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2. Teil

Ein verhängnisvolles Erbe,

Das Geschlecht Derer von Uchtenhagen im 16. Jahrhundert.

 

Es war im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts, und Kurfürst Johann Georg der Hohenzoller, Joachims II. weiser und gelehrter Sohn, führte in der Mark Brandenburg das Zepter. Die Reformation war durch die Lande gebraust und hatte das gereinigte Gotteswort und die Lehre von der Sündenvergebung allein durch den Glauben wieder zum Licht und Salz der Kirche in vielen deutschen Gauen gemacht. Freilich, an viel Formenwesen von der katholischen Zeit her gewöhnt, und in um so strengerem Festhalten am Buchstaben der heiligen Schrift beharrend, wie die Reformatoren sie dem deutschen Volke hinterlassen hatten, drohte das freie Geistes- und Glaubensleben auch vielfach wieder zu erlöschen, das Luther durch seine Lebensarbeit im Herzen des deutschen Volkes entzündet hatte. Es war viel Streiten um Kirchenlehre und Sitte an der Tagesordnung und das nicht nur auf den Lehrstühlen der Magister, sondern auch auf den Burgen der Ritter, in den Rats- und Zünftestuben der Städte und daneben ging ein Gähren der politischen Ereignisse und ein Drängen nach Freiheiten aller Art. Gar vieles war von den Lehren der Reformatoren falsch verstanden oder nach eigenen Gelüsten und Vorteilen ausgelegt worden. Die christliche Zucht und Sitte, die den Gottesmännern auch für die Jugend schon so am Herzen gelegen hatte, schritt nur langsam vorwärts; mit der Betonung der Buchstabengläubigkeit an das Bekenntnis der nun reformierten Kirche suchte noch gar mancher über die Forderung seines Gewissens zu einem ehrbaren christlichen Leben hinwegzukommen. Raufhändel und Ueppigkeit bei Festen und Gelagen, Kleiderprunk bei Männern und Frauen waren daneben an der Tagesordnung und gar mancher war durch seine auf Schulen und Universitäten gewonnene Geistesbildung so von Gelehrtendünkel durchdrungen, daß er das Recht für sich in Anspruch nahm, ohne Anerkennung einer göttlichen Autorität zu glauben, was ihm nach seinen Studien für gut dünkte und sich durch seine humanistischen Ideen und Bestrebungen für einen untadelhaften Menschen und Christen zu halten. Langsam nur beugten sich die Gemüter der Zucht des göttlichen Gebotes und der Liebesmacht, die vom Kreuze auf Golgatha Erlösung und Frieden für der Menschen unruhiges Leben predigt.

Ein Winterabend des Jahres 1575 brach über das märkische Städtlein Fryenwolde nahe dem Oderflusse herein. Hinter den trüben kleinen Scheiben der Bürgerhäuser glomm rötliches Licht. Dort saßen die Inwohner beim Scheine von Unschlittkerzen und Zinnlampen, allerlei winterliche Arbeit betreibend. Trotz des draußen niederrieselnden kalten Regens, der die ungepflasterten Straßen in einen Sumpf verwandelte, schlüpfte mancher ehrsame Bürger und Angehöriger einer Handwerksgilde heute Abend nach dem Zünftehause, dessen untere Fensterreihe hell auf die dunkle Straße leuchtete. Die Räume wurden reichlich durch schön getriebene Deckenlampen und Wandleuchter erhellt, an denen es in jener bereits recht kunstfertigen Zeit den Gewerkshäusern der Zünfte und sonstigen öffentlichen Gebäuden selten fehlte.

Mancher, der diesem stattlichen Hause unfern der Kirche von St. Niklas zustrebte, blieb einige Minuten vorher auf dem freien Kirchplatze stehen, um einen Blick auf das gewaltige burgartige Haus zu werfen, das rechts von der St. Niklas-Kirche anfragte. Eine Reihe hoher Bogenfenster, aus grünlichen Butzenscheiben gebildet und oben in farbigem Glasschmuck ein Wappen tragend, war, wie das Zünftehaus, ebenfalls hellerleuchtet. Das schien kein tägliches Vorkommnis zu sein, da es so die Aufmerksamkeit der ehrsamen Meister von den Brauer,- Schäffler- Schmiede- und Hechtreißergilden erregte, die zu den angesehensten und stattlichsten im Städtlein gehörten.

Es kam auch nicht alltäglich vor, daß der Lehens Herr und Gebieter des Ortes, Herr Werner von Uchtenhagen, von seinem ererbten Wohnsitz, Burg Malchow auf dem sogenannten Schloßberge, herunterkam, um hier mit Familie und Ingesind im Stadtschlosse zu weilen. Die Bürger kannten die inneren Räume wohl und sie stellten fest, daß nicht nur der Remter, die mächtige Eingangshalle, sondern auch der große Speisesaal und die Frauenkemnaten, die nach dem Kirchgärtlein hinauslagen, erleuchtet waren. Also hatte der Burgherr Besuch und zwar fröhlichen Besuch, bei dem auch die Edelfrauen zugegen waren. Und das belebte bei manchem die Hoffnung, daß es einmal wieder nach langer Zeit werde etwas von Festen zu schauen geben.

Ein kleines, dürres Männlein besonders, das sich vergeblich bemühte, mit seinem hühnenhaften Begleiter Schritt zu halten, und die Regenwasserpfützen in der Straße zum Zunfthause zu vermeiden, schwatzte lebhaft über diese Tatsache. Es sprang dabei, besorgt um seine Kleidung, von einem der großen, flachen Wegsteine zum andern, die das Durchkommen im Morast wohl erleichtern sollten. Da sein kurzes Mäntlein bei seinen lebhaften Sprüngen immer eifrig mitwippte, so gab ihm das den komischen Anblick eines hopsenden Spatzen, der sich die Füße nicht will nässen lassen. Als beide Männer glücklich den hellen Lichtkreis vor der Tür des Zunfthauses erreicht hatten, blickte er noch einmal ängstlich prüfend auf die stramm anliegenden Beinlinge von zimmetbraunem Tuch, die bis zur Hälfte der Oberschenkel reichten, und als er bemerkte, daß auch die roten Pluderpuffen auf den Hüften von allzu schlimmen Schmutzflecken frei geblieben waren, atmete er befriedigt auf und sagte:

»Welchen Gast doch unser gnädiger Herre heute haben mag!? Hab' gar niemanden einziehen sehen unter Tage. Wenn es wieder so eine Reihe schwarzer Magister wäre, wie der Herr in den letzten Jahren just alle Nas' lang kommen ließ, so hätt' ich sie von meinem Tisch aus wohl wahrgenommen. Sie verfinstern halt völlig die Straße mit ihrem Kommen, und wenn sie da sind, ist's nit zum denken, daß einmal ein Geschlechtertanz im Schlosse oder ein Reigen unter der ehrsamen Bürgerschaft dürft' sein. Völlig immer soll man in der Kirchen oder hinter den schweinsledernen Bänden hocken, als sollt' die ganze Stadt hochgelahret werden, und kein Mensch braucht neues Gewand und Kleiderzierrat. Wo soll's da hinaus mit unserer Zunft? Seit der Weinlese war kein Fest im Ort und jetzt haben wir den Januarius. Ob's nun anders wird? – Was das wohl heut für Gäste sind?«

»Wart's doch ab, Balzer,« erwiderte sein Begleiter mit dröhnender Stimme, indem er die Tür der Trinkstube in dem Zunfthause öffnete. »Da drinnen sitzen eine ganze Reihe solcher Weiberseelen wie du. Die platzen völlig vor Neugier. Schau, wie sie die Nasen aufeinander stecken! Da hörst halt das Allerneueste brühwarm. Tummle dich und geh zu ihnen, daß dir's nit kalt wird!«

Er lachte dröhnend zu seinem gutmütigen Spott, warf seinen regennassen Mantel über einen Haken an der Wand, seine Lederkappe dazu und schritt dann in eine gemütliche Ecke hinüber, wo an der braungetäfelten Wand zwei ihm an Größe und Umfang ähnliche Männer saßen und den grauen tönernen Humpen eifrig zusprachen, die auf dem mächtigen Eichentisch vor ihnen standen.

Mit kräftigem Handschlag begrüßte der Angekommene die beiden Bürger, deren Kleidung man, ebenso wie ihren muskulösen Händen ansah, daß sie der Schmiedegilde angehörten. Bald brachte der Wirt auch dem neuen Gast einen tönernen Krug einheimischen Bernower Bieres. Als der Gast einen kräftigen Schluck getan hatte und den mächtigen blonden Bart streichend mit den Freunden ein Gespräch beginnen wollte, wurden sie alle drei durch das laute lebhafte Sprechen an dem Tisch in der Mitte, wo Balzer Platz genommen hatte, aufmerksam. Die krähende Stimme des kleinen Männleins tönte ganz besonders hell heraus, aber auch die anderen Tischgäste, meist hagere, aber sehr geschniegelt gekleidete Gesellen, ließen es an lebhaftem Geschrei nicht fehlen. Sie schienen sich in ziemlicher Erregung zu befinden.

»Was doch die Schneider allweil zu lärmen haben!« sagte einer der stattlichen Schmiede und lehnte sich horchend auf seiner Bank zurück, indem er die braunen Hände über dem Gurt faltete und die Daumen umeinander drehte. »Ist just wieder ein Gemecker, als hält' ihr Innungsbock zu viel vom Bernower Bier geschluckt!«

Ein dröhnendes Gelächter schlug in der Ecke auf. Verstanden die Zuhörer doch gar wohl die Anspielung und das derbe Hänseln der Schneider mit dem Ziegenbock, der ihr Wappen und Schild sein sollte. Zudem hatten übermütige Fleischhauergesellen am letzten Maifest einen Ziegenbock mit Bernower Bier trunken gemacht und vor dem Zelt der Schneider losgelassen, wo das aufgeregte Tier die tollsten Tänze ausgeführt und mit seinem Meckern und trunkenem Gebahren alle Zuschauer zu Lachkrämpfen gebracht hatte, nur nicht die wütenden Schneider.

Diese schauten sich einen Augenblick auf das laute Gelächter um, fuhren dann aber in ihrem lebhaften Gebahren fort.

»Und ich sag's eben noch mal!« schrie ein langer magerer Rotbart, indem er mit der Faust auf den Tisch schlug, »mit dem Bettelsack können wir alle umeinand gehen, wenn wir den hohen Zoll für ausländisch Tuch bezahlen sollen, den der Herr Kurfürst drauf gelegt hat. Wollen doch die Junker alle flandrisch Tuch haben zum Gewand und haben nit genug am einheimischen aus Stendal. Hat's doch der selige Herr Kurfürst verlaubt und hatt' seine Freud am bunten Gewand auf den höfischen Festen! Aber unser Herr Johann Georg läßt der Schneider- und Goldschmiedsgilde und auch den Rauchwarenkrämern nit viel Guts zu teil werden. Ist so viel Reichtum im märkischen Land, ist's Geld denn dazu geschaffen, es just in die Truhen zu legen? Rund sind die Joachimstaler und rollen sollen sie, daß ein ehrsamer Bürger auch einen Notpfennig fürs Alter hat!«

»Hättst halt alle die runden Joachimstaler sollen in die Alterstruhen legen, die auf der Hochzeit deiner Margret umeinander gerollt sind, wenn du sie so gern im Säckel behältst, Bergner,« rief dröhnend einer der Schmiede hinüber. »Sollt Seine kurfürstliche Gnaden nur wissen, daß auf einer Schneiderhochzeit 200 Menschen gespeist und eine Woche lang gezecht haben. Ha, was für ein Beutlein voller Joachimstaler du dann wohl als Strafschilling zahlen solltest! Schätze, deine Jüngste, die Katrin ging dann sittsamer und fein bescheiden in die Ehe. Halt just ein lützel an dich, wenns der gnädig Herr weiß, kann dirs doch noch an deinen Plunderkragen gehen!«

Einen giftigen Blick schoß der hagere Schneider zu den Schmieden hinüber, die mit ihrem Lederkoller und der schlichten Tracht von bräunlichem Stendaler Tuch sich freilich wohltuend abhoben von seinem mit Zatteln und Pluderpuffen aller Art ausgestatteten modischen Gewand. Aber er erwiderte nichts, der angesehenen Schmiedsgilde und den derben Fäusten trat keiner gern zu nahe. Ueberdies wars ja wahr, was der Schmied sagte. Er horchte, seinen Aerger hinunterwürgend, lieber aufmerksam zu, was jetzt ein anderer ehrsamer Meister seiner Gilde berichtete.

»Habt nur ein lützel Geduld, Zunftgenossen,« sagte er augenzwinkernd und strich seinen spitzen Kinnbart. »Es gibt Feste in Fryenwolde und es wird viel buntes Gewand gebraucht. Richtet Euch auf guten Vorrat ein und denkt, der Brückner Melcher hats gesagt!«

»Was weißt denn, Melcher?« drangen die andern neugierig in ihn und Balzer krähte: »Hast etwan heut gesehen, welche Ritter zum Herrn als Gäste kommen sind? Sagt's, Melcher, sind's wieder Magister oder Ritter, die Turniere und Reigenschwingen lieben?« – Der Brückner Melcher wiegte geheimnisvoll schmunzelnd sein Haupt: »Darfs nit sagen, ist mir vom Herrn Werner selbst das Siegel auf den Mund gelegt. Wart halt bis Sonntag. Leicht wirds da offenbar!«

»Beim Herrn Werner selbst bist heut gewesen?« fragte Balzer neugierig. »Hast ihm wohl gar ein neu Gewand angemessen?« Der Neid auf diese Bevorzugung seines Zunftgenossen klang deutlich durch seine Neugierde hindurch.

»Wenns dir denn gar keine Ruh läßt, Balzer, wohl, für ein neu Gewand hat der Herr mich rufen lassen. Er mag halt die Leut lieber, die den Mund halten können und nit so viel schwatzen wie sein ehmaliger Schneider.«

Balzer kriegte einen roten Kopf und wollte giftig antworten, aber die Aufmerksamkeit der Schneider lenkte sich in diesem Augenblick auf den Wirt, der an den Tisch der Schmiede herangetreten war und diesen etwas zuraunte. Die Ueberraschung, die sich darauf in den Gesichtern der drei Männer zeigte, machte noch andere Gäste der Trinkstube aufmerksam.

»Was gibts, Wirt, ist Neues passiert?« rief's von allen Seiten.

»Sags nit, Wirt, laß sie zappeln bis Sonntag« rief einer der Schmiede lustig.

Aber den behäbigen Wirt prickelte seine Neuigkeit selbst viel zu sehr und er sagte lachend:

»Trinkt alle just Euren Schoppen aus, daß ich frisch einschänk, habts nötig bei der Neuigkeit, dann will ichs sagen.«

Allgemeines Gelächter und Verwundern rund herum, aber sie taten nach des schlauen Wirtes Wunsch. Er kam mit der mächtigen Bierkanne, füllte alle Schoppen noch einmal und blieb dann inmitten der Trinkstube stehen. »Unser gnädiger Herre gibt das Fräulein dem Ritter von Krummensee zum Eheweib und Sonntag wird in St. Niklas der Verspruch sein!«

Die Wirkung dieser Nachricht war sehr verschieden. Die Schneider fuhren auf den Brückner Melcher zu, ob das seine Neuigkeit sei? Der wandte sich an den Wirt und fragte, wie er zu der Neuigkeit komme, es sei ja wahr, aber der Herr hätt verboten, bis Sonntag davon zu reden.

»Ha ha,« lachte der Wirt dröhnend auf. »Da müßt der Herr den dienenden Weibsleuten erst den Mund verbinden. Die alte Schaffnerin hatts vor einer Stunde erst meinem Eheweib mitgeteilt.«

»Wird aber wohl gesagt haben, sie sollt noch schweigen drüber,« schrie Melcher ärgerlich zurück.

»Du bist gerade wie die Weibsleut, wenn du nur in der Trinkstub was schwatzen kannst und dein Bier los wirst!«

Der Wirt strich lachend mit der Hand durch die Luft, als sei ihm dieser Vorwurf sehr gleichgültig, klappte vergnügt mit seinem Krugdeckel und wandte sich einem anderen Tisch zu, wo schon lebhaft die Meinungen aufeinander platzten.

»Der Krummenseeer? Das glaub ich nit eher, als bis der Herr Probst den und das Fräulein läßt von der Kanzel fallen.« Kirchliches Verlöbnis oder Aufgebot. Angesehene Bürger und die Familien edler Geschlechter ließen auch für ein Verlöbnis kirchliche Fürbitte tun und der Volksausdruck dafür war lange Zeit »ein Brautpaar von der Kanzel fallen lassen.«

»Warum denn nit?« fragte ein anderer erstaunt dagegen.

»Ich kanns auch nit glauben,« sagte ein Dritter, »wie wird unser hochgelahrter Herr so einem wilden Ritter die einzige Schwester zum Eheweib geben. Und das Fräulein ist noch so jung; sie wird doch auf ihn hören, wenn der älteste Herr Bruder nit freudig zustimmt, und unser Herr und der Ritter von Krummensee werden nimmer gute Schwäher.«

Lebhaft gingen so die Ausrufe hin und her, bis ein fremder Gast, der aus Bernow gekommen und am Tische der Schäffler Böttchermeister. saß, einen alten Meister fragte: »Wer ist das Fräulein von dem sie reden, und warum paßt ihr erwählter Ritter nit zu Eurem gnädigen Herrn?«

Der Alte tat einen Zug aus seinem Kruge, strich sich den grauen Bart und antwortete bedächtig: »Sehet, Herr,« sagte er, »unser Ritter ist halt der Aelteste seines Geschlechts. Er hat noch 7 Brüder gehabt, 6 von ihnen sind in jungen Jahren gestorben und liegen unter den Steinplatten droben in der Burgkapellen. Nur einer, der Herr Hans von Uchtenhagen, ist noch am Leben und haust auf einer entfernten Burg. Das jüngste der Kinder unseres verstorbenen Herrn Albrecht von Uchtenhagen ist unser Fräulein Maria-Anna, sie zählt erst 18 Jahre. Unser Herr aber hat schon vier Jahrzehnte hinter sich. Seit dem Tode der Eltern lebt das Fräulein im Hause Herrn Werners. Unser Herr Hans von Uchtenhagen hat sein junges Eheweib schon nach wenig Jahren ins Grab legen müssen. Er hat ein Söhnlein, unser Herr aber nur zwei Mägdlein und es geht das Gerede, daß unser Herr die Lehensgüter teilen will und auf Burg Nienhagen in der Stille hausen möchte. Er ist ein hochgelahrter Herr und liebt zu forschen in Dr. Luthers und der Reformatoren Schriften. Die Herrschaft Fryenwolde aber mit ihren vielen Dörfern und Weilern, Wald, Feld und Wiesen macht viel Schaffen und Reiten nötig, das ist dem Herrn zuwider. Herr Hans aber ist ein guter Hauswirt und zehn Jahre jünger denn unser Herr. Er soll hierher kommen nach Burg Malchow und der Lehensgeschäfte pflegen.«

»Aber was ists nun mit dem Ritter von Krummensee?« unterbrach der Gast des Alten weitschweifige Erzählung.

»Ei, der ist oft beim Herrn Hans auf Burg Nienhagen zu Gaste gewesen und ist mit anderen jungen Rittern im Gefolge des Herrn zu unserer gnädigen Herrschaft gekommen. Zwar sitzt unser Herr am liebsten hinter seinen Folianten, aber er wehrt es nicht der Edelfrau und unserem Fräulein, mit dem Bruder und den anderen Rittern auf die Falkenjagd zu reiten oder ihrem Turnier zuzuschauen. Er ist ein gütiger Herr für alle, die seinem Hause angehören; nur in einem ist er halt sehr streng, das ist Luthers Lehr und Bekenntnis, und strenge Zucht und Sitte wird auf der Burg gehalten. Unsere gnädigen Frauen tragen nit so üppig Gewand wie unsere Bürgertöchter, nur bei hohen Festen könnt Ihr sie mit pelzverbrämten Seidengewande und goldenen Spangen sehen. Gebet und Andacht wird streng innegehalten auf der Burg, und unser gnädig Fräulein ist oft bei geringen Leuten zu treffen, so sie krank sind und eines Tränkleins oder kräftiger Suppe nötig haben. Der Ritter vom Krummensee aber hat gar früh des Vaters Hand entbehrt. Die Mutter hatte reiche Güter und hat dem Herrlein in seiner Jugend nichts verwehrt. Er ist ein schmucker Ritter, aber oft voll Hochmut gegen geringe Leute, treibt viel übermütiges Wesen und ist lieber auf dem Turnierplatz und beim Geschlechtertanz als in den Kirchen und beim Lesen von Gottes Wort. Es will auch mir nit eingehen, wie das Fräulein denkt an dem einen guten Ehgemahl zu haben und nun gar unser Herr. Wär der Ritter von Krummensee noch so jung wie unser Fräulein, tät man hoffen, er würd von dem losen Leben lassen, aber er hat, wie Herr Hans von Uchtenhagen, schon das dritte Jahrzehnt überschritten. Hab immer gesehen, wenn ich im Eichwald nach Holz für meine Fässer suchte, daß der junge Stamm sich gar wohl noch biegt, beim alten aber wills nimmer gehen, und versucht mans mit Gewalt, so gibts einen bösen Bruch. Gott behüt unsere Herrschaft vor neuem Herzeleid, ist so nit viel Freud daheim im Geschlecht, solang ich denken kann!«

Auf die lebhaften Fragen des fremden Gastes hin verbreitete sich der Alte dann noch weiter über die Geschichte der Uchtenhagens, bis der Büttel des Städtleins eintrat und verkündete:

»Ihr lieben Meister laßt Euch sagen,
von St. Niklas hat es zehn geschlagen!«

Da trank jeder den Rest des Bieres hinunter, denn länger in der Trinkstube zu sitzen ward von der ehrsamen Obrigkeit nicht gestattet. Sie wanderten durch den dunklen Abend ihren Wohnstätten zu und das Zunfthaus wurde schnell dunkel. Auf dem Kirchplatz von St. Niklas blieb noch der eine oder der andere stehen und blickte zum Stadtschloß des Lehensherrn hinüber, aber auch dort war es hinter den hohen Bogenfenstern schon finster geworden, nur hinter den Scheiben der Frauenkemnate schimmerte noch ein rötliches Licht.

 

II.

Der Sonnabend Abend war gekommen. Am morgenden Sonntage erwartete das Städtlein im Gottesdienste die öffentliche Bestätigung der Neuigkeit, die aus der Trinkstube von den Handwerksmeistern war in die Häuser getragen worden und nun in Werkstätten und Spinnstuben eifrig erörtert wurde.

Den Ritter von Krummensee und Herrn Hans von Uchtenhagen hatte man mit dem kleinen Junker Hans, dem Söhnlein des letzteren, bereits am Vormittage ins Städtlein einreiten sehen, alle drei in reicher Kleidung, von Waffenknechten begleitet. Nun war es wieder im Schlosse hell, und bunt strahlten die Fenster des Speisesaales ihr Licht auf den Schnee, der bei leichtem Froste in den letzten Tagen gefallen war.

Oben in dem hohen Speisesaale saß an dem mächtigen Eichentische der Ritter Werner von Uchtenhagen am Ehrenplatze an der oberen Schmalseite der Tafel. Blütenweißes Linnen war darüber gebreitet. Von dem dunklen Eichenbalken in der Mitte des Raumes hing eine mächtige Krone aus Hirschgeweihen, mit Eberzähnen verziert, herab, Wachskerzen waren darauf gesteckt und ihr Licht wetteiferte mit den zwei Prunkleuchtern auf der Tafel, den großen Saal mit Helligkeit zu erfüllen. Das Eßgeschirr war aber ziemlich einfach gehalten. Flache zinnerne Teller standen auf dem Tische ohne viel Zierrat, nur einige größere Schüsseln, Humpen und Kannen wiesen mancherlei Schmuck auf. Wohlgeordnete Büsche von Tannengrün, die auf der Tafel standen und auch einige Familienbildnisse im Speisesaale schmückten, gaben dem sonst ziemlich kahlen Raume heute Abend etwas festliches.

Auch wenn er nicht am Ehrenplatze des Hausherrn gesessen hätte, würde jeder Fremde den Ritter Werner von Uchtenhagen für den hervorragendsten Mann des Kreises gehalten haben. Wer sein Angesicht einmal gesehen hatte, vergaß es wohl so leicht nicht wieder. Es war eigentümlich blaß, das Haar an den Schläfen bereits leicht ergraut, während der lange Bart und die Brauen noch tiefschwarz sich zeigten. Daß diese Brauen über der Nasenwurzel dicht zusammenstießen, gab dem Angesicht etwas düster trauriges, sobald er die Augen, wie jetzt, auf seinen Teller gerichtet hatte. Schlug er jedoch die Augen auf, um bei einem heiteren Wort eines seiner Familienmitglieder anzublicken, so bemerkte man, daß viel Güte und wohl auch Frohsinn in seiner Seele lebte. Er trug sich fast wie ein Gelehrter; ein Gewand von schwarzem Tuch mit dunklem Pelz verbrämt, am Halse von einer schneeweißen getollten Krause begrenzt, gab seiner Gestalt etwas feierliches. Zu seiner Rechten saß die Edelfrau, der Gäste wegen heute festlicher gekleidet, als sie sich sonst zu tragen pflegte. Ein dunkelrotes Gewand fiel in weichen Falten von den Hüften hernieder, die ein schöner Gürtel mit Almosentäschlein und allerlei Zierrat daran umschloß. Ein Leibchen von Brokat, eine weiße Halskrause mit güldenem Kettlein schmückten den Oberkörper, während das schöne blonde Haar fast ganz unter der weißen Mullhaube verschwand, die Ehefrauen jener Zeit zu tragen pflegten.

Zur Linken des Hausherrn saß seine Schwester, ein selten anmutiges Fräulein. Das reiche blonde Haar fiel ihr in zwei schweren Flechten über den Rücken, ein lichtblau Gewand umschloß den schlanken Körper, und das weiße, züchtig bis zum Halse reichende Spitzenhemdlein ließ das rosige Gesicht besonders zart erscheinen. Sanfte blaue Augen belebten dieses Antlitz und waren jetzt mit lächelndem Frohsinn dem reich geschmückten Ritter zugewandt, neben dem sie saß. Er bemühte sich augenscheinlich auch sehr, ihr Wohlgefallen zu erregen, und zugleich mit heiteren Erzählungen die Tischgesellschaft zu verlustieren.

Neben der Edelfrau von Uchtenhagen saß ihr Schwäher, der Ritter Hans von Uchtenhagen; und zwei halbwüchsige Mägdlein von zwölf und vierzehn Jahren, die Töchter des Ritters Werner, hatten ihren Vetter, den siebenjährigen kleinen Junker zwischen sich und trieben mit dem lebhaften Herrlein beim Essen allerlei Scherz und Kurzweil, sodaß die Edelfrau mit scherzhafter Mahnung öfter ein Wörtlein zu den Kindern hinüberrief.

Die beiden Mägdlein hatten blaue Augen und lichtes Haar, wie die Mutter und die jugendliche Muhme. Der kleine Junker aber hatte trotzige, dunkle Augen, und wenn es in dem Kindergesicht auch nur eine feine Linie war, so sah man auch bei ihm bereits, daß die festen geraden Brauen zusammenstrebten. Das junge Knabengesicht glich auffallend dem Oheim, nur fehlte bei seinem frohen Kinderlachen der düstere Zug, der das Gesicht des Hausherrn so ernst machte.

Soeben wollte der Hausherr, der die Abendmahlzeit nach dem Abtragen des Wildbratens wohl als beendet ansah, seine Handzwehle Serviette, Mundtuch. zusammenlegen und die Abendtafel aufheben, als die Edelfrau mit einem Lächeln die Hand auf seinen Arm legte.

Soeben trat die Schaffnerin, mit weißem Schurz und schneeweißer Haube angetan, in den Saal und bot dem Hausherrn auf großer zinnerner Schüssel eine duftende Speise von allerlei Würzwerk und Süßigkeit dar.

Dieser aber langte nicht allsobald zu, sondern wiegte verwundert lächelnd und die Augen auf die Ehegattin geheftet, das Haupt.

»Ei, ei, Barbara,« sagte er mit einer tiefen Stimme, »wir feiern doch heute weder die heilige Weihnacht noch das Fest der Auferstehung unseres Herrn. Nur an den hohen kirchlichen Festtagen darf so eine Würzspeise obendrein für den Tisch gerichtet werden.«

»O,« versetzte die Edelfrau lächelnd, »um unseres liebwerten Paares willen ist's wohl auch heute verlaubt, und mein gestrenger Ehgemahl wird nichts dawider sagen.«

»Ei, ich weiß doch nit,« versetzte der Ritter nun ernster, »wenn wir üppig werden, steigen auch die Zünfte wieder über die Anzahl der Festgerichte hinaus, die ihnen nach dem Gebot Seiner kurfürstlichen Gnaden verstattet sind.«

»Aber Euer Gnaden,« warf jetzt die alte Schaffnerin ein, die noch immer wartend mit der Schüssel zur Linken des Ritters stand, »nur zween Gerichte für die Festtafel an unseres Fräuleins Ehrentag wär halt doch kein Feiern, die Zünfte bleiben doch voll Uebermut, auch wenn der Herr Ritter noch so schlichten Wesens ist. Laßt die gute Mahlzeit nit kalt werden, Herr, und langt zu. Es ist Eure Leibspeise.«

»Wie doch die Weiberleut es schlau anfangen,« lächelte jetzt der Ritter, indem er ein Stück Speise auf seinen Teller legte, »wenn sie den alten Adam im Manne überlisten wollen. Immer wissen sie das rechte Apfelstück zu fassen, uns die Zunge leckrig zu machen, damit Herz und Mund ihrem Tun zustimmen. Ja die Evastöchter!« Dabei aber schob er schon ein Löfflein der würzigen Speise in den Mund. Die Tafelrunde lachte fröhlich.

Nach aufgehobener Abendmahlzeit begaben sich alle in das Gemach des Hausherrn hinüber und jetzt lag feierlicher Ernst auf allen Gesichtern. Schon der hohe dunkle Raum selbst stimmte zu ernsten Gedanken. Dunkle Teppiche hingen vor den Bogenfenstern, dunkle Borde trugen eine Fülle von Büchern und schweinsledernen Folianten. Auf dem Tisch zwischen den Bogenfenstern stand eine große Weltkugel, und allerlei Schreibgerät und Pergamentrollen bewiesen, daß der Ritter an diesem Tisch eifrig dem Studium oblag. Vor einer Nische stand ein zweiter Tisch mit dunklem Tuch bedeckt, in seiner Mitte ein schönes Kruzifix von dunklem Holz mit einem Christuskörper aus weißleuchtendem Elfenbein. Waren im Eßsaal die Leuchter aus schlichtem Zinn, so waren diejenigen, welche rechts und links vom Kruzifix standen, aus schwerem Silber. Zwei mächtige Wachskerzen steckten darauf, und als die Edelfrau sie nun mit einem kleinen Oellämpchen entzündete, fiel ihr Licht auf ein kostbar verziertes Bibelbuch und einen Katechismus Dr. Martin Luthers, die vor dem Kruzifix lagen. Ein schmales Bänklein mit dunklem Tuch bekleidet, stand vor dem Tische. Es war der Hausaltar des Ritters. Hier hielt er mit Familie und Ingesind die Morgenandacht und den Abendsegen.

Indem der Hausherr sich in dem dunklen Lehnstuhl in der Nähe des kleinen Altars niederließ und seine Familie im Kreise vor ihm Platz nahm, rief der Schall eines Glöckleins unten im Remter das Ingesind zur Abendandacht. Bald traten die Hausgenossen ins Gemach des Burgherrn und ließen sich auf schmalen Bänklein nieder, die sie aus der Vorhalle mit hereingebracht hatten. Während das Ingesinde sich versammelte, hatte der Hausherr im Bibelbuche sein Abendkapitel aufgeschlagen. Jetzt trat er zu seiner kleinen Hausorgel, die unfern des Studiertisches stand, und ließ sich davor nieder. Ein junger Waffenknecht trat hinter die Orgel, um die dort befindlichen Bälge zu drücken, dann stimmte der Hausherr eine kernhafte Melodie an, in die die ganze Hausgemeinde mit hellen Tönen einfiel:

»Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort
und steure deiner Feinde Mord,
die Jesum Christum, deinen Sohn
stürzen wollen von seinem Thron.

Beweis dein Macht, Herr Jesu Christ,
der du Herr aller Herren bist;
beschirm dein arme Christenheit,
daß sie dich lob in Ewigkeit.

Gott, Heiliger Geist, du Tröster wert
gib Eintracht deinem Volk auf Erd;
steh bei uns in der letzten Not,
leit uns ins Leben aus dem Tod.

D. M. Luther.

Dann ergriff der Hausherr das Bibelbuch und las mit feierlicher Stimme die Mahnung des Apostels, wie er im 12. Kapitel des Römerbriefes schreibt: »Haltet euch nicht selbst für klug. Vergeltet niemand Böses mit Bösem. Befleißiget euch der Ehrbarkeit gegen jedermann« … Mit erschütterndem Ernst kamen die Worte von seinen Lippen: »Rächet euch selber nicht, meine Liebsten … Die Rache ist mein, Ich will vergelten, spricht der Herr« … Senkte nicht auch der Ritter Hans das Haupt tiefer bei diesen Worten, als stiegen schwere Erinnerungen aus fernen Tagen in ihm auf?

Mit inbrünstigem Gebet, das der Ritter wie ein Priester seines Hauses auf den Knien vor dem kleinen Altar sprach, und das für ihn und sein Haus um ein friedfertig Herz bat, so in der Kraft Christi den Zorn eines unheiligen Herzens überwinde, schloß Herr Werner die Abendandacht. Ergriffen von dem ernsten Gebet des Hausherrn fielen dann alle in das Vaterunser ein, das langsam und ausdrucksvoll gesprochen wurde. Dann erbat der Ritter den apostolischen Segen für sich, sein Haus, Ingesind und ganzes Lehen, worauf sich alle still erhoben und das Ingesinde mit dem Wunsche: »Eine geruhsame Nacht!« sich ehrerbietig entfernte.

Dann löste sich auch der Familienkreis. Die Edelfrau stieg noch hinunter in die Wirtschaftsräume, die Mägdlein eilten mit dem Junker in die Frauengemächer hinüber, und während die beiden Brüder noch in lebhaftem Gespräch im Gemach des Hausherrn verblieben, schlang der Ritter von Krummensee den Arm um die Schultern seines Bräutleins und führte sie in den Speisesaal zurück, wo noch die Kerzen brannten. Hier ließ er sich in kosendem Geplauder mit ihr nahe beim Kamin nieder, auf dessen Herde, durch ein zierlich Eisengitter vom Estrich getrennt, mächtige Buchenscheite knackten. Sie schaute mit sinnendem Ausdruck in die Glut und hörte seinem heiteren Geplauder zu. Daß ein etwas leichtfertiger Zug um die sinnlichen Lippen des Ritters lag, merkten ihre wenig geübten Augen nicht, und sie vertraute lächelnd den heiteren Zukunftsbildern, die er plaudernd vor ihren Augen entrollte.

Jetzt trat auch die Edelfrau mit einem großen Schlüsselbunde wieder in den Saal zurück. Sie verschloß einige der zierlichen Kannen und Eßgeräte, die die Mägde gesäubert in den Saal zurück gebracht hatten und zog sich dann selbst einen bequemen Armsessel an den Kamin, der so behagliche Wärme ausströmte.

Da kamen auch die beiden Mägdlein mit dem Junker hereingetollt, der in langen Sätzen um den Eichentisch eilte und spottend rief: »Hascht mich doch, Mühmlein, hascht mich doch! Etsch, das macht das lange Gewand, könnt nit springen wie die Knaben. Etsch, Ihr seid susige Mägdlein!« und übermütig schabte er Rübchen mit den Zeigefingern.

Als die Mägdlein nun aber lachend einen Feldzugsplan machten und je von einer Seite ihm in die Flanken rückten, sprang er wie ein Wiesel zum Kamin hinüber. Aber ehe er noch sich zur Edelfrau flüchten konnte, die bereits die Arme aufhielt, war der Ritter von Krummensee lachend aufgesprungen, hatte das Bürschlein am Gurt gepackt und sich oben auf die Schultern gesetzt, von wo er nun triumphierend und Rübchen schabend auf die kleinen Basen herabschaute.

»Laß sie den Schelmen doch fangen,« rief die junge Braut scherzend, »daß Ihr Männer doch immer den wilden Buben beisteht!«

Die beiden Mägdlein aber versuchten lachend, die beiden in Pluderhöschen steckenden Beine des Herrleins zu packen, um ihn von der Schulter des Ritters herunter zu ziehen; mit schreiendem Lachen aber hielt sich der Knabe am Kopfe seines Beschützers fest, und als die Mägdlein zu eifrig zerrten und zupften, stieg der Ritter auf einen Schemel, so daß die Hände der Bäschen ihn nicht mehr erreichen konnten.

Das gab viel Lachen und Tumult und lockte endlich auch die beiden Ritter herüber aus dem Gemach des Hausherrn. Mit scherzenden Scheltworten traten sie auf die frohe Gruppe zu. Die Mägdlein, die sich müde getollt hatten, schmiegten sich an die Seite der Edelfrau, und als die beiden Ritter sich in bequemen Armsesseln am Kamin niederließen, hob auch der Ritter von Krummensee den Junker von der Schulter und stellte ihn auf seine Füße. Der Knabe lief zu seinem Vater hinüber, der ihn auf sein Knie hob. Die beiden Ritter hatten im Gemach des Hausherrn wohl von der Teilung der Lehensgüter gesprochen, jetzt setzten sie das Gespräch fort, und die anderen lauschten eine Zeitlang schweigend, bis der Hausherr sagte:

»Ich gedenke noch vor dem Fest der Auferstehung des Herrn die Teilung fest und für unsere Nachkommen erb- und eigentümlich zu machen. Die Privilegien an den Rat der Stadt und an die Kirche von St. Niklas sind aufgesetzet, und in etlichen Tagen sollen sie den Ratmännern übergeben werden. Auch den Propst und den Prädikanten habe ich zu mir laden lassen. Die Pergamente bedürfen dann noch der Zustimmung unseres kurfürstlichen Herren. Aber da ich zu Cöllen war, trug ich ihm schon unser Entschließen vor und fand gnädige Zustimmung. So es Euch darum gefällt, wollen wir dann die Urkunde ausfertigen und mit einem Siegel verschließen lassen.«

Die beiden Ritter nickten, und das Gespräch wandte sich älteren Privilegien zu, die vom Geschlechte derer von Uchtenhagen schon früher der Kirche und dem Städtlein waren verliehen worden. Unter den Vorfahren ragte besonders Konrad von Uchtenhagen hervor, dem einst der Lehenssitz von Ludwig dem Römer war verliehen worden und der den Ort Fryenwolde und die umliegenden Dörfer und Weiler mit mancherlei Vorrechten und Schenkungen bereichert hatte.

Das Gespräch war sehr lebhaft geworden. Auch die Frauen beteiligten sich daran, und die Kinder horchten mit glänzenden Augen den Erzählungen von den wechselnden Geschicken, die den einen oder anderen aus dem Geschlechte getroffen hatten. Der neue Schwäher wußte nicht viel von dem Geschlechte, in das er nun freien wollte.

»Wie lange hast du Kunde von deinem Geschlecht, Werner?« fragte er den Hausherrn. »Unter meinen Ahnen waren die Männer wenig des Schreibens kundig, und es gibt nit viel Pergamente, aus denen ich das Alter meines Geschlechtes weiß.«

»Wir sind besser daran,« fiel Hans von Uchtenhagen nicht ohne Stolz ein. »Mancherlei Pergament und auch etliche Bilder zeigen uns die Glieder unseres Geschlechts, und wir haben Kunde von ihnen seit zweenhundert Jahren. Erzähle, Werner,« wandte er sich an den älteren Bruder, »auch dem jungen Volke tut es gut, die Vorfahren zu kennen und aus ihrem Leben zu lernen, und der Schwäher muß auch Kunde haben von dem Geschlecht, mit dem er sich verbinden will.«

Sinnend saß der Hausherr da. Es war, als ob der düstere Ernst auf seiner Stirne sich noch vertiefte. Er stützte den Arm auf die Lehne seines Sessels und lehnte das Kinn auf die Hand, als er leise begann:

»Noch sind die Kinder zu jung, um so manches schwere Geschick der Vorfahren zu verstehen. Es taucht manch trübes Bild auf, wenn ich das Leben der Ahnen an mir vorüberziehen lasse. Wenn dein Knabe einst größer ist, Hans, wirst du ihm von dem trüben Erbe unseres Geschlechtes sprechen, um ihn zu warnen, ehe er hinauszieht in den Kampf des Lebens. Die Jugend unserer Kinder aber laß uns voll Frohsinn schaffen, zugleich sie fest in der Zucht des göttlichen Wortes halten, daß sie den Willen beugen unter sein heilig Gesetz, auf daß ihr törichter Sinn und ihr mutwillig Herz nicht gebrochen werde im Alter.« Der Ritter hatte bei seinen letzten Worten sinnend die Augen über den kleinen Kreis schweifen lassen. Jetzt blieben sie unwillkürlich auf dem Krummenseer haften, dem er die junge Schwester für eine lange Lebenszeit anvertrauen sollte.

Dem schoß plötzlich helle Glut über das Antlitz. Hatte der Hausherr ihn mit seinen letzten Worten gemeint? Sollte es heißen, daß er einen törichten Mut zur Schau trug, auch er oft ein mutwillig Herz habe? Die junge Braut, deren Rechte er gefaßt hatte, merkte, wie die Hand des Ritters zuckte. Aber der Hausherr blickte schon wieder sinnend in die Flammen und fuhr fort:

»Nie war unser Geschlecht so stark, denn da unser in Gott ruhender Herr Vater das edle Fräulein Kunigund von Schönebeck als sein ehelich Gemahl heimgeführt hatte; das war 1534. Acht Söhne und ein Töchterlein waren den Eltern in ihrer Ehe geschenkt, und schier stolz hob sich der Mut Herrn Albrechts, meines Vaters, daß eine alte Kunde, unser Geschlecht werde immer nur auf wenigen Augen stehen, doch nit nach der Wahrheit sei. Aber die Mutter, schon frühe der Lehre D. Luthers zugetan, vermahnte ihn oft, für dieses Geschenk dem Herrn Dank zu sagen; noch seien die Knaben keine Männer, und ihr Herz begehre vor allem, daß sie einst ehrliebende fromme Ritter würden. Ich war der Erstgeborene, und wenn meine herzliebe Frau Mutter so sprach, habe ich ihr oft zugeflüstert, ich wolle ihres Herzens Wunsch erfüllen – Schier gewundert hat es mich aber einmal, als die Mutter so sprach, daß mein stolzer Herr Vater völlig verlegen worden ist und ein etwas beschämt Gesicht zeigte. Wußte nit, wie das zu deuten sei. Als ich ein Mann war, hab ichs dann erfahren.«

Der Ritter seufzte schwer auf und ließ einen scheuen Blick über seine Kinder und den kleinen Junker gleiten, als wolle er nicht weiter sprechen, dann fuhr er rascher fort: »Der Ahn war Herr Georg von Uchtenhagen, unser Großvater, der mit seinem Bruder Hans die beiden Söhne Herrn Wolfs von Uchtenhagen waren. Herr Wolf hatte sich noch im Alter von sechzig Jahren zum drittenmale ein junges Eheweib erkoren, weil er fürchtete, der Stamm werde aussterben, da er der einzige Ritter war. Aus seinen ersten beiden Ehen waren ihm nur Mägdlein geboren. Mein Ahn Hans von Uchtenhagen ward im Jahre 1476 geboren, zwei Jahre später schenkte ihm sein junges Weib ein zweites Söhnlein. Herr Wolf von Uchtenhagen starb 1500. Ihr könnet sein Bildnis und das seines jungen Eheweibes noch drunten im Remter hängen sehen. Er ist bis in sein hohes Alter von vierundachtzig Jahren hinauf ein gar stolzer und stattlicher Herr gewest. Da ich noch ein klein Bürschlein war, habe ich oft den alten Schäfer von ihm erzählen gehört, der ihn noch wohl gekannt hat. Kein Roß ist stark genug für den gewaltig großen Mann gewest, so er mit starker Eisenrüstung gen Cöllen zum Herrn Kurfürsten geritten ist; weither aus dem Preußenlande hat ihm sein Streitroß kommen müssen. Herrn Wolfs von Uchtenhagen Vater war Matthias von Uchtenhagen, von dem nit viel Kunde hinterblieben ist, nur daß er tapfer seinem kurfürstlichen Herrn gegen räuberische Ritter hat kämpfen helfen, denn eins ist allezeit in unserem Geschlechte hochgehalten, an fremdem Gut des reisenden Kaufmanns hat sich keine ritterliche Hand bereichert; schätze, daher ruht auch des Herrn Segen auf Feldern und Wieswuchs seit allen Zeiten, wo das Lehen dem Geschlechte verliehen ward. Herr Matthias von Uchtenhagen ist 1445 eines jähen Todes verstorben. Ist nit zu erkunden auf dem Epitaphium oder im Pergament, ob er im Streite gefallen oder daheim ihn der Tod ereilt habe. Sein Vater war der fromme Herr Konrad von Uchtenhagen, der Jüngere, wie es in den Pergamenten heißt, obschon er sein Alter bis auf achtzig Jahre gebracht hat und eines sanften, seligen Todes auf Burg Malchow verblichen ist. Der Privilegien, so er seinen Lehensorten verliehen hat, waren gar große und mannigfaltige, und es dünkt mich nit verlorene Zeit, in seinen alten Pergamenten zu lesen, spricht doch ein gar hochgemuter und frommer Sinn aus den Schriften, und vor allem wohlgewogen nächst dem Dienst des höchsten Herrn, seiner Kirche und der Heiligen, so er damals noch gläubig verehrte, war er den Frauen in seinem Geschlecht. ›Es sei eines Ritters und Hausvaters fürnehmste Pflicht‹, gebietet er seinen Nachkommen, der Frauen Schutz und Hort zu sein. Ein Ritter, der seiner Frau Mutter nit ein liebevoller und fürsorgender Sohn sei, verdiene auch nit die Liebe und Treue einer braven Hausfrau und die Freude an lieblichen Kindlein. Dess' zum rühmlichen Beispiel bestimmte er ein erheblich Gut zur Stiftung für die Frauen unseres Geschlechts. Zum Wittum das Burglehen, so unfern von St. Niklas steht, und reichen Zins, so Töchter und Frauen unseres Geschlechts nit die Ehe wählen oder im Frieden des Klosters ihr Leben beschließen mögen. Diese Stiftung haben auch die Ahnherrn stets reichlich bedacht, und auch mich will bedünken, als sei es ein freundlich, unserem Herrgott wohlgefällig Werk, denn die Frauen unseres Geschlechts, so im Burglehen gelebt haben, sei es als Jungfrau, sei es als Wittib oder als Greisin, haben niemalen Mangel gelitten und in Mildtätigkeit und barmherziger Liebe sich aller Armen und Notleidenden im ganzen Lehen angenommen. Zum Gedächtnis seiner herzlieben Frau Mutter, der er dieses Lehen gestiftet, heißt es im Privileg, so das Witwenhaus besitzt, trägt es den Namen » Gertruden-Stift«. Frau Agnes-Gertrudis von Uchtenhagen war ihr Name und kurz, bevor man das Jahr 1400 schrieb, ist sie heimgegangen. Sie war aus dem edlen Geschlecht der Eberstein und hat mit ihrem Gemahl, dem ersten Lehensherrn, Konrad von Uchtenhagen, müssen lange Jahre in der Verbannung leben, weil der Markgraf ihm seine Gnade entzogen hatte und ihn schwerer Schuld verdächtigte. Ihr wisset, daß unser Geschlecht ehedem einen anderen Namen trug.«

»O, ich weiß, Herr Oheim,« fiel der kleine Junker lebhaft ein, der bis dahin mit glänzenden Augen den Erzählungen des Ritters gelauscht hatte, »unser erster Ahnherr hat Herr Konrad von Jagow geheißen, und als der Herr Markgraf im Kampf einst in schwerer Not war, ist er mit seinen Gewappneten gekommen, wie ein Wetter ut ten Hagen und hat die Feinde seines Herrn überwunden. Da hat der Herr Markgraf ihm unsere schöne Burg droben auf dem Berge wiedergegeben und der Ahnherr ist wieder sein herzlieber Freund worden!«

»Ei brav, mein Hänslein, daß du die Geschichte deines Ahnherrn so wohl im Herzen bewahrst!« Er zog den Knaben zu sich herüber und strich ihm sein dunkles Gelock. »Möge nur unser Herrgott dich vor dem Erbe bewahren, das leider dieser Ahnherr auf sein Geschlecht überbracht hat,« fügte er dann leiser hinzu. – Der Ritter von Krummensee aber nahm die Worte auf und fragte: »Was war denn das für ein Erbe, Schwäher?«

»Zu anderer Zeit will ich dir davon berichten,« wehrte der Hausherr ab. »Ist nit alles für der Kinder Ohren und Herzen gut, was oft noch den Sinn der Alten bedrückt und trübe macht.«

»Aber wollet mir doch das Bild des Ahnherrn zeigen, Herr Oheim,« rief lebhaft der kleine Junker, und der Hausherr erhob sich, ergriff einen Armleuchter von der Tafel und schritt nach der Ostseite des Gemaches hinüber. Die nischenartige Wölbung dort schmückten drei Fenster, deren mittelstes farbiges Glas, wie ein Kirchenfenster, aufwies. In dem hellen weißen Felde der obersten Scheibe war das Wappen des Geschlechts kunstvoll eingefügt. Es zeigte einen starken grünen Eichbaum mit gewaltigen Wurzeln, rechts und links vom Stamm ein Rad mit roten' Speichen. An den Säulen zwischen den drei Fenstern hingen zwei Gemälde mit dunklem Rahmen. Es war wohl bescheidene Kunst gewesen, die derzeit die Gemälde geschaffen hatte, aber deutlich erkennbar blickte aus der nun tiefgedunkelten Leinwand ein blasses schmales Männerantlitz mit langem Barte heraus. Als der Ritter Werner den Armleuchter hob, das Bild nahe zu beschauen und der Ritter Hans von Uchtenhagen sein Söhnlein auf den Arm nahm, um ihn das Bild leichter betrachten zu lassen, riefen die beiden Frauen wie aus einem Munde: »Wie ähnlich!« und Frau Barbara fügte hinzu: »Wenn es auch ein alt' Gemälde ist, Werner, so ist doch sogleich zu erkennen, daß du und der Ahnherr eines Blutes und Stammes seid!«

»Sieh die Stirn und die Brauen über den Augen, und sieh das Hänslein,« rief Maria-Anna noch lebhafter, »auch seine Brauen und die Stirne sind dem Ahnherrn ähnlich. Es ist doch wahr, daß gemeinsam Blut sich niemalen verleugnet!«

Ritter Werner war bei den Worten der Frauen blaß geworden und der Leuchter in seiner Hand schwankte. Er warf einen scheuen Blick auf das Kindergesicht neben ihm. »Hoffen wir zu Gott,« sagte er mit tiefem Ernste, »daß nur gleiche Züge uns verbinden und das unselige Erbe, das sein Geblüt auf das Geschlecht gebracht hat, erloschen ist.« Betroffen blickten die Frauen auf den Hausherrn, und Frau Barbara stotterte förmlich erschreckt:

»Was meinst du, Werner, du machst mir bange!«

»Zu anderer Zeit, nit mehr heut abend,« sagte der Ritter ernst und fuhr mit der Hand durch die Luft, als wolle er trüben Erinnerungen den Abschied geben. »Sieh, Hänslein,« sagte er dann freundlicher zu dem Junker, der neugierig das dunkle Gemälde betrachtete: »Das ist der erste Ahnherr unseres Geschlechts, Herr Konrad von Uchtenhagen, ehedem Herr Konrad von Jagow, ein tapferer stolzer Rittersmann. Und das hier,« – er trat zu einem anderen Fenster heran – »ist sein Ehgemahl, Frau Agnes-Gertrudis von Uchtenhagen. Aus ihrem linden Angesicht schaut eitel Herzensgüte, und ebenso lind und freundlich sah dein lieb Mütterlein aus, als es noch lebte und dich in ihren Armen herzte. Nit wahr, wenn sie noch lebte, wolltest du ihr Liebe und treue Fürsorge angedeihen lassen wie ihr einziger Sohn, Konrad von Uchtenhagen der Jüngere, es dieser freundlichen Frau tat, als er ihr als Wittum das »Gertruden-Stift« verlieh und sie bis an ihr selig Ende als treuer Sohn liebte und ehrte?«

Groß und ernst hingen die jungen Knabenaugen an dem Antlitze des Oheims. Dann schlang er fest die Arme um den Hals seines Vaters, auf dessen Arm er noch immer saß, und drückte fest seine kleine Wange an dessen bärtiges Gesicht.

Frau Barbara aber langte voll mütterlicher Liebe zu dem mutterlosen Kinde hinüber und hob ihn auf ihren Arm. »Nun aber weiß unser Hänslein,« sagte sie dabei zärtlich, »daß sein Mütterlein droben bei Gott und den lieben Englein ist und Fürbitte für ihr Söhnlein tut, daß sein Schutzengel ihn auf rechten Wegen geleite und er dereinst ein ehrliebender und frommer Ritter werde, wie es sein Vater, sein Oheim und alle seine Ahnherren von ihren Müttern und Vätern erlernten. – Nun aber beginnen die Lichter zu verlöschen, die Schlafenszeit ist herangekommen. Wir müssen uns zur Ruhe rüsten, damit wir morgen im Gotteshause den Ehrentag der lieben Muhme und des Herrn Schwähers feiern können. Erbittet den Nachtsegen, lieben Kinder, und folgt mir artig in die Kemenate.«

Der kleine Junker und die Mägdlein traten zu den Erwachsenen und boten ihnen die Stirne zum Gutenachtkuß. Die Väter legten die Hand auf den Scheitel der Kinder und entließen sie mit einem leise gemurmelten »Schlaft in Gottes Hut« in ihr Kämmerlein. Bald suchten auch die Erwachsenen die Schlafgemächer auf, und die Lichter im Schloß erloschen. Draußen stand der Mond am frostklaren Himmel und sandte sein Licht auf den alten Herrensitz hernieder, über dessen Schwelle die Glieder, des alten Stammes in wechselnden Geschicken seit zweihundert Jahren ein- und ausgegangen waren.

 

III.

Ein klarer Frosttag lag mit Sonnenschein über der sonntäglichen Erde. Die vielfach noch ungepflasterten Straßen des Städtleins sahen daher am heutigen Morgen recht sauber aus. Auch war vor den Türen gekehrt und einige Mägde beim ersten Läuten der Glocken beschäftigt, die Stiegen zur Haustür mit weißem Sande zu streuen. Noch war es still in den Gassen, ein paar Büblein im Sonntagswams allein belebten sie und versuchten, auf den gefrorenen Pfützen zu glitschen, die die Frostnacht blank gemacht hatte. Nur die Läden, wo man frische Wecken kaufte, waren geöffnet. Beim ersten Läuten aber ließen die Bäcker die Klappe vor das Lädchen fallen, und die Hausfrauen, die nicht fürsorglich gewesen waren und früh die Mägde geschickt hatten, mußten den Sonntag ohne frische Wecken begehen. Es herrschte eben strenge Kirchenzucht in Herrn Werners Lehen. In manchem ungeordneten Haushalt gab das auch Grund zur Klage, wie die Schneider aus anderen Gründen sie kürzlich im Zunfthause geführt hatten.

Nicht weit von der Oderbrücke stand das recht stattliche Haus des Schmieds Lorenz, der den Schneider Balzer kürzlich so kräftig vermahnt hatte. Die große Einfahrt, die zu seiner Werkstätte führte, war geschlossen. In dem kleineren Pförtchen, das an Feiertagen zum Ein- und Ausgehen diente, stand einer der Gesellen schon sonntäglich gerüstet und wartete auf das zweite Läuten. Jetzt scholl es mit tiefem Klange vom St. Niklas-Turme herab, der Geselle wandte sich zurück und rief die Lehrbuben und zwei andere Gesellen vor die Türe. Kaum waren sie versammelt, als sich die große eichene Haustür öffnete und der Schmied mit seinem Eheweibe heraustrat. Hochgewachsen wie der Hausherr selber, war auch sein Weib. Würdig und ernst war der Anzug des Schmiedemeisters, von dunkelbraunem Tuche mit Marderpelz an Kappe und Mantel verbrämt. Eine weiße Krause stand gut um das bärtige Antlitz. Sein Weib trug ein Kleid aus schwarzem, gefälbeltem Tuche, ein dunkelgrüner Mantel und eine gleichfarbige Kappe, beide wie bei ihrem Eheherrn mit Marder verbrämt, schmückten Kopf und Schultern. Ein Almosentäschlein mit mancherlei Zierrat hing an gesticktem Gürtel um ihre Hüften. Das Ehepaar war nicht mehr in der ersten Jugend. Ein erwachsener Sohn ging ehrerbietig einige Schritte hinter ihnen. Auch er war würdig wie sein Vater gekleidet, nur statt des dunklen Brauns war sein Gewand von dunkelgrüner Farbe. Die Meisterin aber führte an der rechten Hand ein Mägdlein von sechs Jahren. Es war das Kind einer Schwester, die ein großes Häuflein Kinder besaß und nicht so gutes Brot hatte wie die wohlhabende und geachtete Meisterin. Das Mägdlein trug ein Kleid von hellem blauen Tuche mit dunklen Sammetstreifen besetzt, ein weißes Schürzlein und warmes dunkles Jäcklein auf den Schultern. So gingen sie ehrbaren Schrittes dem Gotteshause zu, und die Gesellen und Lehrbuben schlossen sich ihnen an. Der Meister trug ein umfangreiches Gesangbuch, mit schönen Klammern geschlossen. Die Glocken hatten zum zweiten Male nur kurz angestoßen, und da das Mägdlein so kleine Schritte machte und die Meisterin etwas langsamer vorwärts kam, mahnte der Schmied ungeduldig:

»Laß das Gretel eilen, Ursula, gleich wird es zum dritten Male beiern (läuten), und die Herrschaft ist vor uns in der Kirche!«

»Ei,« mahnte die Meisterin beruhigend den Eheherrn, »ist nit so schlimm, wenn wir auch unter dem Läuten in die Kirche treten, Herr Werner hat sein Haus dicht dabei und ist völlig immer der erste im Gotteshaus.«

»Ich mag es nit leiden,« sagte der Schmied kurz. »Die Bürger können vor ihm da sein. Im Rat läßt Herr Werner uns auch nit warten.«

»Nun, nun,« sagte die Meisterin, »im Gotteshaus ist Herr Werner nit mehr als wir, will er auch garnit sein. Der Herr Propst kommt noch lange nit. Wenn nur unser Herrgott nit warten braucht, Herr Werner tut's schon.« Sie mahnte aber doch mit freundlichen Worten das Mägdlein, raschere Schritte zu machen, denn soeben läutete es mit allen Glocken zum Beginn des Gottesdienstes zusammen. Als sie auf den freien Platz von St. Niklas kamen, strömten von allen Seiten die Kirchgänger herzu. Voll fraulicher Neugier konnte die Meisterin es nicht unterlassen, den Anzug der Basen und Nachbarinnen zu mustern. Als sie ihrem Ehemanns soeben eine Bemerkung darüber zuraunen wollte, sagte auch der Schmied schon voll Unmut:

»Ursel, sieh die Schneider und die Weiber der Kaufleut'! Scheinen heut völlig die Hochzeitskleider aus der Truhen genommen zu haben; solch ein Aufwand! Das ist kein Stendaler, das ist fast lauter flandrisch Tuch. Sieh doch die güldenen Kettlein und das teure Pelzwerk, und dann barmt die ganze Sippe, der Herr Kurfürst wolle für alles so hohen Zoll haben. Warum sind sie nit zufrieden mit einheimisch Tuch wie andere ehrbare Bürger? Fühl' mich völlig wohl in meinem Kirchengewand und weiß nit, daß flandrisch Tuch wärmer hielte!«

Seine Hausfrau nickte. »Herr Werner wird Euch im Rat wohl wieder ein Wörtlein sagen. Wollen heute alle ihren Putz zeigen, weil der Verspruch des Fräuleins ist, und sich in der Kirche großtun. Die Jungfrauen und Burschen werden gewiß mehr die Augen nach Herrn Werners Gestühl, als die Ohren zum Herrn Propst gewendet haben.«

»Sind nit die Jungen allein,« brummte leise der Schmied, »die Alten treibens nit besser.« Damit nahm er seine Pelzkappe ab, denn sie waren nun ins Gotteshaus getreten und schritt seiner Familie und seinen Gesellen voran, dem Kirchenstuhle der Zünfte zu, die ihre fest vorgeordneten Sitze besaßen. Der Altgeselle nahm mit im Stuhl bei der Familie Platz, die jungen Gesellen und die Lehrburschen aber gingen weiter bis auf das Chor der Orgel, wo sie unter Leitung des Magisters den Kirchengesang der Gemeinde zu unterstützen hatten. Auch hier oben war alles streng nach Rang und Alter geschieden. Die Gesellen aller Zünfte saßen auf der rechten, die jungen Lehrburschen auf der linken Seite der Orgel. Die Kirchgänger betraten sämtlich sittsam und ehrbarlich ihr Gestühl. Man kniete zum Gebet nieder, wozu auf den Fußbänkchen schön gestickte Kissen lagen. Als sie dann ihre Sitze wieder eingenommen hatten, wandten sich jedoch aller Augen verstohlen nach dem Gestühle des Lehensherrn, der aber, wie die Meisterin zu ihrer Beruhigung entdeckte, noch leer war. Schon schlugen die Glocken droben im Turme dreimal drei, als der Organist, der bisher seine Kirchensänger leise ermahnt hatte, eilig zum Orgelbänkchen hinaufstieg. Ein Kirchendiener öffnete weit das Hauptportal, und Herr Werner von Uchtenhagen trat mit allen Hausangehörigen ein.

Magister Bergner griff in die Orgel, und von ihrem Klange geleitet, ging die Familie des Lehensherrn auf ihr Gestühl zu.

Wenn die Kirchenbesucher auch sittsam auf ihren Plätzen blieben, so reckte doch gar mancher neugierig den Hals, um die Herrschaft besser beobachten zu können. Herr Werner führte Frau Barbara am rechten Arme. Der Lehensherr war wie immer in schlichtes Schwarz gekleidet, aber um die weiße Krause, die sein bleiches bärtiges Gesicht umgab, legte sich eine schöne Kette mit blinkendem Kleinod.

»Die hat ihm der Herr Kurfürst verliehen,« wisperte der Schneider Balzer seinem Nebenmanne zu und wies vorsichtig mit dem Kopfe nach Herrn Werners Schmuck. »In dem Kleinod ist das Bild des kurfürstlichen Herrn, mit edlem Gestein gefaßt.«

Frau Barbara war heute festlich gekleidet. Sie trug ein schleppendes Kleid von schwerem rotem Damast mit edlem Pelzwerk besetzt. Das Haar war in goldenem Netzwerke gefangen, und eine Spitzenhaube mit weißen Perlen stand blütenweiß um ihr feines Frauengesicht.

Ihnen beiden folgte das Brautpaar. Auch der Krummenseeer führte am rechten Arme nach feiner höfischer Sitte sein Bräutlein. Maria-Anna von Uchtenhagen trug ein lichtblaues seidenes Gewand, darüber ein Mäntlein von weißem Tuch und weißem Pelzwerk. Die blonden Flechten hingen lang herunter, aber auf dem Kopfe trug sie ein rundes weißes Barett mit langer weißer Feder, wie es nur den Edelfräulein jener Zeit zustand.

Der Ritter von Krummensee war ganz besonders festlich gekleidet. Auch er trug, wie seine Braut, ein Gewand von blauer Farbe, aber die Pluderpuffen über den Knieen waren von gelber Seide und der Mantel von goldfarbenem flandrischem Tuche. Ein breiter Kragen von dunklem edlem Pelzwerke legte sich auf seinen Mantel und das schwarze Sammetbarett, das er in der Linken trug, war mit zwei wallenden weißen Federn geschmückt, eine große Agraffe von edlem Gesteine hielt sie fest. Handschuhe trug niemand der Kirchgänger, und so sah man die blitzenden Ringe, die besonders der Ritter von Krummensee an seiner Linken stecken hatte.

Ritter Hans von Uchtenhagen war schlichter als der Krummenseeer gekleidet. Alle drei Männer aber trugen den Ritterdegen an kostbarem Wehrgehänge.

Die beiden Mägdlein waren lichtblau gekleidet wie ihre junge Muhme, und der kleine Junker steckte im roten Sammetanzuge.

Hinter der Herrschaft nahm das ganze Ingesinde Platz, unter dem besonders die Schaffnerin mit ihrer großen blütenweißen Haube hervorleuchtete.

Auch im Herrschaftsgestühle kniete alles zum Gebete nieder, dann setzte die Orgel ein mit dem Kirchenliede von Paul Speratus:

»Es ist das Heil uns kommen her
Aus Güt und lauter Gnaden,
Die Werk vermögen nimmermehr
Zu heilen unsern Schaden.
Der Glaub sieht Jesum Christum an,
Der hat für alle genug getan,
Er ist der Mittler worden.«

Alles beteiligte sich voll Eifer am Kirchengesange, besonders tönten die hellen Stimmen der jungen Chorsänger hindurch. Nach der Liturgie am Altare, wie sie der Kurfürst Joachim II. in den märkischen Kirchen verordnet hatte, und die der jüngere Prädikant abhielt, wurden noch einige Verse Dr. Martin Luthers gesungen.

Dann trat der Propst an St. Niklas, ein würdiger älterer Herr, auf die Kanzel, die sich unmittelbar am Gestühle des Lehensherrn befand. Er trug den schlichten Talar der Wittenberger Gelehrten, um den Hals eine weiße getollte Krause. Markig, schlicht und klar war die Auslegung seines Textes, wie er für den Sonntag Invokavit in der Kirchenordnung vorgeschrieben war. Mit Ernst und Andacht folgte die ganze Gemeinde. Als er die Predigt schloß, ging ein leises Räuspern, das man bisher um der Predigt willen zurückgehalten hatte, durch die Kirche. Nun kam der zwanglosere Teil, auf den man heute allgemein gespannt war, die Abkanzelungen und die verschiedenen kirchlichen Verkündigungen.

Zunächst ward für einige Kindlein gedankt, die in der Gemeinde waren geboren worden, und der Propst sprach die Hoffnung aus, daß die Eltern sie alsobald zur heiligen Taufe bringen würden. Dann ward für einen greisen Fischer gedankt und ihm die ewige Ruhe gewünscht, der beim Fischen in den Oderfluten ein nasses Grab gefunden hatte. Da seine Leiche bald gefunden war, sollte sie am Montag der Erde übergeben werden, und der Propst sprach die Hoffnung aus, daß die Hechtreißergilde ihrem Zunftgenossen das letzte Geleit geben werde, worauf im Gestühle der Fischer und insbesondere der Hechtreißer ein allgemeines stummes Nicken erfolgte. Jetzt nahm der Propst ein besonderes Pergament auf, holte etwas tiefer Atem, und voll Spannung folgte die Gemeinde jeder seiner Bewegungen. Er begann:

»Nun habe ich unserer lieben Gemeinde zu Fryenwolde und allen Inwohnern der umliegenden Weiler und Dörfer noch eine besondere freudige Botschaft auszurichten. Es hat unserem wohledlen Lehensherrn, Herrn Werner von Uchtenhagen und seiner wohledlen Gattin, Frau Barbara von Uchtenhagen, wohlgefallen, die liebe Schwester und Schwäherin, das vieledle Fräulein Maria-Anna von Uchtenhagen, dem wohledlen Ritter, Herrn Otto von Krummensee auf Krummensee, zu verloben. Das vieledle Brautpaar bittet um die Fürbitte der Kirche und der Gemeinde, daß Gott in Gnaden auf sein Verlöbnis herabsehe. Unserer ganzen Gemeinde, der das Fräulein von Kindesbeinen an lieb und teuer ist, und die am heutigen Tage besonders des dahingeschiedenen vieledlen Vaters, des Herrn Albrecht von Uchtenhagen, und der teueren Mutter gedenkt, schließt sich aus lauterem Herzen dieser Fürbitte an. Möge es Gott dem Herrn gefallen, seinen Segen auf dieses Verlöbnis zu legen und das Herz der edlen Braut fröhlich und getrost bei dem Schritte machen, der über ihr ferneres Leben entscheiden soll. Möge der dereinstige Ehebund des edlen Paares in Gottvertrauen und gegenseitiger treuer Liebe zu dem Glücke führen, wie es unserem vielgeliebten Lehensherrn und seiner edlen Gattin beschieden ist. Zum Gedächtnis dieses Freudenfestes hat der Herr von Uchtenhagen seiner Kirche und Gemeinde wiederum gedacht und ihr im Malchow Malchow – heutige Malche, ein Tal bei Freienwalde, in dem sich heute noch zahlreiche Ziegeleien befinden. D. V. etliche Thonäcker und zween Ziegelscheunen verliehen und solches mit Privilegium bekräftiget, auf daß wir unser Gotteshaus St. Niklas bauen und bessern können vom eigenen Grunde. Die betr. Stellen lauten in der alten Urkunde wörtlich: »Ok schollen sie hebben den Malchow mit allem Rechte und mit allem Holte, und mit allem Aker und den Tins von dem Aker, so als die Holter und Aker ligen up der vorbenümbten Feldmark to Fryenwolde, utgenommen unsern Lehnschulten to Fryenwolde mit sinen Aker …«

Eine Ahnung, wie reich der Boden in und um Freienwalde war, hatte das Geschlecht der Uchtenhagens auch bereits, wenngleich die Eisenquellen des heutigen Badeortes erst unter dem Großen Kurfürsten, dem das Lehen später gehörte, nutzbar gemacht wurden, und unter dem Feldmarschall Derfflinger, der Besitzer des Alaunwerkes in der heutigen Malche war, erst der Boden seine Schätze hergab u. a. m. Bei allen Privilegien, die das Lehensgeschlecht dem Rat und der Kirche verliehen hat, behält es sich stets ausschließlich den Boden und seinen Nutzungswert vor. So auch im obigen Privileg, wo es heißt: »Wenn einige Nutzsamkeit up und under der Erden an Kalk, scholl Unser wesen, von Uchtenhagen, niemand anders. Wenn die stadt buwen wolte am Godeshus und anders, soll der Rath Uns darum bioden, wolen Em dat gern güunen, also se to ehre Noth bruken. Solen dat anders nich bethalen, man also det Arbetslohn kost. …
Gott der Herr segne diese Schenkung an seinem und unsern Herzen. Wir aber wollen dem vieledlen Paare zum Geleit unsere Segenswünsche mitgeben, indem wir Luthers Lied anstimmen:

Wohl dem, der in Furcht Gottes steht
Und auch auf seinen Wegen geht!«

Die Gemeinde griff zu den Gesangbüchern, Magister Bergner ließ die Orgel erklingen, und in hellen Tönen sang die ganze Gemeinde das Lutherlied, und die junge Braut merkte beglückt von dem allgemeinen Eifer, daß die Lehensleute von Fryenwolde ihr für das ernste Vorhaben von Herzen das allerbeste wünschten.

Von vollen Akkorden umbraust, verließ die Gemeinde das Gotteshaus, diesmal das junge Brautpaar voran. Der Ritter von Krummensee wollte hochaufgerichtet mit seinem schönen Bräutlein am Arme die wenigen Schritte bis zum Stadtschlosse weiterschreiten. Maria-Anna aber verhielt den Schritt. Er blickte befremdet auf sie hinab.

»Laß uns warten,« flüsterte sie ihm leise zu, »gar manche werte Meister der Gilden und Zünfte und ihre Eheweiber möchten uns jetzt einen guten Wunsch sagen. Ich möcht' sie nit kränken, indem ich stolz davongehe.«

»Ei,« sagte er ein wenig unwirsch, »sie sind mir ja alle fremd, laß sie doch in die Burg kommen. Ein Edelfräulein wird doch nit hier mitten im gemeinen Haufen stehen.«

»Das sind unsere Städter nit gewohnt,« gab sie mit freundlichem Ernste zurück. »Sei freundlich mit ihnen, sie wollen dir auch gern die Hand reichen.«

Er tat nach ihrem Wunsche, aber zwischen seinen Brauen stand eine Falte des Unmutes.

Sie hatte kaum die letzten Worte ihm zuraunen können, als auch der Schmied Lorenz mit seinem Eheweibe bereits herantrat, seine Kappe abzog und mit treuherzigem Gesichte seine mächtige Rechte bot.

»Gott gebe Euch vielen Segen, gnädig Fräulein, und laß Euch so glücklich werden, wie Herr Werner und Frau Barbara es in ihrer Ehe sind!« Etwas zögernd reichte er dann seine Rechte dem Bräutigam hinüber, aber der Ritter wußte, was die Artigkeit gebot, und Lorenz, der ein tüchtiger Waffenschmied war, war ihm zudem wohl bekannt. Während Frau Ursel vor der jungen Braut ihren Knix machte und mit herzlichen Worten ihre Glückwünsche aussprach, schüttelte der Ritter die Rechte des Meisters und rückte leicht an seinem Sammetbarette.

Herr Werner und Frau Barbara waren hinter dem jungen Brautpaare stehen geblieben und sahen mit beglücktem Gesichte zu, wie einer nach dem anderen von den wohlgekleideten Kirchgängern herantrat, seine guten Wünsche auszusprechen. Die geringen Leute standen in einiger Entfernung still, um neugierig dem Auftritte zuzuschauen.

Als sich die letzten Besucher vom Brautpaare verabschiedeten, öffnete sich die Tür der Sakristei und der Propst in Begleitung des jüngeren Prädikanten trat heraus, um nun ebenfalls dem Paare warme Segenswünsche auszusprechen.

Hatte der Ritter von Krummensee bisher nur mit einer gewissen Herablassung seine Hand dargeboten und mit der Linken ein wenig am Barette gerückt, so benahm er sich den beiden Geistlichen gegenüber ungleich artiger. Er erwiderte einige dankende Worte, und als Herr Werner und Frau Barbara die beiden Geistlichen baten, an der Mittagstafel in der Burg teilzunehmen, sprach auch er seine Freude aus, die Herren wiederzusehen.

Die beiden Geistlichen verabschiedeten sich einstweilen, um in der nahegelegnen Propstei noch erst vorzusprechen und der Ehegattin Botschaft zu überbringen, daß Herr Werner sie geladen habe. Dann reichte dieser Frau Barbara den Arm und führte sie in die Burg zurück. Der Ritter von Krummensee zeigte seinem Bräutlein lachend seine Rechte und sagte: »Bald haben mir die Meister die Finger zerquetscht, so haben sie zugepackt.«

»Sie haben es aber von Herzen gut gemeint,« erwiderte die junge Braut, »wenn sie es auch an der guten Sitte hin und wieder fehlen lassen. Die Hand ist eben gar derb von der täglichen Arbeit geworden, eine Ritterhand braucht ja nit so schwer zu schaffen.«

Er meinte eine leise Mißbilligung seiner Worte bei aller Freundlichkeit herauszuhören, und so lenkte er rasch ein: »Ich glaub' schon, daß die Meister es in guter Meinung taten. – Aber wollen wir heute nach der Mittagstafel nit die Pferde satteln lassen und einen Ritt in die Wälder tun? Ist völlig Lenzessonnenschein heute am Himmel, da wird es mir eine Lust sein, mit meinem Bräutlein durch den Tannenwald zu reiten.«

Sie sah mit strahlenden Augen zu ihm auf, denn so ritterlichen Künsten war sie von Herzen zugetan, und in frohem Geplauder schritt das nun vor aller Welt verlobte Paar die breite Treppe zu den Burggemächern in die Höhe.

 

IV.

Ein klarer Märztag lag über dem Städtlein, als eine Schar stattlicher Ritter auf reichgeschmückten Rossen nach Burg Malchow hinaufritt. Um die Mittagsstunde öffneten sich auch die Türen des unfern von St. Niklas gelegenen. Rathauses, und der Rat der Stadt begab sich ebenfalls, gewichtigen Schrittes und in würdiger Kleidung, auf Herrn Werners Burg. Unter ihnen befand sich auch der Schmied Lorenz. Die Ratmänner wußten, was an dem heutigen Tage Wichtiges sollte verhandelt werden. Herr Werner hatte ein Pergament gesandt und den Rat feierlich zu sich entboten, um ihm Kunde zu geben von der beabsichtigten Teilung der Güter zwischen seinem jüngeren Bruder und ihm. Die wichtige Verhandlung fand aber nicht im Stadthause, sondern oben auf Burg Malchow statt. Dort befand sich auch die Burgkapelle, in der die Grabplatten und Steinsarkophage der Vorfahren lagen. Ein Gottesdienst sollte das wichtige Vorhaben einleiten, anders tat es Herr Werner nicht. Der Propst war hinaufgebeten worden, und die Freunde des Ritters, angesehene Lehensherren aus der weiteren Umgegend, die Familie und darunter auch Ritter Otto von Krummensee, sowie die Herren vom Rate versammelten sich zu kurzer Andacht in der Kapelle, um sich dann in den hochgewölbten Rittersaal zu begeben, wo alle an der mächtigen Eichentafel in der Mitte des Raumes Platz nahmen. Herr Werner nahm den Ehrenplatz oben an der Tafel ein in einem schön geschnitzten Eichenstuhle mit dem Wappen des Geschlechts. Neben ihm hatte Ritter Hans Platz genommen und an seiner Linken, als der nächste in Betracht kommende Erbe, der kleine Junker. Daran reihten sich von der einen Seite die Freunde des Ritters, an der anderen die Ratsherren. Die Frauen der Familie hatten in einer Nische hinter dem Lehensherrn Platz genommen, und der kleine Junker warf ihnen hin und wieder einen ängstlichen Blick zu. Er fühlte sich bedrückt von der Gegenwart all dieser ernsten Männer, unter die er gereiht war, und er verstand noch nicht ganz, was so Wichtiges denn heute besprochen wurde.

Herr Werner erhob sich mit tiefem Ernst in den Zügen, stützte die Rechte auf den Tisch und begann in ernsten, wohlgesetzten Worten den Männern Mitteilung von seinem Vorhaben zu machen und ihnen die Gründe für sein Tun darzulegen.

Da der Himmel ihm einen Sohn und Erben versagt habe, seines Herzens Neigung auch dahin stehe, der Gelehrsamkeit zu pflegen, auch ein leiblich Gebresten ihm ratsam erscheinen lasse, sich des vielen Reitens zu enthalten, so sehe er darin einen Wink, dem jüngeren Bruder die Lehensherrschaft zu übertragen und die Güter so zu teilen, daß Herr Hans von Uchtenhagen Fryenwolde mit Dörfern, Weilern und allen Inwohnern erhalte, während er selber auf Burg Nienhagen hausen wolle. »So es Gott und euch, lieben Freunde, gefällt,« schloß er seine Rede, »wollen wir heute dieses Vorhaben erb- und eigentümlich machen; demzufolge haben wir heute die Teilungsurkunde aufgesetzet und wollet ihr alle darin Einsicht nehmen. Unsere Herren vom Rat mögen sodann Bedenken und Wünsche uns kundgeben, und mein herzlieber Herr Bruder wird ihnen kundtun, wie er die Privilegien und Rechte der Stadt und der Kirche zu wahren gedenkt. Wollet dann euer Siegel und Zustimmung zu unserem Vorhaben geben, lieben Freunde, darauf so wird Botschaft an unseren gnädigen Herren zu Cöllen gesandt und der Herr Kurfürst um seine landesherrliche Bestätigung unseres Vorhabens ersuchet werden. Doch kann ich es heute schon künden, daß unser Tun dem gnädigen Herrn wohlgefällig ist und er voll Huld mir zu wissen tat, er werde sonder Weilen sein kurfürstlich Siegel unserem Pergament anhängen lassen. Den Lenz und Sommer über gedenke ich noch auf Burg Malchow zu weilen und meiner viellieben Schwester Hochzeit hier auszurüsten. Gegen das Michaelisfest will ich Burg Malchow dann meinem Herrn Bruder einräumen und mit den Meinen Burg Nienhagen beziehen. Wie mein Herr Bruder dann der Lehensgeschäfte pflegen will, wird er den Freunden nun kund und zu wissen tun.«

Herr Werner ließ sich in seinen Lehnstuhl sinken, und nun erhob sich Herr Hans von Uchtenhagen. Er fügte in derselben Weise, wie sein Bruder es getan, die Versicherung hinzu, daß er die von seinen Vorfahren der Stadt und der Kirche von Fryenwolde verliehenen Rechte hochhalten werde und diesen Privilegien, so Gott seiner Lehensherrschaft Segen gäbe, noch fernere hinzufügen wolle.

Seine Rede floß ihm nicht ganz so glatt von den Lippen, wie es bei Herrn Werner geschehen war. Man merkte, er war des öffentlichen Redens weniger kundig als sein gelehrter Bruder, aber das Wohlwollen hörten die Ratsherren der Stadt doch durch seine Worte hindurch.

Darauf ergriff er das Pergament, das Herr Werner ihm reichte, und las die Teilungsurkunde den gespannt lauschenden Zuhörern vor. »Dafern dies nun auch euer Wille ist, so wollen wir das Pergament mit unserem Siegel versehen.« Er legte das Schriftstück nieder und blickte im Kreise umher.

Da erhob sich der greise Ritter Jochen von Buch und fragte, welchen Teil der Güter denn die junge, noch unmündige Schwester der Ritter als Heiratsgut erhalten solle.

Werner von Uchtenhagen erhob sich und setzte dem greisen Freunde auseinander, daß er mit Zustimmung der jungen Schwester und ihres Verlobten ihr das Heiratsgut in Goldgulden auszahlen wolle, weil Krummensee mit seiner Burg und den umliegenden Gütern zu fern vom Fryenwolder Lehen liege.

Der alte Ritter strich bedächtig seinen Bart und fragte, ob der Ritter von Krummensee seinem jungen Eheweibe denn schon ein Wittum ausgesetzt habe, für den Fall, daß er eines frühen Todes verbliche.

Der Ritter erhob sich und antwortete dem Bucher Lehensherrn: »Ihr denket weit voraus, Herr Ritter. Ich denke als ein gesunder Mann noch nit so schnell abzuscheiden, will aber, sobald meine vielliebe Braut mein Eheweib worden ist, das Pergament aufsetzen lassen.«

»Euer Vorhaben ist wohl gut,« sagte der greise Ritter, »doch will ich Herrn Werner und Herrn Hans als väterlicher Freund gebeten haben, der Schwester Erbe nit nur in Goldgulden zu zahlen, sondern ihr das Jagdhaus zu Sonnenburg und einiges an Aeckern und Wiesen als Leibgeding' zu verschreiben, dann ist ihr ein Wittum verblieben, das ihr niemand entreißen kann. Goldgulden und Joachimstaler sind rund und in Kriegs- und Fehdezeiten auch bald geraubt, Grund und Boden und ein Heim darauf liegen fest. Lasset es euch nicht verdrießen, lieben Ritter,« fuhr er, zu Herrn Werner und Herrn Hans gewendet, fort, »daß ich euch daran mahne. Lang ist das Leben und viel der Wechselfälle der Zeiten, die hinter mir liegen, und das jüngste Töchterlein Herrn Albrechts und Frau Kunigunds ist mir lieb wie mein eigen Fleisch und Blut.« Damit sandte er einen freundlichen Blick zu der jungen Braut hinüber, die ihn mit herzlichem Nicken ihres blonden Hauptes erwiderte. Auf der Stirne des Ritters von Krummensee aber stand eine tiefe Falte.

Herr Werner erhob sich und bedeutete Herrn Jochen, daß das Agnes-Gertruden-Stift in Fryenwolde jederzeit Raum für die Frauen aus dem Geschlechte derer von Uchtenhagen biete und Maria-Anna somit durch keine Wechselfälle des Lebens ohne ein Heim sei. Trotzdem werde er mit Zustimmung von Herrn Hans, der jungen Braut und ihres Verlobten das Jagdhaus Sonnenburg mit Aeckern und Wiesen vom Lehensbesitz absondern. Sie könne dann als junge Edelfrau mit dem Gemahl dort weilen, um der Reiherjagd am Baasee zu pflegen.«

Hans von Uchtenhagen erhob sich, um auch seinerseits diesem Vorschläge zuzustimmen und die Versicherung hinzuzufügen, daß diese Teilung besonders zu Pergament gebracht werden solle und ebenfalls dem Kurfürsten zugeschickt werden würde.

Darauf erhob sich der Propst, der von einem Pergamente die zuletzt der Kirche verliehenen Privilegien Siehe die Fußnotiz auf Seite 38. ablas und dann die Frage an Hans von Uchtenhagen richtete, ob er diese der Kirche von St. Niklas bestätigen werde.

Herr Hans erhob sich sofort, um noch einmal zu bekräftigen, daß alles, was sein Bruder der Kirche verliehen und zugesichert habe, auch von ihm gehalten und bekräftigt werden würde.

Auch der erste Ratmann stand auf, um bezüglich der in den letzten Jahren von Herrn Werner zugewiesenen Rechte Vergl. die Verlesung der Privilegien vor dem Kurfürsten Johann Georg. den neuen Lehensherrn zu fragen. Es war eine Förmlichkeit, aber der vorsichtige Rat der Stadt wollte diese Zusicherung noch einmal in Gegenwart dieser vollwichtigen Zeugen haben.

Abermals erhob sich Hans von Uchtenhagen, um, die Hand am Schwerte, mit fester Stimme zu bekräftigen, daß die Stadt alle Rechte und Privilegien ungeschmälert behalten solle, und werde er dies durch Pergament, bevor er seine Lehensherrschaft antrete, der Kirche von St. Niklas und der Stadt noch einmal gewährleisten.

Jetzt wurde keine Stimme in dem Kreise mehr laut, und Herr Werner ergriff den Gänsekiel, um in starken, schön geschwungenen Buchstaben seinen Namen unter das Pergament zu setzen. Ihm folgten Hans von Uchtenhagen und die Ritter Jochen von Buch auf Stolpe, Matthias von Arnim auf Biesenthal, Jochen von der Schulenburg auf Löpenitz, Eustachius von Schönebeck auf Dölzig, Otto von Krummensee auf Krummensee, dann unterschrieben der Propst und die Ratmänner.

Herr Werner ergriff eine Glocke, und ein alter Waffenknecht brachte einen schön getriebenen Leuchter mit brennender Wachskerze herein, den er nebst einem Kasten vor Herrn Werner niedersetzte. Herr Werner öffnete mit einem Schlüssel den Eisenkasten und entnahm ihm das mächtige Siegel des Geschlechtes. Ein großes Stück gelben Wachses wurde am Kerzenlicht erwärmt und damit die Ecken der Teilungsurkunde festgesiegelt, in die dann das Geschlechtswappen eingedrückt wurde. Frau Barbara brachte einen schön geschnitzten flachen Holzkasten, dahinein ward die fertige Urkunde gelegt und sollte am folgenden Tage durch Hans von Uchtenhagen selbst zum Kurfürsten nach Cöllen gebracht werden.

Der wichtige Akt war vorüber, und Herr Werner und seine Ehefrau entboten mit freundlicher Ladung alle Zeugen zu einem festlichen Mahl in den Speisesaal hinunter. Dort herrschte bald eine fröhliche Stimmung, nur auf der Stirne des Ritters von Krummensee lag es wie eine Wolke, und er war trotz der guten Gerichte und des edlen Rheinweines, der heute in den Gläsern funkelte, bei der Tafel sehr einsilbig. Die junge Braut merkte heute seine Verstimmung nicht. Sie saß neben ihrem väterlichen Freunde, dem Ritter Jochen von Buch, und er erzählte ihr soviel Fröhliches von seinen Kindern und Enkeln, daß sie oft herzlich lachte.

 

V.

Das Auferstehungsfest nahte heran. Auf der Landstraße, die der kurfürstlichen Residenz Cöllen zuführte, ritt in stattlicher, reichgeschmückter Kleidung Ritter Hans, von mehreren Waffenknechten begleitet. In wenigen Stunden mußten sie die Stadt erreicht haben, wo Kurfürst Johann Georg Hof hielt.

Soeben hatten sie ein Dörflein hinter Bernow durchritten, als sie an einem Felde vorüberkamen, auf dem ein Bäuerlein mit zwei Kühen pflügte. An einem Pfahle des begrasten Wegrandes war ein schlicht gesatteltes Roß angebunden. Es schnupperte am Boden umher, fand aber nur wenige frische Grasspitzen, da das Wetter noch kalt und der Boden mager war. Ein Reiter schien soeben von dem Gaule heruntergestiegen zu sein. Er kam dem Ritter Hans und seinen Begleitern entgegen und schien im Begriffe zu sein, das pflügende Bäuerlein aufzusuchen.

Ritter Hans, in Gedanken versunken, ließ in dem aufgeweichten Wege sein Roß im Schritte gehen, als einer der alten Waffenknechte, über dessen stark gebogener Nase ein Paar scharf in die Ferne witternde Augen funkelten, sein Roß an die Seite seines Ritters trieb.

»Herr Ritter,« flüsterte er hastig, indem er seine Kappe abzog, »glaub' nit, daß mein Aug' mich täuscht, aber der Reiter im braunen Lederkoller, der dort schreitet, ist Seine kurfürstliche Gnaden selber, darauf verwett' ich gleich meinen Gaul.«

Erschrocken fuhr Ritter Hans in die Höhe. »Bist nit bei Troste, Bartel,« brummte er, »wie sollt' der Herr Kurfürst hier fern von der Residenz herumreiten!«

»Wär' doch nit das erste Mal, Herr Ritter,« erwiderte der alte Knecht, »der gnädig' Herr schaut doch allweil' zum Rechten und ist unerkannt schon in mancher Bauernhütte gewesen!«

Der Ritter spähte scharf nach dem Felde hinüber. »Kennst ihn denn so genau, Bartel?« fragte er.

»Das will ich meinen, Herr Ritter, bin mit Herrn Werner und Euch doch oft genug zu Hofe geritten und hab' viele Jahre zu Stettin gelebt, wo der Herr Kurfürst noch als Prinz beim Markgraf Johann weilte.«

Der Ritter hielt sein Pferd an. »Wenn du recht hast, so will der Herr Kurfürst sicher nit, daß wir ihn heut erkennen, dann möcht' er unerkannt allerlei erkunden. Laß uns fürder reiten!«

Sie waren aber noch keine halbe Stunde vorwärts getrabt, als der Reiter im braunen Lederkoller, der wie ein schlichter Landsknecht aussah, sie einholte. Die jüngeren Waffenknechte ließen ihn ruhig vorüberreiten, und Bartel dachte der Worte seines Herrn.

Der Reiter aber lenkte sein Roß an die Seite des voraustrabenden Ritters, und bald sah die Begleitung, daß beide in ein lebhaftes Gespräch vertieft waren, nachdem sie kurz ihre Federhüte gerückt hatten.

Den alten Knecht trieb die Neugier wohl, sein Pferd näher heranzulenken, andererseits hatte er aber auch Scheu, sich eine Rüge seines Ritters zuzuziehen. Er konnte endlich seinem Gelüste nicht mehr wehren und teilte den anderen Knechten halblaut seine Vermutung mit. Die Knechte spitzten die Ohren und drängten ihre Rosse näher an Bartel heran.

»Ist wohl nit die Möglichkeit,« sagte ein zweiter Graubart, der erst kürzere Zeit in Herrn Hans Diensten stand und aus dem Frankenlande gekommen war. »Was hat denn der Herr Kurfürst ohne Waffenknechte hier auf der Landstraße zu schaffen?«

»Er will halt seine Leut' kennen lernen,« erwiderte Bartel. »Der Bauer liegt ihm am Herzen, und daß es dem Garten- und Ackerbauer, den Gewerken und Künsten wohlgehe, ist sein eifrig Mühen. Wirst halt sehen, wie am Schlosse zu Berlin gebaut wird. Die Festungen wachsen im Lande, dazu erstehen etliche gar schöne Jagdschlösser in seinen Forsten. Daß es Land und Leuten wohlgehe, dafür arbeitet der kurfürstliche Herr, und wenn seine Leut' glauben, er sitzt daheim zu Cöllen oder pflegt der Jagd, so ist er unerkannt an manchem Ort in der Mark und hört und sieht selber, wie es die kurfürstlichen Räte und Diener treiben. Drum fehlt es auch nit an strengem Gesetz und an Gerechtigkeit vor dem Richterstuhle, und so werden auch der Schulden weniger, die unser Herr Kurfürst Joachim durch seine Neigung zu Glanz und Pracht über die Mark gebracht hat. Eine halbe Million hat der Herr Kurfürst allein gezahlt. Adel und Geistliche fast siebenmalhunderttausend Taler, ebensoviel die Städte, und seit auch die Neumark nach des Herrn Markgrafen Johanns Tode unserem kurfürstlichen Herrn zugefallen ist, hat ihr Reichtum geholfen, den Rest der Schuld zu zahlen. Daß die Mark so in Geldnot kommen ist, des ist der Schuft, der Lippoldt, schuld. Er war des seligen Herrn Kurfürsten Kämmerling und so schlau und voll Hinterlist, daß der gnädig Herr nimmer gewußt hat, wie er Wucher trieb. Weißt nit, daß allerorten das Gered' ging, er hätt' den Herrn Kurfürsten mit giftigem Wein zu Tode gebracht? Da hat unser Herr Johann Georg kein Erbarmen gekannt. Das Weib des Juden hat ihn ja selbst verraten, und der Herr hat in seinem Zorn ihn und alle, die zu seinem Hause gehören, aus dem Lande getrieben. Er ist sehr gut, aber weh', wer dem kurfürstlichen Herrn will an den Wagen fahren. Just so ist unser Herr, der Herr Werner, und drum ist er auch unseres Herrn Kurfürsten liebwerter Freund. Bin oft mit meinem ritterlichen Herrn zu Hofe geritten, und der Herr Kurfürst hat mit ihm und dem Herrn Kanzler Distelmeier beraten, was zu des Landes Wohlfahrt sei!«

Lange noch erzählte der alte Knecht den lauschenden Genossen von seinen Erinnerungen. Dann aber, als die beiden Reiter vor ihnen die Rosse scharf ausgreifen ließen, weil die Landstraße besser geworden war, gaben auch die Knechte den Gäulen die Sporen, und bei dem scharfen Reiten mußte die Unterhaltung verstummen.

Es war um die Mittagsstunde, als sie in Cöllen einritten. Als sie das Tor hinter sich hatten, trennte der Begleiter sich von dem Ritter von Uchtenhagen und trabte durch ein Gäßlein an der Mauer davon. Der Ritter und sein Gefolge aber trabten der Spree zu, und bald hatten sie die kurfürstliche Burg erreicht, an der eine Menge Werkleute geschäftig waren, einen gewaltigen Flügel mit festen Türmen anzubauen. Vor einer unfern des Schlosses gelegenen Herberge hielt der Ritter an, und als der Wirt eilfertig herzusprang, bedeutete er ihm, daß er auf ein Stündlein absteigen wolle, um einen Imbiß einzunehmen, auch den Rossen sei Hafer und ein Trunk vonnöten. Bartel erhielt von seinem Ritter den Auftrag, nach einer Stunde das Roß wieder vorzuführen und sich selbst mit einem zweiten Waffenknechte bereit zu halten, ihren Herrn zu Roß in die kurfürstliche Burg zu geleiten. Bartel hielt dem Ritter den Steigbügel, als er abstieg, und trug ihm dann ein Kästchen nach, als er die Herrenstube betrat. Nach kurzer Zeit saßen die drei wieder auf und trabten bald durch das große Burgtor in den Hof des Schlosses, das Markgraf Johann Georg bewohnte. Während die Waffenknechte unten bei den Rossen verblieben, stieg der Ritter die breite Steintreppe hinan. Ein kurfürstlicher Diener brachte den ihm wohlbekannten Ritter in eines der oberen Gemächer, wo er ihm einen Lehnstuhl zurechtrückte, um dann, wie ihm geheißen, dem Kurfürsten die Meldung von des Ritters Ankunft zu überbringen.

Er kehrte bald zurück mit der Botschaft, der Herr Kurfürst lasse den Ritter zur Mittagstafel entbieten, zu der heut auch der Herr Kanzler geladen sei, vorher wolle der Herr Kurfürst ihn noch in seinem Kabinette sprechen. Während dieser Meldung des Dieners trat ein kurfürstlicher Kämmerer herein und forderte den Ritter auf, ihm zu folgen. Ritter Hans nahm das in einem flachen Kasten wohlverwahrte wichtige Pergament, um das er gekommen war, mit sich, und bald stand er in dem hohen Schloßgemache dem Kurfürsten Johann Georg gegenüber. Der Kämmerer zog sich zurück, und als Ritter Hans mit einer tiefen Verneigung an der Tür stehen blieb, erhob sich der Kurfürst und trat dem Ankommenden einen Schritt entgegen. Ein leichtes Lächeln lag auf seinem bärtigen Antlitz, und die großen blauen Augen musterten forschend den Ritter.

»Seid mir willkommen, Herr Ritter von Uchtenhagen,« sagte er mit einer Handbewegung voll fürstlicher Hoheit, »wie lange ist es her, daß ich zuletzt Euer Antlitz sah?«

»Der Monde sechs, kurfürstliche Durchlaucht,« erwiderte Hans von Uchtenhagen mit einer abermaligen Verneigung, »als ich im Auftrage des Lehensherrn von Fryenwolde Euer kurfürstlicher Gnaden Briefe und Pergamente zu bringen hatte.«

Das Lächeln im Antlitze des Kurfürsten verstärkte sich. »Mich will bedünken, als hätt' ich Euer Antlitz erst kürzlich erschaut, doch trügt mich dann wohl mein Sinn. Was ist heute Euer Begehr, und wie ergeht es Herrn Werner, Eurem edlen Bruder?«

»Dank der gnädigen Nachfrage, kurfürstliche Durchlaucht, Herrn Werner und seinem Hause geht es wohl, und seines Herzens Begehren ist, daß kurfürstliche Gnaden seiner Entscheidung in Sachen des Fryenwolder Lehens huldvoll und gewogen sein möchten und mit kurfürstlichem Insiegel die Teilung des Lehens bestätigen mögen.«

»Wir wollen nach dem Mittagsmahl Einsicht in das Pergament nehmen, auch Distelmeier ist heute zugegen. Wollet Ihr heute das Pergament schon mit Euch nehmen, oder gedenket Ihr die Nacht zu Cöllen zu weilen?«

»So kurfürstliche Gnaden am Pergamente nichts aussetzen, wäre es wohl mein Wunsch, noch heute abend heim zu reiten. Die Aecker der großen Herrschaft bedürfen jetzt zur Frühjahrszeit der ständigen Gegenwart des Gutsherrn.«

Der Kurfürst nickte. Die wirtschaftliche Sorge des Ritters gefiel ihm wohl. »So reicht mir das Pergament!«

Der Ritter öffnete die Umschnürung und reichte mit einer Verbeugung dem Kurfürsten die siegelbehangene Teilungsurkunde.

In dem Augenblicke tönte hell das Läuten einer Glocke durch die Gänge des Schlosses. Ein Kämmerer trat ein und meldete, daß die Mittagstafel gerüstet sei. Auf einen Wink des Kurfürsten aber trat er zurück.

»Wir wollen sie nachher prüfen,« sagte er zum Ritter und schloß die Urkunde in einen mächtigen Eichenschrank. »Wollet meiner im Speisesaale warten, Herr Ritter.« Mit einer leichten Handbewegung, die den Ritter Hans verabschiedete, begab sich der Kurfürst durch eine Seitentür in die Gemächer seiner Gemahlin, und Hans von Uchtenhagen folgte dem Kämmerer in den Speisesaal.

Hier wurde er von einigen ihm wohlbekannten Rittern des Hofes begrüßt; dann begab er sich eiligen Schrittes zu einem weißbärtigen Herrn hinüber, der, die Hände auf den Rücken gelegt, wartend an einem der hohen Saalfenster stand und auf die Spree hinabschaute, auf der ein lebhafter Schiffsverkehr herrschte.

Es war der greise Kanzler der Mark Brandenburg, der sich schon unter Joachim II. als ein treuer Ratgeber bewährt hatte, und den auch Kurfürst Johann Georg in seinen Diensten behalten hatte. Auf den ehrerbietigen Gruß des Uchtenhageners wandte sich der Kanzler um und bot mit einem freundlichen Lächeln dem Ritter die Rechte.

Als dieser dem alten Herrn kaum den Grund seines heutigen Erscheinens am kurfürstlichen Hof erklärt hatte, öffneten die Kämmerer schon eine hohe Flügeltür, und die Ritter stellten sich eilend auf, um das kurfürstliche Paar mit einem kleinen Gefolge von Damen und Herren zu begrüßen. Der Kurprinz Joachim Friedrich war nicht bei den kurfürstlichen Eltern, und Ritter Hans erfuhr an der Tafel auf seine leise Frage, daß er wieder in Magdeburg weile, wo er das Erzbistum verwalte.

Fast bürgerlich schlicht war die kurfürstliche Mittagstafel. Sie begann mit einem Tischgebete, das der Kurfürst wie ein anderer schlichter Hausvater sprach, und war in kurzer Zeit beendet, kräftige Wildbraten und Gemüse waren ihr Hauptbestandteil, die der fürstliche Herr mit heiterer Unterhaltung würzte. Dann geleitete der Kurfürst seine Gemahlin wieder in ihre Gemächer und entließ die Ritter, nachdem er den Kanzler und Ritter Hans gebeten hatte, ihn in seinem Kabinette zu weiterer Zwiesprache zu erwarten.

Bald trat er dort wieder ein und ließ sich in seinem geschnitzten Schreibsessel nieder, nachdem er leutselig die beiden Ritter bedeutet hatte, in den Ledersesseln am Tische Platz zu nehmen. Auf sein Geheiß las der Kanzler die Teilungsurkunde der Brüder von Uchtenhagen mit allen Privilegien und Rechten, wie sie der Kirche und dem Rate für das Städtlein verliehen waren, langsam und gemessen vor. Aufmerksam hörte der Kurfürst zu und richtete an einigen Stellen Fragen an Hans von Uchtenhagen. Jetzt kamen zwei der letzten Privilegien an die Reihe, die der Kirche von St. Niklas und dem Rate verliehen waren. Beifällig nickte der Kurfürst, als der Kanzler aus dem Privilegium für St. Niklas las:

 

(Alte Lesart nach der Chronik.)

... Ok schollen sie hebben den Malchow mit allem Rechte und mit allem Holte und mit allem Acker und den Tins von den Acker, so als die Holter und die Acker liegen up der vorbenümbten Feldmarkt von Fryenwolde, utgenom unsern Lehnschulten to Fryenwolde mit seinen Acker. Ok willen wy vorbeholden frye Holtunge in dem vorbenümbten Holte tu bewende, to brennende, to dammen, und so vele als wy es bedürwen to unser Noth. Ok sollen alle diese vorgeschrewenen Stücke unschedlich syn, dem Kietze und dem Tornow an ehren Holten und an ihren Grentzen, als sie sie vorgehofft hebben. (Kietz und Tornow, 2 kleine Landgemeinden vor den Toren von Freienwalde, sollen ihre eigenen Rechte behalten.)

 

Zum Schlusse des Privilegiums, das dem Rat und den Bürgern der Stadt zahlreiche Freiheiten verlieh, hieß es:

 

… Ok willen wir günnen einen jeglichen wahrhaften Bürger to Fryenwolde, dat he möge hawen Rieß, Strewel, Rohr und Gras also we er bedarf zu siner Noth in dem Brucke, unschedlich dem Kietz und Tornow, an ihren Wehren. Ok sollen die von Kietz und Tornow Stawelen (Stoppeln, Staffeln, Baumstümpfe, Reisig) halen in der Stadthölter, als vele sie der bederwen to ehren Netten (Netzen) und to eren Secken, alse sie tragen können up eren Rüggen.

Wenn einicher Enwohner buwen wolte, so schollen sie bidden den Rath zu Fryenwolde, so scholl em der Rath geben Holt ut den Elsholte, dat da schütt ut den Oderbrucke, also vele als sie bederwen to eren Gebüden.

Wenn einige Nutzsamkeit up und under der Erden an Kalk, scholl unser wesen, von Uchtenhagen, niemand anders, soll der Rath uns darum bidden, wollen Em dat gerne günnen, also se to ehre Not bruken, sollen dat anders nich bethalen, man also det Arbetslohn kostet. Wehre et ok, dat wy oder unse rechte Erwen to Fryenwolde wohnen wollen, so schollen si da freye Wohnung hebben. Ok wollen wy vorbenümbt von Uchtenhagen und unse rechte Erwen beholden Geboht und Herrschap up der vorbenümbten Stadt Fryenwolde, alse wy det von Olders gehabt hebben.

Von alle desse vorgeschrewene Stücke und Articuln, da wy ehegenannte von Uchtenhagen und unse rechte Erwen unse Stadt Fryenwolde mit begnadet und vereignet hebben; So soll uns die vorbenümbte Stadt Fryenwolde und ehre insittender Rath und ehre Nachkommlinge, die nach ehm in den Rath kahmen, von Jahr to Jahren geben und bethalen, jährlicke Renten, alle Jahr achtundvierzig Schock bemische Groschen, nemlich vier und Twintig Schock up Sankt Mertens Dage und die anderen 24 Schock up Sant Walpurgis Dage. Ok schollen sie die Stadt und dat Godeshus buwen und betern nach unserm Rade.

Dat wy alle diese vorgeschrewenen Stücken Articuln von Uns und unsen Erwen unverrückt holden, hebben wy to tügen und betern Bekenntnus und Willen unser Insiegel laten hangen an dessen Briewe. Gegewen to Fryenwolde na Godes Geburt Fivteinhundert Jar, darnach in dem fiv und sebentigsten Jar, am 18. des Lenzmonds.

 

Der Kanzler aber richtete, als er das Schriftstück zu Ende gelesen hatte, das kluge Gesicht auf Herrn Hans und fragte: »Habt Ihr Euch da nit zu sehr Eurer Vorrechte begeben, Herr Ritter? Wenn es auch ein rühmlich Tun ist, der Kirche zu gedenken, so ist doch dem Rat und den Zünften nit zu trauen, wenn der Freiheiten zu viele werden, so Ihr ihnen verleihet. Begehren die Gewerke, so sie reich werden und die Privilegien in den Händen haben, doch selbst gegen den Herrn Kurfürsten auf. Wär' nit wohlgetan, wenn das Städtlein Fryenwolde, so sein Gedeihen ganz Eurem Geschlechte verdanket, Euch eines Tages die Tore schließt oder den Zins kündigt.«

»Uns verbleiben der Güter genug,« versetzte der Uchtenhagener. »Der Kirche und dem Rat ist wohl worden manch ein Nießbrauch von Grund und Boden und Waldungen zugeschrieben, doch haben wir den Grund selbst allzeit dem Geschlechte vorbehalten. Der Rat bleibet nach wie vor auf den Lehensherrn angewiesen und muß ihm untertänig sein, das ist in Privilegien der Vorfahren schon lange verbriefet und versiegelt worden. Die Schenkungen hat Herr Werner der Kirche und dem Rat zugesagt, und ich will sie halten, solang der Herr im Himmel mir Leben und Herrschaft lasset!«

»Führet nur ein gleich streng und gerecht Regiment, Herr Ritter,« sagte der Kurfürst, »wie Herr Werner, mein liebwerter Freund, es bisher tat. Aber Distelmeier hat recht, auf die Krämer und Zünfte müsset Ihr fest den Daumen drücken, sie können nit genug an Ueppigkeit zeigen. Hab' heut wieder einen Hochzeitszug unter Bürgersleuten erschaut, da ich an der Stadtmauer entlang ritt, wo die Brautleute und ein groß Teil der Hochzeiter in seidenen Strümpfen und mit viel Geschmuck dahergingen. Daß doch alles muß auf den Leib gehänget werden, um üppig Wesen vor den Nachbarn zu zeigen! Fleißig sind meine Märker, des muß ich sie rühmen, aber zu lustigem Leben juckt sie immer der Taler in der Hand, daß sie ihn nit mögen in die Truhen legen!«

Der Kanzler lächelte fein, als der Kurfürst so seine einsamen Streifereien unter dem Volk erwähnte. Solche Ueppigkeit seiner Untertanen ärgerte den sparsamen Kurfürsten immer gewaltig.

»Doch der Ritter hat Eile,« fuhr der Kurfürst fort, »wollet daher unsere Bestätigung aufsetzen, Herr Kanzler. Schon vor Monden habe ich mit Herrn Werner beraten, was die Teilung seines Lehens angehet. Herr Hans wird gar ein sorgsamer Hauswirt sein, und so nun Herrn Werner Muße bleibt zum Studium der Wissenschaft, gedenke ich an ihm einen treuen Ratgeber zu gewinnen, der öfter am Hofe weilen kann und auch Euch, Herr Kanzler, von etlichen Eurer schweren Pflichten entlastet. Ich hoffe Eures treuen Rates noch lange zu genießen und möchte Eurer Kräfte schonen,« schloß der kurfürstliche Herr mit gütigem Tone.

»Ich danke Eurer kurfürstlichen Durchlaucht ob der gütigen Fürsorge,« erwiderte der greise Kanzler mit ehrerbietiger Verneigung; dann griff er nach dem Gänsekiel und setzte nach des Kurfürsten Worten den neuen Lehensakt auf:

» Wir Johann George, von Gottes Gnaden Markgraff zu Brandenburg, heiligen Römischen Reiches Erzkämmerer und Kurfürst, Preußen, Stettin-Pommern, der Kassuben, Wenden, Schlesien, zu Krossen Hertzogk, Burggraf zu Nürnberg, Fürst zu Rügenn. Daß Wir nach todtlichem Abgang von weiland dem Hochgeborenen Fürsten Herrn Joachims, Markgraffen zu Brandenburg etc. Unserm in Gott ruhenden freundlichen, lieben Herrn und Vater hochlöbliche Gedächtnus, Unserm lieben Werner und Hansen, Gebrüder von Uchtenhagen, dem Albrecht von Uchtenhagen seligen Sohnenn und Ihren mennlichen Leibeserben auf Ihr underthenigs und fleißiges Bitten alle und jegliche ihre Lehen und Guetter, wie sie und Ihre Vater und Voreltern die von unserinn Vorfarenn Fürstenn und Fürstin zu Brandenburg zu Lehen und gesambter Handt besessen, zu rechten Mannlehenn und gesambter Hand gnediglich geliehen habenn. Auch befestigen und bestetigen Wir Inen alle Ire Gerechtigkeit, Freiheit und guete Gewohnheit und alle Ire Briefe, die Sie und die Iren über solche Gerechtigkeit, Freiheit und gute Gewohnheit gehabbt, besessen und nun an uns Recht und Redelich gebracht haben, also daß die Herrschap und das Geboht, so Werner von Uchtenhagen besessen, dem Hansen und seinen mennlichen Leibeserben unverrücket erb- und eigentümlich sein soll, nach den Privilegii.

Auch gunnen wir Hansen von Uchtenhagen und seinen mennlichen Leibs-Erben, daß sie Gulden und Werke legen mögenn in ihrer Stadt Fryenwolde, auch daß sie die Strassen, die zu ihrer Stadt Fryenwolde zu und abgehenn, vorhegen und schutzen sollen und mogenn, wie daß ihr Vater, Voreltern, Vorfarenn seligenn gebraucht, besessen und an sie geerbet und gebracht habenn.

Zu Urkundt mit Unserm anhangenden Insiegell besiegelt und geben zu Cölln an der Spree, Mitwoch, am Tage Rupertus nach Christi, unsers lieben Herrn und Heilandts Gebuerdt, im funfzehenhundertsten und fünf und siebenzigstenn Jahr.«

»Wollet in Unserer Kanzelei das Pergament aufsetzen lassen, Herr Kanzler, und Uns zur Unterschrift und Siegel baldigst vorlegen lassen. Inzwischen pfleget der Ruhe, und auch Euch, Herr Ritter, soll der Kämmerer ein Gemach anweisen. Nach dem Vespertrunk wollen Wir unsere Unterschrift geben, auf daß der Ritter noch vor Abend den Heimritt antreten mag!«

Es geschah nach den Worten des kurfürstlichen Herrn. Als der Märztag sich zu Ende neigte und die letzten Strahlen der untergehenden Sonne die Kirchtürme von Cöllen und Berlin umglänzten, trabte Ritter Hans von Uchtenhagen nach gnädigem Abschied von dem Kurfürsten zum Tore hinaus und eilte in scharfem Ritt seinem Lehen wieder zu, das er mit Anbruch der Nacht erreichte.

 

VI.

Das Fest der Ostern war bei hellem Frühlingssonnenscheine gefeiert worden. Der Ritter von Krummensee hatte schon während der Karwoche und auch das Fest über auf Burg Malchow geweilt. Nun, nachdem die Festtage vorüber waren, trieb auch ihn die Sorge um die Bestellung seiner Aecker auf seine Burg zurück, und er hatte für längere Zeit Abschied genommen. Nach der Heuernte war die Hochzeit des jungen Paares geplant. Ritter Hans blieb noch für längere Zeit auf Burg Malchow, da Herr Werner sich wenig kräftig fühlte, bei der Bestellung der ausgedehnten Felder den ganzen Tag im Sattel zu sein. Auf Burg Nienhagen schaffte ein getreuer Vogt, und so konnte Herr Hans ohne Sorge sein, daß die Bestellung der Aecker, der Frühjahrsfischfang in der Oder und sonstige Arbeiten im Bruch und auf den weiten Besitzungen in guten Händen waren. Eine Muhme seines früh verstorbenen jungen Weibes, die seinem Haushalte vorstand, ward nötig im Haushalt ihrer verheirateten Tochter gebraucht, und so fügte es sich gut, daß der kleine Junker unter Frau Barbaras und der jungen Muhme Obhut war und mit den kleinen Basen bei dem Herrn Prädikanten in den Unterricht ging.

Oft schon hatte Frau Barbara in stiller Zwiesprache den Schwäher ermahnt, eine neue Ehe einzugehen, aber ihr Mahnen war bisher ohne Erfolg geblieben. Sein Herz konnte die erste liebreizende Gemahlin nicht vergessen, und er gestand der Schwäherin mit einem verlegenen Lächeln, daß er gegen die edlen Frauen zu schüchtern sei. In der ganzen Gegend wüßt' er auch kein Edelfräulein, das ihn dünke eine gute Mutter für den Junker Hans und die Nachfolgerin seines geliebten Weibes zu werden. Die Edelfräulein, die er kenne, liebten Reiherjagd, Turnier und Tänze, aber nicht das schlichte Walten einer minniglichen Hausfrau, wie die Verstorbene es gewesen.

Frau Barbara schüttelte zu solchen Reden bedauernd das Haupt und erwiderte, daß sie in Sorge sei um den kleinen trotzigen Junker, der linder Frauenhand sehr bedürfe. Wie der Schwäher sich das Leben hier auf Burg Malchow wohl denke, wenn sie auf Burg Nienhagen hausen würden und der kleine Junker nur der nachgiebigen Muhme und den Waffenknechten überlassen sei? Wenn der Vater der großen Lebensherrschaft wegen viel Reiten nötig habe, könnte er für seinen Knaben wenig sorgen. Herr Hans müsse fleißig Umschau tun und sich den befreundeten Ritterfamilien nicht so fern halten.

Der Ritter nickte dann wohl freundlich zu den Worten der Schwäherin und meinte lächelnd, daß er es sich überlegen wolle, dann aber bestieg er sein Roß und trabte mit dem Burgvogt und den Lehensschulzen auf die Besitzungen hinaus, und über den wirtschaftlichen Sorgen und den Arbeiten, die das Oderwasser im Frühjahre nötig machten, ward diese Frage nur zu schnell von ihm vergessen.

Herr Werner fühlte sich bei dem wechselnden Wetter, das der Lenz brachte, schon längere Zeit nicht wohl. Er sah sehr bleich aus, und der Medikus des Städtleins stellte ein erheblich Fieber fest und hatte Herrn Werner dagegen ein Tränklein verschrieben. Es wollte aber nicht recht helfen, und Frau Barbara schlug in ihrer Sorge vor, einen angesehenen Medikus aus Frankenvorde kommen zu lassen, an deren Universität es tüchtige Gelehrte gab. Herr Werner wollte davon nichts hören; sobald die kalten Winde vorüber seien und er die Sorge um die große Herrschaft ganz in des Bruders Hände gelegt habe, werde es ihm schon besser gehen.

Noch einmal, kurz nach dem Osterfeste, hatte Herr Werner die beiden geistlichen Herren, den Rat der Stadt und seine Lehensschulzen zu sich entboten, hatte ihnen die neue Lehensbestätigung durch den Kurfürsten vorgelegt und sie mit den neuen Grenzen bei der Verteilung der Güter bekannt gemacht, daß Fryenwolde mit seinen umliegenden Gütern, vom Michaelisfeste des Jahres an, Herrn Hans und seinen Erben für immer erb- und eigentümlich sei, er selbst die Güter um Nienhagen behalten werde und die junge Schwester das Jagdhaus Sonnenburg mit den umliegenden Forsten und dem Baasee und einigen Aeckern und Wiesen erhalten solle. So bliebe seinen Untertanen Zeit, sich in die neue Lage der Dinge zu fügen, und sie vernahmen mit Befriedigung, daß der Landesherr im Sinne Herrn Werners die Teilung der Herrschaft gutgeheißen und ihre Privilegien sämtlich bestätigt waren. Alle nahmen Einsicht in das kurfürstliche Pergament und kehrten dann befriedigt heim.

An diesem Abend saßen die beiden Brüder noch lange im Gemache des Hausherrn beieinander. Die beiden Edelfrauen hatten in dieser Zeit viel zu schaffen. Im Mägdesaal ward gewebt, genäht, gestickt, damit die junge Braut mit einem reichen Schatz an Leinen und Bettzeug, Teppichen und Decken ihren Einzug bei ihrem Ehgemahl halte. So hatten sie sich auch an diesem Abend früher in die Kemnate begeben, und die Brüder blieben deshalb allein.

Ritter Hans blätterte in allerlei Schriften und Pergamenten und hatte anfangs nicht acht, daß Herr Werner in schweren Gedanken im Gemach auf und ab ging. Endlich ließ er sich dem Bruder gegenüber in seinem Lehnstuhl am Tische nieder. Sein langes Schweigen fiel Herrn Hans endlich auf, und er fragte:

»Hast du etwelche Gebresten, Werner, oder was bedrückt dich?«

Herr Werner atmete tief auf und sagte dann mit schwerer Stimme:

»Mich quälen Gedanken, ob wir recht taten, Maria-Anna dem Krummenseeer zu verloben!«

Betroffen starrte ihn Ritter Hans an. »Aber sie ist ihm von Herzen zugetan und hat auf seine Werbung freudig ein ›Ja‹ gehabt, und daß Otto von Krummensee Maria-Anna liebt, kann dir doch nicht verborgen geblieben sein?«

»Wohl, wohl,« sprach Herr Werner, »doch ist es wohl deines Herzens Meinung, daß der Krummenseeer hätt' um Maria-Anna geworben, so sie ein arm' Edelfräulein wär' und nit zufällig reiche Goldgulden und schönen Landbesitz ihm in die Ehe brächte?«

Ritter Hans schien über diese Frage noch gar nicht nachgedacht zu haben, denn er schwieg ein Weilchen betroffen still. Er war in allen Dingen harmloser als der so viel ältere welterfahrene Bruder. »Glaub', du tust ihm unrecht,« sagte er dann wie beruhigend. »Burg Krummensee hat weite Besitzungen, und es fehlt dem Otto nit an Wiesen und Wald. Was bringt dich auf den Gedanken, der Krummenseeer könnt' falsch sein und etwelche Zuneigung nur heucheln? Er ist seit etlichen Jahren mein guter Freund, und ich kann nit glauben, daß die Schwester ihm nit selbst von Herzen wert wäre!«

Herr Werner wiegte den Kopf. Er schien durch des Bruders Worte zwar etwas beruhigter zu sein, doch nicht ganz. »Ich ward stutzig,« entgegnete er, »als jüngst der Schulenburger von allerlei losen Streichen des Krummenseeers erzählte und Jochen von Buch, unser alter Freund, sagte mir auch warnend, ich möge den Schwäher etwas fest im Zügel halten, die Goldgulden glitten ihm gar leichtlich aus den Fingern, und es sei nit lang her, da sei der Krummenseeer bei jedem Turnier und Gelag zu treffen gewesen, und dem Weintrinken huldige er mehr, als einem ehrenhaften Ritter gut sei. Du lebst still auf deiner Burg, mein guter Hans, bist ein sorgsamer Hauswirt und schaust nit viel aus, wie es zu Cöllen und Frankenvorde hergeht. Wie, wenn der Krummenseeer sein väterlich Erbe zum Teil vertan und nun mit dem Heiratsgut das Loch in seinem Beutel wieder stopfen wollte?«

Aber Ritter Hans beruhigte den älteren Bruder abermals. »Weiß wohl, Werner, daß der Krummenseeer einem lustigen Streiche nit abgeneigt war, doch das war vor etlichen Jahren, er wird älter und ist uns zugetan. Nit alle Ritter können so ernsthaft und schwer von Gedanken sein, als du und ich es sind. Weißt ja selbst, daß die Fryenwolder lieber hätten, wir führten ein lustiger Leben, damit sie bei ritterlichen Festen ihren Beutel füllten. Denk', wenn du jetzt das Verlöbnis brächest! Maria-Anna liebt ihren Verlobten und vertraut ihm, und sind wir Brüder denn nit auch da, der Schwester zur Seite zu stehen? Sieh nit mit so schweren Gedanken in die Zukunft. Du bist jetzt kränklich, und da packt dich trübselig Sinnen. Sobald sonnige Tage anbrechen, mußt du hinaus in Feld und Wald und nit immer hinter den Folianten sitzen. Die Stubenluft tut dir nit wohl!«

»Du magst recht haben,« sagte Herr Werner, und seine Stimme klang etwas befreiter, »will mich im Lenzessonnenschein nit mit Sorgen plagen. Unser Herrgott, der den beiden die Liebe ins Herz gesenkt hat, wird auch der Schwester Glück hüten, und wir wollen auch fleißig drauf acht geben.« –

Aber ganz konnte er den sorgenden Gedanken nicht den Abschied geben. Als sich die Brüder getrennt hatten, und Herr Werner sich in sein Schlafgemach zurückzog, lag er noch lange auf seinem Pfühle wach und grübelte. Ihn hatte besonders so manches leichtfertige Wort gekränkt, das auch während der ernsten Karwoche von den Lippen des Krummenseeers gekommen war, und er entsann sich wohl, daß auch die junge Braut ihn hin und wieder sanft zurechtgewiesen habe, solch übermütig Wesen gezieme sich nicht in der Leidenswoche des Herrn. Hieran aber schlossen sich für den sorgenden Bruder ruhigere Gedanken. Vielleicht war es dem linden Fraueneinfluß vorbehalten, den übermütigen Ritter in solchen Dingen ernster zu stimmen, daß er sein Eheleben etwas strenger nach den Worten der Schrift und Luthers Lehr' führte. Durch sein Leiden körperlich erschöpft, schlief Herr Werner endlich ein, nachdem er sich vorgenommen, mit dem neuen Schwäher über diese Dinge noch einmal Rücksprache zu nehmen, sobald er zu erneutem Besuche kommen werde.

 

VII.

Nun war der Rosenmonat mit aller Lieblichkeit ins Land gekommen. Herr Werner hatte den Bruder gebeten, bis zur Hochzeit der Schwester auf Burg Malchow zu bleiben, und Herr Hans hatte gern zugestimmt, weil auch besonders der kleine Junker, an dem sein Herz sehr hing, bat, zu Fryenwolde zu bleiben. Außer den beiden Bäschen hatte er gleichaltrige Spielkameraden an den Knaben des Propstes und des Prädikanten gefunden, und der Unterricht, den er so in größerer Gemeinschaft genoß, gefiel ihm nebst den lustigen Spielen weit besser als die Einsamkeit auf Burg Nienhagen, wo die alte Muhme ihn unterwiesen hatte und ihm oft bei seiner Unaufmerksamkeit drohte, es werde für ihn allein ein junger Magister berufen werden, der ihn für seinen Trotz und für seine Unlust zum Lernen kräftig mit der Rute strafen würde.

Es war eine Woche vor der Hochzeit, und die junge Braut, die einen Krankenbesuch im Städtlein gemacht hatte, ging auf dem Heimweg am Hause des Herrn Prädikanten vor, um die beiden Mägdlein und den Junker aus der Schule abzuholen und mit heim zu nehmen.

Das Haus des Geistlichen lag auf dem Rosmarinberge, und als Maria-Anna die Vorhalle im Untergeschosse betrat, kam ihr aus dem rückwärts gelegenen Gärtlein die Pfarrfrau entgegen.

Die beiden Frauen begrüßten sich lebhaft, und die Pfarrerin sagte: »Wollet Ihr einmal heimlich zuhören, gnädig Fräulein, wie die Mägdlein bei meinem Mann eifrig lernen? Ich hab' soeben meinen stillen Spaß gehabt, wie glatt sie Verse aufsagen. Höret doch einmal zu!«

Maria-Anna nickte lebhaft, und die beiden Frauen traten hinaus in den Garten und nahmen auf einem Bänklein Platz, das unter den weit geöffneten Fenstern eines nach dem Garten hinaus gelegenen Stübchens stand. Soeben sprach der Herr Prädikant im Hintergründe des Zimmers einige Worte, die die Frauen nicht verstehen konnten. Dann aber tönte die helle Stimme der kleinen Gertrudis, die dem Lehrer antwortete:

»Es ist ein Reimlein von Meister Hans Sachsen.«

»Kannst du es aufsagen?« fragte der Herr Prädikant.

»Ei wohl,« antwortete das Mägdlein, und es begann:

 

Welcherlei Dinge zur Haushaltung nötig sind.

»Erstlich in die Stuben gedenk
muß haben Tisch, Stul, Sessel, Benk,
Bankpolster, Küß- und ein Faulbett,
Gießkalter und ein Kandelbrett,
Handtzwehel, Tischtuch, Schüsselring,
Pfannholz, Löfl, Teller, Küpferling,
Krausen, Aengster und ein Bierglaß,
Kuttrolff (?), Trachter und ein Salzfaß,
ein Külkessel, Kandel und Flaschen,
ein Bürsten, Gläser mit zu waschen,
Leuchter, Butzscher und Kerzen viel,
Schach, Karten, Würfel, ein Bretspiel,
ein reisende (laufende) Uhr, Schirm und Spiegel,
ein Schreibzeug, Tinten, Papir und Sigel,
die Bibel und andere Bücher mehr
zu Kurtzweil und sittlicher Lehr.
Darnach in die Küchen verfüg
Kessel, Pfannen, Häfen und Krüg,
Drifuß, Bratspieß groß und klein,
ein Rost und Bräter muß da seyn,
ein Würtzbuchs und ein Essigfaß,
Mörser, Stempffel, auch über das
ein Laugenfaß, Laugenhäfen, zwo Stützen,
zu Fewersnot ein messen Sprützen,
ein Fischbret und ein Ribeisen,
Schüsselkorb, Sturtze, Spiknadel preisen,
ein Hackbrett, Hackmesser darzu,
Salzfaß, Bratpfann, Senfschüssel zwu,
ein Fülltrichter, ein Durchschlag eng,
Feimlöffl und Kochlöffl die meng,
ein Spülstandt, Pantzerfleck darbey,
Schüssel und Teller mancherley.
Pletz klein und groß ich dir nit leug,
Schwebel, Zunder und Fewerzeug,
ein Fewerzangen, ein Ofenkruken,
das Fewerpöklin zuhin schmuken,
ein Tegel, Blaßbalg, Ofenrohr,
ein Ofengabel mußt haben vor.
Kyn, Spän und Holz zum Fewer frisch,
ein Besen, Strohwisch und Flederwisch,
auch mußt du haben vil Vorrat
in der Speißkammer früh und spat.
Dan ein Aufhebschüssel, ein Zerlegteller.
Nun mußt auch haben in dem Keller
Wein und Bier, je mehr je besser,
ein Schrotleiter, und ein Dambmesser,
ein Faßbörer muß auch da seyn,
ein Rören und ein Kunnerlein,
ein Stendtlein und auch etlich Kandel,
Weinschlauch und was gehört zu dem Handel.
Wilt nun in die Schlaffkammer gehn,
ein Spannbett muß darinnen stehn
mit Strohsack und ein Federbett,
Polster, Küß und ein Deckbett,
Deck, Pruntzscherb und Betttuch.
Dan auch ein Truhen oder zwu,
darein man wohl beschließen thu,
Gelt, Silbergeschirr und Pocaln,
Kleinat, Schewern, Porten und Schaln.
Auch mußt du haben ein Gwandhalter
für Mantel, Kapp und Nebelspalter.
Auch wie man zu dem Gewand muß brauchen
ein Gwandbürsten und ein Gwandbesen.
Auch mußt sunst haben in gemein
vil Hausratt in dem Hause dein,
damit man täglich flük und besser
ein Sögen, Reben- und Scheitmesser,
Hammer, Negel, Maissl und Zangen,
Hobel, Handbeihl, ein Laiter hangen,
Schaufel, Hawen, Axt nutzt man gern,
ein Rechen, Schlegel und Latern.
Auch Werkzeug mancherley Vorrath
zum Handel selb in dein Werkstatt. – –
Auch mußt du für dein Maid und Frawen
nach einem Spinnrädlein umbschawen,
Rocken, Spindel und Hespa gut,
Scher, Nadel, Eln und Fingerhut,
ein schwarzen und ein weißen Zwirn,
Markkorb, Tragkorb, Fischsack kern ihrn.
Auch muß sie haben zu dem Waschen
Laugen, Seiffen, Holz und Aschen,
Multer, Waschböck und Züberlein,
Gelten und Scheffel, groß und klein,
Schöpfer, Waschtisch, Weschpleul und Stangen,
daran man die Wesch auf thut hangen. – –
Wenn man dann ins Bad will gan,
ein Krug mit Laugen muß man han,
Badmantel, Badhut und Haubtuch,
Beck, Pursten, Kamp, Schwammen und pruch.
Kannst du solchs alles nit erschwingen,
mußt in versetzten Ton du singen.
So hab ich dir gelt ausgesundert
das Hausrathsstück bis in dreyhundert,
wiewol noch vil ghört zu den Dingen,
traust du dir den zuwege bringen,
und darzu Weib und Kind ernähren,
so magst du greifen wol zu ehren,
drumb bedenk dich wol, es liegt an dir.«

 

Die beiden Frauen blickten sich lächelnd an, wie die Verslein schnurrten, dann zog Maria-Anna eine kleine Taschenuhr, ein Nürnberger Eierlein, wie sie dazumalen genannt wurden, aus dem Mieder und blickte darauf.

»Es ist Vesperzeit,« sagte sie, »nun lässet der Herr Prädikant wohl die Kinder frei?«

»Ei, so will ich beiern,« sagte die Pfarrfrau, eilte an den Hauseingang und ließ eine kleine Glocke erklingen, die hell durch das Haus schallte.

Bald darauf öffnete sich die Tür von der Studierstube des Herrn Prädikanten, und die junge Schar strömte mit lustigem Lachen und Schwatzen heraus. Die Mägdlein waren entzückt, daß die Muhme sie selbst abholte, und hingen sich ihr allsogleich in den Arm. Sie wechselte noch einige freundliche Abschiedsworte mit dem Prädikanten und der Pfarrfrau, und dann gingen sie leichten Schrittes davon und hatten in einer kleinen halben Stunde die Höhe des Schloßberges erreicht. Wunderlieblich war der Blick von hier in das sonnenbeschienene Bruch der Oder hinab.

Maria-Anna stand nach dem raschen Steigen aufatmend ein Weilchen stille und blickte auf das schöne Fleckchen Erde, das bis jetzt ihre geliebte Heimat gewesen war, und daran sie mit allen Gedanken ihres Herzens hing.

Die junge Barbara schien ihre Gedanken zu ahnen. Sie schlang den Arm um die Hüften der jungen Muhme und sagte: »Gelt, du wirst doch ein wenig traurig, daß du nun so bald fortgehen wirst von uns und der Heimat. In Krummensee hast du nit so schöne Wälder und Berge, wie wir zu Fryenwolde? Wirst du nit Heimweh nach uns allen bekommen? Es ist gar nit schön, daß du fortgehen willst.«

»In Krummensee ist es auch schön,« versetzte Maria-Anna lächelnd, »und sieh, Bärbel, wenn man jemand so von Herzen lieb hat, zieht man gern mit ihm und weilt am liebsten dort, wo er seine Heimat hat. Dann haben wir ja auch schnelle Rosse, und du sollst sehen, der neue Ohm und ich werden oft zu Besuch geritten kommen. Wie sollte ich Fryenwolde und die traute Heimat nit lieb haben? Auch wollen wir zu Sonnenburg weilen, wenn das Jagdhorn durch die Wälder klingt, und gelt dann wirst du und Gertrudis mich auch besuchen, und wenn du der Schule ledig bist und ein Edelfräulein wirst, das ein lang' Gewand trägt, dann reitest du auch gen Krummensee und kommst mit auf ein Turnier, da mein Ehgemahl ritterlich Fechten so liebt und sich schon oft einen Turnierdank geholt hat!«

Barbara lächelte wohl zu diesen Zukunftsbildern, aber als sie dem Eingange der Burg zuschritten, wiederholte sie doch: »Es ist aber gar nit schön, daß du fortgehen willst.«

Die junge Muhme tätschelte ihr die Wange und bei den mancherlei Zurüstungen, die jetzt auf der Burg getroffen wurden, hatte das Kindergemüt die ernsten Gedanken bald wieder verscheucht.

Nach wenigen Tagen ritt der Krummenseeer mit einer Anzahl reichgeschmückter Waffenknechte in die Burg ein. Sie führten zwei Packpferde und ein lediges weißes Roß mit sich, auf dem die junge Ehefrau ihren Gatten in die neue Heimat begleiten sollte.

Die Gäste trafen schon aus der näheren und weiteren Umgebung ein und wurden in den Gastgemächern der Burg untergebracht. Für die Kinder waren die festlichen Zurüstungen, die für den Ehrentag der Muhme nun begannen, eine Quelle der Freude, und sie sprangen mit Singen und Lachen in den Gängen, im Burghof und im Garten umher, und bei den schönen sonnigen Tagen ergingen sich auch die Erwachsenen viel im blühenden Burggärtlein.

Es wollte Herrn Werner kaum glücken, den vielbegehrten Bräutigam einmal zu ernster Zwiesprache in sein Gemach zu nötigen. Es schien auch, als ob der Krummenseeer solch Alleinsein mit dem ernsten Bruder seines jungen Bräutleins tunlichst vermiede. Aber Herr Werner ließ in dem nicht locker, was er sich einmal vorgenommen. Der folgende Tag brachte schon die Vorfeier des Hochzeitsfestes mit viel Scherz und Frohsinn, da würde er des Bräutigams bei den vielen Gästen gar nicht mehr habhaft werden. Als daher am heutigen Abend die Gäste nach der Abendmahlzeit in den Burggarten hinabgingen und der Krummenseeer sie hinausgeleiten wollte, trat Herr Werner auf ihn zu und nötigte ihn zu einer Zwiesprache in sein Gemach. Der Krummenseeer blickte betroffen auf, ließ aber Maria-Annas Hand noch nicht fahren, als wolle er Herrn Werner nötigen, die Sache jetzt gleich in wenigen Worten abzutun.

»Was gibt's denn, Werner?« fragte er. »Der Arnim will gleich draußen ein seltsam Feuer anzünden, auf daß es weit vom Berge gesehen werde. Er hat zu Nürnberg gesehen, wie man griechisch Feuer abbrennt, gleich einem feurigen Drachen fliegt es durch die Luft. Da werden die Fryenwolder schauen!«

»Maria-Anna wird ihn bitten, das Feuerwerk noch nit abzubrennen,« sagte Herr Werner unentwegt bei den Ausflüchten des Krummenseeers. »Geh, Schwesterlein, wir kommen bald nach!«

Nun war der Krummenseeer gezwungen, Herrn Werner in sein Gemach zu folgen. Er ließ sich in einen Sessel fallen und stippte die Finger gegeneinander.

»Was ist's, Werner, das du noch mit mir zu sprechen hast?« fragte er. In seinen Augen flackerte es unruhig.

Herr Werner ging im Gemach auf und ab, die Hände auf den Rücken gelegt. Er wußte nicht recht, wie er von dem, was er zu sagen hatte, beginnen sollte. Endlich blieb er vor dem Krummenseeer stehen. »Sieh, Otto,« begann er weichen Tones, »mir ist völlig zu Mute, als sollte ich ein Töchterlein vom Hause geben. Ich war allbereits ein Jüngling und trug die ersten Sporen, als mein Schwesterlein auf die Welt kam. Brüder lebten mir daheim eine ganze Reihe. Du weißt, daß sechs von ihnen im Knabenalter ins Grab gesunken sind. Unser einzig Schwesterlein war uns wie ein holdselig Geschenk, und wir Brüder, der Hans und ich, haben sie von Herzen lieb. Der Eltern mußte sie gar früh entraten, und ihr Herz ist von weichem Gefühl; aber auch uns will es schwer zu Sinnen werden, daß sie nun ganz von uns fortgeht, wo wir keine Stunde getrennt waren, seit sie auf der Welt ist. Du verstehst, daß Männer, die den Ernst des Lebens kennen, nit lauter freudige Gedanken haben bei einer Hochzeit, sobald es an solch Abschiednehmen geht.«

Des Krummenseeers Augen bückten zuversichtlicher. »Du hättest ein Recht, trüben Sinnes zu sein, Werner,« sagte er, »wenn dein Schwesterlein in weite Ferne zög', daß du sie in vielen Jahren nit mehr erschaust. Sie bleibt euch aber doch nah. Das Reiten eines Tages kann dich nach Krummensee und uns nach Burg Malchow oder Burg Nienhagen bringen.«

»Wohl, wohl,« versetzte Herr Werner, »doch macht es Maria-Anna nit allein glücklich, zu wissen, daß die Brüder nahe sind. Zu ihrem Glücke, das wir für sie erhoffen, gehört mehr.«

»Dazu gehört,« fiel der Krummenseeer ein, »daß sie dem erwählten Ehgemahl ihr Herz geschenkt hat und als sein minnigliches Eheweib in Freuden bei ihm lebt.«

»Wohl, auch das,« gab Herr Werner zu. »Dazu gehört aber auch, daß ihr Ehgemahl schlichten und treuen Sinnes ist und von ganzem Herzen ihr zugetan, so daß ihr Schalten und Walten ihm jeden Tag aufs neue das Herz warm macht. Ist's also bei dir?«

Otto von Krummensee war aufgestanden und lehnte sich jetzt mit verschränkten Armen, Herrn Werner gegenüber, an den Tisch. »Was, denkst du, hätt' mich sonst bewogen, um Maria-Anna zu freien?« sagte er und gab seiner Stimme einen Klang, als sei er schwer gekränkt über diesen Zweifel Herrn Werners.

Herr Werner aber dachte an seine Aufgabe und entgegnete unbeirrt: »Du gibst mir dein Ritterwort, daß dem so ist?«

»Mein adlig Wort, daß ich von Herzen Maria-Anna zugetan bin,« versetzte der Krummenseeer und warf hochfahrend den Kopf in den Nacken.

»Und wie gedenkst du nun als Hausvater dein ehelich Leben zu führen?« fragte Herr Werner und heftete mit ernstem Forschen die Augen auf das Gesicht des neuen Schwähers.

»Nun, wir wollen unser Leben führen wie meine in Gott ruhenden Vorfahren, mein Herr Vater und meine Frau Mutter es getan haben,« versetzte der Krummenseeer steif, daß er so auf den Grund hin gefragt wurde.

»Und wirst du auch der Gottesfurcht in deinem Hause pflegen? Maria-Anna hat, da sie noch jung ist, wohl Freude an Turnier und einem Geschlechtertanz, aber die Kirche und Gottes Wort nimmt den größten Teil in ihrem Herzen ein, und wenn sie wählen soll, so steht ein frommer Gottesdienst mit Orgelklang und Kirchenmusik ihr höher als weltlich Gespiel und Tand. Wirst du sie nit hindern, nach ihres Herzens Wunsch zu leben?«

»Hältst du mich für einen Heiden, Werner?« fragte jetzt der Krummenseeer geschmeidig zurück. »Du weißt, ich war in Frankenvorde reichlich ein Jahr auf der Universität und habe in eifrigem Mühen mich auch um der Reformatoren Schriften gekümmert.«

»Aber du hast auch ein gar lustig Leben geführt, wie alte Freunde mir sagten,« entgegnete Herr Werner, »sieh, Otto, darum wollt' ich wie ein Mann zum Manne mit dir sprechen!«

Der Krummenseeer zuckte die Achseln. »Hätt' nit gedacht, Werner, daß du nach zehn Jahren mir noch könntest etliche lustige Streiche vorhalten, wie ein Schüler und ein Bruder Studio, dem ein freundlich Mütterlein die Tasche voll Geld steckt, sie wohl im Jugendübermut betreibt. Das ist vorüber, und ein ehrsamer Hausvater lächelt jetzt solcher Dinge!«

Herr Werner schwieg. Der Ton, in dem der Krummenseeer sprach, klang unbefangen und treuherzig. Er konnte nichts weiter sagen. »So gib mir noch einmal dein ritterlich Wort, daß du der jungen Schwester Gemüt fortan hochhalten und ihr Christenleben ehren willst, und so nit gemeinsam Geschick euch trübe Stunden bringt, sie durch dich nit den Schritt bereuen soll, den sie jetzt tun will!«

»Ich denk', du kannst Maria-Anna selbst trauen,« sagte der Krummenseeer jetzt in treuherzigster Weise. »Sie vertraut mir ganz, und ich bin ihr aus vollem Herzen zugetan, darauf mein ritterlich Wort!« Er reichte Herrn Werner die Rechte und hielt ruhig den ernst forschenden Blick aus, den Herr Werner dabei auf ihn heftete. – –

Mit Böllerschüssen, flatternden Wimpeln und einem Choral der Stadtpfeifer war strahlend der Hochzeitsmorgen angebrochen. Schon früh war ein fröhlich Leben in der Burg. Da die Kapelle zu klein für die Menge der fröhlichen Gäste war, so sollte der Brautzug den Schloßberg hinab sich bis zur Kirche von St. Niklas bewegen, auf daß dort die Einsegnung der Ehe zwischen dem Krummenseeer und Maria-Anna begangen würde und die Inwohner von Fryenwolde an dem seltenen Fest ihrer Lehensherrschaft teilnehmen konnten.

Ehe noch die Sonne im Mittag stand, begab sich der prächtige Festzug den Schloßberg hinab. Vorauf der Vogt und einige Waffenknechte der Burg, stattlich aufgeputzt zu Pferde, flatternde Standarten am Bügel. Der Vogt trug einen Beutel mit kleinen Silbermünzen, die er beim Rückzug aus der Kirche unter das geringe Volk werfen sollte, damit es eine besondere Freude habe. Reiche Gaben an Gebäck und Fleisch waren schon früh am Morgen von einigen Mägden unter die Armen des Städtleins verteilt worden, und ein fröhlich Fest auf der Pfingstwiese mit mancherlei Belustigungen, Spiel und Tanz erwartete die Bewohner für den Nachmittag, so viele ihrer daran teilnehmen wollten. Bernower Bier und allerlei Gesottenes und Gebratenes sollte nach Herrn Werners und Frau Barbaras Anweisung dabei nicht gespart werden.

Nun sah alles in den Gassen dem Brautzug entgegen, der sich bei dem hellen Sonnenschein zu Fuß den schön begrünten Schloßberg hinabbewegte. Hinter dem Vogt und den Waffenknechten kamen die Stadtpfeifer, die ein fröhlich Gespiel vollführten. Dann nahte eine liebliche Kinderschar, Buben und Mägdlein, mit Kränzen in den Haaren und Rosensträußen in den Händen, darauf die Brautjungfern, eine Schar anmutiger Edelfräulein, die Maria-Annas Gespielinnen gewesen waren, von jungen Rittern in reicher Tracht geleitet.

Ihnen folgte der Bräutigam, von zwei befreundeten Rittern geleitet. Er trug ein reich geschlitztes und gepufftes Gewand von goldfarbenem Tuche, eine sammetne Schaube und Spitzenkrausen um den Hals und die Aermel. Das Wehrgehäng und der Ritterdegen waren mit edlem Gestein besetzt, und um den Hals legte sich eine funkelnde Kette mit güldenem Kleinod. Das wohlgelockte Haupt war unbedeckt, nur ein Kränzlein von grüner Raute legte sich als Schmuck des Tages um seine Stirn. Die Hände steckten in feinen Lederhandschuhen. Auch seine beiden ritterlichen Begleiter waren in auserlesener Kleidung, doch trugen sie das Haupt mit einem Barett bedeckt, das mit kostbaren weißen Federn besteckt war.

Dann folgte Maria-Anna zwischen zwei Edelfrauen. Das schöne blonde Haar war heute zu einem Krönlein aufgesteckt, um das die glitzernde und blinkende Brautkrone sich fügte. Ein weißes Gewand mit reicher Goldstickerei fiel in weichen Falten an ihrer jungfräulichen Gestalt hernieder und ward hinten von den beiden Bäschen getragen, damit der Saum der Schleppe nicht vom Staube der Straße leide. Das Oberkleid und die Puffen des Gewandes waren von rosenfarbener Seide und ein grünes Rautenkränzlein, ebenfalls mit Rosen durchflochten, schmiegte sich in das schöne Haar. Ein reicher Brautschmuck, aus vielen schöngearbeiteten güldenen Kettlein bestehend, schlang sich um Hals und Arme, während sie in den behandschuhten Händen ein Spitzentüchlein und einen schönen Rosenstrauß hielt.

Ihr folgte eine Schar von bereits vermählten ritterlichen Gästen, und den Zug beschloß das Ingesinde der Burg, in reicher Feiertagskleidung. Sobald die Stadtpfeifer schwiegen, erhob sich unter dem Ingesinde ein fröhlich Jauchzen und Rufen, mit dem sie nach alter Hochzeitssitte die Luft erfüllten. In diese fröhlichen Zurufe mischten sich, als das Städtlein erreicht war, auch die Inwohner, die am Rande der Straße den Zug erwarteten und aus den Fenstern mit Tüchlein und Fähnlein winkten. Die Gasse bis zur Kirche aber war vielfach mit grünen Gewinden schön geschmückt.

Am Portal der Kirche teilte sich der Zug. Die Kinderschar und die jungen Brautführer traten zur Seite und der Bräutigam bot seiner liebreizenden Braut selbst den Arm, während ihre bisherigen Begleiter dicht hinter sie traten. Der Propst hieß das Brautpaar an der Kirchenpforte mit einem Bibelworte willkommen und schritt ihm zum Altare voran, während die Stadtpfeiser sich zum Orgelchore hinaufbegaben, von wo machtvolle Klänge dem Paar und der ganzen Hochzeitsgesellschaft entgegenbrausten. Das Gestühl der Kirche war bereits von den Zünften und Gewerken der Stadt und zahlreichen Einwohnern besetzt, so viele ihrer nur Platz gefunden hatten. Die Hochzeitsgesellschaft stellte sich um den Altar auf, und alles folgte mit Andacht der erhebenden Traurede, die der Propst in tief zu Herzen gehenden Worten dem Brautpaare hielt.

Als das Paar zum Treugelöbnisse die Hände ineinanderlegte, reichte der Krummenseeer dem Propst einen kostbaren Ring, auf daß er ihn zur Besiegelung an den Finger der Braut stecke.

Kräftig hallte sein »Ja« durch die Kirche, und nicht minder fest, wenn auch leiser, tönte das bindende Wort von den Lippen der jungen Braut. Während vom Orgelchore herab die Trompeten ein fröhlich Loblied bliesen, schallte vom Kirchplatze herein das Krachen der Böller und taten damit dem Städtlein kund, daß der Bund des Edelfräuleins mit ihrem verlobten Ritter nun zu festem und unverbrüchlichem Ehebunde geworden sei. Mit Musik und Jauchzen begab sich der Hochzeitszug wieder zur Burg zurück, und der Vogt, der diesmal den Schluß des Zuges bildete, warf nun mit vollen Händen die blinkenden Münzen unter das jauchzende Volk. Eine große Schar der Einwohner des Städtleins zog mit hinauf zur Burg, und während die Herrschaft mit den Gästen im Rittersaale beim fröhlichen Hochzeitsmahle saß, tat sich das Ingesinde, vereint mit den aus dem Städtlein heraufströmenden Gästen an langen Tafeln im Burghofe gütlich, und die Schaffnerin und der Kellermeister ließen es an Speise und Wein nicht fehlen. Mit fröhlichem Tanz in den Räumen der Burg und auf dem grünen Wiesenplan im Schloßgärtlein, sowie unten auf dem Pfingstanger, schloß der erste Tag des Hochzeitsfestes, dem ein glänzend Turnier und ein fröhlich Jagen in den Wäldern noch in den nächsten Tagen folgte.

 

VIII.

Erst am dritten Morgen nach dem Hochzeitsfeste rüstete der größte Teil der Gäste zur Abreise. Nach dem Mittagsmahle wollte auch das junge Ehepaar aufbrechen, um der heimatlichen Burg zuzureiten. Es war ein frohes Lärmen und Rufen im Burghofe, die Rosse hielten aufgeschirrt vor der Hauptpforte, während die Edelfrauen sich zum Ritte bereit machten und die befreundeten Ritter mit dem jungen Ehemann und den Wirten einen Abschiedstrunk nahmen. Herr Werner sah bleich und etwas müde aus trotz des frischen Sommermorgens. Er war der vielen Festlichkeiten ungewohnt, und der Schmerz des Abschiednehmens von der jungen Schwester beschwerte ihm obenein das Gemüt. Auch Herr Hans war gedrückter, als es sonst seine Art war. Um so fröhlicher und lärmender aber trieb es der Krummenseeer beim Abschiedstrunke mit den jüngeren Rittern. Immer wieder mußten auf sein Geheiß die Diener mit den Weinkannen herbeikommen, um die Humpen zu füllen, und die beiden Brüder sahen mit schwerer Sorge, wie sich sein Gesicht von dem schon in der Morgenfrühe so reichlich genossenen Weine dunkel rötete. In dem Hin und Her der Gäste, die beim Abschiednehmen bald in der Halle, bald im großen Speisesaale verweilten, raunte Herr Werner schließlich Frau Barbara zu:

»Trag' doch gar Sorge, Bärbel, daß die Schulenburger und liebwerte Freunde aus der Nähe noch verweilen; wenn der Otto noch mit ihnen allen den Abschiedstrunk tauschen soll, ist er bald völlig trunken, und Maria-Anna darf heut noch nit mit ihm heim reiten!«

Frau Barbara, die sich bisher eifrig ihrer abreisenden Gäste angenommen hatte und sie mit allerlei Gutem vom Hochzeitsimbisse versorgte, betrachtete aufmerksam den jungen Schwäher. »Sorg', daß die Ritter auf den Altan hinauskommen,« flüsterte sie dem Gatten zu, »die Oderberger reiten ab, und laß die Diener den Wein hinausschaffen, dann gib ihnen anderweitig Auftrag. Wenn erst die jungen Ritter auf den Rossen sitzen, so ist mit den alten schon besser reden.«

Herr Werner tat nach ihrem fraulichen Rate. Während Hans von Uchtenhagen auf ein paar ihm zugeraunte Worte hin mit heller Stimme die Ritter hinausrief, da die Oderberger Freunde abreiten wollten, trug Herrn Werners alter Waffenknecht das Weinfaß in den Keller hinunter und ließ nur noch ein paar kleinere Krüge zurück. Draußen in der Halle gab es dann viel lachenden Zuruf beim Abschiednehmen und frohes Winken, und des Trunkes ward mehr vergessen. Auf Frau Barbaras eiligen Befehl rüstete zudem die Schaffnerin mit den Mägden ein zweites Frühmahl, dessen festerer Gehalt die Wirkungen des Frühtrunkes etwas beeinträchtigte. Auf den weißgedeckten Tafeln in der Halle stand in kurzer Zeit köstliches Rauchfleisch aller Art, Fische, Brot und goldgelbe Butter nebst allerlei Würzspeisen, und abermals griff alles zu, um sich vor dem Abreiten zu stärken.

Die näheren Freunde des Hauses, die erst nach dem Abreiten des jungen Ehepaares auf ihre Edelsitze zurückkehren wollten, verabredeten einen Frühritt in den morgendlichen Wald hinaus, und die Brautjungfrauen erklärten lachend, sie wollten heut zum letzten Male Maria-Anna in ihrer Mitte haben, um von allen Plätzen ihrer Jugendspiele Abschied zu nehmen. Zwar versuchte die junge Ehefrau unter dem Hinweise, daß sie noch allerlei bis zum Abreiten ordnen müsse, sich diesem Vorschlage zu entziehen, aber Frau Barbara und zwei ihr nahe befreundete Edelfrauen wehrten herzlich ab, sie solle einen fröhlichen Abschied von den Stätten ihrer Jugend machen, sie selbst würden alles für sie rüsten. Der junge Ehgemahl habe nun doch noch allerlei Rücksprache mit den brüderlichen Hauswirten zu nehmen, darum solle sie unbekümmert noch einige frohe Stunden in den heimatlichen Wäldern verleben. So schürzte Maria-Anna ihr Gewand, und die jungen Edelfräulein nebst den Kindern der Freunde und des Hauses begaben sich hinab in den rauschenden Eichenwald. Der Schulenburger stieg mit Hans von Uchtenhagen und einigen anderen Rittern in die Ställe und Rüstkammern hinab, und Herr Werner entbot den neuen Schwäher in sein Gemach zu allerlei Rücksprache.

Nach dem Abreiten der jungen Ritter war der Krummenseeer ruhiger geworden. Besonders ward er stutzig, als der Dölziger Ritter, Eustachius von Schönebeck, kurz vor dem Abreiten noch mit Herrn Werner in einer Ecke der Halle stand und ihm Ernstes zu vertrauen schien. Herrn Werners ohnehin schon blasses Antlitz ward dabei, wie der Krummenseeer wohl bemerkte, so ernst und bestürzt, daß es etwas Gewichtiges sein mußte, was er hörte. Von dem Augenblick an vergaß der Krummenseeer das Weintrinken, und sein Herz begann unruhig zu klopfen. Der Dölziger war nicht sein Freund, wenn auch den Uchtenhagens seit langer Zeit sehr zugetan. Der kannte ihn noch aus den Jahren in Frankenvorde, weilte auch gar oft bei seiner Sippschaft zu Cöllen und Tangermünde, und daß man dort allerlei vom Krummenseeer wußte, dieser Erkenntnis konnte er sich nicht verschließen. Er murmelte einen Fluch vor sich hin, als Herr Werner von Uchtenhagen und der Dölziger sich beim Abschiede so bedeutungsvoll anblickten und fest die Hände ineinander schlugen. – Was war da abgemacht worden? –

Nun schritt er hinter dem Burgherrn die breite Steintreppe in die Höhe, die zu dem in einem der Warttürme gelegenen Gemache Herrn Werners führte. Jetzt sollten ihm allerlei Pergamente und Gerechtsame überantwortet werden, die ihm als Ehemann der jungen Tochter des Hauses gebührten, und, wie er hoffte, ihm die ganze Mitgift Maria-Annas ausgezahlt werden, wie nach der Lehensteilung ausgemacht worden.

Dies war der Punkt, um den sich alle seine Gedanken drehten. Er allein und noch ein Mann im kleinen Spreegäßlein zu Cöllen mit funkelnden schwarzen Aeuglein, gekrümmter Nase und gelben Fingern wußte, wie nötig es war, daß der Krummenseeer jetzt reichlich Goldgulden in die Hände bekam.

Wie hieß doch der Satz im Pergament, so er wenig Wochen nach seinem Verlöbnis mit Maria-Anna hatte schreiben müssen? – »Nach dreien Tagen, so ich eingeritten bin auf meiner Burg nach der Hochzeitsfeier mit dem edlen Fräulein von Uchtenhagen, mittags um die zwölfte Stunde, gelobe ich, an Levy Samuel zu zahlen zweentausend Goldgulden und dreyen Schock behmische Groschen, zu tilgen meine seit zehn Jahren aufgelaufene Schuld«' …

Er allein wußte, daß Levy Samuel seit vielen Jahren der Eichenwald auf den Bergen von Krummensee als Bürgschaft und der Fischfang in den Seen verschrieben war. Seit Jahresfrist aber hatte der ungeduldig gewordene Jude, der von einem Jahr zum anderen wegen Tilgung der Schuld vertröstet war, gedroht, stracks zum Herrn Kurfürsten zu gehen, da der Zins, den er aus dem Fischfang der Seen löste, ihm nicht hoch genug war, und er darauf bestand, den Eichenwald auf Krummensee zu schlagen.

Mit vieler Ueberredung nur hatte ihn der Ritter von diesem Vorhaben abgebracht, das er noch vor dem Osterfest ausführen wollte, und das es in der ganzen Mark offenbar gemacht hätte, wie der Krummenseeer bei Turnieren, bei Würfelspiel und Bechergelag nicht nur sein Erbteil vertan, sondern auch so schwere Schulden auf der väterlichen Burg gehäuft hatte, daß ihm kaum noch eine Pfanne auf den Dächern gehörte. Wie unnachsichtlich aber der gestrenge Herr Kurfürst Johann Georg solch Schuldenmachen ahnden würde, wußte der Krummenseeer aus seiner eigenen Sippschaft. Den Matthias von Lindenberge hatte der Kurfürst stracks aus dem Lande verweisen lassen und sein Lehen eingezogen. Seit der Kämmerer Lippold solcher Untreue am verstorbenen Kurfürsten sich schuldig gemacht, kannte der sparsame Fürst kein Erbarmen mit den Rittern, die sich mit jüdischen Wucherern einließen.

Nun saß er in dem geschnitzten Eichensessel Herrn Werner gegenüber, der aus einem mächtigen gebräunten Schrank einen großen Kasten genommen hatte und daraus allerlei Papiere kramte, die wächserne Siegel und allerlei farbige Umschnürung zeigten. Mit erklärenden Worten, aber etwas bedrückter Stimme legte der Hausherr diese Pergamente vor den neuen Schwäher hin und wies auf die Unterschriften, Jahreszahlen und Siegel zum Beweis, daß diese über Maria-Annas Eltern und Vorfahren, die wichtigsten Daten ihres eigenen jungen Lebens und ihre Besitztümer jederzeit Kunde gäben. Mit stummem Kopfnicken oder einer kurzen ernsten Frage nahm der Ritter von Krummensee alles in Empfang, um die wichtigen Papiere dann in einer flachen Ledertasche zu bergen, die er sorgfältig in sein Wams schob.

Nun trat Herr Werner abermals an den Schrank und hob aus einem tiefen Fach einen braunen Lederbeutel heraus, den er am Tische, wie es dem Krummenseeer schien, etwas zögernd öffnete und nun begann, die blinkenden Goldgulden aufzuzählen. Er legte einige große Wechsel, lautend über mehrere hundert Goldgulden dazu, so daß er das erste Tausend der Gulden bald aufgezählt hatte, wobei sich erwies, daß nun auch der Beutel geleert war.

»Eintausend!« sagte der Hausherr dabei laut, nachdem er bis dahin nur leise murmelnd beim Zählen die Summe genannt hatte. Dann faltete er den Beutel zusammen und sah den Ritter von Krummensee forschend an.

»Hast du mitgezählt, Schwäher?« fragte er dann. »Das erste Tausend der Mitgift von Maria-Anna ist voll. Das mögt ihr heute mitnehmen und könnt es auch sonder Gefahr, da du ja zur Bedeckung vier deiner Mannen mit dir hast und bis zur Grenze unseres Lehens auch eine Zahl meiner Waffenknechte euch geleitet!«

Er schwieg, und mit wachsender Unruhe erwartete Otto von Krummensee, daß Herr Werner fortfahren würde. Hatte der Anblick der Goldgulden seinen begehrlichen Sinn bisher mit Freude und sein Herz mit Ruhe erfüllt, da er ja nun die Mittel sein nannte, die alle Angst um seine große Schuld vertreiben sollten, so überkam ihn jetzt eine unruhige Spannung. Was sollte das bedeuten, daß Herr Werner hier nur den zehnten Teil der ihm zugesagten Mitgift aufzählte?

»Daß der Weg unter unseres Herrn Kurfürsten Regiment völlig sicher ist, weißt du just eben so gut, denn ich, Werner,« sagte er endlich, als dieser die eingetretene Pause in dem Gespräche gar zu lange währen ließ. »Zum Schutze haben wir deine Mannen halt nit nötig, ist doch seit mannig einem Jahre kein Wegüberfall so nahe der kurfürstlichen Residenz vorgekommen, um Geld und Gut zu rauben, wie du fürchtest. Warum zählst du nit weiter die besprochene Mitgift auf? Ist ein Zählen, meine ich, nun wir just dabei sind!«

»Das sind die Goldgulden, soviel ich just daheim hab!« entgegnete Herr Werner ruhig. »Bruder Hans und ich mochten alleweil nit so viel loses Geld in der Burg lassen. Ein Teil liegt noch zu Cöllen in dem großen Bankhause der Herren Werkmeister. In etlichen Wochen, so ich wieder wohlauf bin, werden Hans und ich zu dir und unserem Schwesterlein geritten kommen, zu sehen, wie es euch im jungen Ehestände ergeht. Wir reiten dann über Cöllen und gedenken dort das Geld abzuheben, haben es allbereits den Herren aufgesaget, doch haben sie noch bis dahin Zahlungsfrist und sind nit gehalten, jetzt schon das Geld, dafür sie guten Zins zahlen, herzugeben. Wollte dich ohnehin fragen, ob du es nit in dem ehrenwerten Geschäft auch fernerhin belassen wolltest? Die Herren treiben Handel nach Böhmen und in das Welschland hinein, und es wird nit so leicht ein Kaufherr zu finden sein, der dir so guten und sicheren Zins zahlt.«

Fragend blickte der Hausherr auf den Ritter. Dem war es bei den Worten Herrn Werners heiß und kalt geworden. Mehr flüssig Geld hatte der Schwäher zur Zeit nicht im Hause? Die Kündigungsfrist für das andere war noch nicht abgelaufen? Ja, was sollte dann geschehen, wenn er dem Juden nur diese halbe Anzahlung brachte? Damit war der Geizhals nicht zufrieden, das wußte er bestimmt. Welche Mühe hatte es ihn gekostet, ihn diese letzten Jahre hinzuhalten und ihm das Geld jetzt aufs neue vorzuschießen, das er für ein prächtiges Auftreten auf der Hochzeit brauchte! Ja, er wollte dies letzte wohl so bald als möglich gut machen, wenn nur der reiche Wieswachs um den Krummensee erst eingeheimst und den Städtern verkauft war. Aber noch hatte er das Geld ja nicht. Und der Jude würde auf seinem Pergament bestehen und dann in wenigen Tagen schon auf Burg Krummensee erscheinen und vor den Augen und Ohren der jungen Gattin Bezahlung erheischen. Konnte er ihm die nicht geben, so ließ er die reichen Wälder schlagen, und daraus würde der des Schachers so kundige Israelit eine viel höhere Summe lösen, als der Ritter ihm schuldig war. Und darauf freute der Jude sich natürlich, sagte der Ritter sich mit Zähneknirschen. Seine Schande war dann offenbar, wie sollte er vor Maria-Anna bestehen, wie vor ihren Brüdern und gar dem kurfürstlichen Herrn, der den Uchtenhagens so gewogen war? Nein, so durfte es nimmer gehen, komme, was da wolle, er mußte einen Weg finden, mehr Geld von Herrn Werner herausgezahlt zu bekommen. Blitzschnell hatten sich diese Gedanken in seinem von Angst zermarterten Gehirn gekreuzt. Dabei war er aber eifrig bemüht, seine Bestürzung nicht merken zu lassen, da Herrn Werners Augen so forschend auf ihn gerichtet waren.

Er griff darum möglichst sachlich und kühl des Schwähers letzte Frage auf. »Bei den Herren Werkmeister das Geld lassen? Ich traue gern deiner Zusicherung, daß sie kundige Kaufherren sind, aber vom seligen Vater und der Mutter her habe ich ein Kaufhaus zu Tangermünde, das viel Schiffe auf der Elbe gehen läßt und reichen Gewinn zahlt. Dorthin will ich es tun, etliches aber gebrauchen, am Krummensee und den Wassern dahinter für gute Fischzucht neue Bauten aufzuführen. Einen guten Fischmeister habe ich nennen hören und will mit ihm verhandeln in diesen Tagen.«

Er wußte, daß er zum Teil log, log mit kecker Stirn, trotzdem Herrn Werners Augen gar prüfend blickten, aber er war durch jahrelange Verheimlichungen seiner üblen Geldlage darin so bewandert, daß ihm die Unwahrheit ohne Wimpernzucken gelang und er den gutgläubigen Schwager, der die Ehrlichkeit selbst war, auch täuschte. Der Krummenseeer bemerkte an dem ruhiger werdenden Gesichtsausdrucke Herrn Werners, daß für ihn die Sachen günstig standen.

»So gib mir das Schuldbuch mit, so die Herren Werkmeister bei dir haben,« setzte er dann möglichst gleichmütig hinzu, indem er die auf den Tisch gezählten Gulden zusammenstrich und einen braunen Lederbeutel aus seinem Wamse zog, um das Geld dort hinein zu tun. »Da ich mit Maria-Anna gen Cöllen reiten muß, und sie in der Herberge einige Stunden rasten soll, weil der Weg nit gut ist, so gehe ich einmal zu den Kaufherren, um ihr Haus kennen zu lernen. Wär' doch vielleicht angängig, daß auch ich mit ihnen Geschäfte mache, da Cöllen nit so fern liegt denn Tangermünde.«

So gleichmütig er sprach, um so erregter schlug sein Herz. Hoffentlich verweigerte Herr Werner dies Verlangen nicht. Dann hatte er doch die Hoffnung, ein Darlehen bei den reichen Kaufherren erheben zu können auf Grund seines Guthabens. Vielleicht zahlten die Kaufherren ihm auch aus Gefälligkeit die schuldige Summe eher aus, als sie benötigt waren, wenn er ihnen etwas mehr von dem Zins erließ. Er wollte den Versuch machen und sie vertraulich bitten, den Schwähern gegenüber nichts zu sagen, indem er ihnen zusicherte, fernerhin ebenfalls eifrig mit ihnen Handel zu treiben. Ein Kaufherr sieht ja, wo sein Vorteil winkt und kümmert sich nicht um persönliche Dinge. Zudem waren die Herren von gar rechtlichem Rufe, mit denen mochte er dann schon lieber zu tun haben, als mit dem Wucherer, zu dem er damals in der Not gegangen war. Fernerhin sollte das gewiß nicht mehr geschehen, wenn jetzt nur alles glatt ging. Das gelobte er sich im stillen, überhörte dabei aber geflissentlich die Mahnung seines Gewissens, das ihm zurief, wie er dies Gelöbnis schon ein halbdutzend Mal zu Lebzeiten der seligen Mutter getan hatte. Da sie zuletzt merkte, wie der Reichtum des Hauses durch sein locker Leben drauf ging, hatte sie ihn oft mit Tränen beschworen, ein ernster und ehrsamer Ritter zu werden und seiner Väter Burg und die Güter zu bessern, auf daß der Wohlstand der Väter wiederkehre. In guten Stunden hatte er dann fest versprochen, des Weintrunks und des Würfelspiels zu vergessen. Aber es gab nur gar so viele der lustigen Freunde, und die Mutter hatte ihn als Büblein nicht gelehrt, sich Freuden zu versagen.

Er bekam dazumal alles, was sein Herz verlangte, jetzt konnte er den größeren Wünschen nicht widerstehen. Das Leben war schön, warum sollte er es nicht nützen? – Da wollte allerdings wieder eine Stimme sagen: warum nützte Herr Werner und Herr Hans das Leben nicht auch auf diese Weise, da sie doch so reichlich Goldgulden besaßen? und wie kam er, der fremde und leichtfertige Ritter dazu, das Erbe ihrer Väter und was sie weiter sorgsam für Maria-Anna erworben und erspart hatten, zu nutzen, um seine Schuld bei dem Wucherer zu zahlen?

»Ei nun,« schüttelte er innerlich den lästigen Mahner ab, die beiden ernsthaften Ritter finden an diesen Dingen keine Freude. Man solle jeden nach seiner Art leben lassen. Und fremd war er nun doch auch nicht mehr, seit er Maria-Annas Gatte war. Da konnten die Brüder bei ihrem Reichtume schon seine Schuld zahlen. Er wollte jetzt auch wirklich ehrsamer und bedächtiger werden. – Ob er sich offen Herrn Werner vertraute? – Dann würde er ihm gewiß helfen, und er war aus aller Sorge? – Nein, nein, sagte er sich aber gleich darauf. Damit stellte er sich ja als Lügner hin, da Herr Werner ihn ja noch vor der Hochzeit auf sein Ritterwort gefragt hatte, wie es mit seinem Vorleben beschaffen sei. Und der strenge Schwäher würde nie bei seiner großen Frömmigkeit verstehen, wie ihn das lustige, weltliche Leben lockte, und daß ein Ritter nicht leben kann wie ein Prediger und Gelehrter. Obenein würde er es sein ganzes Leben hienieden als Vorwurf hören müssen, die Brüder würden ihm fernerhin Maria-Annas Güter nicht in die Hand geben, und damit war ihm ja der Weg abgeschnitten, die Burg seiner Väter und sein Lehensgut wieder in die Höhe zu bringen, wie er jetzt wirklich willens war. Sein Vorhaben mußte auf andere Weise glücken.

»Die beiden Kaufherren sind nit daheim,« erwiderte aber Herr Werner ruhig, »sondern sie weilen beide zu Augsburg, daher sie erst in dem Erntemonate zurückkehren. Eben darum baten sie, mit der Auszahlung unseres Geldes zu warten. Als fürsichtige Kaufherren lassen sie ihr Geld nit lose daheim bei den jungen Gesellen und angestellten Leuten ihres Hauses. Es ist anderweitig angelegt, und erst, wenn sie von Augsburg wiederkehren, bringen sie gemünzt Gold heim. Das wird zu den Tagen sein, da wir gen Krummensee wollen geritten kommen, und wir bringen es dann mit zu dir.«

Der Ritter von Krummensee unterdrückte mit Mühe einen Fluch. Verschwor sich denn alles gegen ihn? Er konnte nun nichts mehr sagen, ohne Herrn Werner stutzig und mißtrauisch zu machen. Und seine drückende Schuld? – Er flog innerlich vor Erregung und marternden Gedanken.

»Wie hoch ist denn euer Kredit bei den Herren Werkmeister?« fragte er noch, aber seine Stimme klang beinahe heiser.

»Der Anteil, so auf Maria-Anna entfällt, beträgt dort 5000 Goldgulden,« entgegnete Herr Werner. »Sobald euer Hochzeitstag festgesetzet war, haben wir es ihnen aufgekündigt. Aber wir erhielten derzeit von Leipzig her ein Schreiben der Herren, daß sie dort zur Messe seien und weiter gen Nürnberg und Augsburg zu reisen gedächten. Sonst hätten wir eher gemünzt Gold für die heutige Auszahlung beschaffen können.«

»So bleiben zu sotaner weiterer Zahlung 4000 Goldgulden nach unserem Abkommen, Werner. Was ist's denn mit diesen? –«

Nochmals leuchtete ein schwacher Hoffnungsschimmer bei ihm auf, er könne so viel noch heute erhalten, als er benötigt sei.

»Diese 4000 Goldgulden erhältst du und Maria-Anna an St. Andreas gezahlt. Bruder Hans wird sie euch hinüberbringen. Ich kann und will dir heut nit sagen, wo sie stehen. Das ist eine Sache, die uns Brüder allein angeht.«

Hatte der Krummenseeer sich bis jetzt mühsam beherrscht, so brachten diese bestimmten Worte Herrn Werners ihn in offenbare Wut. Er glaubte, darin ein deutliches Mißtrauen gegen sich zu sehen und sah nun alle seine Hoffnungen gescheitert, den Levy Samuel in wenigen Tagen zu befriedigen. Der kochende Grimm in ihm brachte die bis jetzt niedergehaltene Wirkung des so reichlich genossenen feurigen Frühtrunks zum erhöhten Ausbruche. Ihm war es jetzt gleich, was geschah, und wenn er sich mit Herrn Werner gleich heute erzürnte, Geld mußte er haben. Es wirbelte von den tollsten Gedanken in seinem Hirne, die er bald für gut hielt auszuführen, bald sie verwarf.

Herr Werner achtete nicht auf den wechselnden Ausdruck in dem Gesichte des Ritters, den dieser sich kaum noch bestrebte, zu verbergen. Er hatte die Arme auf die Seitenlehnen seines Sessels gestützt und vor sich die Hände verschlungen, auf die er nun mit hängendem Kopfe sinnend herniedersah.

»Nun die Geldsachen einstweilen erlediget sind, wollen wir halt noch ein wenig von eurem zukünftigen Leben sprechen, Otto. Du und Maria-Anna seid nun ein vor Gott verbunden christlich Ehepaar. Du hast mir manch ein gut und ruhig Wort gesagt, wie ihr es nun nach guter väterlicher Weise mit eurem Eheleben wollet halten. Sieh, ich fühle völlig wie ein Vater für mein jung Schwesterlein, und so ist mir's im Herzen heut, als gäb ich mein erstgeboren Töchterlein aus dem Hause. Mußt nit unwillig werden, wenn ich noch ein lützel mit dir red', wie nun euer gemeinsames Leben werden soll. Sieh, bei aller Liebe füreinander seid ihr ja auch Menschen und eh' ihr recht euch ineinander schicken lernet, kommt manch ein Stürmlein und will euch Unruhe in euren Frieden blasen. Maria-Anna muß als liebend Eheweib deine Eigenheiten kennen lernen und sich gehorsam danach richten, solang sie nit gegen Gottes Gebot verstoßen. Und du mußt als getreuer und gerechter Hausvater bedenken, daß ein jung Eheweib fein von Körper ist und nit so schwere Anstrengung auch beim Reiten und Bankettieren mag vertragen. So sie aber müde sind an Leib und Seele, und Frauen werden das leichtlich, mußt du auch ein lützel Geduld haben, wenn sie ein wenig verdrießlich wird. Und gelt, christliche Haussitten richtet ihr daheim ein? Ihr werdet ein schlicht Morgen- und Abendgebet mit euren Hausleuten halten und des christlichen Dankes nit vergessen, wenn der Geber aller Gaben euch den Tisch gedecket hat?«

Seine Stimme war lauter und von eindringlichem Bitten geworden. Der Krummenseeer hörte aber nur mit halbem Ohre, da seine Gedanken weiter arbeiteten, und als Herr Werner nun fragend innehielt, murmelte er ein »Ja« in einem Tone, als sei das doch selbstverständlich.

Mit herzlichem Wohlwollen ruhten Herrn Werners Augen auf dem jungen Schwäher; er hatte doch immer im stillen noch gefürchtet, dessen jetzt zur Schau getragene ernstere Auffassung christlichen Lebens sei nicht aufrichtig zu nehmen, und er würde, sobald er selbständig sei und Maria-Anna sicher sein eigen nennte, dem oberflächlichen Leben sich wieder zuwenden. Er atmete erfreut auf, daß er dem jungen Ehemann unrecht getan hatte, und der Klang seiner Stimme war nun um so herzlicher, als er fortfuhr: »Und dann, Otto, so euch unser Herrgott ein Kindlein schenken sollte …? – Ich will's von Herzen erhoffen und mit Fürbitte tun, daß es ein Söhnlein sei, als Erbe für deine Burg, und weil auch wir von Herzen ersehnen, daß das Blut der Uchtenhagens nit aussterbe und durch die Frauen unseres Geschlechtes sanfter fortlebe, als es leider in den Adern vieler unserer männlichen Glieder rollet. Ich berichte dir bald einmal darüber. Aber wenn das geschieht und ihr traget euer Söhnlein zur Taufe, das eine sage mir jedenfalls fest und bestimmt auf dein Ritterwort: du lässest ihn streng lutherisch taufen, wie unser ganzes Haus es ist, nit wahr? – Sag' mir doch zu meiner und des Bruders Beruhigung, daß du nit hinneigst zur Lehre der Philippisten, die vom Exorcismus Exorcismus – Teufelsaustreibung. Nach streng lutherischer Auffassung in den damals herrschenden Lehrstreitigkeiten der Reformatoren und ihrer Nachfolger erfolgt die Wiedergeburt des Menschen in der Taufe, der die Teufelsaustreibung vorangeht mit den Worten des die Taufe vollziehenden Geistlichen: »Fahre aus, du unsauberer Geist, und gib Raum dem heiligen Geist.« … Philipp Melanchthon neigte in dieser Frage stark zu Calvin hinüber, und seine Anhänger und Nachfolger, die Philippisten, schafften u. a. besonders in Kursachsen zu dieser Zeit den Exorcismus bei der Taufe ab. Die treuen Lutheraner bekämpften diese Auffassung mit allen Kräften. 1592 wurde auch in Sachsen in den sogenannten Visitationsartikeln eine neue anticalvinistische Lehrnorm aufgesetzt, die alle Kirchen- und Staatsbeamten von diesem Zeitpunkt an beschworen. nimmer viel halten, ihn bei der heiligen Taufe abschaffen wollen und das Kindlein nit von der Gewalt des bösen Teufels befreien. Das sag mir noch, Otto!«

Er hatte im Eifer seiner Bitte sich zu dem jungen Schwäher hinüber geneigt und seine Hand auf dessen Rechte gelegt.

Ein Zucken ging durch des Krummenseeers Körper. Jetzt hatte er es ja gefunden, womit er dem ernsten Schwäher etwas antun konnte, das ihn bis in die tiefste Seele kränkte bei seinem festen lutherischen Standpunkte. Hier konnte er ihn fassen, hier wollte er sich mit ihm überwerfen. Tod und Teufel! mochte da kommen, was da wollte, er mußte und wollte das Geld haben auf alle Fälle. Er zog seine Hand unter der des Schwähers hervor, strich sich unternehmend den Bart und bemerkte höhnisch: »Du und der alte Bucher Ritter, ihr seid doch just über einen Leisten geschlagen! – Was denket ihr weit voraus! Jetzt willst mich schon festlegen wegen eines Söhnleins, so ich noch gar nit hab'. Und wenn ich's hab', – nun Werner, ich bin mein eigener Hauswirt und hab' dann als Ehemann und Vater nit bei meinen Schwähern zu fragen, was sie hirnverschroben über Taufe, Gnadenwahl, Teufelaustreibung und sonstigem Pfaffenstreit ausgeheckt haben. Hab' immer schon gelacht, wenn ich die mageren Herren Gelehrten und Magister sich streiten sah um all solchen Kram. Ist just 's Mundaufmachen nit wert; ein Ritter mit gesundem Menschenverstand braucht solchen Kram wie eine Teufelsaustreibung weder für sich noch für seine Kinder!«

Er war aufgestanden und schritt herausfordernd und sporenklirrend im Gemach auf und ab. Blaß bis in die Lippen und mit entgeisterten Zügen saß der Hausherr da und starrte auf den neuen Angehörigen seiner Familie, der jetzt auf einmal so brutal die Maske abwarf. Ihm war zumute, als träume er, und gleichsam um diesen Bann abzuschütteln, fragte er, obgleich die Worte ihm nur erstickt aus der Kehle kamen: »So glaubst du wohl gar nit einmal, daß dem Menschen die Erbsünde anklebet immerdar und er von ihr befreiet werden muß, ehe er dem heiligen Gott wohlgefallen kann?«

»Ach was Erbsünde!« schrie roh der Krummenseeer, dessen Gesicht sich vor verbissener Wut und Trunkenheit immer dunkler rötete. »So ein kleiner Kerl, wenn der auf die Welt kommt, hat keine Sünde, und wenn ich einmal einen haben sollte, will ich ihm dann schon weisen, als echter Ritter zu leben. Ein Edelmann ist keine Knechtsseele, den hat man anders anzuschauen!«

Jetzt richtete sich auch Herr Werner, durch diese rohen Worte und ihren häßlichen Ton in tiefster Seele getroffen, hoch auf. Schneebleich war noch immer sein Gesicht, aber die Augen flammten, daß das Heiligtum seiner Seele und seines Glaubens hier so in den Staub gezerrt wurde, und die Ader, die ihm quer über die Stirne lief, war dick geschwollen.

»Die Seele eines Edelmannes ist in unseres Herrgotts und seines heiligen Sohnes Augen nit einen Pfifferling mehr wert als die Seele des Knechtes,« kam es scharf und grollend von seinen Lippen. »Und die Erbsünde klebet uns immerdar an, ein Kindlein werde im Kaiserschlosse geboren oder in der ärmsten Hütte. Darum muß sie ausgetrieben werden, und das geschieht kraft des heiligen Gotteswortes durch seinen gläubigen Diener, ehe das Taufwasser die Stirn des Kindleins netzet und seine Seele eingetauchet werde in das Wesen des dreieinigen Gottes. Ist es so geschehen, so ist ein ewig unzerreißbares Band geschaffen zwischen dem dreieinigen Gott und der Seele des Täuflings, es sei das Kindlein eines Ritters oder eines Bettelmannes, das ist bei dem ewigen Gott kein Unterschied. Im Gegenteil, so jetzt deine Seele sollte gewogen werden und die meines alten Waffenknechts, so in manchem wilden Treffen dabei war und wohl nit immer sänftiglich seines Nächsten geschonet hat, aber ein ehrlich treuer Mensch ist, der seinem Herrgott demütiglich seine Sünden bekennet, und deine Seele, wie sie all diese Zeit voll von Lug und Trug gewesen ist, so wird die deine verdammet werden bis in die äußerste Finsternis hinaus, du Lügner und Heuchler du!«

Bebend in gerechtem Zorne stand Herr Werner da und schleuderte seine Worte dem Krummenseeer entgegen.

»Das wagst du mir, einem Edelmann zu sagen!« schrie der völlig sinnlos vor Wut zurück und kam aus der Ecke des Gemaches herangestürzt, wo er wie angewurzelt bei Herrn Werners Worten war stehen geblieben. Mit eines Augenblicks Schnelle hatte er den Degen von der linken Seite gerissen und drang auf den Hausherrn ein. Aber auch diesen übermannte der Zorn angesichts des vor Wut entstellten Schwähers, und er riß ebenfalls den Degen heraus. Der Stoß des Krummenseeers, der sonst unfehlbar Herrn Werners Herz getroffen hätte, glitt dadurch an seinem Arm ab, fuhr aber oberhalb des Armes tief in die Brust, während der Trunkene wild in Herrn Werners Schwert hineinlief und plötzlich einen tollen Satz machte, dann aber mit dumpfem Falle hintenüber zu Boden stürzte. Auch der Hausherr war von der Gewalt des ihm gegoltenen heftigen Stoßes hintenübergestürzt und schlug hart mit dem Hinterkopf auf die Schnitzereien des eichenen Armsessels, so daß er bewußtlos liegen blieb.

Da kam ein eiliger Schritt durch den Gang, der zum Gemache des Burgherrn führte. Frau Barbara, die mit der Schulenburger Edelfrau hier oben mancherlei für Maria-Annas Abreiten rüstete, hatte den Lärm aus ihres Gemahls Zimmer gehört und eilte in Sorge herbei, was es zwischen den Schwähern könne gegeben haben.

Sie riß die Tür auf und schrie laut auf vor Entsetzen über den Anblick, der sich ihr bot. Auch die Schulenburgerin stürzte nun herbei. Frau Barbara kniete schon bei dem Gemahl und richtete sein blasses blutendes Haupt in die Höhe.

»Wulfhilde, Leinen, meine Essenzen aus der Kredenz! Rufe die Schaffnerin! Schwäher Hans soll eiligst zum Medikus hinabsenden, eile, eile!« So schrie ihr Frau Barbara mit tränenüberströmtem Gesicht entgegen, indes sie schon ihren weißen Schurz abgerissen hatte und ihn fest zusammengefaltet in Herrn Werners Wams in die Nähe des Herzens schob, von wo sie das Blut heraussickern fühlte. Ihre blütenweiße Frauenhaube löste sie dann ebenfalls mit bebenden Fingern, faltete sie flach und schlang sie fest um die Wunden an den Schläfen und am Hinterkopf, aus denen stoßweiße der Lebenssaft des Burgherrn schoß. Da kam schon bleich und zitternd die alte Schaffnerin herbeigestürzt, weiches Linnen über dem Arm und einen Krug mit würziger Essenz in der Rechten. Zagend und mit unendlicher Seelenangst in den Zügen betteten die beiden Frauen Herrn Werners Körper auf eine Polsterbank, indessen die Schulenburger Edelfrau mit fliegendem Gewande in die Rüstkammern zu den Rittern eilte und mit vor Schrecken wankender Stimme abgebrochen berichtete, was sich oben zugetragen. Herr Hans taumelte erblassend gegen den Türpfosten, der Schulenburger nur behielt den Kopf oben und rief eilend zwei Troßknechten zu, die Pferde aus dem Stalle zu reißen. Wer zuerst den Wundmedikus aus Fryenwolde herbeibringe, erhalte einen Goldgulden, Herr Werner habe ein Unglück gehabt. Wie der Wind saßen die Knechte auf den ungesattelten Pferden und stoben zum Burgtor hinaus. Die Freunde aber stürzten in die Burg, allen voran jetzt Herr Hans, den Gang zum Gemache des Burgherrn hinauf. Bei dem Anblicke, der sich ihm bot, wollten ihm noch einmal die Kniee wanken, dann aber stürzte er zur Polsterbank, auf der Herr Werner ruhte.

»Lebt er noch, Barbara?« fragte er zitternd und ergriff Herrn Werners Hand. Nur matt schlug der Puls, und Frau Barbara nickte nur leise mit überfließenden Augen, zu sprechen vermochte sie nicht. Sie wandte ihre ganze Sorge darauf, mit der stärkenden Essenz Herrn Werners Stirn zu befeuchten und den Verwundeten durch den kräftigen Duft wieder ins Leben zurückzurufen. Die alte Schaffnerin hatte die Ritterstiefel abgezogen und rieb mit grobem Tuche die Sohlen ihres Herrn.

Die befreundeten Edelleute hatten inzwischen den Ritter von Krummensee auf die gepolsterte Fensterbank gelegt, öffneten sein Wams und forschten nach den Zeichen noch vorhandenen Lebens. Bald aber richtete sich der grauhaarige Schulenburger auf und sagte, trübe den Kopf schüttelnd, zu Herrn Hans: »Sein Leben ist entflohen, er steht vor dem Richter droben!«

»Maria-Anna!« rang es sich dumpf und klagend von Herrn Hans' Lippen.

»Halte sie fern!« rief Frau Barbara, trotz alles eigenen Grames besorgt um die junge Schwätzerin. Aber es war schon zu spät. Entsetztes Schreien kam den Gang entlang. Sich losreißend von den Jungfräulein, die gleich ihr bei der Rückkehr aus dem Walde soeben die Schreckensbotschaft gehört hatten und die unglückliche junge Ehefrau zurückhalten wollten, kam Maria-Anna jetzt hereingestürzt. Mit irren Blicken schaute sie sich um, und als die Ritter erschrocken vor die Leiche des Gatten traten, ihr den Anblick noch zu verbergen, stieß sie den Nächsten wild zurück. Ihre Augen traten starr aus ihren Höhlen, als sie den leblos hingestreckten Körper gewahrte, und als wollte ihr der Kopf zerspringen, preßte sie beide Hände an die Schläfen.

»Tot?« fragte sie heiser und blickte entsetzt auf die bleichen Gesichter rund herum. Dann raffte sie sich auf und nahm das starre Gesicht ihres jungen Gatten in ihre beiden Hände. »Mein Vielgeliebter!« schrie sie erschütternd auf, und jetzt bei der Berührung des erkaltenden Gesichtes schien ihr die ganze schreckliche Wahrheit aufzugehen. Mit einem herzzerreißenden Schrei fiel sie ohnmächtig auf das Gesicht des Toten nieder.

Der Schulenburger Ritter tief die anwesenden Edelfrauen, die sich entsetzt und händeringend in dem Gange drängten, herein und übergab ihnen die Sorge für die junge Ehefrau. Und als nun auch die Burgleute alle mit verstörten Gesichtern herbeieilten, rief er ihnen beruhigend zu, er werde ihnen nachher Nachricht geben, Herr Werner lebe noch. Damit schloß er die Tür, auf daß erst einmal Ruhe einträte.

Nach langen Bemühungen seines treuen Weibes schlug Herr Werner die Augen wieder auf und besann sich mühsam auf das, was geschehen war. Da aber fielen seine Augen auf die starre Gestalt dort am Fenster, und er stöhnte verzweiflungsvoll auf, während zwei schwere bittre Tränen ihm über die Wangen liefen.

»Gott sei Dank, daß du lebest, mein geliebter Werner,« schluchzte Frau Barbara nun erschüttert auf. Bis dahin hatte sie ihren Schmerz über den Hülfeleistungen zurückgedrängt, jetzt drohte ihre Fassung sie zu verlassen.

Ritter Hans trat hinzu und richtete den Bruder in seinem Arm auf, indessen er das bleiche blutige Haupt an seine Schulter bettete.

»Ich lebe, aber der allmächtige Gott gewährt mir dieses Leben nur noch für die Zeit, meine Schuld, meine schwere Sünde zu bekennen!« stammelte Herr Werner abgebrochen und preßte die Hand auf die Brust, wo er unablässig den Lebensquell entströmen fühlte.

»Wie konnte dies geschehen, lieber Bruder?« fragte Herr Hans. Zagend und abgebrochen, stoßweise, oft von Schwäche übermannt, berichtete der Burgherr von dem, was vorgefallen. Die Freunde hörten erschüttert zu, und mancher von ihnen nickte in schweren Gedanken; sie hatten immer Mutmaßungen von den hohen Schulden des Krummenseeers gehört, wollten aber dem sterbenden Burgherrn jetzt nicht noch mehr das Herz beschweren.

Da trat bleichen Antlitzes der Propst mit dem Wundmedikus des Städtleins in das Gemach. Herr Werner sah mit müden Blicken auf und streckte dem vertrauten Geistlichen matt die Rechte entgegen. »Ihr kommet zur rechten Zeit, viellieber Herr Propst, die Beichte Eures Pfarrkindes zu hören, der sich so unendlich schwer vergangen hat!«

»Erst lasset aber mich noch meines Amtes walten, gnädiger Herr!« sagte leise aber bestimmt der Wundarzt, und schon hatte er mit geschickten Griffen das Wams geöffnet und verband die tiefe Brustwunde des Burgherrn mit Frau Barbaras Hülfe fester, so daß der schwere Blutverlust für kurze Zeit gestillt war. Dann ließ er einen stärkenden Wein herbeibringen, so daß Herr Werner sich ein wenig von seiner Schwäche erholte. Die Kissen seines Lagers wurden heraufgebracht, den Schwerverwundeten bequem zu betten, dann ließ der Wundarzt den Leichnam des Krummenseeers in die Burgkapelle schaffen, auf daß sein Anblick Herrn Werner entzogen sei.

Matt atmend lehnte der Burgherr in seinen Kissen. Aber als die Freunde sich rücksichtsvoll entfernen wollten, winkte er bittend mit der Hand. »Im Gemache bleiben!« stammelte er. »Ich gehe hinauf vor Gottes Richterstuhl, aber meine Beichte sollet ihr alle vernehmen, nit nur der Herr Propst!«

Und seine Rechte von Frau Barbaras Händen umschlossen, indessen der Propst mit schmerzlich ergriffenem Gesicht vor seinem Lager saß und der Bruder und die Freunde ihn umstanden, so begann Herr Werner seine Beichte.

»Es ist, Gott sei es geklaget, das alte verhängnisvolle Erbe unseres Geschlechts, der Jähzorn, dem ich heute blindlings nachgegeben und abermals Blutschuld auf mein Geschlecht gebracht habe. O Maria-Anna, mein lieb Schwesterlein!« jammerte er dann auf einmal auf, »dir habe ich dein Lebensglück auf immer zerstöret. Wo, wo ist sie?«

Der Bruder bedeutete ihm mild, sie liege von wohltätigem ohnmächtigem Schlaf umfangen und wisse jetzt nicht, was vorgehe. Abermals trocknete Herr Werner seine Tränen, dann fuhr er mit schwankender Stimme fort. »Weil ich aus den alten Pergamenten wußte, wie schwer sich einst der Ahnherr unseres Hauses aus Jähzorn an einem Menschenleben vergangen hat, und daß dieser Fluch immer auf unserem Hause ruhte, wenn seine Glieder nit in heiligem göttlichen Gehorsam wandelten, darum entsagte ich den ritterlichen Freuden und Künsten, weil bei Turnier und Waffenspiel, bei Trunk und Fröhlichsein so leicht der Gebote des gerechten Gottes vergessen wird. Ich wollte den heiligen Gott versöhnen durch ein ernst Leben, durch Schenkungen an seine heilige Kirche und habe dabei immer auf meine Menschenkraft vertrauet und nun vergessen des göttlichen Wortes: meine Kraft ist in den Schwachen mächtig! Glaubte, ich müsse die sündigen Reden des Schwähers strafen, statt das Gericht und die Rache dem heiligen Gott zu überlassen! … O, lieber Bruder Hans … du bist so viel ruhigeren Geblütes denn ich, dem es oft tobend durch die Adern rollte … o, hüte dein Hänslein, um Jesu willen beschwöre ich dich … lehre ihn sich selbst bezähmen … lehre ihn heiligen Gehorsam und laß ihn ansehen den unschuldigen Martertod unseres Heilands … o bewahre ihn, daß er nit falle in so schwere Sünde wie ich, und der Fluch dann wieder forterbe von Geschlecht zu Geschlecht!« … Bebend und ermattet vor Schmerz ließ der Verwundete das Haupt auf die Brust sinken, und die ernsten Männer um ihn schämten sich der Tränen nicht, die ihnen über die Wangen rollten. Der Schulenburger hielt diese Selbstanklagen nicht mehr aus, er beugte sich über den Burgherrn und sagte: »Tu dich nit selbst so viel quälen, Werner; nach dem, was heute der Krummenseeer zu dir hat verlauten lassen, ist's mir unzweifelhaft, daß die bösen Gerüchte nit falsch sind, so herumgelaufen sind, er habe viele Goldgulden hoch an Schulden bei dem Juden in der Spreegaß' zu Cöllen. Er hätt' vielleicht Maria-Anna sehr unglücklich gemacht, und sie wär' nach einem elenden Leben krank und siech und heimatlos wieder in ihr Vaterhaus zurückgekehrt. Du fügst ihr einen großen Schmerz auf einmal zu, hast sie aber bewahret vor vielen tausend anderen, wenn sie erkannte, daß der Gemahl ihrer nit wert sei!«

Herr Werner blickte matt auf. »Du meinst es in Treuen, Schulenburger!« sagte er dumpf, »aber das nimmt mir die Sünd' und schwere Schuld nit von der Seele, daß ich zum Degen griff, wo ein sanft Wort nach unseres Heilandes Gebot wär' recht gewesen!«

»Aber du hast dich doch deines Lebens erwehren müssen,« sagte nun der Schulenburger ungeduldiger, dessen Rittersinn wehrloses Sichhinopfern nicht eingehen wollte. »Er ist zuerst auf dich eingedrungen, da mußtest du den Degen nehmen!« Herr Werner bewegte matt den Kopf.

»Könnet ihr mir die heilige Absolution erteilen, Herr Propst? Ich bereue aus tiefem Herzen, was mein jähzorniger Sinn getan. Betet alle mit für mich!«

Zitternd faltete er seine Hände. Während der selbst schwer erschütterte Geistliche den heiligen Kelch und das Brot rüstete, sagte der Sterbende noch matt: »Und im Dunkel der Nacht traget mich dann hinab in das Grabgewölbe von St. Niklas. Nächtlich war meine Sünde und muß das Tageslicht scheuen, rüstet mir nit ein prunkend Leichenbegängnis als dem Erb- und Lehensherrn! Als schuldbeladener Sünder trete ich vor Gottes Richterstuhl!«

Unter bitteren Zähren sprach er die Beichtworte nach, die der Propst ihm vorsprach, und genoß dann getrösteter das heilige Mahl.


Ein düsteres Leichenbegängnis bewegte sich nach drei Tagen mit einbrechender Dunkelheit den Schloßberg hinab, dem Gruftgewölbe von St. Niklas zu. Der Leichnam des Krummenseeer Ritters ward von seinem Geschlecht in die Burgkapelle von Krummensee überführt, und als die schweren auf dem Lehen ruhenden Schulden offenbar wurden, löste sie der kurfürstliche Herr ab, um dann das Lehen für immer einzuziehen.

Maria-Anna, die junge Ehegattin, lebte in schwerem Leid und mit gebrochenem Körper noch sechs Monde auf Burg Malchow, treulich von den Geschwistern gepflegt, die nach diesen Trauerfällen beieinander blieben, bis sie, eine früh geknickte Blüte, auch in die Grabkapelle von St. Niklas gebettet ward.

Das Vorleben des Krummenseeers hatte ihr nun nicht mehr können verborgen bleiben, und mit Grauen dachten die sorgenden und selbst tiefgebeugten Geschwister, wie sich wohl ihr Leben an der Seite des leichtfertigen und gottvergessenen Ritters gestaltet hätte.

Dagegen war der sanfte Tod, der sie heimrief, ein Gottesgeschenk. Aber wenn Maria-Anna auch die göttliche Weisheit pries, die sie vor einem elenden Leben bewahrt hatte, nie wich von ihr und den Geschwistern der düster schwermütige Gedanke, daß eine schwere Schuld seit Jahrhunderten auf ihrem Geschlechte ruhe und ein verhängnisvolles Erbe seinen Gliedern beschieden sei, da es selbst den frommen und ernst sich eines heiligen Lebens bestrebenden Werner so hingerissen hatte, sein Ritterschwert mit Menschenblut zu beflecken. » Fluch oder Segen?« – Die letzte Erzählung vom Geschlechte Uchtenhagen beschließt die Sammlung: » Aus märkischer Vergangenheit«. Verlag der Schriftenvertriebsanstalt. G. m. b. H., Berlin SW. 13.

 

Druckerei des Christlichen Zeitschriftenvereins, Berlin SW. 13.


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