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Der steirische Weinfuhrmann.

Ja, wer die steirisch-kärntnerische Drautalstraße nicht kennt, der weiß nicht, was so eine gute alte österreichische Reichsstraße in der guten alten Zeit wagen durfte. Hoppauf und ab benimmt sie sich, mit Schlangenbuckeln, wie ein springender Iltis. Serpentinen? Gibt's da nicht. In kerzengrader Rücksichtslosigkeit geht sie über alle Berge, zur Drau hinab und hinwiederum in luftige Höhen, und wer's im Kraftwagen ein wenig eilig hat, der macht gleich, etwa hinter Völkermarkt, gegen Lavamünd zu, eine kleine Höllenfahrt dritthalbhundert Schuh tief hinunter; der Schreckensschrei der Damen gellt schon unten, die Mägen aber wären noch oben auf der Völkermarkter Höh', wenn sie durch den Hals hinausfahren hätten können, getreu dem Gesetze der Trägheit. Und gleich wieder, hui, ein neues ›Bergele‹ hinauf.

So springt man heute mit der guten alten Zeit um. Die Straße war doch einst gebaut, damit das Leben länger würde! Dort konnte man sich seines Daseins besinnen, denn die Pferdchen gingen fürbaß wie peripathetische Philosophen, kopfnickend, angestrengt und langsam, langsam.

Ach, aber schön ist diese Straße, schön! Zum Verweilen, zum Ausatmen schön. Je weiter weg, desto höher stuft sich die gewaltige Alpengröße empor. Ganz im Süden zieht der riesenhafte Schwung der Sanntaler Dolomiten bis hinter den Obir, und dann starren die geisterblassen Karawanken herüber. Mehr vorne beruhigen sich die gewaltigen Plateauberge des Ferlacher- und Eisenkapplerlandes, und dann kommt die leuchtende Ebene, kreuz und quer zerschachtelt von Wald und goldschimmerndem Feld, von lichtgrünen Riedwiesen und rötlich blühendem Heidekorn. Und jäh abwärts der Straße, weit unten, zwischen Steilufern, die voll Fichtenlanzen emporragen, da geht die tiefbrüllende Drau, die sich mit Felsblöcken balgt, ohne daß man von der Straße auf ihre Kämpfe dort in dem kühlen Abgrund hinunterblicken könnte, so jählings fallen die Ufer ab, so schwarzdicht steigt das Heer der Fichten herauf. Nur wenn ein Bach unter der Straße weg hinuntertost, da sieht man ihn durch den Durchriß unten graulich treiben und gischten, den Strom, der die deutsche Sprache einst aufhielt auf ihrem Sehnsuchtsflug zum blaurollenden Südmeer.

Wir aber auf der Straße, hoch oben im Sonnenlicht, schießen einen Jauchzruf wie einen Pfeil über Strom und Ebene in die gottgroße Ferne hinüber, gegen die schimmernden Felsenberge und grüßen als jubelnde Kinder den Vater alles dessen, was in uns gewaltig ist.

Selten, selten fliegt heute solch ein Juchschrei dort von der wehenden Höhe über das Tal. Denn die Straße ist öde geworden und gilt nicht mehr. Stundenlang mag einer vergeblich horchen, ob in das Rauschen der Wälder, in das tiefe Grollen des Draustromes wohl das liebe Heimklappern eines Bauernwägleins zwischen Tann und Bergecke herübertönte. Zu nichts mehr ist die stolze, hohe Straße auf dieser Welt, die einst des Kärntnerlandes Seele war.

* * *

Von allen Geschichten und Menschenschicksalen sind jene am nachdenklichsten, die enge mit einem Stück Weltschicksal verwachsen sind, und so soll hier zu wehmütiger Ergötzung die Geschichte des Florian Hausbaum erzählt werden, der einstmals die Jugend und der Gesang dieser Straße war.

Florian Hausbaum war ein Waldsteirer aus Mahrenberg, demselben trutzdeutschen, prächtigen Mahrenberg, wo unten die Drau über Titanenblöcke stürzt und wo über dem Ort zwei Kirchen wie zwei Lokomotiven, die sich anrennen möchten, Turm gegen Turm einander gegenüberstehen; die alte windische und die neue, deutsch-evangelische.

Aber die Jugend des Hausbaum Florl wußte noch nichts von der deutschen Todesnot dort im Waldtale der Drau. Alles sang noch die lieben alten Lieder, und der Florian sang sie am schönsten. Er lernte nichts, er schanzte nicht, er sang nur, arbeitsvergessen wie die Grille des Südens. Und als er ans Geldverdienen sollte, da wollte der Taugenichts nicht in der kühlen Fichtenenge mit ihren Brettersägen sein Brot verdienen; es zog seine helle, nichtsnutzige Seele nach dem offenen Sonnenlande, das westwärts von Marburg ein ganzes Stück an der Drau hinaufgreift, bevor Bachern und Poßruck ihre straubigen Kinnladen am Flusse zusammenbeißen, so daß die Gegend wild, jäh und rauh wird.

Im sonnigen Marburg fließt der Wein heute noch in Strömen von allen Hügeln hernieder. Damals aber, vor mehr als vierzig Jahren, waren der Weingärten noch dreimal so viel, bis über Maria-Rast und Zellnitz hinaus, und Florian Hausbaum ward Weinfuhrmann nach Kärnten hinein.

So führte er denn seine nickenden Pferdchen bergüber und bergunter durch das Heimatsdorf über die Grenze, und in Drauburg, in Lavamünd, in Völkermarkt und Klagenfurt warteten alle Wirte auf ihn als den, der die Freude brachte. Und er war der Kerl dazu. Er sang über die ganze wehende Straße dahin, und aus allen Fenstern nickten ihm Leut' und Mädel zu.

Zwischen Lavamünd und Völkermarkt waren die Fuhrwerksbesitzer von dem Vorspann reich geworden, den ihnen die ausgezeichnete Buckelstraße einbrachte, und dort hatten sie auch für den Wein einen offenen Beutel und ein offenes Herz. Darum war der Florl an den beiden Enden der Strecke, wo es die Straße am tollsten trieb, auch am meisten beliebt und bekannt: schon weil er gar so viel Zeit hatte, wegen des vielen Ausschnaufens, Übernachtens, Fütterns und Pferdewechselns.

Auch er weilte am liebsten in jener Auf- und Abwelt. Da hatte er ein Mädel in Drauburg, eins in Lavamünd; eins in Sankt Martin und eins in Eis nahe beisammen (eine gefährliche und beschwerliche Liebhaberei), eines in Lippitzbach, eins in Völkermarkt und eine warme Endstation in Klagenfurt. Diese sieben, lieben, sehnsüchtigen Dinger waren gerade genug für ihn, aber auch er war gerade genug für sie; denn nicht eine ließ er aus, wenn er seine Weinfahrt machte.

Er war ein schöner Kerl, den noch das lustige, altsteirische Hellblond schmückte, das bei den Mannsbildern im Drautal selten zu werden beginnt. Seine Augen lachten; so lachte sonst nichts in der Welt außer seine Straße, wenn der Schnee zergangen war und die erste Weinfahrt begann. Dann schauten die aus der Schneeschmelze entstandenen, windüberrieselten kleinen Straßentümpel aus tausend hellblauen Augen den Himmel an, und es blinkte und schmunzelte in ihnen von Drauburg bis Klagenfurt ohne Unterlaß.

Er liebte diese Straße mit der ganzen Kraft seines Herzens, das sonst, für die Mädel, viel zu lustig war. Auch wechselten die Mädel, die Straße aber blieb. Es gab nur die eine, und sie war einzig.

Sein Leben ging nach den Gesetzen, die Gott für Natur und Wein gegeben hat. Im Winter lag er still zu Marburg oder machte kleine Holzfuhren. Wenn aber nach dem Februar der Wein firn wurde und man den jungen endlich fuhrbar wußte, wenn der Schnee von den Straßen wegsickerte, dann begann seine Königsfahrt, seine hochzeitliche Einkehr nach Kärnten, sein jauchzender erster Triumphzug.

Immer trug er eine Blume am Hut, und auch die Gäule bekamen eine. Wenn er aber im Beginn des März auf der erst schneefrei gewordenen Straße dahinzog, da nahm er einen ganzen Vorrat von Veilchen mit, denn die blühten in seinem glückseligen Sonnenlande zuweilen schon am Ende des Februar in besondern Sonnenwinkeln. Herrgott, schauten da die Walddörfler an der Drau, und gar erst die Kärntner, die vom Himmel oft erst im Mai ihre Veilchen kriegen! Sie hatten noch kaum Primeln, und beim Florl hatten sogar die Pferde Veilchen am Kummet, weil er sie zwischen den Fässern frisch erhalten hatte.

Allen Mädchen brachte er den steirischen Frühlingsduft mit, und so wurde der Florl Hausbaum förmlich zur Personifikation des Lenzes an der ganzen Kärntner Straße entlang und ward als solcher bejubelt und geliebt wie eines jungen Kaisers Majestät.

Er war glücklich.

Die Ammerlinge saßen und sangen an der Straße, die Lerchen stiegen, die Sonne tanzte in den Wasserlachen spiegelnde Kringelreihen, die Spatzen balgten sich überglücklich um das, was des Florl seine Rösser für sie fallen gelassen hatten, die Vorspannsgeber schmunzelten, die Wirte warteten breit vor der Tür auf ihn und schrien Heidi, und neben ihm dufteten und schaukelten und glucksten die gewaltigen Weinfässer.

Weit vor ihm aber, an der langen Straße, warteten sehnsüchtige Mädchengesichter hinter den Fenstern. Liebe, Liebe harrte auf ihn längs des ganzen Weges. Ob es das Jubeln der Weinbrüder, das erlöste »Endlich!« der Wirte oder das gepreßte Seufzen der hübschen Mädchen war, es war ein und dieselbe Freude.

Und diese Mädchen waren so bescheiden. Erstens, weil sie Kärntnerinnen waren (und da muß nicht immer gleich geheiratet sein), und dann, weil der Florl immer einen Winter weggeblieben war, so daß nur wehmütige Sage und entzückende kleine Geschichten von ihm umhergingen. Da war dann die Erinnerung in den sehnlichen Mädchenherzen an der Arbeit, und die machte ihn noch einmal so heiter, so goldig, so lachend, so schlank und so hübsch, als er war.

Im März aber, da kam er einher, singend und Veilchen am Hut und so voll von berauschender Kraft, wie seine Fässer, und machte sie alle glücklich, Wirtsleute und Mädel, und ein Vierzeiler ging über ihn; den sangen alle Burschen an der Kärntner Straße, wenn sie die verliebten Mädel necken wollten. Das Liedchen ging so:

A Veigerl vom Steigerl, a Busserl auf d' Nacht,
Das hat mir der steirische Weinfuhrmann 'bracht.

Er wußte es, was er ihnen allen war; er kannte das Glücksgefühl, das von ihm ausströmte, und wenn er oft bis weit in die stille, fauchende Föhnnacht hinein mit seinem Wagen auf der Straße dahinknarrte und der Blitz eines beleuchteten Fensterleins dem schaukelnden Lichtchen seiner Kummetlaterne antwortete, da warf er selber jenes Liedchen mit seiner starken, hellen Stimme in die dehnende, sehnende Frühlingsnacht hinaus, daß die schlaflosen Mädel, die es hörten, vor Lust in ihre Polster bissen.

* * *

Eine solche Nacht war es, die ihm ein kleines Unglück und einen großen Triumph brachte. Auf dem verwünschten Völkermarkter Straßenbuckel kam sein Wagen in Abschuß, während er noch voll von der nachhallenden Süßigkeit war, um deretwillen er sich in Lippitzbach verspätet. Er war dort aufgenommen worden wie lauter Föhn von den weit ausgebreiteten Bäumen, wie warmer Regen von der wartenden Frühjahrserde! Nun, als er weiterfuhr, schwang in ihm noch immer das Glücksgefühl als ein träumendes Meer, aber spät, spät war es geworden. So fuhr er die ganze Nacht hindurch und kam mit dem grauenden Morgen hoch oben gegenüber der Völkermarkter Senkung an. Er führte diesmal einen kostbaren Wein, der in Steiermark selten wuchs. Der Pfriemer in Marburg hatte den Ungarn Konkurrenz geschworen und hatte einen dunklen Rotwein, Vinarier genannt, auszuführen begonnen, damit die Kärntner fortab auch den Roten aus Steiermark bekämen. Der erste Jahrgang war süß und schwer geraten, und nun führte Florian Hausbaum den Firngewordenen in zwei Fässern, einem mächtigen und einem immer noch ansehnlichen, nach Völkermarkt hinauf.

Während er aber so träumte, lenkten seine Pferde schon bergab. Der Wagen drängte ungeheuerlich und riß die Gäule nach vorne mit, da schrak der steirische Weinfuhrmann empor, und während das Fahrzeug in immer erschreckenderer Schnelligkeit nach der Tiefe zu polterte, machte er den Radschuh los, warf ihn unter das Hinterrad, und der Wagen sprang ob der jähen Bremsung mächtig empor, wie ein schreckendes Nashorn. Eine der Seitenstangen krachte, das geringere von den Fässern wippte über und stürzte schwerbummernd vom Wagen. Der Florl hatte sich ihm entgegenwerfen wollen, aber das Faß streifte seinen Kopf mit hartem Anprall, bevor es auf die Straße niederwuchtete.

Eine Daube war gesprungen, und das tiefrote Naß gurgelte in gepreßtem Schwall aus der Fuge. Der weiße Straßenstaub wurde rötlich. Der junge Fuhrmann aber hatte noch so viel Besinnung, das schwere Weinfaß ins Gras zu rollen, dann wirbelte aufsteigende Ohnmacht um ihn. Aber an seinen Wein klammerte sich der letzte Gedanke. Im Sinken preßte er den Leib an den Spalt, von dem der Wein ausquoll, schwer neigte sich das Faß gegen ihn, drückte ihn an die Erde – und dann wußte er nichts mehr.

Viele Stimmen weckten ihn auf. Ein Mädchen weinte, eine Alte zeterte, der Wirt rief ihn an, schwüler junger Weinduft umroch ihn. Da stand eine Menge Volk umher, und der Wagen war fort, und das Faß an ihm zogen die Männer weg, so daß gleich wieder der Wein heraussprang. Da drehten sie die beschädigte Stelle nach oben. Er aber lag noch so, wie er früher in seiner Lust auf der Straße hingegangen war, das Wams aufgerissen, damit die Frühlingsluft sein heißes Herz kühle. Nur war ihm das festlich weiße Hemd von verschüttetem Weine rotfleckig geworden.

Der Ochsenwirt von Völkermarkt aber fiel beinahe küssend über ihn her. Er hatte oben schon gewartet, als er den herrenlosen Wagen mit dem einen Faß unten im Steiltal anlangen und stehen sah; denn von selber zogen die Pferde den Berg nicht hinauf. Da war er um Hilfe gelaufen und mit ihm alles, was auf Wein und Florl gewartet hatte, und drei Dutzend Menschen hatten es mit angesehen, wie der getreue Florian mit seinem eigenen Leibe trotz Ohnmacht und Schmerz den Wein behütet und dessen Auslaufen verhindert hatte.

Das war einmal ein steirischer Weinfuhrmann!

Hausbaum erfuhr alles, während ihm noch schwindelte und Kopf und Rippen schmerzten. Er hatte schon damit angesetzt, wie ein Kind zu weinen; aber als er von seiner Heldentat erfuhr, da rang es ihm die Lippen nur noch vier- oder fünfmal nach abwärts; dann ging der Mund aus der Hufeisenform ins Breite, und zuletzt lachte der Florl mit dem ganzen Gesicht so bezwingend, daß alle mitlachten.

Nun wurde er im Triumph nach dem Markte geführt, sah seine Gäule gesund und zufrieden und wurde gefeiert als der Held, der er war. Denn er hatte den Völkermarktern ein heiliges Gut gerettet.

Diese Erzählung lief durchs halbe Kärntnerland, und damals war die Höhe und Blütezeit des hellen Florian Hausbaumschen Lebens.

* * *

Dann aber versank sein Glück, sein Ruhm und seine Wichtigkeit mit einemmal. Liebe und Zuruf versanken, und sein Beruf mit all seinen Freuden ward mit ihm zerbrochen. Und das war, weil jenseits, tief unten in der Drauebene, die Eisenbahn gebaut wurde.

Ein Jahr noch führte der Hausbaum Florl stolz und hochauf seinen Wein ins Kärntnerland. Tief unter ihm, jenseits, arbeiteten sie an dem langen Eisenwurm; er aber sah gar nicht hin.

Das zweite Jahr führte er nur mehr bis zum werdenden Sommer seinen Wein. Aber schon bei seiner Frühlingsfahrt ward ihm bang und schwer. Die Mädel waren gar nicht mehr so ausgehungert vor Liebesleid wie ehedem, denn die hübschen, jungen Ingenieure, dann die Werkführer und Poliere wirbelten alles umher. Es hatte Bälle gegeben, Bälle auf Fasching, bis in die kleinsten Dörfer hinein.

Und dann kam der Tag, an dem die erste Lokomotive, mit Fahnen, Reisig, Bändern und Blumen geschmückt, einen ganzen Jubelzug von Marburg nach Klagenfurt hinführte. Dreißig junge Mädchen aus der steirischen Weinstadt saßen im Festprunk darin, um mit den Klagenfurtern zu tanzen. Alle sangen und schrien vor Freude, weil die neue Zeit da war, die Zeit der Jugend!

Aber der blonde Fuhrmann, der inzwischen in die Dreißig geraten war, nahm oben auf einsamer Straße seinen Hut mit dem welkenden Blumensträußlein vor's Gesicht. Die Pferde strengten sich zitternd an, unten aber kroch der Eisenwurm dahin, überholte sie mühelos und verlor sich weit vor ihnen. Nur ein langer Spottpfiff kam noch aus der Ferne, aus den Moorwäldern jenseits der Drau herüber, von weitwehendem Lufthauch herangetragen. Von heute ab führte die Eisenbahn Wein und Liebe, Holz und Glück, Ware und Hoffnung.

Oben auf der Höhe aber tat Florian Hausbaum seine letzte Fahrt. Ihm war von seinem Dienstherrn gekündigt worden. Er ließ die zitternden Gäule rasten, und wo er sonst in seinem ausbrechenden Glücksempfinden von der schönsten Stelle weit über die bezwungene Tiefe hinaus gegen die Alpen hingejauchzt hatte, dort weinte er jetzt ein ganzes dummes Stücklein.

* * *

Fortan war die Straße verödet, mit einem Schlage – und niemand führte auch nur einen Karren mehr über sie. Der Mist, den die Bauern auf ihre Felder ziehen ließen, war fast alles, was sie noch an Gütern dieser Welt trug.

Florian Hausbaum aber wurde Fuhrknecht beim Ochsenwirt in Völkermarkt; das war doch noch ein Trost; sich hier auf der Stätte ehemaliger Triumphe niederzulassen und immer einmal doch wieder eine kleine Fuhre Getreide oder Holz auf der geliebten alten Straße tun zu dürfen. Freilich, seine Mädel alle reichte er mit seinen jetzigen Fahrten nimmermehr ab. Und es tat ihnen auch nicht not, denn nun war Ersatz da. Von drüben, von jenseits der Drau, aus Prävali, Bleiburg, aus Kühnsdorf, aber auch aus Rückersdorf und Grafenstein, und gar erst aus der Landeshauptstadt, von dort kamen die neuen Feinde herüber, die im Dienste so schöne rote Kappen trugen, glänzend wie Offiziere, mit ihren schwarzsamtenen Aufschlägen und den goldenen Rosetten und Flügelrädern. Es waren die jungen Bahnbeamten, Eleven und Assistenten, und jeder war der Casanova seines Bezirks! In jenen kleinen Orten gab es sonst keine Uniformen, und was galt nun der Blumenstrauß am Hute des Florian gegen die Kappen mit Goldschnur und Rosette! Sie nahmen ihm die Lisi weg, die Mariann aus St. Martin und das heißschöne Resele aus dem Örtchen Eis. Sie tanzten ihm in Klagenfurt und Völkermarkt alle Mädchen vor der Nase fort, und gerade der Winter, auf den sich der Florl am allermeisten gefreut hatte, wurde sein Passionsweg, auf dem jede Station das Ende einer Lieb' und Treue bedeutete. Des Florl bester Teil, seine Rarheit, war ja dahin; er war nun doch immer da und vor allem kein Freudebringer, kein Tauwindbote mehr wie ehedem.

Er wehrte sich um seine Stellung bei den Mädchen; aber als echter Steirer begann er mit den Nebenbuhlern von der Bahn Streit und Raufhändel, statt selber Eisenbahner zu werden. Da ward er auf ein paar Wochen nach Klagenfurt in den Arrest getan, und zum erstenmal wuchs bei diesem Menschen, der bisher so offen, so ganz nach außen gerichtet war, etwas nach innen: der Haß gegen die Eisenbahn und die Liebe zu seiner verödeten Straße.

Eigentlich war es die Liebe zu seiner verwehenden Jugend, der unstillbare Durst sehnsuchtsvollen Zurückbegehrens, die Erinnerung! Weil aber die Straße der Schauplatz seiner ewiglich dahingegangenen Größe gewesen, so hängte er all' diese Liebe an sie.

Die Jahre schwanden in nagendem Ankämpfen gegen das immer dicker werdende Blut, und die Jugend war dort, wo die Veilchen von Marburg und die Lieder und der junge Wein waren: bei neuen Geschlechtern!

Drei, vier Jahre lebte zwar der Florl noch von dem Nachhall seiner Siegerzeit und war noch viel und wohl gelitten. Aber es kamen immer mehr fremde Gesichter in den Ort, und neue Geschlechter wuchsen empor, die ihn in seinem Glanze damals nicht verstanden hatten. Die Mädel von achtzehn und zwanzig Jahren begannen aus der Schar der Kinder von damals heranzugeraten, und diese sahen den Hausbaumfuhrmann als ein Überbleibsel »aus der Zeit vor der Bahn«, wie einen Herrn Ältervater an.

Immer seltener wurden jene, die im Wirtshaus auf den Tisch schlugen und sagten: »Ja, der Florele, das war lei a Teufelskerl!« Da begann er selber zu erzählen und nahm seine Legende in grimmigen Schutz. Je mehr er aber zu berichten hatte, um so älter erschien er dem Unterrockgeschlechte.

Anfangs hörte man ihm gern zu; dann galt er für abgespielt. Nun erzählte er, statt mit der alten wehmütigen Behaglichkeit, leidenschaftlich belfernd und reizbar. Er trotzte den Leuten seine Geschichten auf und galt nun noch weniger.

Nur die Straße, die alte Straße blieb seine letzte Liebe und blieb still und treu; sie beide waren verachtet und nutzlos geworden, aber sie waren beisammen geblieben. Nur, wenn er jetzt dahin fuhr –, ach, wie hatte sich auch das geändert. Ehedem führte er mit dem Frühling den jungen Wein daher.

Nun knarrte er das Brennholz für den Winter herzu.

Sein Wirt hatte einen großen Holzhandel begonnen; damit fiel die Fuhrzeit des Hausbaum nun in den Herbst. Da ächzte denn sein Wäglein wieder über die öde Straße dahin, bergauf, bergunter, ohne daß eine Menschenseele ihm begegnete. Kein Fuhrmann außer ihm war zu sehen; er war wie das Gespenst des alten Weges. Der Herbststurm verfing sich in der Drautiefe, wirbelte von allen Seiten abprallend herauf und hieß ihn den alten Filz, auf dem längst mehr keine Blume steckte, tief in die Stirne drücken. Es brauste und schauerte ein einziger Weltgerichtszorn über dem Lande, und seine alternden Knochen fröstelten. Zu Ende ging's, zu Ende; und wo ihn einst Frühlingslerchen umschwirrten, dort umtanzte ihn jetzt aufkichernd das dürre Laub.

Da sah er oftmals wieder die alten Häuser mit den kleinen Fenstern, hinter denen er seine Mädchen gehabt, mehr und schönere als irgend ein Bursch im Lande. Aber sie hatten alle ausgeheiratet oder waren fortgezogen, oder an Ort und Stelle sorgenvolle Häuserinnen und Mütter geworden, die ihn nicht gerne erkannten. Blind starrten die Fenster ihn an und kannten nicht mehr den, für den sie ehedem als kleine Himmelspforten aufgegangen waren, in inbrünstigen Frühlingsnächten. Sie waren stumpf und trübe geworden; weiß Gott, wer dahinter huckte. Wenn es aber unter einem von den Fenstern trotz später Oktoberzeit von Astern und Immortellen wehte und ein junges, frisches Mädchengesicht verwundert nach dem knochigen Hagestolz schaute, der wie mit verfluchten, verlorenen Augen hinüberforschte, dann ballte sich das alte Herz wie eine Faust zusammen und tat ihm sehr wehe.

Aus war es; aus wie ein Feuerwerk.

Und dann, dann wurde ihm noch seine allerletzte Liebe entrissen, die er für unverlierbar gehalten, die Landstraße.

Dem ersten Feinde hatte er nur entsetzt nachgesehen, dem stinkenden, staubaufhurlenden Rasselwagen, der die alte Straße hinter sich schmiß wie ein Verschwender das liebe Geld. Immer öfter kamen sie aber, die grellfarbigen Kraftwagen; immer schneller wurden sie, und immer schwerer bändigten des Fuhrmanns alte Hände die hoch aufscheuenden Pferde.

In früheren Zeiten war er stetig neben seinen Gäulen hergegangen. Nun, da er alt und grau geworden war, hockte er schon recht oft und gerne oben und nickte. Aber gerade dann, wenn er in kurzem Traum seines Lebens bittere Wende vergessen hatte, brüllte wieder so ein Ungetüm hinter ihm sein grollendes tiefes ›Duu, Duu‹. Da hieß es eilig abspringen, die Gäule zur Seite reißen und zu den erregten Rössern Worte der Ruhe, der Liebe und Güte reden, indes sein altes Herz vor Schreck und Haß bis in den Hals hinauf stieß. Der fremde Übermutswagen aber war schon weit voran, und ferne, an der schrecklichen Höhe, wo die Gäule des Fuhrmanns zitterten und stampften, wo er sie neunmal rasten lassen mußte und eine Tabakspfeife lang brauchte, bis er oben war, dort sah er das Ungetüm hinaufsausen. Gleichsam jauchzend erstürmte es die Steigung, so daß es oben noch in die Luft hinauszufahren schien, bevor es von der neuen Tiefe hinuntergeschluckt wurde. Und höhnend, aus schon unglaublicher Ferne gröhlte das versickernde ›Duu Duu‹ nach ihm zurück.

Die Hundskerle! Sie liebten diese Straße, wie der Sportschütz die scheuen Tauben liebt: um sie zu schießen. Sie suchten voll Freude die hundertbergige auf, und sie jubelten, wenn sie diese Buckel mit der zweiten, ja mit der dritten Geschwindigkeit hinter sich weggerollt hatten. Es war eine Freude, die alte Straße zu verhöhnen. Gegend? Schönheit? Die lag vorn, immer nur vorne, vorne.

Florian Hausbaum hatte gemeint, sterben zu müssen vor Wut und Weh, als diese Straßenverschlinger auftauchten, und dennoch, nein; er lebte wieder auf. Er hatte endlich etwas, was ihn abermals an diese Erde band; wenn es auch ein Haß war, er führte ihn zu den Menschen zurück! Nun verstanden sie ihn alle, nun konnte er wieder das große Wort in allen Wirtshäusern führen; er konnte von Gefahren berichten, denen er entgangen war, so daß zur Wiederholung der Erzählung ein halbes Dorf zusammenlief; er durfte fluchen und drohen, ohne verlacht zu werden, Streiche ersinnen, Tücken und Kämpfe ausführen, und abermals erdröhnten die Schenkstuben von dem längst verschollenen Jubelruf: »Brav, Florl, recht is'. Ein Mordssakra, der Hausbaum. Ja, das is' der alte steirische Weinfuhrmann!«

Er fand sich bejaht, gebilligt, bestätigt, wo er hinkam, und sein schönes weißes Haar machte jeden Widerspruch verstummen. Ehrwürdig und groß stand der Haß des Florian Hausbaum in aller Gegend da, und die Augen des alten Fuhrmanns wurden wieder blitzend, seine Wangen rot, und das Herz schwoll ihm, so daß der Alte prächtig aussah. Er hatte was, wofür er lebte!

An einem Frühlingssonntag stand er am Ausgange von Völkermarkt: inmitten des Männervolks, das aus der Kirche gekommen war, und nun sein Festpfeifchen in Gottes lieber, linder Luft schmauchte. Da kam ein roter Wagen durch den Ort, ganz langsam. Ein milder und gerechter Bürgersmann saß darin, der selbst die Roheit der Rasteufel haßte und durch Orte mit der Sanftheit eines Milchwagens zu fahren sich angewöhnt hatte.

Der alte Hausbaum war noch wütend über den letzten »Viehkerl«, der durch die zerstiebende Festtagsmenge durchgeflitzt war wie ein Barbar in der Schlacht auf seinem Sichelwagen. Sein ganzer Zorn entlud sich jetzt über die Reisenden, die ihm so bequem zur Hand kamen. Er sprang dem Wagen in den Weg, der Herr verlangsamte die Fahrt noch mehr und gab das Zeichen. Aber der Florian Hausbaum wich nicht. Da blieb der Wagen stehen.

Und nun ging sie los, die große Rede des alten Weinfuhrmanns; die gewaltigste im Leben des Steirers Florian Hausbaum:

»Ös Furzfahrer! Ös Straßenverstinker, wer hat euch g'rufen! Bringt's ihr a Geld ins Land? Na! Steigt's ihr an anzigsmal ab in Grafenstein, in Völkermarkt, in Lippitzbach? Oder in Eis, in Lavamünd, in Drauburg oder Hohenmauten oder Mahrenberg? Na! Von der Stadt seid's 'kommen, ihr ledernen Stadtfräck und ihr Zahnwehtüchelweiber, und halt's net auf, bis wieder in Marburg seid's oder gar in Graz, weil euch dem Landwirt sei bissel Fressen net guat gnua is. Aber dem armen Bauern sei letzte Gans z'sammführ'n, Kinder überradeln, Pferd' narrisch machen, Fuhrleut' sekkieren, in Herrgott sei Kornfrucht verstauben und 's Heu verdrecken, daß ka Viech mehr 'neinbeißen mag, an der Kirchen vorüberbrüllen, wann drin der Pfarrer vom Himmelreich red't, und dazua stink'n wie der Teifi, dös g'fallt euch! Vom Teifi seid's ös g'schickt, ausschau'n tuat's wie der Teifi, ohne G'rechtigkeit und Erbarmen seid's wie er, und zum Teifi sollt's fahren, daß euch das G'nack kracht, das is mein Wunsch. So, jetzt könnt's weiter stinken!«

Die Damen im Auto zeterten, die Bauern umher drohten und drängten heran, aber der Herrenfahrer, ein stiller, gefaßter Mensch, sah bloß den herzugeeilten Gendarmen traurig an und fragte: »Haben Sie das alles gehört? Schaffen Sie uns wenigstens Platz, damit wir nicht zerrissen werden.«

Er mußte frisch ankurbeln. Dann fuhr er fort, in das tiefe Tal und jenseits bergauf und davon; Florian Hausbaum aber stand da wie Siegfried nach dem Drachenkampf. Der Gendarm sagte ihm mit leisem Vorwurf: »Hast ja recht gehabt, Florl. Aber wenn der Herr dich anzeigt, muß ich gegen dich Zeugenschaft geben. Dann geht's schief; sei doch vernünftig auf deine alten Täg!« Und er ging.

Aber alle anderen waren der Meinung, daß es ganz unmöglich sei, hier vernünftig zu bleiben, und der Florian hatte lauten Beifall. »Sehr schön hast es ihnen g'sagt! Ja, der alte Florl. Ja, die Leut' aus der Steiermark haben's Maul am rechten Fleck.«

Der alte Fuhrmann war von Erfolg und Lob ganz berauscht. Er wußte, daß sein Ruhm Kreise ziehen würde über die ganze Gegend hinweg, und jeder Bauer, der heute in der Kirche war, würde die gewaltige Rede des Florian Hausbaum sicherer als die Predigt nach Hause tragen. Er war groß wie in alten Tagen, und sein Herz wuchs ihm vor Stolz in die Breite.

Da heulte eine Sirene vom Ortseingang her. »Schon wieder so ein Stinkteufel,« hieß es. »Geh' aus dem Weg, Florl.«

Aber der alte Fuhrmann blieb mit weitgespreizten Beinen stehen, und seine weißen Haare wehten im Frühlingswinde wild umher. Jenes Signal kannte er; es kam von einem großen Wagen, der täglich durch die Gegend raste, als gälte es, zu retten und ein Unglück zu verhüten, statt eines heraufzubeschwören. Und dieser Wagen war verhaßt durch das ganze Kärntnerland.

»Da steh' ich,« schrie der Alte begeistert, »und da bleib' ich und laß kein Automobil aus dem Ort!« Er hatte soeben eine angenehme Erfahrung gemacht und glaubte, jeder Wagen würde vor ihm stehen bleiben wie der letzte. Aber da war das Ungeheuer auch schon da, und stehen bleiben, das konnte es nicht, auch wenn der Fahrer gewollt hätte. Ein zorniger Aufschrei im Wagen, ein entsetztes Emporklagen von hundert Stimmen, und mit mächtigem Sprung krachte der Wagen über den Hingewehten weg, hüpfte, zerrte und riß sich wohl noch zehn Schritte weit, trotz Bremse und Ausschaltung fort, dann erst stand er still. Die Insassen, junge, reiche Leute, sprangen heraus. Da lag der Florl Hausbaum am Wege.

Der Kraftwagen hatte ihn tödlich verletzt und auf die Seite geschleudert. Nun rannte alles um Hilfe, und die übermütigen jungen Leute verwünschten es, daß ihr Wagen so bekannt war; sie fürchteten, daß Helfen hier gefährlich wäre. Aber kein Mensch sagte ihnen ein böses Wort. Da umknieten sie den verunglückten Weißbart, wischten das Blut von seinem Antlitz und öffneten seine Weste.

Als der Arzt sich um ihn bemühte, erwachte Florian Hausbaum noch einmal in diesem Leben.

Er sah um sich und atmete unter Weh und Bedrängnis. Aber die wunderbare Frühlingsluft jenes Tages drang selbst in seine zerpreßten Lungen ein wie milder Wein in eines Verschmachtenden Kehle. Berauschend war diese Luft, wie damals; schwach und friedlich, siegreich und geliebt war er wie damals: als er den köstlichen Rotwein gerettet!

Da schwand in seinem irrenden Sinn all die böse Zeit hinweg und aller Haß. Das Alter war vergessen, und in diesem Augenblick, wo die Seele mit den Flügeln zu zittern begann wie ein ausgeschlüpfter Falter, war alles Bisher hinweggetilgt; es gab nicht Leid mehr, noch Vergehen. Zeitlos! Nur Frühlingsluft, holde, versprechende Frühlingsluft gab es. Und wahrlich, die böse Zeit des Alters, des Hohnes und der Eisenbahn, der Herbststürme auf der Straße, des stockenden Pulses in den Adern, alles war nicht wahrhaft! Alles war nur geträumt.

Denn ihm war so schwach und wohl wie damals, da er die herrliche Jugend fast um ein Faß Wein geopfert hätte. Und hier waren ja auch die feuchten, dunkelroten Flecke im hellbesonnten Straßenstaub, und das Rot auf seinem Sonntagshemde brannte noch rubinheller!

So ging ein Schwindel von Glück ohnegleichen durch des steirischen Weinfuhrmanns Hirn, weil seines Lebens höchster Tag und seine Heldentat immer noch da waren. Er schluchzte in Schmerz und Freuden: »Laßt mich und haltet den kostbaren Wein! Der darf nicht verlaufen. Leuteln, der heilige Wein!«

Und glücklich wie ein Trunkener versank er in den Purpurtraum der Ewigkeit.

* * *


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