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Eine Altwiener Geschichte von der verdammten armen Seele des Herrn Kläuser.

Der stille und sehr feingebildete Doktor Balthasar Kläuser war für seine dreißig Jahre erstaunlich weit gekommen. Bis in den Kreis der Intimsten des Kaisers und noch weiter: bis in das geheime Sekretariat des Polizeipräsidenten Grafen Sedlnitzky, wo er, wenn es nach aller Willen ergangen wäre, den Kaiser für Metternich und Sedlnitzky, Metternich für den Polizeichef und Sedlnitzky für Metternich hätte beobachten sollen.

Es war ein Glück, daß diese reine Denkernatur, die fast wider Willen zu solchen Wichtigkeiten gelangt war, dort im Kreuzspinnenzentrum saß, denn wenn man im Verlauf dieser Geschichte erfahren wird, wie verderblich diese Charakterrolle schon auf die ursprünglich unbegrenzte Herzensgüte des armen Kläuser gewirkt hatte, so kann man sich vorstellen, was an jener pikanten Staats- und Hofstelle aus einem Kujon von Geburt geworden wäre.

Balthasar Kläuser hatte sich als richtiger Österreicher zu jener Stelle hinaufgegeigt. Er strich das Cello süßer und belebender, als wie der Föhn im März die Primelhalden streichelt. Das Instrument sang unter ihm wie jene tiefe und klare Frauenstimme, von der alle Dichter sehnsüchtig glauben, es gäbe eine solche, und die doch noch nicht geboren worden ist. Er konnte mehr, als selbst der Heiland je vermocht hatte: er geigte ganze Versammlungen von Hofleuten, von Strebern, von Getreidemaklern, ja sogar von beinharten Juristen bis zu einem kurzen Traum von Kindesunschuld empor … so rührend vermochte er Roßhaar und Därme zum Tönen zu bringen. Dann schämten und ärgerten sie sich zwar, einem Märchen aufgesessen zu sein, aber geschehen war geschehen. Kläuser hatte den verlorensten Herzen dieser Welt bewiesen, daß auch in ihnen noch, in einem Winkelchen, das Kind Mensch träumte, von dem die bis zum Weinen unwahre und schöne Fabel geht, daß es einst die Erde in einen Garten inniger Bruderschaft verwandeln würde. Und gerade diesem Einen war es bestimmt, dem Himmelreiche gründlicher verloren zu gehen als ein Börsenwucherer.

Kläuser wurde als Musiker so sehr gelobt, daß der Kaiser ihn in sein »Hausquartettl« aufnahm, in dem er selber die zweite Violine spielte. Die erste Geige hatte ein Böhme. Er hieß Prokupek, war Primgeiger im Kärntnertortheater, und seine Fingergewandtheit hatte glücklich nach dem Geigenspielen zu ausgeschlagen; seine Seele war voll naiver Hopsamusik.

Für die Viola war augenblicklich ein träumerischer, junger Russe von der Botschaft da, eine schwärmerische Slawenseele, die von der ganzen Welt nichts verlangte als Ruhe und Stimmung, damit sie sich selber zuhören könne. Es rührte den adonischen Sohn des allmächtigen Fürsten Kuropkin gar nicht, daß er nach dem Abendessen mit dem Kaiser geigen durfte, und er machte von diesem Vorteil so wenig Gebrauch, wie von seinen gewaltigen Beziehungen zur kurländischen Herzogsfamilie und zum Zarenhofe.

Kurze Zeit, nachdem der bisher bloß als Privatgelehrter am Leben beteiligte junge Kläuser in das Hausquartett des Kaisers getreten war, erkannte Sedlnitzky den Vorteil, den ihm ein Vertrauter dieser scheinbar so unpolitischen Abendstunden bringen mußte. Da Prokupek unintelligent und streberhaft war und Kuropkin dem Ehrgeiz, der Schmeichelei und dem Gelde bisher noch mondfremd gegenüberstand, blieb nur Kläuser übrig, dessen Gescheitheit nach sorgfältigem Wegschleifen seiner großen Herzenseinfalt eine eminente Brauchbarkeit verhieß.

Fragte einmal der Kaiser: »Der Kläuser ist nicht reich; was?« Graf Sedlnitzky, der alles wußte, nannte die geringe Höhe des Vermögens, das den Privatgelehrten über der Oberfläche des Hungers erhielt.

»Hat denn kein Amt ein Stellerl für ihn frei?« fragte der gutmütige Herrscher.

Der Chef der Staatspolizei zuckte die Achseln. »Es ist alles komplett,« seufzte er. »Und der Kläuser weiß von nichts, als von seinen Klassikern. Aber man könnte in meiner Kanzlei einen Geheimsekretär kreieren. Da blamiert er sich nicht und kann nichts verderben.«

»Machen's halt die Eingabe,« sagte der Kaiser.

Damit war der stille und sehr feingebildete Doktor Balthasar Kläuser so recht ins kühle Herz der Vormundschaftsbehörde eines gewaltigen Staates gepflanzt worden. Aus rein objektivem Interesse nahm er die Stelle an. Er wollte aus der Nähe dem großen Apparat zusehen, mit dem Metternich vierzig Staaten bändigte – Volk und Fürsten.

Vor dem furchtbaren Realismus des Geheimnisses, Menschen zu regieren, in das er nun blicken mußte, ging ihm zuerst wohl nur manche bisher unverstandene Stelle des Tacitus, endlich aber das Leben selbst auf, und er griff mit leiser Seele und leiser Hand in das Getriebe ein. Zuerst schmerzlich zuckend, dann wehmütig lächelnd, endlich schweigsam und mit berechnungsfroher Meisterklugheit.

Er war erstaunlich weit gekommen: bei des Reiches Herz, dem Kaiser, bei des Reiches Gehirn, dem Staatskanzler Metternich, und bei des Reiches Nase, dem allwissenden Vorstand der Polizei.

Nur an ein einziges Stellchen vermochte er in Ewigkeit nicht zu gelangen. Dieses Stellchen lag weit draußen, außer Schönbrunn und hinter der »Neuen Welt«, zwischen den Auen der Wien und den Gärten von Sankt Veit, im Hause des vermöglichen Färbermeisters Rautenstrauch und in dem Kämmerlein von dessen Töchterlein Vita.

Vita ließ sich nicht ergeigen, nicht erflehen und nicht erklügeln. Sie ließ sich von ihm den Hof machen, wie von neun anderen; sie lächelte ihn so bestrickend wie neun andere an, aber der im Nebenzimmer Sedlnitzkys bis zu geheimster Kunde des Menschenherzens gediehene Kläuser unterschied sich von jenen Neunen dadurch, daß er nicht glaubte, der Geheime und Einzige zu sein; in welcher Hoffnung die kleine Vita alle anderen zu erhalten vermochte.

Die kleine Vita liebte als Wiener Kind fast nur die Musik und den Luxus wahrhaftig. Infolge ihrer Liebe zur Musik blieb sie Kläuser gegenüber stets in einer gefälligen leisen Herzensvibration. Durch ihn hatte es das ehrgeizige, kleine Ding richtig zuwege gebracht, daß das kleine Hausquartett der Majestät auch in ihres Vaters Haus geladen ward; freilich mit Ausnahme des Kaisers. Und ihr sehnlichster Wunsch war, daß dieses berühmte Quartettl einmal ihr, ihr allein all das vorspielen müßte, was sonst nur in des Imperators leuchtendem Zimmer erklang. Sie hatte in Gedanken auch schon die zweite Violine durch einen ihrer Anbeter, den ehrlichen Heidelberger Burschenschafter Hanspeter ersetzt, der bei Verwandten in Ober-Sankt Veit zu Besuche weilte und Vita sehr liebte.

Vita selbst aber war in den ersten Tenor am Kärtnertortheater, den langen und dicken Magnano verliebt, und so oft dieser Friaulaner Sänger, eine Kreuzung von Welschem und Windischem, in der Oper auftrat, so oft saß die kleine Vita anbetend in ihrer Loge und zitterte vor Weltenglück, wenn der Lümmel beim hohen C die Augen nach ihr verdrehte. Er war ein ungehobelter Gesell, der sich in der Garderobe mit seinem Rivalen ohrfeigte und dem unendlich viel zum Galantuomo und alles zur Humanität fehlte. Aber in der Oper konnte das Vieh tun, als wär's ein Menschenherz, und wer nicht genau hinzusehen vermochte, der glaubte es. Alle Welt glaubte es. –

Es liebten Vita, um nur wenige zu nennen, der stille, kluge Kläuser, der deutsche Student und Romantiker Hanspeter und der in Traumwolken schwimmende Russe Fürst Kuropkin. Ja sogar Prokupek geigte freudiger, wenn sie in ihrer Loge saß, zu der er hinaufsehen konnte. Sie hingegen, sie liebte diesen Magnano? Nein; aber sie war in ihn verliebt.

Das war dem feinen Kläuser zu viel. Er hätte Hanspeter, er hätte Kuropkin, er hätte sogar den beharrlichen Bohrwurm Prokupek verstanden; aber dieses eitle Tier, dem die Natur nichts als dicke Schenkel und eine dünne Stimmritze verliehen, der Heilige Geist aber jede Gnade versagt hatte, das durfte nicht an dem reizendsten Porzellanfigürchen herumtatzen, das die berühmte Altwiener Industrie der schönen Frauen jemals zuwege gebracht hatte. In freien Stunden, wenn er nicht gerade die Geister Österreichs und des Deutschen Bundes unter der Lupe hatte, dachte er also nach, wie er in der herzlieben, süßen, kleinen Vita den großen Frauenirrtum richtigstellen könnte. Ach, diese Liebe war der letzte Ausläufer der seligen Höhen seiner Jugendtorheit in das wohlgeebnete Vernunftland! Er liebte diese Liebe, und dennoch dachte er daran, ob es ihm nicht gelingen könnte, sie einstweilen ad acta zu legen, um sie später rechtzeitig, nach dem Muster seiner großen Vernunftmeister Gentz und Metternich, in einer kleinen Liaison zu verlächeln.

Vita mußte einstweilen heiraten; das stand wehmütig fest, und zwar mußte sie aus unreinem Antrieb heiraten. Am besten und brauchbarsten also aus Ehrgeiz.

* * *

Es war damals eine große Zeit für das Kabinett Metternich. Vor zwei Jahren schon war der Kanzler mit seinem Freunde Gentz, mit dem Vorstand der geheimen Staatspolizei und Kläuser bei einer Tasse Schokolade gesessen und hatte die Ereignisse des Wartburgfestes sorgsam gedreht und gewendet, um aus dieser heißen Kundgebung des großdeutschen Burschenschaftsgedankens reichliche Ängstlichkeiten zu klauben, mit denen man die deutschen Fürsten, vielleicht auch den Zaren zur gründlichen Einspinnung und Knebelung der von Freiheit träumenden Volksseele treiben konnte.

Damals war der frivole Geheimrat Gentz seufzend aufgestanden und hatte gesagt: »Das ist viel, aber es ist nicht genug. Ein paar Bücher und Regierungserlässe haben diese großdeutschen Studenten verbrannt; das tut niemand weh. Wir brauchen einen großen, saftigen, hinreißenden Dummejungenstreich. Haben Sie nicht Kenntnis von irgendeinem geplanten Pistolenschuß auf eine uns mißliebige kleine Durchlaucht, die uns als Märtyrer nützlich werden könnte, oder so was Ähnliches? Wobei sich die Polizei bis nach getaner Tat ein wenig unwissend stellen könnte?«

»Vorläufig nichts,« hatte Sedlnitzky damals gelächelt.

* * *

An einem ahnungsreichen Frühlingsmorgen des Jahres Neunzehn aber kam Sedlnitzky in das Zimmer Kläusers.

»Wir haben etwas,« sagte er mit milder Freude.

»Ich weiß, Exzellenz,« nickte Kläuser in einer Art amtlicher Verklärung. »Der junge Burschenschafter Sand hat den Dichter Kotzebue erstochen, und der ist russischer Staatsrat. Ich arbeite gerade ein paar Konzepte an die deutschen Fürsten und den Zaren aus.«

»Ah, das ist gut,« lobte der Minister. »Wir werden etwa in Karlsbad zusammenkommen. Herr von Gentz läßt Vorschläge in diesem Sinne an Durchlaucht Metternich gelangen, die augenblicklich in Rom ist. Wir werden einige hübsche Beschlüsse gegen die Freiheitlichen fassen können. Sehen Sie zu, daß die Sache kein vorzeitiges Aufsehen erregt. Diese Karlsbader Einladungen sollen vorläufig nur eine Badereise hervorragender Persönlichkeiten ahnen lassen. Adieu, lieber Kläuser.«

Kläuser erhob sich vier Wiener Zoll vom Sitz, senkte sich und schrieb weiter. So hatte es sein Chef gern.

Aber nach ein paar Tagen wurden der Polizeipräsident und Kläuser zu einer Konferenz beim allmächtigen Intimus des Staatskanzlers, dem Geheimrat Gentz, gebeten. Die feinen, klargeistigen Züge des glänzendsten und nichtswürdigsten aller Geister des vormärzlichen Österreich waren von Sorgen überwölkt.

»Sie haben uns einen Streich gespielt, lieber Kläuser,« begann Gentz ohne weiteres. »Der Zar hat edelmütige Anwandlungen und will sich mit dem Kopf des jungen Sand zufrieden geben; kurz, es fehlt uns von dieser Seite an Druck auf die deutschen Fürsten. – Ursache? Ihr lieber Kuropkin hat mit dem Burschenschafter Hanspeter Herzbruderschaft geschlossen; draußen bei der kleinen Vita Rautenstrauch, wo Sie die beiden zusammengebracht haben, und Kuropkin schreibt vergißmeinnichtblaue und sehr sentimentale Berichte nach Petersburg.«

»Aber Kläuser,« sagte Sedlnitzky.

»Wie wollen Sie das wieder gut machen?« fragte Gentz.

Kläuser bat um die Erlaubnis, ein wenig auf und ab zu gehen, und die beiden großen Herren nahmen eine nachdenkliche Prise. Die junge Frühlingssonne sah in gänzlich ahnungsloser Verliebtheit durchs Fenster auf diese drei großen, kalten Intelligenzen. Es war sehr still: Kläuser schritt wie auf Mausepfoten durch den Saal der Exzellenz hin und her.

Es war Heroentum, was in ihm kämpfte. Das Heroentum der auf den Staat angewendeten, polizeilich vidimierten Vernunft. Endlich sagte er, zu Gentz gewendet: »Exzellenz wissen ohnehin, was geschehen muß.«

»Die beiden Herzbrüder verfeinden, ja. Aber wie? Wenn Sie dem Hanspeter sagen, daß der Russe an Ihrer kleinen Vita Geschmack findet, so tritt dieser Romantiker großartig zurück, und die Blutsbruderschaft ist noch enger geknüpft. Sie müssen machen, daß Kuropkin ihn betrügt, beleidigt, oder so was Ähnliches.«

»Exzellenz wissen stets, was richtig ist,« sagte Kläuser und fuhr lächelnd fort: »Ich habe es mir ganz so ausgedacht, und wenn Durchlaucht mir helfen wollen, so haben wir Kuropkin in vierzehn Tagen blindlings auf unserer Seite. Geld braucht er nicht, nach Ehren verlangt er nicht, und Exzellenz wissen ohnehin, daß ein Junggesell, der sich auch sonst vor den Weibern zu wahren weiß, als Politiker furchtbar, ja unbesieglich ist. Man kann ihm nirgend an. Er ist wunschlos. Seine Bedürfnisse fordern wenig Geld, sein Idealismus läßt ihn vorläufig den Ehrgeiz belächeln, und seine Freunde sorgen dafür, daß er selbstlos bleibt und sich für einen Halbgott hält.«

»Beiläufig: Werden Sie denn nicht heiraten, Kläuser?« fragte der Polizeichef.

Der mit so kluger Berechnung Unterbrochene war ein wenig fassungslos: »Ich hätte mich sehr auf die kleine Vita gefreut – –« verriet er.

»O weh,« lächelte Gentz.

»– – aber wir brauchen sie jetzt allzusehr für andere Dinge,« fuhr Kläuser fort. »Die Kleine hat einen unbändigen Ehrgeiz. Mit der Peitsche wird sie hinter ihrem Manne stehen; denn solange sie nicht den Vortritt vor allen übrigen Damen der Christenheit errungen hat, gibt sie keine Ruhe. Wenn nun auch in Rußland der Fürstentitel unglaublich billig ist, – für die kleine Färberstochter ist es immerhin ein hübscher Sprung, der ihr gar wohl das Blut zu Kopfe treiben und ihren Heißhunger reizen könnte. Man müßte es so einrichten, daß sie den Antrag Kuropkis annimmt, und daß die Art seiner Werbung den schwarzrotgoldenen Hanspeter beleidigt. Ihre oder meines Herrn Chefs Exzellenz müssen mir aber etwas Geld zur Verfügung stellen, denn ich will den Magnano bestechen und sonst noch einige kleine Ausgaben machen.«

Es war das erstemal, daß Kläuser Geld verlangte.

Gentz und Sedlnitzky wechselten einen Blick, der beinahe gerührt zu nennen war. Denn sie wußten, wie rein sich dieser gescheite Mensch von dem ärgsten Schmutz und Klebestoff der Erde hielt. Man sagt, Flecke von Silberlapis seien untilgbar. Nein. Die unvertilgbarsten Flecke hinterläßt das Gold, und auf der Seele hinterläßt es sie.

* * *

Es war ein schöner Opernabend. Magnano sang diesmal nicht nach links zur kleinen Vita hinüber, denn in der ersten Loge rechts saß der Kaiser mit Exzellenz Gentz und dem jungen Kuropkin. Der Kaiser hatte dem Magnano schon zweimal applaudiert. Das war noch nie geschehen. Da vergaß Magnano das schönste Mädchen im Hause.

Hinter der goldbraunen Vita Rautenstrauch saß Kläuser. »Sehen Sie den jungen Kuropkin neben Seiner Majestät?« fragte er im ersten Zwischenakt. »Der hat eine Zukunft vor sich, daß mir schwindelt. Wenn es Ihnen gelänge, Fürstin zu werden: Vita – – –!«

»Ach, so hoch wollen Sie hinaus mit mir?« lachte das arglose, kleine Ding.

»Passen Sie auf, Gnädige,« fuhr Kläuser zur Mutter des Mädchens fort, einer schönen, raschen Frau. »Da erzählt er dem Kaiser von Fräulein Vita und zeigt mit dem Handschuh herüber. Und … ah! Fräulein Vita! Grüßen Sie doch!«

Die kleine Vita aber saß in Purpur von der Stirne bis an die Schultern und gänzlich erstarrt, denn es war unglaublich, was da geschehen war. Der Kaiser hatte sie mit einer Freundlichkeit gegrüßt, wie er sonst nur sehr hohen Damen zunickte. Ein Teilchen Kopfneigung, ein Teilchen vertraulicher Wink und ein Teilchen herzliches Zulächeln. So konnte niemand als er auszeichnen; so zwanglos, so unmerkbar und so deutlich.

Es konnte nur ihr gegolten haben.

Der Kaiser aber mußte bemerkt haben, daß Vita nicht daran glaubte. Darum ergriff er sein Opernglas und sah herüber. Es war unerträglich großartig, in solch erlauchtem Sehstrahl zu sitzen, und vermittels der Optik auf ein Dritteil der Entfernung an das gewaltige Staatsoberhaupt herangezogen zu werden. Vita rührte sich nicht, um der optischen Achse des kaiserlichen Glases keine Ungelegenheiten zu bereiten, und hatte eine Heidenangst.

Sie war infolge der Ungeheuerlichkeit, dem Kaiser durch die Magie der Brennlinse so nahe gekommen zu sein, so hilflos, daß sie wie ein schreckstarrer Vogel dasaß; selbst dann noch, als der Kaiser sein Glas senkte und herüberlächelte. Kläuser zog sich diskret zurück, Frau Rautenstrauch wurde vor Überraschung pfingstrosenrot, aber Vita war leichenblaß geworden. Kerzengerade saß sie, und ihr Herzlein stand still. Sie hielt alles aus und hielt sich aufrecht, als ob sie mit ihrer herzigen Löckchenfrisur, den feingezogenen Augenbrauen, den erschrockenen braunen Augen und den halboffenen Lippen gemalt hätte werden sollen bis an die bloßen Schultern hinab, und bis an die im Schoß gekreuzten Hände. Aber in ihrem Innern war eine Fassungslosigkeit ohnegleichen.

Sie wußte nämlich nicht, ob man in einem solchen Fall mit einem Hofknicks zu antworten habe. Es war ein Abenteuer, und wenn der liebe Gott zwei schwarzblaue Wolken auseinandergeschoben, den Kopf durchgesteckt und vor einem Auditorium von Erzbischöfen gesagt hätte: »Ei ja, da ist auch meine reizende, kleine Vita,« so hätte sie nicht stolzer und gelähmter dagesessen.

»Das geschieht,« flüsterte Kläuser ihr ins Ohr, »weil er glaubt, hier säße die künftige Fürstin Kuropkin.«

Dem jungen Russen, welcher sah, daß der kluge Sekretär dem liebsten Mädchen irgend etwas Verführerisches ins Ohr flüsterte, wurde bange, und er beeilte sich, aus der Hofloge zu entkommen.

Vita rührte sich nicht. Durch ihre Träume fuhr eine Krönungskarosse voll goldener Hoffnungen.

Es hatten tausend festfrohe Menschen im Scheine von ebensoviel Lichtern gesehen, wie sie geehrt worden war. Ein solcher Triumph durfte nicht ungenützt vergessen werden. Das war Vitas Gedanke, und damit hatte sie sich dem Theaterglanz der großen Welt und dem Rampenlicht der gesellschaftlichen Komödie verschrieben; sicherer als mit Herzblut auf des Teufels Pakt. Sogar Magnano sang von da ab umsonst. So stark erwies sich das zufällige Lächeln einer Majestät.

* * *

An der Wagentür vor dem Theater stritten dann Kuropkin und Kläuser, wer die Damen auf der weiten Fahrt bis hinter Schönbrunn begleiten dürfe. Denn seitdem der junge Russe gesehen, daß sogar der Kaiser an Vita Gefallen fände, hatte ihn eine heillose Überschätzung des entzückenden Mädchens ergriffen.

»Kläuser, Kläuser!« bat und drohte er. »Lassen Sie mir Ihren Platz. Was wollen Sie hier?«

Der ruhige junge Mensch zog den Fassungslosen ein Stückchen beiseite. Die Zeit drängte. Eine große Reihe von Karossen wartete, um vorzufahren. Hinter den Damen standen ungeduldig andere. Wäre die Aprilnacht nicht so schön und mild gewesen, man hätte sie vor Unwillen alle vier in den Wagen gestoßen.

»Ich werde um Vitas Hand für Sie anhalten,« flüsterte der Sekretär.

»Kläuser! Sie sind sonst so ernst …?«

»Meine Ehre zum Pfand. Durchlaucht Metternich sähe es nämlich gerne, wenn Sie mit Ihren Talenten etwas an Wien gefesselt würden.«

»Ah! Wirklich?«

»Soll ich also den Freiwerber für Sie machen?«

»Liebster, Bester! Sagen Sie, daß ich ganz ihr gehöre!«

Die Damen steckten schon die Köpfe aus dem Wagen: »Nun?«

Kläuser stieg ein, Kuropkin breitete die Arme aus, Vita lächelte ihn an, krachend flog die Wagentür zu, die Pferde zogen vorwärts, und ein großes Stück Handlung begann zu rollen. Eine Herzens-, Hof- und Staatsaktion.

Kläuser wandte sich augenblicklich an Frau Rautenstrauch: »Nun, was würden Sie, Frau Fürstin-Mutter, zu dem Glück Ihrer durchlauchtigsten Tochter sagen?«

Frau Rautenstrauch seufzte, von Unglaube und Aufregung gequält.

»Ich soll um Vitas Hand bei Ihnen anhalten,« fuhr Kläuser seufzend fort.

»Das glaube ich nicht,« rief Vita ängstlich.

»Was wollen Sie für Beweise?«

Vita wartete, bis der Wagen vom Pflaster auf weichen Grund rollte, um nicht das Klirren der Scheiben überschreien zu müssen. In der plötzlich ruhig gewordenen Fahrt sagte sie dann sehr bestimmt: »Er soll mir seine Liebe vor aller Welt gestehen.«

Kläuser lächelte: »Wie wär's, wenn er sich für Sie öffentlich kompromittierte? Sehen Sie, da sind wir von des Kaisers kleinem Hausquartett. Wir werden Ihnen in der nächsten schönen Nacht am Ende gar eine reizende kleine Fenstermusik darbringen. Wir lieben Sie alle. Es wird ein sehr aufrichtiges, sehr süßes und sehr verliebtes Ständchen werden … nur etwas schmerzlich für die Beteiligten, – außer für den jungen Fürsten.«

Vita atmete schwer … Das ganze Dorf Sankt Veit würde zusammenlaufen. Es würde eine spektakulose Ehre sein, von deren Größe all ihre Freundinnen fast zerdrückt werden müßten.

»Wir werden sogar den Magnano durch ein schönes Honorar bewegen, ein Gesangstück einzulegen.«

Vita lächelte verächtlich. »Gut! Er soll für Geld singen. Anders täte es ihm ja doch wehe.«

Kläuser sah, daß er gewonnen hatte. Noch in Meidling stieg er aus dem Wagen und verabschiedete sich; denn so enge an der Geliebten in ihrem Dufte zu sitzen, während er zugunsten eines anderen unterhandelte, das forderte Zwölfmännerkraft an Seelenstärke.

Durch die laue Nachtluft hastete der sonst langsame und sehr gemessene Herr Geheimsekretär nach Hause, und in ihm stürmten und ballten sich Gefühle im Verzweiflungskampf, von deren Kompliziertheit der genaueste Kenner der seelischen Vielfältigkeiten überrascht gewesen wäre. Es schlangen sich und rangen da: der Stolz ob seiner Selbstüberwindung, der Schmerz über den Verlust des liebsten Mädchens, der Triumph über Magnano, der Wunsch, sich morgen zu Tode geigen zu dürfen, die Hoffnung, in einigen Jahren vielleicht dennoch zu siegen, Verachtung ob seines kühl vernünftigen Treibens, Sehnsucht nach der Dachstube seiner reinen Studentenjahre, und noch viel, viel anderes durcheinander.

Aber das feinorganisierte Geheimsekretärshirn blieb zuletzt obenauf.

* * *

Inzwischen hielt der geniale Geheimrat von Gentz dem Schwärmer Kuropkin, den er wie zufällig von der Oper in seinem Wagen nach Hause führte, noch ein kleines Privatissimum über Menschenrechte und Regierungskunst.

Gentz hatte angefragt, ob der Zar bald seine Zustimmung zur Karlsbader Zusammenkunft geben würde. Da versuchte es Kuropkin noch einmal, von Bürgerrechten und Freiheit zu sprechen.

»Die Menschenrechte sind: Schutz vor Kälte, Hunger und Krankheit, und dann etwas Liebe,« sagte Gentz lachend. »Ich hoffe, daß wir dahin kommen werden, den Völkern hierin das mögliche zu verschaffen.«

»Die Menschenrechte sind Selbstherrlichkeit, unbedingte Willens- und Geistesfreiheit; sie sind …«

»Lassen wir den Menschen,« unterbrach ihn Gentz. »Betrachten wir das ihm am ähnlichsten begabte und mit ihm in gleichen Lebensverhältnissen einhergehende Tier, den Hund; – – ziehen wir aus dessen Charakterwandlungen vergleichende Schlüsse. Denn mit einem freien, wilden Tier, das in ewigem Kampfe steht, werden Sie den zivilisierten Menschen ja selbst nicht vergleichen wollen?

Nehmen wir den verzogensten und eigensinnigsten und den am strengsten gebändigten von allen Hunden. Den Boudoirhund irgendeiner alten Jungfer, und den Jagdhund.

Der Schoßhund schläft auf Federn, er leidet nie Kälte, er stillt seinen Appetit – wenn er noch einen hätte – an Leckerbissen; und vor allem: sein Wille regiert unbedingt, und es geschieht nichts, als was er wünscht.

Der Jagdhund schläft in der Kälte; er muß arbeiten und hungern, und ein eiserner Wille bändigt den seinen.

Der Schoßhund aber ist der unglücklichste aller Hunde. Seine Grämlichkeit, sein Überdruß, seine Empfindlichkeit beweisen die unerträgliche Qual eines Geschöpfes, das Herr seines eigenen Willens sein soll und nie etwas anderes als der Sklave dieses Willens werden kann. Denn der fremde, größere Wille kann kein so furchtbarer Tyrann werden, wie der eigene, kleine.

Betrachten Sie daneben die stille, leuchtende Seele in eines strenge erzogenen Hundes Augen. Betrachten Sie die unglaubliche Fähigkeit des Jagdhundes, sich zu freuen, und seine Fähigkeit zum Genuß, zur Treue und zur Aufopferung.

Und nun folgern Sie, ziehen Sie aber Ihre Schlüsse nicht auf die großen Einzelnen unter den Menschen, die in Ewigkeit frei sein würden, auch unter einem Tyrannen. Betrachten Sie die bedrängte, geistig bedrückte Masse, aus der die beste Schule immer nur wieder einzelne herauszuheben vermöchte, – und sagen Sie dann, ob sie einen Herrn und Erzieher braucht oder nicht.« – – –

Es war nur ein dialektischer Kunstgriff, aber Kuropkin durchschaute die Schwäche der Gentzschen Hundeformel nicht.

Nachdenklich ging der junge Russe zu Hause. »Dieser Gentz ist ein kluger Mann,« sagte er sich. »Aber welch entsetzlich bittere Weisheit! O wie voll Kleinheit und Mangel ist die Welt. Sättigung, Schmerzlosigkeit und Liebe, das sind die Menschenrechte? Ach ja. Und mir fehlt sogar noch eines: Liebe! Liebe! – Ich will bei der reinen und schönen Vita Schutz suchen vor den Sorgen und Traurigkeiten dieser Welt.«

* * *

In Sankt Veit am Wienbach wehte eine ganz andere Luft.

Es war eine milde, gütige Himmelsluft, welche stille Seelen umwehte, und sie unterschied sich sehr von jener, die wir bisher atmen mußten, und nach der sich auch die schöne Vita leider so mächtig sehnte.

Diese Luft an den Berghängen und über den Auen der Wien war frisch und rein, nachdenklich und tief stimmungsvoll. In den Weingärten blühten hellrosig die Pfirsiche, und die weißen Kirschblütenflocken deckten fast die ganze Erde zu. Nur die Au war jauchzend grün gesprenkelt, und wie in Weihrauchwolken wehte dort der betäubend süße Duft von Seidelbast und Traubenkirsche.

An die Auen legte sich endlose Wiese, in der allüberall wie kleine Inseln Gärten aufgrünten, hinter deren Bäumen man oft kaum das Menschenhäuschen erraten hätte, wenn sich nicht der trautblaue Rauch eines Herdes durch die erwartungsvoll knospenden Zweige geschmiegt hätte.

Drüben am Fuß der Berge schwang die Abendglocke der alten Dorfkirche herüber; sie sang und summte gleich einer trunkenen Hummel.

Und die Amseln riefen dem Licht ihre Flötenseufzer nach.

Hinter den Bergen griffen noch wie in unbändigem Abschiedsweh weit ausgebreitet die flammigen Sonnenbandstrahlen zwischen den kleinen, roten Abendwolken hervor und wurden immer breiter, je höher und weiter sie um sich griffen: Als Gottes Sehnsuchtskrone standen sie am Himmel.

In diese Ewigkeit kam, ganz allein und als erster von den Herren Musici, der stille Kläuser gegangen, der, einfach wie er geblieben war, sein Cello selber trug. Er schaute mit Kinderaugen umher und war so verwundert, als wäre sein kühles, kluges Dasein nur eine Eisrinde, die plötzlich weggetaut war, und als flösse nun der alte, liebe Brunnen des sehnsüchtigen Knabenwehs von neuem.

Kläuser war eine arme Seele, die rettungslos in den Körper eines Polizeisekretärs verwunschen war und nur zu besonders geweihten Zeiten freiwandeln durfte.

»Wie sich das Dorf in die Gärten duckt!« rief er glücklich aus. »Nein, seht nur an! Und diese Wiesenwellen, und diese grauen, heidnisch alten Grenzsteine! Und Zäune! Hag und Zäune ringsum, – und Veilchen!«

Ja, die Zäune, die waren das Stimmungsvollste. Die alten schief und moosgrün, die jüngeren seidegraublau. Sie schufen ahnungsvolle Hindernisse und erhöhten den Reiz der zurückhaltenden, keuschen Welt.

»Und dieses stille, große, bräutliche Warten. Diese umfriedete Wiesenruhe!«

Mit einem Herzen voll Abendgeläute setzte er sich auf einen Grenzstein am Rasenwege. Dort drüben von der Hietzingerstraße mußten die Freunde kommen; der graziös geschlängelte Fußpfad führte zur Färberei am Rande der Au.

Langsam, langsam wie sinkende Augenlider verdunkelte sich der Abend. Das Gold des Himmels erlosch. Eine Weile noch blieben über das zarte Apfelgrün des westlichen Firmamentes die Wolkenstreifen in graulicher Zeichnung stehen, dann wanderten sie langsam durcheinander über die hohen Bergwälder fort. Es mußte ein leiser Wind dort oben streichen. Unten war es schwül, veilchenduftig, grau und still.

Ehe noch das letzte Licht in Asche versank, klapperte ein Wäglein die Landstraße herauf und hielt mitten in der Wieseneinsamkeit stille. Drei Gestalten lösten sich davon und wandelten über den welligen Rasenweg herüber. Unter ihren Kragenmänteln sahen Instrumente hervor.

Kläuser begrüßte den Fürsten und Prokupek, den Primgeiger, mit einem Händedruck und machte dem Magnano seine Verbeugung.

»Was ist mit dem Hanspeter?« fragte Kuropkin.

»Er muß bald kommen,« beruhigte ihn Kläuser. »Er versprach mir, pünktlich zu sein.«

Magnano räusperte sich mißmutig. Der Abend und die dampfende Au mißfielen ihm. So lau diese Veilchenluft war, er fürchtete Heiserkeit.

Prokupek summte ein tschechisches Frühlingsliedchen.

Die anderen zwei versanken in Stimmung.

Da und dort zuckte ein Lichtlein auf und verriet ein in den Gärten verstecktes Anwesen. Die Nacht brach an.

»Gehen wir ganz bis an die Färberei,« schlug Kläuser vor. »Der Hanspeter wartet dort vielleicht schon.«

Es war so. Von den Zäunen, hinter denen das Rautenstrauchsche Anwesen zurückgezogen lag, hörten sie leisen Geigenton durch die tiefverdunkelte Stille klagen. Dort fiedelte der Student für sich ganz allein ein kleines, romantisches Liebeslied. Als die anderen hinüberriefen, stolperte er über Strauch und Wiesenscholle auf sie zu.

»Wir müssen über den Zaun der Gärtnerei steigen,« schlug er vor. »Wenn wir den geraden Weg zum Hause wandern, da werden wir lange vorher entdeckt, und die Überraschung geht verloren. Das Fenster der kleinen Vita sieht auf die Blumenbeete des Ziergärtchens, und dort müssen wir stehen, sonst hört sie uns nicht. Mit dem Gärtner hab' ich schon gesprochen; er läßt uns gern hinein.«

Da stiegen die fünfe über den Zaun. Eine Geige und das Cello seufzten anstoßend auf, sonst blieb alles still. Zwischen einem Beete Spinat und einer jungen Ringelblumensaat faßten sie Posto. Gegenüber war es im Fenster der schönen Vita hell, und in den leisen Abenddunst griff ein rötlicher Lichtstrom hinaus.

»Es ist feucht in der Luft und geradezu naß am Boden,« schalt Magnano ärgerlich. »Ich werde hier heiser, wenn ich nicht gleich mein Lied singen kann.«

Das war nun den Freunden sehr recht. Der Magnano sollte den Lockruf besorgen; dann konnte er gehen, und das Königreich der vier Poeten begann.

»Ach,« sagte der romantische Student leise. »Da stehen wir fünfe und alle fünfe verliebt.«

»Da stehen wir einig, und jeder singt seine Hoffnung und sein Weh! Und doch kann es nur einer sein, der nicht umsonst singt. Es ist ein Gedicht!«

Und Magnano sang.

Er sang eine welsche Kantate und ein venezianisches Ständchen. Zwei Violinen begleiteten ihn in entzückendem Pizzicato. Es klang wie Lautenton.

Und am Fenster erschien horchend der schlanke Umriß der schönen Vita. Die fünfe konnten jedes von den braunen Haaren sehen, das sich im Abendhauche wehend hob.

Aber auch die fernen Zäune belebten sich mit dem neugierigen Volk des Dorfes. »Das schöne Rautenstrauchmädel kriegt ein Ständchen,« lief es wie im Sturme durch die paar Gäßchen. »Dem Kaiser sein Quartettl spielt,« riefen die eingeweihten Freundinnen neidvoll aus.

Da war bald ganz Sankt Veit an den Zäunen versammelt. Von ferne konnte man die von der Torlaterne angehellten Gesichter über dem Gatter endlos bis in die stille Nacht aneinandergereiht sehen.

Magnano empfahl sich.

Und die viere stimmten ihre Instrumente. Lautlos und in ergriffener Stille saß die schöne Vita im Licht, während nebenan hinter der Gardine eines ebenfalls offenen, aber dunklen Fensters unbemerkbar der gerührte Herr Rautenstrauch mit seiner Frau lauschten.

Prokupek klopfte mit seinem Fidelbogen leise an die Geige. »Aufgepaßt,« sagte er. »Eins, zwei, drei, vier – –«

In prächtigem Schwunge zogen die vier Bogen über die Saiten, und eine altertümliche Sarabande schwang sich empor; ein Schlingen und ein Blumengewinde von Tönen, voll Wehmut einer längst verschollenen Zeit.

Die Kniegeige klagte wie ein trauernder, schlohweißer Marquis, daß der Sonnenkönig nicht mehr sei, der Sonnenkönig Louis Quatorze, der einst diesen herrlichen Reigen mit der entzückenden Lavallière geschritten. Die alte Zeit, die stolze Zeit machte ihr großartiges Kompliment vor der blassen, jungen Vita.

»Wie schön, o wie schön,« sagte sie leise und tief ergriffen, als der Reigen versiegt war.

Dann kam eine Bourrée des prächtigen Meisters Bach. Taktfest und frisch wie mit stählernen Sehnen. Eine Melodie zum Jauchzen, eine Harmonie zum Versinken, eine vollendet durchgeführte kontrapunktische Arbeit.

»Herrlich!«

Und dann die unschätzbare Ochsenmenuett des Papa Haydn. »Ach, diese humorvolle, störrische Menuett!« Kuropkin wurde ganz leichtsinnig und blitzte über seine Viola weg die Mitspieler an. Hingerissen spielte der Student, und seine Augen glühten. Er spielte für sich selber und seine Liebe und glaubte, er, er bringe das Ständchen in eigenem Namen.

Der Prokupek schielte von seiner Primgeige in köstlicher Verliebtheit nach dem lieblichen Silhouettchen am Fenster. Sein Bogen tanzte übermütig, und er fingerte fixer, als Gott-Vater, da er die Welt knetete. Das ganze Wesen stand strammbeinig und in selbstbewußter Fröhlichkeit da: »Ich! Ich, der Prokupek, gebe das Ständchen.«

Die prächtige Ochsenmenuett! Jeder glaubte, er wäre es.

Zuletzt kam ein Ständchen, das der wild leidenschaftliche Beethoven geschrieben hatte.

Der stille Kläuser hielt die Augen gesenkt und fast geschlossen. Er sah nicht zum Fenster empor und war leichenblaß. Seine Seele bebte und seufzte in den Saiten, und überwältigend entriß ihr der allmächtige Fiedelbogen immer neue Klagen. Er hatte die Menuett, die vorher gespielt wurde, selber für die vier Instrumente gesetzt; er hatte darauf bestanden, daß man sie spiele, und hatte gehofft, sie würde ihn mit seinem ruppigen Cellopart lachend erinnern, vernünftig zu sein.

Umsonst! Wäre jetzt, bei der Serenade Beethovens, eine Saite gesprungen, dann zerrisse mit ihr sein Herz, und er sänke tot zu Boden, – so gebannt war er in sein Instrument. Es weinte und schluchzte und stöhnte für ihn. Es sang: »Hierher sieh, du kleine Vita, denn ich sterbe! Mich höre an, du Ergriffene, denn die tiefste und heißeste Liebe von allen singe ich. O du Liebliche, o du Erbetete, o du Verlorene!«

Es war wie eine Menschenstimme, was aus diesen Saiten sang und flehte, und wahrhaftig: Vita war tief ergriffen und bis in die Seele geschüttelt von der Werbung dieser Töne.

Aber ihr Aufruhr erhob sich nur zugunsten des jungen Fürsten, und alle Sehnsuchtsgewalt des vor Liebe lichterloh brennenden Kläuser warb für den Nebenbuhler.

Umsonst, daß das Cello einen einsamen, tief anfragenden Gang im Schlußsatz hatte; umsonst, daß es mit einem Gesang, als klage ein Gott über sein eigenes Ende, verhauchte; umsonst!

Vita bebte und glühte. Sie war gewonnen für den, dem er selbst sie in einer der Stunden jenes Bannes kühler Klugheit zugesprochen hatte, jenes Bannes, der ihn nun schon jahrelang so rettungslos umfing, daß er sogar seine Liebe zum Werkstück der Vernunft hergegeben hatte.

Das Ständchen war zu Ende. Von den Zäunen klatschten Hunderte von Händen herüber; es prasselte ganz begeistert, und ein fernes »Bravi« wirrte hinein.

»Gute Nacht, schöne Vita,« rief der Student.

»Gut' Nacht und tausend, tausend Dank,« drängte das Mädchen hervor.

Die jungen Musikanten packten ihre Instrumente zusammen und schritten durch die Nacht davon. Vita aber legte das Köpfchen aufs Fensterbrett und weinte vor Tonergriffenheit, Glück, Stolz und Liebe, daß es sie schüttelte.

Der junge Russe geleitete seine Freunde bis an den Wagen, drängte dem fassungslosen Kläuser seinen Sitz auf und verschwand in der Nacht.

Er irrte ein wenig umher, bis er das Rautenstrauchsche Haus wiederfand, wo immer noch im offenen Fenster die ergriffene Vita saß und ein ganzes Orchester voll goldener, fürstlicher Träume brausen ließ.

Er erklomm im Hof eine Hühnersteige und trug ihr von solcher Tribüne Herz und Hand an.

Und es ertönte zugleich mit Vitas Freudenruf der gerührte Segen der horchenden Eltern hinter der Gardine aus dem dunklen, offenen Fenster.

Kuropkin ward sofort zum Nachtmahl geladen, mit einem königlichen Kapaun und vielen Flaschen anbetungswürdigen Elferweins bewirtet, und durfte, da er vor Freude ganz entsetzlich und sogar über das russische Maß hinaus getrunken hatte, im Hause schlafen.

So war das fürstliche Glück von dem beklagenswerten Kläuser mit Roßhaar und Darmseiten dauerhaft genäht worden.

* * *

Kuropkin schrieb auch wirklich nach kurzer Zeit einen Bericht nach Petersburg, der Gentzens und Metternichs größte Freude erregen sollte. Der schwergetäuschte Romantiker Hanspeter hatte ihn in seiner Unkenntnis der heraldischen Embleme einen neunzackigen Schuft genannt, und eine hinterhältige Kosakennatur obendrein. Da hatte Kuropkin eingesehen, daß die Adelsfeindschaft des deutschen Burschentums noch unbequem werden könnte. Zudem hatte ihn Vita gebeten, alles zu tun, um Herzog zu werden.

Es war ein großer, siegreicher Tag für ihn, – meinte er. Das alte Leben und die alten Vorurteile waren zum Plunder geworfen.

Mit diesem unscheinbaren Bericht wendete sich das Glücksblatt von den deutschen Burschenschaften und der Seelenfreiheit in den Ländern der Heiligen Allianz.

Auch Gentz schrieb einen reizenden Brief, über die süße Geschichte vom Ständchen in Sankt-Veit, von der aufmerksam verwendeten Geheimsekretärsliebe, vom klugen Cello und der russischen Viola, an die schöne Frau des russischen Botschafters von Lieven, die er siebzehn Monate lang sehr liebte. Er fragte sie, was sie dazu sage, daß er, Geheimrat und Exzellenz, sich einmal auch als Liebesgott versucht habe? Sie möge die hübsche Historie dem galanten Zaren vermelden, so weit ihm die Geschichte von Nutzen wäre, denn der Zar liebte wirklich die deutschen Liberalen im Grunde gar nicht. Er hoffe, der Zar werde erkenntlich sein, daß er ihm den jungen Kuropkin, der eine Staatsgefahr gebildet habe, so zart kuriert …

Der vertraute Bediente, der den Brief zur Post tragen sollte, brachte ihn gewissenhaft in die Kanzlei des Polizeichefs.

Dort zog der junge Kläuser mit einem an der Lampe heißgemachten Messer nachdenklich unter dem Siegel des genialen Publizisten hindurch und öffnete den Brief mit fabelhafter Geschicklichkeit.

Es war nur, weil Sedlnitzky glaubte, es würde den Kaiser interessieren zu wissen, ob Gentz russisches Geld nähme; – welche Entdeckung der große, kühle Menschenkenner Franz ohnehin zu weiter nichts als zur Bereicherung seiner Erfahrungen benutzt hätte.

In schwermütiger Nachdenklichkeit las Kläuser im Briefe: »So hätten wir denn abermals aus einem Romantiker einen Zerebralmenschen gemacht« …

»Ja, ja, so geht das Auf und Nieder aller Geschichte. Schon in Griechenland, in Judäa und in Rom. Cäsar ein Vernünftiger, Brutus ein Romantiker, Augustus ein Vernünftiger, … und so schwingt die Wage auf und ab über Louis XVI., über Robespierre, Napoleon, die deutschen Fürsten und Studenten, über Soldaten, Bürger und Arbeiter hinweg. Immer das alte Auf und Nieder: Romantik und Vernunft, Herz oder Kopf.«

Hatte es in ihm selber nicht einen solchen Kampf gegeben? Ach, das Herz war so heiß. Der Kopf kühl.

»Was ist doch aus mir geworden? Was haben sie aus mir gemacht, meine großen Gönner und Herren? Sie haben mich herrschen gelehrt über die Menschen und über mich selbst, und ich verfüge über mein Herz und seine innigsten Wünsche als der besterzogene Beamte dieser Zeit, die so gewaltig kühl und klug ist, weil ihre Vorgängerin, die große Revolution, so gewaltig heiß und töricht war.« Er lächelte trüb: »Freilich, alle spielten sie die Ochsenmenuett als Betrogene, für sich selber; ich allein war Beherrscher. Aber mein Glück? Mein armes Herz, das ich wie schlechte Scheidemünze ausgab?«

Tief, tief sank sein schweres Haupt herab; aber die hohe, steife Halsbinde und die Vatermörder kamen ihm heroisch zu Hilfe. Sie litten Kopfhängerei nur in sehr geringfügigem Winkelausmaß und hielten das leidtragende Organ der Vernunft in immer noch höchst würdiger Höhe aufrecht, bis der Herr Geheimsekretär auch die innere Haltung allmählich wieder errang.

* * *

Dann kam das Schwerste, das Bitterste und das Süßeste.

Es war große Trauung in dem riesenhaft nachdenklichen Dome zu Sankt Stephan, und Kuropkin wurde nach katholischem Ritus getraut, welcher Sieg Vitas ihn dem Wiener Hof auslieferte. Ganz Wien lief zusammen, und Herr Geheimsekretär Kläuser war Brautführer der schönen Vita. Er benahm sich herrlich, ja übermenschlich; wie ein meisterhaft ersonnenes Uhrwerk nämlich!

Bei Tische dann überwog, nach dem baldigen Aufbruch der westeuropäischen Exzellenzen und der Eltern, der Einfluß der zahlreich geladenen russischen Freunde. Nur Gentz blieb zurück, weil er höflich und trinkfest war, und der arme Kläuser, weil er nicht anders konnte. Kuropkin führte seiner jungen Frau ein heimatliches Sittenbild vor und betrank sich bis zur schwärmerischesten Tiefe. Der arme Kläuser mußte den aufgeregten Russen bei unzähligen Vivats in tödlichen Schnäpsen Bescheid tun, und die vielen Gesundheiten hätten den anständigen jungen Mann ermordet, ohne die segensreiche Hilfe seiner biederen, kinnhohen Halsbinde, hinter die er manches Wohl auf den Zaren beiseite fließen ließ. Zuletzt saß er, so durchnäßt aber so nüchtern wie ein Säugling, als das einzige vernünftige Geschöpf neben der entsetzten Vita, die durchaus nicht mittrinken wollte.

Ihr Fürst versuchte seiner Barbarenhorde die Ochsenmenuett vorzusingen, aber selbst dieser Rest kultureller Vergoldung hielt nicht mehr lange vor. Nur sein tiefes Slawengemüt strömte in endlosen Tränen aus, und er küßte alles, was in seiner Nähe lebte: Mensch, Dienerschaft und Tier. Zu allem Unglück bevorzugte er bei dieser Weltumarmungsfahrt seine junge Frau in großrussischem Maßstab.

Kläuser saß neben Vita, die fürstlich still saß, wie eine Bauernbraut. Aber unter dem Tisch brannte ihr heißer Schuh auf dem Fuße des einzigen Freundes. Kläuser schien klug und still, aber er vibrierte in allen Fasern wie der von Tönen aufgewiegelte Resonanzboden seiner Kniegeige.

»Kläuser! Sie, mein lieber, gescheiter, allmächtiger Landsmann! Lassen Sie den Fürsten nicht von der Wiener Botschaft weg. Sie können alles! Sie haben mich ja verheiratet. Machen Sie, daß ich in Wien bleiben kann. Ich müßte bei solchen Menschen sterben. Hören Sie denn nicht, daß sie nicht einmal singen können? Kläuser! Ich würde vor Heimweh nach Sankt Veit und nach dem Stephansturm und nach Ihrem Cello zugrunde gehen. Lieber, lieber Kläuser! Warum haben Sie mich verheiratet?«

»Ach schönste Vita, Sie wollten ein Fürstentum. Hier sehen Sie nun die Edelsten Ihrer Untertanen. Ich wollte Ihnen vordem mein Herz anbieten, aber ich fand, daß dieses Reich für Sie zu klein und störrig sein würde.«

»Kläuser, das sagen Sie mir erst jetzt? – – –«

Sie zog sich von ihm weg. Aber einem der Freunde Kuropkins fiel es ein, auf die Gesundheit der heiligen Allianz zu trinken. Diesmal tat Kläuser verzweifelt Bescheid. »Was hilft's, daß ich nüchtern bleibe, wenn ich in diesem Zustand einer Braut Liebesanträge mache.« Und er goß unter großem Beifall einen ehrlichen Schnaps auf einen Zug in die richtige Kehle …

Gleich saß der kleine, heiße Fuß wieder auf dem seinen. »Kläuser, trinken Sie nicht. Sie müssen mir klar bleiben! Wir sind doch die beiden Gescheiten über all denen. Brechen Sie dieses Fest ab. Zeigen Sie mir, wie Sie diese Trunkenen zu bändigen vermögen, damit der traurige Handel zu Ende geht!«

Vita blickte den, der ihr jetzt erst vor so vielen als der einzige erschien, flehend an, und Kläuser lächelte in allerfeinster, wehmütiger Ironie …

Dann faßte er die große Tafel an, als kämpfte er gegen übermächtige Trunkenheit, glitt schweigsam aus, riß das Tafelleinen mit sich und bedeckte sich stürzend mit den Trümmern von allem, was noch trinkbar war.

Die aufspringenden Russen brachen in ein Siegesgeschrei aus, und Kläuser lächelte zwischen Parkettboden und Leinwand. Er hatte stets erreicht, was er wollte, wenn er besiegt erschien.

Sein Sturz war so natürlich, daß Vita eilig in Schreck und Zweifel zu ihm niederkniete.

»Man muß ihm helfen!« rief sie. Aber die Russen lachten wie ein Opernchor und suchten nach unzerschellten Flaschen umher.

Vita riß das Tafeltuch angstvoll wie vom Haupt eines geliebten Toten weg und fing einen kleinen Blitz der halbgeschlossenen, verständigen Augen ihres stillen Landsmannes auf. »O du Lump du!« entfuhr es ihr. Dann bog sie sich, versteckt durch den Tisch, über seinen Mund und küßte ihn dreimal, in dreimal sündhaftem Bewußtsein.

Gentz allein hatte noch offene Augen und kam lachend einher: »Bemühen Sie sich nicht, den armen Teufel aufzuwecken, Fürstin,« rief er schon von weitem, als glaubte er an Vitas Schreck. »Der schläft wie eine volle Flasche.«

Kläuser lag blaß und mit geschlossenen Augen unter den Trümmern des Hochzeitsmahls. Er wagte sich vor Schreck und Seligkeit nicht zu rühren. Ein paar Gutmütige hoben ihn auf und trugen ihn fort.

»Er hat recht,« sagte Kuropkin mit schwindelnden Sinnen. »Es ist Zeit, schlafen zu gehen.«

Vita ging leise schaudernd mit ihm, um sich eine schwere Nacht lang nach dem zu sehnen, der sich unter Trunkenen als der Trunkenste verlachen ließ, um nüchtern zu bleiben.

Sie dachte daran, wie gestillt und graziös Kläuser jetzt nach Hause gehen würde, den Stock in rhythmischer Haltung, jeder Schritt und jede Bewegung eine Kulturarabeske.

Sie dachte daran, wieviel liebenswürdiger die Freiheit war, in der man sich bei ihr zu Hause unterhielt. Wahrlich, ein Konzertabend mit dem prickelnden Gespräch eines Hauches, einer Ahnung von Sinnlichkeit, wie er zu Wien in jedem Bürgerhause verlief, war adeliger als dieses Fürstenmahl, bei dem die pumphosigen, plumpen Kerle nichts als trinken, brüllen und stampfen konnten.

Der ganze Zauber ihres Fürsten war die träumerische Schweigsamkeit des Slawen gewesen. Wehe, wenn er sprach; er erfüllte keine Ahnungen.

Vita erkannte, daß sie mit Seele und Leib zu jener Gesellschaft gehörte, der ein leiser Ton genügt, um einen Akkord zu verstehen, und die liebenswürdig ist, weil sie nicht anders kann. Sie kam sich vor, als ob sie aus dem Olymp an Zentauren verkauft worden wäre, und ihr kleines Herz jubelte, daß ihr ein Freund geblieben war.

Alles, worauf sie sich jetzt freute, waren verbotene Küsse. –

* * *

Kläuser ging nicht zur Ruhe. Er hatte nichts in die Arme zu nehmen, als sein Instrument. Da verfolgte er denn in tiefer Nacht ein wildes, süßes, trauriges Thema durch alle Variationen. Er sang sich den Quartsextakkord dazu und jagte es in den Septimenakkord, bis es keinen Ausweg mehr fand und nur mehr ein bißchen schluchzen konnte.

* * *

Ein Glück, daß Gentz nicht wußte, wie schwer es dem armen Kläuser geworden war, seine Geliebte preiszugeben, und wieviel schwerer es ihn ankam, sie dem anderen wieder zu stehlen. Er war glücklich, die prächtige Geschichte von dem kühlen Beamten, der die eigene Geliebte um des Staatsvorteils willen kaltblütig fortgegeben habe, dem Monarchen als Glanzexempel einer gut fundierten Regierungskunst vorzutragen.

Aber der kluge Kaiser Franz, der große Erzieher dieser Zeit saß nachdenklich still.

»Schau, schau, der Kläuser?« sagte er einsilbig.

Er verlangte von seinen Beamten unbedingten, überwindenden Verstand, und nun behagte ihm die Sache doch nicht gänzlich. Man durfte doch auch auf dieser Seite nicht gleich wieder ins Übermenschliche hinaus wachsen …

»Und die junge Fürstin?« fragte er dann.

»Die läßt den Kläuser jetzt erst recht nicht los,« sagte Gentz lächelnd.

»Schau, schau, der Kläuser,« sagte der Kaiser wieder, diesmal aber weit beruhigter. Er hatte wieder einen Menschen durchschaut, einen unerlösten Menschen wie alle, die er kannte. »Der Kläuser! Dem werden wir ein ›von‹ vor den Namen geben.«

Gentz verließ das Kabinett mit tiefer Verbeugung. Er freute sich über die galante Geschichte.

Der Kaiser blieb allein. Er war vielleicht klüger als seine Beamten, war kühler als sie und reiner als sie; wenn ihm einer nahe kam, so war es nie mehr als in zwei von diesen drei Überlegenheiten. Er blieb doch der Herrscher.

Verständig lächelnd saß er und überdachte das kleine Geschichtchen, das Gentz ihm erzählt und in dem sein Quartettl um Herzen gespielt hatte.

Er sang leise vor sich hin und trommelte dazu den Takt: – zur Ochsenmenuett.

* * *


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