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Wie das Geschlecht von Jagow zu dem Namen von Uchtenhagen kam.
Ein schwüler Sommertag des Jahres 1353 ging zur Rüste. Mit sengender Glut hatte die Sonne über dem Harzgebirge gestanden, kein Lufthauch durchzog die Täler, und Mensch und Tier sehnten sich nach Kühle und erfrischendem Regen.
Der kleine Reisetrupp, der gegen Sonnenuntergang das Selketal des Gebirges durchzog und des Tages Hitze bis jetzt ertragen hatte, wünschte allerdings wohl kaum, daß des Himmels Schleusen sich jetzt schon öffnen sollten. Die Reitpferde waren sichtlich ermüdet und gingen nur noch im Schritt vorwärts, das Ziel der Reise war aber noch einige Stunden weit entfernt. Immer besorgter richteten sich daher die Augen der Reiterin auf den Abendhimmel, an dem sich schwarze Wetterwolken wie Gebirge auftürmten.
Die Schwalben schossen eilig am Boden hin, und von Zeit zu Zeit erhob sich heftig der Wind und trieb dürre Blätter vor sich her, um bald darauf wieder zu ersterben.
Diese wohlbekannten Vorboten eines Gewitters schienen der Dame um ihrer Reisegefährten willen besondere Sorge zu machen. Ihre freundlichen braunen Augen blickten von Zeit zu Zeit leise forschend auf ihren jungen Begleiter, einen halbwüchsigen, schlanken Knaben, der zu ihrer Rechten ritt.
Seine Züge glichen den ihren sehr, Mutter und Sohn waren nicht zu verkennen, aber das junge Knabengesicht zeigte in seiner Blässe auch deutlich die Spuren von den Anstrengungen der Reise.
Die kräftige Männergestalt, die einige Schritte vor ihnen ritt, schien nichts von dem Umschlag des Wetters zu merken. Düster und schweigend ritt der Mann seinen Weg, das Gesicht mit dem stattlichen dunklen Barte war auf die Brust gesenkt, als grüble der Ritter schweren Gedanken nach.
Es lag etwas Trübes, Drückendes über der kleinen Reisegesellschaft.
Auch der alte Diener, der den kleinen Zug schloß, sah ernst und traurig aus. Seine Augen umfaßten immer wieder sorgenvoll die Reiter vor ihm und richteten sich dann in die Ferne, ob das Ziel der Reise, die Burg auf dem Falkenstein, sich noch nicht zeige.
Plötzlich zuckte ein greller Blitz über die Landschaft, dumpf grollte der Donner hinterher und weckte in den waldigen Bergen das Echo. Die Reiterin hielt ihr Pferd an und rief dem Ritter zu:
»Ein schrecklich Wetter zieht herauf; werden wir Burg Falkenstein heute noch erreichen, Konrad?«
Wie um ihre Worte zu bestätigen, brauste plötzlich ein heftiger Wirbelsturm daher, die Wipfel der Bäume bogen sich tief hernieder und große schwere Regentropfen fielen herab. Der alte Diener trabte heran, der Edelfrau und dem Knaben behülflich zu sein, sich in schützende Mäntel zu hüllen. Auch der Ritter hielt einige Augenblicke sein Roß und blickte um sich.
»Die verwandelte Natur ist nur ein Bild meines Schicksals,« entgegnete er düster. »Der Aufruhr der Elemente gleicht meinem Innern, da die Gedanken auch nicht zur Ruhe kommen können.«
»Laß uns auf Gott vertrauen und besserer Tage warten,« entgegnete tröstend die Edelfrau. »Sieh, nach diesem Wettersturme wird wieder neu die Sonne strahlen, und jedes Wesen wird neu erquickt sich in die Höhe richten. So wird auch uns, wenn wir uns in der Trübsal bewährt haben, die Sonne des Glückes und der Freude wieder scheinen.«
»Ach Agnes, wäre ich es nur allein, der diese Leiden zu tragen hätte, ich wollte geduldig sein und mit ihnen manche alte Schuld büßen, aber daß ihr, du und der Knabe, sie mittragen müßt, das ist das Härteste für mich!« – Düster blickten seine Augen vor sich nieder und ein schwerer Seufzer kam über seine Lippen.
Sie hatte ihr Roß dicht an das seine gelenkt, indessen der Knabe hinter ihnen ritt. Jetzt legte sie ihre Hand auf die des Gatten und sagte leise: »Ist es nicht des Weibes Vorrecht von je, auch Leid und Trübsal mit dem Manne ihrer Liebe zu tragen, so wie sie einst sein Glück und seine Freude teilte?«
Sein trübes Auge leuchtete auf. Herzlich faßte er ihre Rechte, blickte die Gattin liebevoll an und sprach: »Wahrlich, der höchste Schatz in diesem Erdenleben ist die Liebe und Treue eines braven Weibes. Um deinetwillen, Agnes, will ich nicht verzagen, sondern auf bessere Tage hoffen!«
Dichter zog er den Mantel um die zarte Frauengestalt und wies auf die Zinnen einer Burg, die jetzt über dem waldigen Berggipfel vor ihnen auftauchten. »Ich hoffe für Dich und den Knaben dort so lange ein Heim zu finden, bis mir mein Recht mit Gottes Hülfe wieder gegeben ist. Bald werden wir die Burg erreicht haben.«
Die ermüdeten Tiere strengten sich aufs äußerste an. Der heftige Gewittersturm und die dichten Regenschauer trieben auch sie vorwärts, aber es verging noch eine lange Zeit, bis sie den Gipfel des Falkenstein erreicht hatten. Doch nun hörte der Regen auf, das Gewitter war vorüber. Hornruf tönte vom Wartturm hernieder, der Wächter hatte die Ankommenden bemerkt und meldete sie den Burgbewohnern. Bald hielten die Reisenden vor der aufgezogenen Zugbrücke, und der Wächter öffnete das Turmfenster, sie nach ihrem Begehr zu fragen.
»Konrad von Jagow und sein Gemahl entbieten der Burg Falkenstein ihren Gruß,« rief der Ritter hinauf. »Schaffet Einlaß!«
Nach kurzer Zeit fiel die Zugbrücke, und schon drinnen im Torbogen wurden die Ankommenden von dem Burgherrn, dem Grafen Georg von Haselburg, mit lebhafter Freude empfangen.
»Sei mir von Herzen willkommen in meinem Burgfrieden, alter Freund und Speergenosse,« rief er dem Ritter zu. »Bald sind der Jahre zehn verflossen, seit ich Dich und Dein Ehgemahl auf Burg Malchow zuletzt gesehen habe. Und doch haben wir einst Tag für Tag miteinander im Felde gelegen und Seite an Seite gekämpft.«
Der Haselburger hatte bei seinen Begrüßungsworten lebhaft dem Freunde die Hände geschüttelt und sich ritterlich vor der Edelfrau verneigt, als sie ihm grüßend die Rechte bot.
»Euch hat das Unwetter auf der Reise in unsern Bergen überfallen, liebwerte Frau von Jagow,« fügte er seiner Begrüßung alsobald hinzu. »Wollet erlauben, daß ich Euch zu meiner Hausfrau führe, die voll Freuden des seltenen Besuches harret.«
»Gott zum Gruß auch Dir, mein Junker! Trugst noch ein kurzes Wämslein damals, als ich Dich zuerst im Burghofe herumspringen sah. Wie stattlich bist du herangewachsen! Nicht lange wird's mehr währen, und Du darfst den Schwertgurt tragen!«
Unter diesen Worten hatte der stattliche graubärtige Ritter die Ankommenden durch den inneren Burghof in die große Halle geführt, wo die Burgfrau nicht minder herzlich ihre Gäste empfing, als ihr Eheherr es getan hatte. Sie geleitete sie selbst in die Gasträume und ließ für die Durchnäßten trockene Kleider bringen. Als sie dann endlich umgekleidet waren und erquickt durch den warmen Würzwein, den die Schaffnerin herbeigebracht, die Halle wieder betraten, fanden sie dort im Kamin ein behagliches Feuer und Ritter Georg von der Haselburg und die Burgfrau ihrer harrend.
»Nun erwärmet Euch recht nach dem nassen ermüdenden Wege, meine Frau von Jagow,« bat der Hausherr, und führte sie zu einem behaglichen Sitze am Kamin, wo Frau von Haselburg neben ihr Platz nahm. »Und Dir, mein alter Freund, muß ich es noch einmal sagen, wie es mich freut, Dich einmal bei mir bewirten zu können. So kann ich doch Dir und Deinem Gemahl die Gastfreundschaft vergelten, die ihr mir zu Fryenwolde erzeigtet, als ich mit meinen Reisigen nach Cöllen zum Markgrafen zog. Komm, nimm den Ehrensitz hier am Feuer ein und laß uns der alten Zeiten gedenken!«
Der Ritter schob den Herrenstuhl nahe an das Feuer und winkle dem Jagower mit freundlicher Einladung. Aber mit düsterem Gesicht stand der Angeredete mitten im Saale, die Linke am Schwertgriff. Er blickte den Freund trüben Auges an, während auch seine Gattin mit ängstlichem Forschen in den Mienen des Haselburgers zu lesen suchte.
»Du weißt nicht, Georg, wem du so herzlich Herberge bietest«, entgegnete Konrad von Jagow endlich mit stockender Stimme. Ehe ich als Gast an deinem Herde weilen darf, vernimm, daß ich jetzt ein Flüchtling bin, verbannt von meinem Herd und Heim, meiner Burg, meiner Güter beraubt. Nichts blieb mir von meinem Reichtum, als was ich bei mir führe!«
Erschrocken war der Burgherr bei den ersten Worten auf seinen Gast zugetreten. »Was sagst du da, Konrad?« fragte er bestürzt. »Hat Markgraf Ludwig aller der Dienste vergessen, die du ihm oft mit Daranwagen deines Lebens in Fehde und Streit geleistet hast? Einst gab er dir zum Dank Fryenwolde zu Lehen und nun verbannt er dich von Heim und Herd?
»Wie dem auch sei,« fuhr der Ritter mit fester Stimme fort, »eines Verbrechens, das die Strafe der Verbannung mit Weib und Kind verdiente, bist du nicht fähig, Konrad. Dir ist Unrecht geschehen, und das trifft doppelt schmerzlich, wir fühlen es mit Euch. Aber doppelt treu soll uns darum unsere alte Freundschaft verbinden. Mein Haus ist auch das deine so lange, bis dein Geschick sich wieder fröhlich wendet und dein Recht an den Tag kommt!«
Konrad von Jagow hatte in manchem heißen Treffen mit keiner Wimper gezuckt, aber als er jetzt die herzliche Freundestreue aus den Worten des Haselburgers hörte, die nach einer langen trüben Zeit ihm doppelt wohltat, rannen ihm zwei schwere Tränen in den Bart. Stumm und doch mit beredten Blicken zog er den Freund an die Brust, während auch die Gräfin von der Haselburg voll Mitgefühls die leise schluchzende Frau von Jagow umarmte.
»Ich wußte es, Georg, daß ich mit den Meinen nicht vergeblich an deine Pforte klopfen würde,« sprach der Ritter endlich, »aber wie tut es dem Herzen wohl, wenn freiwillig geboten wird, um was wir bitten wollten. Du glaubst an die Rechtlichkeit des alten Freundes, wo viele der alten Kampfgenossen zu Cöllen und mein Fürst selbst mich ungehört verdammten. Vernimm denn, was man mir Schuld gibt und wovon Herz und Hand mir doch rein sind.«
Soeben wollte der Ritter seinen ernsten Bericht beginnen, als sich die schwere Eichentür der Halle öffnete und zwei hochgewachsene Jünglinge auf der Schwelle erschienen. Dem ältesten von ihnen, der vielleicht zwanzig Jahre zählen mochte, sproßte schon des Mannes Zierde auf der Oberlippe. Er war das verjüngte Abbild des Grafen Georg, während sein jüngerer Bruder, an Wuchs ihm fast gleich, mit seinen weichen, noch fast mädchenhaften Zügen sehr der freundlichen blonden Gräfin glich.
Als die beiden Junker mit ritterlichem Gruße näher traten, leuchtete das Auge des Burgherrn mit väterlichem Stolze auf. Er stellte sie seinen Gästen vor als seine einzigen Söhne Albrecht und Georg und fuhr dann herzlich fort, die Hand des Junkers Konrad ergreifend: »Hier meine Söhne, lernet den Knaben meines alten Freundes und Kampfgenossen kennen und als Bruder lieben. Möge auch euch einst die gleiche Freundschaft einen, welche die Väter verbindet und die im Kampfe, in Freud und Leid zueinander steht.«
Die Jünglinge schlugen herzlich in die dargebotene Rechte des Junkers ein. Konrad von Jagow aber zog den Junker Albrecht von der Haselburg zu dem Sitze seiner Gattin.
»Sieh Agnes«, sagte er freudigen Tones, den sie seit langem nicht mehr von ihm gehört hatte, »das ist der Albrecht, mein Patenkind, von dem ich dir so oft erzählt habe. Aus Streit und Fehde unter unserm Markgrafen Ludwig I. kamen wir geritten, um nur einige Tage auf dem Falkenstein zu rasten, wo Georg sein junges Gemahl hatte allein zurücklassen müssen. Freudiger Hornruf des Türmers begrüßte uns; am Morgen unserer Einkehr war der Burg der Erbe geboren worden. Ich konnte den Erstgeborenen meines Freundes in den Tagen der Rast über die heilige Taufe halten, und so oft ich später einkehrte und mich des heranwachsenden Bübleins freute, begehrte es von mir mein Schwert zu knabenhaftem Spiel. – Vom Paten wünschtest du in allen Rittertugenden unterwiesen zu werden, Albrecht, und in seinem Heergefolge einst den Ritterschlag zu erhalten. Und nun« – er stockte und seine Stimme wankte – »nun steht der Pate als ein Verbannter vor dir, seiner Burg, seines ganzen Lehens verlustig erklärt und Weib und Kind mit ihm der Heimat beraubt.«
Er stöhnte auf und ließ sich schwer in den Armstuhl niederfallen.
Erschrocken schaute Junker Albrecht auf den Ritter und dann auf die Edelfrau. Frau Agnes hielt noch seine Rechte in der ihrigen und fügte jetzt den Worten ihres Gatten hinzu:
»Der Markgraf beschuldigte ihn, teilgenommen zu haben an einem Ueberfalle, der wehrlosen Edelfrauen galt, um die eine von ihnen zu entführen und sie zu zwingen, des Ritters von Bodenstein Gemahl zu werden. Er lebte längere Zeit auf unserer Burg und ist bei dem Ueberfall zu Tode gekommen. Markgraf Ludwig aber war voll Zorn, daß eine solche Freveltat in unsern Wäldern, ganz nahe unserm Burgbann geschah und Konrad ihm nicht wehrte.
Wie würde mein Gemahl alles aufgeboten haben, den Schändlichen an seinem Vorhaben zu hindern, umsomehr, als das Fräulein uns innig befreundet ist, wenn er Kenntnis von den Plänen des Ritters von Bodenstein gehabt hätte. Aber die Tat geschah nächtlicherweile, während Konrad auf einer Reise abwesend war. Der Markgraf jedoch sprach ihn seines Lehens verlustig, ohne seine Verteidigung zu hören. Ich hörte, von zwei Seiten habe wieder Fehde gedroht, zu der der Fürst habe ausreiten müssen, und da sei er um so ergrimmter gewesen, daß es auch nahe der fürstlichen Residenz nicht sicher sei. Er wolle ein abschreckend Beispiel allen andern geben, die sich trotz ihrer Ritterehre vor Raubanfällen nimmer scheuten, hat er gesprochen.
Aber einen Unschuldigen wählte er sich aus, denn euch, ihr treuen Freunde, brauche ich es wohl nicht noch einmal zu beteuern, daß seine Hand und sein Herz rein ist von Schuld.«
Mit herzlichen Worten stimmten alle zu, Konrad von Jagow aber war bei den letzten Worten seiner treuen Gattin zusammengezuckt.
Vor seinen Augen stand die schlichte Gestalt des Hirten, die einst seinem wilden Ritt um das Lehen zu Fryenwolde im Wege war. Blutüberströmt sah er sie wieder zusammenbrechen, und auf die sanften Worte seines Weibes: Hand und Herz ist rein von Schuld – antwortete laut das aufgeschreckte Gewissen: »Gott dräuet zu strafen alle, die seine Gebote übertreten.«
Still war es im Gemach geworden.
Mit leisem Flüstern standen die drei Junker in einer Fensternische und blickten in die waldigen Täler hinunter, dahinein sich schon die Schatten des Abends senkten. Die Alten aber schauten mit ernstem Sinnen in die vergehende Abendröte am westlichen Firmament, die gleichsam ein Bild gab, wie vergänglich Menschen- und Fürstengunst ist.
Still abgeschlossen von allem Verkehr mit den befreundeten Geschlechtern des Burgherrn hatte Konrad von Jagow lange Zeit auf dem Falkenstein gelebt. Die Burg lag einsam genug in den wilden Harzbergen, so daß Freunde nicht so häufig einkehrten. Kamen diese aber, so zog sich der Jagower aus dem Familienkreise zurück, so oft auch der Burgherr darauf hinwies, daß seine Freunde treu seien und keinen Verrat üben würden.
»Mit Vorsatz gewiß nicht, Georg. Aber unbedacht wird von Freunden vielleicht beim fröhlichen Gelage erzählt, daß auf deiner Burg ein verbannter Ritter lebe und damit sind sowohl die Meinen als auch ich vor Meuchelmord nicht sicher. Es gibt der hämischen Neider gar zu viele am Hofe zu Cöllen, die sich gern in das stattliche Lehen eingesetzt sähen, und ein Verbannter ist ohne Gefahr bald aus dem Wege geräumt. Es waren die bittersten Zeiten meines Lebens, als ich heimatlos und geächtet mit den Meinen die abgelegensten Straßen aufsuchte, da jede Bande von Mordbrennern ungestraft die hätte töten können, die das Glück meines Lebens sind! Meinem Totfeinde wünsche ich solch Erleben nicht!«
»Aber jetzt schützt Euch mein Burgfrieden und der Arm deines Freundes,« sagte Georg von der Haselburg.
»Gott wolle verhüten, daß du meinetwegen in Streit und Fehde verwickelt würdest, Freund,« entgegnete Jagow. »Die Zeiten sind unruhig genug, und du tust soviel für uns, daß wir dir deine Freundestreue nie werden vergelten können! Laß mich ruhig darum in den Tagen, da deine Freunde auf der Burg zu Gaste sind, bei den Meinen weilen.
Falkenstein ist geräumig genug, daß kein unliebsam Begegnen zu befürchten ist. So Gott will, nimmt diese schwere Zeit noch einmal ein Ende, und ich kann erhobenen Hauptes unter die Menschen zurückkehren, befreit vom Banne. Wie wünsche ich es vor allem meines Knaben wegen, daß ihm das Lehen erhalten bleibt! Als ein landfremder Ritter blühte ihm sonst wenig Ehre und nicht das Glück, das Elternherzen ihrem Kinde ersehnen!«
Warum stand, als er solches sprach, vor seiner Seele wieder das blutüberströmte Bild des Hirten, den seine Hand bei dem wilden Ritte um das Lehen einst niedergestoßen?
Auch der war ein Vater gewesen, der für seinen mutterlosen Knaben gewiß mit treuer Vaterliebe sorgen wollte, bis er zum Manne herangereift war. Und seine Hand war es gewesen, die in überwallendem Jähzorn in ein Menschenleben eingriff und ein Kind vaterlos machte. Würde er, der die Sünden der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied, jetzt an seinem eigenen Kinde ahnden, was seine frevelnde Hand an dem fremden einst gesündigt?
Er hatte sich wohl ehrlich gemüht, an Joseph Vaterstelle zu vertreten, und wenn er sein Lehen behalten hätte, würde er weiter treu für den Jüngling gesorgt haben; aber war das genug, die Blutschuld zu sühnen und dem heiligen Gott zu wehren, Vergeltung zu üben?
Demütig senkte er das Haupt. »Sende die Strafe auf mein Haupt, gerechter Gott,« flehte er mit inbrünstiger Seele, »nur lasse meinen unschuldigen Knaben nicht büßen, was sein Vater gesündigt, und gib ihm die Heimat wieder!«
Ernst und mehr denn je in sich gekehrt blieb der Ritter an solchen Tagen. Er ritt einsam in die weiten Tannenwälder hinaus, half des Freundes weitzerstreute Besitzung bewirtschaften oder machte Jagd auf Bären und Eber, die die Saaten zerwühlten.
Frau Agnes von Jagow war an solchen Tagen ganz besonders betrübt. Glaubte sie doch, daß den Gemahl vor allem heftig der Verlust seines stattlichen Lehens und der Burg schmerze, wenn er die reichen Freunde des Haselburgers hier zu Gaste sah. Auch fühlte sie mit ihm, wie es für seinen Fleiß und seine energische Tatkraft unerträglich werde, hier so still zu leben und nicht wirken zu können.
Welche Gewissensbisse ihn außerdem quälten, ahnte sie nicht; seinen Jähzorn hatte sie nie kennen gelernt, denn der schien seit jener grausigen Tat völlig bei dem Ritter erloschen zu sein. Sie fand aber an der Gräfin Haselburg eine treue Freundin und Vertraute, die nie müde wurde, auf bessere Zeiten zu vertrösten und die Edelfrau bat, vor ihrem Knaben ein fröhliches Antlitz zu zeigen, damit sein Jugendfrohsinn nicht durch die Trübsal der Eltern leide. Das war eine Mahnung, der das Mutterherz gern Folge leistete, und Frau Agnes schritt oft mit der Gräfin hinab in den Burghof und die Fechtkammer, den ritterlichen Uebungen ihres Junkers zuzuschauen und ihn heiteren Antlitzes zu beloben, wenn er sich neben den jungen Burgsöhnen auszeichnete.
Oftmals saßen die beiden Ritter in der Halle und beratschlagten, was man unternehmen könne, den Zorn des Markgrafen zu versöhnen.
»Vorerst können wir nichts tun, Freund,« sagte eines Abends der Haselburger. »Ich erhielt bei meinem letzten Ritte nach Quedlinburg Botschaft, daß Ludwig der Römer immer noch in Nürnberg weilt. Ihr wißt,« wandte er sich an die Edelfrauen und die Junker, die abends sich mit am Herrensitze versammeln durften, »daß Kaiser Karl IV. einen Reichstag ausgeschrieben und die Kurfürstlichen und regierenden Herren dorthin entboten hat. Unter vielen wichtigen Reichsfragen will er vor allem der Zersplitterung und dem Unfrieden bei der Kaiserwahl durch ein festes Gesetz ein Ende machen. Hielt sich doch jeder Abkömmling eines Kur- und Herrscherhauses bis jetzt berechtigt, eine Stimme bei der Wahl zu haben. Welches Unglück hat die Hartnäckigkeit so vieler verschiedener Köpfe und Meinungen schon über deutsche Lande gebracht, wieviel Fehde und Streit ist dadurch hervorgerufen und deutscher Männer Beratung zum Gespött der Fremdlinge geworden! ›Deutscher Reichstag‹ nennen sie es, wo Leute in Streit und Hitze geraten, sich nicht einigen wollen und die Köpfe blutig werden. Dieser Schmach will der Kaiser ein Ende machen. Sieben der Fürsten sollen die Kurwürde erhalten, den Herrn und Kaiser sich zu küren und die Ehrenämter zu verwalten. Da hat der Markgraf Brandenburgs Rechte zu wahren und darf den Reichstag nicht verlassen. Mit so wichtigen Dingen aber beschäftigt, würde er jetzt wenig Aufmerksamkeit haben, wenn Du, Konrad, ihm in einem Schriftstücke Deine Unschuld klar legen wolltest.«
Konrad von Jagow hob abwehrend die Hand. »Das ist alles geschehen, Georg; glaubst Du, daß es den Markgrafen auch nur um ein weniges an meiner Schuld hätte zweifeln lassen? Das betrachtet er nur als Bemühungen, mir mein Lehen zu erhalten, und meine Feinde und Neider bestärkten ihn darin. Der Markgraf hat den Glauben an so manchen verloren, der seine Güte schlecht lohnte. Da traut er auch mir nichts besseres zu. Nein, wenn ich selbst ihm die Sache nicht vorstellen kann oder noch besser, ihm aufs neue, wie früher, Dienste leiste, so hoffe ich nicht, vom Banne los zu werden! Wenn ich eines nur ergründen könnte, ob der Markgraf Wilhelm von Meißen, den Ludwig während seines Verweilens in Nürnberg zum Statthalter der Mark bestellt hat, das Lehen inzwischen einem seiner Günstlinge verliehen hat, so daß Ludwig bei seiner Rückkehr den neuen Lehensherr nur zu bestätigen hat. Dann ist alles für mich verloren! Ich habe lange schon darüber nachgesonnen und bin jetzt entschlossen. Ich kehre zurück und will zu Fryenwolde selber erfragen, was mich schon so lange unruhig macht!«
Rufe des Schreckens und Staunens wurden rundum laut. Nur Frau Agnes ergriff still die Hand des Gemahls, sie fühlte mit ihm, wie es ihn quälte, so untätig zu sein.
Der Burgherr aber sprach: »Konrad, das ist jetzt ein schwerer Beginnen, denn da Du durch die brandenburgischen Lande hierher flüchtetest. Damals hielt des Markgrafen Hand leidlich Zucht und Ordnung auf den Straßen. Jetzt ist dem Raubgesindel wenig gewehrt, besonders berichten reisende Kaufleute von einem frechen Räuber namens Teufel, der mit seiner Bande alle Straßen unsicher mache, den niemand fassen könne, ja, den der Rat von Soltwedel förmlich in Schutz nehme und ihm Zuflucht gewähre. Der Statthalter hat vom Rate seine Auslieferung verlangt, der Rat hat sie aber verweigert, und Wilhelm von Meißen hat keine Macht, die Befolgung seines Befehles zu erzwinge». Da gelangst Du nimmer in die Nähe Fryenwoldes und Deiner Burg. Vor solchem Gesindel schützt kein ritterlich Kleid und kein tapferes Schwert gegen ihre Uebermacht. Heimlich muß Dein Weg sein, und so kann ich Dir meine Reisigen nicht mitgeben!«
»Nein Freund, allein will ich mein Beginnen ausführen und auf verborgenen Wegen und in unkenntlicher Rüstung hoffe ich trotz mancher Gefahr mein Ziel zu erreichen!«
» Rundum droht Dir aber Gefahr,« warnte der Haselburger wieder. »Du weißt, daß die Pest noch lange nicht in Deutschland erloschen ist, ja in Brandenburg noch besonders Opfer fordert. Und solltest Du in einen Pöbelhaufen oder unter die Flagelanden geraten, so wird es Dir bei den Schwärmern übel ergehen! – Ich sagte Dir schon oftmals, und Du weißt es selbst aus jüngeren Jahren, daß man Dich mit Deinem dunklen Gesicht und dem schwarzen Haupt- und Barthaar oft für einen Juden gehalten hat,« versuchte der Freund zu scherzen.
Konrad von Jagow lächelte trübe. Er und die übrigen Zuhörer wußten, was der Burgherr von Falkenstein mit seinen Worten sagen wollte.
Das heutige Geschlecht ahnt kaum noch, welche Fährlichkeiten vor Jahrhunderten deutsche Lande immer und immer wieder heimzusuchen pflegten. So wütete auch seit dem Jahre 1351 neben manchen andern Unglücksfällen die Pest und entvölkerte weite Gegenden des Landes, besonders auch in Brandenburg. Die abergläubischen Bewohner, statt im eigenen Verschulden die Ursache solcher Krankheiten zu erkennen, hielten sie für Einwirkungen des Teufels und böser Menschen und suchten sich an diesen für das allgemeine schreckliche Sterben zu rächen. Diesmal fiel ihre Wut, besonders in Brandenburg, auf die Juden. Ludwig I. hatte sie sehr begünstigt, ihnen viele Vorrechte gewährt, sie in einem Freiheitsbriefe seine lieben Kammerknechte genannt, und manchen den Titel: weise, bescheidene Leute verliehen, der sonst nur dem Rate einer Stadt zukam. Das hatte seit langen Jahren zu dumpfem Grollen Anlaß gegeben, besonders auch unter der damals oft rohen und unwissenden Geistlichkeit. Mit furchtbarem Fanatismus fiel man jetzt über alle jüdischen Einwohner her, beschuldigte sie, Brunnen und Flüsse vergiftet zu haben, deren Trinkwasser die Seuche verursachte, und nun brachen furchtbare Martern durch das unaufgeklärte und von unwissenden Priestern verhetzte Volk über sie herein.
Sie wurden sämtlich für vogelfrei erklärt, erschlagen, lebend verbrannt, ausgeplündert und nackt aus ihren Wohnstätten gejagt, so daß sie in Wäldern und Höhlen verhungerten oder erfroren. Zu Königsberg in der Neumark ließ ein Landvogt von Wedel sämtliche jüdischen Bewohner verbrennen und zog ihre Güter ein. Es wurde für eine Entheiligung gehalten, den Leichnam eines Juden zur Erde zu bestatten, und so ließ man sie denn auf offenem Felde, in den Wäldern und Gewässern, wohin sie sich oft sterbend geschleppt hatten, verwesen.
Der Geruch der verwesenden Leichname und die faulen Ausdünstungen vermehrten natürlich immer weiter die schreckliche Seuche, und das unwissende Volk ward die entsetzliche Plage nicht los.
Manche dieser schrecklichen Bilder, die er auf seiner Flucht gesehen hatte, standen auch Konrad von Jagow vor der Seele, aber er entgegnete fest: »Einen Tod kann ich nur sterben, Georg. Mein Leben gehörte stets meinem Lande und seinem Fürsten. Hat Gott es mir bestimmt, ein unrühmlich Ende jetzt zu nehmen, so muß ich mich seinem Willen ergeben, wenn ein Ritter sonst auch mit Freuden lieber in der Schlacht, für des Kreuzes Ehr, seines Fürsten und Landes Wehr, sein Leben dahingibt.«
Seinem treuen Weibe rannen heiße Tränen aus den Augen. »Aber Konrad, gedenke des Bannes«, sagte sie, sich fest an ihn schmiegend. »Wir dürften jetzt Deinen Leichnam nicht einmal in geweihter Erde bestatten, kein Priester ließe uns auf den Gottesacker, kein Segenswort und keine Glocke tönte Dir. Du darfst im Banne nicht sterben, mein teurer Gemahl!« Heftig schluchzend verstummte sie.
Niemand hatte bei diesem erregten Auftritt an die Anwesenheit des Junkers gedacht, vor dem man bisher das Leid des Vaters bei seiner Jugend so viel als möglich verhehlt hatte. Jetzt stand er mit sprühenden Augen, die Hände am Schwertgurt, vor den Eltern. Auch die beiden jungen Söhne des Burgherrn standen aufgerichtet da, heiße Empörung sprach aus den glühenden jungen Gesichtern.
»Vater!« Der fünfzehnjährige Knabe schrie es überlaut in kindlichem Schmerz. »Dir darf jeder Schelm und Räuber ungestraft das Leben nehmen? – Dein Leichnam dürfte nicht in geweihter Erde bestattet werden? Den will ich einmal sehen, der meinem Vater, einem echten Rittersmann, das antun wollte! – Nimm mich mit, Vater, Du sollst nicht allein reiten! – O bitte, laß mich bei Dir bleiben, wenn Du auf unsere heimatliche Burg reitest! Du sollst nicht den Räubern in die Hände fallen und so unritterlichen Todes sterben!« In heftiger Bewegung fiel der Knabe dem geliebten Vater um den Hals, der für ihn das Urbild aller ritterlichen Tugenden gewesen war.
In heißer Vaterliebe umschlang Konrad von Jagow den einzigen Sohn, der sonst, der Mutter gleich, in seinen innigsten Gefühlen so zurückhaltend war. Ein Gebet stieg heiß und inbrünstig zum Herrn des Himmels aus seinem Herzen empor. »Vater, der Du mich hier trotz meiner Sünde so durch die Liebe meines einzigen Kindes beglückst, wenn Du meine innigste Reue und Buße ansehen willst, und um des unschuldigen Blutes Deines Sohnes willen mir den jähen Totschlag verzeihen, o so gib Gnade, daß ich durch ehrlich Bemühen meinem Fürsten gegenüber mich rechtfertige, vom Banne los werde und meinem Knaben sein Erbe und die Heimat zurückgewinne. Mein ganzes Leben sei fortan Deinem heiligen Dienste geweiht und der Sühne für die begangene Tat!«
Seine Augen waren gen Himmel gerichtet, und seine Lippen bewegten sich leise. Jedermann sah, daß er ein ernstes Gelübde tat, und still und ergriffen schwiegen alle. Nun aber strich er liebkosend über das lockige Haupt seines Knaben und sprach: »Unser Vater im Himmel wird mich behüten, mein Kind, und mich unversehrt dorthin geleiten, wo ich Dir die Heimat wieder zu erringen hoffe. Bete für mich, mein Knabe, und bleibe der Trost der Mutter. Noch bist Du zu jung für die Fährlichkeiten solchen Beginnens!«
Der Graf von Haselburg nickte ernst. Aber der Junker Albrecht trat raschen Schrittes vor. »Ich aber bin nicht zu jung, Pate,« sagte er frohen Mutes und riß mit kräftigem Schwunge sein Schwert aus der Scheide. Das soll zeigen, ob ich Kraft im Arme spüre, und helfen, die Unschuld meines ritterlichen Paten an den Tag zu bringen. Herr Vater, ich bitte um Eure Erlaubnis zu meiner ersten Ritterfahrt!«
Hochaufgerichtet, im Schmucke seiner blonden Locken und dem sprossenden Barte stand der Junker, und sein Bruder sprang leuchtenden Auges an seine Seite.
»Auch für mich, Herr Vater!« rief er mannhaft. »Dann wollen wir sehen, wer unserm Gastfreunde ans Leben will!«
Hochauf schlugen die Herzen der Eltern und bewundernd hingen aller Augen an den ritterlichen Jünglingen. Der Burgherr war aufgestanden und trat neben den Freund und einstigen Waffengefährten. »Da siehst Du die jungen Recken, Konrad,« sagte er ernst, und väterlicher Stolz leuchtete aus seinen blauen Augen. »Es wird ihrem Tatendurst zu eng auf der väterlichen Burg. Nimm die jungen Falken mit Dir, sie möchten sich die Sporen verdienen!«
Konrad von Jagow stand ergriffen. »Nicht beide, Freund! Der Ritt ist zu gefährlich. Schon in den Kinderschuhen war es Dir zugesagt, an des Paten Seite die ersten Schwertstreiche zu tun, Albrecht. Willst Du Dein junges Leben wagen, wohlan, begleite mich! Dir, mein Junker, bleibt es sicher bald vorbehalten, uns zu folgen,« sagte er zu Georg von der Haselburg. Bleibe hier und erhalte den Eltern in Dir einen Sohn, wenn der andere nicht wiederkehren sollte!«
So ward der Ritt zurück in märkische Lande beschlossen. Am Altare der Burgkapelle erflehte Konrad von Jagow des Höchsten Segen für sein Beginnen, und unter der Fürbitte der Treuen zogen die Ritter in schwarzer Rüstung den Fels hinab. Nur auf Albrechts Helm wehten die Federn in den Farben seines Geschlechtes. –
Herbstlich leuchtete das Laub der Bäume in den mächtigen Waldungen um Fryenwolde (dem heutigen schönen Bade- und Luftkurorte Freienwalde a. O.). Vom hohen Schloßberge hernieder, der sich weit über Bruch und Wald erhob, leuchteten die festen Mauern von Burg Malchow, die Konrad von Jagow zum festen Platze seines Lehens und gesicherter Wohnstätte errichtet hatte.
Ihre Fenster blickten hinab auf das freundliche Burglehen am Fuße des Berges, das Frau von Braunsbeck immer noch mit ihrem treuen, jetzt zum Jünglinge herangewachsenen Joseph bewohnte, nachdem ihre Töchter Klarissa und Elise ihren Gatten Edgar von Schilfau und Otto von Lindenberg gefolgt waren. Den letzteren hatte der Markgraf zu seinem Jägermeister gemacht. Er hatte des großen Jagd- und Forstgebietes zu pflegen, das dem Markgrafen zu Frankenvorde (Frankfurt a. O.) gehörte, und sein schönes Jagdhaus, das er mit seiner jungen Gattin bewohnte, lag in prächtiger Eichenwaldung zwischen Frankenvorde und Forstenwolde. Edgar von Schilfau aber hatte der Markgraf an seinen Hof zu Cöllen gezogen, wo er im Ritterdienste stand und ein stattliches Haus in einer der Straßen der markgräflichen Residenz bewohnte, die der Burg zunächst lagen. Frau von Braunsbeck wäre sehr viel allein in ihrem zunehmenden Alter gewesen, wenn nicht Mathilde von der Schulenburg, die heitere Freundin der beiden Töchter, oft wochenlang von dem benachbarten Wohnsitze ihrer Eltern aus zu Besuch bei der Edelfrau geweilt hätte. Sie hatte einen großen Geschwisterkreis und war deshalb daheim zu entbehren. Hier aber heiterte ihr Frohsinn und ihre Schelmerei oft die einsame Frau auf, die zumeist sich trüben Gedanken auch über das Schicksal des verbannten Burgherrn hingab, der durch den Raub ihrer Tochter unschuldig in Verdacht geraten war. Sie hatte die Familie von Jagow, insonderheit die sanfte Frau Agnes-Gertrude sehr ins Herz geschlossen und es betrübte sie bitter, nichts von ihren Schicksalen zu wissen, und daß sie heimatlos umherirrten, wie sie fürchtete. Viel Trost und Freude gewährte ihr Joseph, der hier ihrem ganzen Hauswesen vorstand, und bei dem nicht mehr fernen Tode des ehrwürdigen alten Vogtes zu Biesenthal, wo die Güter der Edelfrau lagen, sein Nachfolger werden sollte. Die Edelfrau ließ die für damalige unruhige Zeiten ziemlich ungeschützt im flachen Felde liegende Burg stärker befestigen und mit Wällen und Gräben versehen. Deshalb weilte Joseph oft zur Hülfe des Vogtes in Biesenthal und mußte auch zu allerhand Einkäufen in die markgräfliche Residenz hinaufreiten, wobei er sich nur zu gern von seiner Herrin mit Botschaften und allerlei Sendungen zu ihren Kindern dorthin schicken ließ. An seiner jungen Herrin Klarissa, der Gräfin Schilfau, hing er ja mit besonders treuem Herzen. Der ehemalige arme Hirtenknabe war ein stattlicher Jüngling geworden. Sein braunes Kraushaar stand lockig um das frische Gesicht, er brauchte es nicht ständig zu scheren, wie es die Sitte damals von den Dienstleuten einer Herrschaft verlangte, da nur Herrensöhne ihr Haar in natürlichen Locken fallen ließen. Seine gütige Herrin hielt ihn beinahe als Sohn, und er vergalt es ihr durch treueste Hingabe und Diensteifer und überhob sich nie, obgleich Wams und Barett, beides durch Frau von Braunsbeck ihm kürzlich wieder geschenkt, von so feinem Tuche waren, daß ein Junker sie hätte tragen können.
Heute kam er auch von Biesenthal zurückgeritten und befand sich auf der Landstraße, die Ebirswalde und Fryenwolde miteinander verband. Der Nachmittag neigte schon dem Abend zu und unter den mächtigen Tannen des Forstes rechts von der Straße begann bereits die frühe Herbstdämmerung. Tiefer hinein glomm am Boden ein Feuer, um das sich allerlei Gestalten bewegten. Einige zerlumpte Kinder drängten sich um ihn und bettelten.
Joseph warf ihnen einige Heller zu; wenn die Zigeunerbanden, denen die Kinder gehörten, durch ihre Unredlichkeit auch oft eine Plage der Gegend wurden, die sie durchzogen, so wußte er doch aus Erfahrung, wie weh der Hunger tut, der sie oft zum Stehlen trieb. Hinter einem Gebüsch am Straßenrande trat ein halbwüchsiger brauner Knabe hervor, den die Hufschläge des Pferdes aufmerksam gemacht hatten. Er war nicht so zerlumpt wie die meisten Angehörigen der Horde gekleidet, und der Ausdruck von Tücke und Verschlagenheit fehlte seinem Gesichte, der manchen noch jungen Zigeuner schon so abstoßend macht. Ein Freudenschimmer überflog seine Züge, als er den jungen Reiter gewahrte. Auch Joseph hielt sein Pferd an, er kannte den jungen Zigeuner, der sich häufig in der Gegend befand und dem einsamen Hofe zu Biesenthal wie dem Burglehen zu Frienwolde warnende Botschaft zutrug, wenn Banden zuchtlosen Gesindels plündernd die Gegend durchzogen. Viel Gutes hatte Joseph dem armen Zigeunerknaben erweisen können, manche warme Speise und sauberes Gewand war ihm geschenkt worden und alle Anhänglichkeit, deren das Herz des heimatlosen Zigeuners fähig war, galt der ehrwürdigen weißhaarigen Edelfrau und ihrem jungen Vogte, der alles zu ihrem Schutze aufbot. Er rief dem Zigeuner einen freundlichen Gruß zu und bot ihm vom Pferde die Hand, als er, die Mütze heruntergezogen, herantrat.
»Ich habe Euch etwas mitzuteilen,« flüsterte der Zigeuner Joseph zu, da die Kinder gaffend mitten auf der Landstraße vor dem Pferde standen. Joseph ließ sein Pferd im Schritte weitergehen und der Zigeuner blieb neben ihm. »Ich wollte gleich morgen in der Frühe zu Euch kommen, nun vermag ich Euch gleich zu warnen. Der Eidam Eurer Herrin wird sich eilig für den Krieg rüsten müssen. Die Pommern planen einen baldigen Einfall in die Mark, die Gebiete um die Oder herum haben sie sich besonders ausersehen. Wir durchzogen vor wenig Tagen Pommerns Gefilde, da erlauschte ich heimlich Gerede!«
Joseph stieß unwillkürlich einen Schreckensruf aus. Ein Einfall des mächtigen Pommernherzogs, der selbst den tapferen Ludwig I. einst übermocht hatte? Und jetzt der Markgraf fern auf dem Reichstage!? Wie sollte ihm so schnell Nachricht werden, so viele Reisige versammelt und den starken Pommern begegnet werden? – Er mußte sofort hinauf zur Residenz, war sein nächster Gedanke, und dem Grafen Schilfau Nachricht bringen.
»Jaczko, bleibe in der Nähe beim Burglehen,« befahl er dem jungen Zigeuner. »Ich werde die Herrin bitten, dir Obdach und Essen reichen zu lassen. Ich muß einen eiligen Ritt machen, und du mußt meine Rückkehr erwarten. Vielleicht bedarf man deiner noch. – Spring auf, der Gaul ist stark, ich nehme dich gleich mit ins Burglehen!«
Jaczko tat nach Josephs Befehl, und in scharfem Trabe ging es Fryenwolde zu, wobei der Zigeuner ausführlich von allem berichtete, was die Bande über der Pommern Pläne erlauscht hatte.
Auch die greise Edelfrau erschrak, als Joseph ihr von allem berichtete. »Wieder Krieg und Kriegsgeschrei,« klagte sie. »Soll denn die Mark niemals Frieden haben? O, wann ersteht ihr der starke Herr, dessen Arm machtvolleren Feinden wehrt, daß sie hinter ihren Grenzen bleiben und von brandenburgischen Landen nicht rauben dürfen nach ihren Gelüsten? In Unruhe und heißer Sorge um den Gemahl habe ich mein Eheleben einst verbracht, sollen auch die Töchter nach kurzem Glück nun die Gatten opfern müssen? – Gewiß, Joseph, du mußt eiligst zur Residenz, den Ritter warnen. Sorge dich nicht um mich; der Burgvogt von Malchow schickt mir für die Tage, da du fern bist, gern zum Schutze wieder einige Knechte, und das Fräulein Mathilde bleibt noch einige Tage bei mir im Burglehen. Gleich morgen in der Frühe, wenn du reitest, mag Jaczko auf die Burg eilen und dem Vogte Nachricht bringen.« –
Ein wilder Herbststurm brauste am nächsten Tage durch Wald und Heide, als Joseph ausritt. Heftige Regenschauer peitschte der scharfe Wind dem Reiter ins Gesicht, und die ohnehin schlechte Straße war durch das schlimme Wetter bald so aufgeweicht, daß die Wassermassen wie Bäche darüberfluteten. Die Dunkelheit war beinahe in den engen Straßen der Residenz hereingebrochen, als Joseph kotbespritzt und totmüde an das Haus des Ritters klopfte. Die alte, ihm sonst so wohlbekannte Schaffnerin hielt lange die Leuchte prüfend in die Höhe, ehe sie den Ankommenden kopfschüttelnd erkannte und ihn in die Wohnhalle wies. Dort bot sich beim traulichen Lichte des Kaminfeuers ein lieblich Bild. Der Ritter war eben erst von der Burg heimgekehrt und hatte den Waffenrock noch nicht mit dem bequemen Hausgewande vertauscht. Er saß neben der jungen Edelfrau, die das stämmige Büblein, ihren Erstgeborenen, auf den Knien stehen hatte, der jauchzend nach der blinkenden Ritterkette griff, dessen Kleinod der glückliche Vater schaukelnd vor seinen Händchen hin und her bewegte. Joseph war leise eingetreten und bei dem fröhlichen Jubel bisher unbemerkt geblieben. Es wurde ihm wehmütig zu Sinne. Seine Botschaft mußte dieses friedliche Glück jäh zerstören, und wer weiß, ob sie in nicht zu ferner Zeit dem unmündigen Kindlein den zärtlichen Vater raubte. Doch die junge Gräfin hatte ihn schon bemerkt.
»Ei, sieh, der Joseph!« rief sie freudig aus, verstummte aber erschrocken, als sie des Nähertretenden ernstes Gesicht erkannte. »Ist der Mutter etwas …« wollte sie zitternd fragen, als Joseph schnell beruhigend einfiel: »Meine gütige Herrin ist leiblich völlig wohlauf und entbeut Euch mütterlichen Liebesgruß, Frau Gräfin. Meine Botschaft gilt heute vor allem Euch, Herr Ritter! Ruhm und Ehre wird Euer tapferes Schwert sich wieder erwerben, aber Angst und Sorge wartet der jungen Gemahlin.« Und er berichtete ausführlich von Jaczkos Mitteilungen.
Besorgt hatte der junge Ritter zugehört. »Deine Botschaft ist von großer Wichtigkeit, Joseph, und wenn sich alles so verhält, so bringe mir den Zigeuner herauf. Er soll einen guten Lohn haben und uns weiter wichtige Kundschafterdienste leisten. Der Kurfürst muß schleunigst von Metz aufbrechen, wo der Kaiser auf dem letzten Reichstage die goldene Bulle (Reichsgesetz über die Kaiserwahl) bekannt gemacht hat und unser Markgraf seines Erzkämmerer-Amtes walten mußte. Reisige müssen in aller Stille geworben werden und das Aufgebot an alle Lehensritter mit ihren Knappen ergehen. Der Statthalter muß eiligst handeln; hoffen wir, daß es noch nicht zu spät ist, die Pommern wollen gewiß die Zeit nützen, da unser Markgraf ferne ist.«
Er stützte sorgend den Kopf auf die Hand, wußte er doch, wie wenig der Statthalter Wilhelm von Meißen für mutiges und rasches Handeln zu gebrauchen sei. Wenn der Markgraf nicht zur rechten Zeit heimkehrte, war es traurig mit der Verteidigung gegen die räuberischen Pommern bestellt.
Das Büblein krähte noch ein paarmal hell auf und langte nach dem Vater. Als dieser aber in seinen Sorgen nicht mehr acht gab, fing er an zu weinen, und die junge Mutter brachte ihn mit Liebkosungen in sein Bettchen, wo er bald einschlief, indessen das Ehepaar in trüben Sinnen und Befürchtungen mit Joseph ratschlagte, wohin man auch die alte Edeldame in Sicherheit brächte, denn da der Einfall der Pommern der nahen Neumark galt, so waren alle Höfe und Burgen nahe dem Oderbruche am ersten in Gefahr, ausgeplündert zu werden. Frau von Braunsbeck mußte in die Residenz heraufkommen, sobald die Pommern anrückten, und auch die Schwester sollte eiligst gewarnt werden, bat Frau Klarissa voll Sorge.
»Bis nach Frienwolde dürfen die Pommern gar nicht gelangen,« rief der junge Ritter, ungestüm aufspringend. »Dann haben sie ja auch bald die Residenz! O, daß ich jetzt ein tüchtig Reitergeschwader bei mir hätte. Otto von Lindenberg mir zur Seite und wir wollten die Pommern jagen, daß sie das Wiederkommen vergäßen. O, Markgraf Ludwig, kehre heim und bringe deine tapferen Ritter mit dir!«
Sie gingen endlich zur Ruhe, aber nur der todmüde Joseph fand etwas Schlaf. Am nächsten Morgen nahm ihn der Ritter mit auf die Burg zum Statthalter. Wenn hier in der Residenz das Nötigste vorerst getan war, dem Ueberfall zu begegnen, wollte er mit Joseph zum Burglehen und weiter zum Jagdhause des Freundes und Schwagers reiten.
Jaczko war nach dem Befehle der Edelfrau am frühen Morgen auf die Burg gestiegen, dem alten Burgvogt ein Brieflein zu überbringen. Er mußte einige Stunden auf ihn warten, da der Vogt sich schon früh auf die Felder begeben hatte, von denen die letzte Ernte und auch der letzte Grasschnitt der Oderwiesen heimgebracht werden sollte, ehe Sturm und Regen alles zerstörten. Endlich schwankten die Wagen unter Bedeckung einiger gewappneter Knechte den steilen Berg herauf, ins Burgtor hinein, das sich knarrend hinter ihnen schloß. Als der Zigeunerknabe den Berg wieder hinabschritt, begegneten ihm auf halber Höhe zwei Ritter in schwarzen Rüstungen. Ihre Rosse grasten unten am Fuße des Berges. Die Visiere waren gelüftet, und Jaczko schaute dem älteren der beiden Ritter starr ins Gesicht. Wann hatte er doch dieses kühne, dunkle Antlitz mit der gewaltigen Hiebnarbe über die Wange schon gesehen?
Der Ritter hielt ihn an und fragte: »Du kommst von der Burg? Ist der Burgherr daheim?«
Jaczko antwortete: »Ihr müßt ein Fremder sein, Herr Ritter. Sonst wüßtet Ihr, daß die Burg jetzt keinen Herrn hat, da der Ritter von Jagow, dem sie angehörte, schon seit Jahren verbannt ist, und man nicht weiß, wo er weilt.«
»Ist Kunz noch Vogt auf der Burg?«
»Ja, Herr Ritter, soeben ist er von den Wiesen heimgekehrt.«
»So wollen wir ihn aufsuchen,« sprach der Ritter zu seinem Begleiter, schenkte Jaczko ein Silberstück und beide Ritter klommen weiter den steilen Pfad hinauf, nachdem sie den Knaben beauftragt hatten, auf die unten angebundenen Pferde acht zu geben. Doch sah Jaczko, daß sie jetzt das Visier schlossen; er setzte sich unten an den Stamm einer Eiche und grübelte darüber nach, ob er den einen Ritter nicht kenne, fand es aber nicht.
Inzwischen klopften droben die Ritter ans Burgtor. Der Türmer stieß ins Horn, öffnete dann sein Turmfenster und fragte nach ihrem Begehren.
»Wir wünschen Zwiesprache mit dem Burgvogte Kunz,« antwortete der jüngere Ritter.
»Er wird nach dem Hornrufe bald auf meiner Warte erscheinen, geduldet Euch, Herr!«
Bald steckte ein alter, grauhaariger Mann den Kopf durchs Turmfenster. Der jüngere Ritter lüftete sein Visier und rief hinauf: »Schaffet Einlaß, Burgvogt, wir haben mit Euch zu reden!«
»Gebt Losungswort, Herr, und Eure ritterliche Zusage, daß Ihr allein und in guter Absicht kommt. Ich verwalte anvertraut Gut und darf Feinde nicht einlassen!«
»Hie guet Brandenburg alleweg!« tönte es ernst hinter dem Visier des älteren Ritters hervor. »Wir führen nichts Böses gegen Burg Malchow im Schilde, sondern wollen ihr Bestes. Schaffet uns Einlaß!«
Der Graukopf verschwand, und das Turmfenster schloß sich. Aber nicht die breite Zugbrücke über den Burggraben rasselte hernieder, sondern zwanzig Schritt weiter fiel aus einer Eisenpforte in der Mauer über einen senkrecht ragenden Felsblock, der hier eine vorspringende Mauerzinne trug, eine schmale Falltreppe herab, die nur einem zur Zeit das Besteigen der Mauer gestattete. Der jüngere Ritter schüttelte verwundert den Kopf: »Er ist noch voller Mißtrauen, der Alte!«
Der Aeltere aber nickte zufrieden vor sich hin. Er schien mit der Vorsicht des Alten sehr einverstanden zu sein. Dieser erschien jetzt in der Mauerpforte: »Vergebt, Herr Ritter, aber nur auf diesem Wege vermag ich Euch einzulassen. Ich kenne Euch nicht und hoffe, Euer Schwert bleibt in der Scheide, und Ihr suchet keine Gelegenheit hier auszuspähen.«
Der jüngere klomm schon die Falltreppe empor, und der andere Ritter folgte. Als der erste die Mauerzinne erreicht hatte, schöpfte er tief Atem; die steile Wand in der Eisenrüstung zu erklimmen, war nicht leicht.
»Sind die brandenburgischen Lande so unsicher, Alter, daß Ihr uns diese Probe über die Hühnerstiege abnehmt?« rief er lächelnd. »Ihr werdet schon sehen, daß Ihr uns unrecht getan habt. Führt uns nur erst in die Halle!«
Der Alte zuckte schweigend die Achseln, und die Ritter bemerkten, wie er bedeutsam vier Knechten zublinkte, die mit ihren Hellebarden an der Stiege standen, die von der nur wenige Ellen im Geviert messenden Mauerzinne in einen Teil des Burghofs hinabführte. Der mit geschlossenem Visier trat zu dem Vogte und legte ihm die Hand auf die Schulter: »Weißt Du, Alter, wem Treue gebührt?«
»Wohl, Herr!« entgegnete betroffen der Alte.
»Treu' dem Land, das uns geboren,
Treu' dem Herrn, dem wir geschworen.«
Es war der Wappenspruch der Jagow's, den alten Dienern des Geschlechtes wohl bekannt.
»So traue uns, und sende die Knechte in die Torstube, wir haben mit dir allein zu tun!«
Der alte Vogt tat, wie ihm befohlen, ein freudiger Schimmer leuchtete in seinen Augen auf, und als er die Herren in die Halle geführt und die schwere Eichentüre geschlossen hatte, ergriff er die Hand des Schwarzgerüsteten und rief:
»Ihr kommt von meinem lieben verbannten Herrn, Herr Ritter? O sprechet, lebt er denn noch in seinem Leid? Geht es meiner teuren Edelfrau und dem kleinen Junker wohl?«
Da schlug der Ritter das Visier zurück und lüftete den schweren Eisenhelm. »Kennst du noch Treue und Anhänglichkeit für den Verbannten und Namenlosen, alter Kunz?« fragte Konrad von Jagow. »Er ist jetzt ein armer Herr, der nichts mehr hat, deine Treue zu lohnen.«
Der Alte hatte einen Freudenschrei getan, als er seinen Herrn selbst erkannte. Bei den letzten Worten hob er abwehrend die Hand. »Nicht doch Herr, das seid Ihr nicht. Ich habe in den Jahren Eurer Abwesenheit treu Haus gehalten, Zoll und Zins von Fryenwolde und der ganzen reichen Herrschaft eingezogen, die Ernten verkauft und dabei doch Boden und Keller wohl gefüllt. Niemand ist gekommen, mir Geld und Gut abzufordern, wohl, weil der Herr Markgraf fern weilt. Nun kann ich Euch, mein Herr von Jagow, alles übergeben. Hat mir doch immer eine Ahnung gesagt, daß der gerechte Gott Euch noch einmal zurückführen, und Euere Unschuld an den Tag kommen wird. Nun will ich Euch nur einen Imbiß bringen und Euch dann Rechenschaft von meinem Haushalten geben!«
»Halt, mein alter, treuer Kunz. Es darf niemand wissen, daß ich in brandenburgischen Landen weile, ich bin des Bannes noch nicht ledig. Nur die Sehnsucht trieb mich her!«
»Ich schweige auch gegen jedermann, Herr, selbst gegen mein Weib. Den Imbiß richte ich Euch selbst her, und Ihr habt wohl gesehen, wie schwer ich es Fremden mache, hier einzudringen. Ihr seid sicher, Herr. Und wenn ich es dem Herrn Markgrafen nur sagen dürfte, so könnte ich es auf mein Seelenheil beschwören, daß wir den Tag und die Nacht und den Vormittag des nächsten Tages noch auf der alten Feste Oderberg weilten mit Euch, damals, als Euer falscher Freund den Frauenüberfall ausführte, und daß Ihr unschuldig seid!«
In wenigen Minuten brachte er Rauchfleisch, Brot und goldgelbe Butter auf den Eichentisch der Halle und stellte einen Krug schäumenden Bernauischen Bieres dazu, das damals weitum das beste der Mark war. Die ermüdeten und hungrigen Ritter labten sich gern, es lagen Tage gefährlichen Rittes hinter ihnen. Einmal hatten nur ihre schnellen Rosse sie von einer wüsten Bande errettet, und in Herbergen einzukehren und zu nächtigen, hatten sie sich völlig versagt. Auch die Wirte steckten häufig mit dem Raubgesindel unter einer Decke.
Inzwischen schleppte Kunz einen festen, eisernen Kasten her, den er erschloß. Darin klangen in kleinen Säckchen Münzen, und er fing nun an, vor den erstaunten Augen des Junkers Albrecht Reihen blinkender Goldgulden aufzuzählen, nachdem er sorgfältig die Eichentüren der Halle verschlossen hatte. Auch Konrad von Jagow war erstaunt, daß sein alter Vogt es möglich gemacht hatte, sich den Zins und Entgelt für die Ernten in dem damals so raren und teueren Golde auszahlen zu lassen. Ehe er aber noch fragen konnte, rief Junker Albrecht lebhaft: »Wahrlich, Pate, ein Lehen, das so reichen Zins trägt, dürft Ihr nicht ohne Schwertstreich aufgeben. Fordert Euch vom Markgrafen den Gegner, der Euch beschuldigt, und dann erfechtet Euch Euer gutes Recht. Es ist nur verwunderlich, daß der Markgraf nicht längst diese reichen Einkünfte für sich forderte!«
»Es ahnt niemand, wie reich das Lehen ist,« erwiderte der alte Vogt mit schlauem Lächeln. »Ich habe stets noch unter meinem Herrn Sorge getragen, recht viel zu klagen, wieviel Schaden uns das Oderwasser im Frühjahr und im Herbst auf den Bruchwiesen tut. Und die Vorratshäuser liegen überall weit zerstreut auf vielen Vorwerken. Da sehen die Knechte nie den reichen Segen an Wieswuchs und Weizen beieinander, sowie an goldener Gerste, die uns gleich die Bernauer für ihr gutes Bier wegkaufen. Den Zins aber können die Lehensleute und Amtmänner der Ortschaften leicht bezahlen und tun es auch willig, da ihnen der Herr so gnädige und viele Schenkungen und Freiheitsbriefe gegeben hat, und ein sicher Wohnen war, so lange des Ritters starker Arm sie schützte. Sie wünschen alle die alte Herrschaft zurück, da jetzt Raub und Mord auf allen Straßen herrscht.«
»Wie war es aber angängig, gute Goldgulden und Weißpfennige einzuhandeln, Kunz?« fragte der Ritter.
»Da muß ich Euch etwas gestehen, Herr, und hoffe nachträglich auf Billigung meines Tuns,« erwiderte der Alte etwas verlegen.
»Ich dachte dabei der gütigen Herrin, und daß ihre Mildigkeit mich auch geheißen hätte, so zu handeln. Ein ehrwürdiger alter Jude hatte sich mit der Enkelin, die ihm bei der Verfolgung allein von allen Familiengliedern geblieben war, von Frankenvorde in unsere Wälder geflüchtet.
Mein Hund fand sie in einem Gebüsche auf, als ich abends allein vom Vorwerk Sonnenburg heimgeritten kam. Zitternd flehten der alte Mann und das zarte Mägdlein um ihr Leben.
Ich dachte meines greisen Vaters, Herr Ritter, und daß ich hoffe, auch meine Kinder schirmen einst meine grauen Haare, wenn ich sie nicht niederstieß, wie die Mönche im Kloster Chorin unter Bannflüchen jedem Christenmenschen befehlen.
Ich konnte sie im Dunkel des Abends heimbringen auf die Burg und hielt sie verborgen, so sehr mein Weib auch jammerte, sie würden uns die Pest in den Burgfrieden tragen. Zuletzt jammerte es sie doch des zarten Mägdleins, das sie an unser Enkelkind gemahnte, und sie pflegte der beiden.
Der Greis faßte ein Zutrauen zu mir und bat, ihm ein Bauernwägelchen mit Korn zu rüsten und bäuerliche Gewandung, er wolle es mir hoch bezahlen und schwor mir bei dem Gott seiner Väter, daß die Goldgulden, die er an seinem Leibe und in den Stiefeln mit sich trug, ehrlich erworben Gut sei. Er hat mit seinen erschlagenen Söhnen einen großen Handel in Pelzen und allerlei Rauchwerk zu Frankenvorde gehabt, das sie aus dem Polenreiche hereinbrachten. Dorthin wollte er sich mit dem Kinde flüchten und da den Rest seiner Tage verleben. Ich habe nach seinen Bitten getan, Herr, und er gab mir blinkendes Gold für die Kornfuhre, wechselte mir auch die andern Münzen ein, da ihn Gold verraten könne. Seltsam verkleidet fuhren sie dann ab, und der Alte sprach Segensworte gleich dem Vater Israels über die Mauern, die ihn geschirmt.
Wenn viele der Juden auch Schelme und Betrüger sind, so war der Alte doch ein frommer und gerechter Mann. Ich denke, Herr, Ihr zürnet mir nicht ob meines Tuns?« schloß er unsicher.
»Da sei Gott vor, Kunz,« erwiderte der Ritter ernst. »So wahr wir die Barmherzigkeit des Himmels jeden Tag brauchen, wollen wir auch den Verfolgten Barmherzigkeit erzeigen. Man klagt sie unschuldig der Ursache der Seuche an.
Auch unser gnädiger Markgraf billigt die Greuel nicht, kann aber gegen den Haß der Priester und den Unverstand des Volkes wenig tun. Gott wird den Alten an einen sicheren Ort geleitet haben.«
Er erhob sich und legte seinem Vogte beide Hände auf die Schultern.
»Und nun habe Dank, Alter, für deine Treue und dein sorgsam Haushalten. Einen Teil des Goldes will ich mit mir nehmen. Den andern hüte ferner so gut, vielleicht, daß wir noch einmal wiederkehren. Jetzt aber müssen wir reiten!«
»Ach Herr,« versetzte der Alte und fuhr mit der Hand über die Stirn, »in der Freude des Wiedersehens vergaß ich wichtige Botschaft, die Frau von Braunsbeck durch einen Zigeuner uns soeben übermittelte.
Ein gewaltiger Einfall der Pommern droht uns und der Markgraf ist fern. Joseph benachrichtigt schon den Eidam der Edelfrau. Aber die tapfersten Ritter sind fort mit dem Markgrafen; wollet Ihr nicht bei uns bleiben und die Burg nebst der ganzen Herrschaft schützen?«
Wie ein Schlag durchfuhr es Konrad von Jagow. Das war vielleicht seine Rettung! Leuchtenden Blickes wandte er sich zu Albrecht:
»Hörst du, Albrecht? Jetzt sehe ich den Weg der Befreiung für mich! Und du wirst dir an des Paten Seite mit dem Bruder die Rittersporen verdienen!«
In überwallender Freude hob er sein Schwert: »Du hilf mir vom Banne und für Recht und Gerechtigkeit streiten – und sühnen,« setzte er leise hinzu. »Du hörst noch von uns, Alter. Jetzt aber halte uns nicht auf, und schweige auch noch gegen Jedermann! Wir suchen vorerst Frau von Braunsbeck auf, genaue Nachrichten zu erfahren.«
Auch des Junkers Albrecht Brust füllte froher Kampfesmut. Jetzt war es ihm vielleicht vergönnt, sich den Platz neben mannhaften Rittern zu erstreiten und der Jünglingsjahre ledig zu werden. Freudig schritt er neben dem Paten den Burgberg hinab zu den wartenden Rossen, auf die Jaczko treulich acht gegeben hatte.
Sie ritten dem nahen Burglehen zu, wo sie froh von der Edelfrau begrüßt wurden. Mit Tränen in den Augen hielt die alte Dame die Rechte des Ritters gefaßt und forschte nach dem Wohlergehen der Seinen. Dann aber hieß sie voll mütterlicher Huld den Junker willkommen, der sich zu ehrerbietigem Kusse auf die welke Hand neigte. Als sie nun gar erfahren, daß der Junker des Ritters Patenkind sei und seine heimatliche Burg die ihr so liebe Edelfrau und den Junker von Jagow schirme, da hatte sie den Jüngling auch mit in ihr Herz geschlossen.
»Aber Ihr sehet erschöpft und müde aus, liebwerter Freund,« wandte sie sich dann besorgten Tones an den Ritter, »und auch dem Junker sieht man trotz der Jugendfrische an, daß Ihr ein hart Reiten hinter Euch habt. Fandet Ihr so schlechte Rast auf dem Wege?« –
»Wir sind der Tage sechs im Sattel, meine Frau von Braunsbeck,« sagte Konrad von Jagow, »und nur zweimal konnten wir uns zu kurzer Nachtruhe im trockenen Waldgrase ausstrecken, wobei wir abwechselnd Wache hielten. Ein alter Kriegsmann wie ich ist daran gewohnt, aber junges Blut bedarf jetzt der Ruhe, und daß er einmal der Rüstung für einige Stunden ledig wird.«
»Ihr müßt einige Tage hier rasten und sollt wissen, daß Ihr in meinem Burglehen sicher seid«, entgegnete die Edelfrau sorglichen Tones. »Mein Pflegetöchterlein wird freundlich für Euch sorgen und die Gastgemächer rüsten lassen. Ihr entsinnt Euch gewiß noch der heiteren Mathilde. Gleich will ich sie in die Halle rufen lassen. Und wenn Ihr Euch erfrischt habt, dann wollen wir weiter sprechen von dem, was uns jetzt die Seele bedrückt!«
Sie ergriff ein silbern Glöcklein von einem Tische. Auf den Klang hin trat die Schaffnerin, ein freundliches Weiblein in blütenweißer Haube, zur Tür herein. Ehe die Herrin aber fragen konnte, wo das Fräulein weile, klirrte ein Schlüsselbund, und ein Gewand rauschte auf der Treppe, die vom Oberstock hinab in die Vorhalle führte.
Eine anmutige Gestalt im Schmucke langer, blonder Flechten schritt die Stiege herab. Ihr blaues Gewand ward von einem weißen Schurz bedeckt, dem ein Schlüsselbund eingehängt war, in den Armen trug sie einen Korb, mit prächtigen, rotwangigen Aepfeln gefüllt. Erstaunt heftete sie die großen, blauen Augen auf die fremden Ritter. Solche Gäste war sie wohl daheim gewöhnt, aber nicht im einsamen Frauenhaushalt des Burglehens. Bescheiden zog die alte Schaffnerin sich zurück, und die Edelfrau ergriff die Hand der Jungfrau, die ihren Korb auf den Tisch niedergesetzt hatte, um sie den Rittern entgegenzuführen. Aber Mathilde von der Schulenburg hatte den Ritter von Jagow schon erkannt, wie auch dieser mit ausgestreckter Hand auf sie zutrat.
»Gott zum Gruß, vieledles Fräulein. Euer Anblick ist eine Herzensfreude für so reisemüde Leute wie wir hier sind, die unsere gütige Freundin eben so herzlich bewillkommt. Ich sehe es Euren freundlichen Augen an, Ihr kennet mich noch?«
»Ich habe ein gut Gedächtnis für so liebe Freunde, wie Ihr und Euer Gemahl meinem Elternhause waret,« entgegnete Mathilde in herzlichem Tone. Dann neigte sie sich sittig vor dem Junker, als der Ritter ihr erklärte, wer er sei, und reichte auch ihm auf seinen ritterlichen Gruß die Hand.
Mit besorgten Fragen nach den Fährlichkeiten des Rittes und dem Ergehen der Seinen drang dann auch sie in den Jagower, bis sie eifrig hinzufügte: »Nun aber soll die Schaffnerin Euch gleich die Gastgemächer weisen, ich ließ sie heute frühe schon rüsten, da der Ritter von Schilfau in wenigen Tagen wohl mit unserm treuen Joseph zurückkommen wird.«
»Da seht Ihr mein vorsorglich Pflegetöchterlein,« sagte die alte Edelfrau, liebevoll den blonden Scheitel des Mädchens streichelnd. »Auch des Obstgartens hat sie sofort hausfraulich gedacht, daß der Sturm uns nicht alles verderbe. Sie sorgt für uns alle gar trefflich und ist mir ein rechter Herzenstrost.«
Ein Bad ward den Rittern bereitet, und auch trockenes Gewand, das sie gegen ihre durchnäßte Oberkleidung vertauschen konnten, hatte die Schaffnerin bereit gelegt. Als der Abend hereinbrach, saßen sie alle am behaglichen Kaminfeuer, indessen Regenschauer gegen die Scheiben prasselten und der Sturm mit wildem Getöse in den Bäumen des Gartens rauschte.
Ernst war das Gespräch zwischen dem Ritter und der Edelfrau. Aber wenn auch anfänglich Albrecht und Mathilde daran teilnahmen, so ließ ihr Jugendfrohsinn sich doch nicht so leicht herniederdrücken. Wenn nur der Markgraf zur rechten Zeit heimkehre, meinte die Jungfrau zuversichtlich, dann fehle es nicht an tapferen Rittern, wenn es auch ein hart Streiten geben werde. Albrecht aber sprach mit heller Freude von dem bevorstehenden Kampfe und vertraute seiner lieblichen Zuhörerin, daß es sein erstes größeres Treffen sein werde, in dem er sich auszeichnen und die Rittersporen holen könne. Dann aber erzählte er leuchtenden Auges von seiner schönen Heimat, deren Berge und ragende Felsklippen weithin mit mächtigen Wäldern bedeckt seien, wie die flache, sandige Mark ihm so gar nicht wohlgefallen habe und erst die Höhen von Fryenwolde ihn ein wenig an die geliebte bergige Heimat gemahnten. Mathilde aber hörte ihm frohgestimmt zu und vertraute dem Junker, daß es lange schon ihres Herzens Sehnsucht sei, gen Quedlinburg zu reiten, wo eine Muhme Aebtissin am Frauenstifte wäre. Die Brüder würden sie hingeleiten, aber das Land sei jetzt so unsicher, daß ein längerer Besuch nicht tunlich. Sobald aber wieder Friede im Land, hoffe sie, der Muhme freundlicher Ladung zu folgen und dann auch die schönen Harzberge kennen zu lernen.
»Dann dürft Ihr auch des Selketales nicht vergessen, vieledles Fräulein und müßt unsern Falkenstein besuchen!« rief Junker Albrecht eifrig. Immer mehr vertieften sie sich in fröhliche Zukunftspläne, und immer häufiger tauchten die blauen Augenpaare ineinander.
Als man sich endlich trennte und die Ruhe suchte, vertraute Konrad von Jagow seinem jungen Freunde an, daß es fein Plan sei, einige Tage des Ritters von Schilfau zu warten, dann aber nach dem Falkenstein so bald als möglich zurückzukehren und mit dem Golde, das ihm der Vogt eingebändigt, Reisige zu werben.
»Meinem Fürsten gehört das Geld und zu seinem Nutz und Dienst will ich es verwenden,« setzte er hinzu. »Es wird gar manches wehrhaften Armes bedürfen, denn die Pommern werden mit Erbitterung kämpfen, da sie gern der Erbverträge wieder ledig werden möchten, durch die ihr Land an Brandenburg fallen soll, und nur, wenn sie den Sieg erringen, wird Ludwig der Römer sich dieses Vorrechts entschlagen. Wüßte ich nur, wie weit ihre Rüstungen gediehen sind. Kommen sie noch vor Beginn des Winters, da allerdings ein schweres Kämpfen in unsern Brüchen und sumpfigen Wäldern hier ist, so kann Ludwig nicht zurück sein und sein Heer sammeln. Es muß Kundschaft nach allen Seiten gesandt werden, die Zeit des Einfalles sicher zu erfahren. Wäre nur der Ritter von Schilfau erst hier!«
In schweren Gedanken lag er noch lange wach, aber bei Junker Albrecht machte sich die gewaltige Anstrengung des langen Rittes bemerkbar, und er sank bald in einen bleiernen Schlaf. Am dritten Tage langte der Ritter von Schilfau mit Joseph aus der Residenz im Burglehen an. Die Männer hatten eine lange und ernste Beratung und beschlossen zuletzt, Jaczko noch einmal, so schnell und heimlich als nur möglich, nach Pommern zurückzusenden und die genaue Zeit des Einfalles zu erkunden. Reisige an den Markgrafen, die ihn zu eiligster Rückkehr anspornen sollten, waren bereits abgesandt, und der Ritter von Schilfau beabsichtigte mit seinem Schwager Lindenberg an Rittern und ihren Reisigen zu sammeln, was sich sammeln ließe. Freilich verhehlte er sich und den beiden andern Rittern nicht, daß er keine große Schar werde werben können. Die vorhandenen Mittel waren sehr gering; gar manche der größeren märkischen Städte lebten in offener oder heimlicher Fehde mit dem Markgrafen noch von dem falschen Waldemar Markgraf Waldemar, der letzte Fürst aus dem Hause der brandenburgischen Ascanter, im Herbste des Jahres 1319 gestorben, war weit und breit im Lande beliebt gewesen. Sein starker Arm hatte den Feinden von innen und außen gewehrt. Handel und Gewerbe blühten, der Ackerbau war im besten Betriebe und die rohen Gebräuche des Volkes waren milderen christlichen Sitten gewichen. Unter dem schwächeren Regiment der bayrischen Linie ließ das alles nach, die Unruhe und Empörung nahm an allen Orten überhand, und es gelang einem Fremden, der ein Müllerbursche, namens Jakob Rehbock, gewesen sein soll, bei dem verstorbenen Markgrafen gedient und große Aehnlichkeit mit ihm hatte, unter Vorbringung einer geheimnisvollen Geschichte sich für den noch lebenden Markgrafen auszugeben. Er sammelte einen großen Anhang um sich, selbst der Kaiser Karl IV. bestätigte ihn als Markgrafen, und erst dann, als dem Kaiser durch einen Gegenkönig viel andere Arbeit erwuchs und jener Fremdling weniger Hülfe fand, gelangte Ludwig I. (der Aeltere) wieder in den Besitz der Mark, um den dann später auch sein Bruder Ludwig II. (der Römer) immer aufs neue kämpfen mußte. her und versagten ihm das Oeffnungsrecht, und von den Lehensrittern befand sich eine große Schar im offenen Ungehorsam gegen ihren Fürsten. Sie befestigten ihre Burgen mit den stärksten Mauern und lagen mit ihren Reisigen in Wäldern und an Landstraßen, auf willkommene Beute harrend. Es war eher zu erwarten, daß sie sich, soweit sie ihre Sitze in der Ucker- und Neumark hatten, mit den Pommern vereinigten, als daß sie ihrem Fürsten zu Hülfe kamen. Wenn die Pommern noch zur Herbstzeit den Einfall wagten, so stand ihnen der Weg bis zur Residenz offen. Es würde Wochen dauern, ehe die Boten mit der Kunde den Markgrafen Ludwig trafen, und ehe er zurückkam und mit reichlichem Golde Reisige warb, konnte der Winter seinen Einzug gehalten haben. Schilfaus Hoffnung war, daß die Feinde die ungünstige Jahreszeit, wo hier Roß und Reiter versinken konnten, würden vorübergehen lassen, sie konnten, wie die Lage im deutschen Reiche war, wohl erwarten, der Markgraf würde erst spät im Frühjahr vom Reichstage heimkehren.
Konrad von Jagow wollte die Rückkehr Jaczkos nicht mehr erwarten, weil dadurch für ihn viel kostbare Zeit verloren ging. Der Knechte des Haselburgers waren es nicht viele, der größte Teil mußte zur Bewachung der eigenen Burg zurückbleiben, und so war er auf fremde Söldnerscharen angewiesen. Ehe diese aber geworben und in einmütigem Fechten geübt waren, verging lange Zeit. Er brach darum noch am Abend auf, um die immerhin sicherere Nacht zum Reiten zu benutzen, was jetzt um so mehr ratsam, als das Wetter umgeschlagen war und Mondschein den Weg erleuchtete. Joseph versprach, nach Jaczkos Rückkehr zur Residenz und zum Falkenstein gleichzeitig Botschaft zu senden, und so schieden die Ritter mit festem Handschlag in der Zuversicht, daß ihr Mühen nicht zu spät komme. Konrad von Jagow trabte weit voraus, indessen Albrecht noch oft nach dem friedlich daliegenden Burglehen zurückschaute, von dessen Giebelfensterlein, im hellen Mondlicht lange sichtbar, ein weißes Tüchlein flatterte.
Wochen waren vergangen. Jaczko war von seinem Kundschafterwege zurückgekehrt und hatte berichtet, daß auf allen Edelhöfen viel gerüstet werde, aber aus den Reden der Knappen hatte er nur erlauschen können, daß die Rüstung vor dem Frühjahr wohl nicht werde beendigt sein. Joseph hatte den Zigeuner mit seiner Botschaft zur Residenz hinauf gesandt, inzwischen aber im Burglehen alles gerüstet, um trotz dieser günstigeren Kunde seine Herrin in Sicherheit bringen zu können, wenn die Pommern früher kommen sollten. Von der Residenz aus sollte Jaczko weiter nach Westen wandern und versuchen, mit seiner Botschaft bis zum Falkenstein durchzudringen. Da flog in den letzten Tagen des Reifmonats die Kunde durch das Land, der Markgraf Ludwig sei wider alles Erwarten schon zurückgekehrt. Mit seinem Ratgeber Hasso von Wedel und wenigen Getreuen sei er nach der ersten Nachricht durch die Reisigen aufgebrochen und allen vorangeeilt, die bedrohte Mark zu erreichen. Schon wollten seine Anhänger erleichtert aufatmen, als von Norden die Kunde kam, die Pommern seien trotz des schlimmen Herbstwetters in großen Scharen über die Grenze gebrochen und hausten auf das Schlimmste in der Neumark. Sie waren im Begriffe, den Weg nach der markgräflichen Residenz einzuschlagen, diese in ihre Gewalt zu bringen, da sie von der Rückkehr Ludwigs noch nichts wußten.
Eiligst brachte Joseph die Edelfrau hinter die schützenden Mauern von Cölln, wo Ritter mit ihren Knappen und allerhand Reisige sich sammelten, um unter der Führung des Markgrafen sich den Pommern entgegen zu werfen. Joseph schloß sich dem Fähnlein des Ritters von Schilfau an. In den Waldbergen von Frienwolde war beschlossen worden, den Feind zu erwarten. Die Brandenburger kannten hier Weg und Steg, die Pommern aber konnten im Bruch leichter in den Hinterhalt gelockt und überwältigt werden, denn da ihre Zahl die der Brandenburger weit um das Doppelte überstieg, so war für diese eine offene Feldschlacht sehr gefährlich. Diese Aufgabe hatte der Markgraf Edgar von Schilfau übertragen.
Ihm war die Vorhut übergeben. Geführt von Joseph, den er zu seinem Schildknappen gemacht hatte, war daher der Ritter weit in das Bruch vorgedrungen und hatte sich, dem Feinde den ersten Angriff zu bieten, an den letzten Ausläufern der Frienwolder Berge gelagert. Es war nahe dem Vorwerk Sonnenburg, an der Grenze von Konrad von Jagows Lehen.
Ein früher Herbstabend begann hereinzubrechen. Am nächsten Morgen erwartete man das Zusammentreffen mit den Pommern. Der Markgraf Ludwig hatte alle seine Ritter und Feldobersten in sein Zelt entboten, mit ihnen Kriegsrat zu pflegen. Es waren ihrer nicht viele, auch die ihnen zugeteilte Menge von Knappen und Waffenknechten war nur klein, und auf manchem Angesichte sah Ludwig Unlust und mangelnde Zuversicht.
Zum Schlusse der Beratungen erhob sich der Markgraf von seinem Sitze und trat gegen einen Tisch vor, der inmitten des Kriegszeltes stand. Er war ein stattlicher Herr, in Locken wallte ihm das Haar in den Nacken. Die breite, eckige Stirn verriet Tatenlust und Willenskraft, aber weichere Züge um den Mund wiesen darauf hin, daß er, wenn möglich, seine Pläne mehr durch Ueberredung und Nachgeben zu erreichen suchte, als durch die Schärfe des Schwertes. Tatsächlich hatte er in letzterem oft viel zu viel zum Schaden seiner Hausmacht getan, die Städte besonders hatten sich von ihm große Vorrechte und Freiheiten zu erringen gewußt.
Er ergriff eine auf dem Tische liegende, mit Siegeln behängte Pergamentrolle, ließ seine Blicke über die ihn umstehenden Ritter schweifen und sprach: »Wir lagern hier auf dem Boden eines erledigten Lehens, wohl eines der stattlichsten im märkischen Lande. Auf seinem Grunde wird morgen die Schlacht geschlagen werden, und daß es ein heiß Treffen wird, wisset Ihr alle, meine Ritter, nach der Kunde, die uns von der Zahl der Pommern gekommen ist. Wer von Euch morgen mit seinen Reiterscharen den Sieg entscheiden hilft und die Pommern zur Flucht zwingt, dessen sei das reiche Lehen Fryenwolde. Ich lade Euch morgen nach siegreicher Schlacht auf den Schloßberg. Die Burg soll dem Sieger die Tore öffnen, und zum Danke wird er von meiner Hand das Lehen empfangen. Hier wartet seiner die Belehnungs-Urkunde!«
Mit gnädigem Gruße entließ Ludwig der Römer seine Getreuen, und mit blitzenden Augen und heißem Wunsche kehrten nun die Ritter zu ihren Fähnlein zurück. Um einen solchen Preis lohnte sich schon das Kämpfen.
Neblig und düster brach der Novembermorgen herein, aber trotz der grauen Nebelluft über dem Bruche entdeckte der Ritter von Schilfau mit seinem Knappen gar bald die Stelle, wo die Pommern unter ihrem Herzog über den Oderstrom setzten. Er blieb mit der Vorhut ruhig im Hinterhalt, um die Feinde in die Berge und sumpfigen Waldtäler zu locken, nur Botschaft sandte er dem Markgrafen, daß der Feind heranziehe. Immer besorgter aber wurden seine Züge, und Joseph, der gleich seinem Ritter mit Unruhe die gewaltige Zahl sah von hohen, starken Gestalten in mächtigen Panzern und auf derbknochigen Rossen, die Schar des beweglichen, leichter gewappneten Fußvolkes und der Bogenschützen, raunte ihm leise zu: »Herr, das wird ein harter Tag, wie sollen wir eine solche Schar allein bestehen?«
»Es gilt den letzten Blutstropfen von Mann und Roß«, entgegnete Schilfau entschlossen. »Wohl dem unter uns, der nicht rückwärts blicken muß auf Heim und Herd! Suchen wir geschickt die schweren Panzerreiter in die Sümpfe zu locken!«
Mit Ungestüm fiel er dem Feinde in den Rücken, als er in den Waldbergen das Feldgeschrei der Brandenburger vernahm. Aber der tapfere, an Zahl so überlegene Feind teilte seine gepanzerten Reiter, und soviel der Ritter sich mühte, ihn in die Gründe und Schluchten hinabzudrängen, so oft erschienen neue Scharen auf den Höhen. Weithin erscholl das gewaltige Krachen der Panzer, mit denen die Rosse aneinander gerieten. Speere und Schilde splitterten, besonders hoch aber ragte ein Ritter der Pommern in silbern leuchtender Rüstung hervor, den Greifen in blauem Felde führend und mit wallenden blauweißen Federn auf dem Helme. Furchtbar mähte sein Schwert unter Schilfaus kleiner, tapferer Schar und statt sich in die sumpfigen Schluchten hinabdrängen zu lassen, brach er von den Bergen herunter auf eine Ebene im Walde, wo er seine Gewappneten zu geschlossenem Angriff führen konnte. Vergebens strebte Schilfau, an den so glänzend Gerüsteten zu geraten, in dem er mit Recht den Pommernherzog selber vermutete, seine Ritter drangen enggeschlossen hinter und neben ihm vor. Mit lautem Feldgeschrei warfen sich nun auch von der anderen Seite die Brandenburger unter ihrem Markgrafen auf den Feind, furchtbar dröhnte das Schlagen und Krachen von Schwertern und Schilden, Mann rang gegen Mann, und in Strömen floß das Blut von Mensch und Tier und färbte weithin den Boden. Noch heutigen Tages führt diese Ebene inmitten der Freienwalder Forsten den Namen »das rote Land«. D. V. Oftmals sah Schilfau die weiß roten Farben seines markgräflichen Herrn nahe der Helmzier des Pommernherzogs, als würden die beiden tapferen Führer nun allein den alten Erbstreit miteinander ausfechten, ein paarmal war er selbst dem feindlichen Herzoge so nahe, daß er glaubte, sein gewaltig zuschlagendes Schwert habe sein Haupt getroffen, aber immer war ein anderer gefallen, und höher denn je hob sich der silbern glänzende Helm über die von ihm angeführten Scharen hinweg. Immer neue tauchten auf, und die gewaltig zusammengeschmolzenen Brandenburger wurden von der großen Uebermacht aus den Waldbergen hinaus in die Ebene gedrängt. Verzweiflungsvoll suchten der Markgraf und der Ritter von Schilfau, der aus einer Schulterwunde schon heftig blutete, die Reiter noch einmal zu sammeln, sie wichen vor dem jetzt gewaltig hervorbrechenden Feinde mutlos zurück, und das kleine Heer löste sich in der Ebene bereits zu wilder Flucht auf. Die Schlacht war verloren, und mit lautem Triumphgeschrei schickten sich die Pommern zur Verfolgung an. Plötzlich brach es aus dem westlichen Hagen wie ein Gewitter daher, Hunderte von schwergepanzerten Rittern mit ihren Knechten, allen voran eine hohe Gestalt auf kohlschwarzem Rosse, in schwarzer Rüstung und Panzerung, ihm zur Seite eine schmächtigere Figur in glänzendem Stahlhemd.
» Hie guet Brandenburg alleweg!« tönt laut ihr Feldgeschrei, und mit furchtbarer Wucht geraten sie an die Pommern, die sich schon aufgelöst hatten und jetzt eilig sich zu sammeln trachteten. Vergebens!
Mit eines Augenblickes Schnelle ist der Schwarzgepanzerte dem in der silbernen Rüstung genaht, hoch blitzt sein gewaltiges Schwert, und schwer getroffen sinkt der Pommernherzog von seinem Rosse. Weiter mäht das Schwert des schwarzen Ritters und das seines Begleiters mit ihm; die Pommern, führerlos, werden wieder in die Berge zurückgeworfen. Da sammeln sich auch die fliehenden Brandenburger unter ihrem Fürsten wieder und greifen in der Seite an. Noch eine halbe Stunde heißen Ringens, dann drängt der schwarze Ritter mit seiner Schar die wenigen noch unversehrten Pommern an die Oder. Mit dem Schwerte die letzten zusammenzuhauen ist sein Begehren, doch finden sie inmitten des überschwemmten Landes eine schmale Furt, die des Menschen Fuß, aber nicht gepanzerten Rosses Huf betreten kann, und die Wenigen entkommen hinter die Oder und tragen in ihre Heimat zurück die Nachricht von einer Niederlage, die ihren ferneren Einfällen für immer ein Ziel setzte. –
Die Schlacht war vorüber. Auf dem weiten Plan am Fuße des Schloßberges hatte der Markgraf seine Ritter und Waffenknechte gesammelt und befahl nun, den fremden schwarzen Ritter und seine Begleiter zu ihm zu führen, die so machtvoll die Niederlage der Brandenburger in einen glänzenden Sieg verwandelt hatten.
Die Standarten und Lanzenfähnlein, die man am Standorte des markgräflichen Herrn versammelt hatte, wehten rauschend und knatternd im Herbstwinde. Die Sonne, die sich schon zum frühen Untergange rüstete, warf ihre letzten goldnen Strahlen auf die Zinnen von Burg Malchow, die jetzt als Siegespreis vergeben werden sollte. Hochaufgerichtet schritt der schwarze Ritter mit seinem Begleiter im Stahlpanzer, von einigen Brandenburgischen Rittern geführt, auf den Markgrafen zu.
»Wer seid Ihr, tapferer Rittersmann?« fragte Ludwig und musterte ihn durchdringenden Blickes vom Haupte bis zu den Füßen.
»Ein Toter!« tönte es dumpf hinter dem geschlossenen Visier zurück.
»Ein Toter?« wiederholte betroffen der Markgraf, setzte dann aber hinzu:
»Fürwahr, des Todes Amt habt furchtbar Ihr heute gewaltet. Doch nun lüftet das Visier, und laßt mich Euer Antlitz sehen, damit ich weiß, wem ich fürstlichen Dank schulde für solch heldenhaften Beistand!«
»Auf Befehl meines Fürsten gehorche ich,« antwortete der Ritter. Das Visier fiel und – – »Konrad v. Jagow!« rief es laut und erschrocken in dem Kreise der Ritter, die den Markgrafen umstanden. Ein Geächteter und Verbannter wagte seinem Fürsten, der sein Leben in der Hand hielt, noch unter die Augen zu kommen?
Totenbleich stand der Ritter vor dem Markgrafen. Voll unendlicher Spannung blickten seine Augen auf den fürstlichen Herrn. Dieser Augenblick entschied über sein Leben und sein Glück und über das der Seinigen für immer.
Ernst sinnend stand der Markgraf da. »Konrad v. Jagow?« – wiederholte er den Ausruf seiner Ritter. »Der ist tot, wie Ihr selber bezeugt habt. Doch da Ihr gekommen seid wie ein Wetter aus dem Hagen (alte, deutsche Schreibart: uch ten hagen), so sollt Ihr, der Tote, als Konrad von Uchtenhagen auferstehen und mit dem neuen Namen leben und herrschen. Den zugesagten Siegespreis habt Ihr davon getragen; tretet näher, Konrad von Uchtenhagen, hier meine Rechte! Mit dieser Hand leihe ich Euch Land und Leute, Burg und Stadt Fryenwolde und ihr Gelände, Dörfer und Weiler, soweit das Lehensrecht von Burg Malchow reicht. Leistet den Lehenseid!«
Mit bebender Stimme, die ihm vor Bewegung oft zu versagen drohte, schwur Konrad aufs neue den Treu-Eid in die Hand seines Fürsten, dessen Augen wieder mit altem Vertrauen in den seinen ruhten. Der Bann, die lange Jahre unschuldig getragene Schmach, war von ihm genommen, ein freier Ritter konnte er ein freies Erbe seinem geliebten Knaben hinterlassen.
»Und wer seid Ihr?« wandte sich nun der Markgraf an Konrads Begleiter und winkte ihm, das Visier fallen zu lassen.
»Albrecht, Sohn des Grafen von Haselburg auf dem Falkenstein!« war die kurze, männliche Erwiderung, indessen ein frisches Rot in die gebräunten Wangen des Jünglings stieg, deren linke eine blutende Wunde aufwies.
Ein freudiger Schimmer leuchtete in Ludwigs Augen auf. »Fürwahr, einen werten Namen habt Ihr da genannt,« rief er. »Euer Vater war meinem fürstlichen Bruder und auch mir ein treuer, ritterlicher Freund. Lange sah ich sein Angesicht nicht, aber Eures tapferen Vaters würdig habt Ihr Euch heute erwiesen! Kniet nieder und empfanget dafür von mir den Ritterschlag!«
»Auch Graf Georg von der Haselburg und sein zweiter Sohn sind unter denen, mein Fürst, die Euch heute beistanden,« sagte Konrad von Uchtenhagen und wandte sich zurück. Aus der Schar der Ritter, die hinter ihm standen, trat der Freund mit dem jüngsten Sohne, mit warmem Handschlage vom Markgrafen begrüßt.
Mit hoher Freude gebot Ludwig den beiden Junkern, das Knie zum Ritterschlage zu beugen, die glänzenden Auges damit die Weihe empfingen, die sie in die Schar der kampfbewährten Männer einreihte.
Konrad von Uchtenhagen zur Rechten, Georg v. Haselburg zu seiner Linken schritt der Fürst dann zur Burg empor, wohin sich schon die frohe Kunde verbreitet hatte, daß der geliebte Burgherr, in alle seine Ehren eingesetzt, wiederkehre. Vor der niedergelassenen Zugbrücke erwarteten alle Insassen der Burg den langentbehrten Gebieter, und der alte Vogt stürzte, Freudentränen in den Augen, auf ihn zu, um ihm die Rechte zu küssen.
Das Christfest rückte nahe heran, das dieses Mal für Burg Malchow von ganz besonders festlicher Bedeutung werden sollte, da zu den Festtagen die Herrin der Burg und der Junker zurückkehren und die Falkensteiner Freunde sie sämtlich begleiten würden. Klares Frostwetter hatte bereits eine Eisdecke auf den Oderstrom und das Bruch gelegt, die Wege waren dadurch gut fahrbar geworden, und in festlichem Weiß prangten die Höhen und die weiten dunkelgrünen Tannenforsten.
Konrad von Uchtenhagen war nach seiner Wiederbelehnung auf Burg Malchow verblieben, indessen der Markgraf siegesfroh nach Cöllen zog und der Haselburger mit den beiden ritterlichen Söhnen nach dem Falkenstein zurückkehrte. Für Konrad gab es nicht nur in der Lehensherrschaft viele Arbeit, auch auf Burg Malchow war, nachdem sie so lange nicht bewohnt wurde, mancherlei für die Rückkehr von Frau Agnes-Gertrude herzurichten.
Während darum Kunz seinen Herrn tagelang begleitete, um in den unter Frienwolder Lehnsherrschaft stehenden Orten, Weilern und Höfen manche Ordnung wiederherzustellen, wusch und putzte sein Weib, die langjährige Schaffnerin der Burg, mit einer großen Mägdeschar alle Hallen, Säle und Kemenaten der weitläufigen Wohnräume, bis Fenster und Böden blitzten. Die mächtigen, grüngekachelten Oefen und Kamine strahlten wieder behagliche Wärme in die so lange verlassenen Räume, dichte Teppiche und Vorhänge umhüllten die Türen und hohen Bogenfenster, und mit immer wachsender Traulichkeit begrüßten die gewohnten, langentbehrten heimischen Gemächer Konrad von Uchtenhagen wieder, wenn er abends von ermüdenden Ritten heimkehrte.
Heute, am Tage vor dem heiligen Christfeste war er schon sehr frühe zur Burg zurückgekehrt. Auf kurze Zeit hatte er noch im Lehen bei Frau von Braunsbeck vorgesprochen, wo sich bereits die Töchter mit ihren Ehegatten als Festgäste befanden. Heute, bevor noch die frühe Wintersonne sank, erwartete der Ritter sein Gemahl, und darum ermahnte er noch einmal die Freunde im Burglehen, der Ladung nicht zu vergessen und sich zu dem Empfange und festlichen Abende rechtzeitig auf der Burg einstellen zu wollen.
Der alte Kunz, dem sich auch Joseph angeschlossen hatte, war mit einer Schar von Knappen in festlicher Gewandung und mit den Wappenfähnlein der Burg schon mittags der Herrin einige Stunden weit entgegengeritten. Zwar kehrte Frau Agnes-Gertrude unter reichlicher Bedeckung und dem sicheren Geleite der Falkensteiner zurück, aber der alte Vogt hielt es vor Unruhe und Sehnsucht nach der sanften Herrin und dem Junker, an denen sein ganzes Herz hing, nicht mehr aus, und darum hatte er den Ritter gebeten, sie einholen zu dürfen. Konrad von Uchtenhagen wollte die geliebte Gefährtin und seinen Knaben erst an der Schwelle der heimischen Burg empfangen, die sie einst, vom Banne hinweggetrieben, zerrissenen Herzens hatten meiden müssen.
Nun schritt er in ernstem Sinnen durch das Tor. Grüne Tannengewinde und farbige Wimpel hingen von Erkern und Zinnen hernieder, und auf dem großen Wartturme bauschte sich im Winde die mächtige Fahne, die das Wappen des Geschlechtes im weißen Felde trug. Es zeigte einen starken grünen Eichbaum mit gewaltigen Wurzeln, rechts und links vom Stamme ein Rad. Heute noch das Stadtwappen von Freienwalde a./O., das ihr von dem Geschlechte hinterlassen wurde. (Siehe Titelblatt.) Oben in der Halle, die auf erhöhtem Sitze die Ehrenstühle des Hausherrn und der Gebieterin in grünem Schmucke zeigte, stand der Ritter in ernsten Gedanken am Fenster, das nach Westen auf den Talweg hinausging, auf dem der Reisetrupp herannahen mußte. Mit rotgoldenen Strahlen begann die Sonne sich zum Untergange zu neigen und überglänzte in rosigem Schimmer die weißen Berge und die tiefer liegende Flußlandschaft. Bald würde das funkelnde Sternenheer die heiligste der Nächte heraufführen, die Frieden und ewige Versöhnung der ganzen sündigen Welt gebracht hatte. »Frieden und Versöhnung!« Ein tiefer Atemzug hob bei diesem Gedanken Konrad v. Uchtenhagens Brust. Mancher Sonnenuntergang, aber keiner so gewaltig wie der heutige, hatte ihn daran gemahnt, daß er um der letzten Sonnenstrahlen willen, die dem heißbegehrten Endziele sonst nicht mehr leuchten würden, sein Ritterschwert einst mit unschuldigem Blute befleckt hatte. Und nie so klar wie jetzt stand es vor seiner Seele, warum des heiligen Gottes Hand das Unrecht zugelassen hatte, das ihn jahrelang verbannte und in den Staub demütigte.
»Frieden und Versöhnung beutst du auch mir im Namen deines Sohnes an, gerechter Gott!« flüsterte der Ritter leise. »Nein, du wirst in deiner Huld und Gnade nicht deinen Fluch noch auf meinen Knaben legen, wo du dem sündigen Vater mit Wohltun seine Uebertretung lohnst. Mein Knabe liebt dich mit seiner kindlichen Seele, und daß er immer treuer in deinen Geboten wandele und ein frommer Ritter werde, wird meines Lebens schönste Sorge fortan sein!« – Er hatte die Hände zusammengeschlossen und blickte leuchtenden Auges in das vergehende Sonnenlicht, und wie eine Antwort auf sein ernstes Gelübde klangen rein und hell die Glocken aus dem Tale, die die heilige Nacht einläuteten. –
Da zeigte sich ein dunkler Trupp von Reitern auf dem leicht mit Schnee bedeckten Wege gen Westen. Während hell vom Turme das Horn des Wächters herniederklang, betraten auch die Freunde aus dem Burglehen, Frau von Braunsbeck sorglich in einer Sänfte mit sich führend, die niedergelassene Zugbrücke. Der Ritter eilte hinunter, sie zu begrüßen und in die warme Halle zu führen, während in allen Gängen in froher Hast die Burginsassen daherstürmten und mit einem lauten: »Sie kommen, sie kommen!« sich vor das Tor, ja bis an den Fuß des Burgberges begaben.
Nun nahte der fröhliche Zug, an der Spitze der Vogt und Joseph mit flatternden Bannern, während die Christfestglocken noch mit hellem Ton über Tal und Höhen klangen. Mit einem von tiefinnerer Freude verklärten Antlitze Frau Agnes-Gertrude auf weißem Zelter neben der Gräfin Haselburg, indes zwischen den beiden Edelfrauen der freudestrahlende Junker ritt. Ihnen folgte der Falkensteiner Burgherr inmitten der stattlichen Söhne, und eine Schar schmucker Knappen und Wappenknechte machte den Schluß.
Mit lautem, freudigem Jauchzen wurde der Zug schon unten am Berge von den Burginsassen begrüßt, die ihm nun unter Frohlocken das Geleit bis zum Burgeingange gaben. Immer wieder reichte die Gebieterin grüßend die Hand vom Rosse hernieder, während Junker Konrad auf alle die bewundernden Zurufe, wie er groß und stattlich geworden sei, fröhlich sein federgeschmücktes Barettlein schwenkte. Mit stillinnerer Freude sahen's die Freunde und Begleiter.
Nun hielt der Zug an der Brücke. Frau Agnes und der Junker glitten vom Roß und lagen, lachend und weinend vor Glück und Freude in den Armen des Ritters. Eines Wortes war er nicht mehr mächtig, aber Frau Agnes-Gertrude schlang die Arme um den Hals des Gemahls und flüsterte leise: »Gott segne uns wie heute den Eingang wieder in's irdische Heim, so einst die Rückkehr in die himmlische Heimat!« –
Voll inniger Freude begrüßte der Ritter nun auch die treuen Falkensteiner Freunde und führte alle hinauf in die Halle, indessen ein froher Festestrubel sich in allen Räumen der Burg, auch unter dem Ingesinde entfaltete. Noch einmal kündete das Horn des Türmers die Ankunft von Gästen und Konrad von Uchtenhagen führte den Freunden den Ritter von der Schulenburg auf Löckenitz und sein Gemahl zu, die von zwei stattlichen Söhnen und der holderglühenden Mathilde begleitet wurden. Mit glückseliger Ueberraschung blickte Albrecht von der Haselburg auf den ihm fröhlich zuwinkenden Paten, indessen die Gräfin mit ihrem Gemahl einen lächelnden Blick tauschte und ihn dann mit Wohlgefallen auf der lieblichen Jungfrau ruhen ließ. Wußten sie doch durch das Bekenntnis des ältesten Sohnes, daß ihr sein Herz gehörte, und sie bald als hochwillkommene Tochter auf dem Falkenstein einziehen werde. In Freude und herzinniger Dankbarkeit feierten alle unter der lichterstrahlenden Tanne die heilige Nacht, und noch am ersten Abend warb der Graf von der Haselburg für seinen ältesten Sohn bei dem Schulenburger um sein Töchterlein und erhielt ein freudiges Jawort. Das strahlende Glück der beiden schönen jungen Menschenkinder aber verscheuchte für Konrad von Uchtenhagen die letzten trüben Schatten des Bannes, durch den er seine Schuld gesühnt hatte. –
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