Josef Baierlein
Im Wüstensand
Josef Baierlein

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14.

Die Hoffnung, seine Mutter bald wieder zu sehen, übte auf Walter Wetterwald eine viel günstigere Wirkung aus als alle Medikamente des Arztes. Seine Genesung machte erstaunliche Fortschritte und mit der wiederkehrenden Gesundheit verflog auch seine schwermütige Stimmung. Körper und Geist gewannen aufs neue ihre frühere, durch die Krankheit geschwächte Spannkraft. Aber nicht nur seine Wunde war geheilt; er war auch kuriert von dem Wunsch, in der Wüste recht viele Abenteuer zu erleben. Er hatte genug am Messerstich des Sizilianers und sehnte sich nicht mehr nach Löwenjagden oder nach Kämpfen mit anderen blutgierigen Bestien. Jetzt drehten sich seine Gedanken nur um die Rückkehr nach Deutschland, die auf anfangs März festgesetzt war. Doch ehe der Knabe die Sahara im Rücken hatte, sollte auch er die Wahrheit des Spruches erproben, daß »niemand ungestraft unter Palmen wandelt«, 120 was so viel bedeutet, daß niemand die Wüste gefahrlos durchqueren kann. Es stand ihm doch noch ein recht ernsthaftes Abenteuer bevor. –

Der Graf hatte bis zum bestimmten Tage alles für die Abreise vorbereitet. Wieder waren Reit- und Lasttiere sowie deren Treiber gedungen; wieder saß Walter auf einem Esel, während die anderen Mitglieder der Gesellschaft auf Pferden oder Maultieren ritten. Sogar der günstige Umstand hatte sich wiederholt, daß die Karawane unter militärischem Schutz reisen konnte. Denn der Graf hatte den Zeitpunkt abgewartet, wo eine im Süden der Provinz Algier abgelöste Abteilung französischer Soldaten über El Aghuat nach einer im Norden gelegenen Garnison marschierte, und sich dem Detachement mit Erlaubnis des den Befehl führenden Offiziers angeschlossen. Nach menschlichem Ermessen war also nichts versäumt worden, was die Hoffnung auf eine glückliche Reise rechtfertigen konnte.

Der Aufbruch von der Oase erfolgte schon früh am Tage. Aber so leichten Herzens unsere deutschen Freunde, namentlich Walter Wetterwald und die in seiner Seele lesende Gräfin, von El Aghuat Abschied nahmen, 121 ebenso ängstlich, selbst verdrossen schauten die arabischen Kameltreiber drein. Als die Karawane bald den Wüstensand erreichte, wo die Palmen den freien Aufblick zum Himmel nicht mehr verhinderten, betrachteten sie aufmerksam das östliche Firmament und begannen dann unter sich lebhaft zu schwätzen und zu gestikulieren.

»Was haben die Leute?« fragte der Arzt den Grafen.

»Ich weiß nicht, was sie wollen,« antwortete dieser. »Sie schauen immer nach Osten; dort kann ich aber nichts wahrnehmen als eine eigentümliche Rötung des Himmels, die an den Widerschein eines weit entfernten Brandes gemahnt. Daß ein solcher nicht stattfinden kann, ist klar. Denn dort hinaus liegt Wüste und nur Wüste. Meiner Karte nach beginnt dort die Region der Flugsanddünen.«

Er sollte sofort erfahren, was die Kameltreiber beschwerte; denn in diesem Augenblick trat einer von ihnen vor den Grafen hin und kreuzte zum Zeichen der Ehrerbietung die Arme über der Brust.

»Sidi!« begann er, »willst du deine Reise nicht verschieben?«

»Warum?« fragte der Graf verwundert.

122 »Die Dschinns der Wüste sind erzürnt gegen die Menschheit und rüsten sich, alles Lebendige zu verderben. Schau, wie blutig rot die Sonne aufgeht! Bald wird der Sam-Yel über die Sahara hinwehen und mit Sand überschütten, was immer er antrifft auf seinem Wege. Bleib in der Wah, Sidi! Ihre Palmen und Sträucher sind ein Bollwerk gegen den Atem des Wüstenwinds.«

Der Graf wurde unschlüssig. Er wandte sich an den französischen Offizier und fragte ihn um seine Meinung. Doch dieser wollte von einem Aufschub nichts wissen.

»Herr Graf!« sagte er, »Ihre arabischen Treiber sind abergläubisch, und weil heute die Sonne rot aufgeht, was in der Sahara allerdings zu den Seltenheiten gehört, so fürchten sie einen Ausbruch des Samum, den sie auch Chamsin, Sam-Yel und Harmattan nennen. Aber abgesehen davon, daß der Samum in der Regel nur während des Juni und Juli weht und wir jetzt erst im März sind, übertreiben die Araber seine Wirkungen. Er ist nicht halb so gefährlich, wie sie tun. Zudem könnte ich den Abmarsch nicht verschieben, selbst wenn ich 123 wollte; denn ich habe meine Order. Ich marschiere also unter allen Umständen.«

Das gab den Ausschlag. Der Graf wollte den Schutz der französischen Waffen nicht missen und erteilte deshalb den Befehl, die Reise fortzusetzen; die Araber gehorchten ihm jedoch nur mit ersichtlichem Widerwillen. – –

Der Offizier hatte freilich recht gehabt, als er sagte, daß der Samum in der Regel nur in den Monaten Juni und Juli auftritt. Die Naturgewalten binden sich aber nicht immer an die Regel, sondern machen sehr oft Ausnahmen davon. Und das war auch diesmal der Fall. Denn nachdem die Karawane etwa 10 Kilometer weit in die Wüste eingedrungen war, zeigte es sich, daß die Araber nicht ohne Grund den Ausbruch des gefürchteten Sturms vorausgesagt hatten.

Schon während der ersten Reisestunden überzog sich der ganze östliche Himmel mit schwarzen rauchähnlichen Wolken, welche das Licht der Sonne gleichsam auslöschten, so daß sie nur mehr als strahlenlose rote Scheibe erschien. Die Wüste lag stumm und tot, bedeckt von einem fahlen Dämmerschein, der alle etwas entfernteren Gegenstände nur in verschwommenen Umrissen zeigte und den Eindruck 124 der schauerlichen Einsamkeit, den die unermeßliche Öde auf die Menschenherzen machte, noch vertiefte.

Aber gerade als sich den Blicken der Reisenden der Marabut des Hassan ben Omar Husein wie ein dicker, aus der Ebene hervorragender Kuppelturm darstellte, endigte die bisher über der Wüste brütende Stille in einem entsetzlichen Getös. Zuerst ging ein hohles Brausen durch die Luft, das sich in wenigen Minuten zu einem ohrenbetäubenden Lärm steigerte. Ein heulender, pfeifender, sausender Wind fegte über die Sahara mit solcher Vehemenz, als flögen auf seinen Fittichen die Dämonen der Unterwelt zu den Orten ihrer Qual. – –

Plötzlich wird es unerträglich heiß – – eine Backofentemperatur treibt den Menschen den Schweiß stromweise aus den Poren. – –

»Nieder! Nieder!« schreien die Araber und mühen sich ab, ihre Kamele auf die Knie, – zur Erde herabzuzwingen.

Denn die Windstöße werden heftiger – sie folgen schneller aufeinander – der Sturm ist zum Orkan geworden!

Und jetzt – barmherziger Gott, was ist das? Jetzt schütten die schwarzen rauchähnlichen Wolken ihren Inhalt aus, – es 125 beginnt zu regnen. Aber, o Graus! – Kein erfrischendes Naß strömt aus dem Gewölk, – es ist kein Wasser, was da herabrieselt, sondern feiner, scharfkantiger heißer Sand, – Wüstensand, den der Samum Hunderte von Meilen aus dem Areggebiet der Sahara herbeitrug, und den er nun über der Karawane ausleert. –

»Nieder! Nieder!« schreien die Araber aufs neue, lauter – dringender als vorher.

Aber Walter Wetterwald weiß nicht, was der Ruf bedeuten soll. Doch sieht er, daß die Kamele, die Pferde und die Maultiere auf der Erde knien, und daß hinter ihnen, auf der vom Wind abgekehrten Seite die abgestiegenen Reiter, die Soldaten und die Kameltreiber, lang ausgestreckt auf dem Boden liegen. Sie haben die Leiber der Tiere als Wand aufgerichtet zwischen sich und dem Sturm, um sich wenigstens einigermaßen vor dem Regen glühenden Wüstensandes zu schirmen. –

Endlich begriff auch der Knabe, was er tun sollte. Schon zog er den einen Fuß aus dem Steigbügel, um das Beispiel der ganzen Reisegesellschaft nachzuahmen, da machte ihm sein Esel einen Strich durch die Rechnung. Das durch den Orkan und die 126 herabprasselnden scharfen Körner geängstigte Tier wurde plötzlich ganz scheu. Es schrie laut auf vor Furcht, legte die Ohren zurück und dann ging es mit Walter, der die Gewalt darüber vollständig verloren hatte, durch.

Geradeswegs dem Grabmal des Hassan ben Omar Husein entgegen, unter dem Heulen des Samum und dem knirschenden Rieseln des Wüstensands ging der tolle Ritt. Der Sand drang dem Knaben in die Augen, er verstopfte ihm die Ohren, er wirbelte um seinen ganzen Leib und vermengte sich mit dem Schweiß zu einem zähen Brei, der, wo er mit den Kleidern in Berührung kam, die Haut blutig scheuerte.

Dem Knaben drohten die Sinne zu vergehen. Doch noch ehe er das Bewußtsein verlor, hielt der Esel in seinem rasenden Lauf plötzlich an. Von seinem Instinkt geleitet, blieb das Tier an einer Stelle stehen, wo der Samum ihm nichts mehr anhaben konnte, vor dem Marabut des arabischen Mönchs.

Mit einem einzigen Sprung war Walter aus dem Sattel; dann betrat er, keuchend und den Esel hinter sich mitziehend, eine Nische des Grabmals. Dort war er sicher vor Sturm und Sandregen; durch die dicken Mauern des Turms konnte der Samum seinen glühenden 127 Odem nicht blasen, wenn er auch rasselnd, orgelnd und heulend um das alte Bauwerk herumtobte.

Volle fünf Stunden wütete der Orkan, und ebensolang mußte der Knabe, dem die Zunge am Gaumen klebte, im Marabut ausharren, wo er alle Qualen des Durstes litt. Denn erst nachdem der Wind abgeflaut war, setzte die Karawane die Reise fort, und gab dem nach Wasser Lechzenden zu trinken. – – 128

 


 


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