Honoré de Balzac
Die dreißig tolldreisten Geschichten – Erstes Zehent
Honoré de Balzac

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Wie sich der zahnlose Seneschall mit der Jungfernschaft seiner Frau herumbiß

In den ersten Tagen seiner Heirat erfand unser Ritter von der traurigen Gestalt tausend plumpe Lügen, um die kostbare Unwissenheit seiner Frau damit zu füttern und am Leben zu erhalten. Sein Richteramt mußte ihm zum Vorwand dienen, wenn er sie allein ließ. Er bot ihr alle Vergnügungen des Landlebens, um sie zu entschädigen und zu zerstreuen, und suchte mit albernen Spaßen ihren Geist abzulenken und einzuschläfern.

Die hohen Herren und vornehmen Leute, sagte er ihr, betragen sich auch in der Ehe nicht wie das gemeine Volk, und die Kinder der Grafen dürften nur bei gewissen Konstellationen der Gestirne gepflanzt werden, Tag und Stunde hätten allein die Astrologen zu bestimmen. Verboten sei die Sache, als eine schwere Arbeit, an allen Sonn- und Festtagen. Er aber wolle als guter Christ sich einer so schlimmen Sünde nicht schuldig machen. Die im Stand der Ungnade erzeugten Kinder, behauptete er ein andermal, würden blind, wenn sie am Tag von Sankt Klara gepflanzt wären, die von Sankt Vitus bekämen den Veitstanz, die von Sankt Wolfgang würden vom Wolf gefressen, die von Sankt Rochus bekämen Pest und Aussatz. Die Kinder vom Februar, erklärte er ihr, wären dem Fieber unterworfen, die vom März würden unbändige Wildfänge, die vom April reine Taugenichtse, die vom Mai unverbesserliche Wüstlinge. Er seinerseits aber wolle ein vollkommenes Kind, ein Kind ohne Fehl und Makel, ein Kind, das ein Ausbund sei aller Tugenden, da handle es sich drum, den glücklichsten Augenblick abzuwarten.

Dann wieder sagte er zu Blancheflor, daß es das Recht des Mannes sei, seiner Frau ein Kind zu schenken oder zu verweigern, ganz nach seinem Willen, und daß eine tugendhafte Ehefrau niemals murre wider den Willen ihres Herrn. Und jedenfalls müsse man abwarten, bis die Frau Schwiegermama aus dem Morgenlande zurückkäme, damit sie der Niederkunft beiwohnen könne.

Aus all dem glaubte Blancheflor herauszuhören, daß ihr Fragen und Drängen dem Grafen lästig falle und daß er seine guten Gründe haben möge, da er ja alt und wohlerfahren sei. Sie gab sich darum zufrieden und dachte an das ersehnte Kind nur noch, wenn sie ganz allein war, das heißt, sie dachte Tag und Nacht daran wie eine Frau, die sich etwas in den Kopf gesetzt hat und nicht bedenkt, daß sie mit ihrem ewigen Schielen nach der verbotenen Frucht schon eine halbe Ehebrecherin ist.

Bruyn selber ging dem Gespräch über Kinder so ängstlich aus dem Weg wie die Katze dem Wasser; aber eines Abends verfiel er dennoch unvorsichtigerweise auf das verhaßte Thema. Er hatte an dem Tag über einen Knaben wegen einer Übeltat schwere Strafe verhängt und konnte die Bemerkung nicht unterdrücken, daß das so ein Früchtchen wäre, wie sie im Stand der Todsünde erzeugt werden.

»Ach«, sagte Blancheflor, »ich wollte, Ihr beschertet mir eines; und wenn Ihr auch noch so schwere Sünden auf Euch hättet, ich wollte es schon zum Guten erziehen, Ihr solltet gewiß zufrieden sein ...«

Da erkannte der Graf, daß die Phantasie der Frau den Kopf erhitze und daß es höchste Zeit wäre, den Kampf aufzunehmen mit der verdammten Jungfernschaft, deren er Herr werden müsse, koste es, was es wolle, die er entweder vernichten und zerstören oder einschläfern und abtöten müsse.

»Du möchtest also Mutter werden, mein Liebchen«, sprach er; »aber noch ist dir der Beruf der Frau zu neu, und du hast dich noch gar nicht so recht dran gewöhnt, die Gräfin und große Dame richtig vorzustellen.«

»Oho!« sagte sie, »um eine vollkommene Gräfin zu sein und einen kleinen Grafen in meinem Schoß zu tragen, wäre es nötig, daß ich die Miene der Herrscherin aufsetze? Nun, ich werde sie aufsetzen, gebt acht!«

Und also hoffte sie ein Kind zu bekommen, wenn sie recht als große Dame lebte. Sie ließ es nicht fehlen. Sie jagte den Hirsch und die Hindin, sie durchpirschte mit den Rüden Dickicht und Gebüsch, sie sprengte auf ihrem Zelter über Berg und Tal, über Hecken und Gräben, sie entkappte den Falken auf ihrer Faust und ließ ihn zur Jagd aufsteigen im Galopp ihres Pferdes. Und der Seneschall lachte sich ins Fäustchen. Das war, was er gewollt hatte.

Dennoch hatte er sich verrechnet. Die wilde Jagd in Wald und Flur weckte etwas in Blancheflor, was seither geschlafen hatte; ein Hunger, ein Appetit, etwas wie ein wildes Tier reckte sich in ihr auf, daß sie Mühe hatte, es zurückzudämmen, wenn sie glühend und blühend sich den Staub und Schweiß der Jagd von den Gliedern wusch. Das Tier bleckte die Zähne. Auf der Jagd las sie die Inschriften an den Wegen, überraschte das Tier des Waldes in der Brunst, überfiel den Auerhahn im tollsten Liebesrausch, und allmählich lüftete die Natur den Schleier vor ihren Kinderaugen. Ihre Lippen wurden röter, ihre Lebensgeister immer übermütiger, das kriegerische Wesen spornte und stachelte ihren Wunsch, sie ließ ihm die Zügel schießen, sie ließ ihn mit sich durchgehen. Was der Seneschall mit Anstrengung und Ermüdung zu töten oder wenigstens zu entwaffnen gedachte, wurde davon erst recht lebendig, wurde ungestüm, bäumte sich auf und brannte nach dem Kampf, wie der frischbespornte Page nach dem Turnier, nach Ringelstechen und Lanzenbrechen ...

Der gute Graf erschrak; aus dem Ei seiner falschen Klugheit war ein fürchterlicher Drache ausgekrochen, und das Ruhebett seines Alters hatte sich in einen glühenden Rost verwandelt. Er sah jetzt ein, daß er die Natur des Tieres, mit dem er sich eingelassen, verkannt hatte; er wußte seinem Hunger keine Weide, und es schlug um so wilder aus, je freier er es laufenließ. Wehe dem, der in dem Kampf unterlag, in dem Wunden geschlagen wurden, unheilbare, giftige Wunden, die sich der gute Ritter so nah vor seinem Tode mit Gottes Hilfe gern erspart hätte.

Schon auf der Jagd konnte der alte Seneschall seiner Frau nicht mehr folgen, er schwitzte unter seinem Harnisch, keuchte, schnappte nach Luft, kam der Ohnmacht nahe, während die Seneschallin sich immer toller berauschte und sich ein zehnfaches Leben trank aus dem Becher der wilden Hatz. Am Abend nach dem Vesperbrot wollte sie dann tanzen. Wenn nun der unglückliche Mann, in einen ganzen Pack von dicken Stoffen eingewickelt, ihr den Partner machen mußte, als etwa ihr die Hand geben, wenn sie den Schüttertanz der Mohrin versuchte, oder ihr die Leuchter halten zum Fackeltanz, denn sie hatte die tollsten Einfälle, da meinte er oft, zusammenbrechen zu müssen vor Abspannung und Müdigkeit; aber es half alles nichts, er mußte die Zähne aufeinanderbeißen und den charmanten Schwerenöter machen, trotz Gicht, Zipperlein und Rheumatismus, und mußte den Entzückten spielen bei ihrem Schmiegen und Biegen, ihrem Wirbeln und Balancieren, ihren Pantomimen und tausenderlei Possen, bei denen sie kein Ende finden konnte. Er liebte sie trotzdem über alles; wenn sie die Glocken von Saint-Martin als Berlocken verlangt hätte, er hätte sie ihr geholt in hellem Lauf.

Eines schönen Tages aber sah er doch ein, daß seine Lenden zu lahm und seine Glieder zu steif geworden, um es länger mit der strotzenden Gesundheit seiner Frau aufnehmen zu können. Er beschloß darum in demütiger Zerknirschung, der Sache ihren Lauf zu lassen und alles dem lieben Gott und der Schamhaftigkeit und Ehrbarkeit seiner Frau anheimzustellen. Dennoch schlief er nur mit einem Auge, denn er konnte den Gedanken nicht abweisen, daß Gott die Jungfernschaften gemacht habe, um entjungfert, die Rebhühner, um aufgespießt und gebraten zu werden.

An einem feuchtgrauen Morgen, während es draußen fein regnete und nur Schnecken mit Behagen spazierengingen, an einem solchen wahrhaft trübseligen Morgen, der den Geist träumerisch und melancholisch macht, saß Blancheflor auf einem Stuhl am Fenster und sinnierte vor sich hin; denn ihr müßt wissen, daß nichts so sehr die substantiellen weiblichen Essenzen in Wallung und Gärung bringt, daß kein Rezept, Spezifikum oder Filter eindringlicher, durchdringlicher, beißender, kribbeliger, kitzeliger ist als die subtile Wärme, die sich erzeugt zwischen dem Haarpolster eines Sessels und dem einer Jungfrau, die lange darauf sitzt. Die arme Gräfin juckte es aller Ecken und Enden; ihre Jungfernschaft fing an, ihr unerträglich zu werden, ohne daß sie wußte, was das alles zu bedeuten habe.

Mit Kummer sah der Ehemann den Zustand seiner Frau; denn er erriet das heimliche Spiel ihrer Gedanken als den feinen geistigen Anfang von sehr ungeistigen groben Dingen.

»Was ist es, das Euch Sorge macht, mein Herz?« fragte er.

»Ich schäme mich, darum bin ich bekümmert.«

»Hat Euch jemand einen Schimpf angetan?«

»Ein Schimpf liegt darin, daß mich Gott als Frau verworfen hat und daß ich Euch keine Nachkommenschaft geben kann. Ist man überhaupt eine Frau, wenn man nicht Mutter werden kann? Sicherlich nicht. Seht nur, alle meine Nachbarinnen haben Kinder; um Kinder zu haben, habe ich mich verheiratet, nur in dieser Absicht habt Ihr mich genommen. Die Edelleute von Touraine sind alle reichlich mit Kindern versehen. Die Frauen schenken ihnen ganze Nester voll. Ihr allein habt keine. Wahrlich, man wird über Euch lachen. Was soll da aus Eurem Namen werden und aus Eurem Lehen und aus Eurer Herrschaft? Ein Kind ist uns Frauen die liebste Gesellschaft. Wir kennen keine größere Freude, als es ein- oder auszupacken, zu putzen und zu waschen, anzuziehen und wieder auszuziehen; als es zu schaukeln, zu herzen, zu küssen, zu wiegen; als es zu päppeln bei Tag und bei Nacht. Oh! wenn ich nur einen Bürzel von einem Kind hätte, wie wollt ich es drücken und schmücken, wie wollt ich es schlecken und necken; wie sollt es hüpfen und springen um mich, wie sollt es lachen und tollen, ich glaube, ich würde närrisch werden vor Glück.«

»Ihr bedenkt nicht, daß so viele Frauen sterben bei der Niederkunft; um ohne Gefahr ein Kind zu haben, seid Ihr noch zu jung und niedlich. Ihr seid noch zu eng verschlossen, es würde Euch töten. Aber wollt Ihr ein fertiges kaufen? Ihr würdet davon weder Mühe noch Schmerzen haben.«

»Ich will aber Mühen und Schmerzen davon haben!« rief sie. »Nur so wird es das meinige. Ich weiß, daß es von mir kommen muß, da es im Ave-Maria heißt: Benedictus est fructus ventris tui ... Gebenedeit ist die Frucht deines Leibes.«

»So lasset uns zu Gott beten«, sprach der Seneschall, »daß er es also füge, und eine Wallfahrt geloben zur Mutter Gottes von Amorbach. Manche Dame hat dort empfangen, indem sie die neuntägige Andacht nach Vorschrift gehalten; es wird Euch gewiß auch nicht fehlen.«

Und noch an demselben Tage machte sich Blancheflor mit großem Gefolge auf, um zu Notre-Dame von Esgrignolles zu wallen. Sie war umgeben wie eine Königin von all ihrem Volk, ritt auf einem weißen Zelter und trug ein Kleid von grünem Samt mit goldenen Schnüren, das die Brust frei ließ und dessen weite Schleppärmel gefüttert waren mit karminroter Seide. An den Füßen trug sie golddurchwirkte Schuhe und auf dem Haupte eine spitze Haube, die von Edelsteinen funkelte. Ein goldener Gürtel blitzte um ihre geschmeidigen Lenden.

Die junge Frau war so schlank und biegsam wie eine Weide, sie hatte sich so kostbar geschmückt, weil sie ihre ganze Ausrüstung der Heiligen Jungfrau vermachen wollte. Am Tage ihres ersten Kirchgangs wollte sie ihr alles übergeben.

Der Junker von Montsoreau ritt voran, sein Auge blitzte wie das eines Bussards; mit seinen Reitern drängte er das Volk beiseite und wachte über die Sicherheit der Reise. Bei Marmoustiers war der gute Seneschall bereits eingeschlafen; denn es war zur Zeit der Ernte und eine große Hitze. So wacklig saß er auf seinem Streitroß wie eine Königskrone zwischen den Hörnern einer Kuh. Alles verwunderte sich, ein so jungheiteres Ding von Dame neben dem alten Kahlkopf zu sehen, und ein junges Bauernweib, das am Fuße eines Baumes kauerte und aus einem Steinkrug Wasser trank, rief einer zahnlosen alten Vettel zu, die in der Nähe Ähren auflas: »Ist es nicht«, lachte sie, »als ob die schöne Prinzessin dort mit dem Tode zur Hochzeit reite?«

»Nein«, antwortete die Alte, »das ist unsre Herrin von La Roche-Corbon, die Seneschallin von Touraine und Poitou, die um ein Kind wallfahrten geht.«

»Oh, oh!« rief die Bauerndirne und lachte wie eine Mücke, die eben der Mückerich verlassen hat. »Aber der dort«, fügte sie hinzu, indem sie mit einer Kopfbewegung den kecken Junker an der Spitze des Zuges bezeichnete, »der dort könnte ihr wohl zu einem verhelfen, und sie könnte Kerzen und Gelübde sparen.«

»Mich wundert's nur«, erwiderte die Ährenleserin, »daß sie zur Mutter Gottes nach Esgrignolles geht, wo man seit Menschenalter kein hübsches junges Pfäfflein mehr gesehen hat. Sie täte besser, sich ein Viertelstündchen im Schatten des Kirchturms von Marmoustiers auszuruhen. Die Herren Patres dort sind groß im Urbarmachen und Fruchtbarmachen.«

»Zum Teufel die Mönche!« rief eine dritte, die sich aus dem Graben erhob, wo sie geschlafen hatte, »seht doch den Junker von Montsoreau, wie sein Auge flammt und blitzt; er wäre der rechte Mann, ihr das Herz aufzuschließen, das ja ohnedies schon gespalten ist.«

So wechselten Reden und Gelächter. Der Junker hatte die letzten Worte gehört und befahl, daß man das Weibsbild mit dem losen Maul am nächsten Apfelbaum der Straße aufknüpfte. Aber Blancheflor wehrte ihm.

»Laßt sie noch nicht hängen!« rief sie, »sie hat gewiß noch mehr zu sagen, wir werden auf der Rückkehr das übrige hören.«

Sie wurde rot bei diesen Worten, und Walter von Montsoreau warf ihr einen Blick zu, feurig genug, um das tiefste Dunkel eines süßen Geheimnisses gleich einem zuckenden Blitz zu durchleuchten. Schon die Reden der Bäuerinnen hatten der Dame ein halbes Licht aufgesteckt, der Baum der Erkenntnis mit seinen roten Früchten nahm immer deutlichere Gestalt an in ihrer Phantasie. Ihre Jungfernschaft war ein Zunder geworden, der Feuer fangen mußte beim geringsten Funken.

Blancheflor fing bereits an, den ungeheuren Unterschied in den physischen Formen und Eigenschaften ihres Mannes und denen des Junkers so zu sehen, wie sie ihn nie gesehen hatte, und konnte schon ihr Auge nicht mehr wegwenden von der Gestalt des dreiundzwanzigjährigen Junkers, der sich im Sattel hielt gerad wie eine Lanze und munter wie die erste Morgenstunde, indes der Seneschall den Kopf und anderes hängenließ.

Walter war einer jener Goldjungen, den die Mädchen im Bett lieber um sich gehabt hätten als ihr Nachthemd, wahrscheinlich weil sie sich dann weniger vor Flohstichen zu fürchten gehabt hätten; und mir scheint, daß man unrecht täte, die jungen Dinger um diese Vorliebe zu tadeln, denn wie eins sich bettet, so schläft es, das ist seine Sache.

So schnelle Fortschritte machte die Seneschallin im Begreifen und Verstehen, daß sie noch vor der hölzernen Brücke über den Fluß den schönen Walter liebte, mit Zittern und Zagen und ganz heimlich im tiefsten Innern, wie nur eine Jungfrau lieben kann, die nicht weiß, was Liebe ist.

Sie wurde auf dieser Wallfahrt mit einem Schlag eine gute Christin, insofern sie zum ersten Male das Gebot der Nächstenliebe, das höchste der christlichen Lehre, richtig zu begreifen glaubte und zu befolgen sich anschickte. Nur das begriff sie nicht, warum ihr Herzlein so unruhig wurde und sich todkrank fühlte, und begriff auch nicht, was sie jetzt erfuhr, nämlich wie schon allein durch die Augen sich ein feines Gift in den Körper einschleichen könnte, daß man es spürte, nicht nur im Herzen, sondern auch bis ins feinste Geäder hinaus durch alle Nerven, in allen Gliedern, in allen Eingeweiden, in Haut und Gehirn, in Lunge, Leber und Nieren, in allen noch so geheimen und verschämten Schlupfwinkeln des Leibes und Lebens. Durch alle Gefäße sickerte und tröpfelte das feine Gift wie eine Flamme, die alles durchdringt und die überall hervorzüngelt, hervorschlägt, hervorbricht, in den Haaren knistert, in den Fingerspitzen prickelt, daß es einem unter der Haut kribbelt und krabbelt wie mit tausend feinen Nadeln. So sehr umloderte sie die Flamme jungfräulicher Liebe, so sehr ging ihr Wesen unter in einem Wunsch ohne Namen, daß sie zu ersticken drohte, daß ihr die Sinne schwindelten, daß ihr guter alter Ehegemahl ihr zu Luft wurde und daß sie nur noch den jungen Walter sah, der strotzte von jugendlicher Kraft wie das Kinn eines Abtes.

Als man endlich in den berühmten Wallfahrtsort einzog, da weckten die Zurufe der Menschen von allen Seiten der Ehemann aus seinem Dusel, und er hielt mit großem Pomp seinen Einzug in die stattliche Kirche von Notre-Dame. Blancheflor begab sich unverzüglich nach der Kapelle, wo von alters her die Frauen den lieben Gott und die Heilige Jungfrau um Fruchtbarkeit anzuflehen pflegten. Die Sitte wollte, daß sie allein hineinging, der Seneschall und sein Gefolge wie das neugierige Volk blieben vor dem Gitter.

Als nun der Priester erschien, der zuerst die sogenannte Kindermesse hielt und dann die Gelübde entgegennahm, fragte ihn die gute Dame in der Beichte, ob es viel solcher Frauen gäbe wie sie, worauf der Priester erwiderte, daß er sich nicht zu beklagen habe und daß seine Kirche von diesem Notstand die größten Einkünfte bezöge.

»Und geschieht es oft«, fragte Blancheflor weiter, »daß junge Frauen einen so alten Mann mitbringen, wie der Herr Seneschall ist?«

»Selten«, antwortete der Priester.

»Und haben solche je Nachkommenschaft erhalten?«

»Nie hat es daran gefehlt«, erwiderte der Priester lächelnd.

»Und bei den andern, die jüngere Männer hatten?«

»Auch bei ihnen fehlte es nur hie und da.«

»Oh!« rief die Dame freudig aus, »so ist also größere Sicherheit bei einem Mann wie der Herr Seneschall?«

»Gewiß«, antwortete das Pfäfflein.

»Warum?« fragte sie.

»Hohe Herrin«, sprach der Priester ernst, »vor diesem Alter liegt die Sache allein in der Hand Gottes; später hat außerdem immer noch ein Mann seine Hand im Spiele.«

So sagt man doch wahrlich mit Recht, daß in jener Zeit die Kleriker allein im Besitz aller Wissenschaft waren.

Blancheflor aber tat ihr Gelübde, das sehr beträchtlich war, denn ihre Ausrüstung hatte wohl an die zweitausend Goldgulden gekostet.

»Ihr seid ja auffallend vergnügt«, sagte der Seneschall, als sie auf dem Heimweg ihren Zelter zu den verwegensten Sprüngen und Kapriolen reizte.

»Mit gutem Grund«, antwortete sie. »Ich brauche nicht mehr zu zweifeln, daß ich ein Kind haben werde, da nur erforderlich ist, wie mir der Priester erklärt hat, daß noch ein anderer Mann daran mitarbeite. Ich habe den Walter dazu ausersehen ...«

Im ersten Zorn wollte der Seneschall hingehen und den Pfaffen erwürgen; aber er bedachte, daß ein solches Verbrechen ihn viel Geld kosten könne, und er beschloß bei sich, seine Rache mit Hilfe des Erzbischofs billiger zu erlangen. Zu dem Junker von Montsoreau aber sagte er, er möchte unverzüglich losreiten und ihm einen Sack voll Schatten bringen, wozu Walter, der die Launen seines Herrn kannte, sich ohne Weigerung anschickte, noch ehe die Türme und Spitzdächer von La Roche-Corbon sichtbar wurden. Seine Stelle gab der Seneschall einem Sohne des Herrn von Jallanges, der sein Vasall war und dessen Sohn René hieß. Der Seneschall machte aus dem jungen René, der just in sein vierzehntes Jahr ging, einstweilen seinen Pagen, bis er alt genug wäre, um Stallmeister zu werden und das Kommando über das gräfliche Kriegsvolk zu übernehmen, das er vorderhand einem alten Haudegen übertrug, der in Palästina und andern Orten der Genosse seiner Heldentaten gewesen war. Auf diese Weise glaubte der gute Greis, aller Gefahr einer Behörnung vorgebeugt zu haben und die Jungfernschaft seiner Frau auch künftighin in Zucht und Zügel oder, wie man auch sagt, unter dem Daumen halten zu können. Aber das war ein Ding, das sich jetzt ganz rebellisch gebärdete und scharrte und ausschlug wie ein gefesseltes Maultier.


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