Honoré de Balzac
Physiologie der Ehe
Honoré de Balzac

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Ehe-Revolutionen

Es kommt stets ein Augenblick, wo die Völker und die Frauen, selbst die dümmsten, merken, daß man ihre Unschuld mißbraucht. Die allergeschickteste Politik vermag allerdings lange Zeit zu täuschen; aber die Menschen wären zu glücklich, wenn sie stets täuschen könnte; dadurch würde Völkern und Eheleuten viel Blut erspart werden.

Wir wollen indessen hoffen, daß die in den vorhergehenden Betrachtungen angegebenen Verteidigungsmittel einer gewissen Menge von Ehemännern genügen werden, um sich aus den Klauen des Minotauros zu retten!

Oh! Gebt doch dem Doktor der Ehewissenschaft recht, wenn er behauptet, daß mehr als eine Liebschaft, die als geheime Verschwörung angesponnen ist, durch die Mittel der Ehehygiene vernichtet werden oder dank der Ehepolitik ihr Ende finden wird. Ja – und ist es ein Irrtum, so ist er wenigstens tröstlich – ja! mehr als ein Liebhaber wird durch die persönlichen Mittel vertrieben werden. Mehr als ein Ehemann wird mit einem undurchdringlichen Schleier die geheimen Triebfedern seines Machiavellismus zu verhüten wissen, und mehr als einer wird bessern Erfolg haben, als jener alte Philosoph, welcher ausrief: ›Nolo coronari!‹ – ›Ich will nicht gekrönt werden!‹

Leider aber sind wir gezwungen, eine traurige Wahrheit anzuerkennen. Der Despotismus hat seine Sicherheit; diese gleicht jener Stunde, die einem Gewitter vorausgeht, und in deren tiefem Schweigen der auf vergilbtem Grase ausgestreckte Wanderer eine Viertelmeile weit den Gesang einer Grille zu hören vermag. Eines Morgens also entdeckt eine anständige Frau – und wie sie werden es die meisten unserer anständigen Frauen machen – mit Adlerblick die geschickten Manöver, die aus ihr das Opfer einer teuflischen Politik gemacht haben. Zunächst ist sie ganz wütend, so lange Zeit tugendhaft gewesen zu sein. In welchem Alter, an welchem Tage wird diese furchtbare Revolution ausbrechen? Diese chronologische Frage hängt ganz und gar von der Geschicklichkeit eines jeden Ehemannes ab; denn nicht alle sind berufen, mit demselben Talent die Vorschriften unseres Ehe-Evangeliums zu befolgen.

»Man muß recht wenig Liebe empfinden,« wird die hinters Licht geführte Ehefrau ausrufen, »um sich mit derartigen Berechnungen abzugeben! Was! Vom ersten Tage an hat er mich fortwährend im Verdacht gehabt? Das ist ja ungeheuerlich, eine Frau wäre einer so grausamen und heimtückischen Kunst nicht fähig!«

Dies ist das Thema. Die Variationen, die der Charakter der von ihm zu seiner Lebensgefährtin erwählten jungen Eumenide dazu liefern wird, kann jeder Ehemann selber erraten.

In diesem verhängnisvollen Augenblick sagt eine Frau nichts. Sie schweigt und verstellt sich. Ihre Rache wird geheimnisvoll sein. Nur hattest du seit jenem kritischen Augenblick, der nach unserer Annahme das Ende eures Honigmondes bezeichnete, bloß mit einem Schwanken ihres Herzens zu kämpfen; jetzt dagegen wirst du mit einem festen Entschluß zu kämpfen haben. Sie hat beschlossen, sich zu rächen. Von diesem Tage an trägt sie für dich eine Gesichtsmaske, die ehern ist wie ihr Herz. Du warst ihr gleichgültig; unvermerkt wirst du ihr unerträglich werden. Der Bürgerkrieg wird erst in dem Augenblick beginnen, wo ein Ereignis dich ihr verhaßt gemacht hat, wie ein Wassertropfen ein volles Glas zum Überlaufen bringt; ob dieses Ereignis an sich mehr oder weniger wichtig ist, das scheint uns schwer zu bestimmen. Indessen ist der Zeitraum, der jedenfalls zwischen dem Tage, wo deine Frau deine Anstalten bemerkt hat, und jener letzten Stunde verstreichen wird, die das verhängnisvolle Ende eures guten Einvernehmens bezeichnet, immerhin beträchtlich genug, so daß du eine Anzahl von Verteidigungsmitteln anwenden kannst, die wir hiermit ausführlicher behandeln wollen.

Bis dahin hast du deine Ehre nur geschützt, indem du völlig geheime Kräfte spielen ließest. Von nun an wird das Räderwerk deiner Maschinen für den Ehekrieg offen zutage liegen. Bisher suchtest du das Verbrechen zu verhindern. Jetzt gilt es, loszuschlagen. Du hast mit Unterhandlungen begonnen und steigst zuletzt zu Pferde, mit gezogenem Säbel, wie ein Pariser Stadtgendarm. Du wirst deinen Gaul Kapriolen machen lassen, wirst deinen Säbel schwingen, wirst aus vollem Halse schreien und wirst versuchen, den Auflauf zu zerstreuen, ohne jemanden zu verwunden.

Wie der Verfasser dieses Buches einen Übergang von der Schilderung der geheimen Mittel zu der der offenen Mittel hat finden müssen, so ist es auch für einen Ehemann notwendig, die ziemlich schroffe Veränderung seiner Politik zu rechtfertigen; denn in der Ehe wie in der Literatur besteht die ganze Kunst in der Anmut der Übergänge. Für dich ist diese von der höchsten Bedeutung. In welche abscheuliche Lage würdest du dich bringen, wenn in diesem Augenblick, der vielleicht der kritischste des ganzen Ehelebens ist, deine Frau sich über dein Benehmen zu beklagen hätte!

Du mußt also ein Mittel finden, die geheime Tyrannei deiner ersten Politik zu rechtfertigen; ein Mittel, das den Geist deiner Frau auf die von ihr zu ergreifenden schroffen Maßregeln vorbereitet; ein Mittel, durch das du nicht ihre Achtung verlierst, sondern sie dir im Gegenteil gewinnst; ein Mittel, das dich der Verzeihung würdig macht, das dir sogar ein klein wenig von jenem Zauber wieder verleiht, durch den du sie vor eurer Heirat verführtest.

»Aber bei was für einer Politik sollte man ein solches Aushilfsmittel suchen? Gibt es überhaupt ein solches?«

Ja.

Aber welche Geschicklichkeit, welchen Takt, welche Schauspielerkunst muß ein Mann besitzen, um die mimischen Reichtümer des Schatzes zu entfalten, den wir ihm zugänglich machen wollen! Um die Leidenschaft zu spielen, deren Feuer aus dir einen neuen Menschen machen wird, mußt du die ganze Tiefe eines Talma besitzen.

Diese Leidenschaft ist die Eifersucht.

»Mein Mann ist eifersüchtig. Er war es seit Anbeginn unserer Ehe. Er verbarg mir dies Gefühl mit einer raffinierten Zartheit. Er liebt mich also noch? Ich werde ihn lenken können!«

Diese Entdeckungen muß eine Frau nach und nach machen, nachdem du mit ihr bewunderungswürdige Komödienszenen aufgeführt hast, bei denen du dich köstlich unterhalten wirst; und ein Weltmann müßte recht dumm sein, wenn es ihm nicht gelänge, einer Frau etwas einzureden, was ihr schmeichelt.

Mit welcher vollendeten Heuchelei mußt du alle deine Handlungen nacheinander so einrichten, daß du die Neugier deiner Frau erweckst, sie mit einem neuen Studium beschäftigst, sie im Labyrinth deiner Gedanken umherirren läßt!

Ausgezeichneter Schauspieler, errätst du, durch welches diplomatische Schweigen, durch was für listige Gebärden, geheimnisvolle Worte, doppelsinnige Flammenblicke eines Abends deine Frau zu dem Versuch verlockt wird, dir das Geheimnis deiner Leidenschaft zu entreißen?

Oh! In seinen Bart hineinlachen, während man Tigeraugen macht; nicht lügen und nicht die Wahrheit sagen; sich des kapriziösen Geistes einer Frau zu bemächtigen und ihr den Glauben zu lassen, sie halte ihren Mann, während dieser ihr ein Halseisen anlegt! ... Oh! Komödie ohne Publikum, die von Herzen zu Herzen gespielt wird und bei der ihr alle beide im Gefühl eines sichern Erfolges euch selber Beifall klatscht!

Deine Frau wird dir mitteilen, daß du eifersüchtig seist; sie wird dir nachweisen, daß sie dich besser kennt als du selber, sie wird dir darlegen, daß deine Listen völlig überflüssig seien, sie wird dich vielleicht herausfordern. Freudetrunken triumphiert sie im Gefühl der Überlegenheit, die sie dir gegenüber zu besitzen glaubt; du gewinnst in ihren Augen an Vornehmheit; denn sie findet dein Verhalten ganz natürlich. Nur war selbstverständlich dein herausforderndes Benehmen überflüssig: denn wenn sie dich verraten wollte, wer könnte sie daran verhindern?

Dann, eines Abends, wirst du dich von der Leidenschaft fortreißen lassen: du nimmst irgendeine Kleinigkeit zum Vorwand und machst eine Szene, bei der du in deinem Zorn das Geheimnis der strengen Maßregeln verrätst, zu denen zu greifen du dich entschlossen hättest. Dies ist der Augenblick, wo unser neues Gesetzbuch in Kraft tritt.

Du brauchst nicht zu befürchten, daß eine Frau sich darüber ärgern wird. Sie braucht deine Eifersucht. Sie wird sogar deine strengen Maßregeln herausfordern. Zunächst deshalb, weil sie darin die Rechtfertigung ihres Benehmens suchen wird; ferner findet sie ungeheure Vorteile dabei, vor der Welt die Rolle eines Opfers zu spielen – denn was für köstliche Beteuerungen des Mitleids wird sie da anhören dürfen! Ferner wird sie sich daraus eine Waffe gegen dich selbst machen, in der Hoffnung, sich derselben bedienen zu können, um dich in eine Schlinge zu locken.

Sie sieht bereits klar und deutlich tausend neue Wonnen in ihrer künftigen Untreue, und ihre Phantasie begrüßt mit freudigem Lächeln alle Schranken, mit denen du sie umgibst: wird es nicht herrlich sein, darüber hinwegspringen zu müssen?

Die Frauen verstehen besser als wir die Kunst, die beiden menschlichen Gefühle zu analysieren, mit denen sie sich gegen uns bewaffnen, und deren Opfer sie sind. Sie besitzen den Instinkt der Liebe, weil die Liebe ihr ganzes Leben ist; und sie besitzen den Instinkt der Eifersucht, weil diese so ziemlich ihr einziges Mittel ist, um uns zu beherrschen. In ihnen ist die Eifersucht ein wahres Gefühl: sie geht aus dem Instinkt der Selbsterhaltung hervor; sie läßt ihnen die Wahl zwischen Leben und Tod. Beim Manne aber ist diese beinahe unerklärliche Leidenschaft fast immer ein Unsinn, wenn er sich ihrer nicht als eines Mittels bedient.

Auf eine Frau, von der man geliebt wird, eifersüchtig zu sein, deutet auf ganz eigentümliche Denkfehler hin. Wir werden geliebt, oder wir werden nicht geliebt: von diesen beiden Extremen aus angesehen, ist die Eifersucht für den Mann ein überflüssiges Gefühl; sie läßt sich vielleicht ebensowenig erklären wie die Furcht, und vielleicht ist die Eifersucht nichts weiter, als die der Liebe beigemischte Furcht. Aber dies heißt nicht: an seiner Frau zweifeln, dies heißt: an sich selber zweifeln.

Eifersüchtig sein bedeutet gleichzeitig: den Gipfel der Ichsucht, den Bankrott der Eigenliebe und die Erregung einer falschen Eitelkeit. Die Frauen nähren mit außerordentlicher Sorgfalt dieses lächerliche Gefühl, weil sie ihm Kaschmirschals, ihr Nadelgeld und Diamanten verdanken, und weil sie für sie das Thermometer ihrer Macht ist. Daher würde auch deine Frau auf ihrer Hut sein, wenn du nicht den Eindruck hervorriefest, wie wenn die Eifersucht dich blind mache; denn es gibt nur eine einzige Schlinge, vor der sie nicht auf der Hut ist: nämlich die Schlinge, die sie sich selber legt. Daher muß eine Frau leicht von einem Ehemann übertölpelt werden, der geschickt genug ist, der unvermeidlichen, früher oder später doch eintretenden Revolution die von uns bezeichnete und von der Klugheit gebotene Richtung zu geben.

Du wirst dadurch auf deine Ehe jene eigentümliche Erscheinung übertragen, die uns die Geometrie in den Asymptoten bietet: deine Frau wird stets dich zu minotaurisieren versuchen, ohne daß es ihr jemals gelänge. Wie es Knoten gibt, die sich niemals so fest zusammenziehen, wie wenn man sie aufzulösen versucht, so wird sie im Interesse deiner Macht arbeiten, während sie glaubt, für ihre Unabhängigkeit zu arbeiten.

Ein Fürst ist auf dem höchsten Grad der Verstellungskunst angelangt, wenn er seinem Volk die Überzeugung beibringt, es schlage sich für sich selber, während er in Wirklichkeit es für seinen Thron abschlachten läßt.

Aber viele Ehemänner werden gleich zu Anfang bei der Ausführung dieses Feldzugsplanes eine Schwierigkeit finden. Wenn die Frau über eine tiefgehende Verstellungskunst verfügt, an welchen Zeichen soll man dann den Augenblick erkennen, wo sie die geheimen Triebfedern der langdauernden Mystifikation bemerkt?

Hierauf antworten wir: zunächst haben die Betrachtungen ›über die Ehezollrevision‹ und die ›Theorie des Bettes‹ bereits mehrere Mittel angegeben, um den Gedanken der Frau zu erraten; aber wir erheben nicht den Anspruch, in diesem Buche alle die unermeßlichen Hilfsquellen des menschlichen Geistes erschöpfen zu wollen. Hier nur ein Beispiel: am Saturnalientag entdeckten die Römer in zehn Minuten mehr über die Eigenschaften ihrer Sklaven, als sie sonst während des ganzen übrigen Jahres erfahren konnten! Du mußt in deiner Ehe Saturnalien einzurichten verstehen, mußt es machen wie Geßler, der ohne Zweifel, als er Wilhelm Tell den Apfel vom Kopfe seines Kindes herunterschießen sah, zu sich selber gesagt hat: »Den Mann da muß ich mir vom Halse schaffen, denn er würde mich nicht fehlen, wenn er mich totschießen wollte.«

Du begreifst: sollte deine Frau Roussillonwein trinken, Hammelfilet essen, zu jeder beliebigen Stunde ausgehen und die Enzyklopädie lesen wollen – so mußt du sie auf die dringlichste Weise dazu auffordern. Zunächst deshalb, weil sie gegen ihre eigenen Wünsche mißtrauisch werden wird, wenn sie dich in vollkommenem Gegensatz zu den früher von dir befolgten Systemen handeln sieht. Sie wird sich einbilden, du müssest ein ganz besonderes Interesse daran haben, daß du deine Politik diesen neuen Kurs einschlagen läßt, und darum wird gerade der Umstand, daß du ihr alle Freiheit läßt, sie dermaßen beunruhigen, daß sie gar keinen Genuß davon haben wird. Wenn nun auch eine solche Änderung des Verhaltens dieses oder jenes Unglück mit sich bringen könnte, so wird auch dafür die Zukunft Rat schaffen. In Revolutionszeiten ist es der allererste Grundsatz, das Übel, das man nicht verhindern kann, einem guten Ziel zuzulenken und durch Blitzableiter den Blitz anzuziehen, um ihn in einen Brunnen zu leiten.

Und nun stehen wir endlich vor dem letzten Akt der Komödie.

Der Liebhaber, der von dem Tage an, wo das schwächste von allen ›Ersten Symptomen‹ bei deiner Frau aufgetreten ist, bis zu dem Augenblick, wo die Eherevolution sich vollzieht, teils als körperliches Wesen, teils als ein Gebilde ihrer Phantasie eure Ehe umschwebt hat – der Liebhaber, durch einen Wink von ihr herangerufen, hat gesagt: »Da bin ich.«


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