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Es war zu Beginn des letzten Jahrzehnts im 16. Jahrhundert. Aus Wittenbergs Toren trabten zwei jugendliche Reiter die alte Landstraße nach Leipzig zu, beide ein Paar stolze frische Gestalten. Der eine blond, etwas derbknochig, mit hellblauen Augen und nicht gar feinen Zügen, den ziemlich großen vollen Mund deckte ein kleiner blonder Bart. Sein Begleiter war eine zierlichere Gestalt. In einem seinen blassen Gesichte standen ein Paar dunkle leuchtende Augen. Jetzt, wo das Antlitz beim Sprechen und heiteren Lachen belebt war, fiel die dunkle Linie der zusammengewachsenen Brauen über den Augen weniger auf. Horchte er aber den Reden seines Begleiters mit nachdenklichem Ausdrucke zu, so berührte diese merkwürdige Linie seltsam, da sie düstere Schwermut über das Gesicht zu verbreiten schien. Aber der heitere und frohe Ausdruck des jugendlichen Mundes mit dem zierlichen dunklen Barte verdrängte immer wieder den düsteren Ernst, von dem die Augenpartie zu sprechen schien. Die Kleidung der beiden jungen Reiter war die der jungen Scholaren in Wittenberg; das Schwert zur Linken und die Rüstung der Pferde aber ließ Edelleute in ihnen vermuten; auch der gewappnete Knecht, der hinter ihnen drein ritt, schien eher zur Gefolgschaft einer Ritters zu gehören.
»Wann werden wir die Stadt erreichet haben?« fragte der dunkle Reiter den anderen.
»Ich schätze, daß wir in Leipzigs Tore reiten, wenn die Sonne sinket. Kommen gerade recht, um nach dem scharfen Reiten guter Nachtruhe zu pflegen und früh ein exemplarisch Gericht zu erschauen, daran etliches für unsere Juristerei dürft' zu lernen sein.«
»Ist doch ein grausamlich Ding, Otto,« begann der Dunkle sinnend, »ein Weibsbild zu foltern. Wer oft zuschauet bei so schrecklichem Tun, muß ein roh Gemüt davontragen, zu geschweigen der Henkersknechte, so dergleichen ausführen. Meine, so ein Weibsbild sollt' schneller vom Leben zum Tode gebracht werden, nit gequälet werden mit so grausamen Werkzeugen, wie die römische Gerichtsbarkeit seit alter Zeit verordnet.«
»Hör' ich doch wieder den weichmütigen Hansen, der schon als Schulbub nit einmal einem Tier könnt' den Kopf umdrehen,« spottete der andere derb. »Hast just erst der Jahre zwei in die Juristerei hineingerochen und willst sie besser verstehen als die alten Herren der hochgelahrten Wissenschaft. Weißt denn du, was dieses Weibsbild, so morgen soll gepeiniget werden, auf sich geladen hat? Mit dem Teufel ist sie im Bund, und unzähligen Nachbarn hat sie Gift beigebracht, daran sie langsam des Todes verblichen sind. Hat niemand all die Jahre entdecket, da sie gar fürsichtig zu Werke gegangen, zuletzt aber ist sie sicher worden und hat zween Personen aus ihrer Sippschaft ebenfalls ein Tränklein gemischet, daran sie des Todes verblichen sind, auf daß sie ihr Erbteil erhielte. Da ist's an den Tag gekommen. Man hat sie belauschet und wahrgenommen, wie sie nachts mit dem Teufel Umgang gepflogen und oft heller Feuerschein aus ihrem Schornstein herausgeleuchtet habe. Auch beim Sammeln von Giftkräutern hat sie der Medikus und der Bader des Städtleins betroffen, und so ist sie vor den Gerichtshof gebracht worden, auf daß sie ihre Schändtaten eingestände, hat aber nichts zugestanden, sondern streitet all Beschuldigen ab. So soll sie morgen durch Peinigen zum Geständnis gebracht werden, denn ohn' Geständnis verurteilen die hohen Herren zu Leipzig nit zum Tode durchs Feuer.«
»Weiß nit Näheres über ihre Schuld, das ist richtig,« entgegnete der mit Hans' angeredete jüngere Reiter, »vermeinte nur, es müßt' einen anderen Weg geben, daß hochgelahrte Herren ein Weibsbild zum Geständnis zwingen. Weißt doch, daß schon vor langer Zeit ist ein Versuch unternommen worden, nach deutschem Recht und christlichem Gebrauch auch das hochnotpeinliche Gericht zu regeln. Unter Kaiser Karolus V. ist die »Karolina« herausgekommen, heißt bei uns daheim in der Mark Brandenburg die »Halsgerichtsordnung« und ist dort anno 1516 eingeführet worden. Weißt wohl, daß meine Vorfahren, die Herren von Uchtenhagen, Recht und Gerichtsbarkeit zu Fryenwolde und dem ganzen Lehen ausüben, und sie sind immer nach diesem deutschen Rechte verfahren. Meine doch, der Freiherr Johann von Schwarzenberg, der sie verfaßt hat, war ein gar feiner Menschenkenner und hat gewußt, wie Unverstand, Aberglaube und Rachsucht die Menschen zu falschen Anklagen verführen, so sie einen, der ihnen mißliebig ist, aus dem Wege schaffen wollen, und wie vor allem ein falscher Ehrgeiz und die Habsucht unter den Gerichtsherren und Nachrichtern Scharfrichter. schuld daran ist, daß so viele und auch reiche Leute der Hexerei angeklaget werden.«
»Habsucht der Gerichtsherren?« brauste der andere auf, »was willst du damit sagen, Hans?«
»Nun, das ist doch männiglich bekannt,« entgegnete Hans von Uchtenhagen. »Wie mancher Gerichtsherr ist zum reichen Manne worden, der mit allerlei Rechtskniffen wußte, sich das hinterlassene Erbteil eines Gerichteten anzueignen, und für die Nachrichter und Henkersknechte ist's doch eine gar einträgliche Beschäftigung, einen Mitmenschen vom Leben zum Tode zu bringen. Hab' erst in den letzten Wochen beim Studium die Gebühren gefunden, so ein Nachrichter für Köpfen und Foltern erhält. Habe mir's überschlagen, was für ein Einkommen im Jahreslaufe dem Mann aus so grausem Tun erwüchset. Hör' einmal zu.«
Er zog ein Taschenbuch aus seinem Wams und blätterte darin, bis er an die gesuchte Stelle kam, wo er seine Eintragungen gemacht hatte.
»Außer seiner Besoldung von Gerichts wegen und ihm zukommenden Naturalien stehet dem Nachrichter für die Enthauptung zu: 6 Pfund, 10 Schillinge; für lebendig Verbrennen: 7 Pfund, 10 Schillinge; für das Rädern: 20½ Pfund (1 Pfund = 20 Silberschilling). Nun überschlag', wie oft der Henker mit seinen Knechten zu jetziger Zeit vom hohen Gericht zu Leipzig berufen wird, dann magst du schätzen, daß so ein Mann gar bald Reichtum ansammeln wird. Wie sollt' er ein Geschäft nit eifrig betreiben, das so reichen Gewinn abwirft, und wo er alles im Namen der Obrigkeit tut, die so grausame Folterqualen mit hohem Lohne bezahlet.«
Der Blonde hatte nachdenklich zugehört. Er schien in den Rechtsbüchern nicht so genau Bescheid zu wissen wie sein schlankerer Begleiter. Diese Aufschlüsse gaben ihm sichtlich zu denken. »Daß der gemeine Mann erklecklichen Vorteil am Hinrichten hat, will ich nit für unrichtig halten,« gab er zu, »daß aber Gerichtsherren sich bereichern, ist doch nit erwiesen!«
»Ja, guter Freund, wenn du nit im Professorensaale zu finden bist, sondern lieber auf dem Raufboden und in der Schenke studierest, erfährst du nit viel davon,« sagte Hans von Uchtenhagen, und gutmütiger Spott schaute ihm aus den Augen. »Weißt nit, wie der greise Professor Eusebius vor wenig Monden erst uns den großen Prozeß erkläret hat, darin zwei Gerichtsherren sind zum Tode durch den Strang verurteilet worden, dieweil ihnen erwiesen ist, daß sie das reiche Erbteil eines Kaufherrn sich angeeignet haben, der vorher durch ihr Mittun den Tod durch das Schwert erlitten hat. Haben geglaubet, es seien nur Frauen in seiner Sippschaft, so sie bald vermeinten, zu betrügen. Da ist aus Flandern ein junger Schwestersohn heimkommen, so selbst ein tüchtiger Rechtsgelehrter war, der hat die Klage angestrenget gegen die betrügerischen Richter und hat Recht und Gerechtigkeit zum Siege verhalfen. Der alte Eusebius hat bei seinem Vortrage noch mannigfache Beispiele uns berichtet, so auch er in seinem Leben von ungetreuen Richtern schon erfahren hat.«
»Nun entsinne ich mich der Geschichte,« sagte der andere, »du und die Freunde, ihr habet ja viel disputieret, aber Schufte gibts überall, warum nit auch im Richterstande? Deswegen sind nit alle zu tadeln.«
»Der alte Eusebius sagt,« versetzte Hans, »ein gerechter Richter sei in unseren Zeitläuften ein seltener Mann, das liege aber am grausamen römischen Rechte, das die Menschen verwildere und rohen Gemüts mache. Es sei keine Einigkeit, das deutsche Gesetz durchzuführen, das viel gerechter sei, weil es dem Beklagten verlaubt, sich einen Verteidiger zu beschaffen, weil es die Notwehr anerkennet, verlanget, daß die Gerichte mit nur ehrbaren Personen besetzet werden, und darauf hält, daß der Gefangene in ein ordentlich Gefängnis kommt, solange seine Sache untersuchet wird. Zumeist sind es jetzt schmutzige und feuchte Löcher, in denen der Beklagte krank werden muß, noch ehe seine Sache verhandelt wird. Nun, ich hab' viel aus diesen Umständen gelernet für die Zeit, da ich daheim die Herrschaft über unser Lehen führen soll, und habe es mir gelobet, Recht und Gericht nach deutscher Art daheim zu pflegen und die Grausamkeiten des römischen Rechts gänzlich hintenan zu setzen. Ich denke, mein Herr Vater wird dann mit meinem Studium zufrieden sein, so ich nun heim komme.«
»Da werden dir bald deine Lehensleute auf dem Buckel tanzen,« lachte der andere höhnisch auf. »Bei uns Quitzows geht es nit so sänftiglich zu; aber in allen Zeitläuften, so meine Vorfahren auf ihrer Stammburg gesessen haben, hat keiner der Lehensleute gemuckt, wenn auch die Ritter meines Hauses ein scharf Regiment geführt haben. Dafür dürften sie bei allen Beutezügen auch teilnehmen am Gewinn ihrer Herren, und das war den Mannen das liebste, wenn Beutel und Truhen gefüllet wurden. Mit so milder Gerichtsbarkeit regiert man kaum Weiber und Kinder, geschweige die trutzigen märkischen Bauern und Landsknechte. Der Aelteste unseres Geschlechts, der einmal das Lehen erben wird, wird anders verfahren als du, und da ich bei der Juristerei bleibe und am kurfürstlichen Hofe zu Cöllen ein Amt zu finden vermeine, will ich ihm schon beistehen, nach altem Rechte die Lehensinsassen zu zügeln. Verhoffe nur, daß mein greiser Vater noch etliche Jahre das Leben behält, für seinen Jüngsten ein paar Beutlein Dukaten beiseite zu legen. Bin immer sein Lieblingssohn gewesen, und wenn er einmal die Augen schließet, ist für uns jüngere Geschwister aus dem Lehen nimmer was zu verhoffen.«
Hans von Uchtenhagen schwieg. In scharfem Reiten legten sie den Weg zurück, bis sie mit Anbruch des Herbstabends Leipzigs Tore vor sich aufragen sahen. Sie hatten vor, einem großen Hexenprozesse, der am folgenden Tage hier verhandelt werden sollte, zu ihrer eigenen Belehrung beizuwohnen, da beide Freunde sich der Rechtsgelahrtheit in den letzten Jahren beflissen hatten, Hans von Uchtenhagen, wie er schon gesagt hatte, um für die eigene Herrschaftsführung auf seinem Lehen sich juristische Kenntnisse anzueignen, Otto von Quitzow, um die Juristerei zu seinem Lebensberufe zu machen. Der letztere wollte nach der Gerichtsverhandlung zu weiterem Studium nach Wittenberg zurückkehren, Hans von Uchtenhagen gedachte, mit seinem Waffenknechte dauernd in die Heimat und auf sein Lehensgut Fryenwolde im Oderbruch heimzureisen.
Die beiden Studiengenossen hatten unfern des Stadtgefängnisses ihr Nachtquartier gewählt, und Otto von Quitzow hatte vorgeschlagen, am nächsten Morgen noch vor der Verhandlung die Gefangene auszusuchen. Es reizte ihn, eine Frauensperson in der Nähe kennen zu lernen, die mit dem Teufel und allen bösen Mächten im Bunde stehen sollte. Sie hatten von der Wittenberger Universität sich die Erlaubnis dazu erwirkt, und um der Studienzwecke willen wurden ihnen in Leipzig keine Schwierigkeiten bereitet.
Der Aufseher des Gefängnisses ließ die beiden Scholaren, die er an ihrer Tracht erkannte, mit ihrem Ausweise passieren, und der Schließer öffnete ihnen den Raum, wo die Gefangene saß, nachdem Hans von Uchtenhagen ihm eine größere Münze zugesteckt hatte. Sie waren in dem dumpfen kellerartigen Raum einen dunklen Gang hinabgeschritten, und als der Schließer mit eigentümlichem Grinsen eine kleine dunkle Tür öffnete, blickten die beiden Studenten in einen fast dunklen Raum, in dem sie zunächst nichts unterscheiden konnten.
»Diese Türe lasse ich unverschlossen, Herr,« raunte der Schließer Hans von Uchtenhagen zu, »aber dort an der Pforte, durch die wir gekommen sind, müsset Ihr klopfen, so Ihr Euch entfernen wollet.«
Er nahm seine Schlüssel und ging. Otto von Quitzow war weiter in den Raum hineingetreten. Als die Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, bemerkten sie in dem schwachen Lichtscheine, der durch eine kaum handgroße Luke fast oben an der Decke hereindrang, etwas wie eine hölzerne Bettstatt, auf der Stroh lag. Ein kleiner Schemel stand daneben, und darauf saß zusammengekauert eine ältere Frauengestalt. Otto von Quitzow trat auf sie zu und berührte sie an der Schulter.
»Ihr seid die Barbara Pochnerin, die des Giftmordes und der Hexerei verklaget ist?« fragte er kurz.
Die Frau richtete langsam den Kopf in die Höhe und sah den Sprecher an. In dem Dämmerlichte bemerkten die beiden Studenten, daß sie ungefähr 60 Jahre alt war, ein freundliches mit Runzeln bedecktes Gesicht und schlichtes graues Haar besaß, das sich gescheitelt um ihre Stirn legte und von einem schwarzen im Nacken geknoteten Tuche bedeckt war. Sie antwortete nicht auf die Frage des jungen Studenten, sondern ließ den Kopf auf die Hand sinken und verfiel wieder in ihr Hinbrüten.
Otto von Quitzow wurde ungeduldig. Noch einmal rüttelte er sie an der Schulter. »Antwortet!« sagte er rauh, »wir sind vom Gericht!« Die Lüge floß ihm sehr glatt von den Lippen, aber sie hatte nicht die gewünschte Wirkung. Die Frau schwieg immer noch. Zornig stampfte Otto von Quitzow mit dem Fuße: »Werdet Ihr mir antworten, Weib? Hört Ihr's nit, daß ich zu den Gerichtsherren gehöre?«
Da schaute sie auf. »Wenn Ihr das seid,« erwiderte sie ruhig und langsam, »so wisset Ihr wohl, wen Ihr hier aufgesuchet habt; und was Euch zu wissen hergeführt hat, werdet Ihr in etlichen Stunden hören, wenn ich im Gerichtssaale stehen muß. Ich steh' nit jedem jungen Fanten Rede, so der Schließer gegen Bezahlung zu mir hereinschickt.«
Hans von Uchtenhagen wurde dunkelrot. Also ein Geschäft machte der Schließer und wohl auch der Gefangenenaufseher daraus, Neugierige zu der Uebeltäterin hineinzulassen, und er gehörte mitten unter sie. Schon aber hatte Otto von Quitzow rauh entgegnet: »Was ich nachher hören werde, ist gleichgültig, Weib. Ihr sollet mir jetzt antworten. Wie heißet das Zaubertränklein, und wo kann man es kaufen, das Ihr dem Mann aus Eurer Sippschaft gegeben habet? Ihr wisset wohl, der ein Mittel dafür haben wollte, daß ein Jungfräulein ihm zugetan sei, das so lange spröden Herzens sich ihm geweigert hat. Ihr habt ausgesaget, ein Kranker dürfe nur wenige Tropfen davon nehmen, er hat ihr aber das ganze Fläschchen gegeben, und darauf ist sie verstorben. Ihr habt sicher das Zaubertränklein jemand anvertrauet, sagt mir, wo ich es erhalten kann, ich will's Euch gut zahlen und kann vielleicht dazu helfen, daß Ihr nur ein wenig gepeiniget, aber nit vom Leben zum Tode gebracht werdet, wie Euch sonst bevorstehet.«
Bei diesen Worten ward plötzlich ein Geräusch hinter der Bettstatt hörbar, und als die Alte nur ein Kopfschütteln für die Worte des Quitzowers hatte und dabei murmelte: »Unsinnige Jugend,« bemerkte Hans von Uchtenhagen, der mit Staunen seinem Freunde zuhörte, an der dunklen Wand eine zweite Frauengestalt, die wohl dort hinter der Bettstatt gekauert und, durch die letzten Worte des Quitzowers erschreckt, sich erhoben hatte.
»Antwortet, Weib,« wiederholte Otto von Quitzow aufs neue ungeduldig. Die Alte schwieg weiter.
»Großmutter,« rief da auf einmal klagend eine jugendliche Frauenstimme, »so sag's den Herren doch, daß das alles unsinniger Aberglaube ist, daß du wohl Heiltränke bereiten kannst, wie du sie von deinem alten Vater gelernet hast, daß du aber niemalen etwas Giftiges zusammenrührtest und noch nie ein Tierlein getötet hast, vielmehr es geheilet, wenn du es krank oder mit gebrochenen Gliedmaßen fandest. Höre doch, was die Herren sagen, sie wollen dich peinigen, oder gar töten …« In heißem Schluchzen erstickten die letzten Worte, und die junge Gestalt hatte den Kopf gegen die kalte Mauerwand gepreßt und bebte vor unterdrücktem Weinen.
Otto von Quitzow, der bisher zwischen ihr und der alten Frau gestanden hatte, trat rasch zu der jugendlichen Gestalt heran: »Heissa, wen haben wir denn da noch?« fragte er, aber seine Stimme klang nicht mehr rauh. Mit raschem Griffe faßte er die Weinende am Arm und zog sie in das Licht des kleinen Fensterleins. Ueberrascht prallte er zurück, und auch Haus trat erstaunt einen Schritt näher. Eine junge, zarte Mädchengestalt, fast noch ein Kind, stand vor ihnen. Schwere goldblonde Flechten fielen ihr in den Nacken, und ein Paar große dunkle Augen blickten aus einem lieblichen Gesichte.
»Holla, das ist aber eine niedliche junge Hexe!« lachte der Quitzower roh auf. »Da ist's vergnüglich, Gerichtsherr zu sein, wenn man mit so charmanten Hexlein zu tun hat!«
»Otto!« rief Hans von Uchtenhagen kurz und empört und faßte den Leichtfertigen am Arme. Aber schon stand die alte Frau zwischen dem Quitzower und dem jungen Menschenkinde.
»Lasset eilends Eure Hände von dem Kinde!« befahl sie mit einer Ruhe und einem Stolze, der die jungen Studenten völlig verblüffte. »Wenn mein Enkelkind zu meinem Troste bei mir weilet, so kümmert Euch das nit. Und nun entfernet Euch! Noch ist nit der Spruch über mich gesprochen, und zu euren Possen und Kurzweil bin ich zu alt, gehet!« Sie wies gebieterisch nach der Tür.
Von draußen klang plötzlich ein Glöcklein, eilige Schritte kamen den Gang entlang, und die Stimme des Schließers rief: »Auf, Ihr Herren, die Zeit ist um!«
Da verließen die jungen Leute den Raum. Haus von Uchtenhagen aber rief im Abgehen noch der Gefangenen zu: »Ich habe Euch nit zu nahe treten wollen, bin nur ein Scholar des Rechts und wollte für meine Wissenschaft lernen. Seid Ihr unschuldig, so begehret nach deutschem Recht einen Verteidiger, der für Eure Sache ficht!«
Da aber schob ihn der Schließer eilends zum Raume hinaus und in einen nahe mündenden Gang hinein, wobei er ihnen zuraunte, zu eilen. Am hellen Ende des Hauptganges sahen sie die Gestalten einiger Gerichtsherren auftauchen, denen sie wohl nicht begegnen sollten, denn ihr Führer brachte sie zu einer anderen Pforte auf den Gefängnishof hinaus und bedeutete sie, in zwei Stunden werde das hochnotpeinliche Gericht über die Hexe anheben.
Hans von Uchtenhagen wollte sich entfernen, aber der Quitzower blieb bei dem Schließer stehen, drückte ihm eine Münze in die Hand und fragte gedämpft: »Wer ist denn das zweite Weibsbild da unten? Wessen ist sie angeklaget?«
»Ach, Herr,« tuschelte der Schließer, indem er behend die Münze in sein Wams schob und sich nach allen Seiten umsah, »das junge Weibsbild ist keiner Schuld angeklaget. Sie hat mit der Alten gelebt, ist so ein arm' Waislein, schätz' ich, und als die Stadtknechte und der Büttel die Alte eingebracht haben, hat sie den Herrn Stadthauptmann mit einem Fußfalle gebeten, sie bei der alten Großmutter zu lassen, die ganz unschuldig sei. Das Häuslein der Alten in dem kleinen Städtlein hat die Obrigkeit verschlossen, und so hat sie kein Plätzel gehabt zum Bleiben. Da hat der Stadthauptmann ein Erbarmen gehabt und hat bestimmt, bis der Spruch über die alte Hexe gefallen ist, dürft' sie bei ihr bleiben. Um die Mittagszeit hat der Aufseher sie oft hinausgelassen, und sie hat ihm einmal geklaget, daß ihre Sippschaft fern im Frankenland ansässig sei. So sie nur wüßte, Botschaft hinzusenden, wurde einer der Männer ihres Geschlechts schon kommen, für der Großmutter Recht einzutreten, sie habe aber kein Geld und keine Freunde, die Sippschaft wissen zu lassen, daß die Großmutter gefangen gesetzet sei.«
»Und was will sie tun, wenn die Großmutter vom hochnotpeinlichen Gericht verurteilet ist?« fragte der Quitzower gespannt.
»Ach, Herr, so ein Kind,« meinte der Schließer, verächtlich die Achseln zuckend, »glaubet ja fest, die Alte sei eine Heilige, und unsere Richter müßten ihr die Freiheit geben, so sie ihnen alles nur recht darleget. Glaubet, sie könne heute mit der Großmutter frei aus Leipzigs Toren gehen. Die Alte wird verbrannt, das habe ich die Gerichtsschreiber sagen hören, und gestern hat der Stadthauptmann, der ein guter Lutheraner ist, dem Aufseher des Gefängnisses gesagt, wenn die Alte abgeführet sei, und das wird ja heute geschehen, soll er das Mägdlein in sein Haus führen, er wolle es dann zu seiner Sippschaft schicken.«
»So, so,« sagte Otto von Quitzow, bedächtig mit dem Kopfe nickend, und während der Schließer eilig hinter der kleinen Pforte verschwand, kehrte er an Hans von Uchtenhagens Seite über den Gefängnishof zurück, um sich auf kurze Zeit zu seiner Herberge zurück zu begeben.
Dem jungen Uchtenhagen hatte die rasch hervorgestoßene Rede des Schließers einen herzbedrückenden Eindruck gemacht. Das verlassene junge Menschenkind, das er dort unten in dem dunklen Gefängnisgewölbe gesehen hatte, tat ihm unendlich leid, und er grübelte vor sich hin, was er wohl tun könnte, dem jungen Kinde beizustehen, wenn es nun bald das schreckliche Ende der alten Großmutter, an der sein Herz hing, erfahren würde. Dabei fiel es ihm auf, daß auch Otto von Quitzow so stumm neben ihm herging, das war sonst nicht seine Art. Er pflegte über junge Frauenzimmer sonst ein langes und breites zu schwätzen. Aber eine eigene Scheu hielt den jungen Studenten ab, seinerseits dem roheren Gefährten von seinen eigenen Gedanken etwas zu sagen. Einen kurzen Augenblick überlegte er, ob er nicht den Herrn Stadthauptmann aufsuchen und des näheren über die Beschuldigungen befragen solle, deren man die Alte anklagte. Aber dieser würde als erster Beamter der Stadt wahrscheinlich schon auf dem Wege zum Gerichtssaale sein, und was konnte er, ein junger märkischer Student, der nur kurze Zeit zu Füßen der Wittenberger Gelehrten gesessen, dem hohen Gerichtshofe Kursachsens gegenüber ausrichten, da die Anklage wohl schon lange Zeit schwebte, deren Umfang er gar nicht kannte. In seinem Herzen war er fest überzeugt, daß diese würdige alte Frau, die ihm durchaus Ehrerbietung abgenötigt hatte, solcher Schändlichkeiten, wie Giftmischereien es waren, nicht fähig sei. Als Kind seiner Zeit war er zwar nicht ganz frei von dem Aberglauben, daß sie von übernatürlichen Kräften wisse und vielleicht nicht ganz mit Unrecht der Hexerei angeklagt sei, aber wie er ihr zum Rechte verhelfen solle, um von der Mordtat freigesprochen zu werden, das wußte er nicht. Er stand brütend am Fenster der großen Gaststube in seiner Herberge, während Otto von Quitzow in das Kämmerlein hinaufgegangen war, wo er die Nacht zugebracht hatte, und ihn bedeutet hatte, ihn hier zu erwarten, damit sie dann gemeinsam den Weg zum Gerichtssaal einschlagen könnten.
Jetzt kam ein stattlicher Reiter, von einigen Stadtknechten begleitet, die enge Gasse heruntergeritten. Der junge Student rief den Herbergswirt aus Fenster und fragte, wer das sei.
»Ei, das ist unser Herr Stadthauptmann, er reitet wohl in die Sitzung.«
Aufmerksam blickte Haus von Uchtenhagen dem grauhaarigen Reiter in das Gesicht. Es lag bei allem Ernste seiner Züge doch ein herzliches Wohlwollen darin, und Hans fragte den Wirt, wo der Stadthauptmann seine Wohnung habe. Der Wirt beschrieb ihm das Stadthaus, und Hans prägte sich genau den Weg ein.
Da kam Otto von Quitzow pfeifend die Stiege herab, steckte den Kopf zur Wirtsstube herein und rief den Gefährten ab. Als sie den Weg zum Gerichtshof einschlugen, merkten sie bald an dem aus allen Gassen zuströmenden Volke, daß die Bewohner der Stadt den lebhaftesten Anteil an dem Hexenprozesse nahmen, der heute verhandelt werden sollte.
Die Büttel vor dem Gerichtssaale ließen auch eine große Schar des Volkes hinein. Am hinteren Ende des großen Raumes war eine Schranke gezogen, innerhalb deren sich hochlehnige Stühle und ein mächtiger Tisch befanden. Diese Schranke wurde für die Gerichtsherren freigelassen. Am Eingänge sowohl wie am Ausgange der Schranke, die im Hintergrund auf eine dunkle Tür mündete, stand ein Büttel der Stadt.
Es glückte den beiden Studenten, nahe an die Schranke heranzukommen, in die bald darauf in seltsamer Tracht die Gerichtsherren einzogen. Unter ihnen war der Stadthauptmann nicht.
Einige Sessel nahe der Schranke waren freigelassen, und erst, als im Vorraum ein lautes Rufen und Murren des Volkes hörbar wurde, weil man die Angeklagte herbeiführte, betrat der Stadthauptmann mit einigen anderen ernsten Rittern die Schranke und ließen sich abseits auf den Sesseln nieder. Er hatte augenscheinlich mit der eigentlichen Gerichtsverhandlung nichts zu tun. Dem jungen Studenten klopfte hörbar das Herz. Würde man mit der alten Frau auch die junge Enkelin in die Schranke führen? Aus der Volksmenge ragten die Hellebarden der sich nähernden Stadtknechte auf. Das Murren des Volkes wurde immer lauter. Jetzt trat der Büttel von der Schranke zurück und ließ den Zug ein. Die voranschreitenden Stadtknechte traten zur Seite und ließen die beiden Büttel mit der alten Fran eintreten, die sie fest am Arme gepackt hatten. Sie schien sich befreien zu wollen, denn sie machte lebhafte Bewegungen und drehte sich fortwährend nach rückwärts, indem sie mit den Händen gestikulierte und den Bütteln etwas zu sagen schien. Diese aber schüttelten starr den Kopf und schleppten sie, entgegen allen ihren Bemühungen, vorwärts. Ueber dem lauten Rufen und Lärmen des Volkes war nicht zu verstehen, was die Alte begehrte. Unter den Stadtknechten und dem Volke, das ihr gefolgt war, suchte Hans von Uchtenhagen vergeblich die junge Enkelin.
Nicht weit von seinem Standorte hatte die Verklagte ihren Platz, und Hans sah mit Mitleid und Befremden, wie sie fest die Hände ineinander krampfte und immer wieder die Augen nach dem Ausgange richtete, als suche sie etwas.
Der Gerichtsherr erhob sich, ergriff eine große Glocke und gebot Schweigen. Eine lange Anklage ward verlesen, aus deren vielfach geschraubten Ausdrücken hervorging, daß die Witfrau Barbara Pochnerin angeklagt sei verderblicher Zauberei, nächtlichen Umgangs mit dem Bösen, und daß sie mit giftigen Tränken einen jungen und einen alten Menschen vom Leben zum Tode gebracht habe. Verschiedene Zeugen aus dem Städtlein, wo die Verklagte gelebt, wurden aufgerufen und in die Schranke geführt, und nun ward der Verklagten unter Drohungen auferlegt, die Wahrheit zu gestehen und sich dessen schuldig zu erklären, was hier verkündigt war. Die alte Frau machte einen merkwürdigen Eindruck. Sie saß wie in sich versunken da, als ob sie die ganze Sache kaum etwas anginge und hier nicht über ihr Leben und ihren Tod entschieden werden sollte. Sie schien mit ganz anderen Gedanken beschäftigt. Als jetzt abermals der Gerichtsherr sie scharf anrief, zu gestehen, rüttelte der Büttel sie auf, daß sie sich erhob.
»Ich bin nit schuldig,« sagte sie laut und deutlich und fiel wieder auf ihren Sitz zurück. Ein Murren und Raunen des Volkes rund umher erhob sich, und Hans hörte in seiner Nähe entrüstete Ausrufe über die Hartnäckigkeit der Sünderin. Der Gerichtsherr ließ die Zeugen vortreten, unter denen ein Bader und der Medikus des Heimatstädtleins mit großer Zungenfertigkeit behaupteten, daß die Alte seit langen Jahren mit Kräutern und Tränken an Mensch und Vieh weit in der Umgegend herumgedoktert habe. Lange habe sie ihr böses Gewerbe zu verstecken gewußt, im letzten Jahr aber sei es gelungen, in zwei Fällen nachzuweisen, daß sie einer bis dahin gesunden Jungfrau einen giftigen Trank beigebracht habe und einem älteren Mann aus ihrer eigenen Sippschaft ein Mittel reichte, das ihn nach wenigen Tagen vom Leben zum Tode gebracht habe. Daraufhin habe man ihrem Leben genauer nachgespürt, da ihr Häuslein sonst weit entfernt vom Städtlein, nahe am Walde gelegen sei. Und nun begann eine aufgeregte Erzählung von Hexengetriebe und nächtlichem Feuerschein, den man wahrgenommen habe. Eine große Anzahl der Zeugen bestätigte und beschwor diese Aussagen des Baders und Medikus, und einer wußte seine Wahrnehmungen immer grausenerregender zu gestalten als der andere, und Haus merkte, wie die Volksmenge um ihn mit Spannung und gewaltig erregtem Interesse den grausigen Erzählungen folgte.
Als er sich dabei umsah, bemerkte er, daß der Quitzower von seiner Seite verschwunden war. Aber er war wohl nur durch das Gedränge von ihm abgekommen. Dagegen fiel ihm ein älterer schlicht gekleideter Bürgersmann auf, der neben ihm stand und, indem er aufmerksam die Verklagte betrachtete, sinnend den Kopf schüttelte. Hans drängte sich näher an ihn heran.
»Ihr meinet, Alter, die Witfrau sei dessen nit schuldig?« raunte er ihm zu.
Der Alte blickte auf und schaute ihn prüfend an. »Warum meinet Ihr das, junger Herr?«
»Ei, mich dünket, die Alte schaut nit so aus, als ob sie so niederträchtige Bosheiten und teuflische Umtriebe verstünde, und Euer Kopfschütteln sagt, daß Ihr es auch nit glaubet.«
»Ist auch Aberglauben und sinnlos Zeng,« brummte der Alte zwischen den Zähnen hervor. »Aber die neue sächsische Kriminalpraktik gilt ja aller Orten mehr als Kaiser Karls deutsche Halsgerichtsordnung; ist ja allerwege nirgend etwas auszurichten gegen das lateinische Recht. Die beiden Kerle dort, der Bader und der Medikus, sind aus Brotneid wütig auf die Alte, die wohl ein lützel mehr von Heilkräutern und Wundenverbinden versteht, als sie mit ihrer löcherichten Weisheit. Dieser Zeiten braucht ja ein Gehässiger nur von Hexerei und Teufelsspuk zu reden, und er hat seinen Widersacher dem Gericht überliefert und ist ihn los. Nun hat das arme Weibsbild keinen Verteidiger und keinen Fürsprecher und ist selber ganz verschlagen und mutlos. Was werden sie mit ihr machen? Ueber den gespickten Hasen Der »gespickte Hase« war eine eiserne Walze mit Stacheln. Der Körper des zu Folternden wurde entkleidet darüber gezogen. werden sie sie ziehen, bis alle Glieder gebrochen sind, damit sie gestehen soll, und wenn sie vor Pein und Schmerzen irre geworden alles sagt, was die Richter hören wollen, dann muß sie morgen auf dem Scheiterhaufen ihre nun bekannten Sünden büßen, und das alles zur höheren Ehre einer lateinischen Gerichtsbarkeit, die aus dem alten Heidentum stammt und mit deutschem Recht und christlicher Sitte niemalen hat was zu tun gehabt. Ah, es ekelt den Menschen an, der mit gesunden Sinnen so etwas muß geschehen lassen. Wann wird der Mann kommen, der, wie Doktor Martinus Luther in unsere Kirchenlehre, eingreifet in solchen Wust aufgeblasener Rechtsgelehrsamkeit und grausamer Bräuche? Hab' heut gehoffet, der Herr Stadthauptmann würd' noch was zu ihren Gunsten erkunden, wie er sich eifrig gemühet hat. Scheint nit an dem zu sein. Sitzet so ernst und brütend da. Ist so ein gerechter und hochmögender Herr; wenn's ihm nit gelingen will, was kann dann ein schlichter Bürgersmann wie unsereiner helfen? Mags nit mehr mit ansehen. Es jammert mich der Alten.« Er schüttelte heftiger den Kopf und drängte sich durch die Menge hinaus.
Die Zeugen hatten ihre Aussagen beendet. Auf den Befehl des Gerichts ward die Alte dicht vor den Sitz der Herren geführt. Mit hohen Worten und schweren Drohungen von Folterqualen wurde sie jetzt gedrängt, ein Geständnis abzulegen. Vom Ansetzen hungriger Mäuse an den bloßen Leib, vom Anfüllen ungelöschten Kalks nebst Wasser in Mund und Nase und, wie der Alte recht vermutet hatte, vom Ziehen über den gespickten Hasen war die Rede. Hans biß vor ohnmächtigem Grimm die Zähne zusammen, als diese Ankündigungen so kühl und gelassen von den Lippen des Richters fielen.
Jetzt schien die Alte aufzuwachen und zu begreifen, was ihr bevorstände. Ihre Augen öffneten sich vor Entsetzen, und sie preßte flehend die Hände zusammen, als sie verzweifelt rief: »Aber ihr Herren, das hab' ich ja nimmer getan! Weil ich die Heilkräfte kenne von so manchem Kraut in Wies' und Feld und vom alten Vater her Salben bereiten kann für die Wunden an Mensch und Vieh, so hab' ich oftmalen helfen können. Hab' auch niemalen Geld genommen, mein Häuslein, Garten und Acker gab mir mein täglich Brot und ein Obdach, daß ich in Frieden mit meinem Tochterkinde gelebt habe … O, Gritli!« jammerte sie dann plötzlich auf, »wo ist sie? Lasset das Kind doch nit allein unter den fremden rohen Menschen, es war ja noch niemalen von mir getrennt!« Die eigene Gefahr schien sie schon wieder völlig vergessen zu haben in der Sorge um das verwaiste Enkelkind, und angstvoll gingen ihre Augen im Kreise herum. Aber rauh fuhren sie die Gerichtsherren an. So schwächlicher Ausreden solle sie sich enthalten, durch Zeugen sei bewiesen und beschworen, welchen Hexenkünsten sie ergeben sei, sie solle jetzt gestehen, oder sie werde zur Folter abgeführt.
Hans von Uchtenhagen sah mit bebendem Herzen, daß der grauhaarige Stadthauptmann tief den Kopf senkte. Also Beweise für die Unschuld der alten Frau gab es nicht? Wer sollte ihr helfen? Aber als nun drüben der Gerichtsherr mit donnernder Stimme zum letzten Male verlangte, daß die Alte ihre Schuld eingestehen solle, schien sie ihre Ruhe wieder zu gewinnen. Sie hob den Kopf und sagte: »Ich hab' kein Uebels begangen!«
Auf den Befehl des Gerichts packten nun die Büttel die alte Frau und stießen sie vor sich her, der hinteren Schranke zu, wo sie auf die dunkle Tür mündete. Da hielt es den warmherzigen jungen Ritter nicht länger. Ihr selbst zu helfen, sah er sich außer stände, aber er rief ihr zu, als sie an ihm vorübergeführt wurde: »Sorget nit für Euer Enkelkind, ich will ihr helfen, daß böse Menschen ihr kein Leids tun!«
Er sah noch den dankbaren Blick aus den Augen der armen Verklagten, dann schloß sich hinter ihr die dunkle Tür, und er bahnte sich hastig einen Weg durch die dichte Menge ins Freie. Ehe er aber noch zum Ausgange gelangen konnte, hörte er einen Schrei aus jenem Raume dringen, der ihm vor Mitleid und Entsetzen das Blut heiß zum Herzen trieb. Dann stürzte er auf die Gasse hinaus und nahm den Weg zum Kerker, um nachzuschauen, was aus dem verwaisten Kinde geworden war.
Verwundert hörte der Schließer seine Frage. »Der Herr Stadthauptmann selbst hat uns befohlen, die Maid nit in den Gerichtssaal zu lassen. Als die Alte abgeführet wurde, ging das Kind mit bis zum Gerichtshause. Dort sah uns der Herr und redete dem Mädchen voll Güte zu, hier auf die Großmutter zu warten, er wollte es nach der Verhandlung selber holen lassen. Das Kind hat Vertrauen zum Herrn Stadtkommandanten, weil er öfter bei den Frauen geweilet hat. Darum gehorchte sie ihm und folgte mir zurück. Stand unter andern auch noch der andere Junker dabei, so gestern mit Euch hierher kam. Nach einem halben Stündlein kam er im Auftrage des Herrn Stadthauptmanns. Er solle das Mädchen in die Wohnung des Herrn bringen, bedeutete er mich, und sie ist ihm auch willig gefolget. Warum fraget nun auch Ihr nach dem Mädchen?« Mißtrauisch sah ihn der Schließer an.
Hans wußte vor Erstaunen nicht, was er sagen sollte. Sein Gefährte hatte das Mädchen zum Stadthauptmann gebracht? Er kannte ihn doch nicht, wie konnte er da in seinen, Auftrage handeln? Das häßliche Gebaren des Quitzowers vom verflossenen Tage fiel ihm wieder ein und machte ihn argwöhnisch. Zum Schließer aber sagte er ruhig: »Es ist recht, wenn der Auftrag schon vollführet ist, den ich ausrichten wollte.« Dann verließ er den Kerker.
Eine gewaltige Unruhe aber trieb ihn draußen mit schnellen Schritten seiner Herberge zu. Wo er den Quitzower suchen sollte, wußte er zwar nicht, aber daß dieser nichts Gutes mit dem unerfahrenen Kinde vorhabe, war ihm zur festen Gewißheit geworden. Er kannte seinen rohen Sinn, nimmer brachte er aus gutem Herzen das Kind in den Schutz des Stadthauptmanns.
Wenige Schritte vor seiner Herberge traf er auf seinen Waffenknecht, der seine beiden Rosse, mit denen er aus der Schmiede kam, am Zügel führte. Er hatte ihm selbst am Morgen befohlen, die Tiere für das Abreiten nach der Heimat zu rüsten. Der Knecht wußte nichts vom Quitzower. Der Wirt in der Herberge war, wie so viele andere Bürger der Stadt, zur Gerichtsverhandlung gegangen, so konnte das Heimkommen des Junkers niemand bemerkt haben. Da durchfuhr ihn ein Gedanke. Er trat durch das Haus hindurch auf den Hof und in den Stall, wohin sein alter Dietrich soeben die Pferde brachte, und blickte in den Stand nach des Quitzowers Pferd. Es war nicht da.
»Wo ist der Gaul des Ritters?« fragte Hans den Stallknecht.
»Der Ritter ist mit ihm heimgekehrt,« antwortete der Knecht, erstaunt, daß der Gefährte das nicht wisse.
»Wann ist er aufgebrochen?«
»Just vor einer kleinen Weil', es wird ein halb Stündlein her sein.«
»Hat der Ritter dir gesagt, daß er heim gen Wittenberg reiten wollte?« fragte Hans weiter.
»Nein, Herr, aber er ging zum selben Tore hinaus, da Ihr eingeritten seid!«
»War er allein?«
Der Knecht grinste. »Nein, Herr, der Junker hatt' für kurzweilige Reisegesellschaft Sorge getragen. Ein Weibsbild war bei ihm!«
Heiß stieg der Zorn in dem jungen Ritter auf, als er so seinen Verdacht gegen den Gefährten bestätigt sah. »Rüste sogleich die Pferde,« befahl er seinem Dietrich, dann eilte er ins Haus, bezahlte bei der Wirtin seine Zeche und gab an, daß er wohl vor Nacht noch einmal zurückkehren würde. Der Knecht führte die Pferde vor und war erstaunt, daß sein junger Herr, statt den beabsichtigten Heimweg einzuschlagen, wieder zum Wittenberger Tore hinausstrebte, daher sie gekommen waren. Als sie aber das Wirtshaus im Rücken hatten, weihte Hans mit eiligen Worten seinen alten Getreuen ein, welchen schändlichen Plan der Quitzower Junker vorhabe, und schloß: »Du mußt mir beistehen, alter Dietrich, daß wir das schuldlose Kind aus seinen Händen befreien. Die Gäule sind frisch beschlagen, nun mögen sie zeigen, was sie können, den elenden Mädchenräuber einzuholen.«
»Es ist eine schändliche Tat, Herr, wohl, wohl! aber da lockert nur Eure Waffe, ohne Schwertstreich geht das nimmer ab!« Und dann ließen sie die Rosse ausgreifen, daß die Funken stoben. Manchen ruhig dahintrabenden Reiter überholten sie, aber der Gesuchte war nicht unter ihnen, und immer brennender richteten sich ihre Augen in die Weite, den Räuber zu erspähen. In einem Dorfe, das sie soeben durchritten, erfuhren sie von einem alten Weiblein, das am Wege die Gänse hütete, daß ein Reiter vor kurzer Weile durchgekommen sei, der eine Maid vor sich auf dem Sattel gehabt habe. Ihr hab's geschienen, daß sie jämmerlich geweint habe. Da waren sie zufrieden, daß sie doch auf dem rechten Wege seien, und spornten aufs neue ihre Rosse. Eine Viertelwegstunde vom Dorf überholten sie den Quitzower. Als er die Hufe ihrer Rosse hinter sich klappern hörte, wandte er sich um und rief, scheinbar erstaunt, aber ohne anzuhalten: »Halloh, was wollet denn ihr noch auf der Wittenberger Landstraße? Vermein', ihr trabet längst eurem Fryenwolde wieder zu!«
»Gib die Jungfrau heraus, Quitzower!« rief Hans, ohne sich an die Worte des Junkers zu kehren, und mit ein paar gewaltigen Sätzen trieb er sein Pferd an die Seite des anderen, um ihm in die Zügel zu fallen.
»Was geht denn dich Milchbart das an!« schrie der roh zurück und spornte heftiger sein Roß an, so daß es schmerzgepeinigt dahinsauste und die todblasse junge Gestalt vorn im Sattel des Quitzowers hinabzufallen drohte. Aber gewaltig packte der derbe Junker wieder mit dem linken Arme zu, während die Rechte die Zügel hielt und er mit lauten Zurufen sein Tier hetzte. Aber mit Blitzesschnelle war der alte Dietrich an seiner Linken und riß mit gewaltiger Faust das Pferd zurück, während Hans dem Räuber von rechts den Weg verlegte und ihn mit donnernder Stimme anschrie:
»Der Milchbart befiehlt dir, das Kind herauszugeben!« Dabei sah er, daß das arme Mädchen ohnmächtig in den Armen des Quitzowers lag.
»Und was hast denn du für ein Recht auf die Dirne?« höhnte der zurück, während er gewaltig bemüht war, die Zügel seines Tieres frei zu bekommen, die der alte Waffenknecht fest wie im Schraubstocke hielt. »Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Sie ist herrenlos Gut, und ich habe sie zuerst aufgegriffen. Mußt früher aufstehen, Milchbart, wenn du dir 'ne Dirne greifen willst zum Plaisier!«
»Zum letzten Male, gib das Kind heraus!« rief Hans zornig zurück. »Der alten Großmutter habe ich die Sorge für die Waise angelobt, und ich bringe sie zum Stadthauptmann zurück!«
»Niederträchtiger Lügner!« schimpfte der Quitzower zurück, aber in demselben Augenblicke hatte der alte Dietrich ihm die ohnmächtige Mädchengestalt entrissen und auf sein eigenes Pferd herüber genommen.
Schäumend vor Wut riß der Junker sein Schwert aus der Scheide, als Hans zornflammend auf ihn eindrang: »Den ›Lügner‹ nimmst du zurück, oder ich zahle ihn dir heim!« rief er, aber mit rohem Geschrei übertönte ihn der andere:
»Du gibst mir die Dirne heraus, oder ich spalte dir den Schädel auf der Stelle!« Gewaltig trafen sie aufeinander, und mit Sorge blickte der Waffenknecht auf seinen so viel schmächtigeren jungen Herrn, der der bärenhaften Stärke des andern kaum gewachsen war, wenn es ihm auch nicht an großer Gewandtheit im Fechten fehlte. Bei einem Zweikampfe durfte er seinem Junker nicht zu Hülfe kommen, das wußte er.
Hans hatte sich anfangs nur gedeckt und sich auf die eigene Verteidigung beschränkt, aber mit vor Wut entstellten Zügen und rollenden Augen drang sein Gegner immer näher auf ihn ein, und jetzt drang ihm sein Schwert in die Schulter, so daß er im ersten Schmerze den zur Verteidigung ausgestreckten rechten Arm sinken ließ. Diesen Augenblick benutzte der streitgewohnte Quitzower, schwang wütend sein Schwert auf das unbedeckte Haupt des Jüngeren, von dem das Barett beim wilden Kampfe herabgeglitten war, und nun war es um sein Leben geschehen. Aber mit gewaltiger Stimme rief der alte Waffenknecht dazwischen: »Junker, unterlieget einem schändlichen Räuber nit, Ihr seid der letzte eures Stammes!« Und ehe noch der tödliche Hieb herabsausen konnte, fuhr Hansens Klinge dem Quitzower in den Hals. Ein dunkler Blutstrahl schoß hervor, und mit einem Röcheln sank der zum Tode Getroffene hintenüber vom Pferde.
Der alte Dietrich, der vom Pferde gesprungen war und die ohnmächtige Mädchengestalt in das Gras am Wegrande gebettet hatte, sprang hinzu und fing den sterbenden Quitzower auf. Auch Hans glitt eilig von seinem Rosse, warf das blutige Schwert beiseite und wollte Dietrich beistehen, der den Röchelnden zur Seite trug. Aber der Alte lief: »Beflecket Euer ritterlich Kleid nit mit dem Blut eines Schelmen und Räubers, Junker, es ist bald aus mit ihm.«
Bleichen Antlitzes stand Hans neben dem Sterbenden: »Er stehet bald vor Gottes Richterstuhl, Dietrich, laß uns Fürbitte für seine Seele tun.«
»Nun, Herr, es ist eines Christenmenschen Pflicht,« brummte der Knecht, »aber …,« er zog seine Kappe vors Gesicht und sprach den Schluß nicht aus, den er dachte: wenn der gerechte Gott solche Schelmen, die so unbußfertig sterben, in die ewige Seligkeit aufnimmt, dann wollt' ich nit hinein. Er sah, daß der Quitzower in den letzten Zuckungen lag und der Junker Hans mit leiser Stimme ein Sterbegebet sprach, so fiel auch er ein, aber sonderlich bewegt war sein Herz nicht dabei.
»Ich reite in das Dorf zurück, Dietrich, und bringe einen Wagen, die Leiche darauf zu betten, sieh zu, daß du derweilen das Kind ins Leben zurückrufest, dort fließet eine Quelle!« Hans von Uchtenhagen saß auf und eilte in das eben durchrittene Dorf zurück, und dem Knechte gelang es trotz seiner Ungeschicklichkeit, die Waise mit frischem Wasser wieder ins Bewußtsein zu bringen. In halber Betäubung hielt sie das über sie gebeugte bärtige Gesicht des Knechtes wohl noch für das ihres Räubers und schrie wieder angstvoll auf. Aber der Knecht brummte gutmütig: »Sei sie nur ruhig, Jungfer, wir meinen's gut und bringen sie wieder gen Leipzig zurück!«
Zitternd richtete das Mädchen sich auf und fragte, wer er sei. Der Knecht bot ihr noch einmal seinen Lederbecher mit frischem Wasser, wies darauf ernst auf die am jenseitigen Wegrande liegende Leiche und erzählte kurz, was zu ihrer Rettung unternommen sei. Das Mädchen bebte vor Schreck am ganzen Körper:
»Und meine gute alte Großmutter, ist sie frei?« stammelte sie dann.
»Von ihr weiß ich nichts, das wird Euch mein Junker sagen, sobald er wiederkommt,« sagte Dietrich.
In kurzer Zeit langte Hans mit zwei Wagen an. Den einen leitete der Dorfschulze, eine kurze, knorrige Bauerngestalt, den andern hatte der junge Ritter für das geraubte Mädchen bestimmt, daß sie darauf nach Leipzig zurückkehren konnte.
»Es ist in unserm Dorfbanne geschehen, Herr Ritter,« sagte der Schulze und faßte mit dem Führer des zweiten Wagens an, die Leiche auf seinen Wagen zu heben. »Der Tage drei will ich verstatten, daß die Leiche in unserm Glockenhause bleibe. Ihr saget, der Tote sei nit kursächsischer Untertan. Hat aber die Sippe den Toten nach dreien Tagen nit begehret, muß beim kurfürstlichen Gericht Anzeige verstattet werden. Denn so wird er als ein Schelm und Räuber an der Kirchhofsmauer verscharret. Aber Euer Zeugnis müsset Ihr und Euer Knecht beim Herrn Stadthauptmann geben. Lorenz,« wandte er sich an den andern Bauern, »auch du gibst Bericht beim Herrn Stadthauptmann, wenn du die Jungfer zu ihm bringest, daß du mit deinen Augen erschauet hast, daß der tote Räuber dort durch unser Dorf geeilet ist, eine Maid vor sich auf dem Sattel. Ob sie geraubet oder gutwillig ihm gefolget, ist des Herrn Stadthauptmanns Sache zu erkunden.«
»Ich bin nimmer gutwillig mit ihm aus Leipzigs Toren gegangen,« weinte Gritli auf. »Er hat mir im Kerker berichtet, er käme vom Herrn Stadthauptmann und solle mich zu ihm bringen, und ich hab ihm Glauben geschenket, bis er mit mir zur Stadt hinaus wollte. Da hat er mich mit Gewalt auf sein Pferd gehoben und sich auch hinaufgeschwungen, und wie ich ihn auch angeflehet habe, mich zur alten Großmutter zu lassen, er hat nur gelacht und gesagt, ich solle mit ihm nach Wittenberg reiten, die Großmutter braucht' mich nimmer!«
Die Männer sahen sich bedeutungsvoll an, dann trieb der Dorfschulze seine Pferde an und sagte zu Dietrich: »Ihr müsset als Bürge im Dorfe bleiben, bis Lorenz zurückkehret und Befehl vom Herrn Stadthauptmann bringet, und Ihr, Herr Ritter, werdet eilen!«
Hans von Uchtenhagen nickte nur stumm, warf noch einen Blick auf das entstellte starre Angesicht des Quitzowers und trabte, nachdem Dietrich seine leichte Wunde verbunden hatte, eilig neben dem Wagen nach Leipzig zurück.
Der Abend brach schon herein, als sie vor dem Hause des Stadthauptmanns hielten. Ein Knecht trat heraus und fragte nach ihrem Begehr. Hans verlangte, sofort vor den Stadtkommandanten geführt zu werden, und als das geschah, fand er den alten Ritter unruhig in seinem Gemach auf und nieder schreiten, während er einem Schreiber einen Befehl in den Gänsekiel diktierte. Hans teilte in wenigen Worten mit, was ihn so spät noch herführe, und der Hauptmann trat sofort eifrig näher und sagte zum Schreiber: »So packe dein Gerät ein, wenn das Kind gefunden ist!«
Der Schreiber verließ das Gemach, und der Stadthauptmann rief ihm den Befehl nach, das Mädchen samt dem Bauern, der es gefahren, hereinzuschicken. Ernst hörte dann der Ritter dem Berichte zu, und als Hans mit der Frage schloß: »Lebet die Verklagte noch, Herr Stadthauptmann?« sagte er düster: »Sie ist der Folterqual auf dem gespickten Hasen erlegen, die mürben alten Knochen waren den Qualen nimmer gewachsen; ich kann das Mägdlein morgen nur an ihre Leiche führen.«
Hans preßte stumm die Lippen zusammen. Dann trat die Waise ein, und Hans vernahm die bewegte Stimme des alten Ritters, der das Mädchen väterlich bei der Hand ergriff, und als er in den traurigen Augen die angstvolle Frage nach der einzigen Person las, die das verlassene Kind noch auf der Welt hatte, sagte er tröstend: »Diese Nacht bleibest du in meinem Hause und bei meiner Ehegattin, morgen aber führe ich dich zur Großmutter!«
Er winkte Hans, ihm zu folgen, dann trat er mit Gritli aus der Schreibstube in seinen Wohnraum, wo eine freundliche weißhaarige Edelfrau mit besorgtem Angesicht ihnen entgegentrat und ihrem Gatten das verwaiste Mädchen abnahm. Sie brachte es in ein Nebengemach, und die beiden Ritter hörten sie bald lebhaft eine Dienerin herbeirufen, dem Mädchen Speis und Trank zu bringen. Hans atmete auf. Hier war das verwaiste Kind in den besten Händen, und der Stadthauptmann sagte, seine Gedanken erratend: »Sobald wir dem Kinde schonend von dem Ende der Großmutter Mitteilung gemacht und die Leiche der Erde übergeben haben, behalten wir sie im Hause. Wir wollen ihm das kleine Erbe erhalten, so der Verklagten gehörte, und sie soll als Dienerin meiner Ehegattin ständig um sie sein. Es wird eine lange und schwere Betrübnis für das arme Kind sein, aber die linde Hand meiner viellieben Frauen hat so manch betrübt Herz schon getröstet. So wir noch einige von der Sippschaft des Kindes erfragen können, wollen wir es an Eifer nimmer fehlen lassen.«
Hans neigte sich ehrerbietig über die ihm dargereichte Hand des Stadthauptmanns, dann berichtete er mit kurzen Worten, daß er die Nacht noch aufbrechen wolle, um zur rechten Zeit dem Vater des Getöteten Kunde zu geben, wo die Leiche ruhe, auf daß sie in der heimatlichen Erde ein ehrlich Begräbnis finde.
Der Stadthauptmann blickte ihn ernst mahnend an: »Das wird ein schwerer Weg für Euch, Junker! Wollet Ihr nicht einen andern senden?«
»Ich halte es für meine Ritterpflicht, Herr!« erwiderte Hans. »Ein Fremder möchte nimmer so eilen, die Botschaft auszurichten, und da meine Hand ihn töten mußte, will ich all mein Bemühen daransetzen, daß er in heimatliche Erde komme, da ihn die Bauern sonst wie einen Schelm verscharren.«
»Schande genug, daß man von einem Ritter sagen muß, er habe auch nur ein Schelmenbegräbnis verdienet,« sagte der greise Stadthauptmann mit finster gerunzelter Stirn. »So lasset uns eilend das Pergament über den Fall aufnehmen, und dann erfüllet Eure Christenpflicht!«
Er schritt wieder hinüber in die Schreibstube, wo der Bauer noch wartete, und als der Schreiber nach des Hauptmannes Befehl alles aufgesetzt hatte, entließ dieser mit väterlichem Händedrucke den jungen Ritter und sprach: »Reitet mit Gott!«
Kurze Ruhe gönnte Hans seinem braven Tiere, das heute schon einen tüchtigen Weg zurückgelegt hatte, und stärkte auch sich nach der Erregung dieses Tages. Um Mitternacht aber brach er auf, und während die Sterne der klaren Herbstnacht ihm zu Häupten funkelten, ritt er in schweren Gedanken dahin, wie er mit seiner düsteren Botschaft werde im Vaterhause des toten Quitzowers aufgenommen werden. Er wußte, dieser war der Lieblingssohn des alten Burgherrn auf Blumental.
Um die Mittagszeit des folgenden Tages langte er nach scharfem Ritt erschöpft vor der Burg an, und auf sein Begehr, vor den Ritter von Quitzow geführt zu werden, ließ der Torwart die Brücke herunter. Zwei Knechte geleiteten ihn in den Burghof, wo er vom Rosse stieg und die Knechte bedeutete, zurückzubleiben. Nah dem Wartturme stand eine mächtige Linde, und auf einem Bänklein darunter saß im Herbstsonnenscheine der grauhaarige Ritter von Quitzow.
Durch einen Torbogen blickte Hans in einen zweiten Hof, wo alles geschäftig war, die letzten Feldfrüchte in den Vorratsräumen zu bergen. Ein Reiter im Hauswams, wohl einer der Brüder des Getöteten, befehligte die Leute. Zagenden Fußes schritt Hans auf den alten Ritter zu, dessen wenig freundliche Züge ihn im Näherschreiten scharf musterten.
Als Hans sein Barett gezogen und seinen Namen genannt hatte, fragte der Ritter kurz: »Kenne Euren Namen wohl, nenne ihn nit unter denen meiner Freunde. Ihr bringet mir nimmer frohe Botschaft ins Haus! Was soll's heute?«
Da berichtete Hans mit kurzen Worten, was vorgefallen, und sagte, sich hoch aufrichtend: »Ich habe es für den getan, der edlen Bluts wie ich geboren und durch mein Verschulden nimmer wie ein Räuber soll verscharret werden. Eilet, daß Ihr die Leiche berget, ehe die Bauern ihn an der Kirchhofswand verscharren, und vergebet mir, daß ich ihn töten mußte!«
Mit einer ernsten Verneigung wollte er gehen, aber der alte Ritter, der bisher bewegungslos und mit ehernem Gesicht zugehört hatte, hob bei seinen letzten Worten mit rollenden Augen plötzlich beide Fäuste gegen ihn und schrie mit entsetzlicher Stimme: »Vergeben dem Mörder? Verfluchet seist du und dein Geschlecht auf ewig. Verdorren möge dein Sproß und alles, was deines Blutes ist, auf daß es getilget sei von der Erde!«
Die Stimme versagte dem alten Ritter, und mit dumpfem Stöhnen fiel er auf seine Bank zurück, während aus dem Hofe die Burgleute bestürzt herbeieilten. Totenbleich, mit zuckenden Lippen wandte sich Hans, und sein Roß am Zügel ergreifend, verließ er wankenden Schrittes den Burgbann des Quitzower Geschlechtes.
Der Herbststurm brauste um den alten Schloßberg zu Fryenwolde. Aechzend und stöhnend bogen sich die alten Bäume und schütteten Regenschauer auf den einsamen Reitersmann hernieder, der unter ihnen dahinritt. Nur spärliche Lichter blinkten von Burg Malchow hinab, die den Gipfel des Berges krönte. Tief hatte der Reiter das Haupt gesenkt. Er achtete es nicht, daß der Sturm immer wieder den Mantel emporriß und der Regen seine Kleidung gründlich durchnäßte. Schwere, düstere Gedanken mußten ihm den Sinn bewegen, denn als das Roß nun vor dem äußeren Tore der Burg Halt machte, fuhr er verstört in die Höhe und strich sich über die Augen, als müsse er sich erst besinnen, wo er sei. Dann aber atmete er tief auf, nahm sein Schwert und klopfte an das schwere eichene Tor.
Ein kleines Fenster öffnete sich oben im Wartturm, und durch den Sturm kaum vernehmbar, der hier auf der Höhe besonders brauste, scholl die Stimme des Torwarts herab: »Wer begehret Einlaß?«
»Der Sohn des Burgherrn, Hans von Uchtenhagen, kehret heim,« entgegnete der Reitersmann, und ein Ruf des Staunens drang von oben hernieder.
Nach kurzer Weile wurden Schritte im äußeren Torgange hörbar, ein Schlüssel fuhr ins Schloß, und knarrend drehte sich die kleine Eichenpforte. »Seid Ihr's denn wirklich, Herr Junker?« sprach der Türmer.
Hans von Uchtenhagen war vom Rosse gesprungen und stand jetzt dicht vor ihm. »Ja, ich bin's leibhaftig, Wenzel,« antwortete er, und nun der Türmer die Stimme seines jungen Herrn erkannte, öffnete er weit die Pforte, um Reiter und Roß hindurch zu lassen.
»Gott sei gelobet, daß Ihr heimkehret, Herr Junker,« sprach er, »es wird dem alten Herrn Ritter von Herzen wohltun.«
»Wie steht's mit dem Ergehen des Herrn Vaters?« fragte der jüngere und überließ dem Torwart die Zügel des Rosses.
»Der Herr Ritter hat mit Gebresten zu kämpfen und ist seit etlicher Zeit nit wohl. Vor wenig Tagen erst ist ein reitender Bote gen Wittenberg abgegangen mit einem Schreiben des Herrn, so Euch zurückrufen sollte.«
»So wird er dort in meiner Herberge erfahren, daß ich bereits auf dem Heimwege war,« entgegnete Hans. »Pflegt mein Herr Vater schon der Ruhe?«
»Vor einem Viertelstündlein brachte ich ihm die Schlüssel der Burg hinein; da weilte Guisbert von Neuschild, unser Burgvogt, bei dem Herrn, ihm Briefe, so für das Lehen eingetroffen waren, vorzulesen und Bericht zu erstatten, wie es draußen in Wald und Feld stehet. Wollte just auch die Zugbrücke noch hinaufziehen. Seid noch vor Toresschluß angelangt, Herr Junker; bei dem Sturmwinde hättet Ihr lange vor dem äußeren Graben warten müssen, sobald die Brücke aufgezogen und die Lichter erloschen waren.«
»So sorg' gut für den Gaul,« befahl der Junker, trat in die Halle, die noch matt erleuchtet war, und warf den regennassen Mantel ab. Eine breite Stiege führte in den oberen Gang der Burg, der auf das Zimmer des Burgherrn, Ritters Hans von Uchtenhagen, mündete. Mit festen Schritten, aber klopfendem Herzen, schritt der Sohn des Hauses den Gang entlang und pochte an die Tür.
Ein verwunderter Ruf drinnen rief ihn hinein. Einen so späten Ankömmling schien man nicht erwartet zu haben. Er öffnete die Tür und trat in das von Kerzenlicht matt erleuchtete Gemach. In einem dunklen gepolsterten Sessel lehnte die Gestalt eines offenbar kranken älteren Mannes. Im Lichte der Kerzen erschien sein Gesicht förmlich gelb, die Hände, die auf den Lehnen ruhten, zeugten in ihrer wachsbleichen Farbe von längerer Krankheit. Neben ihm saß ein jüngerer stattlicher Ritter mit keck gedrehtem Bart und lebhaften braunen Augen. Mit einem lauten Aufschrei begrüßte der Kranke den Sohn des Hauses, der zum Vater stürzte und ihn bewegt umschlang. Lebhafte Ausrufe und Reden wechselten hin und her. Der Sohn war erschrocken, den Vater so krank zu finden, den er vor zwei Jahren als rüstigen gesunden Mann verlassen hatte, und der Vater fragte erstaunt, wie der Sohn habe so schnell heimkehren können, da sein abgesandter Bote Wittenberg noch kaum habe erreichen können.
»Lasset mich morgen ausführlich berichten, Herr Vater, was mich selbst bewog, schon heimzukehren, eh' Eure Botschaft mich erreichte. Es ist spät geworden, und Ihr seid bei Eurer Krankheit der Ruhe bedürftig.«
Den Burgvogt hatte der Junker ebenfalls freundlich begrüßt, der wie ein jüngerer Freund des Hausherrn seit mehreren Jahren auf der Burg lebte und sich bald nach der Begrüßung zurückgezogen hatte, um die Unterredung zwischen Vater und Sohn nicht zu stören. Jetzt rief Junker Hans den alten Waffenknecht seines Vaters herein, und sie brachten den Kranken zur Ruhe. Ehe sich der Sohn aber für die Nacht vom Vater verabschieden wollte, zog ihn dieser vom Lager, da sie ihn gebettet hatten, an der Hand zu sich herab und sagte mit freudig bewegter Stimme:
»Deine Heimkehr wird mich wieder genesen lassen, mein Hans. Die Einsamkeit und die Krankheit der letzten Monde hatten mir das Herz verdüstert. Deine frische Jugend fehlte mir überall. Jetzt werden die Sorgen für das große Lehen mich nit mehr so schwer drücken, nun deine Jugendkraft mir zur Seite stehet. Morgen wirst du mir viel Fröhliches berichten von deinem Ergehen und der Wissenschaft, so du zu Wittenberg getrieben hast. Schlaf wohl in der Burg deiner Väter, mein Sohn!«
Mit friedlichem Ausdruck in dem kranken, frühzeitig gealterten Gesicht legte sich der Burgherr in die Kissen zurück. Bald senkte sich der Schlummer, der ihn schon so viele Nächte geflohen hatte, auf seine Augen.
Der Erbe der Burg aber warf sich auf seinem Lager ruhelos hin und her. So wie der Sturm draußen um die Türme und Giebel brauste, so jagten sich die Gedanken in Kopf und Herz und ließen Bilder vor seiner Seele erstehen, die bis weit in seine Knabenzeit zurückreichten und ihn den friedlichen Schlaf nicht finden ließen. Er mußte dem Vater morgen gestehen, was geschehen war, daß abermals ein Uchtenhagen sein Ritterschwert mit dem Blute des Nächsten befleckt hatte.
»Aber,« begehrte sein ungestümer Mut auf, »es war im Kampfe für eine gerechte Sache geschehen. Es war Ritterpflicht, für die bedrängte Unschuld einzustehen. Aber wie würde es der alte Vater aufnehmen?« – Und eine düstere Erzählung aus seinen Knabenjahren und halberloschene Erinnerungen wachten auf, wie der Oheim, des Vaters Bruder, im Jähzorn den jungen Schwäher erschlagen, und der düsteren Jahre aus seiner Knabenzeit besann er sich, da das schwere Leid über den Tod des Oheims, und des eben vermählten Gatten der jugendlichen Muhme, dem auch bald der ihrige gefolgt war, nicht aus dem Hause hatte weichen wollen. Fröhlicher war dann das Leben auf der Burg geworden, als die beiden jungen Basen zu Edelfräulein herangewachsen waren und mancher schmucke Ritter vom Hofe des kurfürstlichen Herrn auf Burg Malchow einkehrte. Es hatte auch nicht lange gewährt, da waren die jungen Basen als Ehegattinnen zwei stattlichen und tüchtigen Rittern gefolgt, und als er selbst nun herangewachsen war und der mütterlichen Hand nicht mehr bedurfte, da hielt es die Muhme Barbara nicht länger, sie folgte dem Rufe der Töchter, in deren Hause eine fröhliche Kinderschar aufwuchs, die ihrem Großmutterherzen am nächsten stand. Er selbst war einige Zeit auf das Lehen des Schulenburgers gesandt, in allen Rittertugenden geübt zu werden, aber die Burg lag nahe, und oft kehrte er zum Vater zurück, mit seiner frischen Jugend und seinem fröhlichen Lachen den Ernst und die Sorgen von der Stirn des Ritters zu scheuchen, die ihm die Verwaltung des großen Fryenwolder Lehens bereitete. Nun er zu Wittenberg im Studium der Rechte erfahren war und dem Vater in der Verwaltung des großen Lehens besser zur Seite stehen konnte, sollte dem alten Ritter noch ein fröhlicher Lebensabend erblühen, da er ihm als Sohn die Sorgen abnehmen konnte, und der Vater im fröhlichen Jagen und anderen ritterlichen Künsten Entschädigung für sein langes, arbeitsreiches Leben finden sollte. Aber nun fand er den Vater so krank vor, und wie Bergeslast legte sich der schaurige Fluch des alten Quitzowers auf seine Seele. Sollte, durfte er das dem jetzt so leidenden alten Vater sagen? – Nein, er mußte es verschweigen. – Aber ein alter Wahlspruch des Vaters fiel ihm ein:
»Ueble Botschaft auf der langen Bank
Macht dem Wirte und dem Gaste das Herze krank.«
Der Vater, der ihn so genau kannte, würde ihm ja doch anmerken, daß er bedrückter Seele sei. Nein, er mußte, er wollte alles ehrlich gestehen, wenn er's auch so schonend wie möglich dem Kranken beibringen wollte. Mit diesen Gedanken fand er endlich gegen Morgen etwas Schlaf.
Blaß und übernächtig saß er in der Frühe des nächsten Morgens dem Vater gegenüber und suchte dessen besorgtem Fragen mit fröhlichen Worten zu entgehen, der lange Ritt bei dem wilden Wetter der letzten Tage habe ihm die Glieder sehr mürbe gemacht. Aber er hatte recht gehabt, er konnte dem Auge des Kranken nicht lange verbergen, daß nicht alles bei ihm sei wie ehedem. Als die Schaffnerin die Frühmahlzeit abgetragen hatte, gebot der Ritter dem Sohne, sich neben ihn zu setzen und ihm von allem Ergehen der beiden letzten Jahre, während deren er nur sparsam Briefe von Wittenberg gesendet, zu berichten.
Mit zustimmendem Kopfnicken folgte er der Erzählung des Sohnes, wie er seine Studien unter den hochgelahrten Herren für die Verwaltung des großen Lehens getrieben hatte. Aber als er von dem Leben der jungen Scholaren berichtete, wie es wüst und zuchtlos in den Wirtshäusern war, schüttelte er sehr ernst den Kopf.
»Ihr wisset, Herr Vater,« fuhr Hans fort, »ich hab' niemalen Freude an so ungefügigem Trinken gefunden, das nur den Sinn beschweret und die Glieder auftreibet. Aber meine Gesellen dort sagten, »übergroß trinken ist ain ehr, für kain oder unlob zu achten«, das hätten berühmte und hochgelahrte Leute in ihren Schriften geschrieben. So ich hin und wieder ein Gelüste hatte, bei einem Krüglein Wein mit Freunden oder Gesellen zu plaudern oder des Austausches zu pflegen über die Wissenschaft, so wir betrieben, hatten sie bald weinschwere Köpfe, und statt von den Wissenschaften erzählten sie nur Trinkgeschichten, vom Kaiser Karl V., der zur Fürstenversammlung nach Regensburg mit dreitausend Eimern Wein gekommen sei, daß der Ritter Hans von Schweinichen ein gar stattlicher Ritter sei, den alle jungen Scholaren sich zum Muster im Trinken nehmen sollten. Erzählten vom großen Heidelberger Faß, daß 132 Fuder fasse, und daß ein noch größeres auf der Feste Königstein sei, darin 850 Fuder Platz hätten. Dann sangen sie lüderliche Schwänklein, und mir ward ihre Gesellschaft leid, so daß ich wieder heimkehrte in meine Herberge.«
»Aber dein Kamerad, der Otto von Quitzow, mit dem du Edelknappe bei dem Schulenburger warest,« fragte der Ritter, »trieb auch er es so toll wie die anderen Scholaren?«
Hans ward blaß. »Gar viel besser trieb er's nit und hörte auch nit auf mein Vorhalten, vermeinte, er bliebe noch etliche Jahre zu Wittenberg, und da sei Zeit, der Rechtsgelehrsamkeit zu pflegen, jetzt wolle er mit den heiteren Gesellen erst lustig leben.«
Der alte Ritter schüttelte wieder den Kopf. »Der Schulenburger hat doch recht behalten, der Otto von Quitzow würde kein Ritter nach seinem Herzen. Der alte Vater hat den Jüngsten nit so in der Zucht gehalten, wie sich's für einen ernsten Ritter gebühret. Auch mir wollt' sein oft grobes Wesen nit eingehen!«
Hans berichtete nun weiter, daß ihn der alte Professor Eusebius in seinem Vorhaben bestärkt habe, das Studium des römischen Rechtes aufzugeben, daß nicht nach deutscher Art und grausam in der Ausübung sei. »Des deutschen Rechtes habe ich mich viel befleißiget, Herr Vater, und will überall der Gerichtsordnung Kaiser Karls V. in unserem Lehen zum Rechte verhelfen. Ist doch in brandenburgischen Landen noch viel Rechtsprechen nach alter deutscher Art und Sitte. Der Professor wies mir manch ein gut Buch, darin ich dem deutschen Rechte nachzuforschen vermöge, und empfahl mich einem Freunde, so an der Universität zu Frankenvorde lehret. Ich will mich noch weiter allein des Studiums befleißigen und dann etliche Male nach Frankenvorde reiten, mit dem Professor Austausch zu pflegen und seinen Rat zu hören.«
Der alte Ritter äußerte erfreut seine Zustimmung zu diesem Vorhaben des Junkers. Dann berichtete dieser eingehend von dem Hexenprozeß in Leipzig, und mit Unwillen und Entrüstung hörte der Burgherr zu. Zwischen seinen Worten aber fuhr er öfter mit der Hand nach dem Herzen, als fühle er dort einen plötzlichen Schmerz. Als der Sohn von dem hinterlistigen Raube des unschuldigen Kindes erzählte, ballte der alte Ritter mit zürnenden Augen die Faust, die auf dem Tische lag. Aber als Hans nun, wenn auch vorsichtig, von dem Zweikampfe erzählte, öffneten sich die Augen des Kranken immer weiter im Schreck, und als Hans dann berichtete, daß er in zorniger Erregung den Mädchenräuber niedergestochen hatte, schrie der alte Ritter markerschütternd auf, und sein Kopf sank gegen die Lehne des Sessels zurück.
Voll Entsetzen sprang der Junker auf und umfaßte die Schultern des Vaters. Mit gebrochenen Augen blickte der alte Ritter zu seinem Sohn auf und preßte fest die Hand auf das Herz. Noch bewegten sich seine Lippen, aber der Sohn verstand nicht mehr, was er sagen wollte. Ein dumpfes Stöhnen drang aus seiner Brust, dann zuckte seine Gestalt noch einmal zusammen, und das Haupt sank ihm auf die Brust. Ein Schlagfluß hatte den Kranken getötet. Mit verzweiflungsvollem Aufschrei warf sich Hans vor dem Vater nieder: »Ein Vatermörder, ein Doppelmörder!« klang es stöhnend von seinen Lippen.
Da öffnete sich die Türe des Gemaches, und der Burgvogt trat ein. Mit Schrecken gewahrte er, was geschehen war, brachte mit Hülfe der Dienstmannen den ohnmächtigen Junker auf sein Lager und bahrte den toten Burgherrn zur letzten Ruhestatt auf.
Lange Wochen lag der junge Burgherr in wilden Fieberphantasien und wußte nicht, was um ihn herum vorging. Der Medikus des Städtleins und ein zweiter Arzt aus Frankenvorde versuchten ihre Kunst, der Burgvogt Guisbert mit dem alten Waffenknecht des verstorbenen Ritters boten alles zu seiner Pflege auf, aber es schien, als ob der letzte Träger des Namens derer von Uchtenhagen nicht mehr von seinem schweren Siechtum genesen sollte. Mit unklaren Sinnen und verschleierten Augen lag er auf seinem Krankenbette. Erst als die Frühlingswinde über das Oderbruch hinwehten, neigte sich die Krankheit langsam zur Besserung.
Ein warmer Märztag schickte seine Sonnenstrahlen in die Gemächer der Burg und über das Gärtlein auf der Höhe des Schloßberges, als Hans von Uchtenhagen zum ersten Male mit wankenden Schritten sein Krankenzimmer verließ und auf den Arm des Burgvogtes gestützt das Gärtlein betrat. Alle Jugendkraft schien von ihm gewichen zu sein. Bleich war sein Antlitz, matt sein Auge und schwankend jede Bewegung. So ließ er sich auf einem Bänklein an der Mauer des Gärtleins nieder, wo der Blick weithin über das Städtlein Fryenwolde und das Oderbruch schweifte. Schon sangen die ersten Lerchen hoch oben im Blau des Himmels. Die Gelb-Veiglein blühten, und ein warmer Wind strich über die Höhen. Aber wenn sich auch in der Natur alles zu erneut freudigem Leben rüstete, im Angesichte des jungen Ritters leuchtete kein Schimmer der Freude auf. Jetzt fiel sein Blick auf die Kirche von St. Niklas, die drunten im Tal aufragte, unter deren Altar das Grabgewölbe seines Geschlechtes war. Seine Augen verdunkelten sich von Tränen, er preßte die Hände zusammen und sagte mit schwerer Stimme:
»Dort ruhet der treue, liebevolle Vater, den ich gemordet habe.«
»Sprechet nit mehr von Mord,« versetzte Guisbert. »Dem Tode kann auch die größte Liebe eines Sohnes nit gebieten, und seine Ursache war die Krankheit des Herrn Vaters, nit Ihr. Der Herr Ritter wußt' selbst nit, wie schwer sein Leiden war. Er wollt', so krank er sich fühlte, nit zu Euch nach Wittenberg senden, weil er Euch im Studium nit unterbrechen wollte. Aber als mir der Herr Medikus sagte, daß sein Herz völlig krank sei, ruht' ich nit, bis Ihr heimkamet. Und wie gut war es, daß Ihr früher aufbrachet von Wittenberg, denn wir geplanet hatten; so habet Ihr den Ritter noch lebend gefunden. Schwer würde es Euch das Gemüt bedrücket haben, währet Ihr nur zu seiner Leiche heimgekehret. Der Herr Medikus sagte, sein Leben zähle nur noch kurze Zeit.«
»Aber es war der Schreck über das, was ich dem Vater berichtete,« wiederholte Hans bekümmert, »was sein Ende beschleunigte. Wisset Ihr denn, wovon ich dem Vater zuletzt sprach?«
»Euer Waffenknecht hat es berichtet,« entgegnete der Burgvogt, »und in Eurer Krankheit habet Ihr wieder und wieder die Geschichte erzählet. So tröstet Euch nur, Ihr habet wie ein rechter Ritter gehandelt, dessen Ehre gebietet, die Schwachen zu schützen und das Recht zu verteidigen. Ihr wäret in der Notwehr, und nach deutschem Rechte blieb Euch kein anderer Weg. Hättet Ihr den Quitzower nit unschädlich gemacht, hätte er Euch getötet, und das unschuldige Kind wäre in seiner Gewalt gewesen. Ohne Streit wird auf dieser Erde dem Rechte nie zum Siege verholfen. So blicket nun getroster in die Welt hinaus, daß Eure Gesundheit wieder erstarke. Denket, Ihr seid der letzte männliche Sprosse Eures Geschlechtes und müsset mit fester Hand das Lehen leiten zum Wohl Eurer Untertanen.«
Auch der alte Waffenknecht seines Vaters wußte in seiner treuherzigen Weise den jungen Ritter zu trösten, und langsam, langsam siegte die Jugendkraft, und Ritter Hans von Uchtenhagen kehrte genesen wieder in das Leben zurück. –
Bei dem Frühlingssonnenschein und den linden Lüften kehrten nun auch häufiger umwohnende Ritter und Freunde des Uchtenhagenschen Hauses auf der Burg ein, um teilnahmsvoll zu forschen, wie es mit der Gesundheit des jungen Lehensherrn stände. Schon in den Zeiten seiner Krankheit hatten sie häufig Boten gesandt, nähere Nachrichten zu erkunden. Der Schulenburger und der Ritter von Sparr auf Burg Prenden aber waren etliche Male selber heraufgeritten und hatten, von Guisbert geleitet, am Krankenlager des jungen Burgherrn gestanden, ohne daß dieser sie erkannt hätte. So kehrten sie auch im Lenzmonde wieder auf Burg Malchow ein, und herzlich war ihre Freude, als Hans von Uchtenhagen, wenn auch noch blaß und langsamen Schrittes, so doch ohne weitere Stütze ihnen bereits in der Halle entgegenkam. Oben im Gemache des Burgherrn saßen sie dann vereint. Die Fenster waren weit geöffnet, und die linde Frühlingsluft lächelte herein und hob die dunklen Locken des Genesenden. Die beiden Freunde suchten mit heiteren Erzählungen und allerlei Zukunftsplänen das bedrückte Gemüt ihres jungen Wirtes aufzurichten. Vertrauensvoll hatte auch ihnen Hans von Uchtenhagen seine schwermütigen Gedanken über den plötzlichen Todesfall des Vaters ausgesprochen, aber auch sie getrösteten ihn, daß die Krankheit des alten Ritters und nicht sein Bericht sein Ende herbeigeführt habe. Beim Abreiten luden ihn die alten Freunde herzlich ein, sobald er ein Roß besteigen könne, sie auf ihren Burgen zu besuchen, und der Schulenburger fügte scherzend hinzu, daß alle Edelfrauen in der Runde von herzlichem Mitleid mit dem kranken jungen Ritter erfüllt seien, der weiblicher Pflege so ganz habe entbehren müssen. Eine große Zahl von ihnen wäre am liebsten hergereist, um mütterlich seiner zu pflegen.
Da reichte Hans mit dankendem Blicke dem neben ihm stehenden Guisbert von Neuschild die Rechte und sprach: »Freundestreue und mütterliche Sorgfalt hat mein lieber Freund hier in gar reichem Maße bewiesen, als er Tag und Nacht meine Pflege nit außer acht gelassen hat. Ihm hab' ich mein Leben nächst Gott aufs neue zu danken und meine weitere Lebenszeit wird nit hinreichen, das zu vergelten.« Mit guten Wünschen für das Freundespaar stiegen die Ritter dann zu Rosse, und heiter die Federhüte schwenkend, zogen sie den Schloßberg hinab.
Im Maimond waren die Kräfte des jungen Burgherrn so weit hergestellt, daß er den lange geplanten Besuch bei dem Ritter von Sparr unternehmen konnte. Der Ritt dauerte mehrere Stunden. Obgleich auf den Rat Guisbert von Neuschilds, der den Freund nun ständig begleitete, nur selten ein scharfes Traben unternommen wurde, so war doch Hans von Uchtenhagen ermattet und sah blaß und müde aus, als sie am Ziel anlangten. Aber nun zürnte er schon förmlich mit sich selbst, daß seine Kräfte noch zu keiner Anstrengung reichen wollten, so daß der Burgvogt ihn zur Geduld ermahnen mußte, weil nach so langer schwerer Krankheit und so ernster Gemütserschütterung die vollen Kräfte nicht so bald wiederkehren könnten.
Hans von Uchtenhagen wußte jedoch, daß die edlen Frauen von Sparr sein Kommen schon bemerkt haben mußten, gingen doch die Fenster der Burg, die zu den Frauenkemnaten gehörten, nach dem Hofe hinaus, wo sie abgestiegen waren. Vor ihnen aber wollte er besonders seine Schwäche nicht zeigen, und hoch aufgerichtet und mit zusammengebissenen Zähnen die Schmerzen in den noch matten Gliedern verbeißend, schritt er die breite Stiege hinauf, die in die Haupthalle der Burg führte. Sporengeklirr kam bereits die Stiege in der Halle hinab, und der Hausherr rief ihm von oben fröhlich einen Willkommensgruß zu. Auch ein feines älteres Frauengesicht zeigte sich oben am Geländer und nickte lächelnd in die Halle hinab, wo die Ritter sich begrüßten. Es war die Edelfrau von Sparr, die Hans seit der Zeit, da er Edelknappe bei dem Schulenburger Ritter gewesen war, nicht mehr gesehen hatte. Ungeachtet seines Sträubens zog der alte Ritter den Arm in den seinen und führte ihn sorgsam die Stiege hinauf, und wenn Hans, der glühendrot vor Beschämung war, sich sträubte, er sei nun kräftig genug, um solcher Stütze nicht mehr zu bedürfen, so polterte der alte Ritter gutmütig, er solle einem alten väterlichen Freunde gehorsam sein.
»Man merkt's, mein junger Rittersmann, daß Ihr der minniglichen Frauen Regiment nit kennet. So oft ich aus einem Treffen heimgekehret war und eine Hiebwunde irgendwo erhalten hatte, so hab' ich mich müssen geduldig pflastern und pflegen lassen, gab keine Widerrede gegen der Frauen Willen, und so bin ich auch hinabgeschickt worden, Euch heil und unversehrt in meiner liebwerten Ehegesponsin Kemnate zu bringen. Wäre ich nit gehorsam gewesen, in dreien Tagen hätt' ich kein freundlich Auge bei meiner gestrengen Hausehre gesehen.« Schalkhaft lächelnd erzählte er das mit einer Stimme, die die ganze Halle erfüllte, und oben stand die Burgfrau und drohte lächelnd mit dem Finger ob dieser Uebertreibung ihres Eheherrn. Als sie aber über die hohe Stiege droben angelangt waren und Hans sich ritterlich vor der alten Dame neigte, da fragte sie in sorgsam mütterlicher Art sofort, ob ihm der lange Ritt nicht Schaden getan habe. Ganz gerührt und beschämt von so herzlicher Fürsorge versicherte Hans, daß er sich nur ein wenig müde fühle. Mit gütigen Worten geleitete die Burgherrin ihn in das freundliche Frauengemach und schob ihm bereits einen weichgepolsterten bequemen Sessel hin, damit er sich behaglich niederlasse. Mit fröhlichem Plaudern nahmen die Freunde um in Platz, und bald trat die Schaffnerin herein, einen leckeren Imbiß zu bringen. Fröhlich ging Rede und Gegenrede hin und her. Dabei bemerkte Hans, der in der Nähe der Fensternische saß, auf einem Tischchen dort einen merkwürdigen Gegenstand, den er sich nicht zu erklären wußte. Es war eine runde festgepolsterte Rolle, von der, mit zahlreichen Nadeln gehalten, ein wunderfeines Gewebe herabhing. Eine große Zahl länglicher Hölzchen hing mit Fäden zur Rechten und Linken dieser Rolle. Solch ein wundersam Instrument hatte er noch nicht gesehen und, wißbegierig wie er war, fragte er schließlich die Edelfrau, was das bedeute.
»Man merket,« entgegnete statt ihrer der alte Ritter mit behaglichem Lächeln, »welch ein einschichtig Ritterlein Ihr seid, und daß Ihr lange nit in einem Frauenhaushalte weiltet. Habet Ihr noch nichts von Klöpfeln gehöret und von der Nürnberger Geschlechterfrau aus dem Hause der Elterlein? Hieß Barbara Uttmann, nachdem sie in die Ehe getreten, und war eine gar hochgemute Frau. Da ihr die Armut der Erzgebirgler, dahin sie gefreiet, so leid tat, ließ sie mit ihren reichen Geldern Spitzenklöpflerinnen aus Flandern kommen. Hat zu Annaberg im Sachsenland eine Spitzenschule erbauet, und die Klöpflerinnen lehren dort arme Frauen und auch Männer die feine Kunst. Insonderheit die katholische Kirche kauft für Meßgewänder und Kirchenschmuck viel von dem neuen Gewebe, und das ehemals so arme Gebirge hat allen Mangel überwunden, seitdem diese Spitzen dort gewebet werden. Drunten in Augsburg und Nürnberg, wo die reichen Geschlechterfamilien nit wissen, wohin mit ihrem Gelde, schmücken sie all und jed' Ding, Wäsche und Kleider, Betten, Tücher und Hauben mit Spitzen, ja, die Wagen und Sänften, und selbst die Decken der Pferde bleiben nit ungeschmücket. In den Klosterschulen wird die Kunst den Edelfräulein gelehret, und so sitzet auch unser Töchterlein viele Stunden vor dem Klöpfelkissen dort und fertigt das luftige Gewebe. Das Plätzlein dort im Erker ist das ihre. Meiner Hausfrau Augen reichen nit mehr zu so subtilem Tun, sie bleibet bei ihrem Spinnrädlein oder lehret die Mägde am Webestuhle.«
Hans wollte eine weitere Frage tun, als rasche Schritte draußen durch die Halle kamen und die Tür geöffnet wurde. Der junge Ritter Arndt von Sparr, des Hausherrn verjüngtes Ebenbild, stand auf der Schwelle, neben ihm ein hochgewachsenes Edelfräulein mit großen blauen Augen im Reitkleid und mit der Gerte in der Hand. Die Geschwister kamen von der Reiherjagd zurück. Arndt von Sparr trug den verkappten Falken auf der linken Hand. Auch die Geschwister begrüßten, wie es die Eltern getan hatten, den Uchtenhagener auf das Herzlichste. Sie entfernten sich dann für kurze Zeit, die Reitkleider gegen ein Hausgewand zu vertauschen. Dann kehrten sie in das Gemach der Hausfrau zurück, und der fröhliche Kreis um den Besuch vermehrte sich um die beiden jungen Menschenkinder.
Hans von Uchtenhagen ward es eigen wohl ums Herz, wenn das junge Edelfräulein gleich ihrer Mutter so mitleidsvoll die Augen auf sein blasses Gesicht heftete, und es ward ihm gar nicht schwer, als der Junker den Guisbert von Neuschild aufforderte, mit in die Rüstkammern, zu den Pferden und Jagdvögeln zu gehen, und die Edelfrau mit mütterlicher Sorgfalt befahl, daß Hans bei ihnen bleibe und sich ruhen solle. Er kam sich nach der langen trüben Zeit seiner Krankheit wie geborgen vor im Schoße dieser fröhlichen, so treugesinnten Familie, und in heiterster Stimmung begann er allerlei fröhliche Geschichten aus seiner Knappenzeit und dem Aufenthalt in Wittenberg zu erzählen. Dabei schnurrte das Spinnrädlein der Burgfrau, Sophie von Sparr hatte sich an das Klöppelkissen gesetzt, und in den knospenden Lindenbäumen vor den geöffneten Fenstern sangen die Vögel schmetternde Lenzeslieder. Unverwandt folgte Hans den feinen weißen Fingern der jungen Sophie, die die zierlichen Klöppel mit großer Gewandtheit hin- und herwarfen, so daß das feine Spitzengewebe unter ihrer Hand sichtlich vorwärtsschritt.
Sie war in mancherlei Künsten wohl erfahren. Das bemerkte Hans, nachdem der Abendimbiß in der grünen Hauslaube gehalten war, und der alte Ritter ein Schachbrett mit zierlichen Figuren brachte und die Tochter zu einem Spiel aufforderte. Während die anderen heiter plauderten, vertieften die beiden Spieler sich auf das eifrigste in ihre Beschäftigung, und Hans, der das Spiel ein wenig verstand, bemerkte mit Bewunderung, wie die Tochter dem Vater mit geschickten Zügen einen Vorsprung nach dem anderen abgewann.
Es währte nicht lange, da hatte sie das Spiel gewonnen und rief triumphierend: »Schach und matt, Herr Vater, und als Preis bekomme ich einen schönen neuen Zaum für meine Falada. Sie hat einen neuen Schmuck verdiente, denn sie hat mich so leichtlich über Moore und Sümpfe getragen, als wir heute den Reiher jagten, daß ich dem Arndt zuvorgekommen bin.«
»Da sehet Ihr, mein junger Freund,« sagte der alte Sparr, sich mit komischem Schrecke den grauen Kopf krauend, »wie solch ein alter Vater geplündert wird. Nit allein, daß er sich schändlich muß von dem schlauen Töchterlein für überwunden erklären lassen, er muß das Spiel auch noch hoch bezahlen.«
»O, ich vermeine,« versetzte Hans lächelnd, »das Vaterherz schenkt dem vieledlen Fräulein schon aus Stolz gern einen neuen Zaum, so sie so fröhlichen Erfolg von der Jagd mit heimbringet, da bedarf's nit erst des gewonnenen Spieles.«
»Ei, nun stehet Ihr der Begehrlichen nur noch bei! Ich bin gar nit gesonnen, so leichtlich Goldgulden für den Schmuck ihres Reitpferdes hinzugeben.«
»Herr Vater, sehet nach Euren Worten,« versetzte die Tochter neckend, »die Gulden sind allbereits ausgegeben, und der neue Zaum lieget in Eurem Gemach, da hilft Euch kein Streiten.«
»Ei, du Hexlein,« rief der Alte nun wirklich überrascht, »wie hast du das ausgekundschaftet? Trug doch den Schlüssel immer bei mir. Nit einmal die Mutter hat etwas erfahren.«
»Das ist mein Geheimnis,« frohlockte das Edelfräulein, »aber nun lasset mich nit länger warten, gebet mir den Schlüssel, Herr Vater! Nit wahr, ich darf den Zaum gleich holen und mich seiner erfreuen?«
Unter dem Lachen des fröhlichen Kreises griff sie in des Vaters Wams, was der Alte schmunzelnd geschehen ließ, und fröhlich ging sie mit ihrer Beute davon.
»Wie hat sie nur Kunde davon gehabt?« fragte der alte Ritter seinen Sohn. »Wir haben ihn doch mit aller Verborgenheit von Cöllen gebracht und langten in später Nacht an. Hast du dein Wort nit gehalten, Arndt, nichts davon zu verraten?«
»Ei, Herr Vater, ich hab' nit geplaudert,« versetzte der Junker lachend, »aber fragt nur Euren alten Waffenknecht, ob er ihr hat widerstehen können. Wißt wohl, daß sie ihn seit den Kinderjahren wie am Fädchen lenket mit Lachen und einem scherzenden Worte. Und was sie wissen will, erfährt sie von ihm. Er vermag nimmer, ihr etwas zu verschweigen.«
Da kehrte die junge Sophia auch schon freudestrahlend mit einem schönen Zaume von rotem Leder zurück, der mit allerlei blinkendem Zierrat geschmückt war. Sie zeigte ihn freudestrahlend der Mutter und den Gästen und dankte dem Vater in so liebreizender Art, daß die Gäste begriffen, wie des alten Ritters Herz so fest an der Tochter hing.
»Gleich morgen früh,« rief sie in ihrer Freude, »soll meine weiße Falada den schönen Zaum zur Probe tragen, und sobald Ihr reitet, Herr Vater, nehmet Ihr mich mit, dann wird meine Freude doppelt sein, mit dem schön aufgezäumten Tiere neben Euch herzutraben.«
Nun aber mahnte die Edelfrau zur Ruhe. Der Mond stand hinter den Bäumen des Burggärtleins, und in den Gebüschen schlugen die Nachtigallen. Der alte Ritter brachte selbst die beiden Gäste in ihre Gemächer hinauf, und lange noch lag Hans auf seinem Lager wach, indessen fröhliche Zukunftsgedanken sein Herz belebten. Die düstere Schwermut war von ihm abgefallen, und unter dem süßen Locken der Nachtigallen schlief er mit einem Lächeln um die Lippen ein.
Eine Reihe fröhlicher Tage verlebten die beiden Freunde auf der Burg. Während Guisbert von Neuschild mit dem jungen Ritter oft in Feld und Wald zum Fischen und Jagen hinausritt, blieb Hans viel bei den Edelfrauen, denn seine mütterliche Freundin schien in diesen wenigen Tagen nachholen zu wollen, daß frauliche Pflege ihm in seiner Krankheit gefehlt hatte, und die Tochter vermeinte, es der Mutter nachtun zu müssen, und ermahnte ihn in schwesterlicher Art, des langen Reitens und anstrengenden Fechtens sich noch zu enthalten, zu dem er oftmals große Lust bezeigte, wenn der Sohn des Hauses und der Burgvogt zu gegenseitiger Hebung einen Waffengang miteinander taten. Schwer ward ihm der Abschied, als er endlich auf seine Burg heimkehren mußte, weil die Lehensgeschäfte ihn dringend riefen. Waren sie durch seine lange Krankheit doch ohnehin nicht so sorgfältig wahrgenommen, wie es das Gedeihen der großen Herrschaft erforderte. Aber sein Versprechen, bald wiederzukehren, war so feuriger Art, und er schaute dabei so unverhohlen das Edelfräulein an, daß Sophia von Sparr über und über errötete und sich abwandte.
Der Heimritt ging viel schneller von statten als die Hinreise. Das fröhliche Gemüt, das der junge Ritter heimtrug, schien seine Kräfte auf das schnellste zurückzurufen, und wenn Guisbert ermahnte, das schnelle Reiten nicht zu übertreiben, so antwortete Hans freudestrahlend, er fühle keine Müdigkeit und möchte am liebsten in wiedergeschenkter Lebensfreude mit den Vögeln um die Wette fliegen. Mit Eifer gab er sich daheim den Lehensgeschäften hin, ritt mit Guisbert in die Dörfer und Weiler hinaus, ordnete und schlichtete manchen Streit, der um Grenzen und Vorrechte unter den Bewohnern und ihren Besitzungen entstanden war. Die Felder wurden bestellt, die Bruchwiesen gegen das Wasser der Oder gesichert, das reiche Gras geschnitten. Im Jagdhause zu Sonnenburg weilte der junge Lehensherr mit dem Freunde zu fröhlichem Jagen, die Fischzüge im Baasee und in der Oder gaben reichen Fang, und überall regte es sich auf dem ganzen Lehen zu frischer Tätigkeit, nun der junge Herr mit fröhlichem Walten und Schalten voranging. Dem oder bräunten sich in Wind und Sonne die bis dahin so bleichen Wangen, das Auge blitzte lebensfreudig in die Welt, und die von der Krankheit hagere Gestalt ward zusehends kräftiger, während ein stattlicher Bart ihm um die Wangen sproßte und ihn männlicher als je erscheinen ließ.
Als die Rosenzeit herankam, mußte der Burgvogt in wichtigen Geschäften auf längere Zeit gen Cöllen reiten. Diese Tage benutzte Hans, um seinen Besuch bei den Sparrs zu wiederholen. Nicht wie das erste Mal blaß und müde langte er dort an, sondern kräftig und gewandt schwang er sich aus dem Sattel und eilte die Stufen in die Höhe auf die beiden Edelfrauen zu, die der kleine Reiterzug des Ritters mit seinen Knechten hinausgelockt hatte. Mit hoher Freude ward er empfangen. Die Edelfrau schlug vor Erstaunen die Hände zusammen, wie sehr sein Aussehen sich zum besseren gewandt habe, und auch Sophia machte in ihren herzlichen Worten keinen Hehl aus der Freude, die sie bewegte. Die beiden Ritter des Hauses weilten für einige Tage fern, und Hans benutzte daher aufs eifrigste die Zeit, um das liebreizende Edelfräulein zu werben, mit welchem Vorsatz er hierher gekommen war. Die Mutter ließ ihn schmunzelnd gewähren, ihr schien der junge Ritter als Eidam sehr willkommen zu sein. Sophia aber war oft voll Schelmerei gegen ihn, so daß er nicht wußte, ob ihm ihr Herz wohl wirklich zu eigen gehöre. Wiederum konnte sie sich in so ernsten gesetzten Reden mit ihm unterhalten oder den Leuten der Burg und den Hörigen des Dorfes, wohin Hans sie öfter geleitete, einen Rat oder Auftrag geben, daß Hans sie im stillen immer mehr bewunderte, wie ihr Wesen bei aller Jugend die echte Herrin zeige. Klopfenden Herzens dachte er sie sich dann als Hausfrau in seiner Burg, die ihm so leer und verlassen vorkam, seit er hier das frauliche Walten kennen gelernt hatte. Wollte er sie dann aber bitten, sein ehelich Gemahl zu werden, so verließ ihn wieder der Mut, sobald Sophia in schelmischer Art ihm ein neckendes Wort zurief. Endlich vertraute er sich in seiner Not der Edelfrau und bat sie, ihm zu sagen, ob die Tochter mit ihren Neckereien sich ihm nicht entziehen wolle. Er sei so ungeschickt, ein Frauenherz zu erkunden, weil er so früh fraulichen Umganges habe entraten müssen.
»Glaubet Ihr wohl, vieledle Frau,« schloß er seine Bitte, »daß des Fräuleins Herz mir geneiget ist, und wäre ich Euch und Eurem liebwerten Eheherrn wohl ein willkommener Eidam?« Er war vor Erregung ganz blaß geworden, und die Edelfrau, die seine Herzensnot rührte, strich ihm freundlich beruhigend die Rechte.
»Von Herzen seid Ihr unserem Hause willkommen, mein Ritter,« sagte sie, »und so viel meine Augen erkundet haben, ist Euch das Herz der Tochter wohlgewogen. Es ist aber jungfräuliche Schämigkeit, die sich vor dem Schritte fürchtet, der über ein Frauenleben so viel tiefer entscheidet, denn über das des Mannes, wenn die Tochter Euch auszuweichen suchet. Habet nur in einer ernsten Stunde den Mut und stellet Ihr die Frage, ich mein' nit, daß sie sich Euren Wünschen weigern wird.«
Die Stunde sollte für den zagenden Hans eher kommen, als er gehofft hatte. Er sah gegen Abend Sophia aus dem Burggärtlein kommen, über dem Arm ein grünes Gewinde, von roten Rosen durchflochten. Sie trat nicht in die Burg, sondern schritt über den Hof einem Pförtlein zu, das ins Dorf hinabführte. Verwundert, wohin sie wohl gehen möge, ergriff er eilends sein Barett und schritt ihr nach, und da sie langsam und sinnend ihres Weges ging, hatte er sie bald eingeholt. Vom Turme der kleinen Dorfkirche klangen mit selten schönem Geläute bereits die Feierabendglocken.
»Darf ich mit Euch gehen, vieledles Fräulein?« fragte er herzlich, als er sie eingeholt hatte.
Sie nickte freundlich.
»Wohin führet Euch jetzt zum Abend noch der Weg mit dem schönen Rosengewinde?«
»Ich will einen Grabstein in unserem alten Kirchlein schmücken,« sagte sie.
Er ging stumm neben ihr her, da er ihre ernste Stimmung merkte und nicht weiter fragen mochte. Das Kirchlein lag am Fuße des Burghügels. Die Pforte war geöffnet und sie traten ein. Soeben kam der Glöckner von der hölzernen Stiege herunter, und das Edelfräulein bedeutete ihn, sie werde ihm den Schlüssel nachher in sein Häuslein bringen, da sie noch im Kirchlein verweilen wolle.
Er zog ehrerbietig sein Käpplein und sagte: »Unser gnädig Fräulein denkt wie alle Jahre der früh verstorbenen Braut aus ihrem Geschlechte. Nit jedwedes Edelfräulein im märkischen Land ist von so sinnigem Gedenken. Soll ich helfen, das Gewinde um die Urne zu legen? Sie stehet gar hoch.«
»Nein, Berndt, ich danke dir. So ich es nit erreichen kann, hilft mir wohl der Herr Ritter.«
Der Glöckner zog die Kappe und entfernte sich, und das junge Paar schritt in den Kirchenraum hinein, dessen kleine Fensterlein außen dicht mit Efeu umsponnen waren, so daß ein grünes Dämmerlicht drinnen herrschte. Hans von Uchtenhagen weilte zum erstenmal in dem Prendener Kirchlein. Er hatte mit Verwunderung den Worten zwischen Sophia und dem Glöckner gelauscht und ging nun schweigend hinter ihr her, da sie auf eine Nische hinter dem schlichten Altare zutrat. Eine Sandsteinplatte lag davor, und in der Nische stand auf hohem Sockel eine Urne, daran eine umgekehrte Fackel lehnte. Trockenes Efeugewinde umgab dieses Grabmal, das Sophia jetzt entfernte und sich anschickte, den blühenden Schmuck darum zu schlingen. Das Gewinde hatte bisher eine halberloschene Schrift unten am Sockel verdeckt.
Hans trat hinzu und sagte, indem er sich bemühte, die Buchstaben zu entziffern: »Wen decket die Grabplatte, Fräulein Sophia, daß Ihr ein so herzlich Gedenken an die Tote habet?«
»Es ist eine Jungfrau meines Geschlechtes,« sagte Sophia, »die als Braut eines tapferen Ritters einen jähen schrecklichen Tod erlitt, und als ihr Ritter aus der Schlacht heimkehrte und sie fröhlich zu minnen gedachte, trug man gerade ihre Leiche ins Burgtor. Es gibt noch ein Pergament über das traurige Geschehnis in unserem Hause. Ich will es Euch zu gelegener Stunde einmal geben, da Ihr vor wenig Tagen erst verlauten ließet, wie Ihr an alten Geschehnissen so großen Anteil nehmet. Man weiß nur von wenigen Gliedern unseres Hauses, und sie alle sind eines ruhigen und friedlichen Todes verstorben. Daß diese als Jungfräulein so schrecklich ihr Leben verlieren mußte, hat mir immer schon als Kind das Herz beweget, wo es mir meine alte Wartfrau oft erzählet hat. Und da die Schrift halb erloschen ist und man nur den Tag des Unglücks noch lesen kann, so schmücke ich an diesem Tage das Grabmal der armen Wulfhilde.« Sie wies mit ihrem schlanken Finger auf die Stelle in der Schrift, die einzig noch lesbar war und den 28. Junius zeigte.
Sinnend stand der junge Ritter daneben, und als sie jetzt anfing, das Gewinde unten um den Sockel zu schlingen, fragte er leise, ob er ihr helfen dürfe. Die Urne stand allerdings so hoch, daß Sophia, so schlank sie war, nicht hätte ihre Spitze erreichen können, und so nickte sie mit freundlichem Ernst auf die Bitte ihres Begleiters. Er stieg auf einen Steinsitz an der Mauer und schlang nun das obere Ende des Gewindes sorgsam um die Urne, so daß es im schönen Bogen herabhing. Seinen Bemühungen, den Schmuck recht zierlich zu gestalten, nickte Sophia freundlich zu, und eine lichte Röte überzog ihr Gesicht und Hals, als er beim Hinaufreichen des Blütenschmuckes ihre Hände jedesmal mit so innigem Drucke faßte. Er war fertig und stieg von seinem Sitze herunter, und Sophia sagte leise und wie verlegen:
»Ich weiß nit, ob Ihr es ein katholisch Tun nennet, Ritter Hans, aber es hat mich immer getrieben, an diesem Tage für die, die dort unten liegt, hier ein still Gebet zu sprechen.«
»Gewiß nit,« versetzte Hans ernst. »Ein Gebetlein für unsere Verstorbenen soll und muß auch einem evangelischen Herzen ein teurer Gebrauch sein. Wollet Ihr, daß ich mich entferne?«
Sie nickte nur leise, und er ging still hinaus, sie nicht zu stören. Draußen wartete er im Friedhofsgärtlein, wo die Vögel in den Linden ihr Abendlied pfiffen. Der Blick von hier war lieblich in die Wiesen und wogenden Felder hinein, aber er mußte doch seiner so viel schöneren bergigen Heimat gedenken, wo von Burg Malchow aus das Auge weithin schweifen konnte über Wälder, Berge und das Wasser der Oder, wie es sich durch die fruchtbaren Wiesen schlängelte. Nach kurzer Zeit hörte er Sophia das Pförtlein schließen, und sie trat zu ihm. Noch immer lag der liebliche sinnende Ernst auf ihren Zügen, und sie sagte: »Das hohe Plätzlein hier unter der Linde ist sonst mein liebster Ort, wo ich gern sitze und weit hinaus schaue, wenn auf den Wiesen das Gras gehauen wird und es so kräftig vom Heuduft hier heraufzieht. Es gefällt auch Euch hier gar wohl, Ritter Hans, nit wahr?«
Er schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich kenne ein schöner Plätzlein,« sagte er und erzählte ihr von seinen Gedanken, die er soeben gehabt hatte.
»Wohl,« versetzte sie lebhaft, »der Herr Vater hat mir oft schon von Eurer schönen Heimat erzählet. Ein lieblicher Plätzlein im märkischen Lande gäbe es nit, hat er oft gesaget. Es sei dort alles beisammen, was man nur wünschen könne, Wies' und Feld, Wasser und Wald und gar stattliche Berge, in denen ein froh Jagen sei. Ich möcht's wohl einmal erschauen!«
Da wuchs dem schüchternen Hans auf einmal der Mut. Sein Lieben und Hoffen schwellte ihm gewaltig das Herz, und die Rechte der Jungfrau ergreifend, blickte er ihr innig in die Augen. »Nur schauen meine Heimat, liebwerte Sophia?« fragte er. »Und wenn ich Euch nun herzinnig bitte, dort mit mir zu weilen und zu wohnen und mein geliebtes Ehgemahl zu sein, könntet Ihr mir dann wohl freudigen Herzens ein Ja sagen?«
Sie war von heißer Glut übergossen und senkte tief das Haupt.
»Könntet Ihr mich nit ein wenig lieb gewinnen?« fragte er, und bei der Verzagtheit, die schon wieder durch seine Worte klang, hob sie nun doch den Kopf, und ein inniges Leuchten brach aus ihren Augen.
»Muß ich das noch erst mit Worten bekräftigen?« fragte sie leise. »Hab' ich doch immer gefürchtet, Ihr könnet's mir lange schon anmerken.«
Da jauchzte er glückselig auf und schloß sie in seine Arme, und sie schmiegte sich innig an ihn.
Einen glücklicheren Tag vermeinte Ritter Hans noch nie erlebt zu haben, denn da mit den Freunden sein Verlöbnis mit Sophia von Sparr festlich gefeiert und bekräftigt wurde. Wie sehr er dem alten Ritter als Sohn willkommen war, merkte er aus jedem herzlichen Worte. Er sah eine glückliche und friedenreiche Zukunft vor sich, und seinem stürmischen Verlangen, daß er sein Bräutlein heimführen dürfe, noch ehe der Winter ins Land zöge, ward lächelnd von den Eltern beigestimmt.
Trotz der Bitten Sophias trieb es ihn aber bald nach dem Verlöbnisse heim auf seine Burg, denn ihn überkam jetzt eine wunderbare Tatkraft, und mit den beredtesten Worten malte er Sophia aus, wie er die Räume der alten Burg schmücken wolle, sie festlich als Herrin zu empfangen. Auf sein dringendes Bitten gestand ihm die Edelfrau von Sparr zu, mit der Tochter im Geleit ihres Hausherrn und des Junkers baldigst nach Burg Malchow geritten zu kommen, um ihren freundlichen Rat zu hören, wie ein Heim für eine junge Burgfrau herzurichten sei. Nach innigem Abschiede ritt er nach dieser Zusage von dannen, und seine Waffenknechte vermochten ihm kaum zu folgen bei der fröhlichen Eile, mit der er der Heimat zustrebte.
Guisbert von Neuschild war schon seit etlichen Tagen von Cöllen wieder daheim und schaffte eifrig als Burgvogt für die Güter seines Freundes. Er saß eifrig über ein Pergament gebeugt und schrieb, als Hans mit klirrenden Schritten zu ihm ins Gemach trat.
»Freund, Bruder,« rief er mit fröhlicher Stimme, »hast nit gescholten und gemurret, daß du den Burgherrn nit daheim trafest, fleißig bei den Geschäften? Aber was ich in diesen Tagen vollbracht hab', war wichtiger denn alle Lehensgeschäfte!«
Erstaunt hatte sich Guisbert erhoben.
Da umschlang Hans ihn stürmisch. »Freund, ich bin der glückseligste Mann der Erde!« rief er jubelnd. »Bald werde ich ein liebes treues Ehgemahl mein eigen nennen, und Burg Malchow wird nit mehr einsam sein; und in dir habe ich den besten Freund zur Seite, der mir das Leben gerettet hat, das jetzt mir so viel Wonne schenket. Sophia ist mein, und eh noch der Winter in die Berge ziehet, können die Lehensleute sie als Herrin begrüßen! Wahrlich, von jetzt an soll mein Leben ein einziger Dank gegen den treuen Lenker der Geschicke sein, und ein liebevoller gerechter Herr will ich allen denen werden, die mir angehören, und wo ich anderen zu solchem Glücke helfen kann, wie es mir jetzt beschieden ist, da will ich es von Herzen gern tun!« Mit lebhaften Gebärden und strahlenden Augen schritt er so im Gemache hin und her, fröhliche Pläne schmiedend, und merkte in seinem Glücke nicht, wie blaß der Freund geworden war, obgleich er ihm scheinbar bei allen Plänen heiter zustimmte.
Der Frühling des Jahres 1594 war angebrochen. Von den Zinnen der Burg Malchow wehten zahlreiche Wimpel in die Frühlingsluft hinauf, und oben auf dem Wartturme bauschte sich das Geschlechtsbanner mit dem Wappen des Hauses. Den Schloßberg hinauf ritten reichgeschmückte Edelfrauen und Herren, und fröhlicher Hornruf des Türmers begrüßte die einziehenden Gäste. Grüne Gewinde über allen Pforten der Burg und fröhliche Gesichter, wohin man schaute. Freilich war es auch der freudenreichste Tag, der der Burg beschieden sein konnte. Dem Hause war der Erbe geboren, und er sollte heute in der heiligen Taufe zum Christenkinde geweiht werden. In dem stattlichen Ritter, der droben in der Halle die Gäste empfing, hätte niemand mehr den kranken Junker Hans erkannt, der vor wenig Jahren, an Leib und Seele gebrochen, in Gefahr war, dahinzusiechen. Eine männliche Erscheinung im Festschmucke stand er da, und seine frohen Augen und sein kräftiger Händedruck auf die Glückwünsche der Gäste und Freunde sprachen es aus, daß landauf, landab so bald nicht ein glücklicherer Mann gefunden werde. Es verwunderte das auch gar niemand, der die junge Edelfrau Sophia sah. In dem strahlenden Glück ihrer doppelten Würde als Ehegattin und Mutter war sie noch liebreizender denn als junges Edelfräulein. Ihre holde Erscheinung in dem reichen Festkleide zog gar manchen bewundernden Blick auf sich. Es gab ein gar frohes Durcheinander, als nun auf dem Arm einer stattlichen Wärterin das Söhnlein des Hauses hereingetragen wurde und alles sich für die Feier in der Kapelle rüstete. Jeder bewunderte das liebreizende Kind, und selten nur fiel ein Auge auf die Männererscheinung, die an einem der Pfeiler des Saales lehnte und mit düsteren Augen in das frohe Gewimmel starrte. Nur die nächsten Freunde und Nachbarn kannten Guisbert von Neuschild, und wenn einer von diesen mit Gruß und Handschlag herantrat, so wußte er sich zu bezähmen und ging auf ein harmlos Gespräch ein. Doch immer wieder gingen seine Augen nach der jungen, heute so strahlenden Burgherrin, aber dann, wenn sie über den Freund glitten, so prägte sich in seinem Gesichte kein freundschaftliches Gefühl, wohl aber bitterer Neid, wenn nicht gar Haß aus. Für ihn war der heutige Tag kein Freudentag. Teilnahmlos ging die heilige Handlung an ihm vorüber, darin der junge Burgerbe den Namen Kaspar erhielt. Auch an der glänzenden Festtafel ward sein Gesicht nicht fröhlicher, ja es verzog sich zu grimmigem Spotte, als besonders der alte Ritter von Sparr beim Schlusse des Mahles den kleinen Enkel hereinbrachte und, nachdem er ihn der Mutter in den Schoß gelegt, in hochgemuter Rede sein Wohlergehen ausbrachte und fröhlich die Gläser aneinander klangen. Das war jetzt nicht mehr der treue opferwillige Freund, der am Bette des erkrankten Burgherrn Tag und Nacht gesessen und ihn aus den Armen des Todes gerissen hatte. Grimmiger Neid fraß in seiner Seele, Neid auf das, was dem Freunde das gütige Geschick verliehen, und was ihm vorenthalten war.
Das Fest war vorüber, die Gäste heimgezogen, aber Glück und Freude war dauernd in der Familie des Burgherrn daheim. Hans und Sophia lebten nur einer zu des andern Glück und Freude, und aus dem Reichtum ihres Glückes heraus ergoß sich ein fröhlich Schalten und Walten unter den Burgbewohnern und ihren Lehensleuten. Alle hingen in Treue an der gütigen Burgherrschaft, und so von treuen Dienern umgeben, kam dem Burgherrn nie ein Verdacht, wenn auch der Freund oft ernst und schweigsam war. Er schenkte ihm sein ganzes Vertrauen, weil ihm die Dankbarkeit immerdar vor der Seele stand, die er Guisbert schuldete. Gleich dem Ritter von Uchtenhagen schaltete und waltete der Vogt besonders auf den Vorwerken, den fernen Dörfern und Weilern, und auch die Burgherrin teilte diese Dankbarkeit ihres Ehegemahls für den Freund, der ihm das Leben gerettet hatte und treu seine Güter vermehrte. Von Liebe und treuer Sorgfalt umgeben, wuchs der kleine Erbe der Burg heran, und vor allem oft weilte der alte Ritter von Sparr auf Burg Malchow, da sein Herz besonders an dem Großsohne hing. –
Die Trauerglocken läuteten in den märkischen Landen. Kurfürst Johann Georg, der mit so hoher Weisheit die Mark regiert hatte, war zu seinen Vätern heimgegangen, und Joachim Friedrich, sein Nachfolger und ältester Sohn, sollte nun die Krone tragen. Der fürstliche Herr zählte bereits 52 Jahre, als er zur Regierung berufen ward. Wenn er auch in brandenburgischen Landen erst so spät das Regiment ergreifen konnte, so hatte er doch schon 35 Jahre über das Erzbistum Magdeburg regiert und dies mit der größten Weisheit und Umsicht getan. Als er das Kurfürstentum übernahm, galt es für ihn, einen wichtigen Schritt zu tun, der den Grund zu Brandenburgs Größe legen sollte und es davor bewahrte, ein kleines, immer wieder geteiltes Fürstentum zu werden. Der sonst so einsichtige weise Kurfürst Johann Georg hatte eine Schwäche. Sein junger Sohn Christian war sein besonderer Liebling gewesen, und um ihn ebenfalls zum regierenden Herrn zu machen, hatte er ihm die Neumark zugesprochen und dadurch das Kurfürstentum geteilt. Ein Hausgesetz Albrecht Achilles' verbot dies aber, und so wollte der neue Kurfürst sich dieser väterlichen Verordnung nicht unterordnen, weil er in weiser Voraussicht die Folgen so wiederholter Teilung für die Machtentwicklung des Landes sah. Große Schwierigkeiten machte es, daß das Testament des verstorbenen Kurfürsten durch den deutschen Kaiser bestätigt war, doch hatte der Kaiser dieser seiner Bestätigung ausdrücklich die Worte hinzugefügt: jedermann an seinem Recht unbeschädigt. Die Zurücknahme der Testamentsbestätigung erfolgte daher mit der Begründung: da die Hausrechte des Kurfürsten gekränkt seien, so sei er berechtigt, das Testament aufzuheben.
Nun nahm Joachim Friedrich alle Länder des Kurfürstentums in Besitz und entschädigte den Bruder auf sehr gerechte Weise. In den fränkischen Fürstentümern regierte der letzte Nachkomme der beiden Söhne des Kurfürsten Albrecht Achilles von Hohenzollern, Markgraf Georg Friedrich. Er war nicht nur ein Vetter, sondern auch ein Freund des Kurfürsten Joachim Friedrich. Ansbach und Bayreuth in Franken und das Fürstentum Jägerndorf gehörten zu seinen Besitzungen. Er war reich und mächtig, dabei kinderlos, und seine nächsten Erben waren die Glieder der kurfürstlichen Linie in Brandenburg. Da nach seinem Tode alle Besitzungen und Gerechtsame diesem Zweige des Hohenzollernhauses zufallen würden, vermochte es der Kurfürst durch seine Freundschaft mit Markgraf Georg Friedrich, daß dieser schon jetzt die Erbschaft verteilte, und zwar an die beiden jüngeren Brüder des Kurfürsten Joachim Friedrich. Im Geraschen Vertrage erhielten die Brüder des Kurfürsten Ansbach und Bayreuth, und das Land Jägerndorf in Schlesien ward dem zweiten Sohne des regierenden Kurfürsten zuteil, der, wie sein Großvater, den Namen Johann Georg führte. Ein wichtiges Recht gehörte noch dem Markgrafen Georg Friedrich von Ansbach-Bayreuth. Er war der nächste Lehensberechtigte für das Herzogtum Preußen, dessen Regent schwermütig und ohne männliche Erben war. Durch gegenseitiges Uebereinkommen wurde bestimmt, daß Brandenburg nach seinem Tode die vormundschaftliche Regierung über Preußen antreten solle und, falls der Preußenherzog stürbe, in den erblichen Besitz des Landes gelangen. Dieser Vertrag ward noch im Jahre des Regierungsantritts Joachim Friedrichs abgeschlossen, der seine Rechte durch Heiraten von Mitgliedern seines Geschlechts mit den preußischen Herzogstöchtern noch befestigte. –
So standen die Dinge im Jahre 1598 in Brandenburg, und die lehenspflichtigen Ritter wurden, als Joachim Friedrich im unbestrittenen Besitze des Kurfürstentums war, nach Cöllen zur Leistung des Lehenseides entboten. Unter ihnen auch der Lehensherr von Fryenwolde, Hans von Uchtenhagen. Sein Aufenthalt zu Cöllen würde diesmal längere Zeit in Anspruch nehmen, das sah er voraus. Beratungen aller Art waren zu pflegen, dessen war sich Hans von Uchtenhagen wohl bewußt. Still hatte er bisher im jungen Glücke seines Hauses gelebt, und dies war die erste längere Trennung von Weib und Kind und Heim. Bei den unsicheren Verhältnissen, die in der Mark herrschten, bis die Regierung des neuen Kurfürsten befestigt war, war der Lehensherr in Sorge, sein Heim verlassen zu müssen, und er hatte Guisbert von Neuschild, dem er in unwandelbarer Freundschaft ergeben war, mit allen Vollmachten ausgerüstet, ihn zu vertreten. Der Treue seines alten Waffenknechts war er auch sicher, wenn auch unter dem jüngeren Ingesinde manch einer war, der erst kürzere Zeit in seinen Diensten stand, und dessen Anhänglichkeit sich noch nicht bewährt hatte. Als er am Abend vor dem Abreiten gen Cöllen, wohin er den größten Teil der Waffenknechte mitnahm, der Ehegattin Mitteilung machte, daß er sie unter Guisberts Schutz gestellt habe, erschrack Sophia heimlich. Sie teilte die Freundschaft für den Burgvogt nicht mehr, die ihr Gatte für ihn hegte. Vermochte sie auch nicht, einen Grund für ihre Abneigung anzugeben, so ahnte ihr Frauengemüt doch, daß des Burgvogtes Freundschaft für den Lehnsherrn keine selbstlose und aufrichtige mehr sei. Sie hatte ihrem Gatten nie von dieser heimlichen Abneigung gesprochen, um ihn nicht zu kränken, da er des Freundes ehemaliges Verdienst um sein Leben unwandelbar hochhielt. So sagte sie nur leise, den Gatten zum Abschied umschlingend:
»Von Herzen will ich hoffen, mein teurer Gemahl, daß ich dieses Schutzes nit bedarf, und daß du eilends heimkehrest, deine Rechte wieder selbst zu verwalten.«
Hans von Uchtenhagen hörte aus ihren Worten nur die Liebe heraus und tröstete sie mit seiner baldigen Heimkehr. Dann beugte er sich über sein schlafendes Söhnlein und nahm Abschied von Sophia, weil er noch im Morgengrauen mit den Knechten aufbrechen mußte und Weib und Kind nicht im Schlummer stören wollte.
Sophia suchte in dieser Zeit ein Begegnen mit dem Burgvogte so viel als möglich zu vermeiden. Sie fürchtete sich nicht, daß ihr auf ihren Wegen etwas geschehen könne. Die Lehensleute waren ihr alle in Treuen zugetan, und oftmals hatte sie den Weg von Burg Malchow nach Fryenwolde hinab gemacht, um dort einen Kranken zu besuchen, alten und siechen Leuten ein gütiges Wort zu sagen, und wo sie ging und stand, hingen ihr die Herzen an. Besonders groß war die Freude der Bewohner des Städtleins, wenn mit ihr der kleine Junker kam, der mit seinem zarten Gesichte, den blauen Augen und blondlockigem Haar der schönen Mutter so ähnlich sah. Seine erste Wärterin, die Else, pflegte noch jetzt das Büblein, wo er bereits sicher auf seinen Füßen lief und ein lebendiger Knabe war, dessen eifrigem Fragen weder Mutter noch Wärterin oft genug tun konnten. In der Freude über seinen jungen blühenden Knaben hatte Hans von Uchtenhagen vor kurzem sein Söhnlein Kaspar von geschickten Meisters Hand malen lassen. Das Bild hing in seinem Gemach und erfreute täglich des Vaters Augen. Die Fryenwolder aber äußerten ihre Freude an dem liebreizenden Junker auf andere Weise. Man wollte ihn beschenken, wo er ging und stand, und wenn er gar mit seiner Wärterin eines der Bürgerhäuser besuchte, versuchten die Mütter, gar oft dem zutraulichen Herrlein eine leckere Speise anzubieten, und der Knabe in kindlichem Unverstand hatte sich oftmals schon eine Erkrankung dadurch geholt, daß er reichlich solche Leckereien verzehrte. So gütig auch Frau Sophia war, so hatte sie in diesem Punkte doch der Wärterin ein strenges Gebot gegeben. Weil die Mutter wissen wollte, was das Kind genoß, so sollten solche Geschenke an Süßigkeiten niemals angenommen werden. Verständige Eltern sahen es ein, daß die Herrin ein Recht zu solchem Befehle habe, aber der Wärterin ward es nicht immer leicht, solch Begehren, das ja voll guter Meinung war, bei schlichteren Leuten abzuschlagen.
Es war ein schönes Bild, wenn der Knabe an der Mutter Hand hinab ins Städtlein kam. Manch schönes Gewand hatte er vor allem von den Großeltern erhalten, dessen erstes Enkelkind er war, und als der alte Ritter von Sparr vor wenigen Wochen auf Burg Malchow geweilt, hatte er dem Kinde eine ganz besondere Freude gemacht, indem er ihm zum Spielgefährten ein schneeweißes kluges Hündchen mitbrachte, das allerlei Kunststücke verstand und die helle Lust des Knaben war, so daß ihn das Tierlein auf Schritt und Tritt begleitete. In diesen Tagen, da ihr Gemahl fern weilte, hatte Sophia beständig das Kind um sich, und nur wenn die Mittags- und Abendmahlzeit gerüstet war, weilte sie mit Guisbert von Neuschild zusammen, da die Abwesenheit des Lehensherrn für ihn verdoppelte Geschäfte brachte. Sie hatte, obgleich Furcht ihr sonst fremd war, doch eine seltsame Scheu vor den unruhigen Augen des Vogtes.
An einem schönen Abend, als der kleine Junker bereits im ruhigen Kinderschlafe lag, war Sophia hinab in das Burggärtlein gegangen, um die linde Luft noch zu genießen. Abendsonnenschein lag über dem Bruch und dem Wasser tief unten im Grunde. Die Schwalben schossen hin und her und zwitscherten oben am Gesims der Burg ihre trauliche Weise. Sehnsüchtig wünschte Sophia den Gemahl zurück, und ihre Gedanken weilten bei ihm im fernen Cöllen, während ihre Finger geschickt die Klöppel durcheinander warfen, die ein feines Gewebe für den Altarschmuck der St. Niklaskirche ergeben sollten. Guisbert von Neuschild war bei der Abendmahlzeit heute gar einsilbig gewesen. Sonst hatte er der Burgherrin stets berichtet, wie unter den Leuten und der Arbeit in Feld und Wald alles erginge, heute hatte er nichts verlauten lassen und hatte nur einsilbige Antworten gehabt, wenn Sophia hin und wieder eine freundliche Frage getan hatte, damit nicht so ein seltsam Schweigen bei der Mahlzeit herrsche. Sie wußte, daß in den weiten Wäldern um das Jagdhaus Sonnenburg her manch landfahrend Gesindel sich zeigte, das im märkischen Lande nicht daheim war und unter dem edlen Wild ein wenig weidgerecht Jagen angestellt hatte. Sie glaubte, daß dort wiederum gefrevelt worden und der Burgvogt deshalb voll Grimm sei, und er hatte es ihr auf ihr Fragen mit kurzen Worten bestätigt, ohne ihr Näheres zu berichten. Jetzt sah sie ihn auf einmal in das Burggärtlein treten, wo er das grünumhegte Plätzlein kannte, da sie an schönen Abenden gern zu weilen pflegte. Er trat mit ehrerbietigem Gruße näher, und Sophia fragte freundlich: »Wollet Ihr mir noch etwas berichten, Herr Ritter? So lasset Euch nieder«. Als sie ihn dabei aber anblickte, erschrak sie vor den glühenden Augen, mit denen der Ritter sie betrachtete. Doch bewahrte sie ihre Ruhe und wies abermals auf ein Plätzlein neben ihrem Sitze. Dann griff sie wieder zu ihren Klöpfeln und vertiefte sich eifrig in ihr Muster.
Da plötzlich, von jäher Leidenschaft bezwungen, fiel Guisbert von Neuschild an ihrer Seite nieder und griff beschwörend nach ihrer Hand. »Herrin,« keuchte er, »ich vermag es nit länger zu verschweigen, wie ich Euch geliebet habe vom ersten Tage an, da meine Augen Euch erblickten. Gönnet mir ein wenig Eurer Freundschaft, Eurer Liebe. Weshalb blicket Ihr so kalt und stolz über mich hinweg und zerreißet mir das Herz? Wer kann denn neben Euch leben, ohne Euch über alles zu lieben?« Er hatte sein Gesicht in ihrem Gewande verborgen und flog am ganzen Körper vor Erregung.
In heißer Empörung war Sophia aufgesprungen. Fest umklammerte ihre zitternde Rechte die Lehne ihres Sitzes, und nur mit Mühe zwang sie ihre bebende Stimme zu Worten. »Herr Ritter, Eurem Schutze hat mein Gemahl mich anvertrauet, so roh' Gesindel etwa unsere Burg heimsuchen sollte. Ist das der Mut, eines Ritters würdig, daß Ihr mit so unlauteren Worten dem Gemahl Eures Freundes nahet? Belohnet Ihr so Freundschaft und Vertrauen, die mein Gatte Euch aus vollem Herzen entgegenbrachte? Hinweg, und für immer aus meinen Augen!« Sie hatte ihr Gewand an sich gerafft und wies mit der bebenden Rechten nach dem Ausgange.
Der Ritter von Neuschild war totenbleich geworden. Jetzt erst kam er zu sich selber und begriff, was er getan. Er wich zurück und griff sich wie erwachend an die Stirn. »Herrin, verzeihet,« sprach er dumpf, »wenn Euer Liebreiz mich zum Wahnsinn trieb. Ihr habet recht, ich durfte nimmer der Gattin des Freundes solche Worte sagen, wenn ich dem Herzen auch nit wehren konnte, Euch zu lieben. Nie wieder will ich mit so sündigen Worten Euch nahen, aber lasset mir eins in der Verzweiflung über meine Schuld, den Trost, daß ich des Freundes Vertrauen nit verliere. Fern von Euch, im kleinen Jagdhause zu Sonnenburg will ich ferner meines Amtes walten und treu die Güter des Freundes mehren helfen. Aber lasset mir den Trost, daß Ihr mein Fehlen dem Gatten verschweiget und ich Eurer Freundschaft durch ernstes Bemühen wieder würdig werde. Ich ertrüge es nit, auch noch den Freund zu verlieren!«
Das reine Frauenherz Sophias ward ergriffen von diesem Flehen. Nein, sie wollte nicht schuld sein, daß Guisbert von Neuschild, mit der Verachtung des Freundes beladen, als ein landfremder Ritter vom Lehen weichen mußte. Sie wußte, Landbesitz war ihm nicht zu eigen, und in der großen Herrschaft Fryenwolde war er bisher ein treuer Verwalter gewesen. Wenn ihm sein sündiger Schritt leid tat und er das Vertrauen, das er so schwer getäuscht hatte, sich wieder erwerben wollte, so wollte sie es nicht dadurch hindern, daß sie zu seiner Anklägerin ward. Aber fort mußte er. Es ging nicht an, daß er ferner auf der Burg verweilte.
»Ich will vergessen, was Ihr gesprochen habet, Ritter von Neuschild, um meines Gatten willen, der Euch einst sein Leben dankte. Doch nehmet eilig Euren Aufenthalt zu Sonnenburg. Es wird Euch und mir dann leichter werden, diesen Vorfall zu vergessen.« Damit raffte sie ihr Gewand zusammen und verließ schnellen Schrittes das trauliche Plätzlein im Burggarten, das ihr sonst ein so friedsamer Aufenthalt gewesen war.
Mit geballten Fäusten stand Guisbert von Neuschild da und starrte mit zusammengebissenen Zähnen in die Ferne. Es waren keine reuigen Gedanken, die hinter dieser Stirne sich kreuzten.
Dann stürmte er aus dem Gärtlein, ließ im Burghofe sein Pferd satteln und ritt noch am späten Abend durch die dunkelnden Forsten dem Jagdhause zu, das eine Stunde von Fryenwolde entfernt am Ufer des Baa-Sees lag. Nur wenigen Jägern bot das kleine Jagdhaus Aufenthalt, aber da einige Gemächer zum Jagdaufenthalt für die Ritter von Uchtenhagen hergerichtet waren und jetzt so viel landfahrend Volk in den Forsten herumstrich, so waren die Jäger nicht verwundert, daß der Burgvogt noch am späten Abend eintraf und erklärte, hier Aufenthalt nehmen zu wollen.
Als Hans von Uchtenhagen einige Tage später von Cöllen wieder auf Burg Malchow eintraf und diesmal mit doppelter Freude von Sophia begrüßt wurde, fand er ein Schreiben seines Burgvogtes vor, das ihm von der Unsicherheit in den Sonnenburger Forsten berichtete, weshalb der Burgvogt ständig seinen Aufenthalt dort zu nehmen gedenke, diesem Unwesen zu steuern. Der Lehensherr pries aufs neue der Gattin gegenüber die Treue und Fürsorge des Freundes, die so für den Schutz seines Hab und Gutes bedacht sei. Sophia hielt ihr Versprechen und berichtete von dem Vorfalle nichts, um des Gatten Vertrauen nicht so jäh zu zerstören.
Welche Gefühle in Wahrheit das Herz des ungetreuen Freundes bewegten, ahnte die Burgherrin nicht. Guisbert von Neuschild kannte aus den Erzählungen des Burgherrn, in der trübsten Zeit nach dem Tode des Vaters, die Feinde, die ihm durch den tödlichen Zweikampf mit Otto von Quitzow in dessen Sippschaft erwachsen waren. Auf diesen Grimm baute er seine Rachepläne; denn des Freundes Glück, den er bitter diese Jahre hindurch beneidet hatte, zu zerstören, das schwor er sich in der Stille zu Sonnenburg, wo er seinen rachsüchtigen Gedanken ungestört nachgehen konnte. Freilich durfte niemand von einer gehässigen Gesinnung gegen den allbeliebten Burgherrn und dessen Gemahl etwas ahnen, denn auch die Jäger waren der Lehensherrschaft treu ergeben. –
Es war ein dunkler, regenschwerer Abend, als der Burgvogt mit Hermann von Quitzow, dem Bruder des getöteten Otto, der jetzt der Lehensherr auf seiner Stammburg war, zusammentraf. Zwei von Rache erfüllte Männer, deren Hände sich zu gehässigem Schwur ineinander legten: nimmer zu schonen Haus, Hof und Habe, Wald und Wiese, zu vernichten den Verhaßten, sein Weib, sein Kind und seine Sippschaft auszulöschen aus der Reihe der Lebenden, und langes Beraten war zwischen ihnen gepflogen, wie diese Rache vorsichtig einzufädeln sei. Das Unterfangen war nicht so leicht. Mit offener Feindschaft durften sie nicht hervortreten, wo sie dem angesehenen Fryenwolder Lehensherrn galt, der mächtige Freunde auf den umliegenden Edelsitzen hatte, dessen Vorfahren, wie auch er, bei dem kurfürstlichen Herrn des Landes in solcher Gunst gestanden. Und teuflisch war der Plan, den sie auf diese Weise ersannen.
Im Sonnenburger Jagdhause war einer der jüngsten Jäger schon längere Zeit in treuer Liebe der Wärterin des kleinen Junkers zugetan. Die Lehensherrschaft wußte um dieses Verlöbnis, und da beide treugesinnte Menschen waren, so hatte die Lehensherrin voll Güte zugesagt, ihnen dereinst die Hochzeit auszurichten. Beide aber waren arm. Der junge Jäger mußte eifrig seinen Sold zusammenhalten und auch die Else noch fleißig spinnen und weben, ehe alles beisammen war, daß sie in Frieden und ehelichem Glück ein kleines Jägerhäuslein beziehen konnten, das Ritter Hans ihnen zugesagt hatte. Der alte Jäger, der es jetzt bewohnte, wurde schon zu gebrechlich, um noch lange in Wind und Wetter seines Amtes im Forste zu walten. Doch hatte die Lehensherrschaft nichts dagegen, daß das Brautpaar in Ehrsamkeit und Treuen unter den Augen der Herrschaft öfter zusammenkommen durfte.
Den jungen Jäger Klaus benutzte Guisbert von Neuschild von jetzt an, um Botschaften und Berichte, die er dem Lehnsherrn schicken mußte, zu überbringen. Häufig schrieb Ritter Hans sofort den gewünschten eiligen Bescheid, und der junge Jäger mußte verweilen, um ihn dem Burgvogte sofort zu überbringen.
Als der Jäger eines Abends wieder mit einer Botschaft von Burg Malchow zurückkam, begegnete ihm Guisbert von Neuschild im Walde. Der Jäger ging ziemlich verdrossen seines Weges, was der Ritter sofort wahrnahm.
»Du siehst nit heiter aus, Klaus,« redete er ihn an, »und ich habe doch vermeinet, dir was Gutes zu tun, wenn ich dich mit Botschaft nach Burg Malchow sende, damit du mit deiner Else plaudern kannst.«
»Das gibt's nit, Herr Ritter,« sagte Klaus verdrossen, »kann die Else kaum erspähen, und zu ruhigem Gespräch mit ihr verbleibet mir vollends keine Zeit.«
»Ei, warum denn nit?« fragte der Ritter.
»Ei, Herr, das Junkerlein nimmt, je größer es wird, die Aufmerksamkeit der Else ganz für sich gefangen. Er ist ein lebhaft Büblein und tollt oft mit seinem Hund um die Wette, ja, so die Else nit ein streng Gebot ausspricht, ist ihm kein Baum zu hoch, und Ihr wisset, wie voll Sorge der Herr Ritter und sein Ehgemahl um das Söhnlein sind. Ist ihnen nit zu verdenken, doch vermein ich, der Junker müßt' allbereits einen Magister haben, daß die Else ihn nit mehr zu hüten hat. Ist so manch ein Wörtlein doch zu sprechen, so wir bald ein Paar werden und unser Häuslein beziehen wollen. Es will mir jetzt nimmer gelingen!« Er rückte seine Kappe und schritt verdrießlich dem Waldhause zu.
Als wenige Tage später wieder Botschaft nach Burg Malchow zu senden war, ließ der Burgvogt den Jäger in sein Gemach kommen. Es war zu Beginn der Herbstzeit, und auf dem festen Eichentisch in der Mitte des Gemaches stand ein Korb mit schönen goldgelben Birnen. Der Burgvogt bedeutete den Jäger wegen der Briefe und fügte dann mit einem eigentümlichen Lächeln hinzu: »Es dauert mich deines liebenden Herzens, Klaus, daß du um des Junkerleins willen kein ruhig Stündlein mehr mit deiner Else verleben kannst. Ich will dir etwas geben, das den kleinen Junker ruhig macht, und er dein Plaudern mit der Else nit störet. Du weißt, wie gern Knaben des süßen Obstes genießen. Unser Jagdhaus hat in seinem Gärtlein gar selten gute Birnen, gib dem Junkerlein diese erlesen schöne, dann wird er über dem Schmausen stille sitzen.« Er trat an den Tisch und nahm eine wunderschöne Frucht aus dem Korbe, die er sorgfältig einhüllte. »Du kennst aber die Sorge der Herrin, Klaus,« sagte er bedeutungsvoll, »daß der Junker nimmer etwas von fremder Hand genießen soll, also schweige gegen jedermann!«
»Ei, Herr Ritter,« lachte der sorglose Klaus, »das will ich wohl tun. Vermeine, die Herrschaft hat nit Grund, sich zu sorgen, so das Junkerlein nur schönes reifes Obst genießt. Dank' Euch, Herr!« Damit nahm er die Briefe und machte sich auf den Weg nach Burg Malchow.
Er hatte Glück. Als er die Briefe abgegeben hatte und den Burgberg hinunterschritt, traf er drunten im Walde seine Else mit dem kleinen Junker im fröhlichen Spiele mit Bällen. Der weiße Spitz sprang fröhlich hin und her, und Junker Kaspar hatte ein erhitztes Gesichtlein von allem Laufen und Springen. Else lachte fröhlich auf, als sie ihren Jäger kommen sah, und auch der kleine Junker, der den freundlichen Klaus liebte, sprang ihm heiter entgegen.
»Ei, wie du getollt hast, Junkerlein,« sprach der Jäger und strich dem Knaben über das erhitzte Gesicht. »Komm, setz' dich ein wenig auf die Rasenbank, dich zu verkühlen, ich hab' dir etwas Schönes mitgebracht.«
Erwartungsvoll tat der Knabe, wie ihm geboten, denn oftmals hatte Klaus ihm eine Armbrust geschnitzt und allerlei knabenhaft Spielgerät angefertigt. Als Klaus nun die schöne Frucht aus seinem Wamse zog, jubelte er hell auf, denn den durstigen kleinen Mund verlangte es sehr nach dem kühlenden Safte der Birne. Auch Else freute sich des Geschenkes und dachte keinen Augenblick an das, was die Herrin ihr geboten hatte. In beide Hände nahm der Junker die lockende Frucht und war im Begriff hineinzubeißen, als etwas Seltsames geschah. Das weiße Hündlein, das schweifwedelnd dem Jäger und dem Knaben gefolgt war, sprang plötzlich mit aufgeregtem Bellen auf den Knaben zu, stellte sich auf die Hinterbeine und legte die Vorderpfoten auf den Arm des Knaben als wolle er ihm die Frucht aus den Händen reißen.
»Welch ein neidisch Tier,« rief Else voll Empörung und riß den unruhigen Hund zurück, »mißgönnet dem Knaben die kühlende Frucht!« Sie zwang ihn zu Boden, so sehr der Hund sich auch sträubte und immer wieder versuchte, das Kind am Verzehren der Frucht zu hindern. Lächelnd wehrte ihn der kleine Junker ab und verspeiste langsam und mit Behagen das Geschenk des Jägers. Ruhig saß er dabei auf seinem Platze, weil ihn das Ballspielen müde gemacht hatte, und Klaus und Else konnten eingehend ihre Pläne zum Aufbau ihres häuslichen Glückes beraten.
Es war Abend geworden, als der Jäger nach Sonnenburg zurückkehrte. Er hatte keinen Arg daraus, daß der Burgvogt ihm wieder scheinbar wie zufällig bereits weit vor dem Jagdhause begegnete, da er ganz in frohe Zukunftsgedanken vertieft war.
»Nun, Klaus,« fragte der Burgvogt scherzend, »hast du heute ein Plauderstündlein mit deiner verlobten Braut halten können?«
»Ei wohl, Herr,« versetzte Klaus, »das Junkerlein saß heute ganz ruhig dabei, und wir haben alles miteinander beraten.«
»Hat ihm die Frucht gut gemundet?« warf der Vogt harmlos hin, während seine Augen sich stechend in des Jägers Antlitz bohrten.
»O, Herr, wie sollte so schöne Frucht einem Knaben nit wohlgefallen, mit Behagen hat er sie verspeiset!«
»Nun, dann will ich dir von den Früchten noch oftmals geben,« sagte der Burgvogt freundlich, und während der Jäger dem Jagdhause zuschritt, wandte sich der Vogt noch tiefer in den Wald. Das teuflische Lächeln, das auf seinem Gesichte geschrieben stand, sah der Jäger nicht mehr.
Noch einige Male sandte der Vogt den Jäger mit Botschaft nach Burg Malchow. Dann aber gab er ihm eines Tages Briefe, mit denen er nach Blumental zum Ritter Hermann von Quitzow gehen mußte. Es war ein langer Weg, und der Jäger konnte erst zum Abend heimkehren. Früh dunkelte der Herbstabend, und der junge Jäger schritt in sinnenden Gedanken seines Weges. Er hatte einen Richtsteig mitten durch die Forsten auf des Burgvogtes Geheiß wählen müssen, weil die breite Landstraße einen zu großen Bogen mache und er erst in sinkender Nacht heimkehren würde. Der Vogt aber hatte ihn gewarnt, weil dem landfahrenden Gesindel, das sich trotz aller Strenge in den dichten Wäldern aufhielt, nicht zu trauen sei. Er solle ja vor Nacht heimkehren.
Es war nur noch eine kurze Wegstunde bis zum Jagdhause, und Klaus, der bisher ohne Fährlichkeit seines Weges gegangen war, war jetzt bereits außer Sorge, da er schon im heimatlichen Walde war. Dicht war um ihn der Wald und das Gebüsch, aber er kannte diesen Steig, auf dem er oftmals mit dem Burgvogte den Spuren des Wildes nachgegangen war. Scharf die Augen gradausgerichtet, schritt er dahin und blickte nicht hinter sich, als plötzlich ein scharfer Knall die Waldesstille unterbrach. Einen heißen, scharfen Schmerz fühlte Klaus in der linken Seite, dann stürzte er mit dumpfem Schlage vorwärts auf den moosigen Waldboden nieder, und sein Herzblut begann langsam zu verströmen. Wie ihm die Sinne vergingen, glaubte er in der Ferne noch das Rauschen der Gebüsche zu hören, als ob eilend jemand entfloh. Dann ward alles still im einsamen Walde, und langsam senkte sich die Nacht herab.
Am nächsten Morgen sandte der Burgvogt die Jäger aus, im Walde nach Klaus zu forschen. Schon in der Nacht hatte er mehrmals angefragt, ob der Jäger noch nicht heimgekehrt sei, und die Kameraden hatten den Vogt darauf hingewiesen, daß der Weg weit sei und der Jäger doch erst spät heimkehren könne. Jetzt waren auch sie voll Unruhe und durchforschten weit und breit die Wege. Gegen Mittag brachten sie eine Leiche getragen; auf einer Bahre, von Tannenästen gezimmert, lag der erschossene Klaus, den die Jäger, wie sie berichteten, tot, auf dem Gesichte liegend, auf einem schmalen Waldweg aufgefunden hatten. Der Vogt schalt voll Zorn und Grimm mit vielen Worten auf das landfahrende Gesindel, das dem Burgherrn die besten Jäger raube, und die um ihren Kameraden trauernden Jäger glaubten seinen Worten und schickten sich an, dem so unschuldig Gemordeten ein ehrenvoll Begräbnis herzurichten.
Als sie mit der Botschaft nach Burg Malchow kamen, war der Schmerz der armen Else unbeschreiblich. Ihr ganzes Glück, ihr Hoffen und ihre Freude war mit dem Tode ihres Jägers zerstört. Frau Sophia tat alles, was sie konnte, das unglückliche Mädchen, das ihrem Hause so treu angehangen hatte, zu trösten, aber es wollte ihr nicht gelingen. Das Mädchen war oft in stundenlanges trübes Nachsinnen versunken.
Der Winter zog langsam in die Fryenwolder Berge ein und mit ihm Bekümmernis und Leiden in Burg Malchow, wo bis dahin Glück und Freude geherrscht hatte. Der kleine Junker fing an zu kränkeln. Sein munteres, ja oft knabenhaft wildes Wesen verschwand immer mehr, und das rosige gesunde Gesicht ward blaß und krank.
In heißer Sorge beriefen Ritter Hans und Frau Sophia kluge und geschickte Aerzte von Frankenvorde. Sie schüttelten die Köpfe und wußten das Leiden des Knaben nicht zu deuten, bis ein Medikus, nachdem er oft den Knaben beobachtet hatte, erklärte, das Kind müsse eine schädliche Speise genossen haben, die ihm Magen und Blut mit einem langsam wirkenden Gifte durchsetzt habe. Frau Sophia schüttelte zu dieser Erklärung den Kopf, weil ihr die Sorgfalt, mit der sie des Knaben Speisen überwacht hatte, den Gedanken unmöglich machte, daß dem Kinde etwas Schädliches beigekommen sei.
Lange Zeit verstrich darüber. Oftmals schien es, als ob der kleine Junker zu seiner alten Frische wieder aufleben wolle, aber sobald der Winter nahte, ward er kränker denn zuvor. Der Schmerz der Eltern war unbeschreiblich groß. Keine ihrer Bemühungen wollte helfen, der Knabe siechte vor ihren Augen dahin, und die Mutter grämte sich in schweren Sorgen, daß sie vielleicht doch etwas versehen habe und der Knabe ohne ihr Wissen zu Schaden gekommen sei.
Als das Jahr 1603 anbrach, waren die Kräfte des kleinen Junkers zu Ende. Mit bleichem Gesicht und erloschenen Augen lag er auf seinem Bettlein und vermochte kaum noch Vater und Mutter zu erkennen. Der Lehensherr und sein Ehgemahl waren vor Grämen und Sorgen um Jahre gealtert. Der einzige Knabe, die ganze Liebe ihres Herzens und die Hoffnung ihres Geschlechtes, siechte dahin, und keine Menschenkraft und Hülfe vermochten, sein Leben zurückzuhalten. Müde von langen Nachtwachen hatte Frau Sophia ihren Kopf an Ritter Hans' Schulter gelehnt, und beide starrten in das bleiche, vergehende Antlitz des Knaben, der nun in sein neuntes Lebensjahr ging. Welche stolzen Pläne hatte der Ritter für seinen geliebten Sohn gehabt! Wäre er gesund gewesen, konnte er ihn jetzt schon das Reiten und Kämpfen mit einer kleinen Waffe lehren. Sein Sorgen und Mühen für die reiche Herrschaft geschah ja nur für dieses Kind, daß er ihm sein Erbe vermehre. Sollte es denn dem starken Gott im Himmel nicht möglich sein, dieses Leben zu retten und den schwergeprüften Eltern zu erhalten? Wie oft schon hatten sich die Hände der Eltern zu heißem Gebete zusammengeschlungen und auch heute, so stumm sie beieinander saßen, war in ihren Herzen doch ein heißes Flehen, daß Gott doch noch ein Wunder tun möge.
Der Nachtwind schlug mit leichten Zweigen an das Fenster, sonst herrschte tiefe Stille draußen und in der Burg. Die Wärterin des Knaben, die unablässig am Tage an seinem Bette gewacht hatte, hatte Frau Sophia zur Ruhe geschickt, weil das Mädchen in ihrem Grame selbst fast krank geworden war. So wachten die Eltern nun allein Stunde um Stunde. Nur leise gingen die Atemzüge des Kindes. Da auf einmal regte es sich, schlug die Augen auf, und als die Mutter mit linder Hand über sein blasses Gesicht strich, zog der Knabe mit seinen heißen Händchen ihre Rechte an seinen Mund. Dann hauchte er noch einige Worte, aber matt und kraftlos, und, als die Eltern sich angstvoll über ihn beugten und die Mutter in heißem Schmerze flüsterte: »Bleibe bei deinen Eltern, die dich so lieben, mein Söhnlein,« da vermeinte der Vater, nur ein leise gehauchtes: »Eure Liebe ist nit stark genung«, zu hören. Dann brach der Glanz des Auges, der zarte Körper streckte sich, und mit einem erschütternden Wehschrei sank die Mutter am Bette nieder. Sie konnte die Seele ihres Kindes nicht mehr zurückhalten, die lichten Höhen entgegenflog.
Tiefe Trauer ergriff mit den armen gebeugten Eltern alle die Lehensleute, die ihrer Herrschaft zugetan waren, als die Todeskunde des kleinen Junkers in die Lehensorte hinabdrang. Es dauerte mehrere Tage, ehe die arme Mutter sich aus ihrem Schmerze so weit aufraffen konnte, daß sie ihren Knaben in den Sarg zu betten vermochte. Aber diesen letzten Liebesdienst wollte sie ihm allein erweisen. In ein weißes Sterbegewand gehüllt, mit Blumen geschmückt und in einem weißen Sarge, so ward der junge Erbe des Geschlechts von Uchtenhagen aufgebahrt, und am nächsten Tage sollte seine Bestattung im Grabgewölbe von St. Niklas vor sich gehen. Die Totenkerzen brannten, und die Mutter saß, in schwarze Gewänder gehüllt, neben dem Sterbegemach in ihrer Kemnate und schaute schmerzergriffen auf das blumengeschmückte Särglein. Da trat Else zur Herrin ein. Aus dem frischen blühenden Mädchen, das als fröhliche Jägersfrau mit ihrem Klaus in sein waldumhegtes Heim zu ziehen gedachte, war ein Schatten geworden. Auch sie trug schwarze Gewänder, aber in ihren von Gram verzehrten Zügen stand es jetzt wie eine düstere Gewißheit geschrieben. Sie stand vor Frau Sophia still und sprach:
»Herrin, eh' unser Junkerlein hinabgebettet wird in seine Gruft, muß ich Euch etwas sagen, was mir jetzt fest und unverrückbar vor der Seele stehet. Ich glaub' nimmer, daß Junker Kaspar durch Krankheit zu Tode gekommen ist. Es ist eine ruchlose und rachsüchtige Hand dabei im Spiele gewesen, und ich hab' vielleicht daran schuld, ohne davon gewußt zu haben!«
Weit öffneten sich die Augen der Mutter, als das Mädchen so sonderbare Worte sprach. »Berichte mir, Else, was weißt du?« fragte sie, angstvoll die Hände verschlungen.
Und nun erzählte das Mädchen, daß der Ausspruch des gelehrten Medikus, der Knabe müsse etwas Schädliches genossen haben, sie immer aufs neue habe grübeln lassen. Sie wußte ganz genau, daß sie dem Befehle der Herrin gehorsam gewesen war und nie erlaubt hatte, daß der Junker von Fremden eine Speise annehme. Aber eins liege schon mehrere Jahre zurück; kurz bevor ihr geliebter Klaus von heimlicher Mörderhand im Walde gefallen sei, da habe er dem Knaben einige Male eine schöne Frucht mitgebracht und habe ihr später einmal gestanden, daß er sie vom Ritter von Neuschild erhalten habe, um sie dem Junkerlein zu geben. Als Else diesen Namen nannte, sprang Frau Sophia wie entgeistert in die Höhe und streckte abwehrend die Hände aus, als wolle sie den Gedanken nicht Einlaß geben, die ihr jetzt durch das Herz fluteten. Hoch auf richtete sie sich dann. Aus dem tiefen Schmerze der Mutter über den Verlust des Liebsten, das sie besaß, erwuchs ihr auch die Kraft, den Elenden zu strafen, der nach dem Leben eines unschuldigen Kindes die ruchlose Hand ausgestreckt hatte.
»Du wirst schweigen, Else,« gebot sie dann dem Mädchen. »Das, was du mir gestehest, bringt entsetzliche Gedanken; dein Klaus, der die Wahrheit sagen könnte, weilt nit mehr unter den Lebenden. Wenn wir die Wahrheit erkunden wollen, müssen wir fürsichtig zu Werke gehen!«
»Ja, Herrin,« gelobte Else fest, »und in meinem Herzen stehet es unerschütterlich fest, die Hand, die sich nach dem Leben unseres lieben Junkerleins ausstreckte, die Hand ist es auch, die meinem Klaus den Tod bereitet hat!«
Die stumme Verzweiflung war von der Mutter gewichen. Der schwere Verdacht, der in ihrer Seele ruhte, er sollte nicht ferner verborgen bleiben. Bevor man das Särglein des Knaben schloß, nahm die Mutter ein kleines goldenes Büchlein, das am Rücken durch einen Schieber verschließbar war. Aus ihrer Hausbibel schrieb sie auf einen Pergamentstreifen das Psalmwort 63, 10; »Sie aber stehen nach meiner Seele, mich zu überfallen; sie werden unter die Erde hinunterfahren.«
Sie brachte den Spruch dem Ehegatten, der in schwerem Kummer sie in ihrem Tun gewähren ließ, wenn sie auch jetzt noch schwieg, welcher Verdacht sich hinter diesen Worten verbarg. Nur bat sie ihn, daß der Propst den Leichentext über dieses Wort halte, und der bekümmerte Vater sagte es ihr zu. Dann versah sie das Büchlein mit einem schwarzen Bande und hing es der kleinen Leiche um den Hals. Der Vater konnte sich von dein Anblicke seines einzigen Kindes kaum trennen, und nun war ihm ein Gedanke gekommen. Lebend hatte er das Bildnis des Knaben bereits in seinem Gemache, er wollte es auch so vor der Seele haben, wie sein junger Erbe im Sarge lag und mit ihm all sein Hoffen. Darum ließ er aus Fryenwolde herauf einen kunstfertigen Mann kommen und fragte ihn:
»Wenn ich dich an die Leiche des kleinen Junkers führe und du dir das Sterbebild genau betrachtest, getraust du dich, mir aus dem Gedächtnis ein Bildnis nachher zu schaffen, daß ich den Knaben immer vor mir sehe?«
»Ja, Herr Ritter, dessen getraue ich mich wohl,« sagte der Mann, den der Gram des Vaterherzens rührte. Darauf führte der Ritter ihn in das Sterbegemach, und lange stand der Mann vor dem Särglein des Knaben und prägte sich die Züge der kleinen blassen Leiche ein.
Dann ward der junge Erbe der Burg hinabgebettet in die Grabkapelle zu der Reihe der Vorfahren, die dort schon schliefen, und einsam blieben die Eltern auf der Burg zurück. Wohl waren die Freunde von nah und fern gekommen, dem Kinde das letzte Geleite zu geben, und auch Guisbert von Neuschild stand in dunkler Kleidung unter den Leidtragenden und verweilte noch einen Tag länger, den Freund scheinheilig zu trösten.
Diesen Abend benutzte die Mutter, um sich über ihren Verdacht Gewißheit zu verschaffen. Der Vater konnte in seinem Schmerze nicht anders, als immer und immer wieder von der Krankheit und dem Tode des Knaben sprechen, und erwähnte auch die Vermutung, von der der berühmte Medikus gesprochen hatte, daß sie das langsame Leiden des Knaben verursacht habe.
Nun erzählte Sophia mit kurzen Worten, was die Else ihr gestanden hätte, daß es das einzige Mal sei, wo das Kind von fremder Hand eine Speise genommen hätte. Klug verschwieg sie, daß der verstorbene Jäger von einem anderen beauftragt worden sei. Aber während ihres Berichtes waren ihre Augen fest und ruhig auf das Angesicht des Ritters von Neuschild gerichtet. Sie sah sein Erbleichen, seine unruhig hin und her lichternden Augen, und wenn er auch mit an scheinend ruhigen Worten dem Ritter Hans zustimmte, der meinte, eine Frucht könne doch nicht viel Schaden bringen, so war doch seine Seele in wildem Aufruhr. Er merkte, die Mutter hatte Verdacht, und sie würde nicht ruhen, bevor sie Klarheit über das Ende ihres Kindes hatte. Es stand fest, daß er baldigst mit Hermann von Ouitzow seine Rachepläne ausführen müßte, oder es ward ihnen alles vereitelt. Er beschloß, schon am nächsten Tage nach Blumental Botschaft zu senden und den Quitzower zur Beratung im Walde an den Baasee zu laden.
Frau Sophia war ihr Verdacht zur Gewißheit geworden. Noch hätte Hans von Uchtenhagen an keine Schuld des Freundes geglaubt. Er hätte ihrem Schmerze solche Gedanken verziehen, aber nicht gegen den einstigen Freund gehandelt. So mußte sie klare Beweise von der Schuld des Ritters von Neuschild haben, und dazu zog sie den alten Waffenknecht des Lehnsherrn, Dietrich, der ihr mit ganzer Treue ergeben war, ins Vertrauen.
»Herrin,« fuhr der Alte leidenschaftlich auf, »so das wahr wäre, daß des Ritters ruchlose Hand am Tode unseres Junkerleins schuldig wäre, mein Leben wollt' ich dafür hingeben, des Kindes Tod zu rächen!«
Sie berieten lange hin und her, dann sagte der alte Dietrich:
»Wenn der Ritter solche Pläne gefasset hat, so hat er nimmer allein gehandelt, Herrin, er hat Helfershelfer, und die muß ich erkunden. Die Wege, die nach dem Jagdhause Sonnenburg führen, will ich rund herum heimlich bewachen lassen und selber mit den Knechten im Verstecke liegen, vorerst, ohne daß unser Ritter davon ahnt.«
Noch in der Nacht machte sich der Alte mit einigen Waffenknechten auf, wie sie Ritter Hans zu geleiten pflegten, wenn er in sein Lehen zu Erkundigungen hinausritt. Der alte Dietrich hatte sich nicht verrechnet. Schon in früher Morgenstunde sah er, daß ein Jäger das Sonnenburger Jagdhaus verließ und den Weg nach Blumental einschlug. Da trat der Alte plötzlich hinter einem Baume hervor, und der Jäger fragte erstaunt: »Was weilet denn ihr schon so früh im Walde?«
»Wir warten auf den Herrn,« entgegnete der alte Dietrich, »aber wohin treibt es denn dich schon?«
»Ei, ich habe einen weiten Weg, der eine Tagereise nötig macht, darum sollt' ich früh aufbrechen. Ich muß eine Botschaft des Ritters von Neuschild zum Ritter Hermann von Quitzow tragen.«
Jetzt gab der Alte einem seiner Gefährten einen Wink. Der warf sich über den Jäger, fesselte seine Arme, damit er die Waffe nicht gebrauchen könnte, und der Alte griff in sein Wams und zog den Brief heraus, den der Jäger überbringen sollte. Alles Fragen des Jägers nutzte ihm nichts, er wurde gefesselt mitgenommen bis nach Burg Malchow, wo ihn der alte Dietrich in sein Gelaß einschloß. Dann eilte der Alte mit seinem kostbaren Funde zur Herrin, die nach schlafloser Nacht sich soeben erst erhoben hatte. Ein wächsernes Siegel schloß die Botschaft des Ritters. Vorsichtig löste es Frau Sophia mit einem erhitzten Messer ab und entfaltete das Pergament.
Entsetzen zog ihr durch die Seele, als sie aus der Botschaft nicht nur entnahm, daß ihr Verdacht durchaus begründet sei, sondern daß die beiden Verschworenen auch einen Mordanschlag auf den Ritter Hans vorhatten, der auf der Jagd im Waldesdunkel zur Ausführung kommen sollte, nachdem sie über das Nähere beraten. Das Pergament enthielt die Frage an den Ritter von Quitzow, wann er zur Verabredung eintreffen wolle.
Jetzt eilte sie mit dem alten Dietrich in das Gemach des Burgherrn, der traurig bei seinem Frühmahle saß. Nichts mehr verschwieg jetzt Sophia. Sie erzählte von jenen Nachstellungen, als Ritter Haus zur Leistung des Lehenseides in Cöllen war, daß von der Zeit an die Rache des falschen Freundes stamme, und legte jetzt das verhängnisvolle Pergament vor.
Heißer Zorn ergriff den betrogenen Ritter, der die besten und edelsten Gefühle im Freunde vermutet hatte und nun dieser schändlichen Gesinnung inne ward. Er ging mit Dietrich nach dem Gemache des Alten und herrschte in scharfem Tone den Jäger an: »Was für Botschaft solltest du dem Quitzower Ritter bringen, und was weißt du hier von dem Briefe?«
»Herr,« beteuerte der Jäger mit erschrockenem Gesichte, »mir ist nicht bewußt, daß ich eine Botschaft tragen sollte, die Euch, meinem rechten Gebieter, Schaden bringet!«
Der Ritter kannte ihn als aufrichtig und sprach: »Ich will deinen Worten glauben, aber zeige mir und der Herrin deine Treue. Trage den Brief, wie dir geheißen ward, zum Ritter von Quitzow. Die Antwort aber bringest du mir und bewahrest über alles, was geschehen ist, das tiefste Schweigen. Reicher Lohn soll dir werden, wenn du nach meinen Worten tust!«
Der Jäger versicherte eifrig seine Treue und seinen Gehorsam. Das Pergament des Ritters von Neuschild ward wieder mit dem Wachssiegel verschlossen und eilends machte sich der Jäger auf den Weg, um noch am Abend zurückzukehren. Abermals ward vorsichtig das Wachssiegel gelöst. Der Lehensherr erfuhr aus dem Inhalte den Zeitpunkt des Zusammentreffens, den der Quitzower angab, und nachdem die Botschaft sorgfältig wieder verschlossen war, belohnte der Lehensherr reichlich den treuen Jäger, der nun, als sei nichts geschehen, dem Ritter von Neuschild das Schreiben überbrachte. Sein späteres Heimkommen hatte er mit dem Vorwande entschuldigt, der Quitzower Ritter sei auf seiner Burg noch nicht daheim gewesen, und Guisbert von Neuschild, der meinte, seine Pläne aufs heimlichste ausgeführt zu haben, glaubte seinen Worten.
Daß er eilig handeln mußte, um den Verrätern zuvorzukommen, das sagte sich aber Hans von Uchtenhagen sofort in seinem gerechten Zorne. Er rüstete eine kleine Schar ihm treu ergebener Reisiger, an ihrer Spitze den alten Dietrich, und begab sich unbemerkt in das Gebüsch nahe der Stelle am Baasee, wo die Verschworenen zusammentreffen wollten.
Dunkel und still war die Nacht. Leise nur schlugen die Wellen des Sees an das Ufer, sonst war kein Laut zu hören. Alle Eisenrüstung hatte der Ritter mit seiner Reisigen vermieden, nur Schwerter und Hakenbüchsen waren ihre Waffen. Im blassen Lichte des Mondes, der kaum durch das dichte Blättergewirr der uralten Buchen zu dringen vermochte, sahen sie endlich vor Mitternacht einen Kahn über den See gleiten und nahe an ihrem Versteck anlegen. Ein Mann saß darin, und als er ans Ufer trat, löste sich auch aus dem Dunkel der Bäume eine zweite Gestalt und trat zu ihm.
Lautlos kroch der alte Dietrich mit seinem Herrn auf dem weichen Moose heran, und so vernahmen sie in der Stille der Nacht jedes Wort, das die beiden Verräter miteinander von ihren Plänen wechselten. Mit Grimm und Abscheu hörte der Uchtenhagener, wie der Tag seines Todes festgesetzt sei, und sobald man ihn auf der Jagd umgebracht habe, solle Burg Malchow fallen. Der Quitzower hatte mit seiner Sippe bereits 200 Mann ausgerüstet, die alte Rache zu tilgen. Die Burg sollte in der Stille genommen werden, und wenn Guisbert ihnen Beistand liehe, wollte man es dahin bringen, daß er, als der Freund und einzige Erbe des Uchtenhageners, Burg Malchow und die umliegenden Besitzungen erhalten solle. Die Lehensbestätigung des Kurfürsten hoffte man dann auch zu erhalten.
Bis dahin hatte der Uchtenhagener an sich gehalten, wie auch der alte Dietrich mit den Zähnen knirschte und ihm leise zuraunte, ob er sich nicht auf das Verräterpaar stürzen sollte.
Jetzt aber hielt es auch den Ritter nicht länger. »Verruchte Mörder!« schrie er in gewaltigem Grimm und stürzte aus dem Verstecke. Mit ihm brachen seine Reisigen hervor, und die Verräter stürzten in wilder Flucht nach dem Kahne.
»Steht und verteidigt euch,« rief der Ritter von Uchtenhagen, »oder ich schieße euch nieder wie böse Hunde!« Aber feige entflohen die Verschworenen und hofften, im Kahne noch Rettung zu finden. Kaum aber stießen sie vom Lande, da krachte des alten Dietrich Schuß. Mit einem grauenhaften Schrei stürzte Guisbert von Neuschild über den Rand des Kahnes und verschwand in dem gurgelnden Wasser. Von der Erschütterung verlor der Kahn das Gleichgewicht, und wie auch der Quitzower mit den Wellen rang und sich an dem Kahn aufzurichten suchte, im Dunkel der Nacht entglitt er seinen Händen, das Sumpfgewächs und das tiefe Wasser zogen ihn hinab. Noch einmal sahen die am Ufer Stehenden schattenhaft seine Gestalt über den Wellen auftauchen, dann ward es still. Kein Laut drang mehr durch das nächtliche Schweigen.
Erschüttert stand der Ritter von Uchtenhagen mit seinen Reisigen am Ufer. Hier hatte eine höhere Hand mit entsetzlicher Schnelligkeit eingegriffen, den verräterischen Freund und seinen Genossen zu strafen. Still kehrte er mit seinen Reisigen nach der Burg zurück und gab der angstvoll ihn erwartenden Ehegattin Kunde von dem erschütternden Ende seiner Feinde. Dann aber umarmte er voll inniger Liebe die Treue, deren Klugheit er das eigene Leben und die Rettung der Burg verdankte.
Mächtig erregten diese Geschehnisse die Lehensleute und die Ritter, die dem Hause Uchtenhagen zugetan waren, rundum auf den Lehenssitzen. Aber bei allem Mitgefühle mit dem schwergeprüften Ehepaar auf Burg Malchow konnten sie ihm nicht helfen, daß das Glück des Hauses wiederkehre. Ritter Hans versank immer mehr in tiefe Schwermut, seitdem ihm der Erbe fehlte.
Die Jahre rauschten dahin. Ernst und einsam lebte das Ehepaar auf Burg Malchow, voll treuer Sorge auch ferner für seine Lehensleute bedacht, aber auf das Glück ihres Hauses rechneten sie nicht mehr Im Jahre 1608 war der Kurfürst Joachim Friedrich nach nur zehnjähriger Regierung gestorben. Sein Sohn Johann Sigismund war gerade auf einer Reise nach dem fernen Königsberg begriffen, als er die Botschaft vom Tode des Vaters erhielt. Heiß und innig war sein Schmerz um den Toten, der in seiner Gerechtigkeit und Milde als wahrhafter Fürst sein Leben zu Ende geführt hatte. Voll hoher Sinnesart war er darauf bedacht gewesen, die Zügellosigkeit und rohe Sinnlichkeit in seinen Ländern durch die geistige Ausbildung seiner Untertanen zu verdrängen. Schulen mancherlei Art wurden durch seine Sorge ins Leben gerufen, ja, das Jagdschloß Joachimstal ward durch ihn in eine hohe Schule umgewandelt, wo 120 arme, aber mit guten geistigen Anlagen begabte Jünglinge ganz auf des Kurfürsten Kosten erzogen und unterrichtet wurden. Diese Stiftung legte den Grund zu dem heutigen Joachimstalschen Gymnasium, das später in die Nähe der Residenzstadt verlegt ist. Voll großer Einfachheit war der Kurfürst in seiner Kleidung den Untertanen mit bestem Beispiele vorangegangen. Sparsam wie sein Vater, Kurfürst Johann Georg, es war, erließ er, als die Ueppigkeit und der Aufwand der Untertanen gar nicht zu dämpfen war, eine strenge Speise- und Kleiderordnung. Das Tragen der sammetnen und seidenen Zeuge wurde ohne Ausnahme verboten, das heimatliche Gewebe sollten die Bewohner wieder achten lernen. Die treueste Helferin in all diesem Mühen des kurfürstlichen Herrn für Einfachheit, Mäßigkeit und Häuslichkeit war ihm seine erste Gemahlin Katharina gewesen. Bei ihrem menschenfreundlichen Sinne dachte sie daran, besonders für die Armen und Kranken zu sorgen. Zu diesem Zwecke hatte sie dicht bei der Residenzstadt Berlin Kuhmelkereien einrichten lassen. Die Milch ließ sie in der Hauptstadt auf einem Platze verkaufen, der heute noch den Namen »Molkenmarkt« trägt. Von dem Erlöse dieser Milch stiftete sie eine Apotheke, aus der jeder arme Kranke unentgeltlich Arzenei haben sollte. Auch diese Stiftung ist noch erhalten, es ist die Schloßapotheke zu Berlin, die immer noch ihren edlen Zweck erfüllt. Diesem Herrscherpaare war nur eine kurze Regierung in brandenburgischen Landen gegeben. Streng hatte der Fürst auf Recht und Gerechtigkeit in seinem Lande gehalten, und Ungerechtigkeit konnte sein fürstliches Gemüt aufs äußerste empören. Alle Verfolgten und Unterdrückten seiner Länder wandten sich darum auch vertrauensvoll an ihren Herrn, und noch an seinem Sterbetage hatte der Kurfürst die Bittschrift eines schlichten Berliner Zimmermanns erhalten, daß man seinen Schwäger zu Forstenwalde arglistig ermordet habe. Erschüttert hatte der Kurfürst seine Hände zusammengefaltet, hob sie auf zum Himmel und sprach mit tiefem Schmerze: »Ach, lieber Gott, wie wird in unseren schlimmen Zeitläuften das Totschlägen so allgemein, Gott muß das Land strafen.« Seine Worte waren wie eine Prophezeiung und düstere Voraussicht, daß 10 Jahre später die entsetzlichste Geißel, die je aufgekommen war, ihr Strafgericht über die deutschen Lande anheben sollte, der dreißigjährige Krieg.
Johann Sigismund hatte seine Reise nach dem Preußenlande fortsetzen müssen, weil alles dort von seinem persönlichen Erscheinen abhing, denn die hartnäckigsten Widersprüche waren ihm dort über die spätere Lehensherrschaft und Regentschaft erwachsen. Zwar Adel, Städte und Volk des Landes unterwarfen sich willig den Rechten des jungen Fürsten, aber Polen, das alte Rechte in Preußen zu haben glaubte, machte die hartnäckigen Schwierigkeiten, und es kostete Geldspenden und Annahme manch harter Bedingung, bevor das Polenreich und dessen Landstände in die Belehnung willigten, da sie die energische Herrschaft der Hohenzollern fürchteten, die ihren Einfällen tatkräftiger wehren würden, als es unter der schwachen Herrschaft im Preußenlande bisher möglich gewesen war. Im Jahre [Zahl unleserlich] erst geschah die feierliche Belehnung, die dann der junge Kurfürst Johann Sigismund in eigener Person empfing.
Noch vorher hatte Hans von Uchtenhagen in seiner Bekümmernis einen entscheidenden Schritt getan. Er hatte mit Zustimmung der Ehegattin einen Kaufvertrag aufgesetzt, der die Stadt Fryenwolde und die reichen sonstigen Besitzungen diesseits der Oder dem Kurfürsten von Brandenburg verkauft mit der Bestimmung, daß das Herrschaftsrecht den Hohenzollern nach seinem Tode zufallen solle. Das Recht aber ward im Kaufvertrag ihm eingeräumt, daß er die Kaufsumme zurückzahlen und den alten Besitz wieder antreten könnte, sofern ihm der Himmel noch einen Erben bescheren würde. Die Besitzungen jenseits der Oder, die sogenannte Insel Nienhagen, sollte aber sofort in kurfürstlichen Besitz übergehen.
Wieder flossen still die Jahre dahin. Kein Erbe mehr ward geboren, und nicht neues Leben, sondern der Tod sollte bald wieder über die Schwelle von Burg Malchow treten. Wie oftmals hatte Frau Sophia mit dem Gatten vom Burggärtlein aus hinabgeschaut über Wald und Bruch und Stadt bis an die Grenze ihres Besitzes, wie oft hatte ihr tröstender Zuspruch sein düsteres Gemüt aufgerichtet!
»Was nützet mir mein Schaffen, mein Sorgen, mein Mühen, Sophia,« das war fast ständig seine schwermütige Rede. »Es liegt ein alter Fluch auf unserem Hause. Wenn meine Augen sich werden geschlossen haben, dann ist unser Geschlecht vergangen und vertilget von der Erde!«
»Das ist der Menschen Los, mein teurer Gemahl,« war dann ihre Gegenrede, »Geschlechter kommen und gehen. Sie schaffen und sorgen, als sei auf dieser Erde nur zu finden, was in Ewigkeit ihnen Heil bringen soll. Unser kurzes Menschenleben ist ein Hauen und Jagen und Sorgen, und könnten wir auch tausend Jahre zurückblicken auf die, die unsere Vorfahren und mit uns eines Blutes waren. Gedenke des heiligen Wortes: ›Tausend Jahre aber sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache.‹ Eines aber bleibet; wenn der Körper zu Staub und Asche zerfällt, so bleiben doch unsere Werke so wir geschaffen haben in der Zeit, da des heiligen Gottes Willen uns auf der Erde weilen ließ. Was ist dein Leben gewesen und das Leben deiner Vorfahren? Sind sie denen, die ihnen untertan waren, die von ihrem Willen und von ihrer Gnade abhängig sein mußten, zum Fluch oder zum Segen gewesen? Streckt sich die Hand derer, die da unten in Frieden wohnen, mit Grimm und Zorn in die Höhe, sobald der Name deines Geschlechtes genannt wird, oder faltet wohl ein altes Mütterlein fromm die Hände, so es der Männer und Frauen gedenket, die hier auf Burg Malchow gesessen, gewaltet und geherrscht haben? Das laß uns fragen, mein Gemahl. Welcher Art werden die Werke sein, so uns in die Ewigkeit nachfolgen?«
Wenn Frau Sophia so gesprochen hatte, dann war der Ritter ruhiger geworden und hatte sich in sein Leid gefügt.
»Du bist mir ein Trost, mein treues Weib,« sagte er dann wohl. »Ja wahrlich, nit ein Fluch ist mein Geschlecht seiner Herrschaft gewesen, sondern ein Segen, und was mir von Kraft verliehen ist, noch will ich es brauchen, solange meine Augen offen stehen, daß es Segen ist, was auch meine Hände schaffen.«
Nun aber drohte sein letztes Glück, sein einziger Trost ihm zu verlöschen. Wenn auch ihre Seele sich auf starken Flügeln des Glaubens weit über die Kümmernis der Erde erhob, der zarte Leib der Burgherrin erlag dem jahrelangen Leide. Nie hatte ihr Mutterherz den so erschütternden Tod des einzigen Kindes überwinden können. Vor dem selbst in so tiefem Gram dahinlebenden Gatten verbarg sie heldenmütig ihr Leid, aber es zehrte an ihrer Kraft, und nun hatte die Schwäche sie auf ihr Sterbelager gebracht.
In tiefem tränenlosen Schmerze sah der Gatte ihr Hinsiechen. Die geschicktesten Aerzte hatte er berufen, geduldig hatte die Leidende manch ein stärkendes Tränklein zu sich genommen, weil sie dem schwachen Körper so lange als möglich Kräfte zuführen wollte, sich für den Gemahl zu erhalten. Jetzt half nichts mehr.
»Es ist das Herzleid, Herr Ritter,« sagte ein alter Medikus aus Frankenvorde auf die angstvolle Frage des Burgherrn, welcher Art denn die Krankheit der geliebten Gattin sei, und ob sich kein Mittel mehr finde. »Gegen Herzweh und Gram hat noch kein Doktor ein Tränklein erfunden. Die Seele der Edelfrau sehnet sich nach dem Wiedersehen mit dem geliebten Kinde. Und die Kraft der Seele ist stärker als die des Leibes. Lasset die Gattin in Frieden einschlafen und quälet sie nit mehr. Die Erde hat ihr nimmer etwas zu bieten!«
In das Gemach des Burgherrn, das oben in dem Wartturme lag, hatte man das Lager der kranken Herrin gebracht. Durch das geöffnete Bogenfenster konnte sie bei dem linden Sommerabende weit hinaussehen auf Tal und Strom, Wald und Wiese der Heimat, die sie einst als so glückstrahlendes Edelfräulein betreten hatte, um hier als geliebte Burgfrau zu schalten. Ein sanftes Lächeln der Erinnerung an diese glücklichen Jahre lag auf ihrem zarten bleichen Gesicht, und sie ergriff die Hand des neben ihr sitzenden Gemahls und sagte leise: »Sieh, mein Trauter, um den Abend wird es licht sein. Wie mild grüßt uns die Sonne im Verscheiden, und so gönnt es auch mir der treue Gott, ohne Schmerzen, in Frieden abscheiden zu können und mich innig zu freuen auf jenes herrliche Land da droben. Dort strahlet eine unvergängliche Sonne, die unser erhöhter Heiland selbst ist, da ist kein Leiden, keine Kümmernis, kein Trauern mehr, denn der Herr selbst wird abwischen alle Tränen von unsern Augen, und dort erwartet mich schon unser selig verklärtes Kind …« Sie schwieg, von Schwäche übermannt, und schloß die Augen. Der Ritter, eingedenk der Mahnung des alten Medikus, hielt gewaltsam den tiefen Schmerz zurück, um das friedliche Ende der Sterbenden nicht zu verbittern. Aber er konnte es doch nicht hindern, daß eine Träne plötzlich heiß und brennend auf die schon erkaltende Hand fiel, die er in der seinen hielt. Das rief die Seele der treuen Lebensgefährtin, die alles Glück und alles Leid Stunde um Stunde mit ihm getragen hatte, noch einmal zurück aus jenen reinen Sphären, denen ihr Geist schon zueilte.
»Trauere nun nimmer, mein lieber Gemahl,« flüsterte sie mit dem letzten Rest ihrer Kräfte und zog seine Hand an ihre Brust.
»Es ist ja nur ein kurz Abschiednehmen … Wir warten deiner dort droben … und streue ferner noch Segen aus über alle, die unter deiner Herrschaft stehen, wie ein fleißiger Landmann die Samenkörner dem Schoße der Erde übergibt … zu einer Ernte, deren sich die Nachwelt erst freuen wird. Segen, Segen, auf daß der Fluch getilget werde« …
Immer leiser waren ihre Worte geworden, fast in einem Flüstern ersterbend. Die Augen, die einst in jungen Jahren dem Ritter eine Welt von Glück und Liebe entgegengestrahlt hatten, sie schlossen sich müde und öffneten sich nicht wieder.
»Dank, Dank für dein treues Lieben …, droben wird unsere Liebe ohne Ende sein,« das hauchte noch ihr Mund. – Dann ward es stille, und drunten vom Turme St. Niklas begannen tief und feierlich die Glocken den Sonntag einzuläuten. Himmlischer Abendfrieden lag über dem lieblichen Tale, und bei den letzten Strahlen der Sonne begann hoch oben im Gipfel der alten Burglinde, die vor dem Fenster rauschte, ein Vöglein sein Schlummerlied zu singen.
Aller wilde Schmerz um den Abschied der liebsten Seele, die ihm noch geblieben war, alles Grauen vor der Einsamkeit, in der er nun verbleiben sollte, alles löste sich dem Burgherrn in mildem Weh bei der stillen Majestät dieses Sterbebettes, bei diesem friedlichen Scheiden. Wahrlich, Engel trugen diese reine Frauenseele in ihre Heimat; ihr sanfter Flügelschlag durchwehte den Raum und scheuchte alle laute Klage.
Die zarte Hülle lag entseelt da. Mit sanfter Hand drückte der Ritter der geliebten Toten die Augen zu, und sein leises Gebet folgte dem Fluge ihrer Seele. – –
Es war nun völlig einsam um den letzten Träger des Namens Uchtenhagen geworden. Schwer gebeugt durch das Leid seines Lebens und in seiner Herzenseinsamkeit immer wieder dem Geschicke seines Geschlechtes nachgrübelnd, zog sich der Ritter immer mehr auch von den alten Freunden des Hauses zurück und ward dadurch alt, weit über seine Jahre hinaus. Seinem Lebensalter nach erst ein Fünfziger, fühlte er sich gebrochen und alt wie ein Siebziger.
Nur ein Streben, eine Aufgabe kannte er noch. Das war, das geistige Vermächtnis seines geliebten Weibes zu erfüllen, die ihm noch verliehenen Lebensjahre zu benutzen, seiner Herrschaft und den untergebenen Lehensleuten zum Segen zu werden für ihr leiblich Fortkommen und ihr inneres Glück.
Mancherlei Erbschaftsstreit in Brandenburg, damit verbundene teure Kriegsrüstungen, und Söldnerscharen, die Erpressungen und Unfug aller Art an den Bewohnern der Mark verübten, diese Zustände raubten anderswo den Untertanen vieles von den Segnungen des Friedens, die ein Aufblühen nach allen Seiten gebracht hätten. Diesen Verfall der segensreichen Ordnung von seinem Lehen fernzuhalten, war das erste Bemühen des Uchtenhageners. Recht und Gerechtigkeit ward hoch gehalten in allen Teilen seiner Herrschaft, und im kleinsten Weiler und wohin nur der Burgbann des Ritters reichte, nannte auch der geringste Hörige mit Liebe den Namen seines Herrn.
Mit reichen Vermächtnissen ward St. Niklas ausgestattet, Aecker und Wieswuchs ihr zugeteilt, auf daß sie in Zeiten der Not stets habe zu geben den Dürftigen. Der Stadt und ihrem Rat aber ward die Verpflichtung auferlegt, in Treue für das Bestehen des Gotteshauses zu sorgen, das einst die Uchtenhagener erbaut hatten, und es zu bessern und zu festigen, sobald es irgend einen Schaden zeigte.
Dafür wurden dem Rat wichtige und festgegründete Privilegien aller Art verliehen, die seine Rechte und sein Regiment zum Heile der Stadt für alle Zeiten sicherten und sein Aufblühen im märkischen Lande für immer festigten.
Der aber, der durch so segensreiche Verordnungen das Wohl von Tausenden begründete und die Sicherheit für ihr irdisches Glück gab, er fand den einzigen Trost für die Einsamkeit seiner letzten Lebensjahre nur drunten im Gotteshause von St. Niklas, an den Grabstätten seiner Lieben und im Anschauen ihrer Bildnisse. Wollte ihm beim Ausschau in die trüben Zeitereignisse das Herz zu schwer werden, und übermannte ihn der Kummer, daß kein liebendes Herz sich innig an das seine schmiegte, so stieg er hinab in das Kirchengewölbe, sich durch ein Gebet am Sarkophage seiner toten Sophia aufs neue zu stärken. Neben dem ihren stand das weiße Särglein seines Knaben, und lange konnte er darauf oben in seinem Kirchengestühle sitzen und das Bild des geliebten, so früh verschiedenen Kindes betrachten, wie es im Sarge ruhte. Der Meister hatte mit Aufbietung aller seiner schlichten Künste den Knaben im weißen Sterbehemde dargestellt, das goldene Büchlein um den Hals, in das die trauernde Mutter das bedeutungsvolle, anklagende Bibelwort gelegt hatte. Es hatte zur Seite des Altars oben im Kirchenraume seinen Platz gefunden und trug als Unterschrift den Vers:
Ah tibi Jesu lectulum
In me para mollissimum,
Meo quiesce pectore
Et intime servabo te.
Als deutscher Text ist dem noch heute sichtbaren Bilde in der Kirche zu Freienwalde a. O. der Vers aus Luthers Weihnachtslied beigefügt: »Vom Himmel hoch« …
Ach mein herzliebstes Jesulein,
Mach Dir ein rein sanfft Bettelein,
Zu ruhn in meines Herzens Schrein,
Daß ich nimmer vergesse Dein.
Das lebende Bild seines Knaben und letzten männlichen Trägers des Namens Derer von Uchtenhagen sollte einst nach seinem eigenen Tode hier unten in der Kirche seinen Platz finden. In der Nikolai-Kirche zu Freienwalde a. O. hängt das Bild des Knaben noch heute über der Pforte zur Sakristei. Die Unterschrift lautet: » Da ich, Caspar von Uchtenhagen, bin gewest dieser Gestalt, war ich viertehalb Jahr alt, Anno 1597 den 18. November.« Jetzt hing es noch droben in seinem Gemach auf Burg Malchow neben dem der einstigen lieben Gefährtin und gab ihm zuzeiten das wehmütig glückliche Gefühl, als weilten die Heißgeliebten noch um ihn, als seien die Jahre des Leidens seit ihrem Abscheiden nur ein schwerer drückender Traum gewesen. Aber hatte die helle Morgensonne, die auf den Bildnissen lag, die Gesichter fast lebend erscheinen lassen und das Herz des einsamen Ritters mit Freude erfüllt, die Nacht, die heraufzog, löschte mit Finsternis und Sturm alles aus, und sich verlassener denn je wähnend, neigte der fast weißhaarige Ritter das Gesicht in beide Hände.
So zogen die Jahre dahin, der Gram machte den Lehensherrn siech und krank und führte ihn immer näher dem Grabe zu, dahinter er das Wiedersehen mit den Seinen sehnsuchtsvoll erwartete.
Und er kam, der langersehnte Tag. Der Sonntag Judika des Jahres 1618 fand den Lehensherrn auf seinem Sterbelager; schmerzlos und friedlich sah er seiner Todesstunde entgegen. Drunten im Städtlein und in den andern Lehensorten waren am Tage die Glocken im Chor gegangen, aber in den Kirchen hatten die trauernden Lehensleute mit den Geistlichen nicht um Wiedergenesung gebetet, sondern auf dringenden Wunsch des sterbenden Ritters einzig und allein um ein sanft und selig Abscheiden von dieser Welt.
Der Frühlingsabend brach herein, mit Nebelschleiern füllte sich das Tal, durch das die Wasser der Oder breit dahinflossen, und am klaren Abendhimmel stand funkelnd der erste Stern. Mit Sehnsucht in den Augen blickte der sterbende Burgherr hinauf, dessen Ruhelager man an das breite Bogenfenster seines Gemaches getragen hatte. Hier, wo einst sein geliebtes Weib so friedlich heimgegangen war, wollte auch er Abschied nehmen von der Stätte seines irdischen Wirkens, von der märkischen Heimat.
Der Propst des Städtleins und sein getreuer Waffenknecht, selbst schon weißhaarig und gebückt, weilten bei dem Burgherrn, der das heilige Mahl genossen hatte und matt und entkräftet dalag.
Die leuchtende Frühlingssonne war schon lange drunten im Wasser verschwunden, jetzt verblaßte auch der letzte Schimmer der Abendröte im Westen.
»Es wird dunkel auf Erden,« flüsterte der Sterbende leise, »hole mich heim, mein Gott und Herr, in das leuchtende Vaterhaus« …
Der Geistliche bog sich in treuer Fürsorge zu dem Kranken hinab, seinen Worten aufmerksam lauschend, und mit bekümmertem Gesichte saß der alte treue Knecht auf einem Bänklein zu Füßen des Lagers.
Dann aber öffneten sich die Augen des Burgherrn weiter und schienen Seltsames in weiter Ferne zu erblicken. »Blutige dunkle Schatten ziehen herauf,« flüsterte er wie beschwörend, … »sie bringen Entsetzen und Tod über die Lande … über die Heimaterde, die uns nährte … und mich rufst du heim, mein Gott … daß ich den blutigen Schrecken nicht schaue … geborgen bei dir, in den Hütten des Friedens.« … Er schwieg eine Zeitlang und fuhr dann abgebrochen wieder fort: »Aber der Segen kehret wieder … er weichet nimmer von der Erde, die mit dem Schweiße der Vorfahren gebaut ist … der Fluch ist auf immer getilget … Segen, dreimal Segen wird das Walten des edlen Geschlechtes krönen, … dessen Aar zur Sonne steiget … dessen Same wird herrschen noch in grauen Zeiten … der Fluch … er ist getilget … der Segen wird bleiben … wird bleiben immerdar …«
Die letzten Worte wiederholte der Burgherr noch einigemal, dann schlossen sich ermattet die Lider, er schien zu schlummern. Betend verharrte der Propst am Sterbelager. Auf leisen Sohlen ging der alte Getreue aus dem Gemach und brachte ein verschleiert Lämplein getragen, auf daß ihr Schein den Augen des Kranken nicht wehe tat. Er setzte es auf den großen Eichentisch inmitten des Gemaches, wo ihr mattes Licht allerlei Pergamente beleuchtete, die da zusammengerollt, siegelbehangen neben festen Eichenkästen und starken Schlüsselbunden lagen. Noch vor dem heiligen Mahle hatte der Burgherr alle Fächer öffnen und die Urkunden und Pergamente herbeibringen lassen, die dem kurfürstlichen Herrn zu überbringen waren, sobald er die Augen geschlossen hatte, und die auch die Kirche und der Rat der Stadt als ihr Erbteil vom Lehensherrn erhalten sollten. Der geistliche Herr hatte es gelobt, in Treue der Urkunden zu wahren, und nun hielt er mit dem Alten die Wacht am Sterbelager des letzten Erb- und Lehensherrn.
Schwache Atemzüge verkündeten, daß noch Leben in dem leise Schlummernden sei. Stundenlang währte schon der Schlaf; der erprobte Geistliche wußte es von manchem Sterbebette her, es war jener Schlaf vollster Erschöpfung aller Kräfte, der leise hinüberging in den ewigen Schlummer.
Mit dumpfen Tönen hatte schon vor einer Weile die Glocke auf Burg Malchow Mitternacht geschlagen. Da auf einmal streckte sich die Gestalt des Lehensherrn, halb öffnete sich das Auge und schloß sich dann wieder, und ein tiefer Seufzer kam als letzter Laut über die blassen Lippen.
Dann war alles vorüber. Ohne schweren Kampf, im Frieden ging der letzte Träger des Geschlechts Derer von Uchtenhagen heim, und was an Leid und Weh auch sein irdisches Geschick gewesen war, nun war alles überwunden.
Mit innigem Gebete geleiteten die beiden Treuen die scheidende Seele. Dann, während der Propst dem Toten sanft die Augen schloß und die Hände faltete, öffnete der alte Knecht nach frommer Sitte der Vorfahren weit die Flügel des hohen Bogenfensters, auf daß die Seele nicht mehr in irdischen Räumen gehindert sei, die ihrer lichten Heimat zustrebte. Mondschein lag über dem weiten Tale, und aus dem Städtlein herauf funkelten trotz der späten Stunde noch zahlreiche Lichtlein. Man wachte noch dort drunten in Sorge und Bangen um den geliebten Lehensherrn, sagte sich der alte Knecht im treuen Herzen, und es tat ihm wohl, das zu wissen.
Dann rief der geistliche Herr mit leisen Worten die Lehensleute der Burg hinein, die in der Vorhalle gewacht hatten. Sie kamen und sanken weinend am Bette des Toten nieder, und ihr Herz fragte sich mit Trauern, ob ihnen noch einmal auf Erden ein so gütiger Herr werde beschieden sein.
In schmerzlichem Schweigen rüsteten sie den toten Herrn für sein letztes Lager. Schwert und Ritterhelm brachte der alte getreue Waffenknecht getragen, indessen der geistliche Herr ihm das Bibelbuch in die erkaltenden Hände gab, dessen heiligen Geboten der Tote bei allem Leid seines Lebens gefolgt war. Die Mägde aber stiegen noch hinab ins Burggärtlein, und mit dunklem Tannenbruch und den ersten Frühlingsglöcklein schmückten sie das weiße Sterbelager.
Dann segnete der Propst die Leiche ein und schritt in trübem Sinnen den Schloßberg hinab, dem Städtlein zu, ihm Mitteilung zu geben von dem friedlichen Heimgange seines Erb- und Lehensherrn.
Aber auf halber Höhe blieb er stehen. Was war das für ein roter Schein, der sich von Süden her über den Himmel reckte? – Jetzt erlosch er, um nach längerer Zeit wieder aufzutauchen. Wie blutrote Finger streckte er sich strahlenförmig aus.
»So kündet sich doch nimmer ein Feuersbrand an,« murmelte der alte Seelsorger mit schwerem Herzen. »Weisest du uns die Zuchtrute, gerechter Gott, zu strafen die Sünden und Greuel in allen Landen, die groß worden sind und gen Himmel schreien? So hat dein frommer Knecht droben in seiner Sterbestunde recht gesehen und du hast ihn in deiner Gnade heimgeholt, ihn allem Schrecken entnommen.«
Noch einigemal folgte das Auge des Geistlichen dem Aufleuchten der seltsamen Erscheinung am dunklen Nachthimmel, dann erlosch sie. Einige Jahre später aber wußte er, was das Himmelszeichen angekündigt hatte. Die Antwort auf seine bange Frage damals gaben die Schrecken des dreißigjährigen Krieges in den brandenburgischen Landen.
Jetzt aber schritt er ins Städtlein hinab, und bald verkündeten die Totenglocken von St. Niklas in dumpfen Tönen den Lehensleuten, daß der letzte Lehensherr aus dem Hause Uchtenhagen verschieden sei. – – –
Einbalsamiert und mit ritterlichen Ehren aufgebahrt stand der Leichnam des letzten Uchtenhagen bis zum Sonntag Exaudi des Jahres. Alle Freunde des alten Geschlechtes, die Kinder und Kindeskinder der weiblichen Glieder des Uchtenhagener Hauses, die fern in der Mark begütert waren, und Abgesandte des kurfürstlichen Herrn, dem jetzt das Lehen zu eigen war, sie alle waren herbeigeeilt, als an Exaudi der letzte Lehensherr in die Gruft hinabgesenkt wurde. St. Niklas und der Platz um das Gotteshaus vermochte nicht die Menge zu fassen, die traurigen Herzens dem Sarge nachblickte, der von den alten Lehensschulzen durch sie hin getragen wurde. Ergreifend klang das Predigtwort des alten Propstes dem scheidenden Herrn nach, das mit heiliger Mahnung ob der herannahenden schweren Zeit schloß, der alles Volk mit so festem, in Gott ruhendem Herzen begegnen solle, wie dieser gütige Herr es getan, der bei allem Leid seines Lebens in Liebe allen gedient habe, die zu ihm gehörten.
Dumpfes Weinen ertönte, als der Ritterhelm und der zerbrochene Schild dem toten Lehensherrn in die Gruft folgten. Dann kehrte alles in ernstem Schweigen heim. Der Propst aber trug in großen Schriftzügen folgende Worte in das Kirchenbuch von St. Niklas ein:
»Anno Domini 1618, am Abend Judica des 21. Martii, zwischen 12 und 1 Uhr, ist der Edle, gestrenge und Ehrenveste Hans von Uchtenhagen, dieses Städtleins Erbherr und Junker und der letzte dieses Geschlechtes, seligk im Herrn eingeschlaffen und verschieden und danach am Sonntag Exaudi, den 17. May, allhier in St. Niklas-Kirche unter den Altar in Sein gewölbtes Begräbniß, nach adliger Weise, zu Seiner in Gott ruhenden Frauen und Söhnlein gesetzet, da er in Seinem gantzen Alter das 64. Jahr erreichet hatte. Gott gebe ihm eine ewige selige Auferstehung!«
Das Städtlein Fryenwolde wurde kurfürstlich und ward den Gemahlinnen der regierenden Hohenzollern als Leibgedinge verliehen. Der dreißigjährige Krieg tobte durch die deutschen Lande und brachte unendliches Elend über die Mark Brandenburg, verwüstete die Felder, Städte und Dörfer, legte die Kirchen in Asche, und auch die Kirche von St. Niklas und mancher andere Zeuge von dem Fleiß und der treuen Sorgsamkeit der Uchtenhagen entging diesem traurigen Schicksale nicht. Langsam blühte dann der Wohlstand unter dem landesväterlichen Walten des Großen Kurfürsten und seiner Nachfolger in der Mark wieder auf, und ihre Sorge wandte sich besonders dem lieblichen Freienwalde zu, als seine Heilquellen entdeckt wurden, die manchem Mitgliede des Hohenzollernhauses Genesung brachten.
Die Jahrhunderte rauschten dahin ins Meer der Zeiten, die Dokumente waren verloren, die Burgen und Steindenkmale zerfallen, und die Berichte vom Blühen und Erlöschen des einstigen alten Lehensgeschlechtes Derer von Uchtenhagen hielten die nachgeborenen Geschlechter für Sage. Nur die beiden Bilder und ein Epitaphium in St. Niklas erinnerte noch an den alten Namen.
Da machte ein Umbau in den dreißiger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts es nötig, daß in St. Niklas das lange vermauert gewesene Gewölbe unter dem Altare geöffnet wurde. Da standen sie, eine lange Reihe von Metall- und Eichensärgen der Uchtenhagen, das ganze Kirchenschiff hinunter. Oben am Altar aber die letzten, Ritter Hans von Uchtenhagen, Frau Sophia und der kleine Sarg mit Kaspar von Uchtenhagen. Man öffnete den Kindersarg, und siehe, – da lag der Knabe wie auf dem Bilde mit Kranz und Krause. Als man ihn aber berührte, zerfiel alles zu Staub. Nur das goldene Büchlein am schwarzen Bande mit dem Bibelworte blieb und ward sorgsam aufgehoben.
So grüßt mit ernstem Mahnen die Vergangenheit herüber in unsere unruhige Gegenwart und spricht zu uns vom Geschicke der Geschlechter und Völker. Horche auf die Stimmen der Heimat, wie sie im Rauschen der Wälder, im Klange der Glocken dich umtönen, und folge dem Mahnen, wenn Baum und Stein, Menschengebild und Naturgewalten dir zuraunen:
Alles vergehet, Gott aber stehet
P. Gerhardt † 1676. |