Honoré de Balzac
Physiologie der Ehe
Honoré de Balzac

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Ehestatistik

Seit ungefähr zwanzig Jahren beschäftigt sich die Staatsverwaltung mit der Untersuchung, wie viele Hektare Wald, Wiesen, Weinberge, Brachland der Boden Frankreichs enthält. Aber sie ist auch dabei noch nicht stehen geblieben, sie hat Zahl und Art des Viehstandes festgesetzt. Die Gelehrten sind noch weiter gegangen: sie zählten die Klafter Holz, die Kilogramme Rindfleisch, die Liter Wein, die Kartoffeln und die Eier, die in Paris verzehrt werden. Aber niemand ist bis jetzt auf den Gedanken gekommen, zur Ehre der Ehe oder im Interesse der Leute, die sich verheiraten wollen, oder zum Nutzen der Moral und der Vervollkommnung menschlicher Einrichtungen die Zahl der anständigen Frauen festzustellen. Wie? Auf eine Anfrage würde das französische Ministerium antworten können, es habe soundso viel Soldaten unter den Waffen, soundso viel Spione, soundso viel Beamte, soundso viel Schüler – und über die tugendhaften Frauen nichts? Wenn ein König von Frankreich den Einfall bekäme, sich seine erhabene Lebensgefährtin unter seinen Untertaninnen zu suchen, dann könnte die Regierung ihm nicht einmal die Herde weißer Schafe bezeichnen, unter denen er seine Wahl zu treffen hätte? Sie wäre genötigt, eine Art von Rosenmädchen-Preisbewerbung auszuschreiben – und das wäre ja lächerlich.

So wären also die Alten unsere Meister in politischen Einrichtungen so gut wie auf dem Gebiet der Moral? Die Weltgeschichte lehrt uns, daß Asverus, als er unter den Töchtern Persiens eine Frau nehmen wollte, Esther wählte, die tugendhafteste und schönste. Seine Minister mußten also notwendigerweise irgendein Verfahren ausfindig gemacht haben, um von der Bevölkerung den Rahm abzuschöpfen. Unglücklicherweise hat die Bibel, die sonst in allen Eheangelegenheiten sich so klar ausdrückt, es unterlassen, dieses Gesetz der ehelichen Auslese uns mitzuteilen.

Versuchen wir, da die Regierung sich über diese Frage ausschweigt, die Lücke auszufüllen, indem wir die Verhältnisse des weiblichen Geschlechts in Frankreich zahlenmäßig feststellen. Wir wenden uns damit an die Aufmerksamkeit aller Freunde der öffentlichen Moral und rufen sie als Richter über unser Verfahren an. Wir werden versuchen, in unsern Schätzungen nicht kleinlich und in unsern Folgerungen möglichst genau zu sein, weil wir wünschen, daß das Ergebnis dieser Untersuchung allgemein anerkannt werde.

Man rechnet im allgemeinen die Einwohnerzahl Frankreichs zu dreißig Millionen.

Einige Naturwissenschaftler meinen, die Zahl der Frauen übersteige die der Männer; da aber viele Statistiker der entgegengesetzten Ansicht sind, so bedienen wir uns der Wahrscheinlichkeitsrechnung und nehmen die Zahl der Frauen zu fünfzehn Millionen an.

Von dieser Gesamtsumme ziehen wir zunächst ungefähr neun Millionen Geschöpfe ab, die auf den ersten Anblick eine ziemlich große Ähnlichkeit mit der Frau zu haben scheinen, die aber eine tiefer eindringende Prüfung uns zurückzuweisen nötigt.

Nämlich:

Die Naturforscher sehen im Menschen nur eine einzige Gattung der Ordnung Zweihänder, die von Duméril in seiner ›Analytischen Zoologie‹, Seite 16, aufgestellt ist und welcher Bory-Saint-Vincent, angeblich um sie zu vervollständigen, noch die Gattung Orang glaubte hinzufügen zu müssen.

Wenn diese Zoologen in uns nur ein Säugetier sehen, das zweiunddreißig Wirbel, ein Zungenbein und mehr Gehirnwindungen hat als irgendein anderes Tier; wenn für sie in dieser Ordnung keine andern Unterschiede bestehen, als die durch klimatische Einflüsse hervorgerufenen, die zur Einteilung in fünfzehn verschiedene Rassen führten, deren wissenschaftliche Namen ich nicht anzuführen brauche – so muß auch der Physiologe das Recht haben, nach gewissen Abstufungen der Intelligenz und nach gewissen moralischen und pekuniären Daseinsbedingungen seine Arten und Unterarten aufzustellen.

Nun bieten allerdings die neun Millionen Wesen, um die es sich hier handelt, auf den ersten Anblick alle dem Menschengeschlecht zugeschriebenen Merkmale: sie haben das Zungenbein und den Jochbogen. Es sei also den Herren vom Zoologischen Garten erlaubt, sie zur Gattung Zweihänder zu rechnen; aber daß wir in ihnen Frauen sehen sollten – das wird unsere Physiologie niemals zugeben!

Für uns und für die, denen dieses Buch zugedacht ist, ist eine Frau eine seltene Spielart der Gattung Mensch, und ihre hauptsächlichsten physiologischen Merkmale sind folgende:

Wir verdanken diese Abart der besondern Sorgfalt, die die Menschen, dank der Macht des Goldes und der moralischen Wärme der Kultur, auf ihre Aufzucht haben verwenden können. Man erkennt sie im allgemeinen an der Weiße, Reinheit und Weichheit der Haut. Sie hat eine angeborene Vorliebe für eine köstliche Reinlichkeit. Ihre Finger mögen nichts anderes berühren als glatte, weiche, duftende Gegenstände. Wie das Hermelin stirbt sie zuweilen vor Schmerz, wenn sie ihr weißes Kleid besudelt sieht. Sie liebt es, ihre Haare zu strählen, sie betäubende Düfte aushauchen zu lassen, ihre rosigen Nägel zu bürsten, sie mandelförmig zu beschneiden, oftmals ihre zarten Glieder zu baden. Nachts ist ihr nur das weichste Daunenlager behaglich, tags nur ein gut gepolsterter Diwan; daher bevorzugt sie denn auch von allen Lagen die horizontale. Ihre Stimme ist von einer durchdringenden Süße, ihre Bewegungen sind anmutig. Sie spricht mit einer wunderbaren Leichtigkeit. Sie widmet sich keiner mühevollen Arbeit; und trotzdem, trotz ihrer anscheinenden Schwäche gibt es Lasten, die sie mit einer fabelhaften Leichtigkeit zu tragen und zu bewegen weiß. Sie flieht den Glanz der Sonne und schützt sich davor durch sinnreiche Vorrichtungen. Gehen ist für sie eine Anstrengung. Ißt sie? Das ist ein Geheimnis. Teilt sie die Bedürfnisse der andern Menschenrassen? Das ist ein Problem. Überaus neugierig, läßt sie sich leicht von jemandem fangen, der ihr auch nur die geringste Kleinigkeit zu verbergen weiß – denn ihr Geist treibt sie unaufhörlich, das Unbekannte zu suchen. Lieben ist ihre Religion: sie denkt nur daran, dem zu gefallen, den sie liebt. Geliebt zu werden, ist der Zweck aller ihrer Handlungen; Begierden zu erregen der Zweck aller ihrer Bewegungen. Daher denkt sie auch nur an die Mittel, durch die sie glänzen kann; sie bewegt sich nur in einer Sphäre von Anmut und Eleganz; für sie hat die junge Indierin das weiche Haar der Tibetziege gesponnen, webt Tarare seine luftzarten Schleier, läßt Brüssel seine Klöppelnadeln mit dem reinsten und dünnsten Flachs hin und her schießen, entreißt Bisapur den Eingeweiden der Erde funkelnde Kiesel, vergoldet Sèvres seinen weißen Ton. Tag und Nacht denkt sie über neuen Putz nach, bringt ihr Leben damit zu, ihre Röcke stärken zu lassen, ihre Busentücher zu zerknittern. Glänzend und frisch zeigt sie sich Unbekannten, deren Huldigungen ihr schmeicheln, deren Wünsche sie entzücken, selbst wenn die Betreffenden ihr gleichgültig sind. Die Stunden, die die Pflege ihres Leibes und die Sinnenlust ihr übrig lassen, verwendet sie darauf, die süßesten Melodien zu singen: für sie ersinnen Frankreich und Italien ihre köstlichen Konzerte, gibt Neapel den Saiten eine harmonische Seele. Mit einem Wort: diese Abart des Menschen, die Frau, ist die Königin der Welt und die Sklavin eines Wunsches. Sie fürchtet sich vor der Ehe, weil diese ihr schließlich den Wuchs verderben würde; aber sie gibt sich ihr hin, weil sie das Glück verspricht. Wenn sie Kinder bekommt, geschieht es durch reinen Zufall; und wenn sie groß sind, verbirgt sie sie.

Finden diese Züge, die wir auf gut Glück unter tausend herausgreifen, sich bei jenen Geschöpfen wieder, deren Hände schwarz sind wie Affenhände, deren gegerbte Haut an alte Pergamente aus Olims Zeit erinnert; deren Gesicht von der Sonne verbrannt, deren Hals runzlig ist wie ein Truthahnhals? deren Stimme ein Gekrächze, deren Intelligenz gleich Null, deren Geruch unerträglich ist? die mit Lumpen bedeckt sind; die nur an ihren Backtrog denken; die fortwährend mit krummem Rücken die Erde bearbeiten; die hacken, eggen, heuen, Ähren lesen, mähen, Brot kneten, Hanf pochen? die in einem kunterbunten Durcheinander mit Vieh, Kindern und Männern in Löchern wohnen, wo sie kaum ein Strohbund haben? denen es endlich wenig darauf ankommt, wenn es ihnen Kinder ins Haus regnet? Viele Kinder zu erzeugen, um viele dem Elend und der Arbeit zu überliefern, ist ihre ganze Aufgabe; und wenn sie ihre Liebe nicht als eine Arbeit betrachten wie die Feldarbeit, so ist sie zum mindesten eine Spekulation.

Ach! wenn es auf der ganzen Welt Kaufmannsfrauen gibt, die den ganzen Tag zwischen Kerzen und Farinzucker sitzen; Pächtersfrauen, die Kühe melken; Unglückliche, die man in den Fabriken als Lasttiere benutzt, oder die mit Hacke, Hucke und Gemüsekorb sich schleppen; wenn es unglücklicherweise nur zu viele gemeine Geschöpfe gibt, für die das Leben der Seele, die Wohltaten der Erziehung, die köstlichen Stürme des Herzens ein unerreichbares Paradies sind, und wenn die Natur gewollt hat, daß sie ein Zungenbein und zweiunddreißig Wirbel haben – so mögen sie für den Physiologen in der Gattung Orang verbleiben! Hier beschäftigen wir uns nur mit den Müßigen; mit denen, die Zeit und Geist haben, um zu lieben; mit den Reichen, die sich um ihr Geld den Besitz der Leidenschaften erworben haben; mit den Geistigen, die sich das Monopol phantastischer Träume gewonnen haben. Verflucht sei alles, was nicht geistig lebt! Sagen wir ›Racha!‹ und wieder ›Racha!‹ zu allem, was nicht heißblütig, jung, schön und leidenschaftlich ist! Dies ist der öffentliche Ausdruck für das geheime Gefühl der Menschenfreunde, die lesen können oder sich eigene Equipage zu leisten vermögen. In den von uns mit dem Bann belegten neun Millionen sehen der Steuereinnehmer, der Verwaltungsbeamte, der Gesetzgeber, der Priester ohne Zweifel Seelen, Untertanen, Gerichtssassen, Steuerpflichtige – aber der feinfühlige Mensch, der Boudoirphilosoph essen wohl das Kaffeebrötchen aus dem von jenen Geschöpfen gesäten und geernteten Korn, aber sie werden sie, wie wir es tun, aus der Gattung ›Frau‹ ausschließen. Für sie ist ›Frau‹ nur eine solche, die Liebe einflößen kann; daher gibt's als Frau nur ein Geschöpf, das durch eine gewählte Erziehung zum Priestertum des Gedankens geweiht ist; in dem der Müßiggang alle Macht der Einbildungskraft entwickelt hat – mit einem Wort ein Wesen, dessen Seele in der Liebe ebenso hohe geistige Genüsse wie körperliche Wonnen erträumt.

Wir wollen indessen darauf hinweisen, daß diese neun Millionen weiblicher Parias hier und da einige tausend Bauernmädchen hervorbringen, die seltsamerweise schön wie Liebesgöttinnen sind; diese kommen nach Paris oder in andere große Städte und steigen schließlich zum Range feiner Damen empor; aber auf diese zwei oder dreitausend Bevorzugte kommen hunderttausend andere, die Dienstmädchen bleiben oder sich einem schrecklichen Lasterleben ergeben. Trotzdem wollen wir dem weiblichen Pöbel diese Dorfpompadours in Rechnung stellen.

Diese unsere erste Berechnung gründet sich auf die statistisch festgestellte Tatsache, daß es in Frankreich achtzehn Millionen Arme, zehn Millionen Wohlhabende und zwei Millionen Reiche gibt.

Es sind also in Frankreich nur sechs Millionen Frauen vorhanden, mit denen feinfühlige Männer sich beschäftigen, sich beschäftigt haben oder sich beschäftigen werden.

Unterziehen wir diese gesellschaftliche Auslese einer philosophischen Prüfung!

Wir sind – ohne Widerspruch zu befürchten – der Meinung, daß die Ehemänner, die eine zwanzigjährige Ehe hinter sich haben, ruhig schlafen dürfen, und nicht mehr Übergriffe der Liebe und den Skandal eines Prozesses wegen strafbaren Verkehrs zu befürchten brauchen. Von diesen sechs Millionen muß man also ungefähr zwei Millionen Frauen abziehen, die außerordentlich liebenswürdig sind, weil sie mit vierzig Jahren und darüber die Welt gesehen haben; da sie aber keine Herzen mehr in Wallung bringen können, so kommen sie für die vorliegende Frage nicht in Betracht. Nenn sie das Unglück haben, daß ihre Gesellschaft nicht wegen ihrer Liebenswürdigkeit gesucht wird, so packt sie die Langeweile; sie verlegen sich auf Frömmigkeit, Katzen, Hündchen und andere Liebhabereien, die sie nur vor Gott zu verantworten haben.

Die vom Statistischen Amt angestellten Berechnungen der Bevölkerung berechtigen uns, von der Gesamtzahl ferner zwei Millionen kleiner Mädchen abzuziehen; sie sind zum Anbeißen hübsch, aber sie stehen noch beim Abc des Lebens und spielen in aller Unschuld mit andern Kindern, ohne eine Ahnung zu haben, daß sie über diese kleinen ›Mannis‹, über die sie jetzt lachen, eines Tages weinen werden.

So bleiben also zwei Millionen Frauen. Welcher vernünftige Mensch wird uns nicht zugeben, daß hiervon hunderttausend arme Mädchen abzuziehen sind: Häßliche, Bucklige, Hysterische, Rachitische, Kranke, Blinde, Verkrüppelte, Arme? Sie alle sind Mädchen von guter Erziehung, aber sie alle bleiben Mädchen und können infolgedessen gegen die heiligen Gesetze der Ehe nicht verstoßen.

Wird man uns hunderttausend andere Mädchen abstreiten: Schwestern der heiligen Camilla, barmherzige Schwestern, Nonnen, Lehrerinnen, Gesellschaftsfräuleins usw.? In die fromme Nachbarschaft dieser Mädchen wollen wir die ziemlich schwer zu bestimmende Zahl von solchen stellen, die zu groß sind, um noch mit kleinen Jungen zu spielen, und noch zu jung, um schon ihre Orangeblütenkränze entblättern zu lassen.

Endlich wollen wir von den fünfzehnhunderttausend Frauen, die wir in unserm Probiertiegel haben, noch fünfhunderttausend abziehen: die Töchter Baals, an denen die wenig zartfühlenden Männer ihr Vergnügen haben. Wir wollen sogar – ohne zu befürchten, daß sie sich gegenseitig etwas zuleide tun könnten – zu ihnen noch hinzurechnen: die ausgehaltenen Frauen, die Modistinnen, Laden- und Geschäftsmädchen, Schauspielerinnen, Sängerinnen, Tänzerinnen, Statistinnen, Haushälterinnen, Dienstmädchen usw. Die meisten von diesen Geschöpfen wissen auch ihre Leidenschaften zu erregen, aber sie finden es unanständig, für den Tag und Augenblick, wo sie sich ihrem Liebhaber ergeben, einen Notar, einen Bürgermeister, einen Geistlichen und eine ganze Schar lachlustiger Menschen vorher zu bestellen. Ihr System, das von einer neugierigen Gesellschaft mit Recht verdammt wird, bietet den Vorteil, sie gegen die Männer, gegen den Herrn Bürgermeister, gegen die hohe Justiz zu nichts zu verpflichten. Da sie nun in keiner Weise gegen einen von der Behörde vorgeschriebenen Eid verstoßen, so haben diese Frauen nichts mit einem Werk zu schaffen, das ausschließlich den legitimen Ehen geweiht ist.

Man wird vielleicht sagen, auf diese Weise beschränkten wir uns auf ein recht kleines Stoffgebiet für das Thema, das dieser Betrachtung zugrunde liegt – dafür wird aber dieses Kapitel einen Ausgleich bilden für andere, die nach der Meinung von Liebhabern zu sehr anschwellen könnten. Sollte jemand eine reiche Witwe, die er liebt, gerne zu der verbleibenden Million gerechnet wissen wollen, so kann er sie auf das Kapitel der Barmherzigen Schwestern, der Ballettmädchen oder Buckligen anrechnen. Endlich müssen wir darauf aufmerksam machen, daß wir für unsere letzte Kategorie nur fünfhunderttausend in Anspruch genommen haben, weil es oftmals vorkommt – wie wir bereits oben gezeigt haben –, daß die neun Millionen Bäuerinnen sie um eine beträchtliche Anzahl vermehren. Aus demselben Grunde haben wir die arbeitende Klasse und den kleinen Bürgerstand nicht berücksichtigt: die Frauen dieser beiden Gesellschaftsstände sind das Produkt der Anstrengungen, die die neun Millionen weiblicher Zweihänder machen, um sich zu den hohen Regionen der Zivilisation zu erheben. Wenn wir nicht diese peinliche Genauigkeit übten, würden viele Leute diese statistische Betrachtung als einen Scherz ansehen.

Wir hatten auch daran gedacht, eine kleine Sonderabteilung von hunderttausend Frauen zu bilden, eine Art Amortisationskasse der Frauenrasse, ein Asyl für Frauen, die man als eine Art Zwitterwesen betrachten muß, wie z. B. die Witwen; aber wir haben es vorgezogen, nur mit runden Summen zu rechnen.

Die Richtigkeit unserer Analyse läßt sich leicht nachweisen; es genügt dazu eine einzige Überlegung:

Das Leben der Frau zerlegt sich in drei genau abgegrenzte Zeitabschnitte: der erste beginnt mit der Wiege und schließt mit der Erreichung des Alters der Heiratsfähigkeit; der zweite umfaßt die Zeit, während welcher eine Frau für die Ehe in Betracht kommt; der dritte beginnt mit dem kritischen Alter, der ziemlich brutalen Aufforderung der Natur an die Leidenschaften, daß sie nunmehr aufzuhören hätten. Da diese drei Lebensabschnitte an Zeitdauer so ziemlich gleich sind, so muß durch sie die vorhandene Anzahl aller Frauen ebenfalls in drei ziemlich gleiche Teile zerlegt werden. So findet man also in einer Gesamtzahl von sechs Millionen – abgesehen von den Bruchzahlen, die die Herren Gelehrten berechnen mögen – ungefähr zwei Millionen Mädchen von einem bis zu achtzehn Jahren, zwei Millionen Frauen von mindestens achtzehn bis höchstens vierzig Jahren und zwei Millionen Alte. Die Launen unseres Gesellschaftszustandes haben nun die zwei Millionen heiratsfähiger Frauen in drei große Kategorien geteilt, nämlich: diejenigen, die aus den von uns angeführten Gründen Mädchen bleiben; diejenigen, auf deren Tugend es für Ehemänner wenig ankommt; und endlich die Million legitimer Frauen, mit denen wir uns zu beschäftigen haben.

Wie man aus dieser ziemlich genauen Berechnung der weiblichen Bevölkerung ersieht, ist in Frankreich kaum eine kleine Herde von einer Million weißer Schafe vorhanden – der privilegierte Schafstall, in den alle Wölfe einbrechen möchten!

Nun wollen wir diese Million Frauen, die wir bereits mittels der Worfschaufel gesichtet haben, noch durch ein anderes Seihtuch passieren lassen:

Um den Grad des Vertrauens, das ein Mann in seine Frau setzen darf, möglichst richtig abzuschätzen, wollen wir einen Augenblick annehmen, daß alle diese Gattinnen ihren Gemahl betrügen.

Wenn wir diese Hypothese aufstellen, werden wir billigerweise ungefähr ein Zwanzigstel abrechnen müssen: die jungen Personen, die erst ganz kurze Zeit verheiratet sind und ihren Schwüren wenigstens eine gewisse Zeit lang treu bleiben werden.

Ein anderes Zwanzigstel wird auf Kranke zu rechnen sein. Damit räumen wir den menschlichen Schmerzen einen recht geringen Teil ein.

Gewisse Leidenschaften, die, wie man sagt, die Herrschaft des Mannes über das Frauenherz zerstören, Häßlichkeit, Sorgen, Schwangerschaften, nehmen ebenfalls ein Zwanzigstel für sich in Anspruch.

Der Ehebruch dringt einer verheirateten Frau nicht ins Herz, wie eine Pistolenkugel trifft. Selbst wenn durch Wahlverwandtschaft schon beim ersten Anblick Gefühle erwachen sollten, so findet doch stets ein Kampf statt, der bei der Bemessung der Gesamtsumme ehelicher Treulosigkeiten in Anschlag zu bringen ist. Es hieße fast die Schamhaftigkeit der Französinnen beleidigen, wollten wir nicht die Zeitdauer dieser Kämpfe in einem von Natur so kriegerisch veranlagten Lande bei unserer Rechnung berücksichtigen, indem wir ein Zwanzigstel von der Gesamtsumme der Frauen in Abzug bringen; dann aber werden wir freilich annehmen, daß gewisse kranke Frauen allen Medizinflaschen zum Trotz ihre Liebhaber beibehalten, und daß es Frauen gibt, über deren Schwangerschaft dieser oder jener boshafte Junggeselle lächelt. Auf diese Weise retten wir die Scham der Frauen, die für die Tugend kämpfen.

Aus demselben Grunde wollen wir nicht zu glauben wagen, daß eine von ihrem Liebhaber verlassene Frau hic et nunc einen andern findet; da aber dieser Ausfall notwendigerweise viel geringer ist als der vorher erwähnte, so wollen wir ihn auf ein Vierzigstel schätzen.

Diese Einschränkungen werden unsere Gesamtzahl von Frauen, die imstande sind, das eheliche Gesetz zu übertreten, auf achthunderttausend herunterbringen.

Wer würde jetzt nicht überzeugt sein, daß diese Frauen tugendhaft sind? Sind sie nicht die Blüte des Landes? Sind sie nicht alle in ihrer Vollkraft, entzückend, berauschend durch Schönheit, Jugend, Leben und Liebe? An ihre Tugend zu glauben, ist eine Art gesellschaftlicher Religion; denn sie sind der Schmuck der Welt und Frankreichs Ruhm.

In dieser Million also haben wir zu suchen:

die Zahl der anständigen Frauen,
die Zahl der tugendhaften Frauen.

Diese Untersuchung und diese beiden Kategorien verlangen jede für sich eine vollständige Betrachtung; diese Betrachtungen werden einen Anhang zu diesem letzten Kapitel bilden.


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