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Eine Erzählung aus dem 14. Jahrhundert, handelt von der Belehnung des v. Jagowschen Geschlechts mit der Herrschaft Fryenwolde.
Es war im 14. Jahrhundert, und Ludwig, der Römer genannt, regierte die Mark Brandenburg, die heute das Herz des geeinten deutschen Reiches bildet.
Breit floß der Oderstrom dahin. Die warme Junisonne hatte hoch oben in den Bergen, wo die Oder ihre Quellen und Zuflüsse hat, den letzten Schnee geschmolzen, und die dadurch entstandenen Wassermassen hatten zusammen mit dem häufig niedergegangenen Frühjahrsregen das Bett der Oder so angefüllt, daß das niedere Land rechts und links weit überschwemmt war. Dämme und Deiche, die der Ueberschwemmung ein Ziel gesetzt hätten, gab, es nicht, und so stand das Wasser erst an den waldigen Höhen still, die das Oderbruch begrenzten.
Nur einige höher gelegene Landstraßen, Dörfer und Weiler tauchten aus der Wasserwüste auf, sonst war alles ein weiter See, auf dem eine große Zahl von Fischerbooten schwamm.
Um die Zeit der Frühjahrs-Ueberschwemmung war der Fischfang außerordentlich ergiebig. Durch ihn und die große Ausfuhr von Oderkrebsen, die bis nach Böhmen hinein betrieben wurde, war die Stadt Wriezen ein bedeutender Handelsort geworden. Fern am Horizonte tauchten ihre Türme auf, und nun sich die Sonne neigte, richteten die meisten Fischerboote dorthin den Kiel, um vor Dunkelwerden den Hafen zu erreichen.
Auf der Landstraße, die, aus dem Walde am Fischerdorfe Fryenwolde vorüberkommend, durch das Bruch führte, sprengten in scharfem Trabe zwei Ritter daher. Zur Fehde schienen sie zwar nicht ausgeritten, da weder der Eisenhelm das Haupt deckte, noch die Lanze am Sattel aufragte. Aber die Federn auf den Baretts ragten keck genug in die Höhe, und die breiten Schwerter zur Linken und die erhitzten Gesichter bewiesen, daß der scharfe Ritt nicht zum Zeitvertreib unternommen worden war.
Der ältere der beiden Reiter mochte wohl vierzig Jahre zählen. Er trug ein braunes Lederkoller über dem gestickten Rocke und mächtige Reiterstiefel mit Sporen. Ein dunkler Vollbart, der das kühne Gesicht noch wilder erscheinen ließ, hing ihm auf die Brust, vermochte aber nicht, die gewaltige Hiebnarbe zu verdecken, die sich von der Schläfe bis zum Kinn herunterzog. Sein vielleicht zehn Jahre jüngerer Begleiter sah in dem dunklen Spitzbarte nicht so kühn aus wie der ältere Kamerad, aber das sonst wohlgestaltete Gesicht machte mit dem wenig offenen Blicke der Augen und den zusammengewachsenen Brauen keinen wohltuenden Eindruck.
Der ältere trieb den schweißbedeckten Gaul aufs neue mit den Sporen an. Sein Auge haftete auf der Sonne, deren Strahlen schräge fielen, und die in einer halben Stunde vielleicht in dem Wasser, das die Landschaft bedeckte, verschwunden war. »Den Teufel auch!« preßte er zwischen den Zähnen hervor. »Wenn wir Wubiser nicht mehr bis Sonnenuntergang erreichten! – Der ganze Ritt und die Herrschaft wären zum Kuckuck!«
»Ja, du Nimmersatter, hättest die Cöthener und Dannenberger Forsten können liegen lassen,« antwortete der jüngere Ritter mit etwas höhnischem Lachen. »Dann wärest du in aller Ruhe zum Ziele gekommen. Jetzt brechen uns vielleicht die Gäule zusammen, und wenn wir's nicht mit Reiten schaffen, gilt der Spruch nicht!«
»Aber der Markgraf trug mir auf, für Hochwald zu sorgen. Er wolle den Eber und den Wolf dann bei mir jagen, waren seine letzten Worte, ehe er mich entließ. Seine Gunst aber will ich mir erhalten, denn nur daraufhin gibt der Eberstein mir Gertrudis zum Gemahl.«
»Sollt meinen, du hättest genug für den Markgrafen getan, als du deine Haut für ihn zu Markte trugst,« bemerkte der andere spöttisch mit einem Blicke auf die Narbe. »Hätt' nicht viel gefehlt, und du tatest den letzten Schnaufer! Der halbe Kopf war aufgespalten, als du für Ludwig den Hieb empfingst. Grund genug, mein' ich, für ihn, dir Zeit deines Lebens günstig gesinnt zu sein!«
»Hab' schon andere Hiebe ausgehalten,« entgegnete der Aeltere kurz. »Der Markgraf bezeigt mir ja auch seinen Dank durch den Befehl, mir heute einen Lehnssitz zu erreiten. Was ich schaffe vom Aufgange der Sonne bis zu ihrem Niedergange, gibt er mir und meinem Geschlechte als Lehen, verbrieft und versiegelt mit allen Rechten, Herr und Gebieter zu sein über Bruch, Wald und Feld, Weiler, Städte und Dörfer und alle ihre Inwohner, bis über den letzten der Jagows Ritterhelm und Schild zerbrochen wird!«
Triumphierend leuchteten die Augen des Sprechers, und stolz hob er sich im Sattel.
Ein neidischer Seitenblick des Jüngeren streifte ihn; aber er erwiderte nichts, als der ältere Ritter fortfuhr: »Nun heißt es aber die Zeit auskaufen, daß wir den Ring schließen, bis die Sonne sinkt. Vom Kreuzwege bei Wubiser sind wir ausgeritten. Das Wegzeichen müssen wir wieder erreicht haben, dann ist die Herrschaft mein!« Er stockte einen Augenblick und blickte rund um sich. »Gibt es denn hier keinen Richtsteig? Verdammt, wenn ich an der letzten Meile scheitern sollte! Robert, weißt du denn hier keinen näheren Weg? Dein Vorwerk liegt doch nur eine Stunde von hier?«
»Du vergißt, daß Sonnenburg erst seit einem Jahre mein ist und der Markgraf mich noch nicht lange von seinem Hofe entlassen hat,« erwiderte Robert von Bodenstein. »Trotzdem kenne ich das Land hier herum und denke, dich gut geführt zu haben. Du hast dir einen Lehenssitz erlitten, wie er nicht noch einmal im märkischen Lande dürfte angetroffen werden. Aber der weite Bogen um Cöthen und Dannenberg herum, die du durchaus noch besitzen wolltest, hat uns zu weit vom Ziel entfernt.«
Der ältere Ritter warf auf den Sprecher einen kurzen Seitenblick, und um seine Lippen zuckte es bedeutsam. Dann sagte er mit kaum sichtbarem Lächeln: »Ich habe dir zugesagt, wenn ich am Abend dieses Tages das Land um Fryenwolde mein nennen kann dank deiner kundigen Führung, die Forst, die an dein kleines Vorwerk Sonnenburg grenzt, bis an die Fryenwolder Gemarkung dir abzutreten. Und ich füge jetzt hinzu: wenn du dich auf einen noch näheren Weg als diesen bis zum Wubiser Wegzeichen besinnen kannst, so ist der fischreiche Baasee auch noch dein!«
Es leuchtete habgierig in den Augen des Jüngeren auf, die fest auf den Sonnenball gerichtet waren, der nahe dem Horizonte stand. Mit einem Rucke hielt er das keuchende Pferd. »Gibst du's mit Brief und Siegel?«
»Mit Brief und Siegel, wenn's sein muß und du dem Freundes- und Mannesworte nicht traust!«
»Wie sollte ich nicht?« entgegnete Robert von Bodenstein geschmeidig. »Es ist aber wegen Leben und Sterben und daß kein Grenzstreit später entsteht. – Aber der Ritt kann uns beiden den Hals kosten. Es geht da hinauf!«
Er wies auf die ziemlich steilen bewaldeten Abhänge zur Rechten des Weges.
Der Ritter von Jagow blickte auf sein abgetriebenes Pferd und den sinkenden Sonnenball. Der letztere aber war entscheidend. »Wieviel Zeit gewinnen wir?«
»Reichlich den vierten Teil der Stunde, die wir jetzt noch bis zum Wegzeichen vor uns haben!«
Konrad von Jagow zog ein Stück schwarzen Brotes aus der Satteltasche, das er dem erschöpften Pferde gab. Auch der Ritter Bodenstein tat ein Gleiches. Dann sprach der Jagow: »Nun vorwärts!«
Sie gaben den Tieren die Sporen, und, Bodenstein voran, ging es unter mühsamem Klettern der oft strauchelnden Pferde über die Höhen, unter alten knorrigen Eichen hinweg, deren mächtige Wurzeln quer über den Waldboden liefen.
Kein Wort ward mehr gesprochen, nur das Keuchen der schwer arbeitenden Pferde war hörbar. So ging es eine halbe Stunde querwaldein, bald über Berge, bald durch Schluchten. Nur ab und zu flog ein Blick des Jagow zu den Baumspitzen hinauf, ob die Sonnenstrahlen sie noch trafen.
Endlich war der Rand des Waldes erreicht. Ungefähr noch eine Viertelstunde entfernt, an den Rand des Waldes geschmiegt und von der anderen Seite vom Wasser umspült, lag Dorf Wubiser. Wenige Minuten vor dem Dorfe stand das Wegzeichen, von dem die beiden Ritter bei Sonnenaufgang ausgeritten waren, und das sie wieder erreichen mußten, ehe die Sonne in den Fluten versank. Es war auch die höchste Zeit. Zur Hälfte schon war der glänzende Ball hinabgesunken. Die beiden Reiter stoben Pferd an Pferd auf dem schmalen Wege dahin, rechts immer die steilen Abhänge der waldigen Berge, über die sie gekommen, links die tiefer gelegenen Wiesen, die alle überschwemmt waren.
Tiefer und immer tiefer sank die Sonne, nur noch eine schmale Sichel stand über dem Wasser am Horizonte. Dunkle Röte lag auf dem Gesichte des Ritters von Jagow, und die Aufregung trieb ihm helle Schweißtropfen auf die Stirn, über die quer eine starke Ader lief, die nichts Gutes für den verhieß, der etwa den Ritter zum Zorn reizte. Nun noch eine scharfe Biegung des Weges um einen Waldvorsprung, und in wenigen Minuten war das Ziel erreicht, eine der schönsten Herrschaften im märkischen Lande war sein. Er drückte dem erschöpften Pferde noch einmal die Sporen in die Seiten, und vom Schmerze gepeinigt flog es in einigen mächtigen Sätzen dem jüngern Reiter voran um den Waldvorsprung. Plötzlich stutzte es erschrocken und stieg kerzengerade in die Höhe.
Die ganze Breite des Weges erfüllte eine nach vielen Hunderten zählende Herde von Schafen und Lämmern, die unhörbar in dem weichen Sande herangekommen war. Der Hirte stand erschrocken vor dem sich bäumenden Pferde und streckte aus Sorge für die ihm anvertrauten Tiere seinen Hirtenstab vor, daß der Reiter nicht alles zu Boden trete. Mit einem Blick übersah der von Jagow, daß die Tiere ihn völlig von seinem Ziele schieden. Ehe sie alle vorübergezogen waren, war die Sonne längst hinunter, und um die Herrschaft war er gebracht. Ein wilder Jähzorn loderte in ihm auf, und sein Schwert herausreißend, stieß er den ihm wehrenden Schäfer zurück und setzte mitten in die Tiere hinein. Ein klägliches Blöken erhob sich überall, die jungen, von den Pferdehufen getroffenen Tiere brachen zusammen, aber blindlings jagte der Ritter weiter, bis er bei den letzten Strahlen der Sonne den Wegweiser erreichte. Mit wildem Freudenschrei tat er drei Schwerthiebe in den hölzernen Pfahl und sprengte dann in das Dorf Wubiser hinein. Als ihm hier einige Bauern entgegeneilten, sprang er vom Pferde, und den bewehrten Fuß auf den Grenzhügel setzend, stieß er neben sich das Schwert in die Erde.
»So ergreife ich hier mit Sonnenuntergang vor Zeugen mein Lehen und werde es halten und mit Schwertesgewalt schützen gegen alle Feinde und Widersacher!«
Und ehe die erstaunten Bauern sich noch recht besinnen konnten, saß er wieder zu Pferde und trabte den Weg nach Sonnenberg, wo er die Nacht bei seinem Freunde verbleiben wollte, ehe er dem Markgrafen Ludwig Kunde brachte von dem gewinnbringenden Ritte.
Robert von Bodenstein hatte sein Pferd zurückgehalten, als Konrad von Jagow das seine zur letzten Anstrengung aufstachelte. Für ihn brachten ja die nächsten Minuten keine so wichtige Wendung seines Geschickes, und er war von dem scharfen Ritte erschöpft genug. So gelangte er in ruhigem Schritte etwas später um den Waldvorsprung und sah mit Erstaunen die sich ineinander drängende blöckende Herde und mitten im Wege den blutüberströmten Hirten liegen.
Der Anblick rührte sein nicht sonderlich weiches Gemüt weiter nicht, war ein Erschlagener damals an den unsicheren Straßen doch gerade keine seltene Erscheinung. Aber er hielt doch eine Weile an und blickte umher, hauptsächlich weil es ihm an einer Gelegenheit zum Weiterkommen fehlte. Da hörte er über sich fröhliches Pfeifen, und als er aufblickte, bemerkte er einen etwa zehnjährigen Knaben, der mit einigen Ziegen um die Wette die Höhen zur Rechten herabkletterte. Als er die Schafherde gewahrte, stand er still und schwenkte sein vom Wetter und Winde stark mitgenommenes Hütchen.
»Vater!« jauchzte er von oben herunter. Den Ritter, der ihm durch einen Busch verdeckt war, gewahrte er noch nicht. Dann ergriff er die Schalmei, die ihm an einem Bande um die Schulter hing, und blies eine fröhliche Melodie darauf. Der arme Knabe ahnte nicht, daß er dem Vater das Sterbelied blies. In langen Sprüngen kam er dann den Berg herab, und erst jetzt an dem letzten Abhange blieb er erschrocken stehen, da er den Ritter bemerkte und den Schäfer am Boden liegen sah.
»Komm' her!« herrschte ihn der Ritter an, »und treibe die Tiere zur Seite, damit ich meinen Weg fortsetzen kann.«
Gehorsam kletterte der Knabe den letzten Abhang hinab; doch als er nun vor der blutüberströmten Gestalt da mitten im Wege stand, schrie er jammernd auf und warf sich neben dem Erstochenen nieder. »Vater, lieber Vater!« schrie er schluchzend und hielt dann wieder das Ohr an den Mund des Daliegenden, ob noch ein Hauch etwas Leben verriete. Darauf sprang er auf und lief den Weg hinab ans Wasser, brachte seinen alten Filzhut gefüllt zurück und suchte das Blut fortzuwaschen, das wie ein kleines Rinnsal über das grobe Hemd des Schäfers floß. Aber auch das kühle Wasser belebte ihn nicht, der Ritter von Jagow hatte nur zu gut getroffen.
Verzweiflungsvoll hielt der Knabe endlich in seinem Werk inne, als er das Schnaufen von Pferden vernahm. Auch der Ritter blickte sich um und gewahrte einen Reisewagen, von zwei starken Tieren gezogen. Ein alter Kutscher lenkte das Gefährt, und ein gewappneter Knecht ritt nebenher. Als der Zug plötzlich anhielt, beugte sich eine ältere Edelfrau in Trauerschnebbe und Witwenschleier aus dem Wagen und forschte nach der Ursache. Mit einem schmerzlichen Aufschrei zog sie sich zurück, und gleich darauf ertönte ein gleicher aus dem Innern des Wagens.
Der Ritter von Bodenstein griff sich an die Stirn und besann sich, wo er die Edelfrau schon gesehen hatte. Ah, jetzt wußte er es. Am Hofe des Markgrafen, auf einem fröhlichen Turnier hatte er sie am Arme eines graubärtigen Mannes, des Ritters von Braunsbeck, gesehen. Die jungen Edelfräulein, die die Eltern begleiteten, hatten beide durch ihre hohe Schönheit viel Aufsehen erregt, und die eine von ihnen mit dem königlichen Wuchse und der Fülle goldblonden Haares hatte dem Grafen von Schilfau den Turnierdank gereicht, während die kleinere mit den dunklen Locken den Grafen Lindenberg mit einem Eichenkranze schmückte. Beide Ritter waren während der Festtage zum großen Verdrusse auch Robert von Bodensteins die steten Begleiter der beiden Fräulein gewesen, so daß kein anderer sich ihnen nahen konnte.
Während seines kurzen Nachsinnens hatte sich die Tür des Reisewagens geöffnet, und die beiden Edelfräulein, an die er soeben gedacht hatte, stiegen, wie ihre Mutter in tiefe Trauer gekleidet, aus. Dann waren sie der älteren Dame, die ein Kästchen trug, behülflich, von dem hohen Wagentritte herunterzukommen. Sie stutzten alle drei, als sie den Ritter auf seinem Pferde halten sahen, traten aber, seinen ehrerbietigen Gruß erwidernd, sofort zu dem schluchzenden Knaben, der das Gesicht in beide Hände vergraben hatte. Das blondhaarige Fräulein, Klarissa von Braunsbeck, beugte sich herzlich zu ihm nieder und tröstete ihn, sie würden den Vater verbinden, und fragte, woher dieses Unglück gekommen sei. Als der Knabe weinend aufschaute, rief Elise von Braunsbeck mit warmem Mitgefühle:
»Sieh doch, Mutter, das ist ja Joseph, der Hüteknabe, der uns während des ganzen Sommers stets so gute Waldbeeren bringt!« Und tröstend strich sie ihm über sein krauses braunes Haar.
Die Edelfrau war mit ihrer ältesten Tochter schon dabei, den Körper des Erschlagenen aufzurichten und gegen einen Baumstumpf zu lehnen, um die linke Schulter und die Brust, aus der noch unaufhörlich Blut floß, zu verbinden, wozu die Jüngste das Kästchen geöffnet hatte und der Mutter Linnen zureichte.
Als der Ritter sah, welche Mühe den zarten Frauen der schwere Körper des Verwundeten machte, stieg er vom Pferde und trat zu ihnen. Er begriff zwar nicht, wie Edelfrauen sich um einen geringen Hirten solche Mühe machen konnten, aber er wollte sich den Damen hülfreich erweisen. So trat er zu der alten Dame, und sein Barett ziehend, erinnerte er sie an ihr Zusammensein am Hofe des Markgrafen, erzählte kurz, daß er auf dem Heimwege nach seinem Jagdhause in Sonnenburg sei und gleich ihnen hier den Verwundeten angetroffen habe, und erbot sich, ihnen zu helfen.
Die Edelfrau nickte ernst zu seinen Worten. Dann versetzte sie mit einem bedeutsamen Blicke auf den Knaben, der sie angstvoll forschend ansah: »Wolltet dann die Freundlichkeit haben, Herr Ritter, mit dem Knaben in das Dorf Wubiser zu gehen und Leute mit einer Tragbahre herzusenden, damit wir den Verwundeten betten können, und er unter ein Dach kommt, die Nacht bricht herein. Auch für die Tiere muß man sorgen.«
Der Hüteknabe schritt leise weinend neben dem Ritter her, der sein Pferd am Zügel leitete. Sofort schloß sich dem Knaben die ganze Schafherde an. Mit kläglichem Blöken blieben nur einige Schafmütter bei ihren totgetretenen und verwundeten Lämmern zurück. Der kluge Schäferhund stand einen Augenblick und sah der davongehenden Herde nach, als überlege er, wo sein Platz jetzt sein müsse. Dann aber kroch er leise winselnd zu seinem verwundeten Herrn und blieb zu seinen Füßen sitzen.
Auf das Befragen des Ritters berichtete Joseph, die Herde gehöre dem Herrn Grafen von der Schulenburg auf Löckenitz, der schon seit zwei Jahren im heiligen Lande weile. Die Schäferei liege nicht weit von hier, an einem kleinen See im Walde, und allabendlich bei Sonnenuntergang treffe er hier mit dem Vater zusammen und helfe ihm, die Herde heimzutreiben, da sie beide auf der Schäferei wohnten. Geschwister habe er nie gehabt, und die Mutter sei vor zwei Jahren gestorben.
Auf die Bitte des armen Knaben hin hätten sich die Wubiser Bauern wohl kaum bereit gefunden, mit einer Tragbahre herauszukommen und den Verwundeten heimzugeleiten, unter dem Befehle des Ritters war alles bald zur Stelle.
Die Edelfrau befahl ihrem Kutscher, langsam hinter dem Zuge dreinzufahren, obgleich der alte in ihren Diensten ergraute Mann darauf hinwies, daß das einen großen Umweg bedeute, und die Nacht hereinbrechen werde, ehe sie ihr Heim in Fryenwolde erreichen würden. Frau von Braunsbeck bedeutete dem treuen, für ihre Sicherheit besorgten Manne, daß der Schäfer nie mehr zum Leben erwachen werde, und man die Leiche den Leuten auf der Schäferei übergeben müsse, auch für den nun ganz verwaisten Knaben sorgen. Der Ritter von Bodenstein werde zu ihrem Schutze mit nach Fryenwolde reiten.
Herzzerreißend war der Jammer des armen Knaben, als der Zug auf der Schäferei angelangt war, und er an den erkalteten Gliedern des auf der Bahre Liegenden erkannte, daß sein Vater ihm für immer genommen sei.
Frau von Braunsbeck ordnete mit mildtätiger Fürsorge alles Nötige für den Toten und den verwaisten Knaben an, übergab ihn einer alten Frau für die Nacht und versprach, zum Begräbnisse wieder hierherzukommen und weiter für Joseph zu sorgen. Die Dunkelheit war inzwischen völlig hereingebrochen, und der Ritter von Bodenstein ritt mit gezogenem Schwerte neben dem Waben der Edelfrauen, die noch reichlich eine Stunde Weges bis zu ihrem Wohnorte Fryenwolde hatten.
Auf seine ehrerbietigen Fragen berichtete Frau von Braunsberg dem Ritter, daß sie vor zwei Monden den Gemahl verloren, dessen Grabstätte bei Kloster Chorin sie heute mit den Töchtern besucht habe. Da sie keinen Sohn besitze, und ihr Gutshof bei Biesenthal recht unbeschützt daliege, habe sie diesen einem getreuen Vogte zur Verwaltung übergeben und sich vom Markgrafen erbeten, gegen einen Mietspreis das leer stehende Burglehen des Kastells zu Fryenwolde zu bewohnen. Es sei ein geräumiges und freundliches Haus, liege unten am Fuße des Kastells, und der Markgraf habe ihr zugesichert, auch der neue Lehensherr werde ihr das Haus lassen, da er keine Mutter oder sonstige Anverwandten besitze, für die einstmals das feste Haus vom Schloßherrn erbaut worden sei. Der Ritter von Bodenstein freute sich, die heimlich bewunderten Edelfräulein als Nachbarinnen zu haben, und bat, ihnen als Schützer dienen zu dürfen, wo sie ihn brauchten. Die Mutter nahm das Anerbieten mit Dank an und bat den Ritter, sie später zu besuchen.
Unter solchen Gesprächen war die Reisegesellschaft bis nach Fryenwolde gelangt, wo die Edelfrauen sich dankend von dem Ritter verabschiedeten, während er sein todmüdes Roß noch nach Sonnenburg lenkte, wo er in später Nacht anlangte. Von einem Knecht erfuhr er, daß der Ritter von Jagow längst heimgekommen sei. Er fand ihn im tiefen Schlafe, ahnungslos und unbekümmert, was sein Jähzorn angerichtet, und daß diese grause Blutschuld wie ein Fluch einst sein Geschlecht verfolgen werde.
Mehrere Jahre waren dahingeschwunden, und der Herbst zog mit seiner Farbenpracht ins Land. Aus dem bunt sich färbenden Laube stattlicher Buchen und Eichen schaute stolzer denn je Burg Malchow zu Tale, jetzt seit Jahren schon der viel ausgebaute und geschmückte Wohnsitz des Ritters von Jagow und seiner liebreizenden Gemahlin Gertrudis. Von den Fenstern der Südseite herab schaute man auf das Burglehen, das Frau von Braunsbeck mit ihren Töchtern bewohnte, und zwischen ihnen und der Schloßherrschaft ward ein herzlicher Verkehr gepflogen. Oftmals weilten besonders die Frauen zusammen, aber auch Konrad von Jagow weilte gern im Kreise der edel gesinnten Frauen. Seit er mit der sanften und gütigen Gertrudis von Eberstein vermählt war, hatte er viel von seinem aufbrausenden und jähzornigen Wesen verloren. Er war ein sorgsamer und gerechter Lehnsherr, und die Untertanen freuten sich ihrer gütigen Herrschaft. Ganz besonders suchte Konrad die Schuld zu sühnen, die sein Jähzorn bei Erwerbung seines Lehens auf sich geladen hatte.
Frau von Braunsbeck hatte den verwaisten Joseph zu sich genommen. Der treue und anhängliche Knabe war ihr und ihren Töchtern so lieb geworden, daß sie ihn nicht mehr missen mochten. Er war ein anstelliger Diener der Edelfrauen, und Klarissa, an der er besonders hing, unterwies ihn sogar in der Kunst des Lesens und Schreibens, die sie selbst in der Klosterschule zu Heiligengrabe erlernt hatte. Frau von Braunsbeck dachte daran, Joseph einst zu ihrem Burgvogte zu machen, wenn er sich geschickt und treu erweisen sollte, da ihr bisheriger Verwalter in Biesental schon recht alt und gebrechlich wurde. Um ihn nun auch in allen Künsten eines Kriegers und Reitersmannes wohl zu üben, hatte der Ritter von Jagow sich erboten, ihn auf seiner Burg an allen Reit- und Fechtübungen der Knechte und jungen Schildknappen teilnehmen zu lassen, die er selbst leitete. Mit glühenden Wangen und strahlenden Augen kam der Knabe allemal von solchen Uebungen zurück und erzählte den Fräulein, die ihm lächelnd zuhörten, welch eine Lust das Kämpfen wäre, und daß der Herr der Burg Malchow ein echter Rittersmann sei. Er verehrte ihn wie einen Helden und ahnte ebensowenig wie die Edelfrauen, daß des Ritters Hand ihm einst den Vater erschlagen. Das wußte nur Robert von Bodenstein, und daher war der Ritter von Jagow auch völlig in seiner Hand.
Er tat ihm alles zu willen, da er fürchten mußte, der habgierige Freund werde sein düsteres Geheimnis einst der Gattin verraten, die der Ritter herzinnig liebte, und sie werde sich dann schaudernd von dem Gatten kehren, dessen Hand mit unschuldigem Blute befleckt war.
Merkwürdigerweise liebte Joseph den Ritter von Bodenstein gar nicht, der oft wochen- und mondelang auf Burg Malchow weilte und gleich dem Burgherrn schaltete, auch viel bei seinen Herrinnen aus- und einging. Ja, der sonst so fügsame Knabe hatte sich schon einigemal des offenen Ungehorsams gegen den Herrn von Bodenstein schuldig gemacht. Als ihn Frau von Braunsbeck darum tadelte und ihn verwundert fragte, weshalb er ein so seltsames Betragen gegen den angesehenen Ritter habe, antwortete der Knabe grollend: »Er ist falsch und wird meinen gütigen Herrinnen einst Böses zufügen!«
Die Edelfrau schüttelte den Kopf; als sie aber mit ihren Töchtern über die Aeußerung des Knaben sprach, richtete sich die schöne Klarissa höher aus und sprach: »Joseph hat recht; auch ich versehe mich keines Guten von dem Ritter!«
Und doch war sie es, um die er so häufig auf Burg Malchow weilte. Mit heißer Leidenschaft folgten ihr stets seine Augen, und vor Monden schon hatte er sie in stiller Zwiesprache gebeten, sein ehelich Gemahl zu werden. Sie hatte erschrocken abgewehrt und geantwortet, sie gedenke noch nicht die Mutter zu verlassen, und er hatte, obwohl mit innerem Grimme, sich auf die Zeit vertröstet. Er wußte nicht, daß Klarissa sowohl wie Elise sich schon im Trauerjahre den jungen Grafen von Schilfau und Lindenberg verlobt hatten, die häufig im Gefolge des Markgrafen als Jagdgäste bei dem Ritter von Jagow weilten. Auf das ungestüme Werben der jungen Grafen hin hatte die Edelfrau auf die große Jugend der Fräulein verwiesen, und daß man noch in Trauer um den geliebten Gatten und Vater sei, auch müßten die beiden Freunde, die nicht viel mehr als ihr tapferes Schwert besaßen, sich erst ein Heim erwerben, dahin sie ihre jungen Gattinnen führen könnten. Aus diesen Gründen war ein öffentliches Verlöbnis bisher unterblieben, und nur die Hausgenossen der Edelfräulein und eine liebe Freundin derselben wußten darum.
An einem Fenster der Südseite von Burg Malchow stand an einem Herbstabende Robert von Bodenstein und blickte ins Tal hinab, darin Fryenwolde a. O. lag, das unter dem Regimente Konrad von Jagows immer weiter ausgebaut wurde und Stadtrechte erhalten sollte. Die untergehende Sonne spiegelte sich in den Fenstern des Städtchens, besonders aber ruhten die Augen des Ritters auf dem stattlichen Bau, der fast zu Füßen des Schlosses lag, auf dem Burglehen, das Frau von Braunsbeck bewohnte.
Er war allein im Gemache, Gertrudis von Jagow weilte bei ihrem Sohne, und der Ritter war nach der Mittagstafel schon mit einigen Knechten fortgeritten. Seine Heimkehr wurde sehr spät, wenn gar erst am folgenden Tag erwartet. So hörte niemand das halblaute Selbstgespräch Bodensteins. Während seine Augen auf ihrem Heim weilten, dachte er grollend Klarissas, in deren Gunst er trotz seines langen Werbens keinen Fortschritt machte, und die ihm seit einiger Zeit auch verändert vorkam. Sie wich ihm aus, wo sie konnte, und war nicht mehr freundlich gegen ihn. Das war seit der Zeit, als sie unvermutet dazugekommen, wie er Joseph einen scharfen Hieb mit der Reitpeitsche gab, der seiner Meinung nach ihm die Steigbügel nicht richtig geschnallt hatte.
»Mein sollst du dennoch werden, du stolze Maid!« stieß er laut heraus. »Wenn ich nur wüßte, ob sie eines andern gedenkt, da sie so gleichgültig an mir vorüberblickt, und doch ist sie oft in langes Sinnen versunken.« – Er schwieg nachdenkend wieder eine Weile, bis eine Rauchwolke, die aus der Richtung des Waldweges ins Tal aufstieg, seine Aufmerksamkeit erregte.
»Wer zündet denn jetzt noch ein Feuer auf schloßherrlichem Boden an?« fragte er verwundert, ergriff Schwert und Barett und stieg den Burgberg hinab. Er bemerkte nicht, daß gleich nach ihm Joseph den Schloßhof verließ, der den Tag auf der Burg verlebt hatte und zum Abend wieder in sein Heim zu seinen Gebieterinnen zurückkehren mußte. Der Knabe schritt ruhig dahin, wurde aber aufmerksam, als er den Ritter, dem er nie gern begegnete, vorsichtig durch das Gebüsch tiefer in den Wald schleichen sah. Er ging ihm ebenfalls nach.
Bald schimmerte ihnen das Licht eines Feuers entgegen, um das sich eine Reihe fremdartiger Gestalten bewegte. Die einen hatten sich im Kreise gelagert; der Becher ging unter ihnen herum, und fremdartige Musik ertönte. Andere aber waren dabei, das Mahl zu bereiten, und eine alte Frau mit grellbuntem Kopftuche rührte in einem großen Kessel, der über dem Feuer hing.
Gebannt blickte der Knabe auf die Zigeunerschar, die er zum ersten Male sah, da sie nur selten in die nordischen Wälder kam. Als der Ritter von Bodenstein in ihren Kreis trat, erhoben sich alle ehrerbietig. Er fuhr sie herrisch an, was sie hier auf fremdem Grund und Boden schafften, bis zu dem lauschenden Knaben drangen seine Scheltworte.
Bittend nahte sich ihm die Zigeunermutter, aber der Ritter schien nicht darauf einzugehen, was sie erbat, sondern drohte, sein Freund, der Burgherr, werde sie alle ins Burgverließ werfen, falls sie morgen noch hier im Walde angetroffen würden. Indem er sich zurückwandte, schien ihm aber ein Gedanke zu kommen. Er winkte die betroffen dastehende alte Zigeunerin zu sich und trat mit ihr abseits an ein Gebüsch, hinter dem Joseph stand.
»Wollt Ihr Leben und Freiheit behalten, so leiste mir einen Dienst, Weib, darauf dein Volk sich sonst gut versteht. Dies Goldstück sei obenein dein Lohn!«
»Womit können wir dem gnädigen Herren dienen?« fragte unterwürfig die Alte.
Erschrocken horchte der Knabe auf, als er den Ritter sagen hörte, die Alte solle sich morgen in das Burglehen schleichen und Fräulein von Braunsbeck auszuforschen suchen. Was für Kunde sie ihm bringen sollte, verstand der Knabe nicht; nur daß der Ritter morgen, bei Sonnenuntergang im Brunnentale auf Bescheid warte, hörte der Knabe noch, dann eilte er rasch von dannen, indes der Ritter in entgegengesetzter Richtung zur Burg hinaufstieg.
Daß Herr von Bodenstein etwas gegen seine freundlichen Herrinnen und besonders gegen Fräulein Klarissa im Schilde führte, hatte der Knabe schon lange gemerkt. Oftmals sah er ihn im Garten ihr nachschleichen, und seit er einmal dies dem älteren Fräulein mitgeteilt hatte, war er von ihr beauftragt worden, es jedesmal schnellstens zu melden, wenn der Ritter ihr nachgehe. Nun sah der Knabe ernstlich seine beiden Fräulein bedroht, und sein treues Herz bangte sehr, welchen Gefahren sie wohl entgegengingen. Glühendheiß vom raschen Laufe und der Angst kam er im Burglehen an, wo er zu seiner Betrübnis von einer alten Dienerin erfuhr, daß die Fräulein mit ihrer Mutter einen Besuch machten, und erst am folgenden Tage gegen Mittag heimkehren würden. Dann mußte er oben auf der Burg beim Fechten sein, das in des Ritters Abwesenheit Robert von Bodenstein zu befehligen pflegte. Da durfte er nicht fehlen, oder der Ritter forschte ihn aus.
Das Herz wurde ihm recht schwer. Der Magd, die nicht den Dienst bei den Fräulein hatte und recht schwatzhaft war, durfte er nichts sagen, er nahm sich aber vor, sich morgen abend an die ihm wohlbekannte Stelle im Brunnentale zu begeben, um zu hören, was die Alte dem Ritter berichten werde.
Die Dämmerung des frühen Herbstabends brach schon herein, als der Knabe, lautlos von Baum zu Baum schleichend, sich dem Brunnentale näherte. Steil fielen hier von beiden Seiten die Berge ab, und unten im Grunde sprudelte mit metallischem Klingen ein Brunnen aus der Erde, der ein eisenhaltiges Wasser gab. Mehrere hundert Jahre später entdeckte man die Heilkraft dieser Quelle.
Unter den tief herabhängenden Zweigen einer mächtigen Tanne duckte sich Joseph endlich. Ganz in der Nähe am Brunnenquell sah er die Zigeunerin sitzen. Bald trat auch der Ritter von Bodenstein hinter den Bäumen hervor und auf die wartende Alte zu.
»Hast du deinen Auftrag vollführt und die Fräulein gesprochen?« fragte er sie.
»Ja, Herr Ritter, die Gelegenheit war günstig. Zwar wollten die Fräulein von Braunsbeck mich nach meiner Bitte mit einer Geldgabe wegschicken und sich nicht wahrsagen lassen, wie ich begehrte. Aber sie hatten sich von ihrer Besuchsfahrt ein heiteres junges Fräulein mitgebracht. Diese Freundin wollte den Scherz einmal kennen lernen, wie sie zu den Fräulein sagte, und streckte mir zuerst die Hand hin. Ich konnte ihr eine fröhliche Zukunft verkünden, und auf das Zureden des Fräuleins gaben mir auch die beiden anderen Damen ihre Hand. Sie lachten und scherzten viel über meine Worte, und der Besuch nannte dabei die Namen von zwei Rittern: Graf Lindenberg ist der erwählte Verlobte von Fräulein Elise!«
»Das zu erforschen, sandte ich dich nicht hin!« sagte der Ritter ungeduldig. »Ob Fräulein Klarissa eine Wahl getroffen hat, begehrte ich zu wissen!«
»Ich hatte mir den Namen auch ihres Ritters fest eingeprägt,« sagte die Alte, wie zögernd und mit lauerndem Blicke den Ritter betrachtend. »Nun fürchte ich, ist er doch meinem Gedächtnisse entschwunden.«
»Besinne dich, und dieses Goldstück ist dein Lohn,« sagte Bodenstein voll Begier.
Einen Augenblick stand die Zigeunerin noch nachsinnend, dann ergriff sie schnell das Goldstück und sagte: »Graf Schilfau ist es, den sie liebt!«
»Verdammt sei er!« entfuhr es zornig den Lippen des Ritters.
Hastig und mit düster gefalteten Brauen schritt er auf und ab.
»Bleibe!« herrschte er das Weib an, das sich davonschleichen wollte. Dann stand er plötzlich still und sprach: »Vernimm, was ich dir und deiner Sippe jetzt befehle. Zum Sonntag sind die Fräulein mit ihrer Mutter zum Namenstage der Schloßherrin auf die Burg geladen. Wir werden einen dunklen Herbstabend haben, und nur ein alter Knecht wird die Damen geleiten, da der Weg sonst sicher ist. Stelle einige starke Männer deines Volkes auf die Wache im zweiten Tale an der Fahrstraße. Sobald der Wagen sich naht, sollen sie hervorspringen und das blonde Fräulein herausreißen, sie über die Höhen tragen bis nach dem Wege, der nach Köthen führt. Dort werde ich mit einem Wagen euch erwarten, und reicher Lohn soll euer sein, wenn ihr nach meinen Worten tut. Aber Schweigen gegen jedermann! Und damit nichts verraten werde, ziehet mit eure Truppe von dannen, tiefer in die Waldungen hinein.«
Die Alte gelobte für sich und ihre ganze Sippschaft Gehorsam, und der Ritter verließ sie.
Joseph saß unter seiner Tanne noch eine Weile wie betäubt. Was konnte er tun zur Rettung seines Fräuleins? Sein Arm war noch zu schwach, wenn auch sein Mut es am liebsten selbst mit dem räuberischen Ritter aufgenommen hätte. Plötzlich sprang er auf. Er hatte es gefunden, was Rettung bringen konnte. An die beiden jungen Ritter dachte er, die Verlobten seiner Fräulein, die auch gegen ihn, den armen Waisenknaben, stets freundlich sich erwiesen hatten. Aber sie waren fern am Hofe des Markgrafen zu Alt-Cöllen an der Spree. Wie konnten sie erfahren, was der Ritter von Bodenstein Schlimmes plante? – Er selbst mußte ihnen die Botschaft bringen, das stand fest.
Während der Knabe so voll treuen Herzens auf Rettung sann für die, die sich seiner Verlassenheit einst treulich angenommen, eilte er bereits raschen Fußes quer durch den dunkelnden Wald, wo er ja jeden Baum und jeden Strauch kannte, Fryenwolde wieder zu. Im Burglehen angekommen, suchte er seine Kammer wieder auf, packte einige Nahrungsmittel in einen Ranzen, zog ein wärmeres Wams zum Schutze vor der kalten Herbstnacht über und verließ, mit einem kräftigen Knotenstocke bewaffnet, ungesehen das Haus, um bald darauf die Landstraße nach Berlin und Alt-Cöllen, die sich an der Spree gegenüber lagen, und wo der Markgraf Hof hielt, einzuschlagen.
Es war ein gefährliches Unternehmen für einen so jungen, noch nicht fünfzehnjährigen Burschen, nächtlicherweile sich auf den Weg zu machen. Raubgesindel aller Art strich trotz des scharfen markgräflichen Regiments auf den Landstraßen umher; nach einem hier in den Wäldern und Bergen Erschlagenen, den man vielleicht erst nach Wochen und Monden fand, pflegte kein Hahn zu krähen, und die Residenz war weit. Aber dem Knaben blieb keine Wahl, drei Tage waren es noch bis zum Sonntag, dann mußten die Ritter zur Stelle sein, oder sein Fräulein war für immer in der Gewalt des Schurken. Bei dem Gedanken beflügelte die Angst stets aufs neue den ermatteten Knaben. Mochten Uhu und Nachtvögel im Forste schreien, allerlei knackende Geräusche ihn jeden Augenblick befürchten lassen, daß die Hand eines Wegelagerers sich nach ihm ausstrecke, ein Stoßgebetlein im Herzen schritt er unaufhaltsam dahin, ja, weite Strecken lief er, so schnell ihn seine Füße tragen wollten, bis endlich beim Anbruche des Tages ein Dorf vor ihm lag.
Eine freundlich aussehende Frau, die bereits vor einem Häuschen hantierte, bat er um einen warmen Morgentrunk, und nachdem er eine kurze Zeit im warmen Heu geschlafen hatte, schritt er, der Bäuerin einen Silberpfennig darreichend, den ihm einst der Ritter von Jagow für tüchtiges Fechten geschenkt, weiter seinem Ziele zu.
Noch eine Nacht hatte er zu wandern, bis er endlich totmüde an die Wohnung des Grafen Edgar von Schilfau klopfte. Mit lebhaftem Erschrecken nahm dieser, der mit seinem Freunde Otto von Lindenberg zusammenwohnte, den ihm wohlbekannten Knaben auf und erquickte ihn mit Speise und Trank. Voll heftigen Zornes griff er aber zu seinem Schwerte, als er das Vorhaben des Bodensteiners erfuhr, und er wäre am liebsten sofort nach Fryenwolde geeilt, um von vornherein dessen schändlichen Plan zu vereiteln, hätte sein ruhiger Freund ihm nicht vorgestellt, wieviel besser es sei, den Ritter bei der Tat ertappen und ihn für immer unschädlich machen zu können. Man überlegte wohl diesen Plan, sandte einen Boten an den Markgrafen, durch den die beiden Ritter sich beurlauben ließen, und nachdem Joseph sich etwas gestärkt hatte, ward ihm ein Pferd gegeben, damit er die beiden Freunde führe. Am Sonntag gegen Abend langten sie mit ihren Schildknappen am Köthener Wege an, verbargen die Rosse im Dickicht und legten sich selbst, mit ihrem guten Schwerte bewaffnet, in den Hinterhalt.
In Fryenwolde war alles zugegangen, wie Robert von Bodenstein es vorausgesagt.
Bei der stets sicheren Heimfahrt, die von der Burg bis zum Lehen nur eine halbe Stunde betrug, hatten die Edelfrauen nie Bedeckung mitgenommen. Der Knecht hatte an dem dunklen Abende besonders die Pferde zu führen. Völlig ohne Argwohn, war daher das Entsetzen der Frauen um so größer, als die vermummten Gestalten sie überfielen. Der Knecht, sowie der alte Kutscher waren sofort gefesselt, und vor Schrecken scheu geworden, rannten die Pferde mit der jammernden Edelfrau und Elise der Stadt zu, indessen die sich heftig sträubende Klarissa von den Zigeunern durch den Wald getragen wurde. Ihre Kraft erlahmte aber bald, und eine Ohnmacht nahm ihre Sinne gefangen.
Mit Einbruch der Dunkelheit sahen die am Köthener Wege liegenden Ritter einen geschlossenen Reisewagen daherkommen, der an der Waldecke hielt. Mit Verwunderung bemerkten sie, daß die Pferde statt nach Sonnenburg, dem Wohnsitze des Bodensteiners, dem Wege nach Kloster Chorin zugekehrt wurden. Sie ahnten nicht, daß der Ritter von Bodenstein dem Abte von Chorin gewaltsam das Versprechen abgezwungen hatte, ihm noch in der Nacht Klarissa von Braunsbeck anzutrauen. Sollte am andern Tage Frau von Braunsbeck Hülfe suchen für die geraubte Tochter, so war Konrad von Jagow sowohl wie selbst der Markgraf Ludwig machtlos gegen ihn, sobald Klarissa sein ehelich Gemahl war. Der Schändliche hatte alles klug eingefädelt.
Unter den Bäumen an der Waldecke sah ihn Edgar von Schilfau, von Joseph aufmerksam gemacht, warten, und er mußte mit Gewalt an sich halten, jetzt nicht schon dem Räuber entgegenzutreten. Plötzlich brachen dunkle Gestalten durch den Wald. Sie trugen eine leichte Last, und der Ritter von Bodenstein trat ihnen entgegen, nahm ihnen die Frauengestalt ab und trug sie in den Wagen. Länger hielt Graf Schilfau sich nicht.
»Meineidiger Jungfrauenräuber!« schrie er. »Zieh dein Schwert, oder du stirbst wehrlos wie ein toller Hund!« Aufs äußerste überrascht, faßte Bodenstein sich aber schnell, und da er den jungen Ritter an Körperstärke weit überragte, begann ein ungleiches Treffen.
Otto von Lindenberg hatte den Kutscher gefesselt und hielt die Pferde, damit sie nicht scheu wurden und davon rasten, während die beiden Schildknappen die Zigeuner zu bewältigen trachteten.
Hoch sauste Edgars Schwert durch die Luft, aber des Bodensteiners starker Arm fing den Schlag auf, und jetzt zückte er das Schwert, Edgars Brust zu durchbohren. In diesem gefährlichen Augenblicke stürzte Joseph hinzu. Mit dem Schafte einer Lanze brachte er Bodenstein zu Falle, und im Nu fuhr ihm Graf Schilfaus Schwert in die Brust. Röchelnd verhauchte der räuberische Ritter sein Leben. Die Zigeuner, die nur wenig bewaffnet waren, hatten sich zur Flucht gewandt, und Graf Schilfau eilte nun zum Wagen und bemühte sich, Klarissa ins Leben zurückzurufen.
Während Otto von Lindenberg den Leichnam Roberts von Bodenstein ins Gebüsch trug, war Joseph zu einer Quelle geeilt, und das frische Wasser brachte seine geliebte junge Herrin bald wieder zu sich. Als sie die vertrauten Gesichter um sich sah, wich ihre Angst bald hellen Freudentränen, und an Graf Schilfaus Schulter geschmiegt, Josephs Hand in der ihren, fuhren sie Fryenwolde zu. Die vor Sorge und Schmerz verzehrten Frauen weinten laut auf vor Freude, als sie die Gerettete wieder in die Arme schließen konnten, und die Mutter wehrte den jungen Rittern nicht mehr, als sie baten, bald mit den Töchtern ehelich verbunden zu werden, da sie nur dann sie wirksam schützen könnten. Nach kurzer Zeit wurden Klarissa und Elise mit den Freunden vermählt.
Konrad von Jagow, zu dem man den Leichnam Roberts gebracht hatte, war über den schändlichen Frauenraub auf das tiefste empört, besonders da das Verbrechen nahe seiner Burg, auf seinem Grund und Boden stattgefunden hatte. Das sollte aber auch ihm zum Verhängnisse werden.
Markgraf Ludwig brauste auf über den Friedensbruch auf seinem Lehen, und ohne Konrad von Jagow gehört zu haben, sprach er ihn des Mitwissens an den Plänen seines Freundes schuldig. Konrad von Jagow ward in die Acht getan und aller seiner Güter verlustig erklärt. Mit Weib und Kind mußte er in die Verbannung ziehen. Tiefgebeugt durch das ungerechte Urteil seines Fürsten nahm der Ritter es als Strafe Gottes für seine Blutschuld.
Als seine jungen Herrinnen ihren Gatten folgten, blieb Joseph bei Frau von Braunsbeck zurück, die den zu einem braven Jünglinge heranwachsenden Knaben liebte wie einen Sohn, und der sich alle Tage aufs neue bemühte, ihr zu vergelten Treue mit Treue.