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I.

Bequem in seinem weichgepolsterten Fauteuil hingestreckt saß der reiche Kaufmann Lüders und trank seinen Morgenkaffee. Auch andere Leute trinken ihren Morgenkaffee, und Du, lieber Leser, gewiß nicht den schlechtesten, aber zehn gegen eins will ich daran wetten, daß Du dieses angenehme Geschäft nicht mit jener erhabenen Ruhe und stillen Gemüthlichkeit verrichtest, die den Kaufmann Lüders charakterisiren; denn alsdann müßtest Du ihm auch in andern Dingen ähnlich sein, das heißt, Du hättest Dich unmöglich zu der Stufe von Spiritualität erheben können, auf welcher Du stehst, sondern wärest ein, wenn auch sonst höchst achtbarer, doch jedenfalls sehr materieller Gentleman. Nach jedem Schluck aus der Tasse that Lüders einen Zug aus der Havannacigarre und vertiefte sich dann in die letzte Nummer der »Hamburger Nachrichten,« um gleich darauf wieder von dem aromatischen Getränke zu schlürfen, und eine neue Wolke vor sich hinzublasen; und das Alles that er mit einer so unbeschreiblichen Behaglichkeit, daß man ihn mit einem auf schwellenden Kissen ruhenden Pascha hätte vergleichen können, der über sein Nargileh und seinen Sorbet die ganze Welt um sich her vergißt, oder mit einem Opiumesser, der sich von reizenden Houris umschwebt wähnt und in eingebildeten paradiesischen Genüssen schwelgt.

Neben ihm saß auf dem Sopha seine Ehehälfte. Sie schien nicht weniger angenehm beschäftigt, indem sie die langen, dünnen Kaffeebrode in die dampfende Tasse stippte und hin und wieder einen Blick in die Modezeitung warf, die vor ihr auf dem Tische lag.

Man sagt, daß manche Eheleute mit den Jahren nicht nur hinsichtlich ihres Benehmens und der Art und Weise, sich auszudrücken, sondern sogar in ihrem Aeußeren eine gewisse Aehnlichkeit miteinander bekommen. Bei Herrn und Madame Lüders fand eine solche wirklich Statt; man hätte sie für Geschwister halten können. Wie beide in den dreißiger Jahren, nahe an vierzig standen, und von kurzer gedrungener Statur waren, so hatten sie sich bereits auch ein ganz respectables Embonpoint erworben, und die Zeit hatte ihren runden Gesichtern einen stereotypen Ausdruck von Sorglosigkeit und Zufriedenheit, ein nicht zu schilderndes Etwas verliehen, welches zu sagen schien, daß sie auf Alles, was für Geld zu haben ist, ein unbestreitbares Privilegium besaßen und daß namentlich Alles, was gut schmeckt, vom lieben Gott ganz apart für sie bestimmt sei, während alle Mühen, Sorgen und Entbehrungen des Lebens als ausschließliches Erbtheil den übrigen Menschen angehöre.

Die Cigarre des Kaufmanns war jetzt ausgeraucht, und er legte den Stummel auf den zierlichen Aschenbecher. Dann schob er seine leere Tasse der Frau zu, damit diese sie wieder fülle, und sagte gähnend:

»Sind die Kinder schon beim Lernen?«

»Ja, sie sind bei der Gouvernante.«

»Und Hugo?«

»Nun, der wird wohl zur Schule gegangen sein.«

»Weißt Du, Annette, daß der Junge mir recht viel Verdruß macht?«

»Viel Verdruß, Andreas?«

»Ja, Frau, aus dem Wildfang wird nie was Rechtes werden.«

»Weil er lebhaft und ausgelassen ist?« sagte Madame Lüders und schob ihrem Manne die gefüllte Tasse hin. »Nun, das giebt sich mit den Jahren. Er hat ja brillante Anlagen, wie alle Leute behaupten, und ein gutes Herz, warum sollte er nicht etwas Tüchtiges lernen und eine gute Carrière machen?«

»Daß der Schnuffel brillante Anlagen und ein gutes Herz hat, will ich nicht bestreiten,« erwiederte Lüders, indem er Rahm und Zucker in seinen Kaffee that, »aber ihm fehlt das Sitzfleisch, darum wird er nie etwas Tüchtiges lernen, und weil in seinem Kopfe nur Schelmereien und Narrenpossen stecken, wird er keine Carrière machen.«

»Mein Gott, Andreas, er ist ja noch so jung, und Jugend hat keine Tugend, weißt Du; das wird noch Alles besser werden.«

»Sprich nicht so, Annette, er ist jetzt vierzehn Jahre und müßte schon weit gesetzter sein. Gestern liefen schon wieder Klagen über ihn ein.«

»Von wem?«

»Vom Rector der Schule. Er schrieb mir, daß Hugo so viele Allotria treibe, daß er ihn unmöglich in der Schule behalten könnte, wenn das so fortginge. Weißt Du, was er dem zweiten Lehrer für einen Streich gespielt hat?«

»Nun?«

»Er hat ihm die Aermel seines Ueberziehers unten zusammengebunden und faule Eier hineingethan. Als die Stunde nun um ist, will der Lehrer seinen Rock anziehen, und indem er mit beiden Armen zugleich hineinfährt, stößt er alle Eier entzwei und kann nicht hindurch. Der arme Mann ist nicht im Stande, ohne Hülfe wieder aus dem Rock zu kommen; die Schulknaben aber, von Hugo dazu angestiftet, waren alle davongelaufen und ließen ihn so in dieser schrecklichen Lage allein zurück.«

»Pfui! Das ist ja entsetzlich!« rief Madame Lüders, legte das Kaffeebrödchen aus der Hand und hielt sich das parfümirte Schnupftuch vor die Nase.

»Dem dritten Lehrer hat er spanischen Pfeffer in die Schnupftabacksdose und Wasser in die Galoschen geschüttet,« fuhr Lüders fort: »dem Rector selbst aber ....«

»Wie, auch dem Rector?«

»Ja, das ist noch das Schlimmste, dem hat er Vogelleim auf den Sitz des Katheders geschmiert, und als nun der gute Mann – der nebenbei gesagt, ein sehr ansehnliches Sitzfleisch hat – nach beendigtem Unterricht aufstehen will, ja, prosit die Mahlzeit! da ist er so angepicht, daß, will er nicht die Hosen entzweireißen, er diese ausziehen muß, um nur vom Fleck zu kommen.«

Hier konnte Madame Lüders das Lachen nicht länger zurückhalten, und ihr würdiger Eheherr stimmte mit ein.

»Aber ist es denn gewiß, daß Hugo ganz allein diese Streiche verübt?« fragte Madame Lüders endlich.

»Nur zu gewiß. Der Rector behauptet, daß alle andern Schüler gesetzte, wohlerzogene Knaben sind, und daß der Verdacht einzig auf Hugo fällt. Aber das ist noch lange nicht Alles. Er bringt hunderte von Maikäfern mit in die Schule, die dann summend und schnurrend den Lehrern und Schülern an die Köpfe fliegen; seinen Kameraden klebt er Briefmarken in die Haare, beschießt sie mit in Tinte getauchte Papierkugeln, näht sie während des Unterrichts mit Bindfaden aneinander; kurz, er treibts in der Schule wie hier zu Hause, wo der heillose Bube ja auch keinen Tag hingehen läßt, ohne tausend Thorheiten zu verüben.«

»Nun, Du wirst ihm einen tüchtigen Verweis geben, Andreas.«

»Ach nein, Frau, das würde nichts helfen; zudem bin ich kein Freund von dem vielen Schelten und Brummen, weißt Du. Nein, nein, ich hab' meinen Entschluß gefaßt.«

»Deinen Entschluß?«

Lüders trank in aller Behaglichkeit seinen Kaffee aus und sagte dann, indem er den sammtnen Schlafrock um seinen dicken Bauch zusammenzog, der jenem des Abtes von St. Gallen nicht nachstand:

»Ich werde ihn zur See schicken.«

»Wie? Andreas, höre ich recht, Du willst den armen Jungen zur See schicken?«

»Ich glaube, nichts Besseres thun zu können, Annette.«

»Aber, mein Gott, das ist ja schrecklich; den lieben, armen Jungen zur See schicken! Nein, Andreas, das kannst, das darfst Du nicht thun. Er ist wild und unbändig, ja; aber bedenke, er ist doch auch wieder so weich und gut von Gemüth. Ach du lieber Himmel! Das Herz würde mir brechen, wenn ich mich von ihm trennen sollte. Trinkst Du noch eine Tasse Kaffee, Andreas?«

»Nein, meine Liebe, er ist mir ein wenig zu dünn. Aber – was ich sagen wollte – ich sehe nicht ein, daß es für den Knaben ein so großes Unglück wäre, sich ein Paar Jahre auf der See umherzutummeln.«

»Wie kannst Du nur so sprechen, Andreas; denke doch nur an unsere Reise nach Helgoland im vorigen Sommer, und wie wir alle so erbärmlich seekrank waren, Du nicht weniger, als wir Andern. Weißt Du noch, daß Du lange nachher keine Austern und Steinbutt essen mochtest, nur weil sie Dich an die See erinnerten?«

»Papperlapap, Frau, schwatze keinen solchen Unsinn. Seekrank wird Hugo freilich werden; aber das ist es ja gerade, was ihm die verwünschten Possen austreiben soll, und – sei Du nur ohne Sorge – sterben wird er daran nicht.«

»Ach, Du würdest nicht so herzlos reden, wenn Hugo Dein Sohn wäre.« Und Madame Lüders hielt sich bei diesen Worten das parfümirte Schnupftuch vor die Augen.

»Wischwasch! ich hab' ihn stets wie meinen eigenen Sohn gehalten, wie ichs meiner Schwester Amalie – Gott hab' sie selig – an ihrem Sterbebette versprochen habe; daß ich ihn nicht zur See schicken solle war, so viel ich weiß, keine besondere Clausel unseres Uebereinkommens.«

In diesem Augenblick sprang die Thür auf und hereinstürzte – o Himmel! Madame Lüders stieß einen Schrei aus und ließ das Kaffeebrödchen in die Tasse plumpen, daß ihr die heißen Tropfen ins Gesicht und auf das rothe seidene Haubenband spritzten – – der Pudel Bello! Der Hund sprang wie verrückt in wilden, tollen Sätzen umher und bellte in einem fort. Ich besitze keine so tiefe Hundekenntniß, daß ich zu entscheiden wage, ob sein seltsames Gebaren ein Ausdruck der Freude, oder der Verzweiflung, der geschmeichelten Eitelkeit, oder der beleidigten Pudelwürde war; ich hatte nie Gelegenheit, die Hundenatur unter so eigentümlichen Verhältnissen zu studiren, und sollte also der Leser in meiner historisch gewissenhaften Beschreibung hier etwas Lückenhaftes entdecken, so bitte ich ihn, es mir gütigst zu verzeihen. So viel ist gewiß, daß wohl selten ein Pudel so wunderlich costümirt auftritt, als es diesen Morgen der ehrliche Bello that. Sein Vordertheil steckte in einer zierlich mit Spitzen besetzten Nachtjacke seiner Herrin, die Vorderbeine waren durch die Aermel gezogen und diese oberhalb der Pfoten mit grünen Schleifen zusammengebunden, über seinen langen krausen Ohren hingen die langen braunen Locken einer Haartour der gnädigen Frau herab und auf der Haartour – es ist meine Pflicht, Alles genau niederzuschreiben, wenn auch eine recht traurige Pflicht – sah man eine elegante Morgenhaube mit breiten seidenen Bändern gestülpt. Die hintere Hälfte Bello's war mit etwas weniger Sorgfalt ausstaffirt. Hier zeigte sich weiter nichts als ein fleischfarbenes seidenes Kamisol des Herrn Lüders, von einer Schärpe um den Leib zusammengehalten.

Bello mochte glauben – wer wollte auch deshalb einen harten Tadel gegen ihn aussprechen – daß ihm unter so extraordinairen Umständen auch ungewöhnliche Freiheiten gestattet sein müßten. Mit liebenswürdiger Unbefangenheit sprang er an seinem Herrn auf und stieß ihm die feuchte Schnautze unter die Nase, dann sprang mit einem kühnen Satze auf das Sopha zu der gnädigen Frau und wiederholte bei ihr dieselbe Procedur, zuletzt aber stieg er mit den Vorderfüßen auf den Tisch, wedelte ihr mit dem Schweife über das Gesicht, stieß die Zuckerschale und den Rahmguß um, schnupperte – doch weshalb von so schauderhaften Thaten den verhüllenden Schleier hinwegziehen, nein, lieber Leser, bedecken wir sie lieber auch noch mit dem Mantel christlicher Liebe!

»Ums Himmels Willen hilf mir doch, Andreas!« schrie die entsetzte Madame Lüders und versuchte vergeblich mit ihren dicken Armen das Wedeln des Pudels abzuwehren, der lustig auf ihrem Schoße herumtanzte, »Du sitzest ja da, als könntest Du Dich nicht rühren. Schelle doch, Mann, schelle, laß den Christian kommen!«

Aber es dauerte noch eine Weile, ehe Lüders sich von einem Lachen erholen konnte, das ihn zu ersticken drohte. Endlich erhob er sich, watschelte der Thür zu und zog mit einer solchen Vehemenz an dem Glockenzug, daß sich dieser oben ablöste und ihm über den Kopf fiel.

Christian erschien, und diese gemeine unpoetische Bedientenseele, die für geschmackvolle Costümirung keinen Sinn hatte, als wo es galt, das eigene liebe Ich herauszuschmücken, packte den armen Bello sehr unsanft, entkleidete ihn unter vielen Schimpfreden seines Schmuckes und expedirte ihn sodann mit einem kräftigen Fußtritte zur Thür hinaus.

»Was sagst Du nun, Annette,« sprach Herr Lüders, als die beiden Eheleute nach der gewaltigen Aufregung ein wenig zu Athem gekommen waren, »können wir Hugo – denn kein anderer als der Unhold hat uns diesen pudelnärrischen Streich gespielt – wohl länger hier im Hause behalten?«

»Schicke den garstigen Jungen in Gottes Namen zur See, Andreas,« stöhnte Madame Lüders, und das parfümirte Schnupftuch fuhr jetzt über das ganze Gesicht der dicken Frau und über das befleckte seidene Haubenband.

So endigte der Familienrath, in welchem die Zukunft des armen Hugo entschieden wurde. Dieser, nicht ahnend, welche unerbittliche Schicksalshand über seinem Haupte schwebte, um ihn beim Schopfe zu nehmen und auf das endlose, wildtosende Weltmeer hinauszuschleudern, war mittlerweile in der Schule damit beschäftigt, um den eisernen Klöpfel der großen Schulglocke einen Handschuh zu binden, ein Experiment, welches er, auf der Schulter eines großen und starken Kameraden stehend, zur allgemeinen Zufriedenheit seiner Mitschüler vollführte. Armer Knabe! Du hättest Dir die Mühe ersparen können; die Glocke sollte Dir nie mehr den Beginn des Unterrichts ankündigen.



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