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Der Schatz.

Es liegt ein Städtlein an der Drau.

Man hat heute wenig Gefühl dafür, wie anständig dieses Städtlein vor sich hinsummt. Jeder Korb Bienen schwärmt einmal im Jahre aus; jenes Städtlein tut nichts dergleichen.

Wohl kocht Wein, süßer, schwerer und kostbarer Wein dort an den Südhängen. Ja, die ganze Stadt ist ein einziger sonnenträumender Südhang voll süßen Weines zwischen den windischen Büheln und der Drau. Die Bürger werden davon langsam und schläfrig, wie allzu blütentrunkene Hummeln. Nichts rührt sich in der Stadt: kein Gemüt schwankt ärger und länger als eine Krämerwage. Sie schneiden Kapaunen, mästen sie und essen sie, daß ihnen das Fett über die Backen rinnt; die herrlichsten Kapaunen über dem Erdboden! Sie hacken, rigolen, schneiden, ziehen und keltern den Wein, den ihnen einst das Weltenvolk, die alten Römer, gepflanzt. Ihre Welt aber geht nicht über diese Weingärten hinaus. Schmausen, trinken, duseln, Gevatterfreundschaften und Gemeinderatsfeindschaften, ein bißchen Klatsch und ein bißchen Gesang im Herbste … Insel der Seligen.

Zum erstenmal kam ich dorthin am Beginn des März. Damals lag über Wien der dicke, traurige Donaunebel, und die Menschen quallten durch braunschmutzigen Schnee. Nichts pulste und trieb noch über den braunen Feldern, außer meiner geheimen und von Phantasien göttlich betrogenen Dummejungenseele.

Dort in den windischen Büheln aber wehte der Südwind. Im lichten Jungwald standen die Schneeglöckchen wie eine betende Engelschar, so weißhemdig, kerzenaufrecht und dicht; und über den Wiesen schockte sich der Primeln endloses Blaßgold. In den Weingärten spateten die windischen Arbeiter und hatten all' ihre Röcke ausziehen müssen, so verliebt war hier die Sonne im März. Die offene Erde roch nach Allgüte und lag in selig offener Empfängnis da. Da zog ich in diese Gegend ein.

Die windischen Bühel sind fast alle gleich niedrig, und da sie gleichsam schachbrettförmig stehen, so sieht man von einer jeden dieser sanften Kuppen an ganzen Hügelreihen vorbei wie über ein niedriges Gäßlein, nach dem großen Marktplatz der Ferne hinaus. Am Süd- und Osthang der Hügel ringelt sich die Rebe, im Westen lehnt sich Wiese und Acker hinan, den Nordabfall und die Gräben hält wehender Wald besetzt. Die Häuschen liegen all auf der sonnigen Höhe, und auf den seltenen höheren Bergspitzen, die absonderlich hervorragen, da muß ein Kirchlein stehen oder eine Kapelle.

Denn dort erhoben die alten Heiden, die ein wundersam wehes Gefühl für die Unendlichkeit und die Weltenweite gehabt haben müssen, ihre Opferstätten; und bevor droben nicht das Christenglöcklein schwang, wurde dort Belobog gepriesen und Cernebog mit Opfern bestochen. Dann wechselten die Namen, aber das holde Gottesgefühl der Religionserfinder und die Leichtgläubigkeit der Massen blieb.

Ihr fühlt allerorten noch die ganze Poesie des Heidentums; denn auf jenen Hügeln wohnt ein fremdsprachiges Volk, das euch nichts vorlügen kann. Eure Phantasie allein erzählt da; am schönsten ist es auf dem höchsten der nahen Berge, Sankt Urban.

Von dort seht ihr im Westen die Koralpe felseinsam, sargstill und an die siebentausend Schuh, und im Süden den tief schwarzgrün drohenden Bachern mit seinen Urwäldern, darin vor gar nicht langen Zeiten noch Bär, Luchs und Wildkatze hausten.

Ihr schaut nach Norden, Westen und Süden aus und bekommt Sehnsucht nach Nord, West und Süden.

Auf einer von jenen weitatmigen Höhen, die mit all ihren Nachbarn und dem weiten Lande ringsum wie ein tieftöniger Choral des Friedens und der Befreitheit zusammenstimmen, saß in seinem Weingartenhaus mein Ohm Arno, drei Vierteile des Jahres.

Von dort oben sah er stillgesegnet dem Werden und Vergehen zu, bis der Boreas das allerletzte rote oder gelbe Herbstlaub in die große Ebene hinausgewirbelt hatte. Dann reiste er dem verwehten Laube nach – irgendwohin in die Welt. Einmal in die Großstadt, einmal nach Süden; kaum wußte jemand, wo er blieb. Bestand hatte er nur auf jenen beglückten, weitschauenden Höhen, wo er mit dem Frühjahrskrokus wie aus der Erde gewachsen schien und wieder da war.

Von jenem Sonntag Lätare an bis in den aquamarinklaren südsteirischen Herbst, wo das Auge die Steiermark von einem Ende bis ans andere abzufliegen vermag, war ich sein Gast, und wir hatten an den warmen Abenden unsere Herzen aufgetan. Jeder blickte nachdenklich hinein wie in alte, geheime Familienschränke, in denen nur des Lebens allerbester Freund blättern und kramen darf. Eines Abends nun im September waren wir lange stumm geblieben, da des Himmels Chöre Hochamt gehabt hatten. Hinter dem Sarkophag des Bergschweigens, der ernsten Koralpe, war der Abend in unbändigen Flammen verlodert. Gloria hatten die Wolken gesungen, Halleluja, und dann Miserere; in düster verglühender Pracht. Nun senkte die aschfarbene Dämmerung ihren Mantel, und die ganze weite Ebene ward ungewiß. Abendwind stand über den Fichtenwipfeln auf und ritt über die Hügelspitzen dahin. Da kam hoch von den Bosruckbergen im Südwesten eine Glockenklage dahergetragen; kaum war sie hörbar, so von ferne schwang sie einher.

»Was für ein Friede,« sagte ich.

Der Oheim schwieg und sah mit seinen stillen grauen Augen ins Endlose.

»Es muß die Glocke einer Bergkirche sein,« riet ich.

»Heiligengeist,« sagte er. »Das liegt so hoch oben, daß nichts als Hafer dort gedeiht, und die Glocke hab' ich als Junggeselle gießen helfen. Wenn sie dir heute Friede läutet – damals ist es friedlos, gierig und verrucht zugegangen, als ihr Erz in die Form zischte.«

»Ja, du warst in deiner Jugend Glockengießer,« erinnerte ich mich. »Erzähle doch.«

Da sprach er sein Schicksal in die sinkende Dämmerung vor sich hin, und seine Gestalten wurden immer nachthafter, je mehr die Düsterheit um uns aufwuchs und uns überflutete. Er erzählte rotes Licht mit schwarzen Figuren in das Dunkel hinein, und seine Geschichte ging also:

»Da ich als frischer Gesell in das Städtlein unten einzog, wo der einzige Glockengießer im ganzen weiten steirischen Unterland sein Wesen hatte, da sah ich nichts von der unendlichen Hügelweite, nichts von der Verklärtheit dieses Landes und hörte nicht dessen Harmonien.

Ich war jung, gefräßig, verliebt und auf ein frisches Leben gestimmt. Ich sah die Welt wie einen Tanzsaal an. Je gedrängter, je stampfender, je hitziger, um so besser. Bei meinem Meister trat ich gern ein, denn es hieß, er habe ein schönes Mädel.

Der erste Eindruck, den ich bekam, war die Mästerfreude, die mir meine Lehrherrschaft entgegenbrachte. Denn was eine echte steirische Familie ist, die glaubt, jeder Deutsche aus dem Norden sei zu Hause dem Verhungern nah gewesen. Wenn's ein Idealist scheint, dann wächst diese Todesangst um ihn noch mehr.

Als ich am ersten Abend, bloß so aus Romantik und wegen dem Mädel, von den Primeln und Schneeglöckchen und vom Erdgeruch zu reden begann, was alles mir auf dem letzten Wanderschaftstag wohl gefallen hatte, da sagte des Glockengießers Frau ängstlich zu ihrem breiten, stillen Manne: ›Da siehst du's; er hat von nichts als von Luft gelebt dort draußen im Schlesischen. Du warst gerade so mager wie er, als du von der Wanderschaft heimkamst.‹

Worauf sie, nach einem herrlichen Backhuhn, eine riesige Schüssel gekochter Edelkastanien auf den Tisch stellte, nebst einer Flasche Wein, vor deren Größe ich damals erbebte.

Den Wein hatte des Glockengießers Tochter herbeigebracht.

Es saßen nun fünf Leute um den dicknußbaumenen, runden Tisch und schälten Maronen und aßen und tranken mit südsteirischer Hingabe.

Da war der schweigsame Glockengießer; alt, breitgesichtig und sitzfest wie ein Grenzstein; die Hauswirtin, die selber wie eine beschwerlich dicke Glocke mit kleinem Helmkopf aussah; die allerjüngste Tochter, die allein von neun Kindern noch im Hause wartete, bis sie irgendein Ehewerber gemütlich wie den Bissen von der Schüssel wegschnappte; dann ich und der Altgeselle Svetelenz.

Dieser saß, den Hals unter seinem Buckel vorstreckend, mit wandernden Augen am Tisch, drehte seine Kastanie wie ein nagendes Eichhorn vor den Zähnen und sah aus, als hätte er die Füße oben auf dem Stuhl und kauerte hockend darauf.

Die Meisterstochter war glatt und schwarzhaarig, hatte ein kugelrundes Köpflein, stille, fragende Augen, lautlos fleißige Hände, einen Gang, bei dem man nur die Leinenröcke rascheln hörte, und tat jedem wohl wie ein schüchternes, liebes Wort. Sie war hübsch.

Im tiefbraun vertäfelten Zimmer tanzte das kleine Ölflämmchen wie eine unruhige, arme Seele, die gern losfliegen möchte und dennoch stillhalten und brennen muß; leise prasselte das singende Öl als Flamme empor.

»Nun wird es wieder Nacht, schon wieder Nacht,« stöhnte der Svetelenz.

Der alte, breite Meister lachte lautlos.

»Er kann nie schlafen,« sagte die Meisterin zu mir.

»Er meint, es sei ein Schatz im Hause,« klang Beatens Stimme aus dem tiefdämmerbraunen Stubenwinkel.

Da horchte ich auf. Ei, welch ein Abenteuer!

Aber dann wurde vom Kloster Nazareth gesprochen, das ein neues Geläut brauchte, dann vom Weinjahr und von den beiden Schweinen Tschuneg und Tschernez, die zu Mast im Koben lagen. Tschuneg sei faul und dick und brav, Tschernez sei ein Ausbrecher und denke noch manchmal an Abenteuer. Man müsse ihn mit Schaden loszuwerden trachten. Und dann sprachen sie über zwei Bürgerssöhne von ähnlicher Gemütsart, mit ähnlichem Lob und Tadel.

Ich nahm mir vor, den menschlichen Tschernez kennen zu lernen.

Dann gingen alle schlafen. ›Spät, spät,‹ murmelte der Glockengießer, denn es war 9 Uhr.

Über die Oberstubentreppe schlurfte der bucklige Svetelenz mir jungem Gesellen schweigend vorauf wie ein lahmes Huhn. Vor der Tür drehte er sich um und leuchtete rundum an die dicken Mauern und Wölbungen.

›Die Steine sind still, sind still, sind still,‹ sagte er.

›Was sollen sie reden?‹ fragte ich.

›Was in ihnen ist,‹ erwiderte Svetelenz. Dann stieß er die Tür zu unserem Schlafzimmer auf, zeigte dem neuen Junggesellen Bett, Schrank und Truhe, entkleidete sich und klomm wie eine Kreuzspinne zu Bett. Als ich ebenfalls lag, blies er das Licht aus und sagte: ›Im Namen aller weißen Geister.‹

Nach einer Weile flüsterte er: ›Du, Deutscher!‹

›Ja?‹

›Hast auch was anderes gelernt als Glockengießerei?‹

›Fast nur anderes.‹

›Bücher?‹

›Ja.‹

›Weißt was von der Wünschelrute?‹

›Ein wenig.‹

›Was glaubst du, ist besser: Erlenholz oder Kreuzdorn?‹

›Das kann ich dir nicht sagen.‹

›Erlenholz sag' ich dir,‹ flüsterte der andere. ›Mit Kreuzdorn probieren's alle feigen Kerle, so daß es dem Heiland schon zuwider ist, jedem zu helfen. Erlenholz aber ist dem Draumann sein Holz, und der Draumann war noch vor dem Teufel hier im Land.‹

Er machte Licht und steckte die Unschlittkerze wieder an.

›Ich kann nie schlafen, nie schlafen,‹ stöhnte er. ›Schau du, wie mir der Schweiß aus der Haut prallt! Mich schüttelt die Angst, die Angst vor dem eingemauerten Gold. Ich spüre das Gold; darum muß ich schwitzen wie die Steine vor dem Donnerwetter. Es ist ein Schatz im Hause.‹

Dann erhob er sich und stand auf seinen pelzigen Beinen vor der Truhe.

›Ich nehme die Birkenrute und die Erlenstäbe.‹

›Zeig' her,‹ sagte ich.

›Nein, komm' mit, da kannst du's sehen und helfen,‹ tuschelte der Bucklige.

Da gingen wir beide barfüßig leise und seltsam im mittanzenden Kerzenlicht durch die Nacht des Obergeschosses. Der Altgeselle legte die Erlenstäbe aneinander: es hatte der eine einen kugeligen Kopf, der andere eine Höhlung am Ende, die ineinander gehörten. Mit ausgedrehten Ellbogen begann Svetelenz eine Wanderung längs alter Wände. Da und dort zuckten die Stäbe nach innen oder nach außen, und dünnriesliger Schweiß stand über dem angstreichen Gesicht des Gesellen, da sich aus dem Hin- und Herbiegen der Krampfstäbe kein System erraten ließ. Die Birkengabelrute versagte gänzlich und wippte gar nicht, denn die Nerven des Svetelenz waren längst abgespannt, da sie die gleiche Arbeit oft hatten tun müssen.

›Wir finden's nicht, und doch ist es da,‹ stöhnte er.

In der düsterwölbigen Stubennacht schliefen dann weder ich noch der windische Gesell. Svetelenz stöhnte, ich glaubte, die südliche Steiermark sei ein Abenteuerland, und es werde mit traumwunderlichen Geschehnissen so fortgehen. Ich nahm an der Goldangst des Svetelenz mit fiebernder Seele Anteil, und beide stöhnten wir und zerwälzten unsere Betten. Svetelenz betete, fluchte und murmelte, ich schauerte und dichtete.

Wir schliefen erst ein, als die Dachstube blaßgrau und nüchtern wurde, um Hahnenkraht.

Am anderen Tage hatte ich den Hort vergessen und wir bossierten fleißig an der Wachsdecke der Heiligengeisterglocke herum, die über den Mantel kam. Es gab hübsche Bilder, zwei Stifterwappen und schöne Lateinsprüche. An anderen Tagen dann legten wir die Haube darüber, brannten sie hart, brachten den Mantel heraus und dergleichen mehr. Die Beate sah uns zu.

Der Svetelenz war in der Form geschickter, ich im Zierat, und dem hübschen Weibsapfel gefiel auch mein Zierat besser. Da fluchte der Svetelenz ein wenig auf windisch.

Am Abend erzählt' ich oft von unseren Burschenstreichen, und es bog sich rund um den ganzen Tisch vor Lachen alles so weit zurück, daß man nur mehr den Bauch und die Uhrkette des Meisters und die Knie der Meisterin sah. Von Beate sah ich nur die Kehle, die war mattweiß und zitterte wie an einem Fröschlein, vor Lustigkeit.

Oder auch, ich sang Lieder. Da sang Beate mit. Ein Lied lang hielten wir uns stets an den Händen. Ich sagte, es gehörte zum Brauch, weil es ein Bundeslied sei; wenn aber die Beate nicht neben mir gesessen wäre, da hätt' ich's nicht vorgeschlagen. Beate hatte eine warme, feuchte Hand; die war sehr ruhig, und ich dachte: Wird diese Hand einmal in der meinen zittern?

Es gingen die Tage hin. Die Glockenform war fertig und ausgebrannt und stand, auf den Guß wartend, in der Grube. Mein Herz stand leer und durstig wie sie, Feuer zu trinken. Nun fieberten wir beide in den Nächten; der Svetelenz vom Gold, ich von der Meisterstochter, und sie machte mir liebe, tiefschauende Augen. Ich hatt's bald heraußen, daß sie gern lachte, und so formierte ich aus Arbeit und Essen den heillosesten Zirkus, daß das ganze steile Draugäßlein vor Gelächter abrutschen hätte mögen. Zuletzt, als sie nicht mehr ohne mich sein mochte, ward ich still und traurig, und sie mit mir. Denn ich hatte ihr gesagt, daß ich ein armer Teufel wäre. Ach ja. –

»Wenn wir den Schatz höben,« seufzte sie.

Da ging ich richtig an ein großes Suchen im Hause; aber ohne Wünschelholz. Ich maß die Mauern innen und außen bis auf Zoll und Linie und zeichnete alles fein sauber auf einen Plan. Das konnte der Svetelenz nicht. So wußte ich bald, wo Steinwerk und Pfeiler am dicksten waren. Da ging ich dann nach Feierabend mit dem Holzklöppel umher und paßte auf, wo es hallte.

Beim großen Stiegenpfeiler gab's einen hohlen Kellerton.

Da lief es mir doch gruselsam über den Rücken. Ich hieb stärker und stärker hin, da rückt ein Stein unter dem Schlägel fort und ein Stück nach einwärts. Da ist es, denk' ich, ganz trunken vor Hoffnung und Angst. Wie ich mich aber umsehe, steht der Svetelenz käsegelb neben mir.

›Laß es für heut',‹ zischte er mir zu. ›Wir wollen's dem Meister verschweigen. Heut' Nacht hitzt er den Flammenofen, weil wir morgen die Glocke gießen sollen. Da können wir nichts machen. Morgen nachts teilen wir. Sei still, sei still, Deutscher.‹

Ich wußte nun doch alles, und ich dachte: ›Schweig' ich oder sag' ich's dem Meister? Oder Beate?‹

Die ganze Nacht aber blieb der Svetelenz neben dem Meister, und Beate schlief. Am Morgen rief er mich zum Guß. Im Ofen brodelte die Speise, wir setzten zuguterletzt noch das andere halb Zinn hinzu und lauerten.

›Ihr laßt die Speise über eine offene Gußrinne laufen?‹ fragte ich noch, da stößt der Svetelenz schon den Hahnenzapfen an und die braune Glut springt heraus und schießt in die Form. Wie die Luft aus den Windpfeifen zischt, neige ich mich zur Grube und horche, ob nichts knackt, ob kein Sprung entsteht. Da packt mich der Svetelenz und will mich mit dem Kopf ins ausrieselnde glühend-flüssige Erz stoßen.

Ein Schreck, ein Schrei, und ein Wunder war's, in einem Augenblick. Denn ich konnte noch fortweichen und drehte mich um ihn wie ein Wetterhahn um den Zapfen; sonst wär' es aus gewesen!

Da rang er und weinte vor Wut hoch und schrill wie ein Kind und wollte mich immer wieder zum Ofen drücken. Ich aber drehte mich stets um ihn; es ging wie ein Teufelstanz, bis das Erz verrieselt war. Häßlich, häßlich war das, in der keuchenden Stille.

Hinten stand der Meister, stumm und fest wie ein Grenzstein, rührte sich nicht und schwieg. Als ich aber den Schrecken veratmet hatte und Mord zu schreien begann, da lachte er laut auf und sagte: ›Schäckerhänse! Balgt euch da wie die dummen Buben und dann schreit ihr Mordio?‹

›Hast wohl den Svetelenz ein bißchen in die Glut stoßen wollen? Na, wenn nur der Guß gelungen ist!‹

Der Svetelenz hatte sich gesetzt und lachte, zittrig und wie zersprungenes Glas: ›Das ist ein Deutscher, der Spaß versteht! Was?‹

Wer weiß, was ich in meiner Wut jetzt begonnen hätte, wenn nicht Beate zu uns gekommen wäre, das Antlitz ahnungslos und treuherzig wie ein runder Apfel.

›Nun haben sie Durst allbeide, und wir haben den besten Wein schon weggetrunken,‹ sagte der Meister zu ihr. ›Morgen dann will die Glocke besegnet und lebendig getrunken sein, und der beste Riesling ist oben im Weingartkeller.

Beate, Arno! Geht mir doch gleich hinauf und nehmt das kleine Henkelfaß mit. Ich geb' dir den Tag frei, Arno. Bringt uns den besten Elfer herunter. Und, Beate, geh' mit ihm in die Speisekammer, packt euch was Gutes zu essen ein.‹

Es ist wahr, ich hatt' in einem Nu auf Todesnot, Kampf und Goldhort vergessen. Ein ganzer Tag allein mit Beate im Grünen! Ich glaube, ich habe dem Meister noch allerschönstens gedankt, und beide lachten; er und der Svetelenz.

Das Weingartenhaus, mein Junge, war dieses, vor dem wir jetzt sitzen. Du weißt, wie weit man aus der Stadt heraufgehen muß. Damals erzählte ich Beate den ganzen langen Weg von meiner Liebe und dann von dem Schatz, und daß der Svetelenz mich töten wollte. Daß ihr Vater zugesehen hätte, wagte ich ihr nicht zu sagen. Ich wußte es selber nicht genau.

Da weinte sie viel und innig um mich, fiel mir um den Hals und küßte mir mehr Freude ins Herz, als mir die zwei Goldteufel Schreck und Angst gemacht hatten.

Im Keller küßten wir uns ganz wirblig und trunken; aber mehr nahm ich ihr nicht als Küsse. Denn zuerst mußte ich wissen, ob ein Schatz da sei. Dann konnten wir heiraten, denn mir als Finder gebührte die Hälfte.

Als wir spät am Abend zurückkamen, hatte die Hausmutter ein dunkelrotes, schwitzendes Gesicht, riß uns den Wein aus den Händen, schrie ›Hoch! Hoch!‹, setzte das Fäßlein an, trank aus dem Spundloch und lief dann davon, als hätte sie was verraten.

Der Meister kam uns schweigsam entgegen, aber seine Augen brannten. Der Svetelenz war nicht zu sehen, dagegen hatte der Stiegenpfeiler einen großen, feuchten Fleck und ein tüchtiges Loch war frisch zugemauert.

›Ihr habt also den Schatz gefunden?‹ jubelte Beate. ›Wieviel ist es?‹

›Was für einen Schatz?‹ fragte der Meister. ›Dem Svetelenz seinen? Da haben wir uns schön betrogen. Eine Kiste mit verschimmelter Leinwand war im Pfeiler drin. Unten im Keller liegt alles; seht es euch an.‹

Die halbe Nacht bat mich der Svetelenz auf den Knien um Verzeihung und schwur immer mittendrein, daß sie gar nichts gefunden hätten als mürbe Hemden und Bettzeug, das eine Hausfrau in alten Zeiten vor Türk oder Franzose versteckt hätte.

Nun wußte ich, wie lachenswert hoch in den Gesetzbüchern, die damals noch für Recht gingen, der Schatzfund dem Staate galt, und sagte ihm: »Morgen früh kommen die Gendarmen und drehen das ganze Haus um.«

Er bat weiter bis gegen früh. Gewalt wagte er nicht mehr.

Am anderen Morgen hatte Beate rotgeweinte Augen und sagte mir, sie müsse den Svetelenz heiraten.

»Die Spinne, das Scheusal, den Buckel?« schrie ich.

»Mein Gott, das bin ich seit Jahren gewöhnt. Nun hat er Geld, hat meinen Vater in der Hand und wenn du nicht gekommen wärst …«

Da schrie ich vor Wut auf, daß die Bude zitterte, und schwur, nun ginge ich zum Gericht. Der Alte versprach mir Geld, ich spie ihn an. Er drohte mir, ich wandte mich zum Gehen, indes mir Beate am Halse hing und bat und weinte.

Da kam die Alte hinzu und bat um Friede.

»Er soll in Gutem von uns gehen,« sagte sie.

»Beate hat überdies zu wenig Wein gebracht. Wir wollen seinen Abschied und die Verlobung noch zusammen feiern. Überleg' dir's bis morgen, Arno, ob du dich oder uns unglücklich machen willst. Geh' mit Beate den Wein holen. Und du Mädel, kehrst mir nicht um, bevor er nicht geschworen hat, stillzuschweigen. Bitt' ihn nur recht.«

Das Mädchen kehrte sich zum Vater: »Tu's nur,« nickte der.

Beate sah dem Svetelenz ins Gesicht, der aschfahl in der Haustür stand und kaum hörbar sagte: »Ja, ja … dir zulieb hält er schon das Maul.«

Da ging ich still und zitternd mit ihr wieder auf den Berg, und wir blieben einen Tag zusammen und eine Nacht. Es war ein Glück, das wie Folter weh' tat, und jeder Kuß war eine Fackel, die bis in das Herz hinein sengte. Ich schrie vor Zorn und Schmerzen mehr, als ich jauchzen konnte, und Beate weinte viel. Dann ging sie zur Stadt, brachte mir mein Bündel und blieb noch eine letzte Stunde bei mir. Ich wollte nicht mehr hinunter.

Von diesem Hause wanderte ich in die weite, fremde Welt hinaus. In meinem Bündel fand ich eine uralte, schwergoldene Medaille in Form eines Herzens. Du hast sie gesehen. Die hatte mir Beate hineingesteckt, vom Schatz in der Draugasse.

Ich bin weltaus und weltein gewandert und aus dem Glockengießer ist ein Kanonengießer geworden, im Jahre Neunundvierzig, als sie in Ungarn ihre Artillerie aus der Erde stampfen mußten. Das hat mich reich gemacht.

Man sagt, das Eisen und der Mann haben eine Art geheim hypnotischer Verwandtschaft. Das hab ich nur im Jahre Acht- und Neunundvierzig wahr gefunden, und seitdem nicht wieder.

Aber daß das Weib und das Gold sich anziehen, das hab' ich oft gespürt, mein Junge, seit jenem erstenmal, da Beate mit dem gelben Teufelsblei untersank. Geheiratet hab' ich nicht. Das gelbe Herz in meinem Beutel war ein Talisman; ich fand Weiber genug ohne Ring.

Nur Friede, Friede war niemals in mir, außer wenn ich mit Bäumen allein war; mit Bäumen, Blumen, Hügeln, Bach und Wind, oder wenn ich von der Höh in die Weite sah.

Als ich nach dreißig Jahren wieder in die Gegend kam, war der Glockengießer weggefegt und der Svetelenz unter der Erde und Beate auch. Das Glockengießerhaus in der Draugasse kaufte ein Lederer, den Weingarten ich. Und hier ward mir der Friede; hier, wo höchstes Glück und nagendstes Unglück zu gleicher Zeit die Arme um meinen Hals rangen.

Siehst du dort weit in der Nacht das Lichtlein über Berg wandern? Hörst du das friedvolle Aufträumen der hölzernen Windmühlen? Und dort fern das weinfrohe Jauchzen?

Von hier aus begreifst du die Unendlichkeit. Von hier aus ist Glück und Leid in einem blauen Duft versunken. Hoch, hoch über die Welt und näher an die Harmonie der Sphären, als alle ahnen, die zwischen Gold und Weib im Taumel leben, bin ich gestiegen.

Das ist der Schatz, mein Junge …«

* * *


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