aus, berathe Dich mit ihnen über Deine Zukunft – und dann – – –«

Ein peinlicher Zweifel tauchte zum ersten Male mit voller Stärke in Hugo auf. »Die Zukunft und immer die Zukunft,« dachte er, »sollte es denn wirklich wahr sein, daß die Macht der äußeren Verhältnisse, des leidigen Reichthums selbst das Herz eines jungen geist- und gefühlvollen Mädchens so sehr beherrscht, daß jede andere Empfindung dadurch zurückgedrängt wird?«

»Mit Deinen Eltern,« sagte er langsam und mit fester Stimme, »werde ich mich aussöhnen, und ihre Beistimmung erlangen; ich hoffe, ich weiß mit Sicherheit, daß sie mir diese nicht verweigern werden; aber erst dann gedenke ich das zu thun, wenn ich des Besitzes Deines Herzens gewiß bin, erst dann, wenn uns ein unwiderrufliches Gelübde auf ewig aneinander knüpft. Darum, noch einmal, sage mir, Louise, heute, in dieser Stunde noch, ob Du mich wahrhaft liebst, so sehr liebst, daß Du über alle äußeren Hindernisse hinwegzusehen vermagst.«

»Ich kann und darf Dir diese Antwort nicht geben, Hugo,« entgegnete sie, »und sollte mir auch das Schweigen das Herz brechen.«

Hugo erschrak fast über die Heftigkeit, mit welcher sie diese Worte gesprochen hatte; der Zweifel bohrte sich immer tiefer in seine Seele ein, seine Gedanken begannen sich zu verwirren. Er preßte die Hand gegen die Brust, wie um den Dämon darin zu erdrücken, aber vergeblich, – ein feindlicher Schatten war zwischen ihn und den Gegenstand seiner Liebe getreten. Plötzlich fielen ihm die Aeußerungen ein, die er am vorigen Abend im Theater vernommen; sie hatten nur einen vorübergehenden, wenn auch peinlichen Eindruck auf ihn gemacht, und später hatte er kaum mehr daran gedacht; jetzt aber dröhnten sie ihm in die Ohren und riefen alle Furien des Zweifels in ihm wach. Louise sah die Blässe auf seinem Gesichte, sie sah die furchtbare Veränderung in allen seinen Zügen und legte wie beschwichtigend ihre Hand auf seinen Arm.

»So war denn,« sagte er mit einem bittern Lächeln, »all mein Hoffen und Empfinden nur ein süßer Traum; er ist entschwunden und ich bin erwacht.«

»Nicht so, mein lieber, theurer Hugo,« bat sie, und Thräne auf Thräne quoll unter ihren Wimpern hervor, »o sprich nicht so! Warum sollte sich nicht Alles erfüllen, was Du wünschest – was wir beide wünschen? Dürfte ich nur sprechen, wie es mir ums Herz ist – aber ich kann nicht und beschwöre Dich, nur heute, nur jetzt nicht weiter in mich zu dringen.«

Jedoch er hörte ihre Worte nicht und sah nicht ihre Thränen, der Gedanke, der sich nun einmal seiner bemächtigt hatte, hielt jeden anderen zurück.

»Wenn Du meine Frage nicht direct beantworten willst,« sagte er in einem fast harten Tone und fixirte sie fest, »so thu' es wenigstens indirect und gestehe mir, in welchem Verhältniß Du zu dem Doctor Schönfeld stehst.«

Louise wurde leichenblaß; sie wollte antworten, aber ihre Lippen bebten krampfhaft, und kein Wort kam aus ihrem Munde. In diesem Augenblick ließ sich das Rauschen eines Kleides hören, und Ida schritt den Gang herab, der auf die Laube zuführte. Kaum hatte Louise ihre Schwester erblickt, als sie sich schnell erhob, auf sie zueilte und sich ihr in die Arme warf. Ein flüchtiger Blick hatte für diese genügt, die ungewöhnliche Erregung zu bemerken, die sich in Louisens Zügen aussprach.

»Mein Gott,« flüsterte sie der heftig zitternden Schwester in's Ohr, »was ist geschehen?«

»Ich bin meinem Versprechen treu geblieben,« gab Louise zur Antwort, während sie mit ihren Thränen Ida's Wange benetzte, »aber – – – –«

»Aber?«

»Aber eine Ahnung sagt mir, daß es mich um das Glück, um die Ruhe meines Lebens gebracht hat.«

»Fasse Dich,« bat Ida, »und vertraue auf meinen Beistand.« Sie wollte noch einige Worte des Trostes hinzufügen, aber Hugo, der sich gleichfalls erhoben, jedoch bis jetzt anschlüssig zurückgehalten hatte, kam auf sie zu, um sie zu begrüßen. Sie machte sich sanft von der Umarmung der Schwester los und ging ihm entgegen. Es lag dabei in ihren Zügen, sowie in ihrem ganzen Wesen eine Ruhe und Milde, die augenblicklich beschwichtigend auf ihn wirkte.

»Ich bin zu weit gegangen,« dachte er, »wie hat mich doch der Teufel des Argwohns zu einer solchen Leidenschaftlichkeit hinreißen können; ich muß meinen Fehler wieder gut zu machen suchen.«

Er reichte Ida die Hand entgegen; aber sie schlang die Arme um seinen Hals und drückte einen herzlichen Kuß auf seine Lippen.

»Willkommen, mein lieber, theurer Bruder,« sagte sie, »tausendmal willkommen in Deiner Heimath. – Ja, in Deiner Heimath,« wiederholte sie, indem sie ihm mit dem Ausdruck der innigsten Geschwisterliebe in die Augen sah; »denn gewiß, Du wirst nie aufgehört haben, das Haus unserer Eltern als Deine wahre Heimath zu betrachten. Es ist freilich nicht mehr das prächtige, palastähnliche Haus, in welchem wir unsere Kindheit verlebten, es ist jetzt einfach und bescheiden, und seine Bewohner sind es auch geworden; um so eher aber wirst Du unter seinem Dache das schlichte, gastfreie Entgegenkommen finden, die wahre Herzensgüte, die sich mit dem Reichthum so schwer verträgt, und die Du früher vielleicht bei uns vermißt hast. Und, nicht wahr, Du wirst uns nun nicht mehr verlassen, um in der Fremde dem Glücke nachzujagen? Du wirst es bei uns suchen und, das hoffe ich sicher, auch finden. Doch komm, gehen wir in die Laube; da wollen wir traulich mit einander plaudern, und Du sollst mir recht Vieles erzählen; denn merke Dir wohl, ich hab' auch ein Recht auf Dich, so gut wie Louise.«

Sie zog ihn mit sich, setzte sich neben ihn und betrachtete ihn, während sie seine Hand in der ihrigen behielt, lange und prüfend. Auch auf sie machte die Biederkeit, die männliche Kraft, die sich in seiner ganzen Persönlichkeit so deutlich ausprägte, einen überaus günstigen Eindruck. Sie dachte an die Worte Louisens »dieser Ausdruck kann unmöglich täuschen,« und sie begriff jetzt vollkommen, wie sich ihre Schwester für einen Mann von seinem Aeußeren so sehr hatte begeistern können. Auf Hugo hatte der herzliche Empfang Ida's einen wunderbar beruhigenden Einfluß geübt; von ihrer Seite hatte er eine solche Bewillkommnung kaum gehofft. Die Zweifel, die noch vor wenigen Augen blicken sein Inneres so stürmisch bewegt hatten, wichen immer mehr zurück und machten der wiederkehrenden Hoffnung Platz.

»Hab' Dank, meine theure Ida,« sagte er und drückte zärtlich ihre Hand, »hab' Dank für Deine freundlichen Worte; glaub' mir, sie thun mir wohl. Es war allerdings mein sehnlichster Wunsch, nie wieder von meiner Heimath, von Euch, Ihr Lieben, mich zu trennen, ich dachte mir – – doch jetzt kein Wort davon, erzähle Du vielmehr, was sich während meiner langen Abwesenheit hier Alles zugetragen hat.«

Sie willfahrte seinem Wunsche und erzählte ihm von ihren Eltern und deren großen Verlusten, ihrer fast gänzlichen Verarmung, und ihrer jetzigen bedrängten Lage, aber sie erging sich nicht in bittern Klagen, sie suchte vielmehr ihrem Berichte alles Herbe und Peinliche zu benehmen, ging dann auf die Verwandten, Freunde und Bekannten über, die sich alle von ihnen zurückgezogen hätten, ja sie kaum mehr zu kennen schienen, wenn sie zufällig zusammenträfen. Sie theilte ihm mit, wie der Vetter Heinrich, den er, Hugo, in der Schule oft so wacker durchgebläut habe, ein Spieler und Taugenichts geworden und wie seiner Mutter vieler Kummer daraus erwachsen sei, wie die Tante Adele, deren vier Katzen er so manchen argen Streich gespielt, jetzt mehr als je an der Gicht leide, wie der alte Onkel Ludwig ganz taub geworden, aber noch immer jeden Abend im Club seine Partie Whist mache. Dann erzählte sie ihm auch von dem guten treuen Lempke , der sich das Fallissement des reichen Handlungshauses so sehr zu Herzen genommen hatte, daß er erkrankte und kurz darauf starb; als sie aber sah, daß in Hugo's Auge eine Thräne der Rührung glänzte, suchte sie schnell dem Gespräche eine heitere Wendung zu geben, und es gelang ihr so gut, daß zuletzt jede trübe Wolke von Hugo's Stirne wich und auch auf der Schwester Wangen die Rosen zurückkehrten. Bald herrschte unter den dreien die herzlichste und vertraulichste Stimmung, und die Zeit entfloh unter munterem Geplauder auf die angenehmste Weise. Von dem, was Hugo und Louisen am meisten am Herzen lag, war zwar nicht unmittelbar die Rede, aber Manches, was darauf Bezug hatte, wurde besprochen. Es wurde festgesetzt, daß sich Hugo am folgenden Tage bei den Eltern einfinden solle, und Ida übernahm es, ihnen schon heute seine Rückkunft mitzutheilen und ihm einen freundlichen Empfang vorzubereiten. Sie hätte es gern durchgesetzt, daß er gleich jetzt mit in das Haus gegangen wäre, doch er weigerte sich dessen standhaft.

»Heute nicht, meine liebe Ida,« bat er, »ich bin jetzt zu bewegt, zu unruhig, ich würde Deinen Eltern nicht entgegentreten können, wie ich es wünschte; aber ich werde morgen kommen, Du hast mein Wort und kannst versichert sein, daß ich es halte.«

Ida drang nicht weiter in ihn und indem man sich nun daran erinnerte, daß es bereits spät sei, und daß die Mutter sie gewiß schon zum Thee erwarte, nahm er von ihnen einen herzlichen Abschied und entfernte sich schnell, während Ida und Louise dem Hause zuschritten. Gern hätte Ida den Augenblick benutzt, ihre Schwester wegen ihrer vorherigen heftigen Aufregung auszufragen, doch sie verschob es, bis sie Abends allein mit ihr auf ihrem Zimmer wäre. Beide Schwestern waren übrigens zu sehr mit ihren Gedanken beschäftigt, um auf andere Dinge zu achten, und so bemerkten sie denn auch nicht, wie der Doctor Schönfeld, als sie gerade um die Rosenhecke bogen, behende hinter einen dichtbelaubten Jasminbusch schlüpfte.

Der würdige Doctor hatte eine volle Stunde der ihm zugemessenen kostbaren Zeit seiner literarischen Thätigkeit entzogen, um das in der Laube geführte Gespräch zu belauschen; obgleich er aber mit der Behutsamkeit eines Delaware- oder Pawneekriegers um diese herumgeschlichen war, so hatte es ihm dennoch nicht so ganz gelingen wollen; denn zwischen der Laube und den ihr zunächst gelegenen Gebüschen, aus welchen er nicht hervorzutreten wagte, war ein zu großer offener Raum, als daß er bis in die rechte Hörweite hätte gelangen können. Wie kann man aber auch bei der Anlage eines Gartens die akustischen Verhältnisse so unberücksichtigt lassen? Es war ein großer Fehler, den der Doctor, der den Garten unter seine besondere Obhut genommen hatte, für künftige Fälle baldmöglichst abzuhelfen beschloß. Nun hatte er das Vorgefallene nur aus der Ferne beobachten können, von den Worten aber, welche gesprochen wurden, waren nur wenige in sein scharfes Ohr gedrungen, aus denen er bei aller Combinationsgabe kein zusammenhangendes Ganze zu bilden vermochte.

Aus dem Vorhergehenden kennen wir des Doctors Plan, die Zusammenkünfte der beiden Liebenden zu stören; wir kennen aber auch seinen Charakter genugsam, um – ohne Furcht, ihm Unrecht zu thun – den Schluß ziehen zu dürfen, daß er dabei andere Zwecke verfolgte, als nur den sehr löblichen, den guten Ruf der Hausbewohner zu hüten, wie er es der Madame Pietschmann eingeredet hatte. Zum Glück besitzt der Doctor die dem Romanschreiber so schätzenswerthe Eigenschaft, in halblautem Selbstgespräch seine geheimsten Gedanken zu verrathen. Wir wollen daher dieselben Waffen gegen ihn kehren, deren er sich gegen die Liebenden bediente; hoffentlich führt uns das Lauschen zu günstigeren Resultaten, als ihn.

»Man hat also für gut befunden, Ida mit in das Geheimniß zu ziehen,« murmelte er leise vor sich hin, während er den beiden Schwestern mit einem hämischen Lächeln nachsah, »nun freilich, ihr konnte es doch nicht lange verborgen bleiben, und die Sache wird dadurch etwas weniger anstößig. Ich hätte sie aber gleichwohl für zu zimperlich gehalten, um den Elephanten zu machen. – Ich könnte,« setzte er in abgebrochenen Sätzen hinzu, indem er den Gang langsam hinabschlenderte, »ich könnte Louise und ihren theerjackigen Seladon unbelästigt lassen – was kümmern mich im Grunde ihre verliebten Narrheiten – für mich ist sie ja doch verloren. – Ja, verloren, das ist es gerade, was mich wurmt. – Welch' große, glänzende Hoffnungen hatte ich nicht an ihren Besitz geknüpft? Das vergißt sich nicht so leicht. – Wenn sie auch arm ist, so ist sie darum nicht weniger schön und begehrenswerth – nun, wer weiß – vielleicht, mit der Zeit – wenn ich erst mein Schäflein in's Trockne gebracht habe – – – für ihn, den täppischen Matrosen ist sie jedenfalls zu gut, und was an mir liegt, soll geschehen, daß sie nicht in seine Hände fällt.«

Der Doctor stand still und schien sehr aufmerksam ein Blumenbeet zu betrachten; dann zog er aus seiner Rocktasche etwas Bast und band den herabhängenden Zweig einer Centifolie an den Blumenstock, worauf er seinen Gang fortsetzte.

»So wären alsdann beide Schwestern durch mich ihres Glückes beraubt,« begann er von Neuem seinen Monolog, indem eine leichte Wolke sich auf seiner Stirn lagerte, »ihres Glückes? Pah! Ist mir dieser Dummkopf, ihr Werner, der sich so leicht von mir hat übertölpeln lassen, nicht eigentlich zum Danke verpflichtet? – Hab' ich ihm nicht, ohne daß er davon eine Ahnung hat, einen Dienst erwiesen, der mehr werth ist, als jene lumpigen 3000 Thaler? – Ida war damals reich; hätt' er sie wohl auch so sehr geliebt, wenn sie arm gewesen wäre? Es ist sehr fraglich. Nun aber ist sie arm, und seine Verhältnisse waren auch nicht besonders glänzend. – Es wäre eine erbarmenswerthe Menage geworden. Ich hab' ohne ihre Erlaubniß die Rolle der gütigen Vorsehung übernommen und sie einer langen Reihe von häuslichen Bekümmernissen überhoben, das ist Alles; also beruhige dich, zartes Gewissen!«

Unter diesen und ähnlichen Selbstgesprächen setzte der Doctor noch einige Zeit seine Promenade fort, wobei er hin und wieder ein paar saftige Himbeeren, von denen er ein großer Freund war, abpflückte und sich trefflich munden ließ; dann schritt er langsam nach dem Hause zu.

Hugo hatte, nachdem er sich durch das Pförtchen aus dem Garten entfernt, einen zwischen hohen Hecken sich durchwindenden Feldweg eingeschlagen; er zog es vor auf Umwegen, wo er ungestört seinen Gedanken nachhängen konnte, in seine Wohnung zu gelangen, statt den kürzeren durch die lärmende Stadt zu gehen. Aber seine Gedanken mochten nicht von der heitersten Art sein; denn er schritt gesenkten Hauptes vorwärts, seine Stirn hatte sich in düstere Falten gelegt, und mancher Seufzer entwand sich seiner Brust.

Die Sonne stand jetzt tief und färbte im Scheiden die liebliche Herbstlandschaft mit rosigem Lichte; aber er hatte kein Auge für die reiche, bunte Farbenpracht um ihn her, kein Ohr für das lustige Schmettern der Lerche in den Lüften, oder das sanfte melancholische Zwitschern der Goldammer im Gebüsche. Wie verschieden war nicht dieser Abend von jenem letzten, da er Louisen zum ersten Male wiedergesehen, da ihm die Poesie ihr strahlendes Reich eröffnet und Alles, was ihn umgab, den Wiederschein der jubelnden Liebeslust, die sein Inneres erfüllte, zurückwarf.

Das Glück, welches ihm damals so freundlich überall entgegenwinkte, lag nun wie verschlossen in weiter Ferne, und wie nun bald die hereinbrechende Nacht Flur und Hain in ein tiefes Dunkel hüllen sollte, so senkte sich auf seine geträumte Seligkeit ein undurchdringlicher Schleier herab.

Das wohlthuende Gefühl von Ruhe, welches Ida's mildes, freundliches Wesen und ihre herzlichen Worte in ihm hervorgerufen hatte, war wieder von ihm gewichen, und die frühere aufgeregte Stimmung hatte sich seiner von Neuem bemächtigt. Zwar kämpfte er dagegen an; er spottete seiner selbst, seines Mißtrauens, seiner Schwäche; ja lebendiger als je schwebte vor seiner Seele Louisens Bild in all seiner Schönheit und Anmuth und mit dem treuen Ausdruck ihres tiefen Gemüthes; er fühlte, mit welcher unsäglichen Liebe er ihr zugethan sei; aber wenn auch auf Augenblicke hellere, Gedanken in ihm auftauchten und die Hoffnung ihm leise zuzuflüstern begann, immer kehrten die Zweifel zurück und bohrten ihre Stachel tiefer und tiefer in sein Herz.

Hatte er ihr nicht seine Gefühle offen und ehrlich dargelegt? Und mochte er nur in unvollkommener Weise ihr seine Liebe geschildert haben – welche Sprache wäre auch reich genug, ihr einen hinreichend beredten Ausdruck zu leihen – so hatte sie ja doch von dem Tone, in welchem er gesprochen, von den Blicken, mit welchen er jedes Wort begleitet, von der gewaltigen Erregung, die sich in jeder seiner Mienen hatte kundgeben müssen, auf die Innigkeit seiner Gefühle schließen können. Warum denn hatte sie sich so hartnäckig geweigert, ihn mit einer der Dringlichkeit seiner Bitte entsprechenden Offenherzigkeit zu antworten? »Nur heute, nur jetzt nicht,« hatte sie wiederholt zu ihm gesagt. Also überlegen mußte sie, ehe sie ihm Antwort geben konnte. Aber überlegt ein liebendes Herz? Nein, nur die kalte, nüchterne Vernunft prüft und wägt und schwankt zweifelnd hin und her, bis endlich der Entschluß zur Reife gelangt. Und was war denn auch hier zu überlegen? Ob sie seine Liebe erwiedere? Das Einzige nur hatte er ja wissen wollen. Nein, was sie unschlüssig machte, konnten nur Erwägungen sein, die das materielle Wohlsein betrafen. Aber dann freilich liebte sie ihn nicht mit jener rückhaltlosen, alle Hindernisse übersehenden, aller Nebenrücksichten vergessenden Hingebung, die in der Liebe selbst ihren höchsten und einzigen Lohn findet; und ihr Stillschweigen war ihm Antwort genug. Oder war sie durch andere Verhältnisse, durch früher eingegangene Verpflichtungen gebunden, war ihr Herz nicht frei? Warum erblaßte sie, als er den Namen Schönfeld nannte? Warum, wenn sie durch kein Band an diesen Mann geknüpft war, hatte sie es ihm nicht gesagt, da ja doch ein einziges Wort hingereicht hätte, ihm jeden Zweifel darüber zu benehmen? Ein getheiltes Herz, ein Herz, welches auch nur einen Gedanken für einen Andern hegte – das mußte sie fühlen – konnte ihm nicht genügen.

»Hab' ich auch wohl gethan,« sagte er für sich, »mich für so gänzlich arm auszugeben und dadurch zugleich ein berechtigtes Mißtrauen gegen mein bisheriges Streben zu erwecken? War es nicht eine zu gewagte Probe, und konnte ich mit nur einiger Aussicht auf einen günstigen Erfolg darauf rechnen, daß sie dieselbe bestehen würde, so bestehen würde, wie ich es wünschte? – Aber dennoch, es ist so besser. Entweder hätte ich sie so gefunden, wie ich hoffte, und ich hätte alsdann das beglückende Bewußtsein gewonnen, daß sie mich durchaus uneigennützig, nur um meiner selbst willen liebe, oder sie ist eine Andere, als wofür ich sie gehalten, und dann – ja, was verliere ich dann, als eine bloße Illusion, die doch mit der Zeit hätte schwinden müssen. Besser gleich, als zu spät.«

»Bin ich nicht ein Thor gewesen,« setzte er mit einem bittern Lächeln hinzu, »alle meine Hoffnung auf dieses Mädchen zu setzen, mir überhaupt einzureden, daß es die Liebe ist, durch welche uns das höchste Glück zu Theil wird, durch welche der allgewaltige Drang in unserm Innern gestillt wird, und das große Räthsel, welches in unserm tiefsten Wesen verborgen liegt, seine Lösung findet? Kann die Liebe allein dem Geiste die Freiheit, die Thatkraft verleihen, wonach wir ein so großes Verlangen tragen? Würde sie nicht vielmehr Zwiespalt und Unruhe in mein Herz säen, wie ich es schon heute erfahren habe?«

Der schmerzliche Ausdruck in seinen Zügen widersprach der Resignation, die sich in seinen Worten aussprach, und bezeugte nur zu deutlich, daß es ihm einen furchtbaren Kampf kosten würde, die Illusion, wie er es genannt hatte, aufzugeben, die bis jetzt den Hauptinhalt seines Lebens gebildet hatte.


Der Bootsmann Jacob hatte inzwischen mit großer Ungeduld die Rückkunft seines Herrn erwartet, denn er war sehr begierig zu hören, wie dessen »Kreuzfahrt nach dem Ehestandshafen« ablaufen würde. Kopfschüttelnd hatte er ihm nachgeblickt, als er fröhlich und munter und ein lustiges Lied trällernd das Haus verließ, kopfschüttelnd war er dann im Hotel umhergegangen, hatte bald in die Loge des Portiers prüfende Blicke geworfen, bald der Arbeit des Stiefelputzers zugesehen, oder die Pferde im Stall gemustert, bald auch den Kellnern, gegen die er eine unüberwindliche Antipathie empfand, giftige Blicke zugeschleudert, wobei er jedesmal ein »Spreizvogel, Kreidegesicht, Schlammgrabbler«, oder ein anderes nicht weniger schmeichelhaftes Epitheton vor sich hin brummte, während es ihm mehr und mehr zur unumstößlichen Ueberzeugung wurde, daß, wenn er »diese Satansbrut, die ihr Salz nicht werth sei, bei günstiger Gelegenheit nicht in die Walke nehme, das einzig und allein seine Schuld sei.«

Jacob stand jetzt in dem Thorweg und betrachtete das bunte Gewühl auf der Straße, die vielen Droschken und eleganten Equipagen, die schwerfälligen Frachtwagen, die Karren und Tragbahren, die sich überall begegneten, überholten und kreuzten und er war so eben zu dem weisen Schlusse gelangt, »daß in dieser weiten Welt doch eigentlich verdammt wenig Platz sei«, als er Hugo um die nächste Ecke biegen sah. Jacob war, die Wahrheit zu sagen, kein großer Psychologe, aber dennoch genügte ihm ein Blick, um zu entdecken, »daß der Capitain von seinem Course abgekommen sein müsse.« Er schüttelte abermals sehr bedenklich den Kopf und folgte seinem Herrn, der, ohne ihn zu beachten, an ihm vorbeigegangen war, die Treppe hinauf in dessen Zimmer.

Hugo schritt unruhig auf und ab, noch immer ohne dem ehrlichen Bootsmann die mindeste Aufmerksamkeit zu schenken, und dieser wagte nicht, ihn anzureden, das seine Neugierde gewaltig im Zaume hielt. Er begann deshalb, sich im Zimmer allerlei zu schaffen zu machen, rückte die in der Ecke stehenden Koffer und Kasten hin und her, öffnete einen oder den anderen, und klappte ihn ziemlich geräuschvoll wieder zu, ordnete die Papiere, die auf dem Tische lagen, schob die Stühle näher an die Wand, kurz, er that sehr Vieles, was er eben so gut oder besser hätte ungethan lassen können, und schielte dabei fortwährend nach seinem Capitain hin. Endlich aber, als er zu bemerken glaubte, daß sich dessen Aufregung einigermaßen gelegt, und Hugo jetzt ruhig am Fenster stand, ihm den Rücken zukehrend, faßte er sich ein Herz und beschloß, mochte es biegen oder brechen, ein Gespräch einzuleiten.

»Mit Vergunst, Capitain,« sagte er und zupfte dabei an seinen weiten Hosen, als habe ihn plötzlich die Furcht angewandelt, er könne sie verlieren, »wenn's erlaubt wäre – – –«

Hugo drehte sich nach ihm um, und konnte sich des Lachens kaum erwehren, als er den braven Seemann betrachtete und das sonderbare Gemisch von Neugierde und Besorgniß gewahrte, das in seinen wettergebräunten Zügen lag. Jetzt erst sah er auch, daß sich Jacob mit einer bei ihm sehr ungewöhnlichen Sorgfalt herausgeputzt hatte.

»Nun, was giebt's, Jacob?« fragte er gutmüthig.

»Ja, was giebt's, Capitain,« lautete die Antwort, »deshalb – – –und was das Alles anbelangt – obgleich – nun, ich hab' nichts gesagt. Also, wenn Sie wollen, legen wir bei, und es ist gut.«

Und er zerrte den Tisch ein wenig nach rechts, beugte den Kopf auf die Seite, kniff das eine Auge zu und blinzelte mit dem anderen, wie um zu prüfen, ob er jetzt mitten vor dem Sopha stehe.

»Du möchtest wissen, Alter, wie es mir ergangen ist,« sagte Hugo, »ist es so?«

»Nehmen Sie's nicht übel, Capitain,« erwiederte Jacob mit einem abermaligen Zupfen an seinen Hosen, »aber ich hab' Sie gekannt, als Sie noch keine drei Käse hoch waren. Wir haben Ihre erste Reise nach Rio zusammen gemacht, und damals – nun, Sie wissen es ja – das Salzwasser wollte Ihnen Anfangs nicht recht behagen. Sie gingen so trübselig umher und sahen so melancholisch aus wie eine Qualle im Sonnenschein. Sehen Sie, da dauerten Sie mich, und ich – ich – Gott ver – – – – na, ich war froh, Ihnen ein wenig unter die Arme greifen zu können. Nachher ging es besser, und ich muß gestehen, Sie machten sich gut. Von der Zeit an haben wir treu und redlich an einander gehangen – das will sagen, ich hab' gehangen – an Ihnen, meine ich; und wir haben Gutes und Böses mit einander getheilt als Freunde – das heißt, Freundschaft von meiner Seite; aber es bleibt sich im Grunde gleich.«

Jacob wischte sich mit der Fläche seiner ungeheuren Faust über das Gesicht und schob dann wieder an dem Tische, der bei dieser Gelegenheit noch schiefer zu stehen kam, als zuvor. »Darum wäre es mir leid,« fügte er hinzu, »wenn Sie hier auf eine Untiefe gerathen sollten; sehen Sie, das ist Alles, und nun wissen Sie's.«

Auf Hugo machten die Worte des schlichten, ehrlichen Mannes einen tiefen Eindruck. Schlug doch unter dieser groben Jacke das einzige Herz, von welchem er mit Gewißheit sagen durfte, daß es ihm treu ergeben sei und es auch unter allen Wechselfällen des Lebens bleiben werde, so lange es schlüge. Er ging auf seinen alten Kameraden zu, legte ihm vertraulich die Hand auf die Schulter und sagte bewegt:

»Jacob, Du hast Ansprüche auf meine Offenherzigkeit, und ich will es Dir nur gestehen: ich glaube fast, Du hast Recht gehabt.«

»Wußt' es, Capitain,« erwiederte Jacob, » wußte, daß es so kommen würde, kenne die Menschennatur, hol's der Teu... – es mußte so kommen.«

»Und doch, alter Freund, bereue ich nicht, was ich gethan habe.«

»Nicht? Na, um so besser. Ich hab' wohl gehört, daß Einer oder der Andere, der mit leeren Taschen zurückkehrte, den Leuten weiß gemacht hat, er sei ein Matador; aber wenn man wie Sie Moses und die Propheten hat und sich dann für einen Habenichts ausgiebt – nehmen Sie's nicht übel, das ist'n höllischer Ruck über's Gewöhnliche hinaus. Nun haben Sie die Folgen, das Mädchen hat Nein gesagt.«

»Das eigentlich nicht, aber – –«

»Aber sie hat sich die Sache überlegt, wie ich Ihnen vorhersagte. Das ist Menschennatur, Capitain, und ich würde es ihr nicht so krumm nehmen. Sie aber hätten es lieber gesehen, daß sie blindlings zugetappt hätte – weiß schon – wäre ganz gut, wenn es ginge, aber es geht nicht. Sie werden da wohl keinen zweiten Besuch machen?«

»Ja, ich werde noch einmal hingehen, und zwar morgen.«

»So? Na, ich meinte nur, Sie könnten an einem Korb – – doch, ich hab' nichts gesagt.«

»Jedenfalls habe ich noch eine Pflicht gegen meine Pflegeeltern zu erfüllen, Jacob.«

»Die Sie einst, mit Vergunst zu melden, vor die Thüre setzten.«

»Sie haben mir auch viel Gutes erwiesen, und Gott ist mein Zeuge, daß ich es dankbar anerkenne. Es ist wahr, sie haben meine Erziehung nicht vernünftig geleitet, während es noch Zeit war. Sie verstanden den ehrgeizigen Knaben nicht zu lenken, und sie mißkannten mein Herz. Beging ich einen Knabenstreich, so kränkten sie mich durch Hinweisung auf ihre Wohlthaten. Aber das ist vergeben und vergessen, und ich will mich nur des Guten erinnern, das sie dem elternlosen Kinde thaten.«

»Und es ihnen zehnfach vergelten,« ergänzte Jacob. »Das ist brav von Ihnen, Capitain; aber wenn nun der alte Lüders Sie auch nicht in der Weise empfängt, wie Sie's erwartet haben, so lassen Sie ihn links liegen und helfen ihm nicht aus der Patsche.«

»Unsinn, Jacob, geholfen wird ihm, es komme, wie es wolle.«

»Gut, Sie wollen aber erst noch einmal das Senkblei auswerfen und die Tiefe ergründen. Sie sollten es nicht thun, Capitain; ich werde morgen Recht haben, wie ich heute Recht gehabt habe. Doch, ich hab' nichts gesagt. Und nun will ich mit Ihrer Erlaubniß meine Braut auf dem alten Steinwege besuchen, die Guste, wissen Sie. Sie hat erfahren, daß ich wieder da bin und mir sagen lassen, daß sie mich mit Sehnsucht erwarte. Käme ich nun zu ihr in meiner alten theerigen Schiffsjacke und sagte: hier bin ich, Guste, so armselig und miserabel, wie Lazarus, als er aus dem Bauche des Wallfisches kam – –«

»Du bist nicht sehr bibelfest, Jacob.«

»Das ist ein wahres Wort, Capitain. Aber es ist doch sicher, daß wenn ich in so ordinairem Aufzug der Guste meine Aufwartung machen würde, so bekäm' ich von ihr kein freundlich' Gesicht zu sehen. Nein, ich habe mich, wie Sie sehen, so schön gemacht, wie ich konnte und auch einige blanke Thaler zu mir gesteckt,« – Jacob zeigte dabei auf seine neue blaue Jacke und klimperte mit dem Gelde in seiner Tasche – »damit das Mädchen sieht, daß ihr Bräutigam kein Schubiak ist. Die Menschen sind nun einmal so, Capitain; und darum sollten Sie morgen anders auftreten, ja, das sollten Sie.«

»Du magst nicht ganz Unrecht haben, alter Kamerad,« entgegnete Hugo, »aber was ich einmal begonnen, werde ich vollenden. Und nun geh' zu Deiner Guste, Jacob, ich habe heute Abend noch Briefe zu schreiben.«

Jacob empfahl sich mit einem seemännischen Gruße und murmelte, indem er das Zimmer verließ, zwischen den Zähnen, wie er das Alles vorher gewußt habe, und die Frauenzimmer doch auch rein des Teufels seien; aber es sei Menschennatur und weiter nichts.



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